Der
Staat Seitenzählung
nach dem Neudruck der 3. überarbeiteten Auflage von 1929 [S. 7]
Dieses Büchlein erschien zuerst 1909 als erweiterte Fassung eines vorher in
der »Neuen Rundschau« veröffentlichten Aufsatzes. Es hat seinen Weg ganz ordentlich
gemacht, und nicht nur in Deutschland. Es ist in autorisierten Übersetzungen
in englischer, französischer und serbischer Sprache erschienen; die in Amerika
gedruckte englische Ausgabe von 1914 hat 1922 sogar ihre zweite Auflage erlebt.
Ohne meine Autorisation ist das Buch ungarisch und meines Wissens ganz oder
zum Teil auch japanisch, russisch, hebräisch und yiddisch erschienen. Nur der
ungarische Verleger hat sich wenigstens dazu herbeigelassen, mir ein Belegexemplar
zuzusenden. Mit Ausnahme einer kleinen
aber grundsätzlich bedeutsamen Änderung, in der meine völlig gewandelte Einstellung
zu der sogenannten ökonomischen Geschichtsauffassung zum Ausdruck kam, ist auch
die letzte deutsche Ausgabe von 1923 fast völlig unverändert geblieben. Ich
habe auch später noch keine Veranlassung gefunden, an dem alten Text irgend
etwas zu ändern, als ich ihn, zum großen Teile wörtlich, in mein »System der
Soziologie«, vor allem in dessen zweiten Teil, den 1926 erschienenen »Staat«,
hineinarbeitete. Meine Grundauffassung ist nicht nur unerschüttert, sondern
hat anläßlich der letzten Tagung der deutschen soziologischen Gesellschaft im
September dieses Jahres in Zürich durch die führenden Ethnologen Deutschlands
eine fast völlig uneingeschränkte Bestätigung erfahren: mir ein neuer Beweis
für die Leistungsfähigkeit der deduktiven Methode. Denn mein ethnologisches
Gepäck war zu der Zeit, als ich 1898, in meinem Buche »Großgrundeigentum und
soziale Frage«, den Grundgedanken zuerst aussprach, außerordentlich leicht;
ich hatte, soviel ich mich erinnern kann, außer Julius Lippert's »Kulturgeschichte
der Menschheit« überhaupt nichts von Ethnographie und Ethnologie kennen gelernt.
Nicht einmal die Schriften von Ludwig Gumplowicz, dem ich mich später mit Entschiedenheit
anschloß, waren mir damals bekannt, was mir der Altmeister, als ich mich ihm
später näherte, einigermaßen verübelt hat. Ich war eben ein vollkommener Autodidakt
auf dem ganzen großen Gebiete meiner späteren Arbeit! [S. 8]
Da, wie soeben gesagt, der größte Teil dieses kleinen in den großen »Staat«
eingegangen ist, stellte sich mir jetzt, als die letzte Ausgabe zu Ende ging,
sehr ernsthaft die Frage, ob ich das Buch überhaupt noch einmal in der alten
Gestalt herausbringen sollte. Ich habe mich dazu entschlossen aus mehreren Gründen:
weil die große Fassung in ihrem Umfang von 860 Seiten für das große Lesepublikum
ein zu schweres Kaliber, und weil sie wenigstens für viele deutsche Leser von
heute leider zu teuer ist. Ferner weil einzelne Teile des kleinen »Staat« nicht
in den zweiten, sondern in den ersten Teil meines Systems, in die allgemeine
Soziologie, eingegangen sind. Und schließlich aus demselben Grunde, aus dem
ich auch fast alle meine älteren Arbeiten (mit einziger Ausnahme des als Lehrbuch
verbreiteten dritten Teils des Systems der Soziologie: der »Theorie der reinen
und politischen Ökonomie«, und des in seiner dritten Auflage völlig neu bearbeiteten
Büchleins »Wert und Kapitalprofit«) in völlig unverändertem Text immer wieder
habe erscheinen lassen: weil solche Leser, die sich an diese älteren und zum
Teil durch meine späteren Arbeiten überholten Werke wenden, in der Regel den
Originaltext besitzen wollen, um die Entwicklungslinie des Verfassers verfolgen
zu können. So erscheint denn auch
jetzt wieder der alte Text fast völlig unverändert. Nur der erste Absatz des
einleitenden Kapitels über die Staatstheorien ist im Anschluß an die große Ausgabe
neu gestaltet worden. Dem Leser, der den Wunsch
hat, tiefer in den gewaltigen Gegenstand einzudringen, wird nichts anderes übrig
bleiben, als sich in den großen »Staat« zu vertiefen. Er findet hier eine geistesgeschichtliche
Darstellung der Theorien vom Staate vom griechischen Altertum an bis auf die
neueste Zeit im Umfang von einem Vierteltausend Seiten; er findet ferner eine
ausführliche Darstellung des Verlaufs der ungeheuren Volkskrankheit, die die
Stadtstaaten der Antike verheerte, findet die genauere Darstellung der Staatsformen,
die auf den entfalteten Feudalstaat folgen: Lehensstaat, Ständestaat, absoluter
und moderner Verfassungsstaat; und findet schließlich eine viel weiter ins einzelne
ausgeführte Schilderung der künftigen »klassenlosen Gesellschaft«, auf die,
wenn ich recht sehe, die Tendenz der gesellschaftlichen Entwicklung hindrängt:
alles Dinge, die in dieser Skizze gerade eben nur angedeutet werden konnten. [S. 9]
So mag denn das kleine Buch noch einmal hinausgehen und versuchen, ob es sich
und seinem Verfasser neue Freunde zu den vielen alten erwerben kann. Frankfurt am Main, den
1. November 1928. Franz
Oppenheimer. Einleitung a) Die
Staatstheorien [S. 11]
Diese Abhandlung spricht lediglich von dem geschichtlichen Staat.
Nicht von den Tierstaaten, die der Zoologie und Tierpsychologie zufallen, und
ebensowenig von den sogenannten »Staaten« der prähistorischen Zeit, von denen
Vorgeschichte und Ethnologie zu handeln haben. Von dieser »Stammesorganisation«
sagt Wilhelm Wundt: »Sie ist nicht im Geringsten eine unvollkommene, noch unausgebildete
Staatsordnung, sondern ganz etwas anderes«[1]. Diese
Abhandlung spricht ferner nicht von »den« Staaten: die sind der Gegenstand der
Historik, sondern von »dem« Staate: sie will ihn als allgemeine gesellschaftliche
Erscheinung in seiner Entstehung und seiner Entfaltung bis zum neuzeitlichen
Verfassungsstaat verfolgen; und will versuchen, darüber hinaus eine begründete
Voraussage seiner künftigen Entwicklung zu gewinnen. Das heißt: sie betrachtet
den Staat vom Standpunkt des Soziologen. Nicht von dem des Philosophen:
denn der interessiert sich nur für den Staat, wie er sein soll. Aber der Staat,
wie er war und ist, der geschichtliche Staat, sagt z. B. Fichte, »geht
den Erleuchteten gar nichts an«. Auch nicht vom Standpunkt des Juristen: denn
ihn interessiert nur die äußere Form, während der Soziologe den Inhalt,
das Leben der Staatsgesellschaft verstehen will. Aus diesem Grunde scheiden
alle Staatsrechtslehren aus unserer Betrachtung von vornherein aus. Aber nicht
minder zeigt eine schnelle Übersicht der eigentlichen Staatstheorien, daß wir
von ihnen über Entstehung, Wesen und Zweck des Staates keine Aufklärung erwarten
dürfen. Sie stellen alle Schattierungen dar zwischen den äußersten denkbaren
Extremen. Wenn Rousseau den Staat aus einem Gesellschaftsvertrage, Carey aber
aus einer Räuberbande entstehen läßt; wenn Platon und die Marxisten dem Staate
die Omnipotenz zuschreiben, ihn zum absoluten Herrn des Bürgers in allen politischen
und wirtschaftlichen, Platon sogar in den geschlechtlichen Beziehungen erheben
will, während der Liberalismus ihn zur Impotenz des [S. 12]
»Nachtwächterstaates«
verdammt, und der Anarchismus ihn gar gänzlich ausrotten will - dann ist ein
Versuch, auf der mittleren Linie zwischen solchen sich ausschließenden Lehren
zu einer zureichenden Auffassung des Staates zu gelangen, aussichtslos. Dieser unversöhnliche
Zwiespalt der Theorien vom Staate erklärt sich daraus, daß keine von ihnen vom
soziologischen Gesichtspunkte aus entstanden ist. Der Staat ist ein universalgeschichtliches
Objekt und kann nur durch breit spannende universalgeschichtliche Betrachtung
in seinem Wesen erkannt werden. Wir müssen fragen, welche Eigenschaften zu dem
Begriff des Staates als solchem wesentlich gehören, und können die Antwort auf
diese Frage nur finden, wenn wir womöglich alle Staaten der Vergangenheit und
Gegenwart daraufhin betrachten, welche Eigenschaften sie sämtlich besitzen.
Da es große und kleine, straff zentralisierte und locker koordinierte, monarchische,
aristokratische, plutokratische und demokratische Staaten gibt; da ihre Einwohner
allen Rassen und Farben angehören, nieder und hoch zivilisiert sind, vorwiegend
von Agrikultur oder von Gewerben oder vom Handel leben: so ist es klar, daß
das Wesen des Staates weder in seiner Ausdehnung, noch in dem Grade seiner Zwangsmacht
über sein Gebiet und seine Bewohner, noch in seiner Verfassung, noch in seiner
Kulturstufe und Technik beruhen kann. Ältere staatsphilosophische
Systeme haben den Versuch einer solchen umfassenden Abstraktion gemacht und
sind zu dem noch heute vielfach gelehrten Ergebnis gelangt, daß das Wesen des
Staates das einer Schutzanstalt sei: der Grenzschutz nach außen, der Rechtsschutz
nach innen sei seine ratio fiendi et essendi. So sagt Grotius: »Der Staat ist
eine vollkommene Verbindung freier Menschen, welche sich des Rechtsschutzes
und des Nutzens wegen zusammengetan haben.« Und in der Tat hat die
Anschauung einen richtigen Kern: aber sie ist nicht vollständig. Sie hat einen
wichtigen, allen Staaten gemeinsamen Charakterzug übersehen: jeder Staat der
Vergangenheit und Geschichte, dem dieser Name unbestritten zukommt, jeder Staat
vor allem, der in seiner Entwicklung zu höheren Stufen der Macht, der Größe
und des Reichtums weltgeschichtlich bedeutsam geworden ist, war oder ist ein
Klassenstaat, d. h. eine Hierarchie von einander über- und untergeordneten
Schichten oder Klassen mit verschiedenem Recht und verschiedenem Einkommen. Unsere Erörterung wird
zeigen, daß dieser Zug der wichtigste, [S. 13]
der entscheidende, der primäre Charakter des Staates ist, aus dem allein
seine Entstehung und sein Wesen erkannt werden kann; sie wird es nämlich klar
machen, daß die Schutzfunktion des Staates nach innen und außen verstanden werden
muß als sekundäre, von der Oberklasse im Interesse ihrer Herrschafts-
und Einkunftsrechte übernommene Pflicht. Der Staat entsteht nicht im Interesse
der Schutzfunktion, sondern es entsteht umgekehrt die Schutzfunktion im Interesse
des schon bestehenden Staates. Damit haben wir bereits
die Erklärung für die auffällige Tatsache erhalten, daß die bisherigen Staatstheorien
so sehr von einander verschieden sind. Sie sind sämtlich Klassentheorien!
Eine solche aber ist nicht Ergebnis des forschenden Verstandes, sondern
des begehrenden Willens; sie braucht Argumente nicht zur Ergründung der Wahrheit,
sondern als Waffen im Kampfe um materielle Interessen; sie ist nicht Wissenschaft,
sondern Mimicry der Wissenschaft. Und darum können wir wohl aus dem Verständnis
des Staates das Wesen der Staatstheorien, aber nimmermehr aus dem Verständnis
der Staatstheorien das Wesen des Staates erkennen. Stellen wir also zunächst
in einer kurzen Übersicht der Klassentheorien vom Staat fest, was der Staat
alles nicht ist: Der Staat ist nicht aus
dem »Bedürfnis des Zusammenschlusses« entstanden, wie Platon meint; er ist kein
»Gebilde der Natur«, wie ihm Aristoteles erwidert; und hat in specie nicht,
wie Ancillon erklärt, »denselben Ursprung, den die Sprachen haben«. Es ist durchaus
unrichtig wenn er annimmt, daß, »wie die Sprachen aus dem Bedürfnis und aus
der Fähigkeit des Menschen, seine Gedanken und Gefühle mitzuteilen, sich von
selbst erzeugt und gebildet haben, so auch sich die Staaten aus dem Bedürfnis
und aus dem Trieb der Geselligkeit entwickelt haben«; der Staat ist auch nicht
»un droit gouvernement de plusieurs ménages et de ce qui leur est commun avec
puissance souveraine« (Bodin); der Staat ist auch nicht entstanden, um dem »bellum
omnium contra omnes« ein Ende zu machen, wie Hobbes und nach ihm viele andere
meinten; der Staat ist ebensowenig das Ergebnis eines »contrat social«, wie
schon lange vor Rousseau Grotius, Spinoza und Locke glauben machen wollten;
der Staat ist vielleicht »das Mittel für den höheren Zweck der ewig gleichmäßig
fortgehenden Ausbildung des rein Menschlichen in einer Nation«, wie Fichte behauptete;
aber sicherlich hat der Staat nicht [S. 14] diesen
Zweck; ist nicht zu diesem Zweck entstanden und wird nicht zu diesem
Zweck erhalten; der Staat ist auch nicht »das Absolute«, wie Schelling, und
ebensowenig »die Wirklichkeit der sittlichen Idee, der sittliche Geist als der
offenbare, sich selbst deutliche, substantielle Willen, der sich denkt und weiß
und das, was er weiß, vollführt«, wie Hegel ebenso schön, wie klar behauptet.
Wir können auch Stahl nicht beistimmen, wenn er den Staat das »sittliche Reich
menschlicher Gemeinschaft« und, »tiefer betrachtet, eine göttliche Institution«
nennt. Und ebensowenig Marcus Tullius Cicero, wenn er fragt: »quid est enim
civitas nisi juris societas?« Und noch weniger seinem Nachfolger von Savigny,
wenn er in der »Staatsentstehung eine Art der Rechtserzeugung, die höchste Stufe
der Rechtserzeugung überhaupt« erblickt und den Staat selbst als »die leibliche
Erscheinung des Volkes« definiert. Ähnlich erklärt Bluntschli den Staat für
eine »Volksperson« und leitet damit die Reihe jener Theoretiker ein, die den
Staat, oder die Gesellschaft, oder eine irgendwie beschaffene Mischung beider
für einen »Überorganismus« erklären, eine Auffassung, die ebensowenig haltbar
ist, wie die Behauptung von Sir Henry Maine, daß der Staat durch die Zwischenglieder:
Geschlecht, Haus und Stamm, aus der Familie sich entwickelt habe. Der Staat
ist auch keine »Verbandseinheit«, wie der Jurist Jellinek annimmt. Der alte
Böhmer kam der Wahrheit recht nahe, wenn er aussprach, daß »denique regnorum
praecipuorum ortus et incrementa perlustrans virn et latrocinia potentiae initia
fuisse apparebit«; und dennoch ist Carey auf dem Holzwege, wenn er den Staat
als von einer Räuberbande gegründet betrachtet, die sich zu Herren ihrer Volksgenossen
aufgeschwungen hat. In manchen dieser Erklärungen steckt ein größeres oder kleineres
Teilchen Wahrheit, aber erschöpfend ist keine, und die meisten sind ganz falsch. b) Die
soziologische Staatsidee Was ist also der Staat
im soziologischen Begriffe? Schon die Geschichte des Wortes sagt es uns. Es
stammt aus dem Italienischen der Renaissanceperiode. Dort bezeichnete es den,
zumeist durch Gewalt zur Herrschaft gelangten, Fürsten samt seinem Anhang: »Die
[S. 15] Herrschenden und ihr Anhang heißen lo
stato, und dieser Name durfte dann die Bedeutung des gesamten Daseins eines
Territoriums usurpieren«, sagt Jakob Burckhardt. So hatte Ludwig XIV. mit seinem
hochfahrenden Wort: »L'Etat c'est moi« in einem tieferen Sinne recht, als er
selbst ahnte. In unserem Worte »Hofstaat« lebt die alte Bedeutung noch fort. Das ist »das Gesetz,
nach dem er angetreten«, und das ist der Staat geblieben. Er ist seiner Entstehung
nach ganz und seinem Wesen nach auf seinen ersten Daseinsstufen fast ganz eine
gesellschaftliche Einrichtung, die von einer siegreichen Menschengruppe einer
besiegten Menschengruppe aufgezwungen wurde mit dem einzigen Zwecke, die Herrschaft
der ersten über die letzte zu regeln und gegen innere Aufstände und äußere Angriffe
zu sichern. Und die Herrschaft hatte keinerlei andere Endabsicht als die ökonomische
Ausbeutung der Besiegten durch die Sieger. Kein primitiver »Staat«
der Weltgeschichte ist anders entstanden [2]; wo
eine vertrauenswerte Überlieferung anders berichtet, handelt es sich lediglich
um Verschmelzung zweier bereits vollentwickelter primitiver Staaten zu einem
Wesen verwickelterer Organisation; oder es handelt sich allenfalls um eine menschliche
Variante der Fabel von den Schafen, die sich den Bären zum Könige setzten, damit
er sie vor dem Wolfe schütze; aber auch in diesem Falle wurden Form und Inhalt
des Staates völlig dieselben wie in den »Wolfsstaaten« reiner, unmittelbarer
Bildung. Schon das bißchen Geschichtsunterricht,
das unserer Jugend zuteil wurde, reicht hin, um diese generelle Behauptung zu
erweisen. Überall bricht ein kriegerischer Wildstamm über die Grenzen eines
weniger kriegerischen Volkes, setzt sich als Adel fest und gründet seinen Staat.
Im Zweistromlande Welle auf Welle und Staat auf Staat: Babylonier, Amoriter,
Assyrer, Araber, Meder, Perser, Makedonier, Parther, Mongolen, Seldschucken,
Tataren, Türken; am Nil Hyksos, Nubier, Perser, Griechen, Römer, Araber, Türken;
in Hellas [S. 16] die Dorierstaaten, typischen
Gepräges; in Italien Römer, Ostgoten, Langobarden, Franken, Normannen, Deutsche;
in Spanien Karthager, Römer, Westgoten, Araber; in Gallien Römer, Franken, Burgunder;
in Britannien Sachsen, Normannen. Welle auf Welle kriegerischer Wildstämme auch
über Indien bis hinab nach Insulindien, auch über China ergossen; und in den
europäischen Kolonien überall der gleiche Typus, wo nur ein seßhaftes Bevölkerungselement
vorgefunden wurde: in Südamerika, in Mexiko. Wo es aber fehlt, wo nur schweifende
Jäger angetroffen werden, die man wohl vernichten, aber nicht unterwerfen kann,
da hilft man sich, indem man die auszubeutende, fronpflichtige Menschenmasse
von fern her importiert: Sklavenhandel! Eine scheinbare Ausnahme
bilden nur diejenigen europäischen Kolonien, in denen es nicht mehr erlaubt
ist, durch Import von Sklaven den Mangel einer seßhaften Urbevölkerung zu ersetzen.
Eine dieser Kolonien, die United States, ist eins der gewaltigsten Staatengebilde
der Weltgeschichte. Hier erklärt sich die Ausnahme so, daß sich die auszubeutende,
fronpflichtige Menschenmasse selbst importiert durch eine massenhafte
Auswanderung aus solchen primitiven Staaten oder ihren höheren Entwicklungsstufen,
in denen die Ausbeutung einen allzu krassen Grad erreicht hat, während die Freizügigkeit
bereits erreicht ist. Hier liegt also sozusagen eine Ferninfektion mit »Staatlichkeit«
von auswärtigen Seuchenherden vor. Wo aber in solchen Kolonien die Einwanderung,
sei es durch die, hohe Übersiedlungskosten bedingende, übergroße Entfernung,
sei es durch Einwanderungsbeschränkungen, sehr gering ist, da haben wir bereits
eine Annäherung an dasjenige Endziel der Staatsentwicklung, das wir schon heute
als notwendig kommend erkennen können, an einen Endzustand, für den uns aber
noch der wissenschaftliche Terminus fehlt. Hier ist einmal wieder in der Dialektik
der Entwicklung eine Änderung der Quantität in eine Änderung der Qualität umgeschlagen:
die alte Form hat sich mit neuem Inhalt gefüllt. Wir haben noch einen »Staat«,
insofern er straffe, durch äußere Machtmittel gesicherte Regelung des sozialen
Zusammenlebens einer großen Menschenmasse darstellt: aber er ist nicht mehr
»Staat« im alten Sinne, ist nicht mehr Instrument der politischen Beherrschung
und wirtschaftlichen Ausbeutung einer sozialen Gruppe durch die andere, ist
nicht mehr »Klassenstaat«, sondern ein Zustand, der ausschaut, als wäre er [S. 17]
wirklich durch einen »Contrat social« vereinbart worden. Diesem Stadium sehr
nahe stehen die australischen Kolonien; und fast erreicht ist er in Neu-Seeland. So lange nicht ein communis
consensus über Ursprung und Wesen der historischen Staaten oder, was dasselbe
ist, des »Staates« im soziologischen Sinne erzielt ist, wird es vergebens sein,
für diese vorgeschrittensten Gemeinwesen einen neuen Namen durchsetzen zu wollen.
Man wird sie trotz aller Proteste nach wie vor »Staaten« nennen, schon der ersprießlichen
Verwirrung der Begriffe zuliebe. Bezeichnen wir sie in dieser Betrachtung, um
für einen neuen Begriff einen Handgriff zu haben, als »Freibürgerschaften«. Die summarische Übersicht
über die Staaten der Vergangenheit und Gegenwart müßte, wenn Raum wäre, noch
ergänzt werden durch Prüfung der Tatsachen, die uns die Völkerkunde über diejenigen
Staaten darbietet, die nicht in den Gesichtskreis unserer mit Unrecht so genannten
»Weltgeschichte« fallen. Hier mag nur versichert werden, daß auch hier unsere
allgemeine Regel keine Ausnahme duldet. Auch im malaiischen Archipel, auch in
dem »großen soziologischen Laboratorium Afrika«, kurz überall auf diesem Planeten,
wo die Entwicklung der Stämme überhaupt eine höhere Form bereits erreicht hat,
ist der »Staat« entstanden durch Unterwerfung einer Menschengruppe durch eine
andere, und war und ist seine raison d'être, sein »zureichender Grund«, die
ökonomische Ausbeutung der Unterworfenen. Uns mag aber in dieser
Betrachtung die flüchtige Überschau, die wir soeben gemacht haben, nicht nur
als Beweis des grundlegenden Satzes dienen, den wir, um den Bahnbrecher zu nennen,
vor allem Ludwig Gumplowicz, dem Grazer Staatsrechtler und Soziologen, zu danken
haben, sondern sie mag uns auch sofort in kurzem Blitzlichte den Weg erleuchten,
den der »Staat« im Leidensgange der Menschheit zurückgelegt hat, und auf dem
wir ihm jetzt folgen werden: vom primitiven Eroberungsstaat durch tausend Übergänge
zur Freibürgerschaft. I. Die Entstehung des
Staates [S. 18] Eine einzige
Kraft treibt alles Leben, eine einzige Kraft hat es emporentwickelt von der
Einzelle, dem im warmen Ozean der Urzeit treibenden Eiweißklümpchen,
bis zum Wirbeltier, bis zum Menschen: der Trieb der »Lebensfürsorge«
(Lippert), gegabelt in »Hunger und Liebe«. Von da an tritt die »Philosophie«
mit in das Kräftespiel ein, das Kausalbedürfnis des Aufrechtschreitenden,
um fortan mit »Hunger und Liebe den Bau der Menschenwelt zusammenzuhalten«.
