http://www.marxists.de/science/mcgarr/chaosde.htm Paul McGarr: Ordnung aus dem Chaos (1990)

 

Paul McGarr

 

Ordnung aus dem Chaos

(1990)


Paul McGarr, Order out of chaos, International Socialism 2:48, Herbst 1990.
Übersetzung © 1997 Verein für Geschichte und Zeitgeschichte der Arbeiterbewegung (VGZA) e.V.
HTML-Markierung: Michael Gavin für REDS – Die Roten.


Einleitung

Chaos ist das modischste Wort in der Naturwissenschaft heute. Von der Mathematik zur Physik, Chemie, und Biologie sind wenige Zweige der Naturwissenschaft von dem Aufstieg der “Chaostheorie” unberührt geblieben. Sie steht im Kern einer Reihe von Entwicklungen, die zusammengenommen bedeuten, daß unser Verständnis der Natur jetzt in seiner aufregendsten Etappe ist seit der natrurwissenschaftlichen Revolutionen während des ersten Viertels des Jahrhunderts. Jene Revolutionen, die vor allem mit Albert Einstein verbunden sind, ließen die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik entstehen – und die beiden verwandelten radikal und vertieften unser Verständnis der Natur. Einige betrachten die Situation heute als ebenso revolutionär in ihrer möglichen Auswirkung. “Die Physik des 20. Jahrhunderts wird für die Relativität, die Quantenphysik und das Chaos bekannt sein. Wie die beiden früheren verlangt diese Revolution von uns, daß wir einige geehrte Voraussetzungen über die Welt fallenlassen.” [1] Warum sollte das für revolutionäre Sozialisten interessant sein?

Erstens beruht der Sozialismus auf der Voraussetzung, daß es für Menschen möglich ist, vernünftig und kollektiv zu planen und herzustellen, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Unsere Fähigkeit dazu, hängt entscheidend von unsere Fähigkeit, die Welt, wovon wir ein Teil sind, zu lenken und auszubeuten. Je größer unser wissenschaftliches Verständnis der Natur, desto größer das Potential, das zu machen. Der Sozialismus ist eine frage der Gewinnung einer Welt der Freiheit, aber es geht nicht um eine Welt die über die Natur schwebt, worin wir wohnen und woraus wir stammen. “Nicht in der geträumen Unabhängigkeit von den Naturgesetzen liegt die Freiheit”, argumentierte Engels, “sondern in der Erkenntnis dieser Gesetze und in der damit gegebne Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu lassen.” [2] Ein Blick auf einige der Schlüsselprobleme, die heute vor der Menschheit stehen, sollte diesen Punkt unterstreichen. Vom Treibhauseffekt zu AIDS ist die Naturwissenschaft entscheidend sowohl zum Verständnis der Probleme als auch zu ihrer Lösung.

Zweitens ist der Marxismus ein Versuch, die Welt wissenschaftlich zu verstehen mit der Absicht, sie zu verändern. Er ist deshalb der Feind allen Aberglaubens, Irrationalität und Mystizismus und Verbündeter und Unterstützter der Entwicklung eines rationalen Verständnisses aller Aspekte der Welt, gesellschaftlich sowie materiell.

Die Menschen und die von ihnen geschaffene Gesellschaft entwickelten sich aus der Naturwelt und bestehen als Teil davon. Die Naturwissenchaft allein kann nicht das Funktionieren der menschlichen Gesellschaft erklären. Aber jeder Versuch, die menschliche Gesellschaft zu verstehen, der nicht fest auf einem wissenschaftlichen Verständnis der Natur verankert ist, ist zum Scheitern verurteilt. Die marxistische Tradition hat immer das verstanden und betont. Marx selbst drückte es einfach aus. Die Naturwissenschaft, sagte er, “bildet die Grundlage jedes Wissens”. [3] Engels betonte, daß “zu einer dialektischen und zugleich materialistische Auffassung der Natur ... [die] Naturwissenschaft gehört.” [4]

Marxisten können jedoch nicht alle von Naturwissenschaftlern entwickelten Ideen unkritisch annehmen. Zu jeder Etappe der Entwicklung der modernen Naturwissenschaft habe diejenigen, die sich unmittelbar beteiligt haben, Fortschritte in einem wirklichen Verständnis der Natur mit einer Vielzahl von anderen Vorstellungen, Spekulationen und Interpretationen kombiniert. Das ist besonders der Fall mit neuen Entwicklungen in der Gesellschaft, deren Interpretation gewöhnlich eine Sache der intensiven Debatte sind. Diese Debatte beschäftigt sich oft mit der Überprüfung und der Kontrolle, ob eine neue Theorie wirklich den materiellen Tatsachen entspricht. Aber die Debatte widerspiegelt auch zum teil die Ideen in der breiteren Gesellschaft. Die Naturwissenschaft findet nicht in Isolation vor der übrigen Gesellschaft statt. die Ideen, Philosophien und Vorurteile in der Gesellschaft durchdringen zwangsläufig das Denken der Naturwissenschaftler.

Gleichermaßen haben Philosophen und Politiker, Ideologen und Intellektuelle sich immer auf naturwissenschaftliche Ideen bezogen, um ihre Ansichten zu stützen und zu rechtfertigen. Man hat zu Zeiten naturwissenschaftliche Entwicklungen benutzt, um eine Vielzahl von irrationalen, idealistischen und reaktionären Vorstellungen zu stützen. Darwins Evolutionstheorie, selbst einen revolutionären Schritt nach vorne in der Naturwissenschaft, wurde, und wird immer noch, von Reaktionären aller Art mißbraucht. Die Chaostheorie hat unter ähnlichem Mißbrauch gelitten. Wenn ein Spektrum, das vom reaktionären Konservativen und ehemaligen Redakteur von The Times, William Rees-Mogg, über den ehemaligen stellvertretenden Führer der Labour Party, Denis Healey, bis zu Marxism Today, der Zeitschrift der Kommunistischen Partei, reicht, sich vereinigt und zitiert Fortschritte in der modernen Naturwissenschaft als Beweis, daß eine rational geplante Gesellschaft unmöglich sei, ist es höchste Zeit, daß revolutionäre Sozialisten aufmerksam werden. [5]

Marxisten müssen jeden Fortschritt in einem wissenschaftlichen Verständnis der Welt ermutigen [fördern] und begrüßen, während sie den ideologischen Mist bekämpfen, in dem man manchmal solche Fortschritte einwickelt, oder zu dessen Rechtfertigung man die Naturwissenschaft mißbraucht.

Dies soll nicht darauf hinweisen, daß der Marxismus die Naturwissenschaft ersetzen kann. Das Funktionieren der Natur muß man durch wissenschaftliche Untersuchung entdecken und es ist schön möglich, daß ein jemand politische reaktionär und trotzdem ein brillanter Wissenschaftler ist. [6]

Die Chaostheorie ist am meisten durch das Beispiel des sogenannten Schmetterlingseffekts popularisiert worden. Neue Entwicklungen in der Naturwissenschaft zeigen, daß das Wetter vielleicht so empfindlich ist, daß der schwache Schlag der Flügel eines Schmetterlings Idee Ursache für einen Orkan Tausende Kilometer weg sein kann. [7]

Diese unglaubliche Empfindlichkeit, wobei winzige Unterschiede bei den Ursachen enorme und unvorhersehbare Unterschiede bei den Wirkungen verursachen können –daher das Etikett Chaos –, sollte genaue langfristige Wettervorhersagen unmöglich machen. Na und? könnte man sagen; das Wetter ist sowieso eine sehr sehr komplizierte Sache. Das stimmt, aber dasselbe “chaotische” Verhalten, so stellt es sich heraus, kann auch der Fall sein bei einfachen Systemen, die früher als gut verstanden und mit angeblich gutem Verhalten galten. Das einfache Pendel, seit Jahrhunderten das wahre Symbol des regelmäßigen vorhersehbaren Verhaltens, kann unter bestimmten Umständen sich “chaotisch” verhalten. [8] Ein anderes Beispiel ist die Bewegung von nur drei Körpern, die das von Newton vor drei Jahrhunderten entdeckte Gravitationsgesetz gehorchen. Ein solches System scheint, als ob es absolut einfach sein sollte, aber das ist es nicht und es kann sich auch chaotisch verhalten. [9]

Einige ziehen einfache und direkte Schlußfolgerungen aus solchen Beispielen. “Die ‚unerbittlichen Gesetze der Physik‘, denen – zum Beispiel – Marx seine Gesetze der Geschichte nachzubilden versuchte, waren nie da. Falls Newton nicht das Verhalten von drei Bällen hatte vorhersagen können, hätte Marx das von drei Menschen Vorhersagen können?” So ist die Ansicht eines führenden Mathematikers, der an der Entwicklung der Chaostheorie beteiligt ist. [10]

Auf die Chaostheorie haben sowohl Apologeten [Befürworter] des bestehenden Systems als auch Einige durch den Zusammenbruch des Stalinismus verwirrten Linke aufgefahren. Für Verteidiger des Status quo kann das Chaos, im normalen Sinne des Wortes, der kapitalistischen Weltwirtschaft peinlich sein. Eine offenbar naturwissenschaftliche Erklärung, die “beweist”, daß nichts anderes möglich sei, ist beruhigend und angenehm. Andererseits haben einige, die jahrelang die staatskapitalistischen stalinistischen Regimes als sozialistisch betrachteten und jetzt durch die rasende Geschwindigkeit, mit der diese Regimes zusammengebrochen sind, verwirrt sind, sich Hand die Chaostheorie gewandt, um ihr Hasten in die Arme der Anarchie und des Chaoses des Markts zu decken und zu rechtfertigen. [11]

Ich will nicht hier die Politik derjenigen diskutieren, die die Chaostheorie mißbrauchen. Andere haben sich anderswo mehr als ausreichend damit beschäftigt. [12] Was ich machen will, besteht darin, mich auf die Naturwissenschaft selbst zu konzentrieren sowie darauf, was sie uns über die Welt erzählt, in der wir leben. [13] Um das Argument möglichst zugänglich zu machen habe ich notwendigerweise einen großen Teil der Details über die Naturwissenschaft ausgelassen oder vereinfacht. Diejenigen, die sich dafür interessieren, die Sache detaillierter zu verfolgen, werden Hinweise in den Anmerkungen finden. [14] Es gibt eine Neigung zur Physik im Gegensatz zu den anderen Naturwissenschaften im Artikel. Teilweise entsteht das deswegen, weil meines Erachtens hier sind die wichtigsten Entwicklungen und Argumente konzentriert und am besten verstanden. aber teilweise widerspiegelt es meine eigene besondere Unwissenheit.

Also worum geht es mit der Chaostheorie? Um das zu verstehen, ist eine historische Perspektive notwendig.

 

 

Von Newton bis zum Laplaceschen Teufel

Der Anfangspunkt muß die naturwissenschaftliche Revolution des 16. und 17. Jahrhunderts sein, die mit Kopernikus, Brahe, Kepler und Galilei verbunden ist und die ihren Höhepunkt mit dem Werk des englischen Naturwissenschaftlers Isaac Newton erreicht. Die Newtonschen Bewegungs- und Gravitationsgesetze und die aus ihnen entstandene Weltanschauung haben die Naturwissenschaft seit jeher gestaltet. [15]

Newtons Vorstellungen fielen nicht einfach vom Himmel, noch entsprangen sie aus seinem Kopf als Ergebnis des sprichwörtlichen fallenden Apfels. Newton war ein naturwissenschaftliches Genie, aber er war auch ein Produkt der Gesellschaft, in der er lebte. Die Probleme, über die er nachdachte und auf die er arbeitete, waren diejenigen, die von einer Gesellschaft aufgeworfen worden waren, in der die Bourgeoisie ihren Reichtum und ihre Macht ausdehnte und dadurch die Weise verwandelte, wie die Menschen und die Natur aufeinander einwirkten. [16]

Der Trieb der Bourgeoisie zur Ausdehnung des Handels und der Produktion hieß, daß sie ein wesentliches [lebenswichtiges] Interesse daran hatte, die Naturwelt zu verstehen, zu lenken und auszubeuten. Dies lag hinter den großen naturwissenschaftlichen Durchbrüchen, die zu Newtons Werk führten und darauf folgten.

