Knut Hüller

Eine Aufwertung des Werts gegenüber dem Preis

Vorwort von Claus Peter Ortlieb

Die Wert- und Wertabspaltungskritik hat sich um einen bestimmten Zweig der marxistischen Debatte bisher wenig gekümmert, der für andere nachgerade zum Kern marxistischer Theorie gehört: „Marxian economics as economics“ hat Paul A. Samuelson das einmal genannt, der den ganzen ‚Rest‘ des Marx‘schen Werks bloß für philosophisches Geschwätz hielt, irrelevant jedenfalls für die mathematisierte VWL. Die derart gewürdigte ‚Politische Ökonomie‘ als positive Wissenschaft, wie sie hier von Marxisten oder - genauer gesagt - Neoricardianern getrieben wurde und wird, ist in der Tat nicht unsere Sache, ihre Kritik ist es allerdings.

Eine solche Kritik hat jetzt Knut Hüller mit seinem nachfolgenden Text vorgelegt (der erste Teil seines Durchgangs durch die akademische VWL „Des Bäckers umwerfende Theorie vom Gleichgewicht“ setzt sich mit der neoklassischen Lehre auseinander). Hüller geht es vor allem darum, den in einer über 100-jährigen Debatte entstandenen begrifflichen Wirrwarr zu entflechten, der wesentlich auf einer unzulässigen Gleichsetzung von Wert und Preis beruht.

In den vielen (vergeblichen) Versuchen, das so genannte ‚Transformationsproblem‘ zu lösen, kulminiert diese Begriffslosigkeit in Nonsense-Gleichungen wie Wertsumme = Preissumme. ‚Wert‘ (auch in quantitativer Betrachtung) auf der einen und ‚Preis‘ auf der anderen Seite sind aber keine Größen, die sich einfach ineinander umrechnen lassen, sonst müsste man sie nicht begrifflich auseinanderhalten.

Eine andere faule Frucht der neoricardianischen ‚Kritik‘ an Marx ist das so genannte Okishio-Theorem, das angeblich das ‚Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate‘ widerlegt, was inzwischen auch von ‚führenden Marxologen‘ (e. g. Heinrich 2003) akzeptiert ist. Dabei besagt das Okishio-Theorem nur, dass ein spezielles mathematisches Modell (ein komparativ statisches, ‚lineares‘ Produktionspreismodell, das alberner Weise Marx in die Schuhe geschoben wird) den Fall der Profitrate nicht nachweisen kann, sondern sogar deren Anstieg impliziert. Lässt man aber die Scheuklappen dieses Modells beiseite, so zeigt sich etwas anderes:

Hüller weist nach, dass eine nicht auf den Preis, sondern auf den Wert bezogene gesamtwirtschaftliche Profitrate (von ihm zur besseren begrifflichen Abgrenzug „Mehrwertrate“ genannt) langfristig schon deswegen fallen und gegen Null tendieren muss, weil dem unbeschränkt wachsenden Kapitalstock nur eine begrenzte Menge an Arbeitskraft gegenübersteht. Und wüchse der Kapitalstock nicht unbeschränkt, so wäre der Kapitalismus ohnehin bereits funktionsunfähig (unabhängig von allem weiteren). Von diesem doch recht simplen Sachverhalt müssen lineare Produktionsmodelle aber gerade abstrahieren, weil sie die am Einzelbetrieb vorgenommene Betrachtungen einfach linear auf die Gesamtwirtschaft extrapolieren. Die vom Okishio-Theorem behauptete wachsende Profitrate lässt sich nur halten, wenn man den Wert aus der quantitativen Betrachtung völlig verbannt. Darin scheint das ganze Geheimnis so mancher ‚Werttheoretiker‘ zu liegen.

Anders als von der in ihren Modellwelten gefangenen Neoklassik kann man von der sich selbst als kapitalismuskritisch verstehenden neoricardianischen Theorie erwarten, dass sie sich mit einer solchen Kritik an ihren begrifflichen Grundlagen zumindest auseinandersetzt. Ob das mehr ist als eine Hoffnung, wird sich zeigen.

Eine Aufwertung des Werts gegenüber dem Preis

Übersicht: 1. Der doppelte Wertbegriff von Anfang bis Ende / 2. Die Schranke der Verwertung / 3. Die Grenze der Verwertung und die heutige kapitalistische Realität / 4. Der absolute Preis und sein Ende / 5. Statt wertloser ‚Transformationen‘ / 6. Wie man den Wertbegriff nicht loswerden kann / Anhang: Das Modell ‚linearer Einzelproduktion‘ / Epilog: Wie sich in der Bäckerei doch noch das Wertgesetz durchsetzte

1.  Der doppelte Wertbegriff von Anfang bis Ende

Der Wert steuert unsichtbar den Kapitalismus, aber als Wort durchsetzt er in schillernden Bedeutungen die Sprache. Alles Mögliche wird aufgewertet, abgewertet oder bewertet, um nur einige wertbezogene Vokabeln anzuführen. Ähnlich allgegenwärtig an der Oberfläche der kapitalistischen Gesellschaft ist seine Erscheinungsform Preis. Dieser wird nicht selten direkt als ‚Wert‘ bezeichnet und seit über 100 Jahren versucht man, Werte wissenschaftlich in Preise zu ‚transformieren‘. „Gesamtwirtschaftlich müssen sich jedoch Wert- und Preissumme sowie Mehrwert- und Profitsumme entsprechen.“ (Söllner 2001,269) Die Erhebung solcher Summengleichheiten zum Kern Marxscher Werttheorie findet sich vom neoliberalen VWL-Mainstream bis zu diversen ‚Marxismen‘.1 Es drängt sich der Verdacht auf, dass an dieser Gemeinsamkeit etwas falsch sein muss, zumal diese Vorstellung vom Wert als einer Preisberichtigung noch hinter diejenige des Alltags zurückfällt. Dort wird (quantitativ) eine Aktie ‚bewertet‘, aber auch (qualitativ) ein wissenschaftliches Ergebnis.2 Ein verkürzter kritischer Ansatz verfällt daher leicht ins gegenteilige Extrem, den Wert aus der quantitativen Welt ganz zu verbannen: „Das wirkliche Verdienst der neoricardianischen Kritik an der Werttheorie liegt deshalb darin, gezeigt zu haben, dass eine prä[!]monetäre[!] Arbeitswert[!]theorie für die Bestimmung prämonetärer Produktionspreise in der Tat überflüssig ist.“ (Heinrich 2003,279; Hervorh. ders.) Dieser Differenzierungsversuch kippt ins Gegenteil um und betont gegen den Willen des Autors, dass auch dieser seine Vorstellung von ‚Wert' aus dem Preis bezieht. Immerhin erspart er uns die Definition eines (nicht prä-) monetären Wertbegriffs. Sie würde sich auch kaum mit der Ansicht vertragen, es sei „die Beziehung zwischen Werten und Produktionspreisen eine rein begriffliche und keine quantitative“ (ebd.,283) Dies trifft sich wieder mit der Mainstream-Ökonomie, die im Wertbegriff eine ideologische Spinnerei sieht: „Die Frage, warum Marx neben der Preis- bzw. Tauschwertlehre überhaupt eine Arbeitswertlehre benötigte, war Gegenstand intensiver Diskussionen und lässt sich wohl am ehesten mit dem Verweis auf ideologische Gründe beantworten. Die Arbeitswertlehre dient primär zur Rechtfertigung der Ausbeutungsideologie.“ (Söllner 2001, 269)

Quantitatives und qualitatives im Wertbegriff ist also sowohl abzugrenzen wie zu verbinden. Die ‚intensive‘ Debatte über Gleichungen wie ‚Preissumme=Wertsumme‘ führt direkt in medias res. Entweder werden hier Äpfel und Birnen gleichgesetzt oder einer der Begriffe ist wirklich überflüssig. Letzteres gilt auch für die Abwandlung ‚Preis proportional Wert‘. Eine solche Proportionalität würde beinhalten, dass Preis und Wert Maße wären wie Pfund und Kilo, letztlich also bis auf einen trivialen Faktor doch wieder dasselbe. Den eigenständigen Wertbegriff benötigt man gerade (und nur) dann, wenn der Wert etwas vom Preis qualitativ Verschiedenes und der Zusammenhang nicht so einfach ist. Die übliche Begründung einer angeblichen Redundanz3 des Wertbegriffs stützt in Wirklichkeit die Gegenposition und steht – wie vieles in dieser Debatte – auf dem Kopf statt auf den Füßen.

Die wesentlichen Inhalte der langen Wert/Preis-Debatte finden sich bereits bei ihrem Initiator Bortkiewicz (1907a/1907b). Dieser bewies auf gut 100 Seiten Text, dass eine universelle Proportionalität zwischen Preis und Wert nicht gelten kann, weshalb sich im Regelfall die Beziehungen ‚Preissumme=Wertsumme‘ und ‚Profitsumme=Mehrwertsumme‘ gegenseitig ausschließen. Dieses Ergebnis stellt fundamental die Ausgangsbegrifflichkeit infrage, denn Wert- bzw. Preissumme messen ein Gesamtprodukt, von dem Mehrwert bzw. Profit derselbe Bruchteil sind: das Mehrprodukt. Teilungen oder Vervielfachungen einer Menge müssen zur Multiplikation aller sinnvollen Maßzahlen mit dem gleichen Faktor führen. Fände man für eine Menge 10kg/10L, aber für einen Bruchteil davon 2kg/1L, so wären Teilmenge und Menge verschiedene Stoffe – oder einer der Messbecher stark verbeult. Das Analogon ist in beiden Fällen eine unsinnige Begrifflichkeit. Statt solchen Fragen nachzugehen stilisierte man ein Teilergebnis von Bortkiewicz zur Marx-Widerlegung. Bortkiewicz deckte auf, dass im ‚Kapital‘ Bd.3 während des Rechengangs beide Größen durcheinandergebracht sind. Seine Position zur Arbeitswerttheorie war dennoch im Kern konstruktiv: „Wenn aber der Marxsche Versuch, die Werte in Preise umzurechnen, als misslungen zu betrachten ist, so ist der Gedanke solch einer Doppelrechnung an sich durchaus nicht von der Hand zu weisen. Eine richtige Lösung der theoretischen Aufgabe, die sich Marx gestellt hatte, ist wohl dazu angetan, für wichtige volkswirtschaftliche Zusammenhänge den Blick zu schärfen. Um aber zu einer derartigen Lösung zu gelangen, empfiehlt es sich, die gesamten Auslagen aller Kapitalisten, welche an der Erzeugung eines Produkts sich beteiligt haben, auf Lohnauslagen zurückzuführen.“ (Bortkiewicz 1907a,22). In der bürgerlichen Ökonomie von 1900 gab es noch ein Bewusstsein dafür, dass Arbeit ihre fundamentale Kategorie ist und sich auch in Preisen (Werten) manifestieren müsse. Nach Gewöhnung an neoklassische Untheorie hält man solche Ansichten mittlerweile für ‚marxistisch‘.

Ein Element des letzten Zitats ist charakteristisch für große Teile der Debatte: auf die verbale Anerkennung der Arbeit als Fundamentalkategorie folgt unvermittelt ein Sprung in die Betriebs-Wirtschaft. Dies führt Bortkiewicz zu einer Aufspaltung des Wertbegriffs in getrennte Begriffe des ‚relativen‘ und des ‚absoluten‘ Werts. Der ‚absolute Wert‘ ist identisch mit dem Wertbegriff, den Marx im Bd.1 des ‚Kapital‘ einführt: er ist gleich oder proportional der Menge abstrakter Arbeit. Welchen Sinn macht daneben ein ‚relativer Wert‘? Nach Bortkiewicz‘ Marx-Interpretation „kann der Wert keine andere Bedeutung haben als die einer Größe, welche anzeigt, gegen wie viele Einheiten des als Wertmesser dienenden Gutes sich eine Ware bzw. eine Mengeneinheit der Ware austauscht. Der Wert in diesem Sinne ist bloßer Index eines Austauschverhältnisses und ist nicht zu verwechseln mit dem sogenannten ‚absoluten Wert‘ einer Ware, welch letzterer mit dem Arbeitsquantum, das zur Produktion dieser Ware aufgewendet wird, identisch ist.“ (Bortkiewicz 1907a,10; Hervorh. ders.) Dieser preisnahe Wertbegriff wird übernommen: „In folgendem soll unter Wert, wo nicht ausdrücklich das Gegenteil bemerkt wird, immer der Index eines Austauschverhältnisses verstanden werden.“ (ebd.,12). Bortkiewicz unterlegt seine Interpretation mit Passagen aus Bd.3 des ‚Kapital‘, u.a. folgender: „Was den konstanten Teil [des Kapitals] betrifft, so ist er selbst gleich Kostpreis plus Mehrwert, also jetzt gleich Kostpreis plus Profit und dieser Profit kann wieder größer oder kleiner sein als der Mehrwert, an dessen Stelle er steht.“ (ebd.,16 bzw. Marx 1989/1894,170) Wie Bortkiewicz in Fußnote 12 anmerkt, steht hier ‚Kostpreis‘ binnen zwei Zeilen einmal für einen Preis und einmal für einen Wert. Auch die von Marx(!) vorgenommenen Additionen, wechselseitigen Ersetzungen und quantitativen Vergleiche von Wert- und Preisgrößen sind nur ausführbar mit Gleichartigem wie Kilo und Pfund, Euro und Dollar. Der hier verwendete Wertbegriff kann deswegen nicht mehr der absolute Wert im Sinne enthaltener Arbeitszeit sein.