Freilich ist die Philosophie, die »Vorstellung« Schopenhauers, in
der Wurzel auch nichts anderes als ein Geschöpf der Lebensfürsorge,
die er den »Willen« nennt; sie ist ein Organ der Orientierung in
der Welt, eine Waffe im Kampfe ums Dasein. Aber dennoch werden wir das Kausalbedürfnis
als eine selbständige Kraft des gesellschaftlichen Geschehens kennen lernen,
als Mitbildner am soziologischen Entwicklungsgange. Zuerst, und auf der Anfangsstufe
der menschlichen Gesellschaft mit ungeheurer Kraft, wirkt sich dieser Trieb
in den oft so bizarren Vorstellungen der »Superstition« aus, die
auf Grund völlig logischer Schlüsse aus unvollkommenen Beobachtungen
Luft und Wasser, Erde und Feuer, Tiere und Pflanzen mit einem Heere gütiger
oder ungnädiger Geister erfüllt glaubt; erst sehr spät, erst
in der hellen Neuzeit, die nur wenige Völker erreichen, entsteht die jüngere
Tochter des Kausaltriebes, die Wissenschaft, als das logische Ergebnis aus vollkommenerer
Beobachtung der Tatsachen; die Wissenschaft, der nun die Aufgabe zufällt,
die breit eingewurzelte, mit unzähligen Fäden in der menschlichen
Gesamtpsyche verwurzelte Superstition auszurotten. Als Schöpfung dieser
drei aus dem Urtriebe der Lebensfürsorge erwachsenen menschlichen Haupttriebe:
dem der Selbsterhaltung, dem der Arterhaltung, und dem Kausalbedürfnis,
entsteht die Gesellschaft und in ihr ein neuer, allbeherrschender tertiärer
Trieb, der eigentliche Motor allen sozialen Geschehens: der Trieb nach sozialer
Hochgeltung und womöglich Höchstgeltung. Dieser Trieb, den schon
die Ilias nennt, das kann sich in seltenen Fällen, namentlich auf höherer
Stufe der Gesellschaft, unmittelbar befriedigen: durch Leistungen der Wissenschaft,
der Kunst, der Bürgertugend, [S. 19] auch der körperlichen Tüchtigkeit
im Wettkampf. Aber in der Regel kann der Trieb sein Endziel nicht erreichen,
ohne sich vorher eines bestimmten Zwischenzieles bemächtigt zu haben -
und dieses Zwischenziel ist - Reichtum, denn Reichtum verleiht Macht oder vielmehr:
ist Macht: das Wort bedeutet von jeher Verfügung über Menschen, während
Wohlstand Verfügung über Sachen bedeutet. Aus diesem Grunde fast
allein strebt der vergesellschaftete Mensch nach Reichtum. Fast allein: denn
selbstverständlich kann er auch »Hunger und Liebe«, und sogar
sein Kausalbedürfnis reichlicher und mit edleren Mitteln sättigen,
wenn er reich ist. Aber es ist eine den Menschen demütigende und verleumdende
Auffassung, wenn man glaubt, sein Endziel sei der Erwerb von Gütern zu
üppigem Genuß. Er ist nur ein Zwischenziel, nur Mittel zu dem eigentlichen,
zu dem viel edleren Endziel, zur sozialen Hochgeltung. Aber freilich, das Zwischenziel
ist er, und das besagt, daß fast alle Politik und fast alle Wirtschaft
zunächst auf den Gütererwerb hinläuft, etwa wie viele Eisenbahnlinien
auf einen großen Knotenpunkt. Und darum kann eine soziologische (und das
bedeutet eine sozialpsychologische!) Betrachtung der Geschichte nicht wohl anders
vorgehen, als daß sie sich vorläufig der ökonomischen Geschichtsauffassung
bedient, d.h., daß sie die Methoden des Gütererwerbs in ihrer allmählichen
Entfaltung verfolgt. Sie darf dabei nur nicht vergessen, daß es sich lediglich
um Mittel, nicht aber um das Endziel handelt. a) Politisches und ökonomisches
Mittel Es gibt zwei grundsätzlich
entgegengesetzte Mittel, mit denen der überall durch den gleichen Trieb
der Lebensfürsorge in Bewegung gesetzte Mensch die nötigen Befriedigungsmittel
erlangen kann: Arbeit und Raub, eigne Arbeit und gewaltsame Aneignung fremder
Arbeit. »Raub! Gewaltsame Aneignung!« Uns Zeitgenossen einer entwickelten,
gerade auf der Unverletzlichkeit des Eigentums aufgebauten Kultur klingen beide
Worte nach Verbrechen und Zuchthaus; und wir werden diese Klangfarbe auch dann
nicht los, wenn wir uns davon überzeugen, daß Land- und Seeraub unter
primitiven Lebensverhältnissen [S. 20] geradeso wie das Kriegshandwerk
- das ja sehr lange auch nur organisierter Massenraub ist - die weitaus angesehensten
Gewerbe darstellen. Ich habe aus diesem Grunde und auch deshalb, um für
die weitere Untersuchung kurze, klare, scharf gegeneinander klingende Termini
für diesen sehr wichtigen Gegensatz zu haben, vorgeschlagen, die eigne
Arbeit und den äquivalenten Tausch eigner gegen fremde Arbeit das »ökonomische
Mittel«, und die unentgoltene Aneignung fremder Arbeit das »politische
Mittel« der Bedürfnisbefriedigung zu nennen. Das ist nicht etwa ein
neuer Gedanke: von jeher haben die Geschichtsphilosophen den Gegensatz empfunden
und zu formulieren versucht. Aber keine dieser Formeln zeigt den Gedanken völlig
zu Ende durchgedacht. Nirgend kommt es klar zur Erkenntnis und Darstellung,
daß der Gegensatz nur in den Mitteln besteht, mit denen der gleiche Zweck,
der Erwerb ökonomischer Genußgüter, erreicht werden soll. Und
gerade darauf kommt es an. Man kann es an einem Denker vom Range Karl Marx'
beobachten, zu welcher Verwirrung es führen muß, wenn man ökonomischen
Zweck und ökonomisches Mittel nicht streng auseinanderhält. Alle Irrtümer,
die die großartige Theorie zuletzt so weit von der Wahrheit abführten,
wurzeln im tiefsten in jenem Mangel an scharfer Unterscheidung zwischen Zweck
und Mittel der ökonomischen Bedürfnisbefriedigung, der ihn dazu führte,
die Sklaverei als eine »ökonomische Kategorie« und die Gewalt
als eine »ökonomische Potenz« zu bezeichnen: Halbwahrheiten,
die gefährlicher sind als Ganzunwahrheiten, weil sie schwerer entdeckt
werden und Fehlschlüsse kaum vermeidbar machen. Unsere scharfe Scheidung
zwischen den beiden Mitteln zum gleichen Zweck wird uns dazu verhelfen, jener
Verwirrung auszuweichen. Sie wird uns der Schlüssel sein zum Verständnis
der Entstehung, des Wesens und der Bestimmung des Staates; und, weil alle Weltgeschichte
bis heute nichts anderes als Staatengeschichte war, zum Verständnis der
Weltgeschichte. Alle Weltgeschichte bis heute, bis empor zu uns und unserer
stolzen Kultur, hat und wird haben, bis wir uns zur Freibürgerschaft durchgekämpft
haben, nur einen Inhalt: den Kampf zwischen dem ökonomischen und dem politischen
Mittel. b) Staatslose Völker
(Jäger und Hackbauern) [S. 21] Der Staat ist
die Organisation des politischen Mittels. Und darum kann ein Staat nicht eher
entstehen, als bis das ökonomische Mittel einen gewissen Stamm von Gegenständen
der Bedürfnisbefriedigung geschaffen hat, die kriegerischer Raub erwerben
kann. Darum sind die primitiven Jäger staatlos, und auch die höheren
Jäger bringen es nur dann zur Staatenbildung, wenn sie in ihrer Nachbarschaft
entwickeltere Wirtschaftsorganisationen vorfinden, die sie unterwerfen können.
Die primitiven Jäger aber leben durchaus in praktischer Anarchie. Große [3] berichtet
von den primitiven Jägern im allgemeinen: »Da es keine wesentlichen
Vermögensunterschiede gibt, so fehlt eine Hauptquelle für die Entstehung
von Standesunterschieden. Im allgemeinen sind alle erwachsenen Männer innerhalb
des Stammes gleichberechtigt. Die älteren danken ihrer reicheren Erfahrung
eine gewisse Autorität; aber niemand fühlt sich ihnen zum Gehorsam
verpflichtet. Wo einzelne Häuptlinge anerkannt werden - wie bei den Botokuden,
den Zentralkaliforniern, den Wedda und den Mincopie - ist ihre Macht außerordentlich
gering. Der Häuptling hat kein Mittel, um seine Wünsche gegen den
Willen der übrigen durchzusetzen. Die meisten Jägerstämme haben
jedoch überhaupt keine Häuptlinge. Die ganze männliche Gesellschaft
bildet noch eine homogene, undifferenzierte Masse, aus welcher nur diejenigen
Individuen hervorragen, die man im Besitz magischer Kräfte glaubt.« Hier besteht also kaum
eine Andeutung von »Staatlichkeit« im Sinne irgendeiner Staatslehre,
geschweige denn im Sinne der richtigen »soziologischen Staatsidee«. Die Gesellschaftsbildungen
der primitiven Ackerbauern haben kaum mehr Ähnlichkeit mit einem »Staate«
als die Jägerhorden. Wo der mit der Hacke den Boden bearbeitende Bauer
in Freiheit lebt - der Pflug ist schon immer Kennzeichen einer höheren
Wirtschaftsform, die nur im Staate vorkommt, nämlich der von unterworfenen
Knechten betriebenen Großwirtschaft [4] -, da gibt es noch keinen »Staat«.
Isoliert voneinander, weithin zerstreut in einzelnen Gehöften, vielleicht
Dörfern, durch Streitigkeiten wegen Gau- und Ackergrenzen [S. 22] zersplittert,
leben sie bestenfalls in losen Eidgenossenschaften, nur locker von dem Bande
zusammengehalten, das das Bewußtsein gleicher Abstammung und Sprache und
gleichen Glaubens um sie schlingt. Selten nur, vielleicht einmal im Jahre, eint
sie die gemeinsame Feier berühmter Ahnen oder der Stammesgottheit. Eine
über die Gesamtheit herrschende Autorität besteht nicht; die einzelnen
Dorf-, allenfalls Gauhäuptlinge haben je nach ihren persönlichen Eigenschaften,
namentlich nach der ihnen zugetrauten Zauberkraft, mehr oder weniger Einfluß
in ihrem beschränkten Kreise. Wie Cunow [5] die peruanischen Hackbauern
vor dem Einbruch der Inka schildert, so waren und sind die primitiven Bauern
überall in der Alten und Neuen Welt: »ein ungeregeltes Nebeneinander
vieler unabhängiger, sich gegenseitig befehdender Stämme, die sich
ihrerseits wieder in mehr oder weniger selbständige, durch Verwandtschaftsbande
zusammengehaltene Territorialverbände spalteten«. In einem solchen
Zustande der Gesellschaft ist das Zustandekommen einer kriegerischen Organisation
zu Angriffszwecken kaum denkbar. Es ist schon schwer genug, den Gau oder gar
Stamm zur gemeinsamen Verteidigung mobil zu machen. Der Bauer ist eben immobil,
bodenständig, wie die Pflanze, die er baut. Er ist durch seinen Betrieb
auch dann tatsächlich »an die Scholle gebunden«, wenn er rechtlich
frei beweglich ist. Und welchen Zweck sollte ein Raubzug in einem Lande haben,
das weithin nur von Bauernschaften besetzt ist? Der Bauer kann dem Bauern nichts
nehmen, was er nicht selbst schon besitzt. Jedem von ihnen bringt wenig Arbeit
in der extensiven Kultur eines durch Überfluß an Feldland ausgezeichneten
Gesellschaftszustandes so viel, wie er braucht; ein Mehr wäre ihm überflüssig,
seine Erwerbung verlorene Mühe, selbst wenn er das erbeutete Korn länger
aufbewahren könnte, als in so primitiven Verhältnissen möglich,
wo es schnell durch Witterungseinflüsse oder Ameisenfraß u. dgl.
zugrunde geht. Muß doch nach Ratzel der zentralafrikanische Bauer den
überschüssigen Teil seiner Ernte schleunigst in Bier verwandeln, um
ihn nicht ganz zu verlieren! Aus allen diesen Gründen
geht dem primitiven Bauern der kriegerische Offensivgeist gänzlich ab,
der den Jäger und Hirten auszeichnet: der Krieg kann ihm keinen Nutzen
bringen. Und diese friedliche Stimmung wird noch dadurch verstärkt, daß
ihn seine Beschäftigung [S. 23] nicht gerade kriegstüchtig macht.
Er ist wohl muskelstark und ausdauernd, aber von langsamen Bewegungen und zögerndem
Entschluß, während der Jäger und der Hirt durch ihren Beruf
zu Schnelligkeit und rascher Tatkraft erzogen werden. Darum ist der primitive
Bauer zumeist von sanfterer Gemütsart als jene[6]. Kurz: in den ökonomischen
und sozialen Verhältnissen des Bauerngaues besteht keine Differenzierung,
die zu höheren Formen der Integrierung drängte, besteht weder der
Trieb noch die Möglichkeit zu kriegerischer Unterwerfung der Nachbarn,
kann also kein »Staat« entstehen, und ist auch nie ein solcher entstanden.
Wäre kein Anstoß von außen, von Menschengruppen anderer Ernährungsart
gekommen - der primitive Bauer hätte den Staat nie erfunden. c) Vorstaatliche Völker
(Hirten und Wikinge) Dagegen finden wir beim
Hirtenstamme, auch bei dem isoliert vorgestellten, eine ganze Reihe von Elementen
der Staatenbildung vor; und in der Tat haben die vorgeschritteneren Hirten den
Staat schon fast fertig ausgestaltet bis auf das letzte Merkmal, das den Begriff
im modernen Sinne ganz erfüllt, bis auf die Seßhaftigkeit im fest
umgrenzten Staatsgebiete. Das eine Element ist
ein ökonomisches. Auch ohne das Dazwischentreten von außerökonomischer
Gewalt kann sich im Hirtenleben eine immerhin ziemlich bedeutende Differenzierung
des Vermögens und Einkommens entwickeln. Nehmen wir selbst als Anfangszustand
[S. 24] die volle Gleichheit des Herdenbestandes an, so kann und wird doch binnen
kurzer Zeit der eine reicher, der andere ärmer sein. Ein besonders geschickter
Züchter wird seine Herde schnell wachsen sehen, ein besonders aufmerksamer
Wächter und kühner Jäger wird sie besser vor der Zehntung durch
Raubtiere bewahren. Das Glück tut das Seinige dazu: der eine findet eine
besonders gute Weidestelle und gesunde Wasserplätze, dem anderen raubt
eine Seuche oder ein Schneesturm oder ein Samum sein ganzes Vermögen. Vermögensunterschiede
bringen überall Klassenunterschiede hervor. Der verarmte Hirt muß
sich dem reichgebliebenen verdingen und sinkt dadurch unter ihn, wird von ihm
abhängig. Das ist eine Erscheinung, die uns aus allen drei Erdteilen der
Alten Welt berichtet wird, d.h. überall, wo Hirten leben. Meitzen [7] berichtet
von den lappischen Nomaden in Norwegen: »300 Stück pro Familie waren
ausreichend; wer nur noch hundert hat, muß in den Dienst der Reichen treten,
deren Herden bis zu 1000 Stück zählen.« Und derselbe Berichterstatter
sagt von den zentralasiatischen Nomaden: »Eine Familie braucht 300 Stück
Vieh zur Behaglichkeit; 100 Stück ist Armut; dann kommt Schuldnerschaft.
Der Knecht muß den Acker des Herrn bauen« [8]. Aus Afrika berichtet
Ratzel [9] von den Hottentotten eine Art von »Commendatio«: »Wer
nichts hatte, suchte sich bei den Reichen zu verdingen; sein einziges Ziel war,
in den Besitz von Vieh zu kommen.« Laveleye, der das gleiche aus Irland
berichtet, führt sogar Ursprung und Namen des Feudalsystems (système
féodal) auf die Viehleihe der reichen an die armen Stammesgenossen zurück:
danach war ein fee-od (Vieheigen) das erste Lehen, mit dem der Große den
Kleinen als »seinen Mann« an sich band, bis er seine Schuld getilgt
hatte. Wie sehr diese ökonomische
und dann soziale Differenzierung durch das mit dem Patriarchat verbundene Ober-
und Opferpriesteramt schon in friedlichen Hirtengesellschaften gefördert
werden konnte, wenn der Älteste den Aberglauben seiner Clangenossen geschickt
gebrauchte, um seinen eignen Herdenbesitz zu vergrößern, kann hier
nur angedeutet werden. [S. 25] Indessen hält
sich diese Differenzierung, so lange das politische Mittel nicht einwirkt, in
sehr bescheidenen Grenzen. Geschick und Tüchtigkeit sind nicht mit Gewißheit
erblich, der größte Herdenbestand wird zersplittert, wenn viele Erben
in einem Zelte wuchsen, und das Glück ist launisch. Noch in unseren Tagen
ist der reichste Mann der schwedischen Lappen in kürzester Zeit so völlig
verarmt, daß er von der Regierung unterhalten werden mußte. All
diese Gründe wirken dahin, den ursprünglichen Zustand ökonomischer
und sozialer Gleichheit immer wieder annähernd herzustellen.[10] »Je
friedlicher, ursprünglicher, echter der Nomade ist, um so weniger gibt
es fühlbaren Unterschied des Besitzes. Die Freude ist rührend, womit
ein alter Fürst der Tsaidam-Mongolen sein Tributgeschenk: eine Handvoll
Tabak, ein Stück Zucker, und 25 Kopeken empfängt« [11] Erst das politische Mittel
zerstört diese Gleichheit auf die Dauer und in stärkerem Maße:
»Wo Krieg geführt und Beute gemacht wird, gibt es größere
Unterschiede, die im Besitz von Sklaven, Weibern, Waffen, edlen Reittieren zum
Ausdruck gelangen.« [12] Der Besitz von Sklaven!
Der Nomade ist der Erfinder der Sklaverei und hat damit den Keimling des Staates
geschaffen, die erste Bewirtschaftung des Menschen durch den Menschen. Auch der Jäger führt
Kriege und macht Gefangene. Aber er macht sie nicht zu Sklaven, sondern tötet
sie oder adoptiert sie in seinen Stamm. Was sollte er mit Sklaven anfangen?
Jagdbeute läßt sich noch viel weniger aufspeichern, »kapitalisieren«
als Korn. Der Gedanke, aus einem Menschen einen Arbeitsmotor zu machen, konnte
erst auf einer Wirtschaftsstufe entstehen, auf der ein Vermögensstamm,
ein Kapital, gebildet ist, das nur mit Hilfe abhängiger Arbeitskräfte
verwertet werden kann. Dieser Zustand ist erst
auf der Hirtenstufe erreicht. Die Kräfte einer Familie reichen ohne fremde
Hilfe nur hin, um eine Herde von sehr begrenzter Größe zusammenzuhalten
und vor tierischen und [S. 26] menschlichen Feinden zu schützen. Ehe das
politische Mittel eingreift, sind solche Hilfskräfte nur sehr spärlich
vorhanden: in den erwähnten armen Clangenossen und in Flüchtlingen
aus fremden Stämmen, die wir überall als schutzbefohlene Abhängige
in dem Gefolge der großen Herdenbesitzer finden [13]. Hier und da tritt
wohl auch ein ganzes armes Hirtenvolk halb freiwillig in den Dienst eines reichen:
»Ganze Völker nehmen ihrem Besitz entsprechende Stellungen zueinander
ein. So bemühen sich die Tungusen, die sehr arm sind, in der Nähe
von Tschuktschen-Niederlassungen zu leben, weil sie bei den an Rentierherden
reicheren Tschuktschen als Hirten Verwendung finden; sie werden dann mit Rentieren
bezahlt. Und die Unterwerfung der Ural-Samojeden durch die Sirjänen folgte
der allmählichen Usurpation ihrer Weidegründe [14]. Aber vielleicht mit Ausnahme
des letztgenannten Falles, der schon stark staatsähnlich ist, reichen die
paar im Clan vorhandenen kapitallosen Arbeitskräfte doch nicht hin, um
sehr große Herden zu hüten. Und doch zwingt der Betrieb selbst dazu,
sie zu teilen; denn ein Weidegrund darf nicht ohne Schaden »überstoßen«,
d.h. zu stark besetzt werden, wie man in der Schweizer Alpenwirtschaft sagt;
und die Gefahr, den ganzen Bestand zu verlieren, mindert sich in dem Maße,
wie man ihn auf verschiedene Weiden verteilt. Dann vernichten Seuchen, Stürme
usw. nur einen Teil, und auch der Grenzfeind kann nicht alles auf einmal nehmen.
Darum ist z.B. bei den Hereros »jeder nur etwas reichere Besitzer gezwungen,
neben der eigentlichen Hauptwerfte immer noch einige Viehposten zu haben, worüber
die jüngeren Brüder oder andere nahe Verwandte oder in Ermanglung
dieser erprobte alte Knechte die Aufsicht führen« [15] Darum schont der entwickelte
Nomade den kriegsgefangenen Feind: er kann ihn als Weidesklaven brauchen. Wir
können in einer Kultsitte der Skythen noch den Übergang von der Tötung
zur Verknechtung beobachten: sie opferten an ihren Gaumalstätten je einen
von hundert gefangenen Feinden. Lippen, der die Tatsache berichtet [16], [S.
27] erblickt darin »eine eintretende Beschränkung, und der Grund
derselben liegt sichtlich in dem Werte, welchen der gefangene Feind für
ein Hirtenvolk als Knecht gewonnen hatte.« Mit der Eingliederung
der Sklaven in den Hirtenstamm ist der Staat - bis eben auf das in Seßhaftigkeit
besessene festbegrenzte Gebiet - in seinen wesentlichen Elementen fertig. Er
hat die Form der Herrschaft und den Inhalt der wirtschaftlichen Ausbeutung menschlicher
Arbeitskräfte. Und nun kann die ökonomische Differenzierung und soziale
Klassenbildung in ganz anderem Schrittmaß vorangehen. Die Herden der Großen,
klug verteilt und von zahlreichen bewaffneten Knechten stärker bewacht
als die der kleinen Gemeinfreien, erhalten sich in der Regel auf ihrem Bestande
und vermehren sich durch den größeren Anteil an der Beute, den der
Reiche, entsprechend der von ihm ins Feld gestellten (unfreien!) Kriegerzahl,
erhält, schneller als jene. Das Oberpriesteramt wirkt weiter mit, und so
spaltet eine immer breitere Kluft die ehemals gleichen Clangenossen, bis ein
echter Adel, die reichen Nachkommen der reichen Patriarchen, den kleinen Gemeinfreien
gegenübersteht. »Die Rothäute haben auch in ihrer fortgeschrittensten
Organisation keinen Adel und keine Sklaverei ausgebildet [17], und dadurch unterscheidet
sich ihre Organisation am wesentlichsten von der der alten Welt. Beides erhebt
sich erst auf dem Boden des Patriarchats tierzüchtenden Völker.«
[18] Und so finden wir denn bei allen entwickelten Hirtenvölkern die soziale
Scheidung in drei verschiedene Klassen: Adel (Fürsten der Stammhäuser
im biblischen Ausdruck), Gemeinfreie und Sklaven. Im besonderen haben nach Mommsen
[19] »alle indogermanischen Völker die Sklaverei als rechtliche Institution«.
