01.05.2009 von Finn Canonica und Birgit Schmid , 11 Kommentare
Banker Nr.1
«Eigentlich geht es mir gut. Auch wenn ich sehe,
dass die UBS Probleme hat. Ich bin ja nicht naiv. Aber die Bank ist
sehr gross, und nicht alle Units sind betroffen. Mein Geschäft ist das
Kundengeschäft. Ich kümmere mich um europäische Kunden, welche ihr Geld
in der Schweiz haben, bin also ein klassischer Private Banker. Meine
Kunden sind alle sehr vermögend. Wir kümmern uns um deren Geld,
unterstützen sie aber auch in vielen anderen Dingen. Investitionen,
Finanzierungen, Steueroptimierungen, es ist ein sehr weites Feld. Ich
habe ein Buch mit allen Kunden drin, um die ich mich persönlich kümmern
muss.
Ich spüre, dass wir Banker an Prestige verloren haben, ich kann damit
leben. Der Job war doch immer schon überbewertet, wenn man ehrlich ist.
Jetzt hat sich das alles ins Gegenteil verkehrt. Mich hat immer
überrascht, welchen Respekt die Leute vor uns Bankern gehabt haben. Ich
konnte das nie richtig nachvollziehen. Ich habe Freunde, die Ärzte oder
Ingenieure sind, die tragen doch mindestens so viel Verantwortung.
Am Endes des Tages sind Banker Unternehmer, die eine Beziehung
ausnutzen. Ich versuche, möglichst viel Geld aus meinen Kunden
rauszuholen, und diese wiederum verlangen von mir, dass ich ihr Geld
möglichst effektiv arbeiten lasse. Wir verdienen und verlieren also
zusammen Geld. Das kapiert doch jeder Idiot. Ein Ingenieur oder
Künstler erschafft was, ich dagegen nütze eine Beziehung aus. Ich
manage Geld, keine Ahnung, weshalb wir selbst so lange geglaubt haben,
irgendwas Besonderes zu sein. Okay, ich kann mit Leuten umgehen. Ich
spüre, was sie wollen, kann ihr Vertrauen gewinnen. Aber das ist nicht
so komplex wie Hirnchirurgie. Ich liebe meinen Job, ich liebe die
Gespräche mit meinen Kunden, aber ich halte mich für weder
überdurchschnittlich intelligent noch kreativ.
Den Ruf, den Banker bis vor Kurzem gehabt haben, verdanken sie sich
selbst. Das Protzen mit Statussymbolen, Autos, Uhren, Massanzüge, die
richtige Feriendestination, das gehörte einfach dazu. Man kann sich
einer solchen Dynamik nur schwer entziehen. In London und an der Wall
Street ist das noch viel extremer als in der Schweiz. Zumindest bis vor
Kurzem war es so. Ich habe darüber meine eigene Theorie. Viele solcher
Banker stammen aus eher bescheidenen Familien. Sie studierten oder, wie
in der Schweiz üblich, machten eine Banklehre, und stiegen dann auf.
Und plötzlich war viel Geld da, und sie drehten durch. Diskretion und
Zurückhaltung ist die Tugend von altem Geld.
Wie meine Beziehung zu Kunden heute ist, nach dem grossen Crash an den
Börsen? Okay, ich muss mir viel mehr Fragen anhören. Die Kunden wollen
nun Dinge wissen, die ihnen vorher völlig egal gewesen sind. Die wollen
alle zehnmal durch ihr Portfolio gehen. Auch merke ich, dass ich jetzt
jedes Wort auf die Goldwaage legen muss. Einfach mal den coolen,
selbstsicheren Mann mimen, geht gar nicht mehr. Die Hauptangst der
Kunden ist, dass die UBS ihre Verluste in ihr Portfolio packt. Ich muss
also viel mehr erklären, das stresst und ist zeitaufwendig, aber so ist
es nun mal.
Seit dem Beginn der Krise hat sich mein Verhalten verändert. Ich trete
anders auf, vorsichtiger. Ich würd jetzt nicht allen Kunden sofort
erzählen, dass ich einen Porsche fahre. Wenn einer fragt, weiche ich
aus, oder ich lüge. Es erscheint mir irgendwie unangebracht, besonders
wenn ich weiss, dass ein Kunde Geld mit seinem Portfolio verloren hat.
Man muss aufpassen, wir haben diesen Schlamassel schliesslich
mitverursacht.
Viele meiner Freunde sind ebenfalls Banker — wobei, die richtigen
Freunde sind eigentlich keine Banker. Und die mögen mich hoffentlich
unabhängig von meinem Beruf. Aber so kleine, spitze Bemerkungen muss
ich schon ertragen können. Jetzt bei der UBS angestellt zu sein, birgt
ein gewisses Witzpotenzial. Manchmal lache ich mit. Manchmal nervt mich
das extrem. Meine Eltern sind besorgt, sie rufen oft an, um zu fragen,
ob ich meinen Job noch habe. Aber ehrlich gesagt, glaube ich nicht,
dass die Bank mich rausschmeisst. An mir hängen viele Kunden. Aber wer
weiss.
Wenn mich heute jemand nach meinem Beruf fragt, weiss ich zum
vorneherein, wie die Reaktion sein wird. «Ah, Banker», und dann folgen
ein paar blöde Fragen. Es ist ein bisschen so, als habe man uns alle
zum verbalen Abschuss freigegeben. Als gehörten wir einer Minderheit
an. Ich kann nicht sagen, dass mich das fertigmacht. Das wäre
übertrieben, aber es macht nachdenklich. Es nagt auf Dauer am
Selbstvertrauen. Aber ein «Psycho» bin ich noch nicht geworden. Meine
Standardantwort ist: «Ja, die Zeiten sind hart, viele Leute verlieren
Geld, aber ich mache meine Arbeit.»
Die UBS hat brutale Fehler gemacht. Banker in die USA auf Kundenfang zu
schicken, das war wohl eine dumme Strategie. Ich war einer dieser
Banker. Ich habe das zwei Jahre lang gemacht. Es war mein erster Job,
gleich nach dem Studium und einem Trainingsprogramm in der Schweiz.
Meine Vorgesetzten sagten mir, flieg in die USA, triff im Hotel X
Kunden Y. Also flog ich von der Schweiz direkt in die USA, nach New
York, Miami, Chicago oder Washington. Die Leute kamen in mein
Hotelzimmer, ich lud über Internet die Daten auf meinen Computer,
zeigte ihnen ihr Portfolio. Wir besprachen, was zu tun war, dann flog
ich in eine andere Stadt. Manchmal luden mich die Kunden auch in ihre
Häuser ein. Aber sie waren immer sehr vorsichtig. Informationen von der
USA in die Schweiz und umgekehrt wurden nie über Telefon oder E-Mail
ausgetauscht. Man muss extrem aufpassen bei Amerikanern, bei allen
Details, die sind ja sehr klagefreudig. Mein Ziel war ganz einfach:
möglichst viel Geld auf ein Schweizer Konto zu kriegen.