Der preisnahe Wertbegriff wie die Dominanz des Quantitativen in der weiteren Debatte haben also ihren Ursprung im ‚Kapital‘, Bd.3 bzw. in Bortkiewicz‘ Rezeption desselben. Sein Auftauchen hat begriffliche Gründe: Der zum Preis proportionale Wert nach Bd.1 des ‚Kapital‘ benötigt keine Wert/Preis-'Transformation' und das ‚Problem‘ entsteht erst, sobald mit der Forderung nach der einheitlichen Profitrate der Preis in einer zweiten Weise bestimmt wird, die mit der ersten quantitativ nicht verträglich ist. Diesen Nachweis hatte Bortkiewicz erbracht. Zur Rettung der Arbeitswertlehre (möglicherweise in vor-marxscher Form) weicht er den ursprünglichen (absoluten) Wertbegriff auf. Er formuliert explizit einen bei Marx implizit erschienenen neuen ‚relativen‘ Wertbegriff und kritisiert von diesem Standpunkt aus u.a., es „läge hier in der Tat auf Seiten von Marx eine Verwechslung der beiden Wertbegriffe vor.“ (Bortkiewicz 1907a,20). An solchen Stellen lassen sich Interpretation von Marx, Kritik an diesem, Korrekturversuch und eigener Wertbegriff nur mit größter Mühe trennen. Die Kritik wird so keineswegs schlüssiger als die kritisierte Marxsche Vorlage. „Wenn v. Böhm-Bawerk die Berechtigung, mit dem Gesamtwert und dem Gesamtpreis überhaupt zu operieren, bezweifelt, so ist das unbegründet. Der[!] Wert ist kein Austauschverhältnis, sondern Index eines Austauschverhältnisses. Und aus einer Reihe von Wertgrößen lässt sich sehr wohl eine Summe bilden. Dasselbe gilt vom Preis.“ (ebd., Fußnote 19). Der eine Marx-Kritiker wirft dem anderen eine fehlerhafte Begrifflichkeit vor; als gemeinsamer Nenner verbleibt – die Gleichbehandlung von Preis und Wert. Das Argument, man könne Zahlen immer addieren, geht am wesentlichen vorbei, nämlich daran, welche Aussagekraft eine solche Summe hat. Bortkiewicz‘ ist an dieser Stelle auf einen eindeutigen Wertbegriff angewiesen, weil er eine eindeutig definierte 'Wertsumme' benötigt. So verwendet er hier den[!] absoluten Wertbegriff und verschafft sich anderweitig Spielraum, indem er statt zweier Werte ein ‚Austauschverhältnis‘ von seinem ‚Index‘(!) unterscheidet. Spielraum benötigt er, weil er im weiteren (S.21) einräumen muss, dass Größen wie ‚Preissumme‘ nicht eindeutig sind (und Wert=Preis-Gleichungen deswegen unsinnig, was aber nicht ausgesprochen wird). Die Preiseinheit könne z.B. „durch ¾ oder 1½ Gramm Gold dargestellt“ werden und deswegen „darf offenbar jeweils nur eine einzige von den im Preisschema auftretenden Größen [...] fixiert werden. Daher wäre es z.B. unstatthaft, den Gesamtpreis dem Gesamtwert und zugleich den Gesamtprofit dem Gesamtmehrwert gleichzusetzen.“ Damit hat ihn seine neue Begrifflichkeit zum Ausgangspunkt der Untersuchung zurückgebracht. Die bei Marx gerügten Unklarheiten haben sich auf einer neuen Ebene reproduziert und beherrschen die Methodik, mit der man Marx zu interpretieren/kritisieren/verbessern sucht.

Bortkiewicz‘ relativer Wertbegriff hat bei aller vorhandenen Unklarheit jedenfalls wesentliche Eigenschaften des Preises. Nun kann es aber logisch nicht zwei verschiedene ‚Tauschindizes‘ nebeneinander geben. Der ‚relative Wert‘ gerät so unter den Zwang, sich vollständig in den Preis zu verwandeln, sobald einmal der erste Schritt in diese Richtung getan ist. Diese Tendenz lässt sich in der Folgeliteratur unschwer verfolgen. Eine nichttriviale Beziehung zum Preis kann nur der absolute Wert besitzen. Nur dieser ist ein schlüssiger eigenständiger Begriff und so dominiert er in mathematischen Formalismen, wo logische Schlampigkeit auffallen würde. Bereits der erste mathematisierte Wert/Preis-Transformationsversuch unterscheidet zwischen „Zeiten, welche zum Verschleiße der Kapitalien verbraucht werden“ und der „Summe dieser und der in den Kapitalien enthaltenen [Zeiten].“ (Mühlpfort 1895) Die letztgenannten Summen – oder absoluten Werte – repräsentieren im Gleichungssystem den Wert.4 Auch Bortkiewicz operiert in seiner separat publizierten Rechnung (1907b) ohne weiteren Kommentar mit den Marxschen Begriffen des konstanten und variablen Kapitals. Dieses Vorgehen wurde vielfach kopiert. Erst wies man rechnerisch nach, dass der (absolute) Wert nicht proportional zum Preis, also etwas davon qualitativ Verschiedenes sei. Danach vergaß man den Rechnungsinhalt und erklärte die Preisgröße Profit zu umverteiltem (‚relativem‘) Mehrwert. So wurden de facto zwei ‚Transformationen‘ nebeneinander betrieben: eine solche des absoluten Werts (vorzugsweise rechnerisch) und eine solche des relativen Werts (vorzugsweise interpretierend). Bortkiewicz versucht noch, den verwirrenden Sprachgebrauch mit einer engen Verwandtschaft zwischen absolutem und relativem Wert zu begründen (hier kann offen bleiben, was als Marx-Interpretation und was als eigene Position zu verstehen ist): „Wenn aber ‚Wert‘ schlechthin[!] (der Kürze halber sage ich nicht ‚relativer Wert‘ oder ‚Tauschwert‘) und ‚absoluter Wert‘ ganz Verschiedenes bedeuten, so besteht doch zwischen ihnen eine feste quantitative Beziehung: die Werte verschiedener Waren verhalten sich zueinander wie ihre absoluten Werte und zwar gilt diese Proportionalität, welche den Inhalt des Marxschen Wertgesetzes ausmacht, bei jedem beliebigen[!] Wertmaß.“ (Bortkiewicz 1907a,11) Die Eigenschaftspaare ‚ganz verschieden‘/‘proportional‘ und ‚absolut‘/‘beliebig‘ verraten deutliche Schwierigkeiten seiner Marx-Interpretation. Er verneint im weiteren eine Identität des ‚relativen Werts‘ mit dem Preis im streng logischen Sinn, räumt sie aber im quantitativen Sinn fast ein. Der relative Wert „unterscheidet“ sich vom Produktionspreis, aber nur dahingehend, dass letzterer „einen höheren Grad der Annäherung an die Wirklichkeit darstellt.“ (ebd., S.13) Da die eine wie die andere Größe „ein rein theoretisches Gebilde darstellt“ (ebd.), kann auch Empirie nicht weiterhelfen. Der ‚relative Wert‘ bleibt so von Anfang bis Ende inhaltlich und quantitativ verschwommen. Klar wird nur, warum er in Rechnungen nicht gern gesehen war.5

Zu den latenten Widersprüchen im Begriff des relativen Werts – auch wenn er nur eine Marx-Interpretation beinhalten soll – gehört insbesondere die ‚Proportionalität‘ zwischen absolutem und relativem Wert. Diese hebt den absoluten Wert als eigenständiges Maß wieder auf – und damit die Begriffsaufspaltung selbst. Auch in seiner Eigenschaft als ‚Austauschindex‘ würde der relative Wert den absoluten vereinnahmen, da die Multiplikation eines Austauschindex mit einem Faktor nicht verändert. Tauschen sich 2 Stück gegen eines, dann auch 10 gegen 5 oder sechs Hälften gegen drei Hälften. Nach dem so oder so herbeigeführten Verlust des absoluten Werts steht man vor der Frage, wie sich der relative Wert (jetzt ohne Bezug auf Arbeitszeit) quantifizieren lässt. Gilt die ‚Proportionalität‘ aber nicht und der Zusammenhang beider Werte ist nichtlinear oder gar nichtexistent, muss man die Begriffe – auch sprachlich – sauber trennen. Ähnliche Probleme ergeben sich hinsichtlich der Beziehung zwischen relativem Wert und Preis. Wenn beide Größen Annäherungen an dieselbe ‚Wirklichkeit‘ darstellen sollen: wo genau unterscheiden sie sich dann noch? Wenn es aber einen ‚ganz‘ wichtigen Unterschied zwischen ihnen gibt: kann man sie dann noch sinnvoll addieren und quantitativ vergleichen? Falls sowohl ‚Annäherung‘ (des relativen Werts an den Preis)6 als auch ‚Proportionalität‘ (zwischen absolutem und relativem) Wert zutreffen: müsste dann nicht der Preis ‚annähernd proportional‘ zum absoluten Wert sein? Die Frage beinhaltet das zu prüfende ursprüngliche Wertgesetz und kann deswegen nicht beantwortet werden. Bei einer Bejahung wäre Marx‘ Begrifflichkeit aus dem ersten Band nach einem inhaltlichen wie logischen Vollkreis komplett wiederhergestellt. Bei einer Verneinung würde offensichtlich, dass die Marx-Kritik strukturell wie inhaltlich das kritisierte Original reproduziert. Bortkiewicz konnte sich letztendlich wie viele ‚Marxisten‘ nicht entscheiden, ob er sein Verständnis von ‚Wert‘ an den Preis oder an den absoluten Wert anlehnen sollte. Die verdiente Würdigung als einer der Stammväter des Strömung wird ihm jedoch unverständlicherweise bis heute verweigert.7

Mittlerweile gilt neben dem(n) Wert(en) auch deren (dessen) Zusammenhang mit dem Preis als mehrdeutig: „Bortkiewicz dagegen nimmt die Gleichheit von Mehrwertsumme und Profitsumme als eine Möglichkeit an, neben der es auch andere geben kann (Wertsumme = Produktionspreissumme).“ (F.Quaas 1992,53; Hervorh. dies.) Hundert Jahre Forschung haben Bortkiewicz‘ theoretisches Problem auf die Ebene ‚Pril oder Spüli‘ verlagert.8 Die Annahme qualitativer Unterschiede zwischen Wert und Preis verlegt den logischen Unsinn einen Schritt zurück in die Gleichungen selber (‚Kilosumme=Litersumme‘‚ ‚Apfelmenge=Birnenmenge‘). Statt diese Methodik zu kritisieren, wird versucht, die Summen quantitativ zu relativieren. In einer Zusammenfassung von Heinrich (2003,276): „Wegen der speziellen Normierung des Preissystems wäre auch die Profitsumme gleich der Mehrwertsumme.“ Nach solchen Auffassungen wurde bei Einführung des € alles halb so teuer. Sogar Methoden der Naturwissenschaft und der Mathematik werden verbessert. G.Quaas (1999,60) entdeckt bei verschiedenen Autoren sogenannte ‚Wertpreise‘ und verwendet die damit gebildeten Formeln in Mendelschen Versuchsanordnungen: „Am besten wird es sein, sie nebeneinanderzustellen.“ Es entsteht eine missgestaltete Gleichung: „Aber selbstverständlich ist Gleichung (37) im allgemeinen nicht gültig. Es sind mehrere Modellannahmen erforderlich, um die rechte Seite so zu vereinfachen, dass beide Seiten wenigstens[!] zahlenmäßig übereinstimmen – die Verschiedenheit der Dimensionen bleibt bestehen.“ (ebd.) 2L=1kg ist danach falsch, aber in 2L=2Pfd. steckt wertvolle Erkenntnis! Es wundert nicht mehr, wenn sozialwissenschaftlich orientierte Diskutanten ganz ins Mystische flüchten: „Die Verwandlung von Werten in Produktionspreise bedarf einer [...] Vermittlung durch die Konkurrenz aber auch gar nicht, da es sich um einen begrifflichen Übergang und nicht um eine Veränderung in der realen Zeit handelt.“(Heinrich 2003,284; Hervorh. ders.)

Was lässt sich überhaupt noch retten vom quantitativen Wertbegriff und Wertgesetz? Das Reparaturprogramm dieses Artikels bereinigt zunächst den Sprachgebrauch, den Ausdruck q:=m/(v+c)9 als ‚Profitrate‘ zu bezeichnen. Dieser Quotient beinhaltet das Verhältnis von Mehrprodukt zu Kapital, wenn beides in Werten angegeben wird und er soll deshalb Mehrwertrate heißen. Als Profitrate r wird das Verhältnis Überschuss/Kapital bezeichnet, wenn beide Größen in Preisen angegeben sind. Diese Unterscheidung ist für alles Folgende zentral; deswegen wird hier bewusst ein Begriff Mehrwertrate eingeführt, der vom Marx'schen (und üblichen marxistischen) abweicht. Dort wird gewöhnlich der Quotient m/v als 'Mehrwertrate' bezeichnet (sinnvoller wäre 'Ausbeutungsrate').