Und was für die Arier und die Semiten Asiens und Afrikas (Masai und Wahuma
usw.) und die Mongolen gilt, gilt auch für die Hamiten. Bei allen Fulbe
der Sahara »teilt sich die Gesellschaft in Fürsten, Häuptlinge,
Gemeine und Sklaven« [20]. Und wieder das gleiche finden wir, wie selbstverständlich,
[S. 28] überall, wo die Sklaverei rechtlich besteht, bei den Hova [21]
und ihren polynesischen Verwandten, den »See-Nomaden«. Die Menschenpsyche
wirkt sich überall unter gleichen Verhältnissen in gleichen Ordnungen
aus, ganz unabhängig von Farbe und Rasse. So gewöhnt sich
der Hirt allmählich an den Kriegserwerb und an die Bewirtschaftung des
Menschen als eines verknechteten Arbeitsmotors. Und man muß anerkennen,
daß seine ganze Lebensweise ihn dazu antreiben muß, von dem »politischen
Mittel« immer mehr Gebrauch zu machen. Er ist körperlich
stärker und ebenso gewandt und entschlossen wie der primitive Jäger,
dessen Nahrungserwerb allzu unregelmäßig ist, als daß er zu
der, der Gattung bestimmten höchsten Größe und Kraft aufwachsen
könnte. Der Hirt aber, dem in der Milch seiner Herdentiere der Nahrungsquell
ohne Unterbrechung fließt, und der Fleischnahrung hat, so oft er sie begehrt,
wächst fast überall zum »Riesen«: der arische Roßnomade
nicht minder wie der Rinderhirt Asiens und Afrikas, z.B. der Sulu. Zum zweiten
ist der Hirtenstamm an Kopfzahl viel stärker als die Jägerhorde, nicht
nur, weil die Erwachsenen viel mehr Nahrung von einem gegebenen Gebiete erzielen
können, sondern vor allem auch, weil die Verfügung über tierische
Milch die Säugeperiode der Mütter abkürzt und eine größere
Zahl von Geburten und die Aufzucht von mehr Geborenen erlaubt. Daher sind die
Weidesteppen der Alten Welt zu jenen unerschöpflichen Staubecken geworden,
die periodisch in Überschwemmungen austraten, zu den »vaginae gentium«. Eine bedeutend größere
Anzahl wehrhafter Krieger also, als bei den Jägern, jeder einzelne stärker,
und doch alle zusammen mindestens ebenso beweglich wie die Jägerhorde,
die Reiter unter ihnen (Kamel- und Rossereiter) sogar ungleich beweglicher!
Und diese größere Masse bester Einzelkräfte zusammengehalten
durch eine Organisation, wie sie nur unter dem Schilde des sklavenhaltenden,
herrschaftsgewöhnten Patriarchats möglich war, eine Organisation,
die dem lockeren Gefolgsdienst der einem Häuptling geschworenen jungen
Krieger der Jägerstufe gar nicht verglichen werden kann, und die schon
durch den Beruf vorbereitet und ausgebildet ist. Der Jäger nämlich
jagt am vorteilhaftesten allein oder in kleinen Gruppen: der Hirt aber bewegt
sich am vorteilhaftesten in dem [S. 29] großen Zuge, in dem der einzelne
am besten geschützt ist, und der in jedem Sinne ein Heereszug ist, wie
der Rastplatz in jedem Sinne ein Feldlager darstellt. So bildet sich ganz von
selbst die Übung taktischer Manöver, strenger Ordnung, fester Disziplin
aus. »Man geht wohl nicht fehl,« bemerkt Ratzel [22], »wenn
man zu den disziplinierenden Kräften im Leben des Nomaden die seit Urzeiten
gleiche Zeltordnung rechnet. Jeder und alles hat hier seine feste, altbestimmte
Stelle; daher die Raschheit und Ordnung in Auf- und Abbruch, Neu-Aufstellung
und -Einrichtung. Unerhört, daß jemand ohne Befehl oder dringendsten
Grund seinen Platz verändert. Nur dieser festen Ordnung ist es zu verdanken,
daß das Zelt mit seinem ganzen Inhalt in Zeit von einer Stunde verpackt
und verladen werden kann.« Ganz dieselbe, uralt
hergebrachte, in Jagd, Krieg und friedlicher Wanderung erprobte Ordnung beherrscht
nun auch den kriegerischen Marsch des Hirtenstammes. Und dadurch werden sie
zu berufsmäßigen und, bis der »Staat« nicht noch höhere
und mächtigere Organisationen schafft, zu unwiderstehlichen Kämpfern.
Hirt und Krieger werden identische Begriffe. Was Ratzel von den zentralasiatischen
Nomaden ausspricht [23], gilt von allen: »Der Nomade ist als Hirt ein
wirtschaftlicher, als Krieger ein politischer Begriff. Ihm liegt es immer nahe,
aus irgendeiner Tätigkeit in die des Kriegsmannes und Räubers überzugehen.
Alles im Leben hat für ihn eine friedliche und kriegerische, eine ehrliche
und räuberische Seite; je nach den Umständen kehrt er diese oder jene
heraus. Sogar Fischerei und Seefahrt schlugen in den Händen der ostkaspischen
Turkmenen in Seeräubertum um. (...) Der Gang des anscheinend friedlichen
Hirtendaseins bestimmt den des Krieges; der Hirtenstab wird zur Waffe. Im Herbst,
wenn die Pferde gekräftigt von der Weide herein kommen, und die zweite
Schafschur vollendet ist, sinnt der Nomade, welchen Rache- oder Raubzug (Baranta,
wörtlich Vieh machen, Vieh rauben) er bis dahin vertagt hatte. Das ist
der Ausdruck eines Faustrechts, das in Rechtsstreitigkeiten, im Ehrenhandel
und bei Blutrache Vergeltung und Unterpfand im Wertvollsten sucht, das der Feind
besaß, in seinen Herdentieren. Junge Männer, die keine Baranta mitgemacht,
haben sich den Namen Batir, Held, und Anspruch auf Ehre und Achtung [S. 30]
erst zu erwerben. Zur Lust der Abenteuer gesellt sich die Freude am Besitz;
und so entwickelt sich die dreifache, abwärtsführende Stufenreihe
von Rächer, Held und Räuber.« Ganz ähnlich, wie
bei den Landnomaden liegen die Verhältnisse bei den Seenomaden, den »Wikingen«.
Um so mehr, weil in den für die Universalgeschichte wichtigsten Fällen
die Seenomaden nichts anderes sind als auf das Meer hinausgegangene Landnomaden. Wir haben soeben eine
der unzähligen Tatsachen angeführt, die zeigen, daß der Hirt
sich nicht lange besinnt, statt des Pferdes oder des »Schiffs der Wüste«
die »Rosse der See« zum Raubkriege zu benutzen. Sie betraf die ostkaspischen
Turkmenen [24]. Ein anderes Beispiel geben die Skythen: »In dem Augenblicke,
da sie den Nachbarn die Kunst ablernen, das Meer zu befahren, verwandeln sich
die Wanderhirten, Homers »verehrliche Rosselenker und Milchesser und Habelose,
die rechtlichsten Menschen« (Ilias XIII, 3) genau wie ihre baltischen
und skandinavischen Brüder in kühne Seefahrer. Strabo (Cas., p. 301)
klagt: Seitdem sie sich aufs Meer wagten, sind sie, Seeraub treibend und die
Stammfremden ermordend, schlechter geworden, und, mit vielen Volksstämmen
verkehrend, nehmen sie an dem Kleinhandel und der Verschwendung dieser teil«
[25]. Wenn die Phönizier
wirklich »Semiten« gewesen sind, so bilden sie ein weiteres, für
die Universalgeschichte unvergleichlich wichtiges Beispiel für die Umwandlung
von Land- in See-»Beduinen«, d.h. kriegerische Räuber. Und
dasselbe gilt wahrscheinlich für die Mehrzahl der zahlreichen Völker,
die von der kleinasiatischen, dalmatinischen und nordafrikanischen Küste
aus von den frühesten Zeiten an, über die wir in den ägyptischen
Denkmälern Nachrichten finden, (die Hellenen wurden in Ägypten nicht
zugelassen) [26] bis zur Gegenwart (Rifpiraten) die reichen Länder um das
Mittelmeer brandschatzten. Die nordafrikanischen »Mauren«, als Araber
wie als Berber ursprünglich, beide Teile der Mischung, Landnomaden, sind
vielleicht das berühmteste Beispiel dieser Wandlung. Indessen können
Seenomaden, d.h. Seeräuber, auch ohne die [S. 31] Zwischenstufe des Hirtentums
unmittelbar aus Fischervölkern entstehen. Wir haben soeben die Ursachen
kennen gelernt, die den Hirten die Überlegenheit über die Hackbauern
verleihen: die relativ bedeutende Volkszahl der Horden, bei einer Tätigkeit,
die den einzelnen Mann zu Mut und schnellem Entschluß, und die Masse als
Ganzes zu straffer Disziplin erzieht. All das gilt auch für den seeanwohnenden
Fischer. Reiche Fischgründe gestatten eine bedeutende Volksdichtigheit,
wie die Nordwest-Indianer (Tlinkit usw.) zeigen; sie machen auch die Sklavenhaltung
möglich, da der Sklave beim Fischfang mehr erwirbt, als seine Nahrung kostet;
und so finden wir, hier allein unter den Rothäuten, das Institut der Sklaverei
ausgebildet und finden daher auch bleibende ökonomische Unterschiede zwischen
den Freien, die sich als eine Art von Plutokratie darstellen, ähnlich wie
bei den Hirten. Der Befehl über Sklaven erzeugt hier wie dort die Gewohnheit
der Herrschaft und den Geschmack am »politischen Mittel«; und hier
wie dort kommt diesem Wunsche die straffe Disziplin zugute, die der Beruf, hier
die Seefahrt, ausbildet. »Beim gemeinsamen Fischfang ist nicht der letzte
Vorteil die Disziplinierung der Mannschaften, die sich in den größeren
Fischerbooten einen Anführer wählen, dem unbedingt zu gehorchen ist,
da vom Gehorsam jeglicher Erfolg abhängt. Die Regierung des Schiffes erleichtert
dann die des Staates. Im Leben eines gewöhnlich völlig zu den Wilden
gerechneten Volkes, wie der Salomon-Insulaner, ist unzweifelhaft das einzige,
kräftezusammenfassende Element die Schiffahrt« [27]. Wenn die Nordwestindianer
keine so berühmten Seeräuber geworden sind, wie ihre altweltlichen
Genossen, so liegt das nur daran, daß sich in ihrer erreichbaren Nachbarschaft
keine reiche Hochkultur entfaltet hat: aber Piraterie treiben alle höheren
Fischer. Aus diesen Gründen
sind die Wikinge ebenso befähigt, das politische Mittel zur Basis ihrer
wirtschaftlichen Existenz zu wählen wie die Hirten, und sie sind, wie sie,
in großem Maßstabe Staatengründer geworden. Wir werden im folgenden
die von ihnen gegründeten Staaten als »Seestaaten« von den
durch Hirten (und in der Neuen Welt durch Jäger) gegründeten »Landstaaten«
unterscheiden. Von den ersteren wird unten ausführlich zu handeln sein,
wenn von den Ausgängen des entfalteten Eroberungsstaates die Rede ist.
Fürs erste, [S. 32] solange wir von der Entstehung des Staates und von
dem primitiven Eroberungsstaat zu handeln haben, dürfen wir uns aus dem
Grunde im wesentlichen auf die Betrachtung des Landstaates beschränken
und den Seestaat zurücktreten lassen, weil dieser zwar in allen grundsätzlichen
Dingen genau dasselbe Wesen und dieselbe Entwicklung aufweist, aber doch den
typischen Gang dieser Entwicklung minder klar erkennen läßt. d) Die Entstehung des
Staates Die an Zahl und auch
an Wert des einzelnen Kämpfers unvergleichlich schwächeren Jägerhorden,
mit denen die Hirten gelegentlich zusammenstoßen, können dem Anprall
natürlich nicht widerstehen. Sie weichen aus in Steppen und Gebirge, in
die ihnen die Hirten nicht folgen wollen und können, weil das Vieh dort
keine Weide findet; oder treten zu ihnen in eine Art von Klientenverhältnis:
eine Erscheinung, die sich namentlich in Afrika häufig und seit uralter
Zeit findet. Schon mit den Hyksos zogen solche abhängigen Jäger ins
Nilland ein. Aber der Jäger zahlt wohl allenfalls einen geringen Tribut
an Jagdbeute gegen Schutz und versteht sich zum Kundschafter- und Wächterdienst;
aber er, der »praktische Anarchist«, läßt sich eher vernichten,
als zum regelmäßigen Arbeitsdienst zwingen. Daher wuchs aus solchen
Zusammenstößen niemals ein »Staat« hervor. Auch der Bauer kann mit
seiner undisziplinierten Landwehr, die aus ungeübten Einzelkämpfern
besteht, dem Anprall der reisigen Hirten nicht auf die Dauer widerstehen, selbst
wenn er in starker Überzahl ficht. Aber der Bauer weicht nicht aus, denn
er ist bodenständig; und der Bauer ist an regelmäßige Arbeit
schon gewöhnt. Er bleibt, läßt sich unterwerfen und steuert
seinem Besieger: das ist die Entstehung des Landstaates in der Alten Welt! In der Neuen Welt, wo
die großen Weidetiere, Rinder, Pferde, Kamele ursprünglich nicht
vorhanden sind, tritt an die Stelle des Hirten der dem Hackbauern durch Waffengewandtheit
und kriegerische Disziplin immer noch unendlich überlegene höhere
Jäger. »Der in der Alten Welt kulturzeugende Gegensatz von Hirten-
und Ackerbauvölkern reduziert sich in der Neuen auf den Gegensatz von wandernden
[S. 33] und ansässigen Stämmen. Wie Iran und Turan kämpfen mit
den im Ackerbau aufgehenden Tolteken die von Norden hereinbrechenden wilden
Scharen, deren militärische Organisation hochentwickelt war« [28]. Das gilt nicht nur für
Peru und Mexiko, sondern für das ganze Amerika, ein starker Beweis für
die Meinung, daß die Grundlage des Menschen überall gleich ist und
sich unter den verschiedensten wirtschaftlichen und geographischen Bedingungen
durchsetzt. Wo er die Gelegenheit findet und die Macht besitzt, zieht der Mensch
das politische Mittel dem ökonomischen vor. Und vielleicht nicht nur der
Mensch: nach Maeterlincks »Leben der Bienen« soll ein Bienenstock,
der einmal die Erfahrung gemacht hat, daß er den Honig, statt in mühsamer
Tracht, auch durch Raub aus einem fremden Stock gewinnen kann, fortan für
das »ökonomische Mittel« verdorben sein. Aus Arbeitsbienen
sind Raubbienen geworden. Lassen wir die neuweltlichen
Staatenbildungen außer Acht, die ja ohnehin für die große Linie
der Weltgeschichte keine Bedeutung gewonnen haben, so haben wir als Triebkraft
aller Geschichte, als Entstehungsgrund aller Staaten, zu betrachten den Gegensatz
zwischen Ackerbauern und Hirten, zwischen Arbeitern und Räubern, zwischen
Tiefland und Weidesteppe, wie Ratzel, der die Soziologie vom geographischen
Zipfel aus faßte, es treffend ausdrückt: »Daß der Nomadismus
nicht rein zerstörend der sedentären Kultur gegenübertritt, ruft
uns die Tatsache ins Gedächtnis, daß wir es von nun an nicht nur
mit Stämmen, sondern auch mit Staaten, und zwar Staaten mächtiger
Art, zu tun haben. In dem kriegerischen Charakter der Nomaden liegt eine große
staatenschaffende Macht, die sich vielleicht noch klarer als in den von Nomadendynastien
und -armeen beherrschten großen Staaten Asiens: dem von Türken regierten
Persien, dem von Mongolen und Mandschu eroberten und verwalteten China, den
Mongolen und Radschputenstaaten Indiens, am Rande des Sudans ausspricht, wo
die Verschmelzung der erst feindlichen, dann zu fruchtbarem Zusammenwirken vereinigten
Elemente noch nicht so weit fortgeschritten ist. Nirgends zeigt es sich so klar
wie hier auf der Grenze nomadisierender und ackerbauender Völker, daß
die großen Wirkungen der kulturfördernden Anstöße der
Nomaden nicht aus friedlicher Kulturtätigkeit hervorgehen, sondern als
kriegerische Bestrebungen [S. 34] friedlichen zuerst entgegenwirken, ja schaden.
Ihre Bedeutung liegt in dem Talent der Nomaden, die sedentären und leicht
auseinanderfallenden Völker energisch zusammenzufassen. Das schließt
aber nicht aus, daß sie dabei viel von ihren Unterworfenen lernen können
(...) Was aber alle diese Fleißigen und Geschickten nicht haben und nicht
haben können, das ist der Wille und die Kraft, zu herrschen, der kriegerische
Geist und der Sinn für staatliche Ordnung und Unterordnung. Darum stehen
die wüstengeborenen Herren der Sudanstaaten über ihren Negervölkern
wie die Mandschu über ihren Chinesen. Was anderes aber erfüllt sich
hier als das von Timbuktu bis Peking gültige Gesetz, daß bevorzugte
Staatenbildungen in den an weite Steppen grenzenden, reichen Ackerbauländern
entstehen, wo eine hohe materielle Kultur sedentärer Völker gewaltsam
in den Dienst energischer, herrschfähiger, kriegerischer Steppenbewohner
gezogen wird?« [29] Bei der Entstehung des
Staates aus der Unterwerfung eines Ackerervolkes durch einen Hirtenstamm oder
durch Seenomaden lassen sich sechs Stadien unterscheiden. Wenn wir sie im folgenden
schildern, so ist nicht die Meinung, als wenn die reale historische Entwicklung
gezwungen gewesen sei, in jedem einzelnen Falle die ganze Treppe, Stufe für
Stufe, zu erklettern. Zwar ist hier nichts theoretische Konstruktion; jede einzelne
Stufe findet sich in zahlreichen Vertretern in Weltgeschichte und Völkerkunde,
und es gibt Staaten, die sie augenscheinlich sämtlich absolviert haben.
Aber es gibt mehr, die eine oder mehrere der Stufen übersprungen haben. Das erste Stadium ist
Raub und Mord im Grenzkriege: ohne Ende tobt der Kampf, der keinen Frieden noch
Waffenstillstand kennt. Erschlagene Männer, fortgeführte Kinder und
Weiber, geraubte Herden, brennende Gehöfte! Werden die Angreifer mit blutigen
Köpfen heimgeschickt, so kommen sie in stärkeren und stärkeren
Haufen wieder, zusammengeballt durch die Pflicht der Blutrache. Zuweilen rafft
sich wohl die Eidgenossenschaft auf, sammelt die Landwehr, und es gelingt ihr
vielleicht auch einmal, den flüchtigen Feind zu stellen und ihm auf eine
Zeitlang die Wiederkehr zu verleiden; aber allzu schwerfällig ist die Mobilmachung,
allzu schwierig die Verpflegung in der Wüste für die Bauernlandwehr,
die nicht, wie der Feind, ihre Nahrungsquelle, die Herden, mit sich führt
- wir erlebten [S. 35] in Südwestafrika, was eine vorzüglich disziplinierte
Überzahl mit Train und Eisenbahnnachschub und den Millionen des deutschen
Reiches hinter sich dulden mußte, um eine Handvoll Hirtenkrieger zur Strecke
zu bringen - und schließlich ist der Kirchtumsgeist mächtig, und
daheim liegen die Äcker brach. Darum siegt auch in solchen Fällen
auf die Dauer fast immer die kleine, aber geschlossene bewegliche Macht über
die größere zersplitterte Masse, der Panther über den Büffel. Das ist das erste Stadium
der Staatsbildung. Sie kann jahrhunderte-, vielleicht jahrtausendelang darauf
stehen bleiben, wie das folgende, überaus charakteristische Beispiel zeigt:
»Jedes Weidegebiet eines Turkmenenstammes grenzte einst an eine weite
Zone, die man als sein Raubgebiet bezeichnen konnte. Der ganze Norden und Osten
von Chorassan gehörte jahrzehntelang mehr den Turkmenen, Jomuden, Goklanen
und anderen Stämmen der angrenzenden Steppen als den Persern, deren Herrschaft
nur nominell war. Ähnlich waren Grenzstriche von Chiwa und Bochara den
Raubzügen der Tekinzen verfallen, bis es gelang, andere Turkmenenstämme
mit Gewalt oder durch Bestechung als Stoßkissen einzuzwängen. Die
Geschichte der Oasenkette, die Ost- und Westasien quer durch die Steppen Zentralasiens
verbindet, wo seit alter Zeit die Chinesen durch den Besitz weltgeschichtlicher
Schlüsselpunkte wie der Oase Chami dominierten, gibt zahllose weitere Belege.
Immer versuchten die Nomaden, von Süden und Norden her an den Inseln fruchtbareren
Bodens zu landen, die ihnen wie Inseln der Glückseligen erscheinen mochten,
und jeder Horde stand, ob sie erfolgreich abzog oder geschlagen flüchtete,
die schützende Steppe offen. Ward auch die schwerste Bedrohung durch die
zäh fortgesetzte Schwächung des Mongolentums und die faktische Beherrschung
Tibets beseitigt, so hat der letzte Dunganenaufstand gezeigt, wie leicht doch
die Wellen eines beweglichen Volkstums über diesen Kultureilanden zusammenschlagen.
Erst die Vernichtung des Nomadismus, die unmöglich ist, solange es Steppen
in Zentralasien gibt, vermöchte ihre Existenz ganz sicherzustellen.«
[30] Zum ersten Stadium zu
rechnen sind auch die aus der ganzen altweltlichen Geschichte bekannten Massenzüge,
soweit sie nicht auf Eroberung, sondern lediglich auf Plünderung abzielten,
Massenzüge, [S. 36] wie sie Westeuropa durch die Kelten, Germanen, Hunnen,
Avaren, Araber, Magyaren, Tataren, Mongolen und Türken vom Lande und durch
die Wikinge und Sarazenen vom Wasser her erlitten hat. Sie überschwemmten
weit über das gewohnte Raubgebiet hinaus ganze Erdteile, verschwanden,
kehrten wieder, versickerten und hinterließen nur eine Wüste. Häufig
genug aber schritten sie in einem Teil des überfluteten Gebietes unmittelbar
zum sechsten und letzten Stadium der Staatsbildung, indem sie eine dauernde
Herrschaft über die Bauernbevölkerung errichteten. Ratzel schildert
diese Massenzüge vortrefflich wie folgt: »Der Gegensatz zu dieser
tröpfelnden und vorsichtigen Bewegung sind die Züge der großen
Nomadenhorden, mit deren fürchterlicher Gewalt vor allem Mittelasien seine
Nachbarländer übergoß. Die Nomaden dieses Gebietes, wie Arabiens
und Nordafrikas, vereinigen mit der Beweglichkeit ihrer Lebensweise eine ihre
ganze Masse zu einem einzigen Zwecke zusammenfassende Organisation. Gerade der
Nomadismus ist ausgezeichnet durch die Leichtigkeit, womit er aus dem patriarchalischen
Stammeszusammenhange despotische Gewalten von weitreichendster Macht entwickelt.
Dadurch entstehen Massenbewegungen, die sich zu anderen in der Menschheit vor
sich gehenden Bewegungen wie angeschwollene Ströme zu dem beständigen,
aber zersplitterten Geriesel eines Quellgeäders verhalten. Ihre geschichtliche
Bedeutung tritt aus der Geschichte Chinas, Indiens und Persiens nicht weniger
klar hervor als aus der Europas. So wie sie in ihren Weideländereien umherzogen
mit Weibern und Kindern, Sklaven, Wagen, Herden und aller Habe, brachen sie
über ihre Nachbarländer herein; und was ihnen dieser Ballast an Schnelligkeit
nahm, das gab er ihnen an Masse. Damit trieben sie die erschreckten Einwohner
vor sich her und wälzten sich über die eroberten Länder aussaugend
hin. So wie sie alles mit sich trugen, ließen sie sich auch am neuen Orte
mit allem nieder; ihre Festsetzungen gewannen dadurch an ethnographischer Bedeutung.
