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Das Kapital

Die ganze Krise bisher umsonst

Anstatt die Ursachen der Krise zu bekämpfen, verstärkt man sie sogar. Der Erkenntnisgewinn bisher ist Null.

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Die Krise läuft bisher insgesamt unbefriedigend. Sie hat noch nicht einmal richtig begonnen, und doch ergreift einen ob der bis dato eingeleiteten staatlichen Rettungsaktionen und Maßnahmenpakete sowie dem unverändert selbstherrlichen Gebaren der hauptschuldigen Banker das kalte Grauen.

Es ist ja nicht so, dass die Krise sehr ungelegen kommt, es war höchste Zeit. Die Liste der Dinge, die aus dem Ruder geraten waren, der Ungleichgewichte, Übertreibungen und Exzesse, ist lang und wohlbekannt.

Dass hier irgendwas nicht stimmt, konnte auch jeder Normalbürger unschwer erkennen: Für 20 Euro nach Spanien fliegen, wo sich die Ferienhauspreise alle drei Jahre verdoppeln und wo die Innenstädte ebenfalls mit überflüssigen Kleinpanzer-SUVs vollgestopft sind, das ist alles andere als normal.

Da es die Resource Geld scheinbar fast umsonst und unbegrenzt gab, konnten die wirklich begrenzten Resourcen, die Rohstoffe, in ungesundem Maße abgebaut und verbraucht werden. Eigentlich ein Jammer, dass sich Öl nur kurz über 150 $ das Fass hielt. Doch jetzt, wo die Krise da ist, oder besser ausgedrückt, jetzt, wo sich gewisse Gleichgewichte wieder einstellen und Übertreibungen eingerenkt werden könnten, was macht da der Staat?

Er setzt alles daran, diesen Gesundungs- und Schrumpfungskurs zu verhindern, oder zumindest hinauszuzögern. Die Ursachen der Schieflage werden nicht bekämpft, sondern sogar verstärkt. Kein Wunder, werden meist doch die Brandstifter dieses Flächenbrandes noch als Feuerwehrleute eingesetzt.

Ein Blick auf die Überschriften der vergangenen Woche reicht, um regelrecht schwindelig zu werden angesichts der Ausmaße und Auswüchse der Rettungspakete. Montag: China stützt Wirtschaft mit 600-Mrd.-$-Investitionsprogramm. Obama präzisiert sein Konjunkturpaket. Deutsche Autobanken erwägen Teilnahme an Staatshilfe. Dienstag: US-Regierung muss AIG erneut retten - 150 Mrd. $.

Citigroup erwägt Kauf von US-Regionalbank. USA fluten Markt mit neuen Anleihen. Mittwoch: Weisenrat fordert 25-Mrd.-Euro-Paket. Airbus fordert Soforthilfe von Bund für Fluglinien. Koalition einigt sich auf befristete Kfz-Steuerbefreiung. American Express rettet sich in Bank-Status. Banken wollen Staatseingriffe kurz halten. Britische Regierung dringt Banken zu Senkung der Kreditkartenzinsen.

Donnerstag: US-Regierung will Markt für Konsumentenkredite stützen. Freitag: USA sichert GE-Kredite bis 139 Mrd. $. 20 Banken suchen Rettung beim Bund. WestLB schreibt Gewinn dank Risikoschirm. Und noch ein Schmankerl vom 4. November: Paris drängt Banken zu großzügiger Kreditvergabe.

Nicht schlecht, die Schlagzeilen nur einer Woche. Da muss man erst gar keine Goldman-Paulson-Lehman-Gold-Öl oder sonstige Verschwörungstheorien bemühen, die Realität, wie sie sich von offizieller Seite zeigt, ist erschreckend genug. Da ist zunächst die die Unsicherheit noch weiter antreibende Inkonsistenz insbesondere der US-Administration: Die eine Bank wird gerettet, die andere nicht, mal bluten die Anleihe-, mal die Aktienbesitzer, hier wird verstaatlicht, dort nicht, mal sollen Ramschhypotheken gekauft werden, mal nicht.

Aber das weit größere Übel ist, dass alles getan wird, um das kranke System am Leben zu erhalten, anstatt den dringenden Wandel herbeizuführen. Wann, wenn nicht jetzt?

Nur nicht einschränken
 Nur nicht einschränken

Konsum statt Verzicht

Mit den bisherigen Maßnahmen sagen die Regierungen: Bürger, nimmt weiter Kredit auf, kauft weiter ein, was das Zeug hält - das ist patriotische Pflicht. Deutsche Pfennigfuchser, kauft am besten teure Spritfresser, da könnt ihr Steuern sparen. Banken, verleiht weiter ordentlich Geld, nicht obwohl, sondern gerade weil eine Rezession tobt - das ist Pflicht.

Notfalls garantieren wir für alles. Bankmanager, bitte vertraut euch wieder gegenseitig, auch wenn ihr voneinander wisst, wie kaputt eure Bilanzen sind: Macht insgesamt fast so weiter wie bisher, oder, besser noch, sogar mit deutlich weniger Wettbewerb als vorher, wir winken grade jede Fusion durch. Amerikanische Autobauer, baut einfach weiter in veralteten Fabriken eure spritfressenden Schrottautos, wir schützen euch vor Wettbewerb und bürgen für eure Misswirtschaft.

Und ihr Staatsoberen von China, wenn die Privatwirtschaft nicht mehr investiert, dann doch bitte ihr, auf dass das Land weiterhin hohe Überkapazitäten aufbauen kann. Im Klartext: Der Westen soll weiterhin über seine Verhältnisse leben, und Asien soll dafür produzieren.

Von einem Erkenntnisgewinn ist in dieser Krise bisher also nichts zu sehen. Die Katharsis, die Besinnung, die Reinigung, das alles fehlt. Selbst die funktionierenden selbstregulierenden Kräfte der Marktwirtschaft werden einfach außer Kraft gesetzt, Überflüssiges am Leben erhalten. In dem Sinne kann man nur hoffen, dass die Krise noch ein wenig anhält.

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Aus der FTD vom 17.11.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD.de

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