http://www.bug.tu-berlin.de/Reader/ccj.htm BuG-Reader: AG "Wissenschaft im Kapitalismus"  
BUG-Reader
Dokumentation der Arbeitsgruppen
Oberthema "Wissenschaftsethik - Hochschule und Gesellschaft"

AG "Wissenschaft im Kapitalismus"

 

Einleitung.

Das Leben in Deutschland wird in weiten Bereichen vom Kapitalismus bestimmt. Konkurrenz, Rentabilität, Effektivität sind Begriffe, die in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen haben. Dies führte zu einer Verschlechterung des Sozialsystems, in dem Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden. Auch andere Bereiche des alltäglichen Lebens haben sich im Laufe dieser Entwicklungen verändert. Ein Beispiel dafür ist der Bildungsbegriff und die Auffassung über Wissenschaft und das Wissen an sich. Dieser Zusammenhang schien uns als Studierende wichtig und komplex genug, um uns auf dem BUG damit zu beschäftigen.

 

1. Kapitalismus abschaffen! Warum?.

1.1. Fortschritt der Gesellschaft.

Der Grundsatz des Kapitalismus ist der wirtschaftliche Fortschritt der Gesellschaft. Er prägt die gesamte Ideologie und wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus.
Die Bildung soll unter diesem Grundsatz marktwirtschaftlich verwertbares Wissen vermitteln, das sich möglichst meßbar erfassen läßt. Um diese Bedingungen zu erfüllen, wird die Bildung im Kapitalismus auf die Anhäufung von Fachwissen reduziert. Der kritische Umgang mit dem erlangten Wissen ist nicht erwünscht.
Im allgemeinen wird Kritik nur dann zugelassen, wenn sie die Optimierung des kapitalistischen Systems im Sinne hat. Somit bleibt sie systemimmanent (=konstruktive Kritik). Sobald sich Kritik gegen das bestehende System an sich wendet, es in Frage stellt, mit dem Ziel, es abzuschaffen, wird sie im Kapitalismus nicht akzeptiert. Diese Art von Kritik bezeichnen wir als destruktiv.

1.2. Kapitalismus impliziert kein Sozialsystem.

Ein kapitalistisches System braucht nicht notwendigerweise einen Sozialstaat als Existenzgrundlage. Ein Sozialstaat wird durch soziale Bewegung erkämpft und dient lediglich zur inneren Stabilisierung und Ruhigstellung (die auch durch Repressionen bewerkstelligt werden könnte).

1.3. Kapitalismus - ein Totläufer.

Dem Kapitalismus liegt das Prinzip der Profitmaximierung zugrunde, die sich in der Profitrate ausdrückt. Die Profitrate ist die Differenz zwischen Input und Output in der Produktion [1]. Die menschliche Arbeitskraft bewirkt durch die Entwicklung von Innovationen die Steigerung der Profitrate (=Mehrwert). Gleichzeitig braucht es aber für die Steigerung der Profitrate Effektivität, die mit dem Ersetzen der menschlichen Arbeitskraft durch Maschinen und Technologie erreicht werden soll. Wird die menschliche Arbeitskraft wegrationalisiert, stagniert die Mehrwertproduktion, da die Profitrate durch fehlende Innovationen nicht mehr gesteigert werden kann. Der Kapitalismus hat sich totgelaufen. Was dann folgt, ist ungewiß. Rückschritt in der menschlichen Entwicklung? Barbarei?

1.4. Aufgabe des Staates.

1.4.1. Freiheit der Wissenschaften.

Ziel des Grundsatzes "Freiheit der Wissenschaft" ist die Unabhängigkeit von Lehre und Forschung. Im Kapitalismus wird dieses Prinzip durch die staatliche Institutionalisierung des Bildungssystems umgesetzt. Somit wird dem Einfluß von Interessen einzelner Kapitale entgegengewirkt. Das Interesse des Kapitals an sich kann auf diese Weise nicht aus der Wissenschaft ausgegrenzt werden. Denn der Staat hat gleichzeitig die Aufgabe, die Interessen der gebündelten Kapitale zu vertreten. Dadurch wird die Wissenschaft zumindest indirekt von den Kapitalen beeinflußt.

1.4.2. Reduktion der Aufgabe des Staates.

Die Aufgabe eines Staates besteht u.a. darin, das gesellschaftliche Leben in Form von Verbänden u.ä. zu gestalten. Im in Deutschland herrschenden Kapitalismus fällt diese Aufgabe zunehmend privaten Einzeleinrichtungen zu (z.B. Fitneßstudios und Inline-Skating). Außerdem gewinnen die Kapitale immer mehr Macht und Einfluß und setzen so die Politik außer Kraft. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des MAI: "Multinationalen Konzernen wird der Status von Nationalstaaten zuerkannt." (siehe AG "Multilaterales Abkommen über Investitionen (MAI)")

 

2. Gegenhochschule.

2.1. Wozu? Warum?.

Die beste Möglichkeit, unsere Ziele umzusetzen, sehen wir im Konzept der Gegenhochschulen.

2.1.1. Destruktive Kritik.

In den momentanen Protesten zielen die Forderungen der Studierenden in erster Linie auf die Verbesserung der Studienbedingungen und Veränderungen im politischen System ab. Dem Bestehenden setzen die Studierenden konkrete Änderungsvorschläge bzw. alternative Konzepte entgegen. Diese Kritik entzieht sich somit nicht der kapitalistischen Idee, ist also konstruktiv. Forderungen dieser Art können nur durch die Bereitstellung von finanziellen Mitteln erfüllt werden. Das geforderte Geld kann nur zur Verfügung gestellt werden, wenn es anderen Bereichen entzogen wird. Somit können Forderungen nach Verbesserung der Studienbedingungen und des Systems nur auf Kosten anderer erfüllt werden, besonders auf Kosten von weniger privilegierten Gruppen der Gesellschaft. Die entsprechenden Solidaritätserklärungen der protestierenden Studenten können diesen Sachverhalt höchstens verschleiern, ändern ihn aber nicht. Diesen Zustand halten wir für höchst unsozial!

Wir setzen dem eine destruktive Kritik entgegen. Sie hat zum Ziel, das bestehende System des Kapitalismus abzuschaffen. Eine Alternative stellen wir nicht vor. Sie soll während des Abschaffungsprozesses aus den Inhalten der Kritik entstehen (Bsp.: "Wir wollen den Kapitalismus abschaffen, weil wir gegen das Konkurrenzdenken sind" wird eine andere Alternative hervorrufen als "Wir wollen den Kapitalismus abschaffen, weil wir zu vielen Diktaten unterlegen sind.")

2.1.2. Aufklärende Bildung.

Außerdem lehnen wir die Reduzierung der Bildung auf reine Akkumulation des Wissens ab. Wir setzen diesem Ideal eine Aufklärerische Bildung entgegen. Unter Aufklärung verstehen wir, daß sich der Mensch Klarheit über einzelne Sachverhalte und deren Zusammenhänge verschafft und mit diesen Erkenntnissen kritisch umgeht (ihre Auswirkungen auf Forschung, Ethik, Gesellschaft usw. in Betracht zieht, den Wahrheitsgehalt hinterfragt u.ä.)

Sowohl der destruktiven Kritik als auch der aufklärenden Bildung wollen wir in der Gegenhochschule Raum geben.

2.2. Ideen zur Umsetzung der Gegenhochschule.

2.2.1. Bildung ist für alle!.

Bildung ist für uns die Grundlage der Abschaffung des Kapitalismus.

Aufgrund der der kapitalistisch verkürzten Bildung hat ein großer Teil der Gesellschaft kein Meinungsbild zur Problematik des Kapitalismus und vielen anderen Sachverhalten. Deshalb soll die Gegenhochschule für alle Menschen der Gesellschaft zugänglich sein.

2.2.2. Kopf - Herz - und - Hand - Prinzip.

Die Idee, die Gegenhochschule für alle zugänglich zu machen, hat bestimmte didaktische Konzeptionen und Lernformen zur Folge. Der wichtigste Grundsatz der
Gegenhochschule soll deshalb sein, mit allen Sinnen zu lernen (Kopf - Herz - Hand - Prinzip). Es soll also nicht nur nachgedacht, sondern auch handwerklich und praktisch gearbeitet werden.

Diese Lernform kann nicht im Frontalunterricht umgesetzt werden, sondern nur durch selbständiges und eigentätiges Lernen.

2.2.3. Autonomie.

An der Gegenhochschule soll weitestgehend Selbststudium betrieben werden. Die Veranstaltungen werden deshalb nur selten Vorträge von Fachleuten sein, sondern sie werden die Teilnehmer eines Kurses höchstens zum selbständigen Lernen anleiten. Unter "Fachleuten" verstehen wir nicht ausschließlich Personen mit Doktoren- und Professorentitel, sondern Menschen, die sich intensiv mit einem Sachverhalt auseinandergesetzt haben und sich imstande fühlen, andere damit zu konfrontieren.

 

Thesen der AG Wissenschaft im Kapitalismus.

Durch die innere Logik des Kapitalismus wird alles dem Prinzip der Verwertbarkeit unterworfen. Auch Wissenschaft wird immer intensiver den Gewinninteressen des Kapitals dienstbar gemacht. Bildung ist in diesem Sinne primär die Akkumulation von Wissen, das möglichst funktional einzusetzen ist.

Kritisches denken ist nur akzeptiert, wenn es auf die Optimierung des Bestehenden abzielt. Hat eine studentische Bewegung jedoch die menschliche Emanzipation im Sinn, muß sie sich einer derartigen konstruktiven Kritik verweigern. Kritik, die das ersetzen des Falschen durch ein Besseres beabsichtigt, muß notwendig destruktiv sein.

Forderung I:

Die studentische Bewegung muß sich des Instruments der destruktiven Kritik bedienen.

Forderung II:

Deshalb fordern wir, Gegenhochschulen zu gründen, um damit der destruktiven Kritik an den bestehenden Verhältnissen Raum zu geben.

Anmerkung des Redaktionskollekivs:

[1] Hier ist offenbar beim eiligen Tippen ein Fehler passiert:

Tatsächlich läßt sich der Profit als Differenz aus Verkaufspreis und Kostpreis, also Output und Input der Produktion in wertmäßiger Betrachtung darstellen. Die Profitrate hingegen ist definiert als das Verhältnis von Profit zu Gesamtkapitaleinsatz.
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11.2.98 17:52 / jan <jangojea@linux.zrz.tu-berlin.de>