Wir erinnern an den Einzug der Magyaren in Ungarn, der Mandschu in China oder
der Turkvölker in die Lande von Persien bis zur Adria.« [31] Was hier von hamitischen,
semitischen, mongolischen und - sicherlich wenigstens teilweise - auch arischen
Hirtenvölkern gesagt wird, gilt auch von den echten Negern, soweit sie
eben ein Hirtendasein [S. 37] führen: »In den beweglichen, kriegerischen
Hirtenvölkern der Kaffern ruht eine Expansionskraft, die nur eines verlockenden
Zieles bedarf, um zur gewaltsamen Wirkung zu gelangen und die ethnologischen
Verhältnisse weiter Gebiete von Grund aus umzugestalten. Ein solches Ziel
bot das östliche Afrika, das zahlreichen friedlichen Ackerbauvölkern
Raum zur Entwicklung gewährt hatte, ohne doch, wie die Länder des
Inneren, aus klimatischen Gründen die Viehzucht zu verbieten und damit
die Stoßkraft der Nomaden von Anfang an zu lähmen. Gleich verheerenden
Strömen ergossen sich wandernde Kaffernstämme in die fruchtbaren Sambesiländer
und bis an das Hochland zwischen dem Tanganyika und die Küste hinein, wo
sie im Unyamwesi bereits den Vorposten einer von Norden kommenden hamitischen
Völkerwelle, den Watusi, begegneten. Zum Teil sind die älteren Bewohner
dieser Gebiete vernichtet, zum Teil bebauen sie als Hörige den ehemals
freien Boden ihrer Heimat, zum Teil endlich haben sie den Kampf noch nicht aufgegeben
oder hausen noch ungestört in Siedlungen, an denen der Sturm der Eroberung
seitwärts vorüberbrauste« [32]. Was sich hier noch eben
vor unseren Augen abgespielt hat und sogar noch abspielt, das hat seit vielen
Jahrtausenden »ganz Ostafrika vom Sambesi bis zum Mittelmeere erschüttert«.
Der Einfall der Hyksos, Ägyptens mindestens halbtausendjährige Unterwerfung
unter die Hirtenstämme der östlichen und nördlichen Wüsten,
»Stammverwandte jener Völker, die heut noch zwischen Nil und Rotem
Meer ihre Herden weiden«, [33] ist nur die erste uns bekannte dieser Staatsgründungen,
denen im Nilland selbst und weiter südlich so viele andere nachfolgten,
bis auf das Reich des Muata Jamvo am Südrand des mittleren Kongogebietes,
von dem die portugiesischen Händler in Angola schon am Ende des 16. Jahrhunderts
erfuhren, und bis auf das Kaiserreich Uganda, das erst in unseren Tagen der
stärkeren Kriegsorganisation der Europäer erlag. »Wüste
und Kulturland ruhen nie und nirgend kampflos nebeneinander; aber ihre Kämpfe
sind einförmig und voll Wiederholungen« [34]. »Einförmig
und voll Wiederholungen!« das ist die Weltgeschichte [S. 38] in ihren
Grundzügen überhaupt, weil die menschliche Psyche ebenfalls in ihren
Grundzügen überall die gleiche ist und auf die gleichen Einwirkungen
der Umwelt gleichmäßig reagiert, bei allen Rassen aller Farben in
allen Erdstrichen, in den Tropen, wie in den gemäßigten Zonen. Man
muß nur weit genug zurücktreten, den Standpunkt so hoch wählen,
daß das bunte Spiel der Einzelheiten uns die großen Massenbewegungen
nicht mehr verbirgt; dann entschwinden unserem Blick die »Modi«
der kämpfenden, wandernden, arbeitenden Menschheit, und ihre »Substanz«,
ihre ewig gleiche, ewig erneute, ihre im Wechsel dauernde, enthüllt uns
ihre »einförmigen« Gesetze. Allmählich entsteht
aus diesem ersten Stadium das zweite, namentlich dann, wenn der Bauer, durch
tausend Mißerfolge gekirrt, sich in sein Schicksal ergeben, auf jeden
Widerstand verzichtet hat. Dann beginnt es selbst dem wilden Hirten aufzudämmern,
daß ein totgeschlagener Bauer nicht mehr pflügen, ein abgehackter
Fruchtbaum nicht mehr tragen kann. Er läßt im eigenen Interesse den
Bauern leben und den Baum stehen, wenn es möglich ist. Die reisige Expedition
kommt nach wie vor, waffenstarrend, aber nicht mehr eigentlich in Erwartung
von Krieg und gewaltsamer Aneignung. Sie brennt und mordet nur so viel, wie
erforderlich ist, um den heilsamen Respekt zu erhalten oder vereinzelten Trotz
zu brechen. Aber im allgemeinen, grundsätzlich, nach einem fest gewordenen
Gewohnheitsrecht - der erste Keim alles staatlichen Rechtes! - nimmt der Hirt
nur noch den Überfluß des Bauern. Das heißt, er läßt
ihm Haus, Geräte und ausreichend Lebensmittel bis zur nächsten Ernte
[35]. Ein Vergleich: der Hirt im ersten Stadium ist der Bär, der den Bienenstock
zerstört, indem er ihn ausraubt; im zweiten ist er der Imker, der ihm genug
Honig läßt, um zu überwintern. Ein ungeheurer Schritt
vorwärts zwischen erstem und zweitem Stadium! Wirtschaftlich und politisch
ein ungeheurer Schritt! Denn zuerst war der Erwerb des Hirtenstammes rein okkupatorisch;
schonungslos zerstörte der Genuß des Augenblickes die Reichtumsquelle
[S. 39] der Zukunft; jetzt ist der Erwerb wirtschaftlich, denn alles Wirtschaften
heißt weise haushalten, den Genuß des Augenblickes der Zukunft halber
einschränken. Der Hirt hat gelernt, zu »kapitalisieren«. Ein
ebenso gewaltiger Schritt politisch: der blutsfremde Mensch, bisher vogelfreie
Beute, hat einen Wert erhalten, ist als Reichtumsquelle erkannt; das ist zwar
der Anfang aller Knechtschaft, Unterdrückung und Ausbeutung, aber auch
der Anfang zu einer über die Verwandtschaftsfamilie hinausgreifenden höheren
Gesellschaftsbildung; und schon spann sich, wie wir sahen, zwischen Räubern
und Beraubten der erste Faden einer Rechtsbeziehung über die Kluft fort,
die bisher zwischen den Nichts-als-Todfeinden klaffte. Der Bauer erhält
eine Art von Recht auf die Lebensnotdurft; es wird ein Unrecht, den nicht Widerstehenden
zu töten oder ganz auszuplündern. Und besser als das! Feinere, zartere
Fäden knüpfen sich zu einem noch sehr schwachen Netze, menschlichere
Beziehungen, als sie der brutale Gewohnheitspakt der Teilung nach dem Muster
der partitio leonina enthält. Da die Hirten nicht mehr im Kampfzorn rasend
mit den Bauern zusammentreffen, so findet auch wohl einmal eine demütige
Bitte Erfüllung, oder eine begründete Beschwerde Gehör. Der kategorische
Imperativ der Billigkeit, »was du nicht willst, das man dir tu'«,
dem auch der Hirt im Verkehr mit seinen eigenen Bluts- und Stammesgenossen streng
gehorcht, beginnt zum erstenmal, ganz schüchtern noch und leise, auch für
den Blutsfremden zu sprechen. Hier ist der Keim zu jenem grandiosen äußeren
Verschmelzungsprozeß, der aus den kleinen Horden die Völker und Völkerbünde
geschaffen hat und dereinst den Begriff der »Menschheit« mit Leben
erfüllen wird; hier ebenso der Keim zu der inneren Vereinheitlichung der
einst Zersplitterten, die vom Haß der zur allumfassenden Menschenliebe
des Christentums und des Buddhismus führte. Volkstum und Staat, Recht
und höhere Wirtschaft, mit allen Entwicklungen und Verzweigungen, die sie
schon getrieben haben und noch treiben werden, entstanden gemeinsam in jenem
Moment unvergleichlicher weltgeschichtlicher Bedeutung, in dem zuerst der Sieger
den Besiegten schonte, um ihn dauernd zu bewirtschaften. Die Wurzel alles Menschlichen
taucht nun einmal in das dunkle Erdreich des Tierischen, Liebe und Kunst nicht
minder wie Staat, Recht und Wirtschaft. [S. 40] Bald kommt ein
anderes hinzu, um jene seelischen Beziehungen noch enger zu knüpfen. Es
gibt in der Wüste außer dem jetzt in den Bienenvater umgewandelten
Bären noch andere Petze, die auch nach Honig lüstern sind. Unser Hirtenstamm
sperrt ihnen die Wildbahn, er schützt »seinen« Stock mit der
Waffe. Die Bauern gewöhnen sich, die Hirten herbeizurufen, wenn ihnen eine
Gefahr droht; schon erscheinen sie nicht mehr als die Räuber und Mörder,
sondern als die Schützer und Retter. Man stelle sich den Jubel der Bauern
vor, wenn die Rächerschaar die geraubten Weiber und Kinder samt den abgehauenen
Köpfen oder abgezogenen Skalpen der Räuber ins Dorf zurückbringt.
Was sich hier knüpft, sind keine Fäden mehr, das ist ein Band von
gewaltiger Festigkeit und Zähigkeit. Hier ist die vornehmste Kraft der
»Integration« gezeigt, die im weiteren Verlauf aus den beiden ursprünglich
blutsfremden, oft genug sprach- und rassefremden ethnischen Gruppen zuletzt
ein Volk mit einer Sprache und Sitte und einem Nationalgefühl schmieden
wird: gemeinsames Leid und Not, gemeinsamer Sieg und Niederlage, gemeinsamer
Jubel und Totenklage. Ein neues gewaltiges Gebiet hat sich erschlossen, auf
dem Herren und Knechte gleichen Interessen dienen; das erzeugt einen Strom von
Sympathie, von Zusammengehörigkeit. Jeder Teil ahnt, erkennt im anderen
mehr und mehr den Menschen; das Gleiche der Anlage wird herausgefühlt,
während vorher nur das Verschiedene in der äußeren Gestalt und
Tracht, in der fremden Sprache und Religion zu Haß und Widerwillen aufreizte.
Man lernt sich verständigen, erst im eigentlichen Sinne, durch die Sprache,
dann auch seelisch; immer dichter wird das Netz der seelischen Zusammenhänge. In diesem zweiten Stadium
der Staatsbildung ist alles Wesentliche bereits in der Anlage enthalten. Kein
weiterer Schritt kann sich an Bedeutung mit demjenigen messen, der von der Bären-
zur Imkerstufe führte. Wir können uns darum mit kurzen Andeutungen
begnügen. Das dritte Stadium besteht
darin, daß der »Überschuß« der Bauernschaften von
ihnen selbst regelmäßig als »Tribut« in das Zeltlager
der Hirten abgeliefert wird, eine Regelung, die augenscheinlich für beide
Teile bedeutende Vorteile hat. Für die Bauern, weil die kleinen Unregelmäßigkeiten,
die mit der bisherigen Form der Besteuerung verbunden waren: ein paar erschlagene
Männer, vergewaltigte Frauen und niedergebrannte Gehöfte, nun ganz
fortfallen; für die Hirten, [S. 41] weil sie, um sich ganz kaufmännisch
auszudrücken, für dieses »Geschäft« keine »Spesen«
und Arbeit mehr aufzuwenden haben und die freigewordene Zeit und Kraft auf »Erweiterung
des Betriebes« verwenden, d.h. mit anderen Worten, neue Bauernschaften
unterwerfen können. Diese Form des Tributs
ist uns aus historischen Zeiten bereits sehr geläufig, Hunnen, Magyaren,
Tataren, Türken zogen aus den europäischen Tributen ihre besten Einnahmen.
Unter Umständen kann sich bereits der Charakter eines Tributes, den Unterworfene
an ihre Herren zu bezahlen haben, hier mehr oder minder verwischen, und die
Leistung nimmt den Anschein eines Schutzgeldes oder gar einer Subvention an.
Man kennt die Sage von Attila, den der kaiserliche Schwachkopf in Byzanz als
seinen Lehnsfürsten abschildern ließ, weil ihm der Tribut als Hilfsgeld
erschien. Das vierte Stadium bedeutet
wieder einen sehr wichtigen Schritt vorwärts, weil es die entscheidende
Bedingung für das Zustandekommen des »Staates« in seiner uns
geläufigen äußeren Form hinzubringt: die räumliche Vereinigung
der beiden ethnischen Gruppen auf einem Gebiete [36]. (Bekanntlich kann keine
juristische Definition des Staates ohne den Begriff des Staatsgebietes auskommen.)
Von jetzt an wandeln sich die ursprünglich internationalen Beziehungen
beider Gruppen immer mehr in intranationale. Diese räumliche
Vereinigung kann äußere Gründe haben: vielleicht haben stärkere
Horden die Hirten vorwärtsgedrängt; vielleicht ist die Volksvermehrung
in der Steppe über die Nährkraft der Weiden hinausgewachsen; vielleicht
hat ein großes Viehsterben die Hirten [S. 42] gezwungen, die unbegrenzte
Weite mit der Enge des Flußtales zu vertauschen. Im allgemeinen reichen
aber schon innere Gründe hin, um die Hirten zu veranlassen, die Nachbarschaft
der Bauern zu suchen. Die Schutzpflicht gegen die »Bären« zwingt
sie, mindestens ein Aufgebot junger Krieger in der Nähe des Stockes zu
halten, und das ist gleichzeitig eine gute Vorsichtsmaßregel, um die Bienen
von Aufruhrgelüsten oder einer etwaigen Neigung zurückzuhalten, einen
anderen Bären als Bienenvater über sich zu setzen. Denn auch das ist
nicht selten. So sind, wenn die Überlieferung recht berichtet, Ruriks Söhne
nach Rußland gelangt. Zunächst ist die
räumliche Nachbarschaft noch keine staatliche Gemeinschaft im engeren Sinne,
d. h. eine Einheitsorganisation. Wo sie es mit ganz unkriegerischen
Unterworfenen zu tun haben, führen die Hirten, wandernd und weidend, ihr
Nomadenleben ruhig weiter zwischen ihren Periöken und Heloten. So die hellfarbigen
Wahuma, [37] »die schönsten Menschen der Welt« (Kandt) in Zentralafrika;
so der Tuareg-Clan der Hadanara vom Stamme der Asgar, der seine »Wohnsitze
unter den Imrad genommen hat und zu wandernden Freibeutern geworden ist. Diese
Imrad sind die dienende Klasse der Asgar, von der diese leben, obwohl jene imstande
sind, zehnmal mehr Streiter zu stellen; ihre Stellung ist ungefähr wie
die der Spartaner zu den Heloten.« [38] So die Teda im benachbarten Borku:
»So wie das Land in nomadennährende Halbwüste und Gärten
und Dattelhaine, so teilt sich seine Bevölkerung in Nomaden und Ansässige.
Beide halten sich die Wage, was ihre Zahl anbetrifft: es mögen 10 - 12.000
insgesamt sein; aber es ist selbstverständlich, daß diese von jenen
beherrscht werden.« [39] Und ähnliches gilt
von der gesamten Hirtenvölkergruppe der Galla, Masai und Wahuma: »Während die
Besitzunterschiede groß sind, gibt es wenige Sklaven als dienende Klasse.
Sie werden durch niedriger gestellte Völker vertreten, die räumlich
abgesondert leben. Das Hirtentum ist die Grundlage der Familie, des Staates
und zugleich das Prinzip der politischen Bewegungen. In diesem weiten Gebiet
gibt es zwischen Schoa und dessen südlichen Vorländern auf der einen
und Sansibar auf der anderen Seite keine feste politische [S. 43] Macht, trotz
der hochentwickelten sozialen Gliederung.« [40] Wo aber entweder das
Land für Großviehzucht ungeeignet ist - wie z. B. Westeuropa fast
überall - oder wo eine weniger unkriegerische Bevölkerung Erhebungsversuche
erwarten läßt, da wird die Herrenbevölkerung mehr oder weniger
seßhaft, sitzt, natürlich an festen oder strategisch wichtigen Punkten,
in Zeltlagern oder Burgen oder Städten. Von hier aus beherrschen sie ihre
»Untertanen«, um die sie sich im übrigen nicht weiter kümmern,
als das Tributrecht es verlangt. Selbstverwaltung und Kultübung, Rechtsprechung
und Wirtschaft ist den Unterworfenen völlig überlassen; ja, sogar
ihre autochthone Verfassung, ihre lokalen Autoritäten bleiben unverändert. Wenn Frants Buhl [41]
recht berichtet ist, so war das der Anfang der israelitischen Herrschaft in
Kanaan. Abessynien, diese uns als Vollstaat imponierende gewaltige Militärmacht,
scheint auch noch nicht weit über das vierte Stadium hinaus zu sein. Wenigstens
berichtet Ratzel [42]: »Wie sich die orientalischen Monarchen in alter
und neuer Zeit nie viel um die innere Regierung und Gerechtigkeitspflege der
unterworfenen Völker bekümmerten, war und ist Hauptsorge der Abessynier
der Tribut.« Das beste Beispiel aber
für das vierte Stadium bietet uns die Geschichte in der Ordnung des alten
Mexiko vor der Conquista: »Die Konföderation,
an deren Spitze die Mexikaner standen, hatte etwas fortgeschrittenere Begriffe
von Eroberung. Von ihr wurden nur die Stämme vernichtet, die Widerstand
leisteten. Sonst aber wurden die Überwundenen bloß ausgeplündert
und dann zu Tribut verpflichtet. Der geschlagene Stamm regierte sich wie vorher
durch seine Vorgesetzten, kein Gedanke, wie in Peru, an Bildung eines zusammenhängenden
Reiches begleitete den ersten Überfall, nur Einschüchterung und Ausbeutung.
So war denn das sogenannte Reich von Mexiko zur Zeit der Eroberung bloß
eine Kette von eingeschüchterten Indianerstämmen, die, selbst untereinander
scheu getrennt lebend, durch Furcht vor den Ausfällen aus einem unangreifbaren
Raubnest in ihrer Mitte niedergehalten wurden. [43] Wie man sieht, ist hier
von einem Staat im eigentlichen Sinne [S. 44] noch nicht die Rede. Ratzel stellt
das in der nachfolgend wiedergegebenen Bemerkung trefflich fest: »Sieht man, wie
weit die von Montezumas Kriegern unterworfenen Punkte durch nicht unterworfene
Gebiete voneinander getrennt waren, so fühlt man sich versucht, Vergleiche
mit der Hovaherrschaft über Madagaskar zu ziehen. Die Verstreuung einiger
Garnisonen, besser: militärischer Kolonien, über das Land, die mühselig
einen Beutekreis von ein paar Stunden in Unterwerfung halten, bedeutet uns nicht
die Alleinherrschaft.« [44] Aber von diesem vierten
führt die Logik der Dinge schnell zum fünften Stadium, das nun schon
fast der volle Staat ist. Streitigkeiten entstehen
zwischen benachbarten Dörfern oder Gauen, deren gewaltsamen Austrag die
Herrengruppe nicht dulden kann, da dadurch die »Prästationsfähigkeit«
der Bauern leiden müßte; sie wirft sich zum Schiedsrichter auf und
erzwingt im Notfall ihren Spruch. Schließlich hat sie an dem »Hofe«
jedes Dorfkönigs oder Gauhauptes ihren beamteten Vertreter, der die Macht
ausübt, während dem alten Herrn der Schein der Macht bleibt. Für
primitive Verhältnisse bildet der Inka-Staat das typische Beispiel dieser
Ordnung. Hier saßen die
Inka in Cuzko vereint, wo sie ihre Erbländereien und ihre Wohnungen hatten.
[45] Aber in jedem Bezirk residierte ein Vertreter der Inka, ein »Tucricuc«,
am Hofe des eingeborenen Häuptlings. Er »hatte die Aufsicht über
alle Angelegenheiten seines Bezirkes; er hatte die Aushebung der Mannschaften
für das Heer zu veranlassen, die Einlieferung der Abgaben zu überwachen,
die Frondienste, Wege- und Brückenbauten anzuordnen, das Rechtswesen zu
leiten, kurz alles, was seinen Bezirk betraf unterstand seiner Aufsicht.«
[46] Was amerikanische Jäger
und semitische Hirten ausgebildet haben, findet sich auch im Bezirk der afrikanischen
Hirten. In Ashanti ist das System der Tucricuc ebenfalls typisch ausgebildet
[47], und auch die Dualla haben über den in abgesonderten Dörfern
lebenden [S. 45] Untertanen »ein auf Eroberung begründetes Mittelding
von Lehnswesen und Sklaverei« [48] errichtet. Und von den Barotse berichtet
derselbe Autor eine Verfassung, die schon fast völlig der mittelalterlichen
Feudalordnung frühester Stufe entspricht: Ihre »Dörfer sind
(...) in der Regel von einem Kranze von Weilern umgeben, wo Leibeigene wohnen,
die in der nächsten Umgebung für ihre Herren Felder bestellen, Getreide
anbauen oder auch Viehherden hüten müssen.« [49] Hier ist für
unsere Begriffe nur fremdartig, daß die einzelnen Herren nicht in Burgen
oder Hallen, sondern dorfweise zwischen den Unterworfenen hausen. Von den Inka zu den Doriern
in Lakedämon, Messenien und Kreta ist nur noch ein ebenso kleiner Schritt,
wie von den Fulbe, Dualla und Barotse zu den verhältnismäßig
straff organisierten Feudalstaaten der afrikanischen Negerreiche Uganda, Unyoro
usw. und zu den ganz entsprechenden Feudalreichen Ost- und Westeuropas und ganz
Asiens. Die Dinge entwickeln sich überall kraft derselben sozialpsychologischen
Logik zum gleichen Ziele. Die Notwendigkeit, die Unterworfenen in Raison und
bei voller Leistungsfähigkeit zu erhalten, führt Schritt für
Schritt vom fünften zum sechsten Stadium, nämlich zur Ausbildung des
Staates in jedem Sinne, zur vollen Intranationalität und zur Entwicklung
der »Nationalität«. Immer häufiger wird der Zwang, einzugreifen,
zu schlichten, zu strafen, zu erzwingen; die Gewohnheit des Herrschens und die
Gebräuche der Herrschaft bilden sich aus. Die beiden Gruppen, erst räumlich
getrennt, dann auf einem Gebiete vereint, aber noch immer nur erst nebeneinandergelegt,
dann durcheinandergeschüttelt, eine mechanische »Mischung«
im Sinne der Chemie, werden mehr und mehr zu einer »chemischen Verbindung«.
Sie durchdringen sich, mischen sich, verschmelzen in Brauch und Sitte, Sprache
und Gottesdienst zu einer Einheit, und schon spannen sich auch Fäden der
Blutsverwandtschaft von der Ober- zur Unterschicht. Denn überall wählt
sich das Herrenvolk die schönsten Jungfrauen der Unterworfenen zu Kebsen,
und ein Stamm von Bastarden wächst empor, bald der Herrenschicht eingeordnet,
bald verworfen und dann kraft des in ihren Adern rollenden Herrenblutes die
geborenen Führer der Beherrschten. Der primitive Staat ist fertig, Form
und Inhalt. Fußnoten 1. Wilh. Wundt, Elemente
der Völkerpsychologie. Leipzig 1912. p. 301. [Zurück zum Text] II. Der primitive Eroberungsstaat a) Die Form der Herrschaft [S. 46] Seine Form ist
die Herrschaft. Die Herrschaft einer kleinen, kriegsfrohen, enggeschlossenen
und -versippten Minderheit über ein fest begrenztes Landgebiet und seine
Bebauer. Diese Herrschaft wird ausgeübt nach den Vorschriften eines durch
Gewohnheit gewordenen Rechtes, das die Vorrechte und Ansprüche der Herren
und die Gehorsamspflicht und Leistung der Untertanen regelt und zwar so regelt,
daß die Prästationsfähigkeit der Bauern - das Wort stammt noch
aus der friderizianischen Zeit! - nicht leidet. Durch Gewohnheitsrecht festgelegtes
»Imkertum« also! Der Leistungspflicht der Bauern entspricht die
Schutzpflicht der Herren, die sich auf Übergriffe der eigenen Klassengenossen
ebenso erstreckt, wie auf Angriffe auswärtiger Feinde. Das ist der eine
Teil des Staatsinhaltes; der andere, im Anfang ungleich wichtigere und größere,
ist die ökonomische Ausbeutung, das politische Mittel der Bedürfnisbefriedigung.
Der Bauer gibt einen Teil seines Arbeitserzeugnisses hin, ohne äquivalente
Gegenleistung. »Im Anfang war die Grundrente!« Die Formen, in denen
sich der Grundrentenbezug und -verzehr vollzieht, sind sehr verschieden. Bald
sitzt die Herrengenossenschaft als geschlossener Verband in einem festen Lager
und verzehrt kommunistisch den Tribut der Bauernschaften: so im Inkastaate.
Bald ist schon jedem einzelnen Kriegsedeling ein bestimmtes Landlos zugewiesen;
aber er verzehrt dessen Ertrag doch noch vorwiegend in der Syssitie mit seinen
Klassengenossen und Waffengefährten: so in Sparta. Bald ist der Grundadel
über das ganze Gebiet zerstreut, haust einzeln mit seinen Gefolgen auf
seinen festen Burgen und verzehrt individualistisch den Ertrag seiner Herrschaft.
