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Nummer 18 vom 03. Mai 2006 |
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Freuds GrenzenFreuds Trieblehre mystifiziert gesellschaftliche Verhältnisse. Um das kritische Potenzial der Psychoanalyse für emanzipatorische Zwecke zunutze zu machen, muss man sie von ihrer bürgerlichen Beschränkung befreien. von morus markardDie Psychologie changiert zwischen »Befriedungsverbrechen« (Franco Basaglia) und dem Anspruch, zur Humanisierung der Gesellschaft beizutragen. Einerseits gibt es fast keine gesellschaftliche Schweinerei, an der keine Psychologinnen und Psychologen beteiligt (gewesen) wären, etwa bei der Optimierung von Foltermethoden. Andererseits versuchen Psychologinnen und Psychologen herauszufinden, warum in der S-Bahn der angepöbelten Frau, dem drangsalierten Schwarzen niemand hilft. Wenn sie das tun, bekommen sie es mit den Zusammenhängen zwischen psychologischen und gesellschaftlichen Problemen zu tun. Sexismus und Rassismus etwa entstehen nicht in unergründlichen Tiefen des Individuums, sondern in gesellschaftlichen Strukturen, und sie lassen sich nur in dem Maße psychologisch erklären, in dem die subjektive Funktionalität von individuellem Verhalten in gesellschaftlichen Verhältnissen begriffen wird. Was hat uns Sigmund Freud zu diesen Problemen jedweder Psychologie zu sagen? Erstens, dass Probleme, die Menschen machen und haben, letztlich daraus resultieren, dass sie mit ihren individuellen Triebansprüchen an den gesellschaftlichen Versagungen scheitern. Zweitens, dass Psychologie sich mit den Folgen dieser Versagungen befassen muss. Und drittens, dass dabei psychologische Theorien der Selbstverständigung und Selbstklärung den Menschen dienen müssen. Insofern ist die Freudsche Psychoanalyse Subjektwissenschaft. Als solche war und ist sie eine fundamentale Kritik am psychologischen Mainstream, der die Gesellschaft in Einfluss-Variablen auflöst und Subjekte auf die Effekte dieser Variablen reduziert – nicht gerade ein Modell für gesellschaftliche Emanzipation, sondern eher eins für Manipulation. Demgegenüber bedeutet emanzipatorische Relevanz in der Psychologie, gesellschaftliche Bedingungen in ihrer subjektiven Bedeutung zu analysieren und die Überwindung gesellschaftlicher Einschränkungen und Versagungen nicht zuletzt dadurch zu befördern, dass man sie auf den Begriff bringt und herausarbeitet, warum ein selbstbestimmtes Leben in einer kapitalistischen Welt von Zwängen und Fremdbestimmung, also ein richtiges Leben im falschen, nicht möglich ist. Um diesen Gedanken an der gegenwärtigen Erziehungsdebatte zu veranschaulichen: Jede Hilfe bei der Vorbereitung auf eine selbständige (nicht selbstbestimmte!) Existenz ist immer auch Vorbereitung auf Verwertbarkeit, auf Anpassung, auf Unterwerfung. In der Schule zurechtzukommen, bedeutet auch, in Verhältnissen zurechtzukommen, in denen Selektion und Konkurrenz herrschen. Der schon gängige Begriff »Frustrationstoleranz« markiert jene Verdrängungsleistung, Ansprüche aufzugeben, Frustrationen hinzunehmen und sich »realistisch« zu begnügen. Welche emanzipatorische Relevanz aber kommt der Freudschen Psychoanalyse vor diesem Hintergrund zu? Um diese Frage zu beantworten, muss man, wie Klaus Holzkamp betont, zwischen dem kategorialen Niveau der Psychoanalyse als einer Subjektwissenschaft und ihren bürgerlichen Beschränkungen unterscheiden. Freud hat in seinen Fallanalysen einerseits das Leiden der Menschen an den Verhältnissen, etwa die Unterdrückung von Frauen, analysiert, andererseits hat er geschlechtsspezifisch unterschiedliche Lebensmöglichkeiten als geschlechtsspezifische Unterschiede naturalisiert, wie im Konzept des »Penisneids« (obwohl, nebenbei bemerkt, jeder weiß, dass dies ein Problem zwischen Männern ist). Einerseits hat er mit dem »Ödipus-Komplex« die Zurichtung von Kindern analysiert, andererseits hat er diese Zurichtung für universal und unvermeidlich gehalten. Aus seinen Beschreibungen und theoretischen Überlegungen zu »Abwehrmechanismen« lässt sich viel über die subjektive Funktionalität und über die psychischen Kosten von Realitätsverleugnungen lernen, allerdings nur, wenn man diese im Hinblick auf die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse konkretisiert, die bei Freud ausgeblendet werden. So wird man darauf kommen, dass Projektionen und Aggressionsverschiebungen nicht Reproduktionen kindlicher Erfahrungen sind, sondern umgekehrt der Ausdruck akuter Ausgeliefertheit, die selbst nur – in der psychoanalytischen Theorie – in die Kindheit projiziert und so abgewehrt wird. Wenn man auf eine kritische Psychologie aus ist, die um Handlungsfähigkeit und gesellschaftsverändernde Eingriffe bemüht ist und die sich nicht den Illusionen des Psychomarktes hingibt, besteht das Kernproblem der Psychoanalyse darin, dass die Triebtheorie – in welcher Fassung auch immer – Freud dazu zwang, das Verhältnis von Gesellschaft und Individuum als unaufhebbar antagonistisch zu betrachten. Gesellschaft ist demzufolge eine universal notwendige Repressionsinstanz, die das Ausleben der menschlichen Triebnatur verhindern muss. In eine hypostasierte menschliche Natur wird jene Unmenschlichkeit projiziert, deren genuine Gesellschaftlichkeit zu analysieren wäre. Das Kind der Psychoanalyse ist ein geborener Schädling, dessen Triebhaftigkeit möglichst so zu bändigen ist, dass es lernt, die damit verbundenen Frustrationen zu tolerieren. Die Bedeutung der Frage, ob der Mensch von Natur aus asozial ist und daher gesellschaftlich gebändigt werden muss, ist unter emanzipatorischer Perspektive nicht zu unterschätzen. Der Marxsche Imperativ, Verhältnisse zu schaffen, »worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist«, muss aus der Perspektive der Freudschen Psychoanalyse als naiv, unrealistisch und unangemessen erscheinen. Entsprechend beantwortete Freud die später von Udo Lindenberg besungene Frage, wozu Kriege da seien, mit dem Verweis auf die menschliche Natur und hielt politischen Protest für kollektives neurotisches Fehlverhalten. So meinte er, in der Oktoberrevolution habe die Aufhebung »unerlässlicher Triebeinschränkungen« die damit verbundenen Aggressionen »nach außen abgelenkt«. Der »praktische Marxismus« stütze sich auf die »Feindseligkeit der Armen gegen die Reichen«. Haben also diejenigen Recht, die in der Befreiung der Psychoanalyse von der (am gründlichsten von Ute Osterkamp kritisierten) Trieblehre die Bedingung für eine aufgeklärte Psychoanalyse sehen? Keineswegs. In Freuds Triebtheorie sind die individuellen Lebens- und Glücksansprüche, die an der Realität der kapitalistischen Gesellschaft zerschellen, so mystifiziert, dass sie als grundsätzlich nicht gesellschaftskompatibel erscheinen. Eine Entmystifizierung der Triebtheorie würde bedeuten, gesellschaftskritisch herauszuarbeiten, welche gesellschaftlichen Umstände es sind, die die »freie Entwicklung eines jeden« ausschließen, um den von Freud thematisierten Skandal des Gegensatzes von Individuum und Gesellschaft gesellschaftstheoretisch zu begreifen und aufhebbar zu machen. Die ich-psychologische »Weiterentwicklung« Freuds jedoch entskandalisiert das Verhältnis von Gesellschaft und Individuum nur. Die Freudsche Universalisierung konkret-historischer Repression löst sich darin auf in gesellschaftliche Vernunft, die Ansprüche des Individuums werden mit der Verabschiedung der Triebtheorie auf Realitätstüchtigkeit zurückgestutzt. Die »Größe Freuds«, meinte Theodor W. Adorno demgegenüber, bestehe »wie die aller radikalen bürgerlichen Denker darin, dass er … Widersprüche unaufgelöst stehen lässt und es verschmäht, systematische Harmonie zu prätendieren«. Dem tüchtigen Individuum zu seinem widerspruchseliminierenden Platz in der bürgerlichen Gesellschaft zu verhelfen, sieht er als »Revision« der Psychoanalyse, wohingegen Freuds »unversöhnlicher Pessimismus die Wahrheit bezeugt über die Verhältnisse, von denen er nicht spricht«. Die moderne und modische psychologische Suche nach Ich-Identität, die im versöhnlichen Optimismus erstrahlt, verschweigt dagegen im unablässigen Gerede vom irgendwie Sich-selber-Sein in den sich wandelnden Verhältnissen deren Wahrheit. |
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