Diese Tätigkeit in den USA hatte fast etwas Abenteuerliches an sich,
etwas Konspiratives. Wenn man noch jung ist, lässt man sich schon
beeindrucken. Man sagte mir nie, was zu tun sei, wenn ich am Zoll
rausgenommen würde. Ich hatte ein kurzes Trainingsprogramm, man gab uns
die Nummer eines Anwaltes im Falle eines grösseren Problems. Wir
arbeiteten mit besonderen Laptops, wir alle hatten sie. Auch die
Konkurrenten von der Credit Suisse oder der Bank Sarasin. Angst vor der
Ein- und Ausreise aus den USA hatte ich anfangs nie. Von einer externen
Firma sind unsere Laptops speziell präpariert worden. Wurde man bei der
Zollkontrolle rausgenommen und musste man seinen Laptop anstellen,
konnte man einfach anstelle seines normalen Kennwortes einen Code
eingeben, und alle sensiblen Daten mit den Namen der Kunden wurden
gelöscht.
Ich wusste jederzeit, dass ich amerikanische Gesetze breche, wenn ich
US-Bürgern praktisch die Gelegenheit zur Steuerhinterziehung auf einem
Silbertablett präsentiere. Jeder hat das gewusst, meine Vorgesetzten,
meine Kollegen.
Ich sagte mir jedoch, ich bin Schweizer, ich komme aus einer anderen
Kultur, und wir Schweizer haben immer vom Reichtum der anderen gelebt.
Jeder wusste, dass diese Praxis gegen amerikanische Gesetze verstösst,
aber hey, wir lebten alle in einer ganz anderen Welt. Wir
veranstalteten Partys in New York, organisierten Kunstevents für unsere
Kunden, eigentlich absurd, wie unbeschwert wir uns gaben trotz diesem
Wissen. Vielleicht waren wir einfach auch nur dumm.
Mit der Zeit jedoch war mir immer weniger wohl, ich hatte oft Angst.
Ich sprach mit meiner Frau darüber. Sie war der Meinung, dass diese
Anspannung mir und unserer Beziehung nicht guttut. Mir ist
unverständlich, wie viele meiner Kollegen diesen Job so lange getan
haben. Ich meine, jeder weiss doch, dass man mit den amerikanischen
Steuerbehörden extrem aufpassen muss. Mit der IRS (US-Steuerbehörde)
ist nicht zu spassen. Aber die UBS war bezüglich der IRS total
ignorant, die hatten keine Ahnung, was das für eine Behörde ist. Sogar
Al Capone wurde von der IRS verhaftet, nicht von der Polizei. Trotzdem
wurde immer weitergemacht. Und das erzählt doch alles über die Gier der
Banken, die menschliche Gier allgemein. Dieses gewaltige Risiko
einzugehen, nur um noch mehr Geld zu verdienen, alle Vorsicht in den
Wind zu schlagen und zu glauben, die Amerikaner wären so blöd und kämen
nicht dahinter.
Ich traute mich nicht, mit meinem Boss über meine Angst zu reden. Also
sagte ich ihm, ich bräuchte eine neue Herausforderung. Zum Glück war
das kein Problem, die UBS hat meinen Wunsch sofort akzeptiert.
Die Entscheidung, aus dem US-Geschäft auszusteigen, war rein
persönlicher Natur. Es ging mir nicht um Moral. Wir Schweizer haben
Banking nie mit Moral betrieben, das ist die Schweizer Art des
Bankings. Unsere Haltung war doch immer: Wir bieten euch Hilfe bei der
Steuerhinterziehung, wenn ihr damit ein Problem habt, müsst ihr es
nicht machen. Das war doch das Schweizer Geschäftsmodell. All die
Banker und vor allem Politiker, die sich jetzt am Fernsehen und in den
Medien so moralisch gebärden, sind einfach Heuchler. Für mich war diese
Entscheidung praktischer Natur, nicht moralischer. Wir brachen
amerikanische Gesetze, da gibt es keinen Graubereich. Da bist du
schwarz oder weiss. Ich fürchtete immer, ins Gefängnis geworfen zu
werden.
Es ist wichtig, zu verstehen, dass viele US-Kunden Geld nicht direkt
von den USA in die Schweiz transferiert haben. Sie hatten zum Beispiel
ein Business im Ausland und lenkten Teile ihres Profits auf Schweizer
Konten. So simpel war das. Sie arbeiteten zum Beispiel mit
französischen oder deutschen Unternehmen, und diese lenkten einfach
Geldströme auf Schweizer Konten. Von zwei solchen Zahlungen wurde immer
eine direkt in die Schweiz geleitet, das war so etwa die Faustregel.
Kaderleuten der Credit Suisse und der Bank Sarasin bestätigten alle, es
genauso gemacht zu haben. Ich verstehe nicht, warum nur die UBS jetzt
so am Pranger steht. Credit Suisse war unser grösster Rivale, und die
haben mit denselben Methoden gearbeitet.
Warum die IRS nur die UBS erwischt hat? Ich weiss es nicht. Schauen
Sie, wenn Sie Polizist sind und es kommen Ihnen auf der Autobahn ein
Ferrari und ein BMW mit 200 Stundenkilometern entgegen, wen nehmen Sie
aus dem Verkehr, wenn es nur einer sein kann? Den Ferrari, ist ja
logisch.
Der UBS ging es lange Zeit extrem gut. Die Bosse sagten zwar immer, wir
müssten aufpassen. Aber in der Regel dachten wir UBSler schon,
irgendwie besser zu sein als die anderen. Wir fühlten uns auch so. Wir
waren jung und risikobereit. Wir waren die Top Guns. Unbezwingbar, in
vielen Belangen.
Ja, ich fühle mich schuldig für das, was in der Weltwirtschaft jetzt
abgeht. Wir haben uns in diesen Boomjahren nie zurückgelehnt und
nachgedacht. Moment mal, was für Produkte verkaufen wir hier
eigentlich? Und wir boten Produkte an, die gar nicht funktionieren
konnten. Aber irgendwie verdrängten wir es. Und die Kunden eben auch.
Es ist nicht so, dass diese naiv sind. Meine Kunden, Leute, die über 50
Millionen haben, das sind keine Idioten. Die hätten es auch merken
müssen. Aber meine Kunden und ich befanden sich in einer ganz eigenen
Dynamik, wir wollten gar nicht unseren Verstand anschalten. Man
schaukelte sich gegenseitig hoch. Ich glaube, man kann dieses Phänomen
nur psychologisch erklären. Hätte man es wissen wollen, man hätte es
wissen können. Davon bin ich absolut überzeugt.
Es tut mir leid für gewisse Kunden, denen wir zweifelhafte
Finanzprodukte verkauft haben. Das belastet mich schon. Ich habe meine
Unschuld verloren in diesem Geschäft. Ich weiss, das klingt jetzt sehr
sentimental. Trotzdem schäme ich mich nicht, wenn ich Kunden treffe,
die Geld verloren haben. Aber ich habe mich noch nie entschuldigt. Das
heisst, einmal hab ich es doch getan, ich sagte «I am sorry». Das war
ein Riesenfehler. Der Kunde schaute mich an und sagte eiskalt: Mein
Lieber, das ist ein Geschäft, «I am sorry» kannst du deiner Frau sagen,
wenn du sie betrogen hast.
Ich spüre eine gewisse Verantwortung für unseren schlechten Ruf. Ich
denke mir oft, es müsste doch noch so sein wie vor fünfzig Jahren. Man
besprach mit den Kunden Dinge, von denen man wirklich etwas verstand.
Banking war ein Vertrauensverhältnis, wie mit dem Arzt oder Pfarrer
beinahe. Es wurde viel geredet, Banker und Bankkunde standen sich sehr
nahe. Die Profite waren nicht so hoch, aber es war ehrlicher.
Rückblickend deprimiert mich das. Ich war ein Teil davon. Irgendwie
absurd. Ich mag meine Kunden wirklich, ich dachte nie bewusst, hey, ich
zieh die jetzt über den Tisch.
Wenn ich mich zurückerinnere, wie die vom Riskmanagement uns mit Zahlen
gefüttert haben, absurd. In 95 Prozent der Fälle ging gemäss
Risikoanalysten alles gut, das war so praktisch das Standardmodell.
Riskmanagement ist eine Truppe, die vom gesunden Menschenverstand
abgekoppelt funktioniert hat. Hätte ich die Arbeit dieser Leute
hinterfragen sollen? Vielleicht. Aber ehrlich gesagt, ich hab gar nie
daran gedacht. Da arbeiteten Mathematiker, kein Mensch kann fachlich
mit denen argumentieren. Es gab immer drei Risikoprofile, Konservativ,
Medium, Riskant. Wir überlegten uns bei jedem Kunden, welches Profil
ihm wohl am besten passen würde. Die Kunden haben das sehr wohl
begriffen, ich habe nie jemandem riskante Papiere als konservative
Anlagestrategie empfohlen. Sehr reiche Leute haben ein seltsames
Verhältnis zu Geld. Sie können ausflippen, weil sie zu Hause 200 Dollar
im Küchenschrank verlegt haben, investieren aber gleichentags 200 000
Dollar in hoch riskante Papiere. Ich habe darüber oft nachgedacht, aber
es ist mir nie klar geworden, warum die das tun. Wenn es immer nur
bergauf geht, hinterfragt nie jemand seine Investitionen. So ist der
Mensch.
Die Erklärung, für das, was geschehen ist, folgt zwei
Argumentationslinien: Gier oder Dummheit. Ich denke, es war in erster
Linie Gier. Und die Kunden spielten dabei eine wichtige Rolle. Wenn ich
meinen Topkunden ein Produkt mit nur mässiger Performance anbot,
schrien die sofort auf. «Was, nicht mehr Gewinn?» Darüber muss man auch
mal reden. Es herrschte eine gewaltige Nachfrage nach solchen Papieren,
und die haben wir eben geliefert. Und die Angebotsseite war halt leider
etwas überbewertet. Ich hatte Kunden, die wollten brasilianische Bonds
kaufen, weil die zehn Prozent Profit versprechen. Der Mensch schaltet
eben rasch den Kopf aus, wenn viel Geld im Spiel ist.
Wenn jetzt einer von den armen Kunden spricht, ist das doch Quatsch.
Die Kunden sind mindestens so schuldig. Ich rede jetzt nicht von der
alten Oma, der man einfach Unsinn erzählt hat. Aber wenn einer über 50
Millionen hat, kennt er sich sehr gut aus. Diese Leute sind keine
Ignoranten. Diese Leute lesen jeden Tag die Wirschaftspresse, von
Unschuld kann doch gar keine Rede sein. Die haben gelacht, wenn man
ihnen ein Produkt mit nur drei Prozent Rendite angeboten hat.
Die Arbeitsatmosphäre bei der UBS hat sich sehr verändert. Viele haben
wirklich Angst, es hängt aber immer mit der persönlichen Situation ab.
Ich habe keine Kinder, ich besitze auch kein Haus, nicht mal eine
Ferienwohnung. Also kann ich gar nicht so viel verlieren. Viele
Kollegen sind aber selbst schuld. Jahrelang wurde einfach Geld
ausgegeben, niemand dachte doch im Traum daran, dass es so mal nicht
mehr weitergehen könnte. Ich kenne ein Paar, die haben ihre ganzen
Ersparnisse in UBS-Aktien angelegt. Die müssen Hypozinsen für ein Haus
bezahlen und so weiter. Ich selbst habe ziemlich viele UBS-Aktien, aber
ich bin jung, die werden sich wieder erholen, ich kann warten. Der Kurs
wird sich erholen. Ein paar Kollegen mussten ihren bereits bestellten
Wagen wieder abbestellen, viele haben ihre Ferienpläne radikal
geändert. Teure Flüge mit der ganzen Familie liegen einfach nicht mehr
drin.
Ein Freund von mir schläft nicht mehr seit Wochen, wobei Freund
übertrieben ist. In all den Jahren bei der UBS habe ich nie einen
wirklichen Freund kennengelernt. Das geht einfach nicht, vielleicht
liegt es am Arbeitsklima, es ist extrem kompetitiv. Einem Kollegen geht
es richtig schlecht. Er muss Medikamente nehmen, er kann kaum mehr
arbeiten. Letztes Jahr war ich fast mal so weit. Der Druck war enorm,
als die Märkte zusammenbrachen. Wir arbeiteten praktisch
ununterbrochen. Ich verbrachte zwei Wochen Ferien ununterbrochen am
Handy, alle meine Kunden riefen ständig an. Tag und Nacht. Ich muss
immer erreichbar sein, es geht einfach nicht, dass ich mein Handy nicht
abnehme. Und Kunden mit über 50 Millionen ist es ziemlich egal, ob es
dort, wo ich gerade bin, Nacht ist.
In meinem Alltag wird oft über die Situation gesprochen, in der
Kaffeepause, beim Mittagessen, in den Gängen. Weniger über die Führung,
sondern über das, was einen Korpsgeist unmittelbar betrifft. Also meine
Bosse, die Auswirkungen auf unsere Abteilung. Die generelle Strategie
der Bank ist weniger ein Thema. Die UBS ist eine Riesenbank, fast wie
ein eigener Staat, die Regierung ist nicht unbedingt Gesprächsthema
Nummer eins.
Die Bosse wissen doch selbst nicht, was genau läuft. Zu lange haben wir
Informationen erhalten, die einfach falsch waren. 2006, als der
Aktienkurs der Bank mit seinem Sinkflug begann, sagte mein Chef noch:
«Geh zu den Kunden und erzähl ihnen, alles sei okay, kein Grund zur
Besorgnis.» Nun, das war wohl gelogen. Ich weiss gar nicht mal, ob das
schlicht Lügen waren, niemand wusste, was eigentlich los war.
Ich identifiziere mich nicht mit der UBS. Aber ich respektiere meinen
Arbeitgeber, weil er mir viel bietet, aber so etwas wie einen
Korpsgeist kenne ich nicht. Ausser bei falschen oder dummen Angriffen
auf die Bank, wie es in vielen Medien üblich ist.
Manchmal fühle ich mich so, als ob ich schon einen halben Krieg hinter
mir hätte. Ich habe meine Frau oft wochenlang nicht gesehen, gearbeitet
bis zum Umfallen, mich mit Leuten abgegeben, die ich nicht mal riesig
respektiere. Und jetzt werden wir in der Öffentlichkeit noch
fertiggemacht. Ich will jetzt nicht den Schwächling markieren, aber ich
frage mich tatsächlich manchmal, was das alles soll. Ich bin nicht mal
richtig reich. Diese Krise hat diesen Denkprozess noch beschleunigt.
Ich höre immer wieder die Geschichten von Leuten, die plötzlich was
anderes gemacht haben. Entwicklungshilfe oder eine Biofarm aufgezogen
oder was weiss ich. Dafür bin ich nicht der Typ, was anderes zu machen,
würde in erster Linie heissen, mehr Zeit mit meiner Frau und meinen
Freunden zu verbringen.
Ich bin die letzten Jahre auf einer Welle gesurft, wir waren alle super
cool drauf. Die Welt lag uns zu Füssen, alles lief gut, kein Mensch
dachte daran, dass dies alles mal aufhören könnte. Nach der Universität
dachte ich, dass es im Leben nur noch aufwärtsgehen kann. Als ich zum
ersten Mal eine Visitenkarte der UBS mit meinem Namen drauf in der Hand
hatte, fühlte ich mich richtig stark. Diese drei Buchstaben, UBS, nicht
irgendeine Bank, sondern die mächtigste Schweizer Bank.
Ich will wieder ein guter Banker sein. Das klingt pathetisch, aber ich
möchte tatsächlich nicht mehr einfach so weitermachen. Mit meiner Frau
kann ich über solche Sachen reden, auf der Bank ist das nicht gut
möglich. Unter meinen Kollegen redet man nie über Schwächen, das gibt
es einfach nicht. Das ist halt so ein Ding in einer von Männern
dominierten Arbeitskultur, aber ich hab damit kein Problem.
Die Krise wird reinigend wirken, auch wenn das zynisch klingt. Und die
Leute werden alle schlauer werden, was Bankgeschäfte betrifft. Der
Vorteil für mich? Ich kann Kunden mit kritischen Fragen künftig sagen,
wenn ich keine Ahnung habe, ohne das Gesicht zu verlieren. Das hab ich
mir persönlich jedenfalls vorgenommen, keine Lügen mehr, keine
Scheinsicherheit vortäuschen. Und die ganze Finanzindustrie war eine
Riesenlüge. Das ist das Problem.
Ich bin kein Philosoph, mein Business ist der Kapitalismus. Aber ich
begreife, dass dieser sich nun weiterentwickeln muss. Das Problem ist
nur, dass wir alle gierige Bastarde sind. Der Mensch mag Geld. Und wer
seine finanzielle Bescheidenheit zelebriert, definiert sich letztlich
immer noch über Geld. Aber ich drifte jetzt in die Philosophie ab, das
lass ich lieber sein.»
Banker Nr. 2
«Vielleicht sieht man es mir nicht an. Aber ich
bin ziemlich verzweifelt.Gestern wurde einer unserer besten Mitarbeiter
ins Büro des Vorgesetzten zitiert. Ein Kunde war unzufrieden mit ihm.
Er kam zurück und sagte: «Ich hatte schon gehofft, dass sie mich
schicken.» Der Druck ist enorm. Die Möglichkeit, man könnte der Nächste
sein, wächst von Tag zu Tag. Deshalb wäre es eigentlich eine Befreiung,
wenn es endlich passieren würde. Als Banker kommst du dir im Moment vor
wie auf dem Schafott. Weit oben siehst du die Klinge glänzen, die
jederzeit niedersausen kann. Ein Damoklesschwert. Die Unsicherheit ist
schwierig zu ertragen.
Vor ein paar Jahren zogen wir in die USA. Heute bin ich Marktstratege
einer Bank in New York. Das Geschäft hat in allen Bankbereichen extrem
abgenommen. Im Financial District ragen die einst stolzen Wolkenkratzer
drohend in den Himmel. Hoffentlich krachen sie nicht zusammen. Ich habe
Bilder von Ground Zero im Kopf. Wir gehen hier tagtäglich wie Geister
ein und aus. Geld verdienen wir ja nicht mehr richtig.
Geld ist auch für mich wichtig. Deshalb bin ich nicht Lehrer geworden.
Geld ist mehr als nur Knete, die es zum Überleben braucht. Geld hilft,
macht das Leben einfacher. An einer Party sagte mir mal einer, nachdem
ich die Nase über einen gemeinsamen Kollegen gerümpft hatte: «Better
Nouveau Riche, than no riche at all.» Geld ermöglicht dir, dein
Selbstverwirklichungspotenzial zu entfalten. In unserer Gesellschaft
ist es ein Zeichen für Erfolg. Es macht dich sozusagen zu einem
besseren Menschen. Im Geldbusiness bedeutet Geldverdienen höhere
Wertschätzung. Dein Wert ist abhängig von deinen Returns, das ist nun
mal so. Und wenn ein Analyst auch ein gutes Renommee hat, aber seinen
Job verliert, verliert er seinen Ruf und ist als öffentliche Stimme
nicht mehr gefragt.
Geld ist aber nicht meine Hauptmotivation, behaupte ich mal. Die
Motivation aus der Arbeit heraus ist genau so hoch. Deshalb gehe ich
jetzt im Grunde genommen immer noch gerne arbeiten, obwohl ich
substanziell weniger verdiene. Ich habe Geldsorgen. Das Leben in New
York ist teuer. Bis im Sommer müssen wir aus unserem Haus ausziehen und
ein kleineres, billigeres finden. Es geht inzwischen um viel mehr, als
um eine gescheiterte Selbstverwirklichung. Es ist existenziell.
Geldsorgen, Berufsängste, Beziehung — alles ist im roten Bereich. So
geht es den Leuten im Backoffice wie in der Researchabteilung oder im
Investmentbanking. Der Mensch erträgt Stress in einem Bereich. Jetzt
äussert er sich aber plötzlich auf drei Ebenen. Es ist wie eine
Kettenreaktion. Zu den Problemen im Job kommen finanzielle Sorgen, was
wiederum die Beziehung belastet. Ich bin privilegiert, hab ja noch den
regelmässigen Geldeingang auf dem Konto. Aber bei einer massiven
Einbusse musst du den Lebensstandard, den du dir erarbeitet hast,
aufgeben. Ein Freund von mir ist Psychiater. Er hat Patienten, die
durchdrehen, da sie die Hälfte ihres Vermögens verloren haben. Von
zwanzig Millionen bleiben ihnen vielleicht noch zehn. Die sehen nicht
die zehn, sondern, dass wenn es so weitergeht, sie aus dem Fenster
springen. Das ist doch verständlich. Du kannst dich nicht mehr in
deinem sozialen Umfeld bewegen. Und wenn es dumm läuft, bist du auch in
den Augen deiner Frau nicht mehr attraktiv. Viele hier versuchen
trotzdem, den Schein zu wahren. Eine Kollegin arbeitet an einer
Privatschule. Banker schicken ihre Kinder immer noch hin, obwohl ihr
Einkommen zusammengeschrumpft ist wie der Schnee an der Sonne. Sie
fahren immer noch im Porsche Cayenne vor.
Die Wahrheit ist zu schmerzhaft. Für jede Einkommensschicht ist die
Situation schwierig. Psychologisch macht es den Gutverdienenden in
meiner Nachbarschaft genauso zu schaffen wie den südamerikanischen
Einwanderern, für die ich regelmässig im Obdachlosenzentrum koche. Die
Schlange wird immer länger und hat sich seit letztem November
verdreifacht. Die Leute strecken mir ihren leeren Teller entgegen. Ich
sehe immer mehr Leute darunter, die sehr gute Zähne und Bürohände
haben. Wir gehen oft in die Kirche. Die Kirchen hier sind voll. Die
Musik ist gut, die Predigten sind warmherzig und intellektuell
anspruchsvoll. Die Priester bauen die Geldsorgen der Leute in die
Predigten ein. Und bitten um Spenden, jeden Sonntag. Das hat nichts
Anrüchiges. Es geht ums reale Leben.
In einer Schublade bewahre ich Bares auf. Ich spare. Damit wir in die
Schweiz zurückkehren könnten, falls alle Stricke reissen. Ich schaue,
dass ich das Geld nicht angreifen muss, aber seit letztem Jahr stehe
ich immer knapp davor. Wenn alles zusammenkracht und die Bank
dichtmacht, muss ich sagen: Okay, damit hätte ich rechnen müssen. Ich
würde mir Vorwürfe machen, wenn es dann nicht für die Rückkehr in die
Schweiz reichen würde. Wirklich wünschen tue ich es mir nicht. Kürzlich
habe ich meinen Achtjährigen verängstigt. Er sagte, er wolle später mal
dies und jenes. Ich sagte, ich wisse nicht, ob wir dann noch das Geld
dafür hätten. Da sagte er: Gehen wir doch zurück in die Schweiz. Ich
antwortete: Es gibt nur ein Vorwärts, kein Zurück. Die Kinder merken
selber, dass wir den Gürtel enger schnallen müssen. Diese Woche waren
wir im H & M einkaufen. Noch meiden wir Wal-Mart. Für jedes gab es
diesmal nur je ein T-Shirt und eine Hose, eines brauchte noch eine
Jacke. Das wars. Vorher mussten wir nie aufs Geld schauen. Oder statt
ein Geburtstagsgeschenk und einen Judokurs bekommt der Sohn nun halt
den Judokurs auf den Geburtstag geschenkt. In der Schule haben sie
viele Gspäänli, deren Väter, ebenfalls Banker, arbeitslos sind. In der
sechsten Klasse müssen sie Aufsätze schreiben, um argumentieren zu
lernen, zu Themen wie: Soll man den Sport kürzen oder einen Lehrer
entlassen, um zu sparen? Die Kinder bekommen die Krise hautnah zu
spüren.
Die Bankenwelt hat mich lange nicht gereizt. Ich trage nicht gern
Krawatte und fürchtete, Krawatte tragen sei schlecht für die
Hirndurchblutung. Halt die üblichen Klischees. Ich war vorher in einem
lokalen Business tätig. Als ich bei der Bank begann, traf ich plötzlich
auf die weite Welt. Die Kollegin vor mir redete Französisch, jene
hinter mir Japanisch. Ich staunte, dass so verschiedene Menschen bei
einer Bank arbeiten. Der Lohn war natürlich besser als im früheren Job.
Endlich konnten wir unsere Steuern auf einmal bezahlen. Ich war Anfang
dreissig schon zweifacher Vater. Zu Beginn betrachtete ich meine Stelle
auch als einen gut bezahlten Philosophenjob. Ich mache Prognosen und
versuche, die Marktentwicklungen zu antizipieren: Unter dieser und
jener Annahme passiert dies und das. Meine Kunden sind Hedge Funds,
Zentralbanken, Regierungsinstitutionen, Pensionskassen. Sind die Kunden
mit meiner Arbeit zufrieden, kriegen wir mehr Business. Manchmal fühle
ich mich in meiner Funktion wie ein Jäger bei den Inuit, der seine
Beute über Wochen verfolgt. Du analysierst den Markt und wartest
geduldig, bis der Zeitpunkt, auf den du wartest, da ist. Nach einer
Weile weiss ich, wie sich der Bär verhält und wie ich ihn erwischen
kann. Es ist unglaublich schwierig, den Markt zu antizipieren. Macht
zum Beispiel der US-Finanzminister eine Aussage, muss ich sie innerhalb
eines Tages für meine Kunden interpretieren. Was bedeutet das
Statement, müssen wir handeln?, fragen sie mich.
Das ist wie Adrenalin. Eine Sucht. Es gibt dir sogar das Gefühl, dass
du irgendwie den Markt bewegst. Du kannst dir einbilden, dass es ein
bisschen auch wegen dir ist, da du die Kunden beraten hast und sie
aufgrund deiner Einschätzung gehandelt haben. Wenn sich der Markt in
Richtung Kunden bewegt, bist du glücklich. In diesem Augenblick geht es
um mehr als Geld. Ich untersuchte schon als Kind das Wetter und machte
Schneemessungen. Mich interessierten Daten und Zusammenhänge schon
immer. Zwischen Modellen von Wetter- und Währungsprognosen gibt es
einige Gemeinsamkeiten. Ein Stück weit sind meine Prognosen auch Glück.
Es gibt Zufallsbewegungen. Aber sie sind nicht so zufällig, dass es
Leute wie mich nicht mehr brauchen würde. Aber wenn ich falsch liege,
frage ich mich manchmal: Was soll der Blödsinn? Dann leide ich wie ein
Hund. Das macht mich fertig. Denn ich habe einen Anspruch an mich.
Ich finde es gefährlich, wenn man jetzt das ganze Finanzsystem
verurteilt. Nachher weiss man es immer besser. Globales Wachstum
braucht Innovation. Ich fand das Subprime-Geschäft ethisch vertretbar,
weil man die Leute, die nichts hatten, am Immobilienboom teilhaben
liess. Die Subprime-Wertpapiere waren ein Motor des
Wirtschaftswachstums. Es läuft ins Leere, wenn man jemandem die Schuld
für die Finanzkrise zuschieben will. Wen soll man beschuldigen? Einen
Analysten, der total falsche Prognosen lieferte, oder einen
Harvard-Abgänger, der ein funky Produkt generierte? Meine Kollegen aus
der Schweiz sagen mir, dass alle nur von der UBS und SNB sprechen. Die
UBS für die globale Situation verantwortlich zu machen, ist einfach
lächerlich. Es ist schlimm, wo wir jetzt stehen. Die Herren Wuffli,
Ospel & Co. hätten es aber sicher besser gemacht, wenn sie das
Debakel vorausgeahnt hätten. Man vergisst, dass viele Jahre alle vom
Erfolg der Credit Suisse und UBS profitiert haben, den Jobs, die sie
geschaffen haben, den Steuern, die sie zahlten. Jedes Geschäft in der
Bahnhofstrasse hängt irgendwie von ihnen ab. Ich habe früher in der
Schweiz bei den zwei Grossbanken gearbeitet. Sie waren immer faire
Arbeitgeber. Wenn du deine Leistung bringst und Loyalität zeigst,
unterstützen sie dich. Sie zahlen gute Löhne, Kinderzulagen — alles.