Aber noch ist er kein »Wirt«; er empfängt nur den Tribut von
der Arbeit seiner Hörigen, die er weder leitet noch auch nur beaufsichtigt.
Das ist der Typus der mittelalterlichen Grundherrschaft in den Ländern
germanischen Adels. Und schließlich wird der Ritter zum Rittergutsbesitzer,
die hörigen Bauern verwandeln sich in Arbeiter seines Großbetriebes,
und der Tribut erscheint jetzt als Unternehmergewinn: das ist der Typus des
ersten kapitalistischen Betriebs der Neuzeit, des Großgutsbetriebs [S.
47] im ehemals slawischen Kolonisationsgebiete. Zahlreiche Übergänge
führen von einer Stufe zur anderen. Aber im Kerne überall
derselbe »Staat«. Sein Zweck überall das politische Mittel
der Bedürfnisbefriedigung: Aneignung zunächst der Grundrente, solange
noch keine Gewerbsarbeit besteht, die angeeignet werden könnte. Seine Form
überall die Herrschaft: die Ausbeutung als »Recht«, als »Verfassung«
auferlegt und streng, wenn nötig grausam, aufrecht erhalten und durchgesetzt:
aber doch das absolute Eroberer-Recht im Interesse des dauernden Grundrentenbezuges
ebenfalls rechtlich eingeengt. Die Leistungspflicht der Untertanen ist begrenzt
durch ihr Recht auf Erhaltung bei der Leistungsfähigkeit; das Steuerrecht
der Herren ist ergänzt durch ihre Schutzpflicht nach innen und außen
- Rechtsschutz und Grenzschutz. Damit ist der primitive
Staat reif, in seinen sämtlichen wesentlichen Elementen voll ausgebildet.
Der embryonale Zustand ist überwunden; was noch folgt, sind lediglich Wachstumserscheinungen. Er stellt gegenüber
den Familienverbänden zweifellos eine höhere Art vor; der Staat umschließt
eine größere Menschenmenge in strafferer Gliederung, fähiger
zur Bewältigung der Natur und Abwehr der Feinde. Er wandelt die halb spielende
Beschäftigung in strenge methodische Arbeit und bringt dadurch zwar unendliches
Elend über eine unabsehbare Reihe kommender Geschlechter, die nun erst
im Schweiße ihres Antlitzes ihr Brot essen müssen, seit auf das goldene
Zeitalter der freien Blutsgemeinschaft das eiserne des Staates und der Herrschaft
folgte: aber er stellt auch eben durch die Erfindung der Arbeit im eigentlichen
Sinne die Kraft in die Welt, die allein das goldene Zeitalter auf viel höherer
Stufe der Gesittung und des Glückes Aller wieder herbeiführen kann.
Er zerstört, um mit Schiller zu sprechen, das naive Glück der Kinder-Völker,
um sie auf schwerem Leidenswege zum »sentimentalischen«, zum bewußten
Glück der Reife emporzuführen. Eine höhere Art!
Schon Paul v. Lilienfeld, einer der Hauptverfechter der Anschauung, daß
die Gesellschaft ein Organismus höherer Art ist, hat darauf hingewiesen,
daß hier eine besonders schlagende Parallele zwischen dem eigentlichen
und uneigentlichen Organismus gegeben ist. Alle höheren Wesen pflanzen
sich geschlechtlich fort, die niederen ungeschlechtlich, durch Teilung, Knospung,
allenfalls Kopulation. Nun, und der einfachen Teilung [S. 48] entspricht genau
das Wachstum und die Fortpflanzung der vorstaatlichen Blutsgenossenschaft; sie
wächst, bis sie für den Zusammenhalt zu groß wird, schnürt
sich ab, teilt sich, und die einzelnen Horden bleiben allenfalls in einem sehr
losen Zusammenhang, ohne irgendwie straffere Gliederung. Der Kopulation ist
die Verschmelzung exogamischer Gruppen vergleichbar. Der Staat aber entsteht
durch geschlechtliche Fortpflanzung. Alle zwiegeschlechtliche Fortpflanzung
vollzieht sich so, daß das männliche Prinzip, eine kleine, sehr aktive,
bewegliche Schwärmzelle (das Spermatozoid) eine große, träge,
der Eigenbewegung entbehrende Zelle (das Ovulum), das weibliche Prinzip, aufsucht,
in sie eindringt und mit ihr verschmilzt, worauf ein Prozeß gewaltigen
Wachstums, d.h. wundervoller Differenzierung mit gleichzeitiger Integrierung,
sich vollzieht. Die träge, schollengefesselte Bauernschaft ist das Eichen,
der bewegliche Hirtenstamm das Spermatozoid dieses soziologischen Befruchtungsaktes,
und sein Ergebnis ist die Reifung eines höheren, in seinen Organen viel
reicher gegliederten und viel kräftiger zusammengefaßten (integrierten)
sozialen Organismus. Wer weitere Parallelen sucht, kann sie leicht finden. Die
Art, wie unzählige Spermatozoide das Ovulum umschwärmen, bis endlich
eines, das stärkste oder glücklichste, die Mikropyle entdeckt und
erobert, ist den Grenzfehden, die der Staatsbildung vorangehen, wohl vergleichbar,
und ebenso die fast magische Anziehungskraft, die das Ovulum auf die Schwärmzellen
ausübt, dem Zuge der Steppensöhne in die Ebenen. »Als welches«
übrigens für den »Organizismus« immer noch kein Beweis
ist! Aber dies Problem kann hier nur angedeutet werden. b) Die Integration Wir verfolgten die Entstehung
des Staates vom zweiten Stadium an in seinem objektiven Wachstum als politisch-rechtliche
Form und ökonomischer Inhalt. Wichtiger aber - denn alle Soziologie ist
fast durchaus Sozialpsychologie - ist sein subjektives Wachstum, seine sozialpsychologische
»Differenzierung und Integrierung«. [S. 49] Sprechen wir
zuerst von der Integrierung! Das Netz seelischer Beziehungen,
das wir bereits im zweiten Stadium sich knüpfen sahen, wird immer dichter
und enger in dem Maße, wie die materielle Verschmelzung, die wir schilderten,
vorwärtsschreitet. Die beiden Dialekte werden zu einer Sprache, oder die
eine der beiden, oft ganz stammverschiedenen, Sprachen verschwindet, zuweilen
die der Sieger (Langobarden), häufiger die der Besiegten. Die beiden Kulte
verschmelzen zu einer Religion, in der der Stammgott der Sieger als Hauptgott
angebetet wird, während die alten Götter bald zu seinen Dienern, bald
zu seinen Gegnern: Dämonen oder Teufeln werden. Der äußerliche
Typus gleicht sich aneinander an unter den Einflüssen gleichen Klimas und
ähnlicher Lebenshaltung; wo eine starke Verschiedenheit der Typen bestand
und sich erhält, [1] füllen wenigstens die Bastarde die Kluft einigermaßen
aus, und der Typus der Feinde jenseits der Grenzen wird allmählich von
allen stärker als ethnischer Gegensatz, als »fremd« empfunden,
als der noch bestehende Gegensatz der nunmehr vereinten Typen. Immer mehr lernen
sich Herren und Knechte als »ihresgleichen« ansehen, wenigstens
im Verhältnis zu den Fremden draußen. Zuletzt verschwindet die Erinnerung
an die verschiedene Abstammung oft gänzlich; die Eroberer gelten als Söhne
der alten Götter - sind es ja oft auch buchstäblich, da diese Götter
zuweilen nichts anderes sind als die durch Apotheose vergotteten Seelen der
Ahnen. Je schärfer sich im Zusammenprall der benachbarten »Staaten«,
die ja viel aggressiver sind als vorher die benachbarten Blutsgemeinschaften,
das Gefühl der Absonderung aller Insassen des staatlichen Friedenskreises
von den auswärtigen Fremden ausprägt, um so stärker wird im Inneren
das Gefühl der Zusammengehörigkeit; und um so mehr faßt der
Geist der Brüderlichkeit, der Billigkeit hier Wurzel, der früher nur
innerhalb der Horden herrschte und jetzt noch immer innerhalb [S. 50] der Adelsgenossenschaft
herrscht. Das sind natürlich von oben nach unten ganz schwache Fäden;
Billigkeit und Brüderlichkeit erhalten nur so viel Raum, wie das Recht
auf das politische Mittel es erlaubt: aber so viel Raum erhalten sie! Und vor
allem ist es der Rechtsschutz nach innen, der ein noch stärkeres Band seelischer
Gemeinschaft webt als der Waffenschutz nach außen. Justitia fundamentum
regnorum! Wenn die Junkerschaft als soziale Gruppe »von Rechts wegen«
einen junkerlichen Totschläger oder Räuber hinrichtet, der die Grenze
des Rechtes der Ausbeutung überschritt, dann dankt und jubelt der Untertan
noch herzlicher als nach einer gewonnenen Schlacht. Das sind die Hauptlinien
in der Entwicklung der psychischen Integration. Die Gemeininteressen an Rechtsordnung
und Frieden erzeugen eine starke Gemeinempfindung, ein »Staatsbewußtsein«,
wie man es nennen kann. c) Die Differenzierung
(Gruppentheorien und Gruppenpsychologie) Auf der anderen Seite
vollzieht sich pari passu, wie in allem organischen Wachstum, eine ebenso kräftige
psychische Differenzierung. Die Gruppeninteressen erzeugen starke Gruppenempfindungen;
Ober- und Unterschicht entwickeln ihren Sonderinteressen entsprechend je ein
»Gruppenbewußtsein«. Das Sonderinteresse der
Herrengruppe besteht darin, das geltende von ihr auferlegte Recht des politischen
Mittels aufrechtzuerhalten; sie ist »konservativ«. Das Interesse
der beherrschten Gruppe geht im Gegenteil dahin, dieses Recht aufzuheben und
durch ein neues Recht der Gleichheit aller Insassen des Staates zu ersetzen:
sie ist »liberal« und revolutionär. Hier steckt die tiefste
Wurzel aller Klassen- und Parteienpsychologie. Und schon hier bilden sich nach
strengen Seelengesetzen sofort jene unvergleichlich mächtigen Gedankenreihen
aus, die noch Jahrtausende hindurch als »Klassentheorien« im Bewußtsein
der Zeitgenossen die Gesellschaftskämpfe leiten und rechtfertigen werden. [S. 51] »Wo der
Wille spricht, hat der Verstand zu schweigen«, sagt Schopenhauer, und
Ludwig Gumplowicz meint fast dasselbe, wenn er sagt: »Naturgesetzlich
handelt der Mensch, und menschlich denkt er hinterdrein«. Der Einzelmenseh
muß, streng determiniert, wie sein Wille ist, so handeln, wie seine Umwelt
es gebietet; und das gleiche gilt für jede Menschengemeinschaft, für
Gruppen, Klassen und Staat. Sie »strömen vom Orte höheren ökonomischen
und sozialen Druckes zum Orte geringeren Druckes auf der Linie des geringsten
Widerstandes«. Da aber Einzelmensch und Menschengemeinschaft sich freihandelnd
glauben, so zwingt sie ein unentrinnbares psychisches Gesetz, den Weg, den sie
zurücklegen, als frei gewähltes Mittel, und den Punkt, auf den sie
zutreiben, als frei gewähltes Ziel anzuschauen. Und weil der Mensch ein
vernünftiges und sittliches, d.h. soziales Wesen ist, darum steht er unter
dem Zwange, Mittel und Ziel seiner Bewegung vor Vernunft und Sittlichkeit, d.h.
dem Sozialbewußtsein, zu rechtfertigen. Solange die Beziehungen
der beiden Gruppen lediglich die internationalen zweier Grenzfeinde waren, bedurfte
das politische Mittel keiner Rechtfertigung. Denn der Blutsfremde hat keinerlei
Recht. Sobald aber die psychische Integration das Gemeingefühl des Staatsbewußtseins
einigermaßen ausgebildet hat, sobald der hörige Knecht ein »Recht«
erworben hat, und in dem Maße, wie das Bewußtsein des Gleichseins
sich vertieft, bedarf das politische Mittel der Rechtfertigung, und in der Herrengruppe
entsteht die Gruppentheorie des »Legitimismus«. Der Legitimismus rechtfertigt
Herrschaft und Ausbeutung überall mit den gleichen anthropologischen und
theologischen Gründen. Die Herrengruppe, die ja Mut und Kriegstüchtigkeit
als die einzigen Tugenden des Mannes anerkennt, erklärt sich selbst, die
Sieger - und von ihrem Standpunkte aus ganz mit Recht - als die tüchtigere,
bessere »Rasse«, eine Anschauung, die sich verstärkt, je mehr
die unterworfene Rasse bei harter Arbeit und schmaler Kost herabkommt. Und da
der Stammesgott der Herrengruppe in der neuen, durch Verschmelzung entstandenen
Staatsreligion zum Obergott geworden ist, so erklärt sie - wieder von ihrem
Standpunkte ganz mit Recht - die Staatsordnung für gottgewollt, für
»tabu«. Durch einfache logische Umkehrung erscheint ihr auf der
anderen Seite die unterworfene Gruppe als solche schlechterer Rasse, als störrisch,
tückisch, träg und [S. 52] feig und ganz und gar unfähig, sich
selbst zu regieren und zu verteidigen; und jede Auflehnung gegen die Herrschaft
muß ihr notwendig als Empörung gegen Gott selbst und sein Sittengesetz
erscheinen. Darum steht die Herrengruppe überall in engster Verbindung
mit der Priesterschaft, die sich, wenigstens in allen leitenden Stellungen,
fast immer aus ihren Söhnen ergänzt und an ihren politischen Rechten
und ökonomischen Privilegien ihren Anteil hat. Das war und ist noch
heute die Klassentheorie der Herrenklasse; kein Zug ist fortgefallen, keiner
hinzugekommen. Selbst jene sehr moderne Behauptung, mit der der Grundadel z.
B. Frankreichs und Ostelbiens die Ansprüche der Landbevölkerung auf
Grundeigentum zurückzuweisen versuchte, daß ihm das Land von Anfang
an gehört habe, während die Ackerknechte es nur von ihm zum Lehen
erhalten haben, findet sich auch bei den Wahuma [2] und wahrscheinlich noch
vielfach anderwärts. Und wie ihre Klassentheorie,
so war und ist auch ihre Klassenpsychologie überall die gleiche. Der wichtigste
Zug ist der »Junkerstolz«, die Verachtung der arbeitenden Unterschicht.
Sie sitzt so tief im Blute, daß die Hirten sogar dann, wenn sie nach dem
Verlust ihrer Herden in wirtschaftliche Abhängigkeit geraten sind, ihren
Herrenstolz bewahren: »Selbst die Galla, die nördlich von Tana durch
die Somal ihres Herdenreichtums beraubt und dadurch zu Hirten fremder Herden,
am Sabaki selbst zu Ackerbauern wurden, sehen mit Verachtung auf die ihnen unterworfenen
suaheliähnlichen, ackerbauenden Wapokomo herab, weniger auf die gallaähnlichen
und den Galla tributären Jägervölker der Waboni, Wassania und
Walangulo (Ariangulo).« [3] Und die folgende Schilderung der Tibbu paßt
wie angegossen auf Walter Habenichts und die übrigen armen Ritter, die
in den Kreuzzügen Beute und Herrenland suchten; und nicht minder auf manchen
adligen Schnapphahn des deutschen Ostens und manchen verlumpten Schlachzizen
oder Hidalgo: »Es sind Menschen voll Selbstgefühl. Sie mögen
Bettler sein, aber sie sind keine Paria. Viele Völker wären unter
diesen Umständen elender und gedrückter; die Tibbu haben Stahl in
ihrer Natur. Sie sind zu Räubern, wie zu Kriegern und Herrschern trefflich
geeignet. Imponierend ist bei aller schakalhaften Gemeinheit selbst ihr Raubsystem.
Diese verlumpten, [S. 53] mit äußerster Armut und beständigem
Hunger kämpfenden Tibbu erheben die unverschämtesten Ansprüche
in scheinbarem oder wirklichem Glauben an ihr Recht. Das Schakalsrecht, das
die Habe des Fremdlings als gemeines Gut betrachtet, ist Schutz gieriger Menschen
vor Entbehrung. Die Unsicherheit eines fast beständigen Kriegszustandes
kommt hinzu, um dem Leben etwas Forderndes und sogleich auf Erfüllung Dringendes
zu geben!« [4] Und es ist ebensowenig eine auf Ostafrika beschränkte
Erscheinung, wenn es vom abessinischen Soldaten heißt: »So ausstaffiert
kommt er daher. Stolz blickt er auf jeden nieder: ihm gehört das Land,
für ihn muß der Bauer arbeiten«. [5] So tief der Junker überall
das ökonomische Mittel und seinen Träger, den Bauern, verachtet, so
naiv bekennt er sich zum politischen Mittel. Ehrlicher Krieg und »ehrlicher«
Raub sind seine Herrengewerbe, sind sein gutes Recht. Sein Recht reicht - gegenüber
den nicht demselben Friedenskreise Angehörigen - genau so weit, wie seine
Macht. Nirgend wohl findet sich eine kennzeichnendere Lobpreisung des politischen
Mittels als in dem bekannten dorischen Tischliede: »Ich habe große
Schätze; den Speer, dazu das Schwert; Die aber nimmer wagen,
zu führen Speer und Schwert, Spricht sich in diesen
übermütigen Strophen der Stolz des kriegerischen Herren aus, so mögen
die nachstehenden, nach W. Sombart [S. 54] zitierten Verse aus einem ganz anderen
Kulturgebiete zeigen, daß noch immer der Räuber im Krieger steckte,
trotz Christentum, Gottesfriede und heiligem römischen Reich deutscher
Nation. Auch sie preisen das politische Mittel, aber in seiner krassesten Form,
dem simplen Raub: »Wiltu dich erneren
Sombart fährt fort:
»Wenn er es nicht vorzog, auf edleres Wild zu pirschen und den Pfeffersäcken
ihre Ladungen abzujagen. Der Raub bildete immer mehr die selbstverständliche
Erwerbsart des vornehmen Mannes, dessen Renten allein nicht ausreichten, um
den wachsenden Anforderungen an täglichem Aufwand und Luxus zu genügen.
Das Freibeutertum galt als durchaus ehrenhafte Beschäftigung, weil es dem
Geiste des Rittertums entsprach, daß jedermann das an sich bringe, was
der Spitze seines Speeres und der Schärfe seines Schwertes erreichbar war.
Bekannt ist, daß der Edle Raubritterei lernte, wie der Schuster die Schusterei.
Und im Liede heißt es lustig: »Ruten, roven,
det en is gheyn schande Zu diesem Hauptzuge aller
Junkerpsychologie tritt als zweites kaum weniger charakteristisches Kennzeichen
die überzeugte oder wenigstens nach außen stark betonte Frömmigkeit.
Vielleicht ist nichts bezeichnender für die Fähigkeit, mit der sich
unter gleichen [S. 55] gesellschaftlichen Bedingungen immer wieder die gleichen
Vorstellungen aufzwingen, als die Tatsache, daß Gott noch heute der Herrenklasse
als ihr Sonderstammesgott erscheint, und zwar vorwiegend als Kriegsgott. Das
Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer aller Menschen, auch der Feinde, und,
seit dem Christentum, als dem Gott der Liebe, vermag nichts gegen die Kraft,
mit der sich die Klasseninteressen ihre zugehörigen Ideologien formen.
Nennen wir noch, um das Bild der Herrenpsychologie zu vervollständigen,
die Neigung zum Verschwenden, die sich oft edler als Freigebigkeit darstellen
kann: leicht verständlich bei dem, der »nicht weiß, wie die
Arbeit schmeckt«, und als schönsten Zug die todverachtende Tapferkeit,
erzeugt durch den der Minderheit auferlegten Zwang, in jedem Augenblicke ihre
Rechte mit der Waffe zu verteidigen, und begünstigt durch die Befreiung
von aller Arbeit, die es gestattet, den Körper in Jagd, Sport und Fehde
auszubilden; ihr Zerrbild ist die Rauflust und die bis zur Verrücktheit
gehende Überspitzung des persönlichen Ehrgefühls. Eine kleine Nebenbemerkung:
Cäsar fand die Kelten Galliens gerade in einem Stadium der Entwicklung,
in dem das Junkertum zur Herrschaft gelangt war. Seitdem gilt seine klassische
Schilderung dieser Klassenpsychologie als Rassenpsychologie des Keltentums;
selbst ein Mommsen ließ sich fangen, und nun geht der handgreifliche Irrtum
unzerstörbar durch alle Bücher über Weltgeschichte und Soziologie,
obgleich ein einziger Blick genügt, um zu zeigen, daß alle Völker
aller Rassen im gleichen Stadium der Entwicklung ganz den gleichen Charakter
hatten (in Europa Thessaler, Apulier, Campaner, Germanen, Polen usw.), während
die Kelten und speziell die Franzosen auf anderen Entwicklungsstadien ganz andere
Charakterzüge aufwiesen. Stufenpsychologie, nicht Rassenpsychologie! Auf der anderen Seite
entsteht als Gruppentheorie der Unterworfenen überall dort, wo die den
»Staat« heiligenden religiösen Vorstellungen schwach sind oder
werden, heller oder dunkler die Vorstellung des »Naturrechts«. Die
Unterklasse hält den Rassen- und Adelsstolz für eine Anmaßung
und sich selbst für mindestens so guter Rasse und guten Blutes; [8] und
wieder mit vollem Recht, weil für sie Arbeitsamkeit und Ordnung die einzigen
Tugenden darstellen. [S. 56] Sie ist häufig skeptisch gegenüber der
Religion, die sie mit ihren Gegnern verbunden sieht, und ist ebenso fest, wie
der Adel vom Gegenteil, davon überzeugt, daß die Privilegien der
Herrengruppe gegen Recht und Vernunft verstoßen. Auch hier hat alle spätere
Entwicklung den ursprünglich gegebenen Bestandteilen keinen wesentlichen
Zug beifügen können. Von diesen Gedanken mehr
oder weniger bewußt geleitet, kämpfen beide Gruppen fortan den Gruppenkampf
der Interessen, und der junge Staat müßte unter der Wirkung dieser
zentrifugalen Kräfte auseinanderbersten, wären nicht in der Regel
die zentripetalen Kräfte des Gemeininteresses, des Staatsbewußtseins,
stärker. Der Druck der Fremden, der gemeinsamen Feinde, von außen
überwindet den Druck der widerstreitenden Sonderinteressen von innen. Man
denke an die Sage von der secessio plebis und der erfolgreichen Mission des
Menenius Agrippa! Und so würde der junge Staat in alle Ewigkeit, einem
Planeten gleich, in der durch das Parallelogramm der Kräfte vorgeschriebenen
Bahn kreisen, wenn nicht die Entwicklung ihn selbst und seine Umwelt wandelte,
neue äußere und innere Kräfte entfaltete. d) Der primitive Eroberungsstaat
höherer Stufe Wichtige Wandlungen bringt
schon sein Wachstum mit sich; und wachsen muß der junge Staat. Dieselben
Kräfte, die ihn ins Leben gestellt haben, drängen ihn, sich auszudehnen,
seinen Machtbezirk zu erweitern. Und wäre selbst ein solcher junger Staat
»satt«, wie es mancher moderne Großstaat zu sein behauptet:
er müßte dennoch sich recken und dehnen, bei Strafe seines Unterganges.
Denn in diesen primitiven Gesellschaftszuständen heißt es mit härtestem
Nachdruck: »Du mußt steigen oder fallen, siegen oder unterliegen,
Hammer oder Amboß sein.« Die Staaten werden erhalten
durch das gleiche Prinzip, durch das sie geschaffen wurden. Der primitive Staat
ist Schöpfung des kriegerischen Raubes: er kann nur durch den kriegerischen
Raub erhalten werden. [S. 57] Das ökonomische
Bedürfnis der Herrengruppe hat keine Grenzen: der Reiche ist sich niemals
reich genug. Das politische Mittel wird gegen andere, noch nicht unterworfene
Bauernschaften oder auf neue, noch nicht gebrandschatzte Küstenländer
angewendet; der primitive Staat wächst - bis er mit einem anderen, ebenso
entstandenen primitiven Staate auf dem Grenzgebiete der beiderseitigen »Interessensphären«
zusammenstößt. Jetzt haben wir anstatt des kriegerischen Raubzuges
zum ersten Male einen wirklichen Krieg engeren Sinnes, da jetzt gleich organisierte
und disziplinierte Massen aufeinandertreffen. Das Endziel des Kampfes
ist noch immer dasselbe: das Ergebnis des ökonomischen Mittels der arbeitenden
Massen, Beute, Tribut, Steuer, Grundrente: aber der Kampf geht nicht mehr zwischen
einer Gruppe, die ausbeuten will, und einer zweiten, die ausgebeutet werden
soll, sondern zwischen zwei Herrengruppen um die ganze Beute. Das Endergebnis des Zusammenstoßes
ist fast immer die Verschmelzung der beiden primitiven Staaten zu einem größeren.
Dieser greift natürlich aus den gleichen Ursachen wieder über seine
Grenzen, frißt die kleineren Nachbarn und wird vielleicht zuletzt von
einem größeren selbst gefressen. Die Knechtsgruppe ist
am Ausgange dieser Herrschaftskämpfe wenig interessiert: ob sie der oder
der Herrenklasse steuert, ist ihr ziemlich gleichgültig. Um so stärker
ist sie am Verlaufe des Kampfes interessiert: denn der wird auf ihrem Rücken
ausgefochten, und ihr »Staatsbewußtsein« leitet sie richtig,
wenn sie ihrer angestammten Herrengruppe nach Kräften Kriegshilfe leistet
- abgesehen von Fällen allzu krasser Mißhandlung und Ausbeutung [9]
-. Denn wenn ihre Herrengruppe nicht Sieger bleibt, dann trifft alle Vernichtung
des Krieges am schwersten die Untertanen. Sie kämpfen also buchstäblich
für Weib und Kind, für Herd und Haus, wenn sie dafür kämpfen,
keinen fremden Herrn einzutauschen. Dagegen ist die Herrengruppe
mit ihrer ganzen Existenz mit dem Ausgange der Herrschaftskämpfe verknüpft.
Im schlimmsten Falle droht ihr die völlige Ausrottung (Volksadel der meisten
germanischen Stämme im Frankenreich). Fast ebenso schlimm, wenn nicht [S.
58] schlimmer, muß ihr die Aussicht erscheinen, in die Knechtsgruppe hinabgestoßen
zu werden. Zuweilen sichert ihr ein rechtzeitiger Friedensschluß wenigstens
die soziale Stellung als Herrengruppe niederen Ranges (Sachsenadel im normannischen
England, Suppane im deutschen Slawengebiet), und zuweilen, bei ungefährer
Gleichheit der Kräfte, verschmelzen die beiden Herrengruppen zu einem gleichberechtigten,
im Konnubialverbande stehenden Adel (einzelne Wendendynasten im slawischen Okkupationsgebiete,
albanische und tuskische Geschlechter in Rom). Auf diese Weise kann
die herrschende Gruppe des neuen »primitiven Eroberungsstaates höherer
Stufe«, wie wir ihn nennen wollen, in eine Reihe mehr oder minder mächtiger
und berechtigter Schichten zerfallen, eine Gliederung, die noch an Vielfältigkeit
gewinnen kann durch die uns bekannte Tatsache, daß häufig bereits
im primitiven Eroberungsstaat die Herrengruppe in zwei ökonomisch und sozial
subordinierte Schichten zerfiel, die sich schon im Hirtenstadium ausgebildet
hatten: die großen Herden- und Sklavenbesitzer und die kleinen Gemeinfreien.
Vielleicht kann man die geringere Standesgliederung der von Jägern geschaffenen
Staaten der neuen Welt darauf zurückführen, daß sie diese, nur
bei Herdenbesitz mögliche, Urscheidung der Klassen nicht in den Staat mitbrachten.
Wir werden noch zu betrachten haben, mit welcher Kraft diese Unterschiede im
Rang und Vermögen der beiden Herrenschichten auf die politische und wirtschaftliche
Entwicklung des altweltlichen Staates einwirken sollten. Ein ganz entsprechender
Differenzierungsprozeß spaltet nun, wie die Herrengruppen, so auch die
beherrschten Gruppen der »primitiven Eroberungsstaaten höherer Stufe«
in verschiedene mehr oder minder leistungspflichtige und verachtete Schichten.
Es sei hier nur an den sehr starken Unterschied in der sozialen und rechtlichen
Stellung der bäuerlichen Bevölkerung in den Dorierstaaten, Lakedämon
und Kreta, und bei den Thessalern erinnert, wo die Periöken ein gutes Besitzrecht
und leidliche politische Rechte besaßen, während die Heloten, resp.
Penesten fast recht- und besitzlos waren. Eine Zwischenklasse zwischen der Gemeinfreiheit
und Hörigkeit fand sich auch im alten Sachsenlande: die Liti [10]. Augenscheinlich
haben diese und zahlreiche andere geschichtlich überlieferte Fälle
gleicher Art [S. 59] ähnliche Ursachen, wie die oben beim Adel dargestellten:
wenn zwei primitive Eroberungsstaaten verschmelzen, so lagern sich ihre sozialen
Schichten in vielfach verschiedener Weise, etwa vergleichbar den Kombinationen,
die zwei Häufchen von Spielkarten ergeben können, wenn man sie zusammenmischt. Daß diese mechanische
Durchmischung durch politische Kräfte auch an der Entstehung der Kasten,
d.h. erblicher Berufsstände, die zugleich eine Hierarchie sozialer Klassen
bilden, beteiligt ist, ist sicher. »Kasten« sind häufig, wenn
nicht immer, die Folgeerscheinung der Eroberung und Unterjochung durch Fremde
[11]. Aber, soweit dieses noch nicht völlig aufgehellte Problem sich bisher
überschauen läßt, haben ökonomische und religiöse
Einflüsse sehr stark mitgewirkt. Man wird sich die Entstehung der Kasten
etwa so vorstellen dürfen, daß vorhandene ökonomische Berufsgliederungen
von den staatsbildenden Kräften durchdrungen und angepaßt wurden
und dann unter der Wirkung religiöser Vorstellungen erstarrten, die übrigens
auch an ihrer Entstehung ihren Anteil gehabt haben mögen. Darauf deutet
wenigstens die Tatsache, daß schon zwischen Mann und Weib sozusagen tabuierte
unüberschreitbare Berufssonderungen vorkommen: während z.B. bei allen
Jägern der Ackerbau der Frau zufällt, übernimmt ihn bei vielen
afrikanischen Hirten der Mann von dem Augenblick an, wo der Ochsenpflug zur
Anwendung kommt: das Weib darf, ohne zu freveln, das Herdentier nicht gebrauchen
[12]. Derartige religiöse Vorstellungen werden überall da, wo stamm-
oder dorfweise ein bestimmtes Gewerbe betrieben wurde - und das ist bei den
Naturvölkern überall häufig, wo ein Handel leicht möglich
ist, namentlich bei Inselvölkern - darauf hingewirkt haben, den Beruf erblich,
und zwar zwangserblich zu machen. Wurde dann ein Stamm, der solche erbliche
Berufsgruppen enthielt, von anderen Stämmen unterworfen, so bildeten sie
in dem neuen Staatswesen eine echte »Kaste«, deren soziale Stellung
teils von der Achtung abhing, die sie schon vorher unter den Ihren genossen
hatten, teils von der Schätzung, die ihr Beruf bei den neuen Herrn fand.
Schob sich etwa noch, wie so häufig der Fall, Erobererwelle über Welle,
so konnte die Bildung [S. 60] der Kasten sich vervielfältigen, namentlich
wenn inzwischen die ökonomische Entwicklung zahlreiche Berufsstände
entwickelt hatte. Am besten wird sich diese
Entwicklung voraussichtlich an der Gruppe der Schmiede verfolgen lassen, die
fast überall eine eigene, halb gefürchtete, halb verachtete Stellung
einnehmen. Schmiedekundige Völker finden sich namentlich in Afrika seit
Urzeiten im Gefolge und in Abhängigkeit vor allem von den Hirten. Schon
die Hyksos brachten solche Stämme mit ins Nilland und dankten vielleicht
den von ihnen gefertigten Waffen ihren entscheidenden Sieg; und bis vor kurzem
hielten die Dinka die eisenkundigen Djur in einer Art von Untertänigkeitsverhältnis.
Dasselbe gilt u. a. von den Sahara-Nomaden, und auch aus unseren nordischen
Sagen klingt noch der alte Stammesgegensatz zu den »Zwergen« und
die Furcht vor ihrer Zauberkraft. Hier waren die Elemente zu einer schroffen
Kastenbildung im entfalteten Staat sämtlich gegeben [13]. Die Mitwirkung religiöser
Vorstellungen bei der Entstehung dieser Bildungen läßt sich an einem
Beispiel aus Polynesien gut aufzeigen: Hier »steht der Schiffbau, obgleich
viele Eingeborene dazu fähig sind, nur einer privilegierten Klasse zu:
so eng war das Interesse der Staaten und Gesellschaften mit dieser Kunst verbunden!
Nicht nur früher in Polynesien, auf Fidschi bilden noch heute die fast
nur Schiffbau treibenden Zimmerleute eine besondere Kaste, führen den hochklingenden
Titel 'des Königs Handwerker', und haben das Vorrecht eigener Häuptlinge
(...) Alles geschieht nach altem Herkommen; das Legen des Kieles, die Fertigstellung
des Ganzen, der Stapellauf findet unter religiösen Zeremonien und Festen
statt« [14]. Wo die Superstition stark
entwickelt ist, kann sich auf solchen, teils wirtschaftlichen, teils ethnischen
Grundlagen leicht ein echtes Kastensystem ausbilden; so ist z.B. in Polynesien
schon die Klassengliederung durch die Anwendung des Tabu einem »schroffest
durchgeführten Kastensystem« sehr ähnlich geworden [15]. Ähnlich
in Südarabien [16]. Welche Bedeutung die Religion für Entstehung und
Erhaltung der Kastensonderung in Ägypten hatte und in Indien noch [S. 61]
heute hat, ist zu bekannt, als daß es näherer Ausführungen bedürfte
[17]. Das sind die Elemente
des primitiven Eroberungsstaates höherer Stufe. Sie sind vielfältiger
und zahlreicher als im niederen primitiven Staate, aber Recht, Verfassung und
volkswirtschaftliche Verteilung sind grundsätzlich die gleichen wie dort.
Das Ergebnis des ökonomischen Mittels ist noch immer das Ziel des Gruppenkampfes,
der nach wie vor das Movens der inneren Politik des Staates ist, und das politische
Mittel ist ebenfalls nach wie vor das Movens der äußeren Staatspolitik
in Angriff und Abwehr. Und immer noch rechtfertigen sich oben und unten Ziele
und Mittel der äußeren und inneren Kämpfe durch die gleichen
Gruppentheorien. Aber die Entwicklung
kann nicht stillstehen. Wachstum ist mehr als nur Massen-Vergrößerung:
Wachstum bedeutet auch immer steigende Differenzierung und Integrierung. Je weiter der primitive
Eroberungsstaat seinen Machtbezirk erstreckt, je zahlreicher die von ihm beherrschten
Untertanen werden, und je dichter sie siedeln, um so mehr entfaltet sich die
volkswirtschaftliche Arbeitsteilung und ruft immer neue Bedürfnisse und
ihre Befriedigungsmittel hervor; und um so mehr verschärfen sich die Unterschiede
der ökonomischen (und damit der sozialen) Klassenlage nach dem »Gesetz
der Agglomeration um vorhandene Vermögenskerne«, wie ich es genannt
habe. Diese wachsende Differenzierung wird entscheidend für die Weiterentwicklung
und namentlich den Ausgang des primitiven Staates. Nicht von einem Ausgang
im mechanischen Sinne soll hier die Rede sein, also weder vom Staatentod, der
einen primitiven Eroberungsstaat höherer Stufe im Zusammenstoß mit
einem stärkeren Staat gleicher oder höherer Entwicklungsstufe verschwinden
läßt, wie z.B. die Mogulenstaaten Indiens, oder Uganda im Kampf mit
Großbritannien; auch nicht von der Versumpfung, in die beispielsweise
Persien und die Türkei verfallen sind [18], und die ja augenscheinlich
nur eine Pause der Entwicklung darstellt, da diese Länder entweder aus
[S. 62] eigenen Kräften oder durch erobernde Gewalt bald wieder weitergestoßen
werden müssen; auch nicht von der Erstarrung z.B. des riesigen chinesischen
Reiches, die gleichfalls nur so lange dauern konnte, als nicht mächtigere
Fremdvölker mit dem Schwerte an die geheimnisvollen Pforten klopften [19]. Sondern hier soll von
den Ausgängen im Sinne einer Weiterentwicklung des primitiven Eroberungsstaates
die Rede sein, die für die Gesamtauffassung der Weltgeschichte als eines
Prozesses von Bedeutung sind. Solcher Ausgänge gibt es, wenn wir nur die
Hauptlinien der Entwicklung ins Auge fassen, zwei grundsätzlich verschiedene,
und zwar ist diese polare Gegensätzlichkeit bedingt durch die polare Gegensätzlichkeit
der ökonomischen Machtmittel, an denen sich das »Gesetz der Agglomeration
um vorhandene Vermögenskerne« bestätigt. Hier ist es der mobile,
dort der immobile Reichtum, hier das Handelskapital, dort das Grundeigentum,
das sich in immer wenigeren Händen anhäuft und dadurch die Klassengliederung
und mit ihr das ganze Staatswesen grundstürzend umwälzt. Der Träger
der ersten Entwicklung ist der Seestaat, der der zweiten der Landstaat. Der
Ausgang der ersten ist die kapitalistische Sklavenwirtschaft, der Ausgang der
zweiten zunächst der entfaltete Feudalstaat. Die kapitalistische Sklavenwirtschaft,
der typische Ausgang der sog. »antiken«, der mittelländischen
Staaten, endet - nicht in Staatentod, was nichts bedeutet -, sondern in Völkertod
durch Völkerschwand. Der Seestaat bildet daher am entwicklungsgeschichtlichen
Stammbaum des Staates einen Nebenast, von dem keine weitere unmittelbare Fortbildung
ausgehen kann. Dagegen stellt der entfaltete
Feudalstaat den Hauptast, die Fortsetzung des Stammes, und daher den Ursprung
der weiteren Entwicklung des Staates dar, die von da zum Ständestaat, zum
Absolutismus und zum modernen Verfassungsstaat schon geführt hat und, wenn
wir recht sehen, zur »Freibürgerschaft« weiterführen wird. [S. 63] Solange der Stamm
nur in einer Richtung wuchs, d.h. bis einschließlich des primitiven Eroberungsstaates
höherer Stufe, konnte auch unsere genetische Darstellung einheitlich vorgehen.
Von jetzt an, wo der Stamm sich gabelt, muß auch unsere Darstellung sich
gabeln, um jedem der Äste bis in seine letzte Verzweigung zu folgen. Wir beginnen mit der
Entwicklungsgeschichte der Seestaaten. Nicht weil sie die ältere Form wären!
Im Gegenteil: soweit wir durch den Nebel der Geschichtsanfänge hindurchschauen
können, haben sich die ersten starken Staatsbildungen in Landstaaten vollzogen,
die aus eigenen Kräften die Stufe des entfalteten Feudalstaates erstiegen
haben. Aber darüber hinaus sind wenigstens die uns Europäer am meisten
interessierenden Staaten nicht gelangt, sondern sind stehen geblieben oder den
Seestaaten erlegen und, mit dem tödlichen Gift der kapitalistischen Sklavenwirtschaft
infiziert, gleich ihnen zugrunde gegangen. Die weitere Emporentwicklung des
entfalteten Feudalstaates zu höheren Stufen konnte erst erfolgen, nachdem
die Seestaaten ihren Lebensgang vollendet hatten: mächtige Herrschaftsformen
und Gedanken, die hier erwachsen waren, haben die Ausgestaltung der auf ihren
Trümmern entstandenen Landstaaten gewaltig beeinflußt und gefördert. Darum gebührt der
Darstellung des Schicksals der Seestaaten als der Vorbedingung der höheren
Staatsformen der Vorrang. Wir werden erst dem Nebenaste nachgehen, um dann zu
seinem Ausgangspunkte, dem primitiven Eroberungsstaate, zurückzukehren
und den Hauptstamm bis zur Entwicklung des modernen Verfassungsstaates, und,
vorschauend, zur Freibürgerschaft der Zukunft zu verfolgen. Fußnoten 1. »Bei den Wahuma
haben die Frauen eine höhere Stellung als bei den Negern und werden ängstlich
von ihren Männern gehütet. Das trägt zur Erschwerung der Mischungen
bei. Die Masse der Waganda wäre nicht noch heute ein echter Negerstamm
von »dunkelschokoladefarbiger Haut und kurzem Wollhaar«, wenn [sich]
nicht die beiden Völker als Ackerbauern und Hirten, als Beherrschte und
Herrscher, als Verachtete und Geehrte trotz der Beziehungen, die in ihren höheren
Klassen geknüpft werden, schroff gegenüberständen. In dieser
Sonderstellung sind sie eine typische Erscheinung, die man immer leicht wiedererkennt.«
(Ratzel, l. c. II, p. 177.) [Zurück zum Text] [S. 64] Der Lebens- und
Leidensweg des von den Seenomaden begründeten Staates ist, wie oben gesagt,
bestimmt durch das Handelskapital, so wie der Weg des Landstaates durch das
Bodenkapital, und, fügen wir hinzu, der des modernen Verfassungsstaates
durch das Unternehmerkapital. Aber der Seenomade hat
Handel und Kaufmannschaft, Messen, Märkte und Städte nicht erfunden,
sondern vorgefunden und nur seinen Interessen gemäß ausgestaltet.
All das war im Dienste des ökonomischen Mittels, des äquivalenten
Tausches, längst ausgebildet. Zum ersten Male in unserer
Betrachtung stoßen wir hier auf das ökonomische Mittel nicht als
Ausbeutungsobjekt des politischen Mittels, sondern als mitschaffendes Subjekt
bei der Entstehung des Staates, als die »Kette« sozusagen, die in
den vom Feudalstaate geschaffenen »Aufzug« eingeht, um mit ihm ein
reicher gewirktes Gebilde zu weben. Die Genesis des Seestaates würde nicht
zur vollen Klarheit gelangen, wenn wir ihr nicht die Entwicklung des vorstaatlichen
Marktverkehrs vorausschickten. Und mehr: es ist unmöglich, dem modernen
Staat die Prognose zu stellen, wenn man nicht die Bildungen kennt, die das ökonomische
Mittel im Tauschverkehr selbständig geschaffen hat. a) Der vorstaatliche
Handel Die psychologische Erklärung
des Tausches hat uns die Grenznutzentheorie gegeben: ihr größtes
Verdienst. Danach wird die subjektive Wertschätzung eines wirtschaftlichen
Gutes um so geringer, je mehr Stücke derselben Art sich im Besitz desselben
Wirtschaftssubjektes befinden. Kommt dieses mit einem anderen Wirtschaftssubjekt
zusammen, das eine Anzahl ebenfalls gleichartiger, aber von denen des ersten
verschiedener, Güter besitzt, so werden sie gern tauschen - wenn die Anwendung
des politischen Mittels sich verbietet, d.h. bei augenscheinlich gleicher Kraft
und Bewaffnung oder, [S. 65] auf der allerfrühesten Stufe, innerhalb des
Blutfriedenskreises. Beim Tausch erhält jeder ein Gut von sehr hohem subjektiven
Wert gegen ein Gut von sehr geringem subjektiven Wert; beide gewinnen also. Der Wunsch des Primitiven,
zu tauschen, muß bei seiner kinderhaften Art, die das Besessene wenig
achtet, das dem Fremden eigene aber mit heißer Leidenschaft begehrt und
von rechnenden wirtschaftlichen Erwägungen kaum erheblich beeinflußt
wird, naturgemäß noch viel stärkere Wirkungen auf ihn ausüben,
als auf uns. Im übrigen soll
nicht verschwiegen werden, daß es eine Anzahl von Naturvölkern geben
soll, die für den Tausch nicht das mindeste Verständnis haben. »Cook
erzählt, daß es in Polynesien Völkerschaften gab, mit denen
kein Verkehr angebahnt werden konnte, denn Geschenke machten nicht den geringsten
Eindruck auf sie und wurden später weggeworfen; alles, was man ihnen vorzeigte,
betrachteten sie mit Gleichgültigkeit, sie begehrten nicht das Geringste
davon, und von ihren eigenen Sachen wollten sie als Entgelt nichts überlassen
- kurz, sie hatten nicht den geringsten Begriff davon, was Handel und Tausch
ist.« [1] Auch Westermarck ist der Meinung, daß »Tausch und
Handel verhältnismäßig späte Erfindungen sind«. Gegen
Peschel, der den Menschen schon auf seiner allerfrühesten uns zugänglichen
Stufe tauschen läßt, bemerkt er, wir hätten keinen Beweis dafür,
»daß die Höhlenbewohner von Périgord aus der Renntierperiode
den Bergkristall, die atlantischen Muscheln und die Hörner der polnischen
Saiga-Antilope auf dem Wege des Tausches erhalten haben« [2]. Trotz jener Ausnahmen,
die auch andere Erklärungen zulassen mögen (vielleicht fürchteten
die Eingeborenen Zauberei), beweist doch die Völkerkunde, daß die
Lust zu Tausch und Handel eine allgemein menschliche Eigenschaft ist: natürlich
kann sich dieser Trieb erst betätigen, wenn beim Zusammentreffen mit Fremden
neue lockende Güter in den Gesichtskreis des Urmenschen treten; denn im
Kreise der eigenen Blutsverwandten hat jeder dieselben Arten von Gütern
und, bei dem naturwüchsigen Kommunismus, auch im Durchschnitt dieselbe
Menge. [3] [S. 66] Bei dem Zusammentreffen
mit Fremden aber kann es zu gelegentlichem Tausch, der der Anfang alles regelmäßigen
Handels sein muß, nur dann kommen, wenn dieses Zusammentreffen friedlich
ist. Ist denn nun solches friedliche Zusammentreffen mit Fremden möglich?
Steht nicht das ganze Leben der Urmenschen - wir sprechen hier von den Anfängen
des Tauschverkehrs! - unter dem Zeichen: »homo homini lupus«? In der Tat ist auch der
Handel auf den höheren Stufen in der Regel von dem »politischen Mittel«
stark beeinflußt. »Der Handel folgt im allgemeinen dem Raube.«
[4] Aber seine ersten Anfänge sind doch vorwiegend dem ökonomischen
Mittel zu danken, sind Ergebnis nicht des Kriegs-, sondern des Friedensverkehrs. Die internationalen Beziehungen
der primitiven Jäger untereinander dürfen nicht mit denen der Jäger
und Hirten zu den Hackbauern oder der Hirten untereinander auf eine Stufe gestellt
werden. Wohl gibt es Fehden aus Blutrache oder wegen Weiberraubes oder wohl
auch wegen Grenzverletzung der Jagdgebiete: aber ihnen fehlt jener Stachel,
der nur aus der Habgier wächst, aus dem Wunsch, fremde Arbeitserzeugnisse
zu rauben. Darum sind die »Kriege« der primitiven Jäger in
der Regel weniger wirkliche Kriege als Raufereien und Einzelkämpfe, die
häufig genug sogar, unseren deutschen Studenten-Mensuren nicht unähnlich,
nach einem bestimmten Zeremonial und nur bis zu einem leichteren Grade der Kampfunfähigkeit,
sozusagen »auf einen Blutigen« gehen [5]. Diese an Kopfzahl sehr
schwachen Stämme hüten sich mit Recht, mehr Opfer zu bringen als -
z. B. im Falle der Blutrache - unerläßlich, und vor allem davor,
neue Blutrache herauszufordern. So sind denn auch unter
diesen Stämmen und ebenso unter den primitiven Hackbauern, bei denen gleichfalls
der Stachel des politischen Mittels fehlt, die friedlichen Beziehungen zu den
Nachbarn gleicher Wirtschaftsstufe ungleich stärker als unter den Hirten.