Da q wie r auf gesamtwirtschaftlicher Ebene das Verhältnis Mehrprodukt/Kapital bezeichnen, verblüfft auf den ersten Blick die Vorstellung, sie könnten auseinanderfallen. Dies ist aber nur eine andere Formulierung dafür, dass sich die Relationen ‚Wertsumme=Preissumme‘ und ‚Mehrwertsumme=Profitsumme‘ widersprechen.10 Die Analyse von Preis- und Wertbegriff wird das bekannte Resultat zu erklären haben. Dies wird in mehreren Stufen erfolgen.

a) Profit kann es nur geben, wenn es Mehrwert bzw. Mehrprodukt gibt. Diese qualitative Aussage folgt aus dem Prinzip, dass Tauschwert nur durch Arbeit entsteht. Sie sollte daher in jedem Modell gelten, das nicht völlig unsinnig ist. Sie folgt auch aus dem Produktionspreismodell, welches die Behauptung ‚Preis proportional Wert‘ widerlegt. (Okishio 1974,46-51) Bis hierhin lassen sich gängige Vorstellungen also übernehmen.

b) Abschnitt 2 wird belegen, dass die Mehrwertrate q=m/(c+v) im Verlauf 'normaler' kapitalistischer Entwicklung nach 0 tendiert und zwar so, dass sie sich der Null kontinuierlich ('stetig') annähert. Hierzu wird es nötig sein, aus dem Wertbegriff Elemente zu entfernen, die aus dem Preisbegriff hineingeraten sind (z.B. die Bezeichnung 'Profitrate' für m/(c+v)).

c) Da der Fall des Null-Mehrprodukts akademisch ist, ist als nächstes zu begründen, dass sich die Profitrate von der Mehrwertrate nicht beliebig abkoppeln kann. Sie könnte sonst dauerhaft oberhalb einer kritischen Schwelle verbleiben, weil die Mehrwertrate ihren Zielpunkt nie ganz erreichen kann. Nur wenn auch die Profitrate sich kontinuierlich dem Nullpunkt nähert, wird sich historisch eine krisenhafte Verfassung des Gesamtsystems entwickeln.

Die klare Unterscheidung zwischen Mehrwert- und Profitrate ist notwendig, da Wertbilanz und damit Mehrwertrate feststehen, wenn der Markt die geleistete Arbeit anerkennt hat. Die Wertbilanz kann durch die Zirkulation nicht verändert werden, das Preissystem dagegen entsteht dort erst. Preise und damit Profitrate beinhalten, wie (im quantitativen Sinn) Arbeit als wertschaffend anerkannt wird. Über Preise beziehen sich die Einzelkapitale aufeinander, weshalb in die Theorie von Preis und Profit eine detaillierte Bilanz des Güterkreislaufs bis auf die betriebliche Ebene eingehen muss. Bürgerliche und traditionsmarxistische Ökonomie haben diese tauschwertbasierte Theorie der Zirkulation so aufgeblasen, dass die Produktion und insbesondere das gar nicht quantifizierbare Element des Gebrauchswerts völlig aus dem Blick verschwand. Nach dessen Berücksichtigung wird sich der Überschuss einer Ökonomie prinzipiell nicht mehr in der Form '10%' angeben lassen, auch und gerade in mathematischen Modellen, wie anhand des Wert/Preis-'Transformationsproblems' demonstriert wird.

d) Dass die Profitrate der Mehrwertrate zur 0 hin folgt, wird sich nur plausibel machen lassen. Es lässt sich aber ein auf q und r gleichermaßen in diese Richtung wirkender Einflussfaktor auch in den herkömmlichen Modellen ausmachen. Dass die 'Tendenz' in die Krise nicht anderweitig konterkariert werden kann, wird in Abschnitt 5 mit Argumenten begründet, die den traditionellen tauschfixierten Horizont überschreiten. Dabei wird sich zeigen, dass die Fragestellung nach einem 'Fall der Profitrate' selbst bereits verkürzt ist.

2. Die Schranke der Verwertung

Beginnen wir mit dem Trend der Mehrwertrate q=m/(c+v). Die gängige Meinung billigt m, c und v  großen Spielraum zu, was zu Überlegungen wie folgender führt: “Egal mit welcher Argumentationsvariante wir uns einer Bestimmung der Profitratenbewegung nähern, stets stehen wir vor dem gleichen Problem. Wir finden zwei veränderliche Größen [...], von denen man die langfristige Bewegungsrichtung kennt. Für die Bewegungsrichtung der Profitrate [gemeint ist: m/(c+v); K.H.] kommt es aber auf das Verhältnis der Bewegung dieser beiden Größen an, welche verändert sich im Vergleich zur anderen schneller und dominiert daher das Geschehen? Ein solcher Vergleich lässt sich aber mit den qualitativen Informationen, die sich lediglich auf die Bewegungsrichtung der zu vergleichenden Größen bezieht, gar nicht anstellen. Daher ist der von Marx angestrebte allgemeine Nachweis, dass die Profitrate aufgrund der kapitalistischen Entwicklung der Produktivkräfte zwangsläufig eine Tendenz zum Fallen haben muss, gar nicht möglich.“ (Heinrich 2003,337; Hervorh. ders.) Zu den im Zitat ausgelassenen Paaren ‚veränderlicher Größen‘ gehört u.a. „Mehrwertmasse und Kapitalgröße“, sodass sich Heinrichs Text auch direkt auf den Ausdruck m/(c+v) bezieht. Das Zitat legt eine Suche nach Wertgrößen nahe, die sich nicht oder wenig ändern, z.B. beschränkt sind. Eine solche ist der Neuwert, die (pro Tag)11 verausgabte Menge abstrakter Arbeit, die absolut durch die Tageslänge und die Bevölkerungszahl begrenzt wird. Er erscheint kaum in der Debatte, so als ob man Scheu vor ihm hätte. Sein Formelzeichen: w = v+m. Das Kapital oder der gesamtwirtschaftlich bereits akkumulierte Wert c+v heiße k. Es gilt dann:

m/(c+v) < (v+m)/(c+v)

q < w/k (1)

In Ungl.(1) stehen lediglich der Neuwert und der akkumulierte Wert, d.h. die Schranke der Verwertung wird allein durch den Wertkreislauf selbst erzeugt. Nur ein Schnitt durch eingefahrene Denkschablonen war für diese Einsicht nötig. Als nächstes ist zu überlegen, wie eine niedrige Mehrwert- oder Profitrate zur Funktionsunfähigkeit führen kann. Die Produktion verläuft wie alle anderen Vorgänge unter Schwankungen, die sich aus (Produkt)zyklen, Fehlern, genialen Erfindungen und anderen unvorhergesehen Einflüssen ergeben. Eine nicht verwertungsfixierte Gesellschaft hätte keine Schwierigkeiten damit, denn positive und negative Zufälle heben sich unter dem Strich auf. Je höher entwickelt die Produktivkräfte, desto größer sind die absoluten Produktmengen und desto leichter wird die Vorhaltung von Reserven. Das Kapital aber muss sich zu jedem Zeitpunkt verwerten. Dieses spezielle Funktionsprinzip behindert den Ausgleich in der Zeitdimension. Dazu verursacht es eine zunehmende Asymmetrie von Nutzen und Schaden der Schwankungen. Zwar kann jedes Einzelkapital zufällige Erfolge in Extraprofit verwandeln, Rückschläge können aber über einfache Profitminderung hinaus zur vollständigen Zerstörung seiner Substanz führen, dies tausch- wie gebrauchswertseitig. Die Akkumulation steigert die absolute (Wert)Größe solcher Schäden, während die Versicherungsprämie (m!) gesamtwirtschaftlich gedeckelt ist. Gehen die Schwankungen der Profitrate nicht mit derselben zurück, steigt auch noch die Häufigkeit der Schadensfälle. Die wachsende Empfindlichkeit des Systems gegen Störungen schlägt sich in bürgerlicher Politik bereits als Regulationswahn östlichen Stils nieder und die VWL entwirft zur Abhilfe Modelle des perfekten Gleichgewichts. Dies entspricht Seefahrt mit Schiffen, die 1cm aus dem Wasser ragen – weil Wellen bei wissenschaftlicher Betrachtung vorübergehende Phänomene sind.

Warum aber verläuft sich die marxistische Diskussion in der bei Heinrich beschriebenen Weise? Die Antwort gibt er ausführlich, indem er die Ungl.(1) in der abgewandelten Form m/(c+v)<(v+m)/c diskutiert (Heinrich 2003,335ff.). Deren rechte Seite demonstriert zunächst die Scheu der ökonomischen Priesterschaft, den Wert beim Namen zu nennen. Die devote Umschreibung durch m+v, einen heiligen Gral des Klassenkampfs, ersetzt eine beschränkte Größe durch ‚zwei veränderliche‘ und behindert so von Beginn an die Beweisführung. Eine Schwierigkeit mit dem Wertbegriff zeigt die Ersetzung des Kapitals c+v durch c, bezeichnet als „vergegenständlichte Arbeit“.12 Dadurch lässt sich zwar die rechte Seite von Heinrichs Ungleichung als Kehrwert der organischen Zusammensetzung interpretieren, aber die formale Beweisführung ist unnötig weiter geschwächt. Inhaltlich stellt der Nenner (ursprünglich: c+v) nicht mehr den akkumulierten Wert dar. Die bürgerliche Ökonomie definiert c von vornherein als ‚Kapital‘. Man versteht jetzt, warum.

Der gängigen Bezeichnung des Wertequotienten m/(v+c) als ‚Profitrate‘ folgend, wechselt Heinrich dann zum Marx/Bortkiewiczschen relativen Wertbegriff und rechnet mit Wertgrößen eine Investition in exakt der Weise durch, wie es ein Betriebswirt mit Geldsummen täte. (ebd. 338-340) Da auf dieser „von Marx gewählten Abstraktionsebene“ (ebd. 339) mit ‚Werten‘ eigentlich Preise gemeint sind, ist hier die Bezeichnung ‚Profitrate‘ für m/(c+v) sogar angemessen. Als Ergebnis „verbilligen sich sowohl die Elemente des konstanten Kapitals als auch der Wert der Arbeitskraft“ (ebd.) Einzelkapitale können in der Tat kurzfristig ihre individuelle Profitrate steigern, wenn sie einen Weg finden, bei unveränderter Produktionsmenge mit weniger Kapital auszukommen. Das eingesparte Kapital lässt sich anderswo einsetzen, ohne dass Rückwirkungen auf das 'Kerngeschäft' auftreten. Gilt dies aber auch in der Gesamtökonomie? Diese Frage führt zum zentralen Denkfehler: „Da das betrachtete Kapital als Durchschnittsexemplar gilt, soll der Faktor k, um den sich die von ihm produzierte Ware verbilligt, auch der Durchschnittsfaktor der Verbilligung in der gesamten Wirtschaft sein“ (ebd. 338; Hervorh. K.H.). Diese Hochrechnung lässt auch gesamtwirtschaftlich die Gütermengen (‚produzierte Ware‘) unverändert und schickt das überflüssig gewordene Kapital verwertungsunschädlich ins Nirwana, statt dass es bei verändertem Stoffkreislauf und verschärfter Konkurrenz andere Verwertungsmöglichkeiten suchen muss. Neoliberale Theorie löst verwandte theoretische Probleme mit dem eleganten Begriff vom ‚Marktaustritt‘. Auch dort bleibt offen, wohin die Firma tritt (bekannt ist nur, wohin die Arbeitskräfte getreten werden). Die stillschweigende oder offene Gleichbehandlung gesamtwirtschaftlicher und betrieblicher Größen entstammt der Ideologie des bürgerlichen Produzenten. Dieser (und noch mehr der moderne Manager) sieht sich einerseits als ganz besonderes Individuum im Markt der unbegrenzten Möglichkeiten für Extraprofite, hält aber andrerseits die große Welt für ein exaktes Abbild der kleinen, seine eingebildete Sonderrolle inbegriffen. Dies verwischt zuerst den Unterschied zwischen Profit und Extraprofit, und nach Übernahme des Doppeldenk hält die bürgerliche Ökonomie Kapital wie Neuwert in der Gesamtwirtschaft für so ‚veränderlich‘ wie im Betrieb.13 So verschwindet die Schranke für m (bzw. w) aus dem Blickfeld. Im Gegensatz zum Naturwissenschaftler denkt der tauschfixierte bürgerliche Ökonom wenig in Erhaltungsgrößen und schon gar nicht in leergefahrenen Tanks, was ihm zusätzlich erschwert, die Grenzen (s)eines Systems zu erkennen oder wenigstens die Begriffe null und un-endlich klar von endlichem zu unterscheiden. Dem endlichen vertrauten Betrieb steht zwar der sichtlich andere (quasi-allmächtige) Markt gegenüber, aber die Ratio beseitigt die Angst vor diesem, indem sie beweist, dass er doch nur ein großer Betrieb ist. Heinrich kritisiert (ausgerechnet!) Hypothesen über ein „grenzenloses Wachstum von c“, aber es fällt ihm nur das Gegenargument „zweifelhaft“ ein. (ebd., 337) Da lässt sich aushelfen: Akkumulation unendlichen Kapitalwerts (c+v!) verlangt zweifelsfrei ein unendlich langes Funktionieren des Kapitalismus. Für den Fall der Mehrwertrate unter eine endliche kritische Grenze genügt jedoch ein endliches Kapital und damit eine endliche Zeit. Und jede endliche Grenze wird in endlicher Zeit überschritten, weil k in un-endlicher Zeit un-endlich anwachsen würde (wenn das System so lange funktioniert!).

Mit der proportionalen ‚Verbilligung‘ von Produkt und Kapital (c und v) werden Elemente des VWL- Begriffs vom ‚konstanten Skalenertrag‘ übernommen, in dem das beliebige Wachstum von Produktmengen ganz einfach durch ebenso beliebig zunehmende 'Produktionsfaktoren' erzeugt wird. Zu diesen gehört die Arbeit. Die Reproduktion der Arbeitskraft wird ausgeblendet, weil sie zumindest teilweise ausserhalb des Verwertungkreislaufs erfolgen muss. Derselbe verkürzte Blick erzeugt die gängige Verwechslung von Wert und Preis. Der moderne Marxismus bleibt seinem bürgerlichen Gegenpart jedoch bis zum bitteren Ende ein Stück voraus, wenn auch in kabarettreifer Form. Während Neoliberale unter Ignorierung aller Krisenerscheinungen den Kapitalismus noch harmonisch wachsen lassen wollen, denken moderne Marxisten schon an sein geordnetes Herunterfahren. Nur in der Form des Prozesses haben sie sich vertan. In der Abbauphase erzielt derjenige Extraprofite, welcher als erster eine Überkapazität materiell beseitigen kann, was bekannte, lokal katastrophale Folgen hat. Aber selbst kapitalistisches Wachstum kann nicht störungsfrei ablaufen. Während in Heinrichs Modell mit v, c und dem Gesamtprodukt sich auch dessen letzte Komponente m um denselben Faktor ‚verbilligen‘ müsste, nennt Marx einen Mechanismus, welcher die schönen neoliberalen Proportionalitäten nachhaltig stört: bei konstantem Arbeitstag (w!) entwickeln sich v und m gegenläufig. Investitionen fügen weitere Störungen der Proportionen hinzu, da sie auf Extraprofit durch lokale Modifizierung des vorhandenen Kreislaufs abzielen. Zu klären bleibt noch der Ausdruck ‚Verbilligung‘. In einer ersten Interpretation wird hier ‚Wert‘ im Sinne von 'Preis' gebraucht, denn preisliche Verbilligung gegebener Gütermengen ist typisches Ergebnis des noch funktionierenden Kapitalismus. Eine so deutbare Passage findet sich auf S.337: „Eine Steigerung des Werts von c müsste dann vor allem Resultat immer teurerer Maschinerie sein.“ Die konjunktivierte ‚teure Maschinerie‘ beinhaltet gleich drei zentrale Elemente moderner Theoriebildung: Verwechseln von Wert und Preis, Konzentration auf betriebliche statt gesamtwirtschaftliche Akkumulation und Horror davor, letztere samt ihren Konsequenzen zu erfassen. Die Quelle von Horror und Konjunktiv wird klar, wenn man die noch verbleibende Interpretation von ‚Verbilligung‘ wählt: allgemeine Wertsenkung im wörtlichen Sinn. Dann befände sich das System bereits tief in dem Abbauprozess seiner Substanz, dessen Begründung ‚gar nicht möglich‘ ist.

3. Die Grenze der Verwertung und die heutige kapitalistische Realität

Dieser (unvermeidlich fragmentarische) Abschnitt übt den absoluten Wertbegriff weiter ein. Ausschalten des Denkens in Preisen ist essentiell für das Verständnis der Abschnitte 4 und 5.

a) Gesellschaft und Ökonomie sind keine Präzisions-Werkzeugmaschinen. Wie scharf ist also die Begrenzung des Neuwerts real? Die Menge abstrakter Arbeit lässt sich im wesentlichen auf drei Arten steigern: 1.Einbeziehung weiterer sozialer Gruppen in die Arbeit; 2.Ausdehnung der Arbeitszeit; 3.Höherqualifizierung der Arbeitskraft. Empirisch realisieren die kapitalistischen Zentren statt 1. bereits das Gegenteil. Auch 3. wird nur noch in Einzelbereichen realisiert; selbst die Krisenverwaltung fördert den ungelernten Billigjob und die (unproduktive) Vertuschung der Arbeitslosigkeit mehr als die viel beschworene Hochtechnologie. Es bleibt also Option 2. und damit selbst bei sehr großzügiger Schätzung nur noch ein Bruchteil des bereits ausgeschöpften Spielraums.

b) Wie weit schöpft m bereits den Neuwert w aus? Diese Frage läuft darauf hinaus, wie niedrig der Anteil notwendiger Arbeit im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung geworden ist, da das variable Kapital v=w-m der in einer Gütermenge enthaltenen Arbeit entspricht. Hierfür sind das moralischen Element im Wert der Arbeitskraft und die Entwicklung der Produktivkräfte zu betrachten. Einen brauchbaren historischen Vergleich erlauben allerdings nur Güter, die sich von den rapiden stofflichen Veränderungen abkoppeln. Am nächsten kommen dem Grundnahrungsmittel, die auf die kaum veränderliche menschliche Biologie zugeschnitten sind. Vor Beginn der kapitalistischen Entwicklung musste fast 100% (sagen wir: 80%) der produktiven Aktivitäten hierauf verwendet werden. In der heutigen kapitalistischen Landwirtschaft der USA arbeiten dagegen 2% der Beschäftigten. Ein Teil der für die Lebensmittelproduktion notwendigen Arbeit wird zwar in der Industrie geleistet und in Gestalt von Maschinen, Chemikalien, Brennstoffen und Gebäuden aufs Land transferiert. Andrerseits werden heutzutage höher’wertige‘ Lebensmittel produziert, darunter Luxus, der für den Wert der Arbeitskraft irrelevant ist. Ein ‚gemäßigtes‘ Rechenbeispiel zeigt, dass zur Erfassung des Wesentlichen große Genauigkeit gar nicht erforderlich ist. Bereits Halbierung des Anteils notwendiger Arbeit von 80% auf 40% entspräche einer Verdreifachung der Mehrarbeit von 20% auf 60%, die noch mögliche weitere Zunahme derselben von 60% auf 100% aber wenig mehr als der Hälfte des Ausgangswerts. Auch modifizierte Zahlenbeispiele führen darauf, dass sich das Problem in einer Spätphase zuspitzt, nachdem zuvor parallel zu einer Steigerung der Mehrwertmasse lange Zeit Kapital akkumuliert werden konnte, ohne die Mehrwertrate zu gefährden. Je weiter die Mehrarbeit die Gesamtarbeitszeit ausschöpft, desto mehr wird die Steigerung der Arbeitszeit zum letzten Rettungsanker. Empirisch muss man daher aus der aktuellen politischen Diskussion schließen, dass der Anteil Mehrarbeit sich der praktikablen Grenze nähert.

c) Vorhandenes Kapital wird durch Entwicklung der Produktivkräfte entwertet. Dies stoppt aber nicht den Fall der Mehrwertrate, da sich Entwertungen auswirken wie Abzüge vom Mehrprodukt. Eine zweifache Verschiebung verschleiert den Zusammenhang: die buchmäßige Abschreibung wirkt sofort auf den Profit, die technisch vorzeitige Ausmusterung dagegen wie eine spätere Minderung der Wert-Produktion.14 Das Ergebnis kann nicht die Gesundung des Kapitalismus sein, sondern nur eine Teilvorwegnahme möglicher Endkrisen bzw. deren Umwandlung in eine chronische. Kapitalentwertung wird manchmal bewusst vorgenommen, um mit neuer Maschinerie höheren Gewinn oder andere Konkurrenzvorteile zu erzielen. Diese Variante der Konkurrenz beschleunigt unabhängig vom individuellen Erfolg die Senkung der Mehrwertrate. Eine nicht-profitfetischistische Gesellschaft würde von Verschwendung reden. Staatliche, häufig vielschichtig irrationale Maßnahmen dieser Art heißen Standortwettbewerb und drücken zunehmend Verzweiflung durch Gigantismus aus.

Mit Mehrprodukt kann weiter kapitalistisch gewirtschaftet werden, bis es stofflich verbraucht ist. Dieselbe Option besteht für abgebrochene Werte. Vom Standpunkt eines individuellen Kapitals unterscheidet sich solche Tätigkeit nicht von derjenigen in der Produktion. Erst auf gesamtwirtschaftlicher Ebene erweist sie sich als Scheinverwertung, die kein Mehrprodukt erzeugt, sondern vielmehr solches (als Profit und Lohn!) verbraucht. Betriebswirtschaftlich geprägtes bürgerliches Bewusstsein übersieht insbesondere, dass abzubrechender Wert erst einmal zu schaffen war/ist. Angesichts scheinbar unbegrenzter Wertvorräte sieht es seine Zukunft in einer Form des Schrotthandels, die ‚Privatisierung‘ genannt wird.15 Daran beteiligt sich nicht zuletzt Kapital, das aus der regulären Verwertung verdrängt wird. Die bürgerliche Politik bildet sich ein, subventionierter Aufbau konkurrierender Datennetze mit hundertfacher Überkapazität oder das ‚Investieren‘ in Abriss von Bahninfrastruktur bewirke Wachstum statt weiterer Reduzierung des Mehrprodukts. (Vorübergehenden) Spielraum für Akkumulation könnte nur massive Kapitalvernichtung als Voll-Vorwegnahme möglicher Endkatastrophen schaffen. Wird die Großkatastrophe vermieden, bleibt die Destruktivität im Kleinen, die daraus entsteht, dass unter Profitgesichtspunkten der Abbruch akkumulierten Werts gegenüber der Produktion von Neuwert zunehmend attraktiver wird.

d) Laufende Abzüge vom Mehrprodukt bilden die faux frais (unproduktiver Aufwand). Hierzu gehört zunächst organisatorischer Aufwand in der Distribution, der aus der Zunahme von Produktmengen entsteht. Zwar wird er als Nebeneffekt zunehmender Produktivität aus dieser abgedeckt. Absolute Abdeckung heißt aber nicht, dass die Mehrwertrate ungeschoren bleibt. Weitere mehrproduktverbrauchende Aktivitäten existieren nur wegen der kapitalistischen Organisationsform. Mit an der Spitze steht das Finanz-, Bewachungs- und Kontrollwesen, das sich anhand seiner Beschäftigtenzahl in Werten abschätzen lässt und mittlerweile zu den wichtigsten Mehrwertvernichtern (‚Wirtschaftsfaktoren‘) gehört. Versicherungen und Banken machen nur die Form des Risikoausgleichs mit dem Kapitalismus verträglich, verhindern aber weder Katastrophen noch Fehlentscheidungen selber. Die Wachstumsbereiche Controlling, Wirtschaftsprüfer, Finanzämter, Regulationsbehörden u.ä. dienen einerseits und verwenden andrerseits sich gegenseitig als Hilfskräfte, was Schichtstrukturen der Mehrwertvernichtung erzeugt. Da Reparatur generell verwertungsverträglicher zu organisieren ist als Vorsorge, ufert in ähnlicher Weise das Gesundheitswesen aus. Die bürgerliche Politik bekämpft bereits die Bürokratiemonster (‚Agenturen‘), sofern sie nicht gerade neue schaffen muss.

e) Besonders schädlich für die Mehrwertrate sind faux frais, die per Produktivitätssteigerung nicht verbilligt werden können, weil ihr Aufwand in Arbeitsstunden fixiert ist. Hierzu gehört die Überwachung der wachsenden Zahl jener, die aus Bequemlichkeit, Verärgerung, Unverständnis, Überzeugung oder einfach aus purer Not das System sabotieren. Steht hinter jedem Arbeitenden ein Stasi, sinkt die Wertproduktion auf die Hälfte, und zwar auch dann, wenn die Bewachungsfirma Gewinne erzielt. Da auch der Stasi bzw. Prüfer wieder überwacht werden muss und der erste Überwachte bereits selbst ein Überwacher sein könnte, findet eine solche Spirale ihre absolute Grenze erst auf der Ebene der Nullproduktion. Die Hartz-IV-Jagd auf Arbeitsdissidenten gibt eine Vorahnung auf noch kommende Absurditäten.

f) Sinkende Rendite verschärft den Konkurrenzkampf und bewirkt ‚Investitionen‘, die Konkurrenten Mehrwert abjagen sollen statt solchen zu produzieren. Eine Rechtsabteilung gilt als erfolgreich, wenn sie Konkurrenten mit mehr unproduktiver Arbeit und anderen Nachteilen belastet als sie dem Auftraggeber selber verursacht. Die betriebswirtschaftliche Begriffslosigkeit kopiert entsprechende Strukturen innerhalb ein- und derselben Firma durch Verwandlung von Abteilungen in ‚profit centers‘. Dies nimmt der Leitung erst den Überblick und dann jede Steuerungmöglichkeit. Entscheidungsmechanismen in Konzernen nähern sich denjenigen der Ex-Planungsbürokratien – mit vergleichbaren Folgen.16

g) ‚Wirtschaft ist, wenn man jemand anders die eigenen Kosten aufdrückt!‘ Zu dieser Form der Extraprofiterzielung gehören Sozialabbau, Umweltvernichtung, Staatsschulden u.ä.. Es lohnt sich, einmal die Dimensionen solcher Vorgänge zu betrachten, weil sie auf der stofflichen Seite erklären, weshalb die vom Kapitalismus bewirkte Produktivitätssteigerung sich kaum in Arbeitsverminderung und –erleichterung niederschlägt: „Selbst wenn man eine vorsichtige Schätzung zugrundelegt“ nämlich für „die Zahl der Todesfälle, die auf Luftverschmutzung zurückzuführen sind“ und dazu den „Wert eines ‚statistischen Lebens‘ “ beziffert, nämlich „die Kosten, die der US-Wirtschaft durch den Tod eines Durchschnittsamerikaners entstehen, weil ihn die Gesellschaft unter hohen Kosten großgezogen und ausgebildet hat, und weil er dann stirbt, bevor er sein ganzes Leben lang zur Volkswirtschaft beitragen konnte [...] verursacht allein die Luftverschmutzung jährliche Kosten von 650 Mrd. Dollar.“ (Diamond 2005) Ein Professor aus Los Angeles, dessen Gründlichkeit einerseits und Hilflosigkeit andrerseits an Ladislaus v. Bortkiewicz erinnern, beschreibt hier, wie die (profitable) Vernichtung unverwertbaren Werts auf den Produzenten übergreift. Erst weiteres Wachstum wird auch dieses Problem endgültig lösen.

Soll akkumuliert und gleichzeitig die Mehrwertrate zumindest konstant gehalten werden, muss die Wertproduktion mit dem Kapital ins Uferlose steigen. Die bürgerliche Sichtweise verwechselt diese (nicht realisierbare) Notwendigkeit mit der Erhöhung von Produktmengen und der Schaffung neuer Gelegenheiten zur Erzielung von Extraprofit. Zu den besonders negativen Folgen gehört die Vernichtung von Arbeitskraft durch Arbeitslosigkeit, Herabqualifikation und Demotivierung. Hier treffen sich ökonomische Krisenursachen, technokratisch irrationale Momente und offene Menschenfeindlichkeit. Dieser Artikel behandelt nur den ersten Aspekt, womit die Berechtigung massiver Kritik an den anderen beiden nicht infrage gestellt werden soll. Dies betrifft insbesondere eine Form der Mehrwertvernichtung, die sich aktuell aus angeblicher Vorsorge für demographische Veränderungen entwickelt. Unabhängig vom System der Zuteilung können Renten materiell nur aus der laufenden (Wert)produktion stammen und nicht aus der jahrzehntelangen Aufhäufung von Gütern oder gar von ‘Kapital‘ in Form bunter Zettel. Die ‚Vorsorge durch Kapitalbildung‘ verursacht aktuell eine Inflation (‚Wertsteigerung‘) an den Börsen und als Folgewirkung eine Erhöhung des ‚hochwertigen‘ Konsums. Dort endet der ‚angesparte‘ Wert materiell (sollten die ‚Wert‘papierhaufen für Rentenzahlungen einmal abgebaut werden, folgt der zum Boom gehörige Finanzkrach). Statt Anpassung des Produktionsapparats resultiert Wachstum des Finanzsektors, der wegen seiner ‚wirtschaftlichen Bedeutung‘ noch lange aus zukünftigem Mehrwert unterhalten werden muss – anstelle gutgläubiger Rentner.

4. Der absolute Preis und sein Ende

Der Glaube an die Vorsorge mittels Kapital hat sein alltägliches Gegenstück im Glauben an den Wert im Geld. Falls es diesen gibt: Wie können sich dann ‚Wertsumme=Preissumme‘ und ‚Mehrwertsumme=Profitsumme‘ widersprechen?

Die Funktion des Preises liegt in der Regelung von Tauschvorgängen. Die produzierte Menge von Ware1 möge den Gesamtpreis p1 besitzen (um seinen Betrag kümmern wir uns später). Zum Tauschen muss eine Ware2 existieren, deren Gesamtmenge den Gesamtpreis p2 besitzen soll. Auf dem Markt lässt sich beobachten, dass die Hälfte der Menge von Ware1 sich gegen die gesamte Menge von Ware2 tauscht bzw. dies lässt sich aus kleineren Transaktionen hochrechnen. Wenn der ‚Tauschindex‘ konsistent sein soll, müssen sich halbe Menge1 und ganze Menge2 auch gegen dieselbe Menge dritter Ware tauschen, Geldsummen inklusive. Mittels p2/p1=½ ist p2 bestimmt. Die Gesamtpreise pi weiterer Waren ergeben sich analog. Es fehlt noch p1. Der Ansatz p1/p1=1 ist zwar richtig, hilft aber nicht weiter. Also überlegen wir die Konsequenzen, falls man p1 per Anordnung verfünffacht. Die Einnahmen von Produzent1 verfünffachen sich; bei allen anderen verfünffachen sich die Kosten, soweit sie Ware1 direkt oder indirekt verwenden (müssen). Die resultierende Kreislaufstörung muss repariert werden, indem eine zweite Anordnung alle anderen Preise auch mit fünf multipliziert. Jetzt läuft der Tausch wie vorher. Absolute Preise und damit ‚Preissummen‘ sind in einem geschlossenen ökonomischen System undefinierte bzw. sinnlose Größen! So weit ist Böhm-Bawerk gegen Bortkiewicz recht zu geben.17 Angewandte Wirtschaftswissenschaft kümmert sich demzufolge erst dann um eine Fixierung von Währungen, wenn der Außenhandel eines Währungsgebiets quantitativ vergleichbar mit dem Binnenhandel wird oder wenn durch galoppierende Formen der Inflation die Reproduktion gestört wird. Die Fixierung wird in Einheiten anderer Währungen vorgenommen, wodurch ein größeres Währungsgebiet entsteht. Weiteres s.o.. Die theoretische Ökonomie fände ähnliche Erkenntnisse in der Mathematik ihrer Produktionspreismodelle. Der Satz der Preise erscheint dort als sogenannter Eigenvektor, d.h. als Lösung eines bestimmten Gleichungstyps. Ein Eigenvektor bleibt ein Eigenvektor (und damit eine Lösung des Gleichungssystems), wenn man ihn mit einem beliebigen Faktor multipliziert. Die Gleichung p2/p1=½ wird beispielsweise durch das Wertepaar (p1,p2)=(2,1) gelöst, aber auch durch (10,5) und alle anderen Vielfachen von (2,1). Einen Sinn haben daher nur Verhältnisse von Preisen. Diese Unbestimmtheit ist kein Mangel der Theorie, sondern eine Eigenschaft des beschriebenen Systems. Auch ein intaktes(!) Getriebe ist in ähnlicher Weise charakterisiert durch die Drehzahlverhältnisse beider Seiten, nämlich 1:1 im vierten Gang, 1:1.3 im dritten Gang usw., und die Technik ist zufrieden damit.

Im Gegensatz zum Preis einer Produktmenge ist ihr Wert absolut bestimmt durch die dafür verausgabte Menge abstrakter Arbeit. Soweit hat Bortkiewicz recht gegen Böhm-Bawerk. Aber beide liegen falsch in ihrer Gleichbehandlung von Wert und Preis. Insbes. die Gleichung ‚Wertsumme=Preissumme‘ ist doppelt unsinnig. Sie ist vom Typ ‚Zehn Äpfel sind gleich einer Menge Birnen, deren Anzahl wählbar ist‘. Nur von einer solchen Basis aus lässt sich die Aussage ’10 Äpfel=10 Birnen‘ beweisen, das Äquivalent zu ‚Preissumme=Wertsumme‘ und anderen ‚Invarianzpostulaten‘.18 Durch Multiplikation aller Preise mit geeigneten Faktoren lassen sich aber nach Wunsch auch die Beziehungen ‚Preissumme=Mehrwertsumme‘oder ‚Profitsumme=Wertsumme‘ herstellen (genauer: eine davon). Die Inkonsistenz besteht nicht darin, dass zwei subjektiv als sinnvoll empfundene Relationen sich widersprechen (so Bortkiewicz‘ Kritik). Sie besteht darin, dass sich mit solcher Methodik jeder beliebige Einzelpreis jeder beliebigen anderen Größe gleichmachen lässt, zur Not auch der Lichtgeschwindigkeit. Die absolute Festlegung des Preises bekämpft eine scheinbare Unsinnigkeit durch Einführung einer wirklichen Unsinnigkeit, denn die Preis=Wert-Formeln und die absolute Fixierung der Preise bedingen bzw. ermöglichen sich gegenseitig. Parallel hierzu sichert sich das bürgerliche Denken gegen alle Eventualitäten ab, indem es noch die logisch verbleibende Alternative verfolgt, nicht den Preis absolut wie den Wert zu machen, sondern den Wert so beliebig wie den Preis. Mit dem Wert werden die Produktmengen beliebig, in welche sich abstrakte Arbeit umsetzt. Der beliebige Wert beherrscht bereits die neoliberale und Alltagsideologie in Form des Glaubens an endloses Wachstum, während Neoricardianer und Traditionsmarxisten noch den Pfad des absoluten Preises verfolgen. Beide Formen der Begriffslosigkeit führen zum inflationären Gebrauch des Wortes ‚Wert‘ im Sinne von ‚Preis‘.

Nachdem unabhängig von jedem Formalismus die Notwendigkeit eines eigenständigen Wertbegriffs begründet ist, bleibt zu erklären, wie die Ideologie des absoluten Preises als Wert-Ersatz entsteht. Im kapitalistischen Alltag werden nicht komplette Produktmengen getauscht, sondern Teile davon. Man benötigt also Preise für Teilmengen und eine Basis für deren Bestimmung. Wenn als Menge1 800000t Eisen mit dem Gesamtpreis p1=800 Mio.€ vorliegen, dann lässt sich daraus der Quotient p1‘=1000€/t=1€/kg bilden. Aus diesem ‚Stückpreis p1‘ werden für beliebige Teilmengen Eisen Teilpreise hochgerechnet. Mit dem(n) Stückpreis(en) kommt das Individuum im kapitalistischen Alltag ständig in Berührung. p1‘ scheint dem Eisen anzuhaften wie eine Materialeigenschaft. Viele Materialeigenschaften sind ohnehin nichts anderes als Maß-Quotienten. Unsere Eisenmenge wird ein Volumen von 100000cbm einnehmen und das Verhältnis 800000t/100000cbm=8kg/L nennt man die Dichte oder das spezifische Gewicht ‚des Eisens‘. An der Dichte kann der Chemiker Eisenstücke von Nickelstücken unterscheiden; der Ökonom verwendet dafür Stückpreise und der Physiker das magnetische Moment pro kg. Die Stückpreise des Alltags (per kg, per L, per buchstäblichem Stück usw.) sind künstliche Produkteigenschaften, so wie der Gesamtpreis ein künstliches Maß der Produktmenge ist. Der Alltagsverstand wirft beide Ebenen schon beim Gewicht durcheinander und sagt: ‚Eisen ist schwerer als Holz‘ (statt: dichter). Ähnlich entgeht ihm der Unterschied zwischen Gesamt- und Stückpreis19 und erst recht entgeht ihm, dass der Gesamtpreis ein von den Wirtschaftssubjekten selbst geschaffenes Maß ist, mit der Herstellung einer Einheitsprofitrate als Festsetzungskriterium. Für das Individuum im Alltag ist der Stückpreis einer Warensorte so unverrückbar vorgegeben wie die Dichte oder die pro Stück erforderliche Arbeitszeit. Dem wissenschaftlichen Kurzschluss Preis=Wert steht so nichts mehr im Wege. In der Alltagssprache ist er fest eingebürgert.

Real greifbare Maßstäbe eines Preises sind der Preis der nahen Vergangenheit und der Preis anderer Güter, für Produzenten insbesondere der Preis der Inputs. Der Begriff Wachstum (in Geld) realisiert den ersten Vergleich, der Profit den zweiten. Diese Preisgrößen werden die Leitfäden für den kapitalistischen Alltag und die Betriebswirtschaft, bevor man letztere durch Multiplikation mit einem ‚Faktor k‘ zur Volkswirtschaftslehre verallgemeinert.

5. Statt wertloser ‚Transformationen‘

Der Profit errechnet sich aus Geldgrößen. Da diese absolut unbestimmt sind, sind sinnvolle Aussagen nur über relative Größen wie die Profitrate möglich:

Profitrate = (Einnahmen-Ausgaben) / Ausgaben20

= (Preis des Mehrprodukts m)/(Preis der Kapitalien c+v) (2)

Von Ware1, produziert in Betrieb1, werde der Bruchteil s1 in der Produktion verwendet; im Betrieb1 und/oder in anderen Betrieben; als Produktionsmittel, als Rohstoff und/oder als Konsumgut zur Reproduktion eingesetzter Arbeitskraft. Dieser Bruchteil ist Kapital, welches in Form der Ware1 in der Gesamtökonomie zirkuliert. Der verbleibende Bruchteil 1-s1 ist Mehrprodukt, und zwar genau derjenige Teil des Mehrprodukts, welcher die Form der Ware1 annimmt. Daraus lässt sich der prozentuale Überschuss r1=(1-s1)/s1 an Ware1 bilden, d.h. das Verhältnis von Mehrprodukt und Kapital, welche in Form der Ware1 vorliegen. Dieser Überschuss r1 kann als relative Größe in jeder beliebigen Einheit bestimmt werden, z.B. in kg, Liter, Stück, Werten, Preisen.21 Er ist aus Input/Output-Statistiken zu ermitteln. Jedoch darf er nicht mit der Mehrwertrate im Betrieb1 verwechselt werden. Dort werden verschiedene Kapitalgüter verwertet, ggf. alle Waren. Der Bruchteil s1 von Ware1 wird dagegen in verschiedenen (ggf. allen) Betrieben verwertet und zwar zu verschiedenen Mehrwertraten.

Die Überschüsse aller Waren sind zuletzt zur gesamtwirtschaftlichen Mehrwertrate q=m/k zusammenzusetzen. Der Beitrag der Ware1 zum Gesamtkapital beträgt ws1, wobei w1 der in ihrer Gesamtmenge enthaltene Wert sein soll. Hier wird erstmalig(!) eine reine Wertgröße benötigt. Die Mehrwertmasse, die in Form von Ware1 vorliegt, beträgt w(1-s1) oder wsr1. Bei zwei Waren ergeben sich durch Addition ihrer Beiträge folgende Varianten, die gesamtwirtschaftliche Mehrwertrate auszudrücken (bei mehr als 2 Waren sind die Summen in Zähler wie Nenner der Gl.(3a/b) entsprechend zu verlängern):

q = m/k = (w(1-s1)+ w(1-s2)) / (ws1 + ws2) (3a)

q = m/k = (wsr1 + wsr2) / (ws1+ ws2) (3b)22

Der Ausdruck für die Mehrwertrate in Gl.(3b) ist ein sogenannter gewichteter Mittelwert der produktspezifischen Überschussraten ri. Dieser liegt wie alle Mittelwerte zwischen der kleinsten und der größten der Raten ri und tendiert desto stärker zu einer Rate rj, je größer deren Gewichtsfaktor wsj ist (sind alle Gewichtsfaktoren gleich, spricht man vom arithmetischen Mittelwert). Die Gewichtsfaktoren sind Werte, die in Form der jeweiligen Waren als Kapital zirkulieren. Der korrespondierende Ausdruck für die Profitrate ergibt sich durch analoge Auswertung der Gl.(2), indem warenweise nicht die Werte, sondern die Preise von Mehrprodukt und Kapital addiert werden. An die Stelle von Gesamt-Werten der einzelnen Waren treten dann deren Gesamtpreise und man erhält:

r = (ps r1 + ps r2) / (ps1 + ps2) (4)

Der Satz aller Überschussraten ri, der eine gesamtwirtschaftliche Güterbilanz darstellt, beeinflusst Mehrwert- und Profitrate in gleichem Sinn. Offen ist noch, wann q oder r zu Null werden können. Die Werte swi müssen positiv sein, wenn die betreffenden Waren zum Kapital beitragen. Preise sind immer positiv. Negative Überschussraten ri können nicht auftreten, da keine geschlossene Ökonomie von einem Gut mehr verbrauchen als erzeugen kann. Daher können q und r nur Null werden, wenn alle Überschussraten ri exakt null sind, d.h. kein Mehrprodukt vorhanden ist.

Der Austausch der Werte gegen Preise in den Gewichtsfaktoren führt im Regelfall dazu, dass sich Mehrwert- und Profitrate unterscheiden. Eine offensichtliche (bekannte) Ausnahme ist der Fall, dass das Verhältnis Preis/Wert bei allen Waren identisch ist, sodass man einen solchen Faktor in Zähler wie Nenner der Gl. (3b) oder (4) ausklammern und danach kürzen kann. Dieser Fall ist aber hypothetisch, da die Waren sich (definitionsgemäß!) in ihren Eigenschaften (Gebrauchswerten) unterscheiden und deshalb mit unterschiedlicher Technik (oder mit unterschiedlicher organischer Zusammensetzung des Kapitals) hergestellt werden müssen. Hinter der hundertjährigen Suche nach der Wert/Preis-Transformation verbirgt sich also auch (wenn nicht in erster Linie) eine Verkürzung des Wertbegriffs auf den Tauschwert, die in Bortkiewicz‘ ‚relativem‘ Wertbegriff von Anfang an zum Ausdruck kam.

Die in Gl.(3a/4) gewählte Darstellung dient dem Zweck, gemeinsames und trennendes im quantitativen Preis- und Wertbegriff diskutieren zu können. Die Gleichungen sind nicht so zu verstehen, dass eine isolierte Veränderung der Preise pi die Profitrate beeinflussen könne und eine ebenso isolierte Veränderung der Wertinhalte wi die Mehrwertrate. In keiner realen Ökonomie sind Gütermengen, Arbeitsmengen, produktspezifische Überschüsse und Preise in dieser Weise zu entkoppeln. Die Darstellung soll hervorheben, dass Mehrwert- und Profitrate auseinanderfallen (können), wenn die Verhältnisse Preis/Wert (pi/wi) von Ware zu Ware variieren. Dies wurde in der Wert/Preis-Debatte ausführlich untersucht. Die Preise von Gütern gleichen Wertinhalts liegen desto höher, je höher die organische Zusammensetzung des Kapitals bei ihrer Produktion ist. Die Preisanhebung lässt die individuelle Profitrate der fraglichen Produzenten zunehmend über ihre individuelle Mehrwertrate steigen, welche sich mit wachsender organischer Zusammensetzung absenkt. Dieser Mechanismus stellt die Einheitsprofitrate her bzw. bewahrt sie. Es folgt, dass die von der Akkumulation verursachte Veränderung der organischen Zusammensetzung aller Einzelkapitale ständig daran arbeitet, Mehrwert- und Profitrate gegeneinander zu verschieben, so dass sie nur zufällig übereinstimmen können, wenn ihre aktuellen Trends sich einmal überschneiden.

Im Zusammenhang des Falls der Mehrwertrate interessiert vor allem die Fragestellung, unter welchen Umständen die Profitrate sich oberhalb der Mehrwertrate halten und deren Abwärtstrend entziehen könnte. Hierzu müssten Waren mit hohen Überschussraten ri ein hohes Verhältnis pi/wi aufweisen, Waren mit niedrigen Überschussraten dagegen ein niedriges Verhältnis pi/wi . Es würden dann hohe ri mit starkem Gewicht in die Profitrate eingehen, und niedrige ri in die Mehrwertrate. Die erste Warengruppe stellt technisch anspruchsvolle, bei hoher organischer Zusammensetzung produzierte Güter dar, die vorwiegend (genauer: mehr als andere) nicht-produktiv verwendet werden müssten.23 Die zweite Warengruppe entspräche Dienstleistungen, welche in den produktiven Kern der Ökonomie eindringen. Um die Profitrate oberhalb der Mehrwertrate zu halten, müssen sich diese Tendenzen desto stärker ausprägen, je niedriger die Mehrwertrate schon ist und je höher die Profitrate über diese steigen soll.24

Streng begründen lässt sich daher letztendlich nur die 'Tendenz' zu einer Krise der Verwertung. Die Mehrwertrate lässt sich – in begrenztem Rahmen – aufrechterhalten auf Kosten der Akkumulation. Die Profitrate lässt sich – beschränkt – von der Mehrwertrate abkoppeln durch Opfern des technischen Fortschritts. Welche Erscheinung wann und wie an die Oberfläche des Systems tritt, hängt von dessen Umgang mit der Krise ab. Die Profitraten-Debatte hätte besser nicht versucht, mit Kampf und Krampf eine Art simples Naturgesetz wie 'der Stein fällt nach unten' zu beweisen oder zu widerlegen. Reale Fallprozesse sind komplizierter als Galileis Fallgesetz und die Erscheinungsformen der Verwertungskrise sind komplizierter als die Formel q<w/k. Feststellen lässt sich aber, dass bürgerliche Wissenschaft unter 'Angebotsorientierung vs. Konsumstimulierung' die einzuschlagende Strategie ähnlich ufer- und erfolglos diskutiert wie der Traditionsmarxismus die wahre Tendenz der Profitrate und die richtige Transformation der Werte in Preise.

Die formale Ähnlichkeit der Gl.(3a/4) verdeckt noch einen weiteren wichtigen Unterschied. Die in Gl.(4) erscheinenden Preise sind im Rahmen mathematisierter Modelle eindeutig bestimmbar, wenn der Güterkreislauf bis auf die Ebene der Einzelbetriebe bekannt ist, z.B. in Form von Zahlen aij, die angeben, welcher Bruchteil der Ware j für die Produktion der Ware Nr.i eingesetzt wird (vgl. Anhang). Geeignete Addition solcher Zahlen ergibt aber auch den Gesamtverbrauch sj der Ware j und damit ihren Überschuss rj. Auf der rechten Seite der Gl.(4) stehen also ausschliesslich Größen, welche durch einen genügend detailliert angegebenen aktuellen Güterkreislauf (den Satz der aij) bestimmt sind.25 Es entfallen dafür die absoluten Arbeitsmengen wi der Gl.(3b), und damit alle Informationen über die organische Zusammensetzung der Einzelkapitale (Technik), über die Skala der Ökonomie und über vorangehende Produktionszyklen. Erst durch den Verzicht auf diese Inhalte kann das Produktionspreismodell rein mathematisch formuliert und (was selten hervorgehoben wird) auf einen einzigen Produktionszyklus beschränkt werden.26 Als Folge der Inhaltsentleerung ähnelt der als Modellvoraussetzung dienende Satz der Zahlen aij verblüffend den daraus zu berechnenden Preisverhältnissen pi/pj. Erstere beinhalten, welcher Bruchteil der Warenmenge j zur Produktion von Ware i benötigt wird; zweitere beinhalten, welcher Bruchteil der Warenmenge j sich gegen die Produktmenge von Ware i handelt (bzw. handeln würde!). Die zirkulierenden Gütermengen werden im Modell – wie die Preise – noch nicht einmal absolut beziffert.27 Die Analyse zeigt, dass sich Preistheorie nicht mit realen Vorgängen befasst und noch nicht einmal Tauschrelationen begründet, denn der im Modell allein relevante Güteraustausch zwischen den Produzenten wird in allen Details vorgegeben. Um ihn abzuleiten, müssten der Stand von Akkumulation und Produktivkräften, das Potential an Arbeitskraft, gesellschaftliche Ziele und ähnliche Inhalte vorgegeben werden. Preistheorie befasst sich stattdessen damit, ob eine solche ‚Bewertung‘ der zirkulierenden Gütermengen möglich ist, dass sich Produzenten aller Branchen anhand des Maßstabs Profitrate einbilden können, gleich erfolgreich (bzw. fähig) zu sein. Der Preisbegriff selbst löst den realen gesamtwirtschaftlichen Kreislauf zu diesem Zweck in zweiseitige Transaktionen auf, die in dieser Form überhaupt nicht stattfinden. Eine solche Vertretung (und nachfolgend Ersetzung) von Inhalten und realen Vorgängen durch Formalia und Fiktionen zieht sich durch die gesamte bürgerliche Gesellschaft, vom Mathematikwahn der VWL über Noten, Zeugnisse, Titel und ‚testierte‘ Bilanzwerke bis zur staatlichen Bürokratie. Das betriebswirtschaftliche Rechnungs- und Kontrollwesen zeigt, dass der Bürokratismus sich problemlos mit dem Fetischismus verbindet und speziell das Prinzip des ‚Normal’profits im kapitalistischen Alltag stabilisiert. Er konnte sich deshalb am weitesten in Systemen ausbreiten, deren Begriffswelt denselben Quellen entstammt wie Produktionspreis und ‚relativer Wert‘. Aber auch die westliche neo’liberale‘ Variante bekämpft den Bürokratismus nur, wenn er dem Streben nach Extraprofit im Wege steht, keineswegs aber, wo (oder gar weil!) er gesellschaftlichen Fortschritt blockiert.

Die traditionelle Ökonomie hat sich nicht nur auf Preistheorie konzentriert, sondern darüber hinaus auf die Theorie eines bestimmten Preises, nämlich des Preises der Arbeitskraft. Seine Senkung vermindert in allen Branchen den Güterverbrauch bei gleichbleibender Produktion und erhöht so über die produktspezifischen Überschussraten gleichermaßen Mehrwert- und Profitrate. Diese spezielle Konstellation mag die Wert/Preis-Gleichsetzung begünstigt haben. Ein rudimentäres Gefühl, dass Preis und Wert nicht dasselbe sind, erscheint noch in Begriffen wie ‚Transformation‘, die Hypothese ‚Preissumme=Wertsumme‘ ergänzt aber sofort die Auffassung, dass der Unterschied nicht bedeutend sein könne. Um ihn ganz zu beseitigen, wurde bis zum Überdruss versucht, den absoluten Wert in den Formalismus der Preistheorie zu zwängen. Es ist daher sinnvoll, das Scheinproblem der quantitativen Abweichung zwischen Profit- und Mehrwertrate anhand einer Analogie zu illustrieren, die nicht durch zwei Jahrhunderte Lohn/Preis/Profit-Diskussion vorbelastet ist. Was ergibt sich, wenn man in Gl.(3b/4) für die Werte bzw. Preise der Produktmengen deren Massen einsetzt? Man erhält einen dritten gewichteten Mittelwert, der eine gesamtwirtschaftliche Überschussrate darstellt, bei deren Berechnung alle Produkte mit ihrem Gewicht beziffert wurden (statt mit Werten oder Preisen). Falls es jemand für sinnvoll hält, lässt sich das Verhältnis Mehrprodukt/Kapital auch noch auf Literbasis angeben. Während eine Rechnung in Pfund und Kilo dasselbe ergeben muss, werden sich Liter- und Kilo-Überschussraten im Regelfall unterscheiden, wenn die Waren verschiedene spezifische Gewichte besitzen (d.h. unterschiedliche Quotienten Maß1/Maß2). Niemand würde sich darüber wundern. Diese Überlegung schlägt eine Brücke zu Bortkiewicz‘ unzählige Male wiedergekauter Wert/Preis-Rechnung (1907b). Er berechnet für eine Dreisektoren-Ökonomie (Investitions-, Konsum-, Luxusgüter) die Quotienten Preis/Wert28 (=Maß1/Maß2) der drei Produktmengen und zeigt, dass sie im Regelfall verschieden sind. Die weitere Debatte wurde damit logisch äquivalent zur Suche nach einer allgemeingültigen ‚Transformation‘ von Litern in Kilo. Sie hatte nach 1907 nichts mehr mit Werttheorie zu tun, sondern nur noch mit allgemeinen Eigenschaften der Maße für heterogene Mengen. Ihr wesentliches Ergebnis besteht darin, in kaum mehr zu übertreffender Weise die Ignoranz der Wirtschaftstheorie gegenüber den konkreten Eigenschaften der Produkte zum Ausdruck gebracht zu haben. Begünstigt wurde dies, weil sich dank der absoluten Unbestimmtheit des Preismaßes einzelne sinnvoll erscheinende Relationen wie ‚Preissumme=Wertsumme‘ herstellen ließen (wenn auch nie eine Gesamtheit von solchen). Zwar könnte man auch zwei Gewichtseinheiten finden, in denen sich einmal ‚Massensumme=Volumensumme‘ und einmal ‚Massenüberschuss=Volumenüberschuss‘ ergibt (dies ‚wenigstens zahlenmäßig‘). Es wäre dann aber offensichtlich, dass qualitativ Verschiedenes gleichgesetzt wird, und die Erkenntnis, dass qualitative Eigenschaften der Güter zu beachten sind, wäre – im Gegensatz zum Preis/Wert-Fall – nicht zusätzlich ideologisch blockiert. In der Liter/Kilo-Variante hätte man daher das ‚Transformations‘-‚Problem‘ wohl keine 100 Jahre lang debattiert.

Die stillschweigende Gleichsetzung von Wert und Preis ist aber nicht das einzige Element, das den Blick auf den logischen Kern des Un-Problems vernebelt hat. Schon das Denken in Absolutmengen (egal ob Werte, Massen oder Volumina) widerspricht fundamental den Gewohnheiten des Preis-Verstands. Nach Überspringen dieser Barriere hätte konsequentes Weiterdenken darauf führen müssen, dass nur ein einziges absolutes Maß für alle Waren geeignet ist: der von Bortkiewicz treffend benannte ‚absolute Wert‘. Zu jedem ‚physischen‘ Maß lassen sich dagegen Waren finden, auf die es nicht anwendbar ist (die Liter/Kilo-Analogie ist daher rein logisch zu verstehen). Der eigenständige Wertbegriff erweist sich so als unverzichtbar statt redundant. Durch ihr Zurückscheuen vor ihm hat sich die theoretische Ökonomie der absoluten Maßstäbe beraubt, die erforderlich sind, um den Gesamtprozess der Verwertung zu behandeln.29 Die Wert/Preis-Debatte demonstriert so allgemeinere Defizite der Theorie und zum Produktionspreisbegriff steht eine kritische Betrachtung seiner Grenzen an.

In Gl.(3/4) erscheinen nur Güter, die (zumindest mit einem Bruchteil si) innerhalb einer damit definierten ‚Kern‘ökonomie zirkulieren. Diverse Branchen spielen bei der Festlegung von Mehrwertrate und Profitrate keine Rolle: die Vernichtung landwirtschaftlicher Überschüsse, Verschwendung aller Art, aber auch Produktion von Luxusgütern, für Rüstung oder für Erweiterungsinvestitionen. Produzenten in dieser (ab jetzt so genannten) ‚Peripherie‘ kaufen zwar in der Kernökonomie ein, aber ihr Profitaufschlag hat keine Rückwirkung auf Kostenrechnungen von Kern-Betrieben. So lassen sich im Modell beliebig viele Peripherie-Branchen an einen Kern ‚anhängen‘. Die Peripherie trägt nicht zur Re(!)produktion der Ökonomie bei, da sie ausschliesslich mit dem Mehrprodukt wirtschaftet bzw. stofflich die Überschüsse des Kerns verbraucht. ‚Überschuss‘ bezeichnet beim heutigen Stand der Produktivkräfte Güter, die nicht für Betrieb und Reproduktion des bestehenden Produktionsapparats benötigt werden. Stofflich gibt es zahllose Möglichkeiten seiner Verwendung. Beispiele peripherer Aktivitäten, darunter nicht zufällig viele mit destruktivem Charakter, finden sich in Abschnitt 3. Die (notwendigerweise) zunehmende staatliche Organisierung solcher Scheinverwertung fördert eine schon äußerlich sichtbare Konvergenz des übriggebliebenen westlichen Kapitalismus mit dem ehemaligen östlichen Sozialismus und untergräbt in mehrfacher Hinsicht die Grundvoraussetzungen des Begriffs 'Produktionspreis'. Dasselbe gilt für die zunehmenden Zeiträume, über welche Investitionen geplant werden müssen, und in welchen eine Rückwirkung im Sinne der Anpassung des geschaffenen Produktionsapparats schon technisch ausgeschlossen ist. Unkritischer Gebrauch der so von mehreren Seiten ausgehöhlten Produktionspreismodelle (häufig sogar mit Betonung eines jährlichen Produktionszyklus, vgl. Sraffa 1968) zeigt eine Verhaftung von Traditionsmarxismus und Neoricardianismus in frühen industriellen, wenn nicht landwirtschaftlichen Phasen des Kapitalismus. Aber selbst mit dieser Frühphase, in welcher der Kapitalismus durch vorwiegend investive Verwendung des Mehrprodukts rapide wuchs, hat das Modell Schwierigkeiten. Investitionen ändern die Produktionstechnik und damit die Zirkulation der Stoffe, die als Ausgangsvoraussetzung (Satz der aij) einfach postuliert werden muss. Die Behandlung des Investitionsprozesses scheitert an zwei Stellen: sie ist per Definition eine gleichgewichtsstörende Aktivität und das Mehrprodukt wirkt dabei über Gebrauchswerteigenschaften und Absolutmengen. Im Spätkapitalismus werden die Auswirkungen dieser theoretischen Lücken immer gravierender und erzwingen problematische ad-hoc-Annahmen wie in Heinrichs Investitionsrechnung.

Die meisten Untersuchungen über Produktionspreise enthalten die spezielle Annahme, dass alle ins Modell aufgenommenen Produzenten (der Kern) sich gegenseitig zumindest indirekt beliefern; wenn A also nicht direkt an B liefert, dann zumindest an C, welcher an D, welcher an B usw.. Auf diese Weise beeinflusst jeder Produzent die Erfolgsrechnungen aller anderen. Auch diese Annahme wird bei einem prozentual schrumpfenden Kern immer unrealistischer (sie wurde bei Ableitung der Gl.(3/4) nicht vorausgesetzt).30 Motiviert ist sie durch einen mathematischen Satz, wonach sich eine eindeutige und positive Lösung für den Preisvektor nur unter dieser Voraussetzung ergibt. Schließt man in das Gleichungssystem Betriebe (Branchen) ein, die nur einen Teil der anderen (direkt und indirekt) beliefern, kann es u.a. Gesamtpreise geben, die exakt 0 sind. Die bürgerliche Ökonomie muss solche ‚Paradoxa‘ schon an der Wurzel, d.h. bei den Grundvoraussetzungen, ausschließen, weil sie Lösungen ihrer Gleichungen faktisch als real existierende Zustände betrachtet, so wie ihr östliches Gegenstück den Fünfjahresplan als erfüllt und den Sozialismus als verwirklicht ansah. Hätte sie mehr Vertrauen in den Markt, würde sie untersuchen, was real geschieht, wenn ein Gesamt(!)preis sehr klein gegen alle anderen wird, z.B. welche Investitionen eine solche Situation auslöst. Dabei könnte sie ausgiebig Elemente naturwissenschaftlicher Methodik anwenden, indem sie sich ihren Gegenstand ansieht, bevor sie darüber Aussagen macht. Schon rein theoretisch gewinnbar ist die Erkenntnis, dass das Gewicht der betreffenden Branche in Gl.(4) und vergleichbaren Formeln gegen 0 tendiert, sodass es in vielen Zusammenhängen egal ist, ob man sie berücksichtigt oder nicht. Im Regelfall wird es sich um eine auch vom Produktionsumfang her marginale Branche handeln. Falls aber kleine Ursachen einmal große Wirkungen haben, wäre dieser Fall sinnvollerweise inhaltlich zu behandeln. Stattdessen unterdrückt man ihn – im Interesse exakter Ergebnisse.

Für die Reproduktion der Gesamtökonomie ist nur die Arbeit im Kern unverzichtbar, was nichtmaterielle Produkte wie Software einschließen kann. Auf diesen Kern setzen weitere wirtschaftliche Aktivitäten auf wie Handels- oder Finanzkapital auf nichtkapitalistische Formationen. Die ‚New Economy‘ glaubt(e) in diesem Bereich dauerhaft (Extra)Profite erzielen zu können, deren Höhe frei von den Zwängen der verflochtenen Kernökonomie sei. Jedoch schrumpft jedes Quantum Arbeit in der Peripherie den Kern und damit die Mehrwertmasse (den Kern-Überschuss) und verwandelt darüber hinaus einen Teil derselben direkt in Lohn peripher tätiger Arbeiter. Die bürgerliche Politik hat eine dumpfe Ahnung von diesem – wachsenden – Wertfluss und bekämpft ihn, indem sie gegen die Arbeitskraft so vehement zu Felde zieht, wie sie die Arbeit in den Himmel lobt (zumindest die ‚hochwertige‘ Arbeit im Kern). Auch Schwierigkeiten marxistischer Literatur mit dem Begriff der ‚produktiven Arbeit‘ (vgl. Kurz 1995) lassen sich darauf zurückführen, dass der Kern einerseits schrumpft und andrerseits seine Grenze zur Peripherie weniger scharf ist, als das Begriffspaar ‚produktiv/unproduktiv‘ vorspiegelt. Löhne und Profitraten der Peripherie orientieren sich schon aus Konkurrenzgründen an denjenigen des Kerns.31 Umgekehrt wirken Einflüsse aus der Peripherie leichter in eine kapitalistische Kernökonomie zurück als in eine feudale Landwirtschaft. Die immer schwieriger werdende Trennung von Kern und Peripherie versucht das Produktionspreismodell mit der mathematischen Schere zu erledigen. Die realen Zusammenhänge kehren in die VWL anderweitig zurück, nämlich als Spaltung der Disziplin in zwei Grundströmungen. Neben den am Kern-Überschuss orientierten klassischen Ansatz tritt der ‚neoklassische‘, der die Produktivkraftentwicklung in der originellen Form berücksichtigt, dass er die Verwendung von ‚Anfangsausstattungen‘ und ‚Produktionsfaktoren’ optimiert, ohne sich viel Gedanken um ihre Herkunft zu machen. Die Produktion insgesamt wird in diesem Ansatz theoretisch so marginalisiert wie es die Landwirtschaft schon real wurde und die Industrie derzeit wird. Als nächstes stünde theoretisch ihre vollständige Abschaffung an.

In der Realität kann die häufig spekulative Jagd nach Extraprofit in der Peripherie die Kernökonomie über verzerrte Preise32 und Kapitalflüsse stören. Auch solche Aspekte des späten Kapitalismus fallen aus einem Modell heraus, welches nur wechselseitig verflochtene Betriebswirtschaften im Gleichgewicht kennt. Zumindest aber den Trend der Verlagerung von Arbeit aus dem Kern in die Peripherie erfasst das bürgerliche Bewusstsein mit dem Begriff ‚Dienstleistungsgesellschaft‘. Begrenzt ist das Verhältnis der in Peripherie und Kern geleisteten Arbeit nur durch den Quotienten m/v im Kern (bei Erreichen dieser Grenze würde das gesamte Mehrprodukt als Lohn in der Peripherie verwendet). Die bürgerliche Ökonomie könnte entlang solchen Gedankengängen zwar nicht die absoluten Fahrtgrenzen des Kapitalschiffes entdecken, wohl aber die Herkunft der Wellen, die es immer stärker behindern. Die Akkumulation erzeugt indirekt neuartige, scheinbar extern verursachte Gleichgewichtsstörungen und sichert damit auch aktiv ihre letztendliche Versenkung.

6. Wie man den Wertbegriff nicht loswerden kann

Den Wert als einziges universell anwendbares absolutes Maß ökonomischer Aktivität würde die bürgerliche Ökonomie gern zugunsten ‚physischer‘ oder gar nicht näher bezeichneter ‚Mengen‘ entsorgen. „Das entscheidende Verhältnis zwischen dem, was die Arbeit herstellt und dem, was sie für ihren Unterhalt braucht, ist schon durch das Mengensystem bestimmt, bevor überhaupt irgendwelche industriellen Mehrwerte oder Summen dieser Größen berechnet werden.“ (Samuelson 1974,273; Hervorh. ders.) Schon das dritte Wort des Satzes rückt vom absoluten Mengenbegriff ab. Da fragt der Praktiker nach und sei es nur, weil er Mengen nach Gewicht oder Volumen verladen muss: „Der Mindestsubsistenzlohn erfordere, dass jede Arbeitseinheit einen Warenkorb verbrauche, der aus ¼ der Endproduktseinheiten Getreide und aus ¼ der Endproduktseinheiten Kohle besteht.“ (ebd.) Mit ‚Mengensystem‘ sind also Mengenverhältnisse gemeint, aus denen das Preissystem nur noch ‚berechnet‘ werden muss. Der Begriff ‚Arbeitseinheit‘ bezieht explizit die Arbeitskraft in die allgemeine Relativität ein. Aber nicht nur im Kohlenhandel will man den Wert auf den Preis reduzieren: „Eine vermittelnde Formulierung, die überall die Ehre[!] wahrt, könnte lauten: [...] Die Analyseinstrumente der bürgerlichen Wirtschaftstheorie hätten zur Entdeckung und Erklärung dieses Begriffs Ausbeutung benutzt werden können, wenn nur jene Ökonomen ein Motiv[!] gehabt hätten, die Instrumente für diesen Zweck einzusetzen.“ (ebd.,277) Selbst die Wissenschaft vom Wert kauft man sich ab wie einen Benz oder ein Eis: nach Prestige bzw. Geschmack. Einige ‚Analyseinstrumente‘ gehören noch auf den Preis- und Tauschfetisch gerichtet, wie er sich lustvoll in solchen Sätzen aalt.

Absolute Mengen spielen eine Rolle für den Wert der Arbeitskraft und für die Reproduktion der Gesellschaft generell. Im kapitalistischen Alltag lagert man deswegen den Vorrat für einen Winter ein statt ¼ einer unbekannten Kohlenmenge. Die Theorie der Viertel-Endprodukteinheiten ist jedoch noch in anderer Hinsicht unvollständig. Für die Verwendung des Heizmaterials gibt es Rahmenbedingungen. Die Kohle muss in kleinen Stücken zu schippen sein und neben dem Kellerraum mit Fenster benötigt man wegen des Staubs eine Genehmigung vom Vermieter. Die Eigenschafts-Heterogenität der Warenvielfalt erstreckt sich in den einzelnen Gebrauchswert hinein. Selbst ein Litermaß benötigt weitere Eigenschaften neben seinem Volumen. Zum Nachweis kann man aggressive Säuren in Metallbecher füllen oder geschmolzenes Aluminium in Kunststoffgefäße. Mengen haben Massen, Volumina etc., in der Warengesellschaft dazu Werte und die künstliche Eigenschaft ‚Preis‘. Alle diese Maße sind Abstrakta mit begrenztem Anwendungsbereich. Keines kann die Realität total beschreiben. Der Wertbegriff beinhaltet neben Funktionsprinzipien der kapitalistischen Gesellschaft deren disponible Ressourcen, soweit sie von einer Theorie dieses Systems erfassbar sind. Die diversen(!) physischen Maße beziehen sich in geeigneten Kombinationen auf Produktionstechnik und Gebrauchswerteigenschaften. Spezifisch für einheitenlose ‚Endproduktseinheiten‘ und Bruchteile nackter (‚physischer‘) Mengen ist, dass sie im doppelten Sinn maßlos sind und brauchbar nur noch als Grundlage für einen Preis oder ‚Tauschindex‘. Die moderne Theorie begründet den Preis durch einen Fast-Preis. 1907 hieß dieser noch ‚relativer Wert‘.

Schon weil jedes Individuum Gebrauchseigenschaften anders gewichtet, sind Gebrauchswerte nicht sinnvoll quantifizierbar.33 Dass sich der einzelne Gebrauchswert aus heterogenen Eigenschaften zusammensetzt, kann man als Begründung oder Verschärfung der Aussage ansehen. Als Folge zeichnet sich in einschlägigen Theorien der Trend einer Bewertung nach ihrer Rechenbarkeit ab. Diese nimmt zu, wenn die Anzahl berücksichtigter Eigenschaften vermindert wird. Die entstehende Begrifflichkeit ähnelt quantitativ wie qualitativ den aus dem Alltag bekannten materiellen ‚Endproduktseinheiten‘, deren ‚Mengensystem‘ in ‚linearer Einzelproduktion‘34 von/mit ‚Arbeitseinheiten‘ hergestellt wird, bevor man diesen ¼ davon in den ‚Güterkorb‘ legt. Das Kindergartenvokabular will Gebrauchswerte auf eine – womöglich unspezifizierte, d.h. gar keine – Eigenschaft reduzieren, so wie im Wert=Preis-Kurzschluss den Wert nur als Tauschwert gesehen wird. Wo eine Reduktion angebracht wäre, betreibt die VWL dafür das Gegenteil, indem sie ganz in Gegensatz zu ihrem sonstigen Wachstumsglauben sämtliche Güter einzeln verknappt.35 Da jedes Gut durch Umschichtung abstrakter Arbeit vermehrbar ist (wenn auch auf Kosten anderer Güter) ist aber nur diese wirklich knapp. In diesem Zusammenhang ist die Warenvielfalt so entbehrlich wie die Unzahl Formelgrößen, in welche sich der Wert aufspalten lässt. Auf dieser abstraktesten Ebene besitzt der Wertbegriff noch einen Inhalt, der auf die Notwendigkeit verweist, wirtschaftlicher Tätigkeit andere Inhalte zu geben. Man kann sich dies z.B. anhand der Ungl.(1) klarmachen: in einem einzelnen physischen Maß wie dem kg ließe sich eine Schranke der prozentualen Verwertung nicht begründen, da schwere Waren durch leichte oder gar immaterielle ersetzbar sind. Nur der Arbeitsinhalt der Waren lässt sich nicht ganz beseitigen. Der absolute Wertbegriff enthält so noch die in großbürgerlichem Alltag wie bürgerlicher Wissenschaft unsichtbare, nichtsdestoweniger reale Knappheit an Ressourcen und Entwicklungsspielraum der Gesellschaft. Die Wert-Erscheinungsform Preis hat solche Inhalte verloren. An ihre Stelle tritt das Potential zu absoluten (unbegrenzten) Katastrophen.

Anhang: Das Modell ‚linearer Einzelproduktion‘

Im minimalen Modell produzieren und tauschen 2 Fabrikanten wie folgt 2 Waren:

(Bruchteil11°Menge1°Preis1 + Bruchteil12 °Menge2°Preis2) °(1+r) = Menge1°Preis1 (5a)

(Bruchteil21°Menge1°Preis1 + Bruchteil22 °Menge2°Preis2) °(1+r) = Menge1°Preis1 (5b)

Die Mengen könnten Ware für Ware in beliebigen Einheiten angegeben werden, nur müssen Kilomengen mit Kilopreisen multipliziert werden und Litermengen mit Literpreisen. Übersichtlicher ist es, für jedes Produkt die Gesamtmenge als Einheit zu wählen, so dass die Mengen gleich 1 werden. Die Stückpreise zu diesen Einheiten sind die Gesamtpreise. Oder wir erinnern uns daran, dass der Ausdruck Menge1°Preis1 in (5a/b) von vornherein nichts anderes ist als der Gesamtpreis p1 der Ware1. Die eine wie die andere Überlegung vereinfacht Gl.(5a/b) zur Gl.(6a/b), aus der die Absolutmengen verschwunden sind (inhaltlich wird dieser Aspekt in Abschnitt 5 behandelt). Die Bruchteile kürzt man gewöhnlich mit ‚a‘ ab, die Preise mit ‚p‘, und die Ziffernfolgen ‚11‘ etc. werden verkleinert und tiefgestellt:

(a11°p1 + a12°p2) °(1+r) = p1 (6a)

(a21°p1 + a22°p2) °(1+r) = p2 (6b)

Epilog: Wie sich in der Bäckerei doch noch das Wertgesetz durchsetzte

Die ‚Aufwertung des Werts‘ basiert auf erst kürzlich entdeckten Dokumenten, deren Tragweite noch gar nicht absehbar ist. Das wohl wichtigste davon wird im Wortlaut wiedergegeben, soweit es erhalten geblieben ist. Sein Text lautet:

‚Es war einmal ein Bäcker, der hatte in seinem Leben viel Gutes getan. Unter anderem hatte er einen großen Bäckereikonzern aufgebaut, der viele Menschen vorübergehend in Kurzarbeit brachte. Als er fühlte, dass es zu Ende ging, liess er beim Notar ein Testament aufsetzen, um zum letztenmal etwas Gutes zu tun. Zwei Tage später verstarb er. Der Notar rief eine Gruppe zuständiger Experten zusammen und verkündete: Das Vermögen des Verstorbenen besteht aus den wertvollsten Gütern, die unsere erfolgreiche Wirtschaft hervorgebracht hat. Ich habe es doppelt messen lassen: es sind 10t/10cbm unvergiftetes Trinkwasser und 7t/14cbm geniessbares Getreide. Der Verstorbene will, dass vom Wasser etwa 10% als Notreserve und vom Getreide etwa 20% als Kapital bei den Familienaktionären der familieneigenen Back-AG verbleiben. Alles übrige erhalten deren treue Rabattkartenkunden. Sie sollen genau 85% erben und die Aktionäre 15%. Der Notar blickte kurz auf, ob sich Widerspruch regte. Dann fuhr er fort: Dies ist zum Glück eine einfache Aufgabe: 10% vom Wasser und 20% vom Getreide macht im Schnitt 15%, sodass alles glatt aufgeht. Ich werde also 10% oder 1cbm des Wassers und 20% oder 1.4t des Getreides den Aktionären geben und den Rest an den Bäckereikassen verteilen lassen, sobald ihre Panzerglasfenster für Literflaschen und Kilotüten umgebaut sind. Der Notar setzte sich, bestellte einen Schluck Mineralwasser, und alle Anwesenden staunten über seine Rechenkunst. Dann aber erhob sich der Fachmann von der Zentralanstalt für Kilosteine und sprach: Das erscheint mir nicht richtig. Nach meiner Berechnung bekommen die Aktionäre 1t Wasser und 1.4t Getreide, zusammen 2.4t. Das Gesamterbe beträgt aber 17t und 15% davon sind mehr als 2.4t, nämlich 2.55t. Die Aktionäre erhalten also deutlich zu wenig. Sie müssten mehr bekommen. Der Fachmann war noch im Begriff, sich zu setzen, da sprang die Agentin aus der Literbecher-Agentur auf und fiel ihm fast ins Wort: Die Aktionäre erhalten doch 1cbm Wasser und 2.8 cbm Getreide, also 3.8cbm aus einer Menge von 24 cbm. 15% von 24 ist aber nur 3.6, sodass die Aktionäre zuviel bekommen und in Wirklichkeit die Kunden benachteiligt sind. Damit verblüffte sie alle Anwesenden ungemein. Es trat längeres betretenes Schweigen ein, dann wagte es ein unscheinbarer Zuhörer aus den hinteren Reihen, sich zu erheben: Ich bin im Finanzamt zuständig für die Erbschaftssteuer und kann wegen des Steuergeheimnisses manches nicht sagen. Aber soviel kann ich: Wasser ist heute mit 10 Mio.€ pro cbm so teuer, dass man das Getreide mit seinem Preis von nur 1 Mio.€/t fast vernachlässigen kann. Die Aktionäre würden 10 Mio. in Wasser plus 1.4 Mio. in Getreide bekommen, also 11.4 Mio.€ aus einem Vermögen von 107 Mio.€. Das sind keine 11%, wo es doch 15% sein müssten. Ich muss also dem Kilofachmann im Prinzip gegen die Frau Agentin recht geben, nur scheint er sich bei dem schwierigen Problem der Prozentsätze verrechnet zu haben. Die Lösung ist aber ganz einfach: Geben Sie den Aktionären 15% vom Wasser und statt des bisschen Getreide eine Spendenquittung. So gibt es keine Prozesse. Und denken Sie immer daran, dass Geld der einzige vernünftige Maßstab für wirtschaftliche Dinge ist. Bestimmt kann das die Frau Professorin aus dem postmarxistischen Institut bestätigen. Diese aber konnte nicht, weil in ihrem Auto ein Zylinder verkehrt herum montiert worden war. Sie hatte ihren Assistenten geschickt, der zu allem Unglück unterwegs noch in der Zwangslotterie gewann, nämlich die Fahrpreisrückerstattung gegen Schieben der Straßenbahn. Schwer atmend suchte er jetzt immer noch in seinem Lehrbuch der Volkswirtschaftslehre nach m,v,c und einigen anderen wichtigen Buchstaben. Die Unterbrechung nutzte der interdisziplinäre Experte für psychologische Ernährung zur Wortmeldung. Ich möchte das Problem mehr vom fundamental-menschlichen Standpunkt angehen begann er. Er rückte seine Krawatte zurecht, setzte die Sauerstoffmaske ab, und fuhr fort: Geld kann in die Irre führen. Besser ist es, die Dinge vom Menschen her zu sehen. Der Mensch braucht 2000 Kalorien täglich, der heutige fortgeschrittene Mensch sogar etwas weniger und meine Mitarbeiter noch weniger. Sicher ist aber in jedem Fall, dass im Wasser keine drin sind. Am allervernünftigsten wäre es daher, wenn Sie den Aktionären 15% vom Getreide geben und das Wasser wegschütten. Damit entfällt ab sofort auch jedes Diebstahlsrisiko. Beim letzten Wort ward es dem schon ganz verwirrten Notar auch noch schummerig und er beschloss, das Erbe und die Entscheidung dem Obersten Gericht vorzulegen. Er liess eine Dampflokomotive anheizen und es war ein Glück, dass man das Wasser nicht weggeschüttet hatte, denn ihr Kessel war völlig leer. Zum Heizen nahm man das Getreide. Die Fahrt wäre wohl als unwirtschaftlich untersagt worden, hätte nicht noch ein lange überfälliger Transport von Oliven zur Vernichtung angestanden und mehrere Wagen des Zuges‘

Hier endet der lesbare Teil des Dokuments. Seine Entdeckung durch Olivenhistoriker stellt dennoch einen großen Glücksfall dar. Die Olivenerzeugung und –vernichtung waren einst blühende Wirtschaftszweige mit hohen Wachstumsraten und noch höherem Beitrag zum Bruttosozialprodukt. Dann verschwanden die Früchte plötzlich und unerklärlich. Wir wissen jetzt, wo die letzten zwei Posten verblieben sind. Der eine wurde mit dem Zug weggeschafft und der zweite in der Lok verfeuert, weil der überschuldete Bäcker ihn als Getreide deklariert hatte, um Gläubiger irrezuführen. Dies alles kam nur heraus, weil sich ein Gerichtsgutachter mit seinen Schmiergeldern vertan hatte. Er hatte pro Oliven und contra O6-live plädiert und die Sextelefongesellschaft verklagte ihn auf Rückzahlung, weil sie den Inhalt andersherum bestellt hatte. Der Richter musste also ohne Gutachter Fotos von Oliven betrachten, was ihm ermöglichte, die Getreideverwechslung aufzuklären. Lokführer und Heizer wurden verhaftet und des Olivenfrevels für schuldig befunden. Die letzen drei Oliven pfändete die Bank im Gerichtslabor. Weil sie so sorgfältig konserviert wurden wie Wertpapiere, haben wir zwar keine Oliven mehr, aber alle Kontoauszüge des Bäckers und die meisten Prozessunterlagen. Wir werden damit heizen können, wenn einmal die Lagerstätten von Rabattmarken erschöpft sind. Die Forscher sind jetzt auch sicher, dass sie die migräneverursachenden VWL-Lehrbücher nicht mehr brauchen. Es steht nichts über die Anpflanzung von Oliven drin und die Transformation der Literbecher in Kilosteine wurde genausowenig gelöst. In den Bibliotheken kann man die letzten Exemplare einsehen, falls es wirklich nötig und ein Notarzt verfügbar ist. Böse Aktiengesellschaften und Banken gibt es nicht mehr. Wasser bekommen die Durstigen und Getreide die Hungrigen. Soviel, wie sie brauchen. Als nächstes sollen daher die Prozente abgeschafft werden. Und jetzt können alle Kinder ruhig schlafen gehen.

Literatur

Söllner, F.(2001): Die Geschichte ökonomischen Denkens, Berlin-Heidelberg-New York

Anmerkungen