Als erwachsener, mündiger Mensch weisst du, das ist ein Deal: Ich habe
mehr verdient als anderswo. Meine Bank liess sich auf die Äste raus und
kriegt nun aufs Dach. Genauso kommt jetzt die Rechnung für mich zurück,
nachdem ich lange mehr verdient habe als meine Kollegen beim Bund.
Maximale Rendite mit null Risiko, das geht einfach nicht. Wenn wir
ehrlich sind: Das wissen wir alle. ›
Nur wenige Ökonomen haben die Dynamik des Ganzen abschätzen können. Man
hätte dafür schon lange sehr pessimistisch sein müssen. Ich fand immer,
man solle das Risiko sauber managen, aber auch profitieren können.
Hinter dem Crash steht nicht böse Absicht, sondern es gibt
verhaltenspsychologische Gründe dafür. Alle akzeptierten das neue
Paradigma, als es gut lief: tiefere Zinsen, mehr Geld, aber auch mehr
Risiko, um dieselben Renditen wie früher zu erzielen. Man kann es mit
dem Unterwegssein auf einer Autobahn vergleichen. Ausgangs Zürich fährt
man 120 und denkt, läck, das ist unheimlich schnell. Spätestens ab
Baden fährt man schneller, weil alle so schnell fahren. Noch extremer
ist es in Deutschland, wo ich mich mal ertappte, dass ich mit zwei
schlafenden Kindern auf dem Rücksitz 160 fuhr. Wenn du zu langsam
fährst, wirst du zur Gefährdung. Mit der Zeit fahren alle nebeneinander
160, das gibt eine kollektive Sicherheit. Dasselbe passierte in der
Finanzwelt. Es entwickelte sich eine Eigendynamik, bis einer auf die
Klötze ging.
In meinem Geschäftsumfeld sind Bankgeheimnis und Schwarzgeldkonti kein
Thema. Ja, es ist als Schweizer Banker in New York eine Art loyales
Desinteresse. Es ist besser, nicht darüber nachzudenken. Ich will nur
mein Geld verdienen. Es ist wie in der Armee. Ich war Grenadier und
wurde zum Pazifisten. Viele Kollegen sagten damals: Hör doch auf,
nachzudenken und alles zu hinterfragen. Jetzt bist du hier und morgen
bist du wieder daheim. Wenn du immer alles hinterfragst, machst du dich
kaputt. Heute denke ich, es ist okay, nicht alles wissen zu wollen. Bei
der Empörung bezüglich Schwarzkonti soll man nicht vergessen, dass
viele Kunden erwarten, dass ihre Bank nur zu ihrem Vorteil handelt. Der
Abgang von Steuersubstrat ist für die betroffenen Volkswirtschaften ein
Problem. Aber ich habe schon Leute getroffen, die jährlich
Abermillionen Steuern zahlen. Wenn es jetzt halt ein paar Millionen
weniger sind — ihre Entscheidung. Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit
jemandem, der Panik hatte, weil all die Steueroasen unter Druck kommen.
Ich sagte ihm: Du schläfst besser, wenn du Steuern zahlst. Wir haben
schon genug Grund, nicht gut zu schlafen.
Vor der Krise arbeitete ich regelmässig zwölf bis vierzehn Stunden am
Tag. Ich muss viel recherchieren und reisen. Obwohl es viel schwieriger
geworden ist, geht es immer noch täglich darum, einen Handel zu
kriegen. Wenn ich es nicht bringe, stellt die Bank mich längerfristig
kalt. Man wird sehr marketingorientiert in diesem Business. Ich bin ein
Marketingprodukt der Bank, in deren Namen ich Kunden zu gewinnen
versuche. Wenn man hart für die Kunden arbeitet, zahlt sich das
meistens aus. Gewinnst du einen Kunden irgendwo auf der Welt, so weisst
du, dass die Bank, bevor du wieder auf deinem Stuhl sitzt, ein X-faches
deines Flugtickets verdient hat. Monatliche Spesen von 7000 Dollar sind
so gerechtfertigt.
Der Konkurrenzdruck ist gross, unter Händlern wie Marktstrategen. Nicht
die Innovativen kommen jetzt zum Zug, sondern jene, die sich oft
geduckt haben, nur nicken und wie verrückt arbeiten — sehr
generalisiert gesagt. Was mir aufs Gemüt schlägt, ist das in die
Händeklatschen am Arbeitsplatz. In den USA erhält jemand, dem gekündigt
wurde oder der freiwillig geht, einen Applaus. Als Form der
Anerkennung. Die Leute stehen auf und klatschen, wenn einer rausläuft.
Das ist ein berührender Moment. Anfangs kamen mir die Tränen, wenn der
ganze Handelsraum sich erhob. Inzwischen wird fünfmal am Tag
geklatscht. Ich arbeite mit vielen tollen, normalen, einfachen Leuten
zusammen. Eine Kollegin hat mir gerade erzählt, dass sie zu ihrer Tante
ziehen muss, weil sie sich ihre Wohnung nicht mehr leisten kann. Viele
Junge in meiner Bank gehen zurück zu ihren Eltern und pendeln dann halt
eine Stunde zur Arbeit.
Wir wissen alle: So viel wie bisher wird man lange nicht mehr
verdienen. Das ist nicht mal das Schlimmste. Sondern die Aussicht, dass
die Zeit vorbei ist, in der man immer mal wieder einen neuen Job hat
und immer mehr verdient, was ja im Alter zwischen dreissig und fünfzig
normal wäre. Plötzlich aber verdient man weniger, und man kann es nicht
beeinflussen. Man muss mit weniger Geld auskommen. Damit wird der
Handlungsspielraum eingeschränkt. Man muss aus dem eigenen Haus
ausziehen, die Kinder werden in Zukunft das Zimmer teilen müssen. Auch
gehst du dann halt wieder ins Hudson Valley oder nach Virginia in die
Ferien und nicht nach Colorado, wovon du seit Jahren träumst. Man muss
sich umgewöhnen. Als mein erstes Kind auf die Welt kam, musste ich in
meinem damaligen Job freinehmen. Die Bank hingegen gab mir zwei
bezahlte Tage frei, als ich erneut Vater wurde. Dieses Zurückgehen in
frühere Phasen ist nie schön. Es ist nicht wirklich etwas Schlechtes,
dass ich mir gewisse Dinge nicht mehr leisten kann. Aber die Anpassung
auf tieferem Niveau tut trotzdem weh. Ich würde zum Beispiel gerne
öfters meine achtzigjährige Mutter in der Schweiz besuchen. Das geht
jetzt halt nicht, weil das Geld fehlt.
Manchmal geht es mir wirklich mies. Ich habe schlaflose Nächte, in
denen ich mich frage, wie es weitergehen soll. An derArbeit kannst du
dich noch so sehr anstrengen, du weisst, wenn es so weiterläuft,
braucht es in einem Jahr ein Drittel Leute weniger. Jeder kämpft für
sich. Man darf sich nicht mehr viele Ausrutscher erlauben. Du hast
Beziehungsstress, weil es auchda immer nur ums Geld geht. Wird es
reichen? Die ganze Zeit redet man über die Scheissknete. Wie soll man
so das Leben geniessen? Ich erwache oft mitten in der Nacht. Dann mache
ich Yoga, um runterzukommen. Oder ich rede mit meiner Frau, falls sie
wach ist. Das ist wichtig, aber wenn möglich reden wir nicht über Geld.
Um mich zu beruhigen, trinke ich mehr Wein und Bier als früher und
rauche Pfeife. Aber dann muss nur wieder eine Nachsteuerrechnung ins
Haus flattern, und ich denke, jetzt ist es wirklich fertig. Wir sind
ausgebrannt. Ich fantasiere schon, wie man mich eines Tages betreiben
muss. Was haben wir uns denn geleistet, ausser Karate und Cellostunden
für die Kinder? Aber ich muss aufpassen, dass ich mich nicht als Banker
hinstelle, der fürs Volk leidet.
Freunde in der Schweiz, die im Kreativbereich tätig sind oder
unterrichten, haben bedingt Verständnis für die Geldsorgen von Bankern.
Sie verstehen nicht, dass Leute, deren Vermögen schrumpfte, in einen
psychischen Stress geraten können. Dass der Verlust diese Leute fast
umbringt. Spinnst du, sagen sie, die sollen sich einfach
zufriedengeben. Manche Kollegen in meinem Fussballklub fanden schon
immer, dass ich einen Scheissjob habe. Ich entgegne jeweils: Es können
halt nicht alle coole Designer sein. Und eigentlich ist auch das, was
ich tue, eine Art Kunst. Man muss den Markt richtig interpretieren und
so bescheiden sein, zuzugeben, dass Glück damit verbunden ist. Weil ich
viele Freunde habe, die nichts mit der Finanzwelt zu tun haben, würde
es mich sogar befreien, wenn ich den Job verliere. Ich hörte auch schon
von einem Kollegen, der schmaler durch muss: Wir haben doch zusammen
studiert, ich habe auch Kinder, warum verdienst du so viel mehr als
ich? Das weckt ungute Gefühle. Dieser Kollege fühlt sich jetzt
entsprechend besser, da sein Geld relativ zu meinem plötzlich viel mehr
wert ist. Es macht es sozial verträglicher, wenn die Löhne bei der Bank
bescheidener werden.
Die Akkumulierung von Stress führt zu groteskem Verhalten. Wie bei
meinem Arbeitskollegen, der froh wäre, wenn man ihn endlich
rausschmeisst. Mir geht es genau so. Ich wäre irgendwie erleichtert.
Selber macht man den Schritt nicht, weil man doch noch ein
Verantwortungsgefühl hat. Aber ich überlege mir, was ich tun würde,
wenn ich die Kugel kriege. Man braucht Exit-Strategien. Etwas, um sich
abzuseilen. Ein entlassener Freund schreibt ein Buch. Ich selber bin
ein Fantast. Es gäbe verschiedene Möglichkeiten. Vor Kurzem stand in
einem chinesischen Cookie der Spruch: «Halte die Zeit an, der Erfolg
wird kommen.» Das widerspiegelt unsere Situation: bleiben und weiterhin
den Job machen oder rausgehen und etwas Neues aufziehen. Im Moment bin
ich eher in der Laune, den Cookie-Spruch wegzuschmeissen und mich neu
zu erfinden. Ich beginne, mich in den Kern zurückzuziehen: Was mache
ich am liebsten, was kann ich am besten? Ich weiss ja, jede Krise ist
auch eine Chance. Man wird gezwungen, sein Schicksal in die Hand zu
nehmen und gewinnt ein Stück Kontrolle zurück. Der Mensch ist
anpassungsfähig. Es ist für mich auch nicht das erste Mal, dass ich mit
geringerer Lebensqualität auskommen muss. Ich zügelte schon mal von
einer Jugendstilwohnung in ein Haus an einer stark befahrenen Strasse.
Das war hart. Es stinkt, du machst dir Sorgen wegen dem Abgas, fragst
dich, gopf, was habe ich da gemacht? Dann merkst du, hier leben ja auch
Menschen, die ähnlich sind wie du oder auch anders, und plötzlich
siehst du die guten Seiten. Alles ist eine Gewohnheitssache.
Das beruhigt mich im Moment aber nur bedingt. Vielmehr entwickelt man
einen eigenen Humor, um es sich leichter zu machen. Während der Arbeit
im Handelsraum chatte ich manchmal mit einem Freund, der bei der UBS in
der Schweiz arbeitet. Ich fragte ihn heute, ob er die Zigarettenkippe
ins Grab werfe, wenn er schaufelt. Wir stellen uns nämlich vor, dass
wir Gräber schaufeln, unsere Gräber und jene von andern Leuten. Wir tun
so, als ob wir nachts auf ein Feld pilgern, auf dem ein paar Holzkreuze
stehen, und Gräber ausheben. Am andern Morgen kommen wir völlig
ausgezehrt ins Geschäft, wo wir uns darüber unterhalten, ob Dreck
gleich Dreck und Staub gleich Staub ist. Wir sind verdreckt und stinken
und werden von unseren Arbeitskollegen unsicher beäugt, während wir
wieder unsere normale Arbeit als Banker verrichten.
Ja, er schmeisse die Kippe ins Grab, antwortete der Kollege und schrieb: «Du hast mich ertappt.»»
Zwecks Anonymisierung wurden biografische Details verändert.
Fotografische Studie für die Serie «Men in the Cities» von Robert Longo | Robert Luongo
Als träfe sie ein Schlag aus heiterem Himmel, das Wirken einer unsichtbaren Macht | Robert Luongo
Straucheln nach Jahren der Hybris | Robert Luongo
Das Buch: Mit Blick auf die Finanzkrise muss man die Arbeit «Men in the Cities» des amerikanischen Künstlers Robert Longo als geradezu prophetisch bezeichnen. Geschäftsmänner- und -frauen, die sich wie unter dem Einfluss von unsichtbaren, gewalttätigen Kräften winden, wenden und verrenken. Eine Art Totentanz des modernen Menschen. Als Vorlage für diese überlebensgrossen Kohlezeichnungen dienten dem Künstler selbst hergestellte Fotografien. Longo versammelte Freunde auf dem Dach seines Lofts und liess sie geworfenen oder schwingenden Gegenständen ausweichen, um sie dann zu fotografieren. Die Bilder sind alle zwischen 1977 und 1983 entstanden, also noch ein paar Jahre vor den ersten Jahren der Gier, der Michael Douglas als Gordon Gecko im Film «Wall Street» ein Denkmal setzte. 25 Jahre sind Longos «Man in the Cities» wieder ungeheuer aktuell. Eine ganze Klasse von Bankern und Finanzangestellten steht in der Dauerkritik, windet und wendet sich, um gerade mal selbst zu verstehen, was in den letzten Jahren eigentlich gelaufen ist. Das fotografische Ausgangsmaterial für «Men in the Cities» ist soeben im Verlag Schirmer/Mosel erschienen. Der Band zeigt eine Auswahl von 94 Fotografien (vier davon sind in diesem «Magazin» zu sehen), begleitet werden die Bilder von einem Vorwort der Künstlerin Cindy Sherman sowie einem Interview mit dem Schriftsteller Richard Price.
Mit den Bankern muss man kein Bedauern haben, aber sie zu Sündenböcken der gegenwärtigen Krise zu machen ist völlig verfehlt. Im Gegenteil, man muss ihnen dankbar sein, dass sie die Absurdität des Kapitalismus so gut auf den Punkt gebracht haben. Denn nur sie haben es vermocht, Produkte zu verkaufen, von denen niemand - auch sie selbst nicht! - wusste, was sie sind und wozu man sie gebrauchen könnte. Produkte sollen ja auch nicht Bedürfnisse von Konsumenten befriedigen, sondern als Waren auf einem globalisierten Markt Profite generieren. Das ist die obszöne Perversion des Kapitalismus, die eine Milliarde Menschen hungern lässt.
Private Banking und die Krise sind 2 verschiedene Themen. Das scheint der Journalistin nicht aufgefallen zu sein.
Sorry, liebe Banker - ich persönlich habe Sie nie für überdurchschnittlich intelligent oder kreativ gehalten. Ein Vergleich zu einem Ingenieur oder Hirnchirurgen wäre mir nie in den Sinn gekommen. Und die Finanzindustrie ist mir, seitdem ich denken kann, immer suspekt und parasitär vorgekommen. Die Milliarden-Gewinne der Banken und Ihre (vielfach immer noch) Luxuslöhne und Boni muss jemand erarbeiten. Das Geld fällt weder vom Himmel noch geht es arbeiten, da können Sie darüber dozieren soviel Sie wollen. Auch ein Massanzug und eine Rolex am Handgelenk macht das Geschwätz nicht glaubwürdiger. Man wundert sich vielmehr, dass diese Abzocke und diese Casinos immer noch legal sind. Und falls es sich um eine Blase handelt, dann zahlt die Realwirtschaft und die ganze Gesellschaft erst recht die Zeche für Ihre Exzesse.
Was bitte hat die weltweite Finanzkrise mit Banker Nr 1 zu tun? NICHTS rein nichts. Liebes Magazin, fanden sie CDS Händler oder was war los?
Der Banker No 2 wird gegen Schluss so richtig menschlich. Er sei “getröstet” nicht nur Banker haben diese Sorgen. Auch jene denen der Casino-Kapitalismus den Job als Ingenieur, Buchhalter oder Verkäuferin genommen hat, haben ähnlich Sorgen. Wahrscheinlich auf jedoch auf viel tieferem Niveau als No 2.
In seinem Rechtfertigungsteil “… ich fand das Subprime-Geschäft ethisch vertretbar”, werde ich an einen MAGAZIN-Artikel erinnert, der die Praktiken des Geschäftes darlegte. Was daran ethisch vertretbar gewesen sein soll, ist mir ein Rätsel. Das war organisierter Betrug. Das ist, als wolle man ein Schneeball-System mit seiner Startphase rechtfertigen: Alle haben verdient und alle wollten mitmachen. Oder: Einer will fliegen, springt von höchsten Wolkenkratzer; nach 50 Stockwerken “Flug” klopft er sich auf die Schulter und jubelt: Na, wer sagt’s denn!, 50 Stockwerke ging es doch schon ganz gut.”
“2006, als der Aktienkurs der Bank mit seinem Sinkflug begann”
Der UBS - Aktienkurs erreichte seinen Höchtstand 2007. Soviel zur Qualität des Berichtes
Als ehemaliger Versicherungsaussendienstler hab ich kein Mitleid, weder mit den Banker um deren Ruf, noch mit den Kunden. Seit langem kämpfen Versicherungen mit dem Ruf der Abzocker, wenn aber dem Kunden am Bankschalter ein neues Produkt gezeigt wird, hat man selten hinterfragt; die Bank meints ja gut, nur die Versicherungen wollen einem ständig was verkaufen.
Genau wie Herr Jud sagt, wegen der Gier und dem System hungern viele Millionen Menschen zu Tode! Wieso sollte einem ein Banker der jetzt “nur” noch ein kleineres Gschenkli für den Goof kaufen kann, leid tun? Auch ihr werdets überleben mit weniger.
Danke den zweien trotzdem für die Ausführungen!
Wenn ich lese, was Banker No1 zu sagen hat, bekomme ich fast ein bisschen Angst! Der hat nichts, und wirklich gar nichts aus der Krise gelernt und ist sich nur selber am bemitleiden. Kaum geht es dann wieder aufwärts, wird er der Erste sein, der wieder voll im Geschäft ist und irgendwelche unmöglichen Pakete seinen Kunden andreht.
Nach dem Lesen von Banker No2 bleibt aber doch irgendwie ein schaler Nachgeschmack hängen. Er hat voll begriffen was abläuft und sieht sich auch nicht als alleiniges Opfer. Ihm kann man nur raten, dass er wirklich künden sollte!
Typ Banker 1 und 2. Sie bewegen sich in einem Umfeld von Kriminalität, Betrug, Diebstahl etc….Natürlich staatlich geschützt, mitten im Bauch der heiligen Kuh “Bankgeheimnis”
Unschuldig beteuern die Leser. Aber man wundert sich über Steinbrücks Indianer….
Unsere Politik hat in der Tat ein Problem. Haben wir den Grossbanken “nur” Ramschkonfetti abgenommen oder sind die Grossbanken an sich ungeahnt schwarze Moloche des Verbrechens.
Ich frage mich warum hat Ackermann in Deutschland immer noch ein Lächeln drauf, während sich hier das Figurenkarussel munter dreht. Werden bei der deutschen Bank kein Typus 1 und 2 gezüchtet ???
1. geld verdirbt definitiv den charakter!
2. kollektives handeln rechtfertigt jegliches fehlen persönlicher moral!
3. banker 1 und speziell 2 bewirkten schon fast sympathie, bis …
4. … zur aussage ‘So viel wie bisher wird man LANGE nicht mehr verdienen.’
5. the story (will revival and) go on!
6. noch fragen?
‘Geld ermöglicht es dir, dein Selbstverwirklichungspotential zu entfalten’ meint Banker 2. Dabei beschäftigt er sich doch mit nichts anderem, als dem Geldverdienen.
Die Phantasie zu einer Veränderung fehlt ihm vollkommen. Vielleicht ist ja doch etwas dran an seiner vermutunt, dass die Kravatten die Durchblutung nach oben hemmen…?