Wir kennen eine ganze Anzahl von Fällen, wo sie zur gemeinsamen Ausbeutung
von Naturschätzen friedlich zusammenkommen. »Schon auf primitiven
Kulturstufen sammeln sich größere Bevölkerungen [S. 67] zeitweilig
an Stellen, wo nützliche Dinge in größeren Mengen vorkommen.
Die Indianer eines großen Teiles von Amerika wallfahrten nach den Pfeifensteinlagern,
andere versammeln sich alljährlich zur Ernte bei den Zizaniasümpfen
der nordwestlichen Seen; die so zerstreut lebenden Australier des Barkugebietes
kommen von allen Seiten zu Erntefesten bei den Sumpfbeeten körnertragender
Marsiliaceen.« [6] »Wenn der Bunga-Bunga-Baum in Queensland seine
mehlige Frucht reichlich trägt, ist der Vorrat größer, als der
Stamm verbrauchen kann, und fremden Stämmen wird gestattet, davon mitzuessen.«
[7] »Mehrere Stämme einigen sich über den gemeinsamen Besitz
bestimmter Striche, auch über den an Phonolithbrüchen für die
Beile.« [8] Wir hören auch von gemeinsamen Beratungen und Gerichtssitzungen
der Ältesten mehrerer australischer Stämme, bei denen die ganze übrige
Bevölkerung die Korona, den »Umstand« der germanischen Thingordnung,
bildet [9]. Es ist nur natürlich,
daß sich bei solchen Zusammenkünften ein Tauschverkehr einstellt,
und vielleicht sind die »Wochenmärkte, die von den Negervölkern
Zentralafrikas mitten im Urwald unter besonderem Friedensschutz abgehalten werden«
[10], derart entstanden, und ebenso die großen Messen der Polarjäger,
der Tschuktschen usw., die uralt sein sollen. Alle diese Dinge setzen
die Ausbildung friedlicher Verkehrsformen zwischen benachbarten Gruppen voraus.
Und solche Formen finden wir denn auch fast überall. Sie konnten auf der
hier betrachteten Stufe leicht entstehen; denn noch ist die Entdeckung nicht
gemacht, daß der Mensch als Arbeitsmotor dienen kann, und darum wird der
Blutsfremde nur »in dubio« als Feind betrachtet. Kommt er in augenscheinlich
friedlicher Absicht, so wird er auch friedlich empfangen. Und es hat sich ein
ganzer Kodex von völkerrechtlichen Zeremonien herausgebildet, die dazu
bestimmt sind, die Friedfertigkeit des Ankömmlings zu erweisen [11]. Man
stellt die Waffen fort [S. 68] und zeigt die wehrlose Hand; man sendet Parlamentäre
voran, die überall unverletzlich sind [12]. Es ist klar, daß
diese Formen eine Art von Gastrecht darstellen, und in der Tat wird der friedliche
Handel durch das Gastrecht erst ermöglicht, und der Austausch von Gastgeschenken
scheint den eigentlichen Tauschhandel einzuleiten. Aus welchen seelischen Wurzeln
wächst nun das Gastrecht? Nach Westermarck in seinem
monumentalen Werke: »Ursprung und Entwicklung der Moralbegriffe«
[13] beruht die Sitte der Gastfreundschaft außer auf der Neugier, die
von dem weither Kommenden Nachrichten zu empfangen hofft, vor allem auch auf
der Furcht vor etwaigen Zauberkräften des Fremden, die ihm eben als einem
Fremden zugetraut werden [14]. (Noch in der Bibel wird die Gastfreundschaft
mit der Begründung empfohlen, daß man nie wissen könne, ob der
Fremde nicht ein Engel sei.) Das abergläubische Geschlecht fürchtet
seinen Fluch (die Erinnys der Griechen) und beeilt sich, ihn günstig zu
stimmen. Ist er als Gast aufgenommen, so ist er unverletzlich und genießt
das Friedensrecht der Blutsgruppe mit, als deren Angehöriger er während
seines Aufenthaltes gilt; und so ergreift ihn auch der urwüchsige Kommunismus
des Besitzes, der hier herrscht. Der Wirt fordert und erhält, was ihm ansteht,
und gibt dafür dem Gast, was er begehrt. Wird der friedliche Verkehr häufiger,
so kann sich aus dem gegenseitigen Gastgeschenk allmählich ein Handel entwickeln,
weil der Kaufmann gern dorthin zurückkehrt, wo er gute Aufnahme und vorteilhaften
Tausch fand und das Gastrecht schon besitzt, das er anderwärts erst, vielleicht
unter Lebensgefahr, erwerben muß. [S. 69] Voraussetzung
für die Ausbildung eines regelmäßigen Warenhandels ist natürlich
die Existenz einer »internationalen« Arbeitsteilung. Und solche
besteht auch früher und in größerer Ausdehnung, als man im allgemeinen
anzunehmen geneigt ist. »Es ist ganz falsch, anzunehmen, daß die
Arbeitsteilung erst auf einer höheren Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung
eintrete. Innerafrika hat seine Dörfer von Eisenschmieden, ja von solchen,
die nur Wurfmesser anfertigen; Neuguinea seine Töpferdörfer, Nordamerika
seine Pfeilspitzenverfertiger.« [15] Aus solchen Spezialitäten entwickelt
sich ein Handel, sei es durch hausierende Kaufleute, sei es durch Gastgeschenke
oder Friedensgeschenke von Volk zu Volk. In Nordamerika handeln die Kaddu mit
Bögen; »Obsidian ward überall zu Pfeilspitzen und Messern verwandt:
am Yellowstone, am Snake River, in Neumexiko, vor allem aber in Mexiko. Dann
verbreitete sich der kostbare Stoff über das ganze Land bis nach Ohio und
Tennessee: ein Weg von fast 3000 km.« [16] Entsprechend berichtet
Vierkandt: »Aus der geschlossenen Hauswirtschaft der Naturvölker
ergibt sich eine von den modernen Verhältnissen völlig abweichende
Art des Handels bei ihnen (...) Jeder einzelne Stamm hat gewisse besondere Fertigkeiten
entwickelt, die zu einem Austausche Anlaß geben. Selbst bei den verhältnismäßig
tiefstehenden Indianerstämmen Südamerikas finden wir bereits derartige
Verschiedenheiten. (...) Durch einen derartigen Handel können Produkte
außerordentlich weit verbreitet werden, aber nicht auf direktem Wege durch
gewerbsmäßige Händler, sondern durch allmähliche Verbreitung
von einem Stamm zum anderen. Der Ursprung eines solchen Handels ist, wie Bücher
ausgeführt hat, auf den Austausch von Gastgeschenken zurückzuführen.«
[17] Außer aus den Gastgeschenken
kann sich ein Handel aus den Friedensgeschenken entwickeln, die sich die Gegner
nach einem Zusammenstoß als Zeichen der Versöhnung überreichen
[18]. »Waren Völker«, so berichtet Sartorius über Polynesien,
»von verschiedenen [S. 70] Inseln aufeinandergestoßen, so konnten
die Friedensgaben für jeden etwas Neues sein, und wenn dann Geschenk und
Gegengeschenk beiden gefielen, so wiederholte man dieselben und war auch hier
bei dem Gütertausch angelangt. Aber im Gegensatz zu den Gastgeschenken
war hier die Voraussetzung eines dauernden Verkehrs gegeben. Es hatte nicht
die Berührung von Individuen, sondern von Stämmen, von Völkern
stattgefunden. Dabei sind die Frauen das erste Objekt des Austausches: sie bilden
das Bindeglied zwischen den fremden Stämmen und zwar werden sie - wie viele
Quellen beweisen - gegen Vieh ausgetauscht.« [19] Wir stoßen hier
auf ein Objekt des Austausches, das auch ohne »internationale Arbeitsteilung«
tauschbar ist. Und es scheint sogar, als wenn vielfach der Frauentausch dem
Gütertausch die Wege geebnet habe, als wenn er der erste Schritt zur friedlichen
Integration der Völker gewesen sei, die neben der kriegerischen durch die
Staatsbildung einhergeht. Lippert [20] glaubt freilich,
noch älter sei der friedliche Feuertausch. Da er aber die gewiß sehr
alte Sitte nur aus Kult- und Rechts-Rudimenten erschließen kann, während
sie unserer unmittelbaren Beobachtung nicht mehr zugänglich ist, wollen
wir hier davon absehen. Dagegen ist der Frauentausch
eine überall beobachtete Erscheinung, und zweifellos muß man ihm
eine außerordentlich starke Einwirkung auf die Ausgestaltung des friedlichen
Verkehrs zwischen benachbarten Stämmen und die Vorbereitung des Gütertausches
beimessen. Die Sage von den Sabinerinnen, die sich zwischen ihre zum Kampf antretenden
Brüder und Gatten werfen, muß im Laufe der Entwicklung des Menschengeschlechtes
tausendfach Wahrheit gewesen sein. Überall fast gilt die Verwandtenehe
als Frevel, als »Blutschande«, aus Gründen, denen wir hier
nicht nachgehen können [21]; überall richtet sich der Geschlechtstrieb
auf die Frauen der Nachbarn, und ist der Weiberraub ein Teil der ersten zwischenstammlichen
Beziehungen; und fast überall, wo nicht starke Rassengefühle entgegenwirken,
wird der Raub allmählich durch Tausch und Kauf abgelöst: ist doch
die eigene Blutsverwandte dem Mann als Substrat [S. 71] des Geschlechtsverkehrs
von ebenso geringem subjektiven Wert wie die Fremde von hohem! Die so geknüpften
Beziehungen werden nun, wenn Arbeitsteilung überhaupt den Gütertausch
ermöglichte, diesem nutzbar gemacht; die exogamischen Gruppen treten in
ein im regelmäßigen Verlauf friedliches Verhältnis ein. Der
Friede, der die Blutsverwandtschaftshorde umhegt, erstreckt sich fortan über
einen weiteren Kreis. Ein einziges Beispiel aus unzähligen: »Jeder
der beiden Kamerunstämme hat seine eigenen »bush countries«,
Ortschaften, mit denen seine Leute Handel treiben, und wo sie durch gegenseitige
Verheiratungen Verwandtschaft besitzen. So wird die Exogamie auch hier völkerverbindend.«
[22] Das sind die Hauptlinien
der Entfaltung des friedlichen Tauschverkehrs: aus dem Gastrecht und dem Frauentausch,
vielleicht auch dem Feuertausch, zum Gütertausch. Fügen wir noch hinzu,
daß die Märkte und Messen, vielfach auch die Händler, wie wir
schon mehrfach anmerkten, sehr oft, fast regelmäßig, als unter dem
Schutze einer den Frieden schützenden und den Friedensbruch rächenden
Gottheit stehend betrachtet werden: und wir haben die Grundzüge dieser
überaus wichtigen soziologischen Erscheinung bis zu dem Punkte geführt,
wo das politische Mittel störend, umformend, weiterführend in die
Schöpfungen des ökonomischen Mittels eingreift. b) Der Handel und der
primitive Staat Der Räuberkrieger
hat zwei wichtige Gründe, solche Märkte und Messen, die er in seinem
mit dem Schwerte erworbenen Einflußgebiete vorfindet, pfleglich zu behandeln. Der eine, außerwirtschaftliche,
ist der, daß auch er die abergläubische Furcht vor der den Friedensbruch
rächenden Gottheit empfindet. Der andere, wirtschaftliche, und wahrscheinlich
mächtigere, ist der - ich glaube, hier zum erstenmal auf diesen Zusammenhang
hinzuweisen -, daß er selbst des Marktes nicht wohl entraten kann. Seine Beute enthält
auf primitiver Stufe viele Güter, die sich für seinen unmittelbaren
Verzehr und Gebrauch nicht eignen. Er hat [S. 72] Güter nur von wenigen
Arten, von diesen aber so viele Exemplare, daß der »Grenznutzen«
jedes einzelnen für ihn sehr gering ist. Das gilt vor allem für den
wichtigsten Erwerb des politischen Mittels, für die Sklaven. Um zunächst
vom Hirten zu sprechen, so ist sein Sklavenbedarf durch die Größe
seiner Herde begrenzt: er ist durchaus geneigt, den Überschuß gegen
andere Güter einzutauschen, die für ihn von Wert sind: Salz, Schmuck,
Waffen, Metalle, Webestoffe, Geräte usw. Darum ist der Hirt nicht nur immer
auch Räuber, sondern fast immer auch Kaufmann, Händler, und schützt
den Handel. [23] Er schützt den Handel,
der zu ihm kommt, um ihm seine Beute gegen Güter eines fremden Kulturkreises
abzutauschen: von jeher haben die Nomaden die ihre Steppen oder Wüsten
durchziehenden Karawanen gegen Schutzgeld geleitet; und er schützt den
Handel auch an den schon vor der Staatsentstehung von ihm eingenommenen Plätzen.
Ganz die gleichen Erwägungen, die den Hirten dazu brachten, vom Bären-
zum Imkerstadium überzugehen, müssen ihn veranlaßt haben, alte
Märkte und Messen zu erhalten und zu schützen. Eine einmalige Plünderung
heißt auch hier die Henne schlachten, die die goldenen Eier legt; viel
vorteilhafter ist es, den Markt zu erhalten, seinen Frieden eher noch zu befestigen,
und außer dem Vorteil des Eintausches fremder Güter gegen Beute auch
noch das Schutzgeld, die Herrensteuer, zu empfangen. Daher haben überall
die Fürsten des Eroberungsstaates aller Stufen die Märkte, Straßen
und Kaufleute unter ihren besonderen Schutz und »Königsfrieden«
genommen, oft genug sogar sich das Monopol des Fremdhandels vorbehalten. Wir
sehen sie ebenfalls überall eifrig beschäftigt, durch Verleihung von
Schutz und Rechten neue Märkte und Städte ins Leben zu rufen. Dieses Interesse am Marktwesen
läßt es auch durchaus glaublich erscheinen, daß Hirtenstämme
vorhandene Märkte ihres Einflußgebietes so weit respektierten, daß
sie ihnen mit jeder Betätigung des politischen Mittels völlig fernblieben,
nicht einmal die »Herrschaft« über sie einrichteten. Was Herodot
erstaunt von dem geweihten Markte der Argippäer im gesetzlosen Lande der
skythischen Hirten berichtet, daß ihre waffenlosen Einwohner wirksam durch
den heiligen Frieden ihrer Marktstätte geschützt waren, ist an sich
wohl glaublich und wird durch manche ähnliche Erscheinung noch glaublicher:
[S. 73] »Kein Mensch tut diesen ein Leid an, denn sie gelten für
heilig; auch haben sie gar keine kriegerischen Waffen; dabei sind sie es, welche
die Streitigkeiten der Nachbarn schlichten, und wer zu ihnen als Flüchtling
entkommen ist, dem tut niemand etwas zu leide.« [24] Ähnliches findet
sich häufig: »Das alles ist immer wieder dieselbe Argippäergeschichte,
die Geschichte von dem »heiligen«, »gerechten«, »waffenlosen«
handeltreibenden und streitschlichtenden Stämmchen inmitten einer beduinenhaft
nomadischen Bevölkerung.« [25] Als ein Beispiel viel höherer
Stufe sei Cäre genannt, dessen Einwohner nach Strabon »bei den Hellenen
wegen ihrer Tapferkeit und Gerechtigkeit viel galten, und weil sie, so mächtig
sie waren, des Raubes sich enthielten«. Mommsen, der die Stelle anführt,
fügt hinzu: »Nicht der Seeraub ist gemeint, den der cäritische
Kaufmann wie jeder andere sich gestattet haben wird, sondern Cäre war eine
Art von Freihafen für die Phönizier wie für die Griechen.«
[26] Cäre ist nicht,
wie der Markt der Argippäer, ein Markt des Binnenlandes im Landnomadengebiet,
sondern ein befriedeter Hafen im Seenomadengebiet. Wir stoßen hier auf
eine der typischen Bildungen, die in ihrer Bedeutung m. E. bisher nicht nach
Gebühr eingeschätzt sind. Sie haben, wie mir scheint, auf die Entstehung
der Seestaaten einen mächtigen Einfluß ausgeübt. Die inneren Gründe
nämlich, aus denen wir die Landnomaden zum Handel und, wenn nicht zur Marktgründung,
so doch zur Marktschonung kommen sahen, mußten mit noch vermehrter Kraft
die Seenomaden zu dem gleichen Verhalten zwingen. Denn der Transport der Beute,
namentlich Herden und Sklaven, der auf den Wüsten- und Steppenpfaden schwierig
und - wegen der Langsamkeit der Fortbewegung, die eine Verfolgung erleichtert
- auch gefährlich ist, ist im Kriegskanoe und »Drachen« leicht
und gefahrlos. Darum ist der Wiking in noch ganz anderem Grade Kaufmann und
Marktbesucher als der Hirt. »Krieg, Handel und Piraterie, dreieinig sind
sie, nicht zu trennen«, heißt es im »Faust«. c) Die Entstehung des
Seestaates [S. 74] Auf diesen Handel
mit der Beute des Seeraubes ist, glaube ich, in vielen Fällen die Entstehung
derjenigen Städte zurückzuführen, um die als ihre politischen
Vororte sich die Stadtstaaten der »alten Geschichte«, d.h. der mittelländischen
Kultur, auswuchsen; in sehr vielen anderen Fällen hat der gleiche Handel
mitgewirkt, um sie zum gleichen Ziel der politischen Ausgestaltung zu führen. Man wird die Entstehung
dieser Markthäfen im allgemeinen auf zwei Typen zurückführen
können: sie erwuchsen entweder als Seeräuberburgen unmittelbar durch
feindliche Festsetzung an einer fremden Küste oder als »Kaufmannskolonien«,
die auf Grund friedlichen Vertrages in Häfen fremder primitiver oder entfalteter
Feudalstaaten zugelassen waren. Für den ersten Typus,
der dem vierten Stadium unseres Schemas genau entspricht, für die Festsetzung
einer bewaffneten Piratenkolonie also an einem kommerziell günstigen und
strategisch verteidigungsfähigen Punkt der Küste in fremdem Gebiet,
haben wir eine Anzahl wichtiger Beispiele aus der antiken Geschichte. Das bedeutsamste
ist Karthago; und eine ganze Kette gleicher Seeburgen legten die hellenischen
Seenomaden, Ionier, Dorer, Achäer, am Schwarzen und am Marmarameer, an
der adriatischen und tyrrhenischen Küste Süditaliens, auf den Inseln
dieser Meere und an den Golfen Südfrankreichs an. Phönizier, Etrusker
[27], Hellenen, nach neueren Forschungen angeblich auch die Karer, haben rund
um das Mittelmeer nach demselben Typus ihre »Staaten« gegründet,
mit ganz derselben Ständegliederung in Herren und fronende Ackerer der
Nachbarschaft [28]. [S. 75] Einige dieser
Küstenstaaten haben sich zu Feudalstaaten von genau dem Typus der Landstaaten
ausgewachsen: die Herrenklasse wurde eine Grundbesitzeraristokratie. Maßgebend
dafür waren erstens geographische Verhältnisse: der Mangel an guten
Häfen, ein weites, von friedlichen Bauern besiedeltes Hinterland; und dann
wohl auch die aus der Heimat mitgebrachte ständische Organisation. Flüchtige
Edelinge waren es, Besiegte innerer Fehden, oder jüngere Söhne, zuweilen
ein ganzer »heiliger Frühling«, die »auf den Wiking«
zogen: waren sie schon daheim als Landjunker erzogen, so suchten sie auch in
der Fremde wieder »Land und Leute«. Die Besetzung Englands durch
die Angelsachsen und Süditaliens durch die Normannen sind solche Fälle,
ebenso die spanisch-portugiesische Kolonisation von Mexiko und Südamerika.
Weitere, sehr wichtige Beispiele für diese Bildung von Landfeudalstaaten
durch Seenomaden sind die achäischen Kolonien Großgriechenlands:
»Dieser achäische Städtebund war eine eigentliche Kolonisation.
Die Städte waren ohne Häfen - nur Kroton besaß eine leidliche
Reede - und ohne Eigenhandel; der Sybarite rühmte sich, zu ergrauen zwischen
den Brücken seiner Lagunenstadt, und Kauf und Verkauf besorgten ihm Milesier
und Etrusker. Dagegen besaßen die Griechen hier nicht nur den Küstensaum,
sondern herrschten von Meer zu Meer (...); die eingeborene ackerbauende Bevölkerung
mußte in Klientel oder gar in Leibeigenschaft ihnen wirtschaften und zinsen.«
[29] Ähnlich werden die meisten dorischen Kolonien in Kreta organisiert
gewesen sein. Doch, mögen diese
»Landstaaten« häufiger oder seltener gewesen sein, für
den Verlauf der Universalgeschichte erlangten nicht sie Bedeutung, sondern diejenigen
Seestädte, die ihr Schwergewicht auf Handel und Kaperwesen verlegten. Mommsen
stellt den achäischen Landjunkern die »königlichen Kaufleute«
der übrigen hellenischen Kolonien in Süditalien scharf und glücklich
gegenüber: »Auch sie verschmähten den Ackerbau und Landgewinn
keineswegs; es war nicht die Weise der Hellenen, wenigstens seit sie zu ihrer
Kraft gekommen waren, sich im Barbarenland nach phönizischer Art an einer
befestigten Faktorei genügen zu lassen. Aber wohl waren diese [S. 76] Städte
zunächst und vor allem des Handels wegen gegründet, und darum denn
auch, ganz abweichend von den achäischen, durchgängig an den besten
Häfen und Landungsplätzen angelegt.« [30] Wir dürfen wohl
annehmen - für die ionischen Kolonien ist es sicher -, daß hier die
Städtegründer nicht Landjunker, sondern schon seefahrende Kaufleute
gewesen sein werden. Aber solche Seestaaten
oder Seestädte eigentlichen Sinnes entstanden nicht nur durch kriegerische
Eroberung, sondern auch aus friedlichen Anfängen durch eine mehr oder weniger
gemischte »pénétration pacifique«. Wo die Wikinge nämlich
nicht auf friedliche Bauern, sondern auf wehrhafte Staaten der primitiven Stufe
stießen, nahmen und boten sie Frieden und ließen sich als Kaufmannskolonien
nieder. Wir kennen solche Fälle
aus aller Welt, in Häfen und Landmärkten. Uns am nächsten stehen
die Niederlassungen der norddeutschen Kaufleute in den Nord- und Ostseeländern:
der Stahlhof in London, die Hansa in Schweden und Norwegen, auf Schonen und
in Rußland: Nowgorod. In Wilna, der Hauptstadt der litauischen Großfürsten,
befand sich eine solche Kolonie, und der Fondaco dei Tedeschi in Venedig ist
auch ein Beispiel dafür. Fast überall sitzen die Fremden in geschlossener
Masse, mit eigenem Recht und unter eigener Gerichtsbarkeit, und sehr oft erlangen
sie großen politischen Einfluß, der sich häufig bis zur Herrschaft
über den Staat steigert. Man glaubt, eine zeitgenössische Schilderung
der phönizischen oder hellenischen Invasion der Mittelmeerländer etwa
aus dem Anfang des ersten Jahrtausends vor Christi zu hören, wenn man die
folgende Mitteilung Ratzels von den Küstenländern und Inseln des Indischen
Ozeans liest: »Ganze Völkerschaften sind durch den Handel gleichsam
verflüssigt, so vor allem die sprichwörtlich geschickten, eifrigen,
allgegenwärtigen Malaien sumatranischer Abkunft und die ebenso gewandten
wie verräterischen Bugi von Celebes, die von Singapur bis Neu-Guinea auf
keinem Platz fehlen und neuerdings besonders in Borneo auf Aufforderung einheimischer
Fürsten in Massen eingewandert sind. Ihr Einfluß ist so stark, daß
man ihnen gestattet, sich nach ihren eigenen Gesetzen zu regieren, und sie fühlen
sich so stark, daß es an Versuchen, sich unabhängig zu stellen, bei
ihnen nicht gefehlt hat. Die Atchinesen nahmen ehemals eine ähnliche Stellung
ein: [S. 77] nach dem Sinken des von sumatranischen Malaien zum Emporium gemachten
Malakka war einige Jahrzehnte lang in der weltgeschichtlichen Wendezeit um den
Beginn des 17. Jahrhunderts Atchin die lebhafteste Reede dieses fernen Ostens.«
[31] Einige andere Beispiele, aus zahllosen herausgegriffen, mögen folgen,
um die allgemeine Verbreitung dieser Siedelform zu zeigen: »In Urga, wo
sie politisch dominieren, sind die Kaufleute in eine besondere Chinesenstadt
zusammengedrängt.« [32] In den israelitischen Staaten befanden sich
»kleine Kolonien von fremden Kaufleuten und Handwerkern, denen man bestimmte
Viertel der Städte überließ, wo sie, unter dem Schutz des Königs
stehend, nach ihren eigenen religiösen Sitten leben konnten«, vgl.