Was war das Wesen der Errungenschaft Newtons? Es gab drei Schlüsselpunkte. Erstens formulierte er allgemeine Bewegungsgesetze, Gesetze, die für alle Körper galten. Sie implizierten, daß, wenn man den Zustand von und die Kräfte zwischen einem Satz von Körpern zu einem Zeitpunkt wüßte, man ihr künftiges Verhalten für alle Zeiten Vorhersagen könnte. Ein einfacher Satz von Gesetzen [17] war ausreichend, um das Verhalten einer riesigen Reihen von anscheinend unterschiedlichen Erscheinungen zu erklären und vorherzusagen. Die Newtonschen Gesetze haben sich während der let zten 300 Jahre in der Praxis bewiesen und sind immer noch heute für die Naturwissenschaft unbedingt notwendig.

Zweitens entwickelte Newton sein Gravitationsgesetz. [18] Wiederum ist das Gesetz allgemeingültig. Jeder Körper im Universum gehorcht ihm. Zusammen mit seinen Bewegungsgesetzen heißt das Gravitationsgesetz daß die Bewegung der Planeten, und potentiell des gesamten Universums, sich verstehen und Vorhersagen ließe. [19]

Drittens half Newton bei der Entwicklung der Differential- und Integralrechnung. [20] Diese gaben Naturwissenschaftlern die Möglichkeit, ständige Änderung für das erste mal genau zu behandeln – z.B. Geschwindigkeit oder Beschleunigung. Wiederum war dies ein riesiger Schritt nach vorne und die Infinitesimalrechnung bleibt in fast jeder Naturwissenschaft heut von äußerster Bedeutung.

Newtons Werk und seine spätere Entwicklung führte zu einer Reihe atemberaubender Fortschritte in menschlichen Verständnis der Natur ohne Parallele in der früheren Geschichte. Die Bewegung von fallenden Körpern, von Geschossen, vom Mond und daher von den Gezeiten ließ sich jetzt vorhersagen, wie auch die Bewegung jedes anderen Körpers im Sonnensystem und später darüber hinaus. Neue Planeten (Uranus, Neptun und Pluto) wurden entdeckt, als Astronomen ihre Fernrohre darauf richteten, wo das Newtonsche Gesetz vorhersagte, daß es eine Planeten geben sollte, um die Bewegung der bekannten Planeten zu erklären. Nichts, schien es, war außerhalb der menschlichen Fähigkeit, zu verstehen und vorherzusagen. Sein Werk stellte den Höhepunkt einer Reihe von entscheidenden Fortschritten im menschlichen Verständnis der Natur. Und obwohl die newtonschen Gesetze jetzt durch andere abgelöst worden sind, die eine grundsätzliche Änderung in unserem Verständnis der Natur erfordern, sind sie immer noch gültig in einer breiten Vielfalt von Situationen und bleiben ein Riesenschritt nach vorne.

Die beeindruckenden Errungenschaften der Newtonschen Naturwissenschaft hatten eine tiefgreifende Auswirkung auf jeden Aspekt der Gesellschaft. Andere Naturwissenschaften betrachteten die Newtonsche Mechanik als Modell davon, was sie zu erreichen versuchen sollten, besonders die Vorstellung von einfachen allgemeingültigen Gesetzen, die eine breite Palette von angeblich völlig verschiedenen Erscheinungen. Philosophie, Musik, Kunst und Politik schauten auch auf die Newtonsche Naturwissenschaft. Das Werk von einflußreichen Denkern wie Locke und Kant zehrte beträchtlich davon. Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, die eine entscheidende Rolle in der weiteren Entwicklung der Naturwissenschaft und im Prozeß spielte, der seinen Höhepunkt in der Französischen Revolution erreichte, wurde zum großen Teil von der glorreich von der Newtonschen Naturwissenschaft bewiesenen Idee inspiriert, daß die Welt für die menschliche Vernunft verständlich sei.

In den ungefähr Hundert Jahren nach Newtons Tod wurden seine Theorien weiterentwickelt und verbessert von Gestalten wie Fermat, Maupertius, Euler, Lagrange und hamilton. Dieser Prozeß erreichte seinen Höhepunkt im Werk des französischen Naturwissenschaftlers Pierre Laplace während der frühen Jahre des 19. Jahrhunderts. Indem er auf der Arbeit aufbaute, daß während des vorigen Jahrhunderts gemacht wurde, löste er eine Reihe von wichtigen mathematischen Problemen in den newtonschen Theorien und effektiv Gott aus dem Bild verschob. “Ich habe kein Bedürfnis für diese Hypothese”, soll Laplaces Antwort auf Napoleon gewesen sein, der ihn über den Platz Gottes in seiner Theorie fragte. [21]

Laplace nahm die newtonsche Naturwissenschaft zu ihrer äußersten und logischen Schlußfolgerung. Die Newtonschen Gesetze sollten allgemeingültig sein, sie sind deterministisch und umkehrbar. Was heißt das? Allgemeingültig heißt, daß sie für alle Partikel der Materie im Universum gelten sollten. Wenn das so ist, sagen die Gesetze, daß die Bewegung jedes Partikels im Universum völlig von den ursprünglichen Bedingungen und von den aus anderen Partikeln entstehenden Kräften bestimmt. Die Implikation ist, daß jedes Ereignis im Universum bis hin zur kleinsten Bewegung des kleinsten Partikels in allen Details festgelegt werden müßte.

Das gelte für die Vergangenheit sowie für die Zukunft, weil die Gesetze in der Zeit umkehrbar sind. Das heißt nicht, daß die Zeit rückwärts läuft, sondern daß, die Bedingungen zu jedem Zeitpunkt und die wirkenden Kräfte vorausgesetzt, die Gesetze nicht bloß vorhersagen, was mit einem Partikel passieren wird, sondern auch erzählen, was ihm in der Vergangenheit geschehen ist. Also wenn die Masse, die Position, die Geschwindigkeit usw, einer Kugel hat, zeigen uns die Newtonschen Gesetze, nicht nur wo sie landen wird, sondern auch woher sie angefangen hat. Es gibt nichts in den Gesetzen, das zwischen Änderungen, die zeitlich vorwärts laufen, und Änderungen, die zeitlich rückwärts laufen, unterscheidet. Ein Film einer streng Newtonschen Welt, das man rückwärts spielt, würde gegen keine dieser Gesetze verstößen. Dieser Punkt mag unwichtig scheinen, aber er ist zum Verständnis späterer Entwicklungen und einiger der Schlüsselargumente heute absolut wesentlich.

Angesichts der Zahl der Partikel im Universum ist es uns absolut unmöglich, je die relevanten Kalkulationen durchführen zu können, aber das ändert nicht die unausweichliche Schlußfolgerung, daß wenn die Newtonsche Mechanik allgemeingültig und ausreichend ist, das Funktionieren der Natur zu erklären, dann ist alles – in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – bis ins kleinste Detail bestimmt. Laplace machte seine Schlußfolgerung in einer berühmten Erklärung deutlich, indem er eine hypothetische “Intelligenz” bzw. “Teufel” vorstellte:

Nehmen wir eine Intelligenz an, die zu jedem Augenblick eine Kenntnis aller Kräfte, die die Natur lenken, zusammen mit den augenblicklichen Zuständen aller Wesen, aus denen die Natur besteht, haben könnte. Wenn diese Intelligenz dazu mächtig genug wäre, diese gesamten Daten einer Analyse zu unterziehen, könnte sie in einer einzigen Formel die Bewegungen der größten Körper im Universum und diejenigen der leichtesten Atome umfassen; für sie wäre nichts unsicher; Die Zukunft und die Vergangenheit wären gleich anwesend für seine Augen. [22]

 

 

Determinismus, Umkehrbarkeit, Reduzierbarkeit und Nichtlinearität

Laplace stellt die extreme und einseitige Entwicklung eines massiven Fortschritts im naturwissenschaftlichen Verständnis der Natur. Die Laplacesche Weltanschauung ist eine von einem regelmäßigen, endlosen Welt wie ein Uhrwerk. Im Kern des Bildes sind vier Begriffe, die zum Verständnis späterer Entwicklungen zentral sind.

Der erste ist der Determinismus im schon erklärten Sinne. Naturwissenschaftliche Entwicklungen während der zwei Jahrhunderte seit Laplace haben diesen teilweise unterminiert. Der Aufstieg der Naturwissenschaft der Wärme – Thermodynamik – im Verlauf des 19. Jahrhunderts war der erste Schlag. Bei der Erklärung der Prozesse, die dem Fluß der Wärme zugrundeliegen, entdeckten Naturwissenschaftler Gesetze, die probabilistisch sind, sich auf Wahrscheinlichkeit und Zufälligkeit beruhen. Das paßt mit Unbehagen neben den Newtonschen Gesetzen, die angeblich zugrundeliegend, allgemeingültig und deterministisch sein sollten.

Naturwissenschaftler wie Maxwell, Gibbs und Boltzmann machten riesige Anstrengungen, um die beiden Arten von Gesetzen, die deterministischen und die probabilistischen, in Einklang zu bringen. Sie hatten einige Erfolge mit bestimmten Kategorien von Erscheinungen, aber riesige Probleme blieben immer noch. [23] Ludwig Boltzmann, der sich am meisten anstrengte, um die deterministischen Gesetze der Dynamik mit den probabilistischen Gesetzen der Thermodynamik in Einklang zu bringen, wurde 1906, so wie viele glauben, wegen der ungelösten Probleme zum Selbstmord getrieben.

Der Aufstieg der Quantenmechanik – die sich mit dem Verhalten der Materie im sehr kleinen, atomaren, Ausmaß befaßt – im ersten Viertel dieses Jahrhunderts versetzte dem Determinismus einen noch tiefergreifenden Schlag. [24] Das machte sie zweierlei. Erstens gab es das sogenannte Heisenbergsche Ungewißheitsprinzip. Im Grunde genommen sagt dies, daß man nicht gleichzeitig die genaue Position eines Partikels sowie seine Geschwindigkeit wissen kann. Je genauer man die eine weiß, desto größer die Ungewißheit bei der anderen. Es ist ein wohl etabliertes naturwissenschaftliches Gesetz, die man immer und immer wieder bestätigt hat. Wen man sich daran erinnert, daß die newtonschen Gesetze von der Kenntnis der ursprünglichen Position und Geschwindigkeit eines Partikels abhängen, so daß das künftige Verhalten des Partikels sich bestimmen läßt, sind die Konsequenzen des Heisenbergschen Prinzips für den Determinismus deutlich.

Zweitens ist die Quantenmechanik eine innewohnend probabilistische Theorie. Ihr grundsätzliches Gesetz, die Schrödingersche Gleichung, ist ebenso deterministisch wie alle Newtonschen. Aber die Quantitäten, die es beschreibt und bestimmt, sind die Wahrscheinlichkeiten, daß eine Messung auf einem bestimmten System ein bestimmtes Ergebnis haben werden. Quantenmechanik ist eine Theorie, die im sehr kleinen Ausmaß gilt, obwohl das nicht heißt, daß es keine Wirkungen im größeren Ausmaß hat. Das Textverarbeitungssystem, auf dem ich jetzt schreibe, hängt von der Anwendung der Quantenmechanik, um zu funktionieren. Die Theorie funktioniert jedoch so, daß im Ausmaß über einem bestimmten Niveau die “klassischen” Newtonschen Gesetze im allgemeinen gültig bleiben.

Das Ergebnis ist nichtdestotrotz eine Spannung zwischen den probabilistischen zugrundeliegenden Gesetzen der Quantenmechanik und den deterministischen Gesetzen der makroskopischen Welt.

Ein Punkt, den es zu betonen lohnt, ist, daß daß probabilistische Wesen der Gesetze der Quantenmechanik ist grundsätzlich und ganz anders als das probabilistische Ergebnis, wenn man z.B. eine Münze wirft. Beim Werfen einer Münze besteht das Problem in unserer Unwissenheit über die Anfangsbedingungen der Bewegung der Münze, darüber, wie hart und in welche Richtung wir sie Wirbeln gelassen haben. Wenn wir diese Faktoren messen sollten, könnten wir die Gewißheit das Ergebnis des Werfens einer Münze vorhersagen. In der Quantenmechanik ist das probabilistische Wesen der Gesetze grundsätzlich und nicht das Ergebnis unserer Mangel an wissen über die Anfangsbedingungen eines bestimmten Prozesses. [25]

Der zweite Begriff, der für die Probleme der Laplaceschen Weltanschauung zentral ist, ist die zeitliche Umkehrbarkeit. Wie früher beschrieben, sind die Gesetze der klassischen Dynamik streng zeitlich umkehrbar. Das Problem besteht darin, daß die meisten Prozesse in der Natur nicht in diesem Sinne umkehrbar, sondern eher unumkehrbar sind. Versuchen Sie das Milch aus Ihrem Kaffee zu rühren oder ein gebrochenes Ei wieder ganz zu machen, wenn Sie sehen wollen, was ich meine.

Das 19. Jahrhundert zeugte die Entwicklung von genauen Branchen der Naturwissenschaft, deren Gesetze sehr definitiv unumkehrbar sind. Die Thermodynamik, die schon in Verbindung mit dem Determinismus erwähnt wurde, ist ein deutliches Beispiel. Die Wärme fließt von warmen zu kalten Stellen, nie – sich selbst überlassen – in die andere Richtung. [26] Das berühmte Zweite Gesetz der Thermodynamik macht genau den Begriff, daß bestimmte Prozesse in der Natur sich nur in eine Richtung bewegen. [27]

Ein anderes Beispiel von unumkehrbaren Prozessen in der Naturwissenschaft ist die Darwinsche Evolutionstheorie, die sich mit Änderung in eine bestimmte Richtung befaßt. In diesem Fall gibt es ein anderes Problem, da bis vor kurzem, man dachte, daß die unumkehrbaren Prozesse in der Thermodynamik, grob gesagt, unvermeidlich zu größerer Gleichmäßigkeit und Unordnung führten, während die Änderung in der Evolution in Richtung größerer Komplexität und größerer Ordnung führt. [28]

Der dritte Schlüsselbegriff, der mit den Problemen verbunden ist, auf die man beim Determinismus sowie bei der Unumkehrbarkeit angedeutet hat, ist die Reduzierbarkeit. Die Laplaceschen Weltanschauung ist eine, worin man alle Naturerscheinungen und -gesetze auf das Funktionieren der zugrundeliegenden Gesetze reduzieren können sollte – man soll sich hier am Laplaceschen Teufel [Dämon] erinnern. Für eine lange Zeit war das die Meinung der meisten Naturwissenschaftler.

Aber es gibt ein unmittelbares Problem, wenn man die Existenz von unumkehrbaren und probabilistischen Prozessen und Gesetzen in der Natur voraussetzt. Wie können probabilistische Gesetze mit deterministischen Gesetzen vereinbar sein, geschweige davon zu sprechen, wie sie sich auf solche Gesetze reduzieren lassen, oder wie kann man unumkehrbare und umkehrbare Gesetze in Einklang miteinander bringen?

Das letzte Gebiet, worauf man schauen sollte, ist die Frage der Nichtlinearität. Die newtonschen Gesetze und ihre weitere Entwicklung durch Menschen wie Laplace waren höchst erfolgreich hauptsächlich deswegen, weil sie auf eine Reihe von relativ einfachen Problemen verwendet wurden. Im Vergleich mit der vorhergehenden Zeit war die breite der Erscheinungen, mit denen sie sich befaßten, riesig. Nichtsdestoweniger ließen sich in Wahrheit die Mehrheit der wirklichen Erscheinungen bestenfalls nur durch Annäherungen befassen. Gleichungen, die bestimmte Erscheinungen beschrieben, ließen sich oft niederschreiben, sie zu lösen, war aber eine ganz andere Sache.

Im Kern des Problems waren die mathematischen Begriffe Linearität und Nichtlinearität. Die technischen Details sind hier nicht wichtig. Der entscheidende Aspekt ist, daß in einem Satz von linearen Gleichungen, wenn man eine Lösung einer anderen hinzufügt, man eine dritte Lösung erzeugt. Das läßt uns sehr komplexes Verhalten als die einfache Summierung von grundsätzlicheren einfachen Verhaltensmustern verstehen. So z.B. lassen sich sehr komplexe Wellenbewegungen wie die einiger musikalischen Klangwellen oder Vibrationen in einem Flugzeug als die einfache Summierung eines Satzes von sehr einfachen Wellenbewegungen verstehen. Ein lineares System ist eins, worin das Ganze der Summe der Teile gleich ist. Die überwiegende Mehrheit der Physik der letzten drei Jahrhunderte hat sich mit solchen linearen Systemen befaßt. Auch die Quantenmechanik, die viele grundsätzliche Aspekte der Newtonschen Naturwissenschaft radikal änderte, ist eine lineare Theorie (aber nicht die allgemeine Relativität).

Nichtlineare Gleichungen sind jedoch viel schwieriger zu behandeln. Sie haben nicht die einfache zusätzliche Eigenschaft der linearen Systeme. Aus diesem Grund sind sie mathematisch sehr schwierig zu behandeln, und aus demselben Grund haben Naturwissenschaftler jede Menge Zeit mit dem Versuch verbracht, Problem zu vermeiden, in denen sie auftauchen. Nichtlineare Systeme führen zu hoch komplexes Verhalten, das sich nicht als einfache kombinierte Wirkung einfachere Verhaltensmuster verstehen läßt. Nichtlineare Systeme sind Systeme, worin das Ganze ganz anders ist als die Summe der Teile.

Das Problem ist, daß viele, wenn nicht die meisten, Naturerscheinungen anscheinend nichtlinear sind. Erst vor kurzem ist es überhaupt möglich geworden, solche nichtlinearen Erscheinungen in irgendeiner wirklich systematischen Weise zu behandeln, besonders als Ergebnis der Entwicklung von schnellen modernen Computern. Wiederum ist dies ein Schlüsselelement in der Entwicklung der Chaostheorie.

 

 

Die Dynamik der naturwissenschaftlichen Entwicklung

Wie aus den oben zitierten Beispielen deutlich sein sollte, hat es seit der Newtonschen Revolution in der Naturwissenschaft eine ganze Reiche von größeren naturwissenschaftlichen Entwicklungen gegeben.

Als man neue Erscheinungen der wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen hat, hat man neue Gesetze entdeckt. Diese sind oft in angeblichem Gegensatz zu schon etablierten Gesetzen gewesen. Manchmal sind die Probleme durch neue Entwicklungen gelöst worden, die anscheinend gegensätzlichen Gesetze vereinigen und miteinander in Einklang bringen, indem sie über sie hinaus zu einem neuen tieferen Verständnis der Natur gehen.

Das Wesen des Lichts z.B. war das Thema für Argumente Jahrhunderte lang. Newton sagte, es lasse sich als eine Reihe von Partikeln erklären. Dann zeigten 1802 Experimente von Thomas Young, daß das Licht auch sich wie eine Welle verhalte. Das Problem wurde erst mit der Entwicklung der Quantenmechanik in diesem Jahrhundert gelöst.

Wiederum wurde eine verwirrende Vielfalt von anscheinend unterschiedlichen Gesetzen und Erscheinungen in der Mechanik, der Wärme, der Elektrizität und der Chemie Mitte des 19. Jahrhunderts vereinigt mit der Entwicklung der Vorstellung Energie und des Gesetzes über die Konservierung der Energie. Oder wiederum waren die Gesetze des Elektromagnetismus, die in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwickelt wurden, mit der Newtonschen Dynamik unvereinbar. Gerade die erfolgreiche Lösung dieses Gegensatzes ließ Einsteins Relativitätstheorie am Anfang dieses Jahrhunderts entstehen.

Die Gegensätze sind jedoch nicht immer erfolgreich gelöst worden und auch dann, als sie gelöst worden sind, sind neue bald entstanden. Zum Beispiel, die beiden Pfeiler der modernen Physik – einerseits die allgemeine Relativität, die sich mit der Struktur der Gravitation, des Raums, der Zeit und der Materie im großen Ausmaß beschäftigt, und andererseits die Quantenmechanik, die sich mit der Struktur der Materie im kleinen Ausmaß beschäftigt und alle anderen grundsätzlichen Kräfte in der Natur außer der Gravitation erklärt – sind unvereinbar. Eine riesige Menge Arbeit ist eingesetzt worden im Versuch, diesen Gegensatz zu lösen mit bisher nur beschränktem [bescheidenem] Erfolg. [29] Hinter dieser Dynamik der naturwissenschaftlichen Entwicklung liegen zwei grundliegende und miteinander verbundene Prozesse. Ersten ist in der kapitalistischen Gesellschaft der Antrieb dazu, das menschliche Verständnis der Natur zu vergrößern und auszudehnen, ständig, obwohl in der verdrehten Form des Antriebs dazu, den Profit auf Kosten der Konkurrenten aufrechtzuerhalten und zu vergrößern. Marx und Engels stellten es im Kommunistischen Manifest scharf: “Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente ... fortwährend zu revolutionieren.” [30] Sie schauten darauf, was dies bis Mitte des 19. Jahrhunderts erreicht hatte und fuhren fort:

Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen. Unterjochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschiffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiffbarmachung der Flüsse ... [31]

Der Akkumulationsantrieb der herrschenden Klasse unterliegt, ja sogar benötigt, einen Antrieb dazu, ein naturwissenschaftliches Verständnis der Natur auszudehnen und zu verbessern. Die Tatsache, daß die Triebkraft die Suche nach Profit ist, gestaltet entscheidend die Forschungsgebiete und die gestellten Fragen, beeinflußt aber nicht die Wahrheit der dadurch entwickelten Naturwissenschaft. Um den Zweck zu dienen, den die herrschende Klasse will, muß die Naturwissenschaft funktionieren. [32] Das Ergebnis ist eine riesige Zunahme des menschlichen Verständnisses der Natur, als der Kapitalismus sich über die Welt ausgebreitet und sie verwandelt hat.

Das heißt überhaupt nicht, daß Naturwissenschaftler bewußt arbeiten, um den Profit der Bosse zu maximieren – obwohl in einigen Fällen das zweifelsohne stimmt. Vielmehr werden die aufgeworfenen Probleme, auf denen sie arbeiten, von der Gesellschaft, in der sie leben, gestaltet und bestimmt, und diese Gesellschaft ist eine, in der die grundsätzliche Triebkraft die Akkumulation auf der Suche nach Profit ist.

Ein anschauliches Beispiel ist die schon erwähnte Entwicklung der Naturwissenschaft Thermodynamik. Sie wurde entwickelt als unmittelbare Reaktion auf den Bedarf, die Dampfmaschine zu verstehen und zu verbessern, die eine Schlüsselrolle in der industriellen Revolution Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts spielen sollte. Sadi Carnot, der Begründer der Naturwissenschaft Thermodynamik, gab offen zu, daß die Naturwissenschaft als Reaktion auf die Bedürfnisse dieser Praxis kam. [33] “Die rasche Verbreitung der britischen Dampfmaschine erzeugte ein neues Interesse an der mechanischen Wirkung der Wärme.” Die Thermodynamik wurde “aus diesem Interesse geboren”, so lautet die Ansicht eines angesehenen modernen Thermodynamiker. [34]

Gleichermaßen aber hat die Naturwissenschaft eine eigene Logik, die, auch wenn sie sich nicht völlig erklären läßt. ohne daß man sie im Zusammenhang mit der Entwicklung des Kapitalismus stellt, sich nicht einfach darauf reduzieren läßt. Die inneren Probleme und Gegensätze [Widersprüche] von bestimmten Branchen der Naturwissenschaft, und zwischen ihnen, spielen auch eine äußerst wichtige Rolle in der Entwicklung der Naturwissenschaft. Aber um den allgemeinen Verlauf der Entwicklung zu verstehen, sind die von mir beschriebenen Prozesse zentral.

Ein drittes Merkmal der historischen Entwicklung der Naturwissenschaft, und eins, das für das Verständnis der Chaostheorie wichtig ist, ist die Tendenz dazu, daß die Naturwissenschaft unter dem Kapitalismus sich in enge, spezialisierte Fächern aufgliedert [aufsplittert]. Zu einem bestimmten Ausmaß ist dies unvermeidlich, wenn man die enorme Ausdehnung der Palette der Erscheinung, die in den letzten paar Jahrhunderten der naturwissenschaftlichen Untersuchung unterworfen worden sind. Sie hat auch ihren nutzen, indem sie ermöglicht, raschen Fortschritt in bestimmten Gebieten zu machen.

Diese Tendenz zu Aufsplitterung der Naturwissenschaft hat seit dem Zweiten Weltkrieg deutlich zugenommen. Die Naturwissenschaft wird zunehmend “industrialisiert”, wobei die meisten Naturwissenschaftler auf hoch spezialisierten, engen Problemen arbeiten innerhalb irgendwelcher großen Einrichtung, über deren Prioritäten sie wenig oder keine Kontrolle haben – ob in der Universität, in einer Regierungsstelle oder in einer multinationalen Firma.

Ein Preis wird jedoch dafür bezahlt, indem es allzu leicht für Naturwissenschaftler ist, ein Gesamtverständnis völlig aus den Augen zu verlieren. Die Verbindungen und Verhältnisse zwischen verschiedenen Branchen der Naturwissenschaft und das Gesamtbild lassen sich durch die enge Brille der Spezialisierung verpassen. [35]

Einer der Interessanten Aspekte der Entwicklung der Chaostheorie ist die Tatsache, daß zum großen Teil sie entwickelt wurde von Menschen, die sich von dieser Art der Aufsplitterung befreiten, dadurch, daß Naturwissenschaftler –ob bewußt oder nicht – die Verbindungen zwischen verschiedenen Branchen der Naturwissenschaft suchten und versuchten, das Gesamtbild, eher als bloß einen Teil davon zu verstehen.

 

 

Chaos [36]

Die Chaostheorie datiert eigentlich zu den 1960er Jahren zurück. Einige Elemente davon waren schon früher diskutiert worden. Der französische Mathematiker Henri Poincaré machte einige bahnbrechende Untersuchungen zur Jahrhundertwende, aber bis in die 1960er Jahre hatte man nur wenige systematische Arbeit gemacht.

Ein schlüsselschritt wurde von Edward Lorenz gemacht, der mit einfachen Modellen des Wetters der Erde beim Massachusetts Institute of Technology Anfang der 1960er Jahre arbeitete. Er benutzte einen Computer und einen einfachen Satz von streng deterministischen Gleichungen im Versuch die Anfänge eines Verständnisses des Wetters zu erreichen. Der beginn dieser Art Anwendung von schnellen Computern in den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg war und bleibt zentral zur ganzen Entwicklung der Chaostheorie.

Was er herausfand, ist als das Schmetterlingseffekt popularisiert worden. Anstatt des erwarteten Ergebnisses, daß zwei engen Anfangspunkten mehr oder weniger zur selben Art künftiger Entwicklung führen sollte, wie Lorenz und fast jeder andere Naturwissenschaftler jener Zeit erwartet hätte, konnten sie zu enorm unterschiedlichen und unvorhersehbaren Verhaltensweisen in der Zukunft führen. Egal wie eng zusammen er die beiden Anfangspunkten setzte, passierte dasselbe. Der winzigste Unterschied bei den anfänglichen Bedingungen konnte zu riesigen und unvorhersehbaren Unterschieden beim Ergebnis führen.

Lorenz’ Arbeit hat man seitdem entwickelt und verallgemeinert und man hat herausgefunden, daß es eine ziemlich typische Eigenschaft von nichtlinearen Systemen ist. Das Ergebnis ist ein Verständnis von zwei Sachen. Erstens erzeugen in vielen fällen anscheinend einfache deterministische Gesetze außerordentlich kompliziertes Verhalten, das sehr empfindlich auf anfänglichen Bedingungen ist – ein verallgemeinertes Schmetterlingseffekt.

Dies ist nicht ein Ergebnis unserer Unwissenheit über die anfänglichen Bedingungen noch eines Versäumnisses, sie genau zu messen. Einige Systeme sind auf anfänglichen Bedingungen so empfindlich, daß, egal wie nah zwei Anfangspunkten zusammen sein können, ihr künftiges Verhalten immer noch zu irgendeinem Punkt heftig auseinandergehen. Diese Vorstellung läßt sich rigoros mathematisch machen.

Zweitens ergibt sich, daß das Verhalten solcher chaotischen Systeme sich nicht vorhersagen läßt außer sehr kurzfristig – wiederum läßt sich dies mathematisch rigoros machen. Was heißt es? Man kann, bestimmte Bedingungen vorausgesetzt, z.B. die Bewegung eines Satelliten Jahre im voraus in ein paar Minuten vorhersagen, indem man einige einfache deterministische aus den Newtonschen Gesetzen abgeleiteten Gleichungen löst. Das Satellit wird mehr oder weniger dieselbe Bewegung oder Laufbahn immer und immer wieder wiederholen. Wenn man einmal das Verhalten für eine Laufbahn ausgearbeitet hat, kann man vorhersagen, wie es sich danach verhalten wird. Es wird einfach dieselbe oder eine sehr ähnliche Bewegung wiederholen. Schlimmstenfalls müßte man vielleicht einige langfristige Wirkung in Betracht ziehen, die langsam, aber vorhersagbar und relativ geschmeidig die Laufbahn modifizieren.

In chaotischen Systemen ist jedoch diese Art Vorhersage nicht möglich. Die zugrundeliegenden Gleichungen sind immer noch streng deterministisch und lassen sich oft aus den Newtonschen Gesetzen ableiten. Aber die einzige Weise, wie man sehen kann, wie das künftige Verhalten Aussehen wird, ist darauf zu warten und dann zu sehen – ob in der wirklichen Welt oder auf einem Computermodell. Das Problem besteht darin , daß die Bewegung sich nie zu irgendeinem Punkt genau wiederholt. Um herauszufinden, was passiert, muß man, im übertragenen Sinne, mitfahren. anders als in nichtchaotischen Systemen hilft das Verhalten in der Vergangenheit nicht sehr viel, um anzudeuten, was in der Zukunft passieren wird.

Es lohnt sich, hier zwei weitere Punkte zu machen. Der erste betrifft das Schmetterlingseffekt. Der Punkt besteht nicht darin, daß das metapherische Schlagen der Flügel des Schmetterlings die Ursache des Orkans ist. Es besteht vielmehr darin, daß unter bestimmten Bedingungen eine kleine quantitative Änderung in der Gesamtheit der Ursachen qualitativ unterschiedliche künftige Verhaltensweisen verursachen kann. Viele Schriftsteller und Naturwissenschaftler haben sich in philosophischen Widersprüchen verwickelt im Versuch, damit zurechtzukommen. Er ist jedoch kaum eine neue bzw. revolutionäre Vorstellung, auch wenn seine genaue mathematische Formulierung in dynamischen Systemen so ist. Eine Anzahl von altgriechischen Philosophen, geschweige denn Hegel oder eigentlich auch Marx und Engels zu erwähnen, wäre überhaupt nicht darüber besorgt bzw. überrascht, daß die Natur diese Art Verhalten zeigen sollte. Solches Verhalten kennt man seit langem auch gut in vielen Branchen der Physik. Beispiele schließen Kritischer-Punkt-Erscheinungen und Phasenwandlungen (wie das Frieren von Wasser), wobei zu einem bestimmten Punkt quantitative Änderung in qualitative Änderung umschlägt.

Zweitens sagt Chaostheorie nicht einfach, daß Erscheinunven einer bestimmten Art unglaublich empfindlich auf anfänglichen Bedingungen sind und eine innewohnende Unvorhersagbarkeit haben. Gerade die einseitige Darstellung der Theorie in dieser Form eröffnet die Tür für diejenigen, die versuchen sie anzuwenden, um einen Rückzug weg von der Möglichkeit des Verständnisses und der Kontrolle über die Natur – und daher, laustet das Argument, über die Gesellschaft – zu rechtfertigen.

Der Punkt ist jedoch, daß die Mehrheit der Systeme, die chaotisches Verhalten zeigen, entweder nicht vorher von Naturwissenschaftlern untersucht oder, wenn sie untersucht wurden, nicht verstanden wurden. Chaostheorie hat jetzt angefangen, zu zeigen, daß man solche Erscheinungen nicht verstehen kann in der Weise, wie man regelmäßigeres, nichtchaotisches Verhalten verstehen kann. Aber es heißt nicht, daß wir überhaupt nichts über solches chaotisches Verhalten sagen können.

Erstens zeigen viele Systeme sowohl regelmäßiges, vorhersagbares als auch chaotisches, unvorhersagbares Verhalten. Es hat riesige Entwicklungen im Verständnis gegeben, wie das regelmäßige geordnete Verhalten unter bestimmten Bedingungen zusammenbrechen und das chaotische Verhalten erzeugen kann. Das ist an sich ein riesiger Fortschritt in unserem Verständnis der Natur. Die Ansätze eines Verständnisse der Weise, wie Turbulenz in Flüssigkeiten anfängt, wären etwas, daß die besten Anstrengungen der Naturwissenschaftler bislang niedergeschlagen hat.

Aber das ist nicht alles. Während detaillierte Vorhersagen darüber, was mit z.B. einem einzigen Partikel in einer “chaotischen” Laufbahn passieren wird, unmöglich sind, ist chaotisches verhalten nicht ganz so “chaotisch”, wie sein Name deutet. Die chaotische Bewegung ist hofften beschränkt – sie kann nicht über bestimmte Grenzen hinausgehen. Im Falle des Wetters deutet Chaostheorie an, daß, während es wahrscheinlich nie möglich wird vorherzusagen, ob es Regen oder Sonnenschein in London an einem bestimmten Tag in sechs Monaten geben wird – im Gegensatz z.B. zur Lage in drei Tagen – es könnte sehr wohl der Fall sein, daß es möglich wird, zu sagen, daß das Wetter nicht über bestimmte Grenzen hinausgehen könne. [37]

Mit anderen Worten, das qualitative allgemeine Verhalten von Systemen, über die vorher nur wenig gesagt werden konnte, lassen sich, oder lassen sich mindestens potentiell, verstehen. Einige Leser haben vielleicht die oft blendend schönen mit Computern erzeugten Bilder, die in Büchern über Chaos verstreut sind. Viele davon sind “Fraktale” bzw. “seltsame Attraktoren (?)”. Sie veranschaulichen die komplexe und schöne Ordnung, die chaotisches Verhalten zugrundeliegen kann. [38]

Chaostheorie hat sich während der letzten paar Jahrzehnten mit halsbrecherischer Geschwindigkeit zu einem der “heißesten” Gebiete der modernen Naturwissenschaft entwickelt. Und sie hat das zum großen Teil gemacht, indem sie die Grenzen zwischen den verschiedenen Branchen der Naturwissenschaft durchbrochen hat. Heute verbindet sie Naturwissenschaftler und Ergebnisse von den “reinsten” Bereichen der Mathematik – wie Zahlentheorie und Topologie – bis zu den meisten Branchen der Physik, der Chemie, der Biologie und der Medizin zusammen.Die Naturwissenschaftler, die in der Chaostheorie arbeiten, sind aus einer riesigen Vielfalt von verschiedenen Hintergründen und Disziplinen zusammengekommen. Ihre Versuche, sich mit den bestimmten spezialisierten Problemen zurechtzukommen, die sie behandelten, zwang sie dazu, aus diesen spezialisierten Abteilungen auszubrechen.

Obwohl immer noch in ihren Anfangsstadien hat die Chaostheorie schon auf die Möglichkeit von wirklichen Fortschritten im menschlichen Verständnis und Kontrolle über die Natur angedeutet und verspricht viel mehr. Sie verspricht, neues Licht auf die Erscheinungen der Turbulenz in Flüssigkeiten zu werfen – bislang wurde dieser Bereich wenig verstanden, obwohl es ernsthafte Folgen für Schiffe, Flugzeuge, Ölfördertürme und jede Menge anderer Geräte hat. In der Medizin verspricht sie, daß das Flimmern des Herzens – wo es plötzlich von regelmäßigen Schlägen zu unbeherrschbaren Schwankungen übergeht, oft mit tödlichen Folgen – sich durch die Entwicklung der Chaostheorie besser verstehen und potentiell unter Kontrolle halten läßt. Die angeblich bizarren “Fraktale”, die man im chaotischen Verhalten findet, sind schon angewendet worden, um bewegende Bilder durch einfachen Telefonleitungen zu übertragen. Es gibt viele andere Beispiele.

Kurz gesagt, Chaostheorie ist ein Fortschritt in unserem Verständnis der Natur, nicht ein Rückzug davon. Selbstverständlich, wenn wir damit anfangen, uns mit früher nicht verstandenen Gebieten der Natur auseinandersetzen und sie zu verstehen, passen die alten Vorstellungen, wie sie früher paßten. Das sollte jedoch keine Überraschung sein für jemanden, der sogar ein oberflächliches Wissen über die Geschichte der Naturwissenschaft hat. Insbesondere deutet die Chaostheorie darauf hin, daß die uralte Trennung zwischen einerseits deterministischem und andererseits unvorhersagbarem, zufälligem Verhalten nicht mehr gilt. Die beiden Vorstellungen, die anscheinend gegenseitig ausschließend und gegensätzlich seien, muß man jetzt als zwei Seiten derselben Wirklichkeit sehen. Das tiefere Verständnis der Natur, die jetzt von der modernen Naturwissenschaft entwickelt wird, zeigt, daß Erscheinungen sowohl deterministisch als auch gleichzeitig unvorhersagbar und zufällig sein können.

Diese Art Entwicklung, worin Begriffe und Erscheinungen, die anscheinend im Gegensatz zueinander stünden, mit der Entwicklung der Naturwissenschaft als verbundene Seiten einer zugrundeliegenden vereinigten Wirklichkeit gezeigt werden, ist nichts Neues. Seit Jahrhunderten dachte man, es gebe Wellen in der Natur und es gebe auch Partikeln – wobei die beiden ganz verschieden seien. Mit der Quantenmechanik kam das Verständnis, daß die beiden einfach verschiedene Seiten einer vereinigten Wirklichkeit sind – jedes materielle Objekt ist Partikel sowie Welle. Bewegung oder Energie wurde lange als etwas betrachtet, das anderweitig passiver Masse oder Materie vermacht wurde. Einsteins spezielle Relativität und seine berühmte Gleichung e = mc2 zeigten, daß in einem sehr grundsätzlichen Sinne die Materie Bewegung oder Energie ist und umgekehrt. Sie zeigte auch, daß Raum und Zeit dynamisch verwandt sind.

Bis zu diesem Jahrhundert wurden Materie und Raum und Zeit als getrennt betrachtet. Die Materie bewegte sich über die passive Bühne der Zeit und des Raums. Mit der Entwicklung der allgemeinen Relativität verstehen wir jetzt, daß Raum, Zeit und Materie dynamisch miteinander verwandt. Die Materie gestaltet und bestimmt in einem grundsätzlichen Sinne Raum und Zeit. Auch die einfache Vorstellung des “leeren Raums”, der Leere, gilt nicht mehr. Die Quantenmechanik sagt vorher, und es ist bewiesen worden, daß Partikel spontan aus der Leere entstehen können, die selbst mit Energie sprudelt.

Diese Vorstellungen, obwohl sie anscheinend früher bewährte Vorstellungen unterminieren, sind keine Vorstellungen, die für Marxisten Sorgen bereiten sollten. Lenin, der am Anfang dieses Jahrhunderts über die riesige Umwälzung der Naturwissenschaft, die damals bloß am Anfang war, faßte es gut zusammen und in einer Weise, die immer noch heute gilt:

Es verschwindet jene Grenze, bis zu welcher wir die Materie bisher kannten, unser Wissen dringt tiefer, es verschwinden solche Eigenschaften der Materie, die früher als absolut, unveränderlich und ursprünglich gegolten haben ... und die sich nunmehr als relativ, nur einigen Zuständen der Materie eigen erwiesen. Denn die einzige “Eigenschaft” der Materie, an deren Anerkennung der philosophische Materialismus gebunden ist, ist die Eigenschaft, objektive Realität zu sein, außerhalb unseres Bewußtseins zu existieren. [39]

 

 

Ordnung aus dem Chaos

Eine der aufregendsten Sachen in der Entwicklung der Chaostheorie ist, daß es scheint, als ob einige überraschend einfache allgemeine Gesetze einer ganzen Palette von anscheinend unterschiedlichen chaotischen Verhaltensweisen zugrundeliegen. Ein großer Teil dieser Arbeit ist immer noch in den Anfangsstadien, aber sie verspricht, einen riesigen Schritt nach vorne zu sein. Das spektakulärste Beispiel bis dato fließt aus der Arbeit des US-amerikanischen Naturwissenschaftlers Mitchell Feigenbaum Mitte der 1970er Jahre. Im wesentlichen zeigt dies, daß in einer breiten Klasse von Systemen, die zu bestimmten Zeitpunkten Verwandlungen von regelmäßigem, vorhersagbarem Verhalten zu umregelmäßigem, unvorhersagbarem Verhalten erfahren, der Prozeß der Verwandlung einen allgemeinen Charakter hat. Derselbe “Weg zum Chaos”, dieselben zahlen, dieselben Gesetze tauchen immer wieder in völlig unterschiedlichen Situationen auf.

Das letzte Gebiet, daß ich anschauen will, betrifft die Frage der Umkehrbarkeit und der Reduzierbarkeit, die ich früher erwähnt habe. Die Arbeit von vielen Naturwissenschaftlern, vor allem die des belgischen Nobelpreisträgers Ilya Progogine und seiner Mitarbeiter, hat auf die Ansätze einer Weise hingedeutet, wie man die früher beschriebenen Schwierigkeiten mit diesen Vorstellungen lösen könne.

Die Details gehen über den Rahmen dieses Artikels hinaus [40], aber es lohnt sich, die Schlüsselpunkte zu beschreiben. Es scheint, daß bestimmte Systeme in der Natur nicht nur eine Wandlung von regelmäßigem, geordneten Verhalten zu chaotischem, unvorhersagbarem Verhalten erfahren, sondern auch daß unter bestimmten Bedingungen aus dem Chaos neue höhere Formen des geordneten Verhaltens entstehen können.

Um diesen Punkt zu veranschaulichen, findet folgender einfacher Fall der spontanen Entstehung neuer Formen der Ordnung, hier nicht aus dem Chaos, beim Beginn der Konfektion statt, wenn man eine Flüssigkeit wie Wasser anheizt. Zuerst steigt die Wärme durch das Wasser durch Konduktion. Zu einem bestimmten kritischen Punkt jedoch und unter bestimmten Bedingungen wechseln sich Millionen von Molekülen zu einer zusammengeschlossenen Bewegung im großen Ausmaß – nach molekularen Maßstäben – in sechseckigen Konvektionszellen um, die als Bénard-Zellen bekannt sind.

Es scheint, daß in Systemen, die ausreichend komplex sind, gewöhnlich in jenen, wo es eine dynamische Wechselwirkung zwischen einem System und seiner Umgebung gibt (im Gegensatz zu den beliebten “isolierten” Systemen eines großen Teils der klassischen Naturwissenschaft), die spontane Entstehung einer neuen Ordnung aus oft vorher chaotischem Verhalten typisch sein könnte.

Es scheint auch, daß die Gesetze, die die neu entstehende Ordnung in dieser Situation regeln, oft nicht auf diejenigen reduzierbar sind, die die Dynamik des früheren Zustands regeln. Man kann z.B. unumkehrbaren Gesetze und Verhalten bekommen, die aus Systemen entstehen, die von zugrundeliegenden umkehrbaren Gesetzen geregelt werden.

Wiederum ist ein großer Teil dieser Arbeit verhältnismäßig neu, aber sie deutet den Weg zur Möglichkeit eines tieferen naturwissenschaftlichen Verständnisses der Natur hin: ein Verständnis, wo wir anfangen können, zu begreifen, wie verschiedene Ebenen und Seiten der Natur Verhalten und Gesetze haben können, die, während sie auf grundsätzlicheren tiefer liegenden Gesetzen entstehen, sich nicht einfach auf diese Gesetze reduzieren lassen. So z.B. können wir damit anfangen, genau zu verstehen, wie die Gesetze der Molekularbiologie aus denen der Physik ableiten, aber sich nicht auf Hais reduzieren lassen. Sie verspricht, ein Verständnis der materiellen Welt zu sein, wo die Materie selbst in ihrer dynamischen Wechselwirkungen dazu ist, sowohl Chaos als auch Ordnung herzustellen. Und vor allem verspricht sie, eine Vorstellung der Natur zu sein, in der wir die Ansätze einer viel detaillierteren Erklärung als vorher finden können, wie das Leben, wir selbst und das Bewußtsein die Schöpfung der materiellen Naturwelt selbst sind – aber eine Schöpfung, die sich nicht einfach auf die Gesetze reduzieren läßt, die niedere Formen der Selbstorganisation der Materie regeln. [41]

 

 

Dialektik oder Mystizismus

In der Entwicklung der naturwissenschaftlichen Theorien, die ich hier zu beschreiben versuchte, gibt es zwei Tendenzen, die sich unter vielen der beteiligten Naturwissenschaftler zeigen. Als sie damit anfangen, aus engen spezialisierten Abteilungen ausbrechen und die Verbindungen zwischen verschiedenen Seiten unseres Verständnisses der Natur zu sehen, fangen viele Naturwissenschaftler an, dialektisch zu denken.

Damit meine ich nicht eine Ablehnung der formellen Logik, sondern eher eine Anerkennung, daß deswegen, weil jeder Aspekt der Welt einschließlich der Natur ständige Änderung und Entwicklung erfährt, die festen statischen Kategorien der formellen Logik nicht ausreichen. Die Dialektik ist eine Kritik der Beschränkungen dieser statischen Kategorien bei vollen Begreifen einer dynamischen, sich entwickelnden Welt.

Die Naturwissenschaft selbst neigt dazu, Naturwissenschaftler in diese Richtung zu drängen, egal was ihre ideologische Neigung ist. Dies sollte von der obigen Diskussion klar sein. Wenn Naturwissenschaftler herauszufinden anfangen, daß in der Natur quantitative Änderung sich zu bestimmten Punkten zur qualitativen Änderung verwandeln läßt, wenn sie herausfinden, daß anscheinend unterschiedliche und gegensätzliche Erscheinungen und Vorstellungen in Wirklichkeit verschiedene Aspekte einer tiefer liegenden Wahrheit sind, wenn sie herausfinden, daß die Ordnung sich in Chaos auflösen kann, aber aus dem Chaos neue höhere Formen der Ordnung auch entstehen können, ist die Tendenz zum dialektischen Denken kaum eine Überraschung und wenige echte Marxisten werden darüber schockiert.

Vor allem ist das Verständnis, die heute von der Naturwissenschaft entwickelt Wird, eins, in dem die Natur historisch ist, sich entwickelt und verändert hat. In einem Sinne stimmt das offenkundig. Die Sonne, die Erde, das Leben und die Menschen haben sich in und aus der Natur im Verlauf der Zeit entwickelt. Das klarste Beispiel besteht in den grundsätzlichen Kräfte der Natur selbst – die elektromagnetische, die schwache nukleare und die starke nukleare (die Gravitation ist noch nicht ins Verständnis integriert worden). Sie waren eine einzige Kraft während der frühen Etappen der Entwicklung des Universums. Als die Natur sich entwickelte wurde die Einheit gebrochen und die unterschiedlichen Kräfte, die wir heute beobachten, entstanden. [42]

Einige könnten den Einwand erheben, das die in den letzten Absätzen skizzierte dialektische Struktur der Natur rein in unserem Verständnis der Natur, in unseren Theorien, Vorstellungen und Modellen liegt, und nicht in der Natur selbst. Es stimmt sicherlich, daß sie in unseren Ideen ist. Und es stimmt ebenso, daß unser Verständnis der Natur, wie das menschliche Denken im allgemeinen, nicht eine einfache Widerspiegelung der materiellen Welt, nicht mit ihr identisch ist.

Zwei Punkte muß man jedoch machen. Erstens z.B. würden wenige Naturwissenschaftler, wenn man sie drängt, bestreiten, daß zu bestimmten Punkten quantitative Änderung qualitative Wandlungen in der Natur selbst erzeugt, nicht bloß in unserem Verständnis der Natur. Wiederum gilt dasselbe für die Tatsache, daß anscheinend unterschiedliche und gegensätzliche Erscheinungen, Aspekte der Natur als sich vereinigt herausstellen. Wirkliche materielle Gegenstände z.B. sind sowohl Partiellen als auch Wellen – und nicht bloß in unseren Köpfen. Wiederum erzeugt die Natur bei einem bestimmten Niveau der Komplexität wirklich neue Formen der Ordnung, die aus zugrundeliegenden einfacheren Strukturen entstehen, aber mit Verhaltensformen, die sich nicht auf sie reduzieren lassen.

Allgemeiner, während das menschliche Denken und die Natur nicht identisch sind, sind sie auch nicht völlig voneinander getrennt. Es gibt eine Einheit zwischen ihnen. “Denken und Sein sind zwar unterschieden, aber zugleich in Einheit miteinander.” [43] Sie ist eine Einheit die erstens gewährt wird durch die Tatsache, daß die Menschen Teil der Natur sind, aus ihr entstehen. “Die menschliche Vernunft ist das jüngste Kind der Natur”, wie Trotzki es ausdrückte. [44] Zweitens wird sie gewährt durch die Praxis der Menschen, die mit der Natur in Wechselwirkung stehen und versuchen, sie zu meistern und zu verwandeln. “Die Dialektik des Bewußtseins (Erkenntnis) ist nicht dadurch eine Widerspiegelung der Dialektik der Natur, sondern ist Ergebnis der lebendigen Wechselwirkung zwischen dem Bewußtsein und der Natur und – zusätzlich – eine Methode der Erkenntnis, die aus dieser Wechselwirkung entsteht”, argumentierte Trotzki. [45]

Dieselbe Wechselwirkung, dieselbe Praxis ist die einzige Garantie, daß unsere Ideen uns objektives Wissen über die materielle Welt geben kann. Marx drückte es in einer berühmten Erklärung einfach aus:

Die Frage, ob die objektive Wahrheit ein Attribut des menschlichen Denkens sei, ist keine theoretische, sondern eine praktische Frage. Der Mensch muß die Wahrheit, d.h. die Realität und Kraft, die Diesseitigkeit seines Denkens, in der Praxis beweisen. Der Streit über die Realität bzw. Nichtrealität des von der Praxis isolierten Denkens ist eine rein scholastische Frage. [46]

Engels stimmte damit überein: “Die Erfolge unsrer Handlungen liefern den Beweis für die Übereinstimmung unsrer Wahrnehmungen mit der gegenständlichen Natur der wahrgenommenen Dinge.” [47]

Daß unser Wissen immer relativ und historisch bedingt ist und als solche bewiesen wird, wenn unsere Praxis sich weiter entwickelt, bedeutet nicht, daß es aufhört objektives Wissen zu sein. Die Newtonschen Gesetze sind übertroffen worden, als unser Verständnis der Natur sich vertieft hat. Aber sie bleiben gültig, objektiv wahr gegenüber dem einzigen möglichen Kriterium, der Praxis, innerhalb von bestimmten Grenzen. Die Vorstellung, daß wir ewiges, unbedingtes, objektives Wissen haben können, ist reine Metaphysik. Das bedingte Wesen des objektiven Wissens zu behaupten, heißt nicht einen Rückfall in den reinen Relativismus. Lenin betonte:

Die materialistische Dialektik von Marx und Engels schließt unbedingt den Relativismus in sich ein, reduziert sich aber nicht auf ihn, d.h., sie erkennt die Relativität aller unserer Kenntnisse an nicht im sinne der Verneinung der objektiven Wahrheit, sondern in dem Sinne, daß die Grenzen der Annäherung unserer Kenntnisse an diese Wahrheit geschichtlich bedingt sind. [48]

Interessanterweise finden einige Wissenschaftler heute sich zu bemerken gezogen, wieviel davon, was sie über die Naturwelt sagen, mit der von Engels skizzierten Vorstellung, besonders in seiner Dialektik der Natur, zusammenpaßt. Ilya Progogine schreibt in einem Rückblick auf die von ihm skizzierte Ansicht über die Natur: “Im bestimmten Ausmaß gibt es eine Analogie” zwischen den Problemen, die er untersucht, den von ihm vorgeschlagenen naturwissenschaftlichen Lösungen und dem “dialektischen Materialismus”. [49]

Er setzt fort:

Die Natur könnte man historisch nennen, d.h. fähig zur Entwicklung und Innovation. Die Vorstellung einer Naturgeschichte als integren Bestandteil des Materialismus wurde von Marx und detaillierter von Engels behauptet. Zeitgenössische Entwicklungen in der Physik – haben so innerhalb der Naturwissenschaften eine Frage erhoben, die seit langem von den Materialisten gestellt worden ist. Für sie hieß das Verständnis der Natur sie so zu verstehen als etwas, das fähig war, den Menschen und seinen Gesellschaften zu produzieren. [50]

Und es stimmt in der Tat, daß je mehr man über Entwicklungen in der modernen Naturwissenschaft liest, desto mehr Engels’ konsequent materialistischer und deshalb dialektischer Ansatz zu einem Verständnis der Natur – obwohl selbstverständlich nicht die Details der Naturwissenschaft, mit der er sich vor mehr als 100 Jahren beschäftigte – anscheinend bestätigt wird.

Einige Naturwissenschaftler werden zweifelsohne argumentieren, daß sie einfach entdecken, wie die Natur funktioniert, und daß das nichts mit der Philosophie bzw. mit der Dialektik zu tun hat. So sei es. Die Naturwissenschaft wird stehen oder fallen auf der Grundlage ihrer Wahrheit, ihres Erfolgs in der Praxis, egal was die philosophischen Gedanken in den Köpfen der Naturwissenschaftler bzw. aller anderen sind. Es ist jedoch auch klar, das viele moderne Naturwissenschaftler – mindestens diejenigen, die über die Bedeutung der von ihnen erzeugten Arbeit für ein allgemeines Verständnis der Natur nachdenken – in mystischen Mühle aller Art einfallen, wenn sie einen Versuch ablehnen, einen konsequenten materialistischen, dialektischen Ansatz zu haben.

So kann Prigogine am Ende eines im allgemeinen wunderbaren Buches solche Glanzstücke schreiben wie: “Die Zeit ist ein Gebilde und trägt deshalb eine ethische Verantwortung”, oder in Verzweiflung einfallenmit Äußerungen wie: “Permanente Regeln scheinen für immer verschwunden. wir leben in einer gefährlichen und unsicheren Welt”, um mit Hinweisen auf den “Gott der Schöpfungsgeschichte” beenden. [51]

Andere Naturwissenschaftler wie Paul Davies können auch wunderbarer Einsicht, z.B. in seinem Buch The Cosmic Blueprint, mit einer Menge mystischer Ideen verbinden, über die Naturwissenschaft als “sichereren Weg zu Gott als die Religion” reden [52] und sagen: “Die Naturwissenschaft, so wird gewöhnlich geglaubt, hilft uns ein Bild der objektiven Realität – der Welt ‚draußen‘ – aufzubauen. Mit der Ankunft der Quantentheorie scheint genau diese Realität zerbröckelt zu haben.” [53] Und der Physiker Stephen Hawking schließt Eine kurze Geschichte der Zeit, indem er sagt, daß das Ziel der Naturwissenschaft, “der endgültige Triumph der menschlichen Vernunft” darin bestehe, “den Geist Gottes zu kennen”. [54]

Zunehmend ist die Wahl für Naturwissenschaftler, die versuchen darüber nachzudenken, was ihre Arbeit uns über die Welt erzählt, nicht zwischen der “reinen Naturwissenschaft” einerseits und der “Dialektik” andererseits. Es ist vielmehr, daß die von der Naturwissenschaft aufgeworfenen Probleme theoretischen und philosophischen Denkens irgendwelcher Art bedürfen, um sich überhaupt mit ihnen auseinandersetzen zu können. Das hat immer gestimmt [Das ist immer der Fall gewesen], aber heute mehr denn je. Man kann entweder versuchen, ein konsequenter Materialist zu sein, und das heißt über die Natur dialektisch zu denken und sie so zu verstehen, oder irgendetwas anders wird die Leere stopfen [füllen].

 

 

Schlußfolgerung

Chaostheorie, weit davon entfernt ein Rückzug vom wissen zu sein, ist ein aufregender Schritt nach vorne im menschlichen Verständnis und daher in der potentiellen Kontrolle über die Natur.

Sozialisten haben eine Rolle zu spielen, nicht in der Ausarbeitung der Naturwissenschaft – das ist die Aufgabe der Naturwissenschaftler –, sondern in ihrer Rettung vor dem Mißbrauch, unter dem sie gelitten hat und weiter leidet, in den Händen von Menschen wie diejenigen, die früher in diesem Artikel zitiert wurden.

Wie mit vielen anderen Bereichen der Naturwissenschaft besteht die Wahrscheinlichkeit, daß ihre praktische Anwendung vom Kapitalismus verzerrt werden wird. Ihre volle Entfaltung [Entwicklung], wie auch die der Naturwissenschaft im allgemeinen, wir unermeßlich leichter sein in einer Gesellschaft, in der die Menschen rationell [vernünftig] und kollektiv es unternehmen, unser Verständnis der Natur zu vertiefen, um Menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, und nicht für Profit.

In einer solchen sozialistischen Gesellschaft kann man damit anfangen, viele der künstlichen Einteilungen und einen großen Teil des ideologischen Mülls zu beseitigen, die ein wirkliches wissenschaftliches Verständnis der Welt verzerren. Dann werden die riesigen Fortschritte, die die Naturwissenschaft unter dem Kapitalismus gemacht hat, noch größer werden. Und dann können wir auch damit anfangen, die Freiheit völlig zu erringen, wovon Engels sprach, nicht von “Unabhängigkeit von den Naturgesetzen” sondern “in der Erkenntnis dieser Gesetze und in der damit gegebne Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu lassen” [55], wobei die bestimmten Zwecken in der vollen Entwicklung [Entfaltung] des menschlichen Potentials, kollektiv und individuell, besteht. Das aber bedarf nicht einfach naturwissenschaftlichen Fortschritts, sondern einer Revolution in der Gesellschaft.

 

 

Anmerkungen

Ich danke Ian Percival, Tania Monteiro, Andy Wilson, Duncan Blackie, und die Redaktion von Socialist Worker für ihren Geduld und ihre gute Laune.

1. W. Brown in The Independent, 25. Juli 1990.

2. Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (Anti-Dühring), in Marx u. Engels, Werke (später MEW), Bd.20, S.106

3. zit. in Vorwort, zu MEW, Bd.20, S.XV.

4. Engels, Vorwort zu den drei Auflagen, Anti-Dühring, in MEW, Bd.20, S.10.

5. s. den Artikel von D. Bodarris in The Independent, 20. Februar 1990; für Mogg s. Interview in The Independent, 14. Oktober 1989; Für Healey s. That Certain Feeling, Marxism Today, Juli 1990.

6. Der deutsche Wissenschaftler, der schließlich mit den Nazis kollaborierte, der aber eine Schlüsselfigur in der Entwicklung der Quantentheorie war, ist ein gutes Beispiel.

7. Oder wie Lawrence Wong es dichterischer bei einem Plenum bei der Osterversammlung der SWP in Skegness 1990 ausdrückte: “Ein Schmetterling schlägt seine Flügel in Beijing und man bekommt einen Sturm in Osteuropa.”

8. Wenn das Pendel regelmäßig “gestoßen” wird. Ein einfaches Spielzeug, bei dem ein metallische Pendel über drei Magneten gehängt wird, zeigt chaotisches Verhalten.

9. Dieses chaotische Verhalten wurde zuerst vom französischen Mathematiker Henri Poincaré vor fast einem Jahrhundert entdeckt für den Fall, der Hills reduziertes Modell benannt wird – im Grunde genommen ein Staubkörnchen, das zwei große Planeten umkreist –, aber der Staub samt Chaos wurde effektiv bis zu den letzten Jahrzehnten unter den Teppich gekehrt.

10. I. Stewart, Does God Play Dice? The Mathematics of Chaos, Oxford 1989, S.40. Stewart ist führender Mathematiker und Experte über die Chaostheorie. Trotz dem zitierten Auszug und anderen Zitaten vergleichbarer Art ist dieses Buch die beste Einleitung zum Thema Chaos für jemanden mit mindestens etwas mathematischer Schulung – etwa zum Standard der englischen “O-level”-Prüfung [etwa 10. Klasse – REDS – Die Roten].

Leichter zugänglich ist James Gleick, Chaos: Making a New Science, London 1988. Dies bedarf kaum formeller Mathematik und teilt glänzend die Aufregung in der Naturwissenschaft mit, die von der Entwicklung der Chaostheorie verursacht wird. Gleick neigt dazu, den Grad zu übertreiben, wozu die Chaostheorie von individuellen Einzelgängern in der naturwissenschaftlichen Gemeinschaft entwickelt wurde, die durch die Anwendung von unorthodoxen Ansätzen – und mit ebenso unorthodoxen Lebensstilen – aus den Beschränkungen ausbrachen, die durch die Aufteilung der Naturwissenschaft in eng spezialisierten Abteilungen auferlegt wird. Um das teilweise zu korrigieren, lohnt es sich zu merken, das viele der Schlüsselpersönlichkeiten in der Entwicklung der Chaostheorie für riesige Einrichtungen arbeiteten und von ihren Ressourcen abhängig waren. Eduard Lorenz bei der Massachusetts Institute of Technology und Benoit Mandelbrot von IBM, der riesigen multinationalen Firma im Computerbereich, sind zwei Beispiele.

Auch nützlich ist die Artikelreihe in der britischen naturwissenschaftlichen Wochenzeitschrift New Scientist unter dem Titel Chaos Reigns. Der erste Artikel, Chaos: a science for the real world von Ian Percival ist in der Ausgabe vom 21. Oktober 1989. Andere folgten in fünf darauffolgenden Ausgaben der Zeitschrift.

11. Die Chaostheorie hat viel interessantere Anwendungen in einigen Bereichen gefunden. Zum Beispiel der in Ungarn geborene Komponist Gyorgy Ligeti, dessen Werk letztes Jahr eine Saison beim Londoner South Bank Centre gewidmet wurde, zitierte – in einer Rede da am 19. Oktober 1989 – die Chaostheorie als Inspiration und Untermauerung der Struktur eines großen Teils seiner neuesten Musik.

12. s. z.B.: C. Harman, The Myth of Market Socialism, International Socialism 2:42; A. Callinicos, The Politics of Marxism Today, International Socialism 2:29; A. Callinicos, Against Postmodernism, Oxford 1989.

13. Einige, die behaupten, daß sie Linke seien, haben auf die oben zitierte Art von Mißbrauch der Chaostheorie reagiert, indem sie einen großen Teil der modernen Naturwissenschaft ablehnen und besonders auf die Chaostheorie verzichten. Diese ist eine törichte und unsinnige Reaktion; s. z.B. Chaos Theory: The Science of Despair von John Gibson und Manjit Singh in Living Marxism (von der Revolutionary Communist Party veröffentlicht), Dezember 1989. Dies gibt sich als Versuch aus, die Naturwissenschaft von denjenigen im Text Erwähnten zu retten, die die Chaostheorie mißbrauchen. Mit solchen Freunden braucht man keine Feinde. Die Autoren scheinen zu glauben, daß seit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts nichts Wertvolles in der Naturwissenschaft erreicht worden sei, obwohl Interessanterweise dieselbe Zeitschrift die Atomkraft verteidigt und AIDS und den BSE-Rinderwahnsinn als ideologische Schreckensgespenster [Schauergeschichten] der herrschenden Klasse. “Wenn man einen Hamburger nicht essen kann, was lohnt es sich, den Versuch zu unternehmen, die Welt zu ändern?” Gibson und Singh landen bei einem Dualismus nach altem Muster, einem rigiden mechanischen Determinismus für die Naturwelt, während sie die Menschen und das menschliche Bewußtsein von jeder Verbindung mit der materiellen Welt völlig ablösen. Und was am schlimmsten dabei ist, wählen sie für besonderen angriff gerade die beiden Schriftsteller – Ilya Prigogine und Paul Davies –, die, egal was ihre zahlreichen Schwächen sind, viele der interessantesten Sachen über die moderne Naturwissenschaft zu sagen haben, wie ich später argumentieren werde.

14. Bei weitem das beste Buch für jemanden, der einen Überblick über die moderne Physik und die Naturwissenschaft, die den in diesem Artikel behandelten Themen zugrundeliegt, ist The New Physics, herausgegeben von Paul Davies (Cambridge 1989). Dies ist eine Sammlung von Aufsätzen –einige von ihnen (aber nicht alle) sind ziemlich technisch – geschrieben von führenden Naturwissenschaftler, über die Probleme und die Entwicklungen in den problematischsten und aufregendsten Bereichen der Physik heute.

15. Ich haben hier nicht Platz genug, um mich mit der naturwissenschaftlichen Revolution zu beschäftigen. Sie war eng mit dem Zusammenbruch der alten feudalen Ordnung und den Kämpfen verbunden, die ihren Höhepunkt im Sieg der bürgerlichen Revolutionen in Europa erreichten. Für eine kurze Darstellung s. Artikel von mir in Socialist Worker Review, September 1988, und von Andy Wilson in Socialist Worker Review, Oktober 1988.

16. Wiederum habe ich nicht genügend Platz in diese Frage hineinzugehen. Aber es ist auch unnötig, da es schon glänzend diskutiert wurde in Boris Hessens Referat The Social and Economic Roots of Newtons Principia in Science at the Cross Roads: Papers presented at the International Congressof the History of Science and Technology, held in London from June 29th to July 3rd 1931, by the delegates of the USSR, London 1971. Hessens Artikel ist ein Meisterwerk, das für große Aufregung sowohl unter Naturwissenschaftlern als auch unter Historikern sorgte, als er zuerst erschien. Sein Referat und andere in diesem Band, einschließlich einem interessanten von Bucharin, sind wesentliches Lesematerial für jeden Sozialist mit einem ernsthaften Interesse an der Naturwissenschaft. Alle Referate, einschließlich Hessens (obwohl zu einem kleineren Ausmaß wie alle anderen), tragen die Narben der Periode, worin sie geschrieben wurden, der Ära der stalinistischen Konterrevolution in der UdSSR. Außer verschiedenem Unsinn über die Realität der UdSSR unter Stalin durchdringt der mechanisch-deterministischen Verdrehung des Marxismus, den der Stalinismus entwickelte, viele der Artikel. Nichtsdestotrotz behalten viele der Autoren immer noch genügend Elemente des wahren Marxismus, daß er zuweilen durchglänzt. Das gilt besonders für Hessens Artikel. Hessen verschwand während der stalinistischen Säuberungen Mitte der 1930er Jahre.

17. Daß in Abwesenheit von Kräften ein Körper in ruhe bleibt oder sich gleichmäßig weiter bewegt (d.h. ständige Geschwindigkeit in eine gerade Linie); daß die Beschleunigung eines jeden Körpers im Verhältnis zur Nettokraft, die auf sie einwirkt, und im umgekehrten Verhältnis zu seiner Masse ist; daß für jede Aktion es eine gleiche und gegensätzliche Reaktion gibt.

18. Daß jede zwei Körper sich anziehen mit einer Kraft, die im Verhältnis zum Produkt aus ihren Massen und im umgekehrten Verhältnis zum Quadrat der Entfernung zwischen ihnen ist.

19. Die Allgemeingültigkeit der Newtonschen Gesetze war ein Todesschlag für die alte sich zurück auf den griechischen Philosophen Aristoteles gehenden Weltanschauung, die streng die Gesetze, die Erscheinungen auf der Erde regelten, und diejenigen, die anderswo im Universum galten, trennte. Mit Newton konnte man Gesetze, die man aus unserer Erfahrung hier auf Erde gewonnen hatte, benutzen, um Erscheinungen im übrigen Universum zu erklären..

20. Diese wurde anscheinend unabhängig voneinander von Newton und von Leibniz entwickelt und heftige Kontroverse herrschte für eine lange Zeit zwischen den Anhängern der beiden. Aus philosophischen Gründen benutzte Newton nicht die Infinitesimalrechnung in seiner Darstellung seiner Arbeit in den Principia. Für eine lange Zeit beruhte die Infinitesimalrechnung auf ziemlich wackligen mathematischen Beinen, aber sie funktionierte. Erst viel später wurde sie rigoros gemacht mit der Arbeit von Mathematikern des 19. Jahrhunderts wie Augustin-Louis Cauchy; s. z.B. Morris Kline, Mathematics in Western Culture, Harmondsworth 1987.

21. zit. in I. Prigogine und I. Stengers, Order Out of Chaos, London 1988, S.52.

22. zit. in Paul Davies, The Cosmic Blueprint, London 1988, S.10.

23. Der Erfolg kam in Systemen, die man als “isoliert” betrachten konnte. Des Problem ist, daß die meisten wirklichen Systeme weit davon entfernt sind, isoliert zu sein, und sind in ständiger Wechselwirkung mit ihrer Umgebung. Für eine detaillierte Diskussion s. I. Prigogine u. I.Stengers, a.a.O.

24. Ich werde keinen Versuch unternehmen, die Quantenmechanik hier zu erklären. Für diejenigen, die Interesse daran haben, gibt es zahlreiche Bücher auf mehreren technischen Ebenen. Einige sind sehr gut – viele sind furchtbar. Kapitel 7 von I. Prigogine u. I. Stengers, a.a.O., ist nützlich dafür, die Quantenmechanik mit den anderen in diesem Artikel diskutierten Fragen zu beziehen. E. Squires, The Mystery of the Quantum World, Hilger 1986, ist nützlich und nicht zu technisch, während Abner Shimony, Conceptual Foundations of Quantum Mechanics, in Paul Davies (Hrsg.), The New Physics, Cambridge 1989, S.373ff., ist nützlich für diejenigen, die mit dem mathematischen Formalismus der Quantenmechanik vertraut sind.

25. Einige Naturwissenschaftler argumentieren, daß dies nicht der Fall ist. Sie sagen, daß die Quantenmechanik “unvollständig” sei, daß die Wahrscheinlichkeiten eine Illusion seien und daß es “versteckte Variablen” hinter ihnen gebe, die deterministischen Gesetzen folgen. Neuere Experimente zeigen jedoch, daß jede solche Theorie von “versteckten Variablen” grundsätzliche Probleme hat. Insbesondere würde es scheinen, daß sie Kommunikation, die schneller als Licht ist, brauchen, was gegen die gut etablierte Theorie der speziellen Relativität verstößt; s. A. Shimony, a.a.O.

26. Man kann das nur ereignen lassen, wenn man Arbeit macht und so Energie benutzen, die von außerhalb des unmittelbaren zu betrachtenden Systems kommt – wie in einem Kühlschrank, die Strom verbraucht. Ein Punkt, den es zu machen lohnt, ist, daß die Existenz von unumkehrbaren Prozessen der Grund ist, warum ein rückwärts laufender Film von den meisten wirklichen dynamischen Situationen merkwürdig Aussehen würde. Billardkugel z.B. springen nicht für immer herum – wenn sie es machten, würde ein rückwärts laufender Film ganz in Ordnung scheinen –, sondern kommen allmählich zum Stillstand wegen unumkehrbarer Prozesse wie Energieverlust zur Wärme durch Reibung.

27. Für eine detaillierte Diskussion s. I. Prigogine u. I. Stengers, a.a.O.

28. ebenda, S.127ff.

29. Das ist das Thema von Stephen Hawkings Eine kurze Geschichte der Zeit – die jetzt als das meistverkaufte naturwissenschaftliche Buch in der Geschichte gelten muß. für eine ausgezeichnete Diskussion s. Duncan Blackie, Revolution in Science in International Socialism 42. Andere nützliche und nicht allzu technische Diskussionen dieser Probleme kann man finden in Paul Davies, Superforce: The Search for a Grand Unified Theory of Nature, London 1987, P., Davies u. J. Brown (Hrsg.), Superstrings: A Theory of Everything?, Cambridge 1988. Technischer, aber umfassender ist die schon erwähnte Sammlung The New Physics.

30. Marx u. Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, in Marx u. Engels, Ausgewählte Werke, Bd.I, S.419.

31. ebenda, S.421.

32. Das ist der Grund, warum die Schule der “radikalen Naturwissenschaft”, die von der modernen Naturwissenschaft als “bürgerliche Ideologie” spricht und sich auf eine unterschiedliche “proletarische Naturwissenschaft” freuen, zutiefst irrig ist.

33. s. Carnots Einleitung zu S. Carnot, Reflexions on the Motive Power of Fire, übersetzt und redigiert, mit ausgezeichneten und faszinierenden Anmerkungen, von R. Fox, Manchester 1986.

34. zit. in Prigogine u. I. Stengers, a.a.O., S.103.

35. Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt, daß viele erfolgreiche Naturwissenschaftler nur das oberflächlichste Wissen über andere Bereiche der eigenen Naturwissenschaft außerhalb des eigenen Spezialfachs haben, geschweige denn von anderen größeren Branchen der Naturwissenschaft zu sprechen. Die besten Naturwissenschaftler beklage die zwänge, die diese Situation fördern, während sie ihr Bestes machen, um sie zu überwinden. Viel sehen jedoch darin überhaupt kein Problem.

36. s. Ian Stewart, a.a.O.; James Gleick, a.a.O.; John Ford, What is chaos that we should be mindful of it? In The New Physics, Cambridge 1989; oder die Reihe in der Zeitschrift New Scientista.a.O. – und Verweise in all diesen für detailliertere Diskussion der Entwicklungen, die diesen Teil zugrundeliegen.

37. Das hat man noch nicht für das Wetter gemacht – ich benutze das Beispiel, um den Punkt leichter zu machen –, aber der Punkt ist für einige einfachere Beispiele gezeigt worden.

38. s. für eine glänzende Auswahl B. Mandelbrot,The Fractal Geometry of Nature, New York 1977, oder H.O. Peitgen u. Peter Richter, The Beauty of Fractals, Berlin 1986. Der Name Fraktal entsteht aus der Tatsache, daß diese Kurven und Gestalten, die eine zugrundeliegende Ordnung im chaotischen Verhalten darstellen können, im allgemeinen eine fraktionelle bzw. bruchteilige Dimension haben. Das heißt z.B., daß sie etwas zwischen einer eindimensionalen Linie und einer zweidimensionalen Oberfläche sind. Das klingt ein bißchen bizarr, läßt sich aber mathematisch präzise machen. Der Name seltsame Attraktor entsteht aus der Tatsache, daß die Bewegung zu dieser Kurve “angezogen” wird – in einer passenden mathematischen Darstellung – in der Weise, wie ein Ball in einem Schüssel schließlich zum untersten Punkt “angezogen” wird. Das Etikett seltsam entsteht hauptsächlich auf Grund der Tatsache, daß bis in die letzten Jahrzehnten diese Art chaotischen Verhaltens nicht bekannt war oder nicht verstanden wurde.

39. W.I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, in Lenin, Werke, Bd.14, S.260. Keine der Argumente im Text sollte man so verstehen, als ob sie hindeuten, daß Chaostheorie alle, oder auch die meisten, Probleme in der Naturwissenschaft löst; weit davon entfernt. Und sie erzeugt auch neue Probleme. Es scheint z.B., daß chaotisches Verhalten nicht in der Quantenmechanik existiert – das ganze Gebiet “Quantenchaos” erfährt zur Zeit heftige Entwicklung und Untersuchung.

40. s. z.B. I. Prigogine u. I. Stengers, a.a.O.; Paul Davies, The Cosmic Blueprint, London 1988; Gregoire Nicolis, Physics of Far From Equilibrium Systems and Self Organisation, in The New Physics; sowie Hinweise in diesen für Details.

41. Daß dies der Fall ist, ist nichts Sensationelles. Lenin schrieb: “Die Empfindung, der Gedanke, das Bewußtsein ist das höchste Produkt der in besonderer Weise organisierten Materie. Dies ist die Auffassung des Materialismus überhaupt und die Auffassung von Marx und Engels im besonderen.” (Lenin, a.a.O., S.47.) Der Philosoph der Aufklärung argumentierte vor 200 Jahren: “... die Empfindsamkeit [ist] Allgemeinbesitz der Materie oder ... Produkt der inneren Verfassung”, zitiert ( mit Billigung) von Lenin, a.a.O., S.28. Was wirklich aufregend ist, ist die Möglichkeit, solche Vorstellungen und die Wandlung von einer Ebene bzw. Ordnung in der Natur zu einer anderen wissenschaftlich genau zu machen.

42. s. z.B. The New Physics; P. Davies, Superforce ...

43. Marx, Die ökonomischen und philosophischen Manuskripte von 1844, in MEW, Ergänzungsband, S.539.

44. zit. in John Rees, Trotsky and the Dialectic of History, in International Socialism 2:43.

45. Trotsky, Notebooks 1933–35: Writings on Lenin, Dialectics and Evolutionism, New York 1986, S.77, zit in J. Rees, a.a.O. [Eine deutsche Teilübersetzung dieses interessanten Werks kann man im Marxists’ Internet Archive finden. – REDS – Die Roten]

46. Marx, The German Ideology, London 1963, S.197, zit. in David Caute, Essential Writings of Karl Marx, London 1967, S.43.

47. Engels, Einleitung zur 2. Ausgabe der Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, in MEW, Bd.22, S.297, zit. in Lenin, a.a.O., S.132–3.

48. ebenda, S.132.

49. I. Prigogine u. I. Stengers, a.a.O., S.252.

50. ebenda. Die Beurteilung stimmt. Marx schrieb: “Die Naturwissenschaft wird später ebensowohl die Wissenschaft von dem Menschen wie die Wissenschaft von dem Menschen die Naturwissenschaft unter sich subsumieren: es wird eine Wissenschaft sein.” Marx, Die ökonomischen und philosophischen Manuskripte von 1844, in MEW, Ergänzungsband, S.544.

51. I. Prigogine u. I. Stengers, a.a.O., S.313.

52. P. Davies, God and the New Physics, Harmondsworth 1983, S.ix.

53. P. Davies, Other Worlds, London 1982, S.12.

54. S. Hawking, A Brief History of Time, New York 1989, S.175. Meines besten Wissens sind Hawking, Davies und Prigogine nicht religiös, sondern eher entweder atheistisch oder mindestens agnostisch, aber trotzdem fallen sie in diese Art zu reden ein.

55. s. Anmerkung 2.

 


Zuletzt aktualisiert am 2.5.2002