l. Kg. 20, 34. [33] »Der ephraimitische König Omri sah sich durch
die kriegerischen Erfolge seines Gegners, des damaszenischen Königs, gezwungen,
den aramäischen Kaufleuten gewisse Teile der Stadt Samaria zu überlassen,
wo sie unter königlichem Schutz Handel treiben konnten. Als später
das Kriegsglück seinem Nachfolger Ahab günstig war, verlangte dieser
vom aramäischen Könige dasselbe Vorrecht für die ephraimitischen
Kaufleute in Damaskus.« [34] »Überall standen die Italiker
zusammen als festgeschlossene und organisierte Massen, die Soldaten in ihren
Legionen, die Kaufleute jeder größeren Stadt als eigene Gesellschaften,
die in dem einzelnen provinzialen Gerichtssprengel domizilierten oder verweilenden
römischen Bürger als »Kreise« (conventus civium Romanorum)
mit ihrer eigenen Geschwornenliste und gewissermaßen mit Gemeindeverfassung.«
[35] Wir wollen noch an die Ghetti der Juden erinnern, die vor den großen
Judenverfolgungen des Mittelalters nichts anderes waren als solche geschlossenen
Kaufmannskolonien; und wollen darauf aufmerksam machen, daß auch heute
noch die europäischen Kaufleute in den Küstenstädten stärkerer
exotischer Reiche ganz ähnliche »conventus« mit eigener Verfassung
und (Konsular-) Gerichtsbarkeit bilden; China muß das noch heute dulden,
ebenso Marokko usw., während Japan und die Türkei erst kürzlich
diese diminutio capitis haben abschütteln können. [S. 78] Für unsere
Betrachtung ist an diesen Kolonien das Interessanteste, daß sie überall
die Tendenz haben, ihren politischen Einfluß bis zur vollen Herrschaft
auszudehnen. Das hat nichts Erstaunliches. Die Kaufleute haben einen Reichtum
an beweglichen Gütern, der durchaus geeignet ist, in den politischen Wirren,
denen alle Eroberungsstaaten fortwährend ausgesetzt sind, entscheidend
einzuwirken, sei es bei internationalen Fehden zwischen zwei Nachbarstaaten,
sei es bei innerstaatlichen Kämpfen, z. B. um die Thronfolge. Dazu kommt,
daß hinter den Kolonisten häufig die starke Macht ihres Muttervolkes
steht, auf die sie sich verlassen können, weil verwandtschaftliche Bande
und ungemein starke kommerzielle Interessen sie verbinden, und daß sie
selbst in ihrem krieggewöhnten Schiffsvolk und ihren zahlreichen Sklaven
häufig eine für die kleinen Verhältnisse bedeutende Eigenmacht
ins Feld stellen können. Die folgende Schilderung der Rolle, die arabische
Kaufleute in Ostafrika gespielt haben, scheint mir einen bisher viel zu wenig
beachteten geschichtlichen Typus darzustellen: »Als Speke 1857
als erster Europäer diesen Weg machte, waren die Araber Kaufleute, die
als Fremde im Lande wohnten; als er 1861 denselben Weg zum zweitenmal betrat,
glichen die Araber schon großen Gutsherren mit reichem Landbesitz und
führten Krieg mit dem angestammten Herrscher des Landes. Dieser Prozeß,
der sich ja auch in manchen anderen Ländern Innerafrikas wiederholt hat,
ergibt sich mit Notwendigkeit aus den Verhältnissen. Die fremden Kaufleute,
Araber und Suaheli, bitten um die Erlaubnis des Durchzuges, wofür sie zollen,
gründen Warenlager, die den Häuptlingen genehm sind, weil sie ihrer
Erpressungssucht und Eitelkeit zugute zu kommen scheinen, bereichern sich dann
und erwerben Verbindungen, machen sich hierdurch verdächtig, werden gedrückt
und verfolgt, weigern sich, die mit dem Wohlstand gestiegenen Zölle und
Steuern zu zahlen; endlich ergreifen die Araber bei einem der unvermeidlichen
Thronstreite Partei für einen Prätendenten, der ihnen fügsam
zu sein verspricht, und werden dadurch in die inneren Streitigkeiten des Landes
gezogen und in oft endlose Kriege verwickelt.« [36] Diese politische Tätigkeit
der kaufmännischen Metöken ist ein immer wiederkehrender Typus. »Auf
Borneo erwuchsen aus den [S. 79] Ansiedlungen chinesischer Goldgräber eigene
Reiche.« [37] Und die ganze europäische Kolonisationsgeschichte ist
eigentlich nur eine einzige Reihe von Beispielen für das Gesetz, das bei
irgend überlegener Macht der Fremden aus Faktoreien und größeren
Niederlassungen Herrschaft entstehen läßt, wenn sie nicht dem ersten
Typus der einfachen Piraterie näherstehen, wie die spanisch-portugiesische
Konquista und die Eroberungen der ostindischen Kompagnien, der englischen so
gut wie der holländischen. »Es liegt ein Raubstaat an der See, zwischen
dem Rheine und der Schelde«, klagt Multatuli sein Vaterland an. Alle ostasiatischen,
amerikanischen und afrikanischen Kolonien aller europäischen Völker
sind nach einem der beiden Typen entstanden. Nicht immer kommt es
zur unbedingten Herrschaft der Fremden. Zuweilen ist der Gaststaat zu stark,
und sie bleiben politisch ohnmächtige Schutzgäste: so z. B. die Deutschen
in England. Zuweilen erstarkt der schon unterworfene Gaststaat so sehr, daß
es ihm gelingt, die Fremdherrschaft abzuschütteln: so z.B. verjagte Schweden
die Hansa, die ihm schon die Herrschaft auferlegt hatte. Zuweilen kommt ein
stärkerer Eroberer über Kaufmannskolonie und Gaststaat und unterwirft
beide: so z.B. machten die Russen den Republiken von Nowgorod und Pskow ein
Ende. Häufig aber verschmelzen die fremden Reichen mit den einheimischen
Edlen zu einer Herrenklasse, nach dem Typus, den wir auch bei der Landstaatenbildung
dort auftreten sahen, wo zwei ungefähr gleich starke Herrengruppen zusammenstießen.
Und dieser letztgenannte Fall scheint mir für die Genesis der wichtigsten
Stadtstaaten des Altertums, für die griechischen Seestädte und für
Rom, die wahrscheinlichste Annahme. Wir kennen die griechische
Geschichte, um mit Kurt Breysig zu reden, nur von ihrem »Mittelalter«,
die römische gar nur von ihrer »Neuzeit« an. Auf das, was vorher
liegt, dürfen wir nur mit äußerster Vorsicht Analogieschlüsse
wagen. Es will mir aber scheinen, als seien Tatsachen genug verbürgt, die
den Schluß zulassen, daß Athen, Korinth, Mykene, Rom usw. nach der
hier geschilderten Weise zu Staaten geworden sind, selbst wenn die uns bekannten
Daten aus aller bekannten Völkerkunde und Geschichte nicht von solcher
Allgemeingültigkeit wären, daß sie den Schluß an sich
gestatteten. Wir wissen genau aus
Ortsnamen (Salamis: Insel des Friedens = Marktinsel), [S. 80] aus Heroennamen,
aus Baudenkmälern und aus unmittelbarer Überlieferung, daß in
vielen griechischen Hafenstädten phönikische Faktoreien bestanden,
deren Hinterland von kleinen Feudalstaaten der typischen Gliederung in Edelinge,
Freie und Sklaven eingenommen war. Mögen einzelne phönikische, vielleicht
auch einige der noch ziemlich rätselhaften karischen Kaufleute in das Konnubium
der Edlen aufgenommen worden und zu Vollbürgern oder gar zu Fürsten
geworden sein oder nicht -, daß die Ausbildung dieser Stadtstaaten durch
die fremden Einflüsse mächtig gefördert wurde, kann gar nicht
ernsthaft bestritten werden. Dasselbe gilt von Rom.
Hören wir, was ein so vorsichtiger Autor wie Mommsen darüber sagt: »Daß Rom,
wenn nicht seine Entstehung, doch seine Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen
Verhältnissen verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren,
die von ganz anderem Gewicht sind, als die Angaben historisierter Noveletten.
Daher rühren die uralten Beziehungen zu Cäre, das für Etrurien
war, was für Latium Rom, und denn auch dessen nächster Nachbar und
Handelsfreund wurde; daher die ungemeine Bedeutung der Tiberbrücke und
des Brückenbaues überhaupt in dem römischen Gemeinwesen; daher
die Galeere als städtisches Wappen. Daher der uralte römische Hafenzoll,
dem von Haus aus nur unterlag, was zum Feilbieten (promercale), nicht was zu
eigenem Bedarf des Verladers (usuarium) in dem Hafen von Ostia einging, und
der also recht eigentlich eine Auflage auf den Handel war. Daher, um vorzugreifen,
das verhältnismäßige frühe Vorkommen des gemünzten
Geldes, der Handelsverträge mit überseeischen Staaten in Rom. In diesem
Sinne mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt, mehr eine geschaffene
als eine gewordene Stadt und unter den latinischen eher die jüngste als
die älteste sein.« [38] Es wäre Gegenstand
einer ein Leben erfüllenden historischen Untersuchung, die hier angedeuteten
Möglichkeiten, oder besser, Wahrscheinlichkeiten zu prüfen und daraus
auf die Verfassungsgeschichte dieser überaus wichtigen Stadtstaaten die
- sehr notwendigen - Schlüsse zu ziehen. Mir scheint, als wäre auf
diesem Wege über manche noch sehr dunkle Frage Licht zu gewinnen, wie über
die [S. 81] etruskische Herrschaft in Rom, über den Ursprung der reichen
Plebejerfamilien, über die athenischen Metöken und vieles andere. Hier können wir
nur den einen Faden verfolgen, der uns durch das Labyrinth der historischen
Überlieferung zum Tore zu leiten verspricht. d) Wesen und Ausgang
des Seestaates All diese Staaten, mögen
sie nun entstanden sein aus Seeräuberburgen, aus Häfen an der Küste
des Gebietes seßhaft gewordener Landnomaden, die dann spontan zu Wikingern
wurden, aus Kaufmannskolonien, die zur Herrschaft kamen, oder aus Kaufmannskolonien,
die mit der herrschenden Gruppe des Gastvolkes verschmolzen, - sie alle sind
echte »Staaten« im soziologischen Sinne. Sie sind nichts anderes
als die Organisation des politischen Mittels, ihre Form ist die Herrschaft,
ihr Inhalt die ökonomische Ausbeutung der Untertanen durch die Herrengruppe. Grundsätzlich unterscheiden
sie sich also in keinem wichtigen Punkte von den durch Landnomaden gegründeten
Staaten. Aber dennoch haben sie aus inneren und äußeren Gründen
andere Formen angenommen und zeigen eine andere Psychologie ihrer Klassen. Nicht als ob etwa die
Klassenstimmung grundsätzlich eine andere wäre als in den Landstaaten!
Die Herrenklasse sieht mit derselben Verachtung auf den Untertanen herab, auf
den »Banausen«, den »Mann mit den blauen Nägeln«,
wie der mittelalterliche Patrizier Deutschlands sich ausdrückte, und wehrt
ihm die Ehegemeinschaft und den gesellschaftlichen Verkehr, auch dem Freigeborenen.
Und ebensowenig unterscheidet sich die Klassentheorie der (der Wohlgeborenen)
oder der Patrizier (Ahnenkinder) von der der Junker. Aber die andere Verumständung
erzeugt doch auch hier Abwandlungen, natürlich ganz dem Klasseninteresse
gemäß. In einem von Kaufleuten beherrschten Gebiet kann Straßenraub
unmöglich geduldet werden, und er gilt denn auch, z.B. bei den Seehellenen,
als ein gemeines Verbrechen: die Theseussage hätte im Landstaat nicht die
Spitze gegen die Wegelagerer erhalten. Dagegen wurde der »Seeraub von
ihnen in den ältesten Zeiten als ein keineswegs [S. 82] entehrendes Gewerbe
angesehen (...), wovon noch in den homerischen Gedichten zahlreiche Beweise
vorhanden sind; noch in viel späterer Zeit hatte Polykrates auf Samos einen
wohlorganisierten Räuberstaat gebildet«. (Büchsenschütz,
Besitz und Erwerb im griechischen Altertum.) Auch im Corpus juris ist die Rede
von einem solonischen Gesetz, nach welchem die Piratenassoziation als eine erlaubte
Gesellschaft aufgefaßt wird.« (Goldschmidt, Geschichte des Handelsrechts.)
[39] Aber abgesehen von solchen
Geringfügigkeiten, die nur deshalb verzeichnet zu werden verdienen, weil
sie ein helles Licht auf die Entstehung des »ideologischen Oberbaus«
überhaupt zu werfen geeignet sind [40], haben ihre von denen der Landstaaten
sehr verschiedenen Existenzbedingungen in den Seestaaten zwei universalgeschichtlich
überaus wichtige Tatsachen geschaffen: die Ausbildung einer demokratischen
Verfassung, mit der jener Gigantenkampf in die Welt trat zwischen orientalischem
Sultanismus und okzidentaler Bürgerfreiheit, der nach Mommsen den eigentlichen
Inhalt der Weltgeschichte ausmacht; - und zweitens die Ausbildung der kapitalistischen
Sklavenwirtschaft, an der alle diese Staaten schließlich zugrunde gehen
müssen. Betrachten wir zunächst
die inneren, die sozialpsychologischen Ursachen dieses entscheidenden Gegensatzes
zwischen Land- und Seestaat. Die Staaten werden erhalten
durch das gleiche Prinzip, aus dem sie entstanden. Eroberung von Land und Leuten
ist die ratio essendi des Landstaates, und durch neue Eroberung von Land und
Leuten muß er wachsen, bis er seine natürliche Grenze an Gebirge,
Wüste oder Meer oder seine soziologische Grenze an anderen Landstaaten
findet, die er nicht unterwerfen kann. Der Seestaat aber ist entstanden aus
Seeraub und Handel, und durch Seeraub und Handel muß er seine Macht zu
mehren suchen. Zu dem Zwecke braucht er aber kein ausgedehntes Landgebiet in
aller Form zu beherrschen. Er kann auf die Dauer in den neuen Gebieten seiner
»Interessensphäre« mit jedem der ersten Stadien der Staatsentstehung
bis zum fünften einschließlich auslangen und schreitet nur selten,
sozusagen gezwungen, zum [S. 83] sechsten vor, zur vollen Intranationalität
und Verschmelzung. Es genügt ihm im Grunde, wenn er andere Seenomaden und
Händler fernhält, sich das Monopol des Raubes und des Handels sichert,
die »Untertanen« durch Burgen und Garnisonen in Raison hält,
und nur wichtige Produktionsstätten, namentlich Bergwerke, einzelne reiche
Kornbreiten, Wälder mit gutem Bauholz, Salinen, wichtige Fischplätze
usw. wirklich »beherrscht«, d.h. dauernd verwaltet, oder, was dasselbe
sagt, durch die Untertanen bearbeiten läßt. Der Geschmack an »Land
und Leuten«, d.h. an Rittergütern für die Herrenklasse außerhalb
der Grenzen des engeren originären Staatsgebietes, kommt erst später,
wenn der Seestaat durch Eingliederung unterworfener Landstaaten eine Mischung
von See- und Landstaat geworden ist. Aber auch dann ist, im Gegensatz zu den
Landstaaten, der Großgrundbesitz nur Geldrentenquelle und wird fast durchaus
als Absenteebesitz verwaltet. So in Karthago und im späteren Römerreich! Die Interessen der Herrenklasse,
die den Seestaat so gut wie jeden anderen Staat zu ihrem Vorteil lenkt, sind
eben andere als in den Landstaaten. Gibt dem feudalen Grundherrn die Macht,
d.h. der Besitz an Land und Leuten, den Reichtum: so gibt umgekehrt dem Patrizier
der Seestadt sein Reichtum die Macht. Kann der Großgrundbesitzer seinen
Staat nur durch die Zahl der von ihm unterhaltenen Krieger beherrschen, und
muß er, um diese zum Höchstmaß zu steigern, seinen Landbesitz
und die Abgaben der hörigen Bauern soviel wie möglich vermehren: so
kann der Patrizier seinen Staat nur durch seinen mobilen Reichtum beherrschen,
mit dem er starke Fäuste mietet und schwache Seelen besticht; und diesen
Reichtum gewinnt er schneller und leichter im Seeraub und Handel, als im Landkriege
und vom Großgrundeigentum im fernen Lande. Auch müßte er seine
Stadt verlassen, um solches Eigentum auszunützen, müßte darauf
Wohnsitz nehmen und ein echter Feudaljunker werden: denn in einer noch nicht
zur vollen Geldwirtschaft und ausgiebigen Arbeitsteilung zwischen Stadt und
Land entwickelten Gesellschaft ist die Ausnützung eines Großgrundeigentums
nur in der Naturalwirtschaft möglich, und Absenteebesitz als Rentenquelle
undenkbar. So weit aber hat uns unsere Betrachtung noch nicht geführt;
noch sind wir in primitiven gesellschaftlichen Verhältnissen. Und hier
gewiß wird es keinem Stadtadligen einfallen, seine lebhafte, reiche Heimat
zu verlassen, um sich in die Wildnis unter den Barbaren zu vergraben und [S.
84] damit ein für allemal auf jede politische Rolle in seinem Staat Verzicht
zu leisten. Seine wirtschaftlichen, sozialen und politischen Interessen drängen
ihn mit aller Einseitigkeit zum Seehandel. Nicht das Grundkapital, sondern das
mobile Kapital ist sein Lebensnerv. Aus diesen inneren Gründen
ihrer Herrenklasse haben selbst die wenigen Seestädte, denen die geographischen
Bedingungen ihres Hinterlandes die räumliche Expansion ins Weite erlaubten,
den Schwerpunkt ihrer Existenz immer mehr auf und über See gesucht als
auf dem Lande. Selbst für Karthago ist sein riesiger Landbesitz nicht entfernt
von der Wichtigkeit wie seine Seeinteressen. Es erobert Sizilien und Korsika
mehr, um die griechischen und etruskischen Handelskonkurrenten zu schädigen,
als um des Landbesitzes willen; es dehnt seine Grenzen gegen die Libyer mehr
aus dem Grunde aus, weil es den Landfrieden schützen muß; und wenn
es Spanien erobert, so ist der erste Beweggrund der Besitz der Bergwerke. Die
Geschichte der Hansa bietet manchen interessanten Vergleichspunkt dazu. Die meisten dieser Seestädte
jedoch waren gar nicht in der Lage, ein großes Gebiet unter ihre Herrschaft
zu bringen. Äußere geographische Bedingungen hätten es auch
dann verhindert, wenn der Wille bestanden hätte. Überall am Mittelmeer,
mit Ausnahme weniger Stellen, ist das Küstenland außerordentlich
gering entwickelt, ein schmaler Saum am Abhang hoher Gebirge. Das war eine Ursache,
die die meisten dieser um einen Handelshafen gruppierten Staaten hinderte, eine
für unsere Begriffe irgendwie bedeutende Größe zu erreichen,
während in den breiten Landgebieten, in denen der Hirte herrscht, schon
sehr früh große, ja ungeheuere Reiche entstanden. Die zweite Ursache
für die anfängliche Winzigkeit dieser Staaten ist der Umstand, daß
im Hinterland, in den Bergen, aber auch in den wenigen breiten Ebenen des mittelländischen
Gebietes zumeist kriegerische Stämme hausten, die nicht leicht zu unterwerfen
waren, entweder Jäger, die, wie gesagt, überhaupt nicht zu unterwerfen
sind, oder kriegerische Hirten oder primitive Eroberungsstaaten derselben Herrenrasse.
So in Hellas überall im Binnenlande! Aus allen diesen Gründen
bleibt der Seestaat auch bei stärkstem Wachstum immer zentralisiert, man
möchte fast sagen: zentriert, um den Handelshafen, während der Landstaat,
schon von Anfang an stark dezentralisiert, sich lange Zeit im Maße seiner
Ausdehnung zu [S. 85] immer stärkerer Dezentralisation entwickelt. Wir
werden unten sehen, daß erst seine Durchdringung mit den im »Stadtstaat«
ausgebildeten Verwaltungseinrichtungen und ökonomischen Errungenschaften
ihm die Kraft verleihen kann, sich die um einen Schwerpunkt sicher schwingende
Organisation zu geben, die unsere modernen Großstaaten auszeichnet. Das
ist der erste große Gegensatz zwischen den beiden Formen des Staates. Der zweite, nicht minder
entscheidende Gegensatz besteht darin, daß der Landstaat sehr lange im
Zustande der Naturalwirtschaft verharrt, während der Seestaat sehr schnell
zur Geldwirtschaft kommt. Auch dieser Gegensatz der beiden Gebilde wächst
aus den Grundbedingungen ihrer Existenz: Im Naturalstaat ist Geld
ein überflüssiger Luxus, so überflüssig, daß eine
schon entwickelte Geldwirtschaft verfällt, wenn ein Wirtschaftskreis in
die Naturalwirtschaft zurücksinkt. Karl der Große hatte gut Münzen
schlagen: die Wirtschaft stieß sie aus, denn Neustrien - von Austrasien
gar nicht zu reden - war im Sturm der Völkerwanderung zur Naturalwirtschaft
zurückgekehrt. Und die braucht kein Geld als Wertmesser, denn sie hat keinen
entwickelten Marktverkehr. Die Hintersassen steuern Naturalien, die der Herr
mit seinem Gefolge unmittelbar konsumiert; und Schmuck, feines Gewebe, edle
Waffen und Rosse, Salz usw. handelt er im Warentausch von Hausierern gegen Sklaven,
Rinder, Wachs, Pelze und andere Erzeugnisse der kriegerischen Naturalwirtschaft
ein. Dagegen kann das Stadtleben
unmöglich auf irgend höherer Entwicklungsstufe des Wertmessers entraten.
Der freie städtische Handwerker kann nicht auf die Dauer sein Erzeugnis
unmittelbar gegen das eines anderen Handwerkers tauschen; und schon der unentbehrliche
städtische Kleinhandel mit Nahrungsmitteln macht Münze unentbehrlich,
wo jeder fast alles einkaufen muß. Noch weniger aber kann der Handel im
engeren Sinne, der Handel nicht zwischen Kaufmann und Kunden, sondern zwischen
Kaufmann und Kaufmann, eines Wertmessers entraten. Man stelle sich vor, daß
ein Schiffsherr, der in einen Hafen Sklaven importiert, um sie gegen Gewebe
einzutauschen, die er anderswohin zu führen gedenkt, zwar einen Gewebehändler
findet, aber erfährt, daß dieser nicht Sklaven, sondern etwa Eisen
oder Rinder oder Pelze eintauschen will. Dann müßten vielleicht ein
Dutzend Zwischentäusche stattfinden, ehe das Ziel erreicht [S. 86] ist.
Das ist nur vermeidbar, wenn eine Ware existiert, die von allen begehrt ist.
In der Naturalwirtschaft der Landstaaten können Pferde oder Rinder, die
schließlich jeder brauchen kann, ganz gut diese Stelle einnehmen: aber
der Schiffer kann kein Vieh als Zahlungsmittel laden, und so wird das Edelmetall
zu »Geld«. Aus diesen beiden notwendigen
Eigenschaften des See-, des Stadtstaates, wie wir ihn fortan nennen werden,
aus der Zentralisation und der Geldwirtschaft, folgt sein weiteres Schicksal
mit Notwendigkeit. Schon die Psychologie
des Städters und nun gar des Einwohners einer Seehandelsstadt ist eine
ganz andere als des Landbewohners. Sein Blick ist freier und weiterspannend,
wenn auch oft genug mehr an der Oberfläche haftend. Der Städter ist
lebhafter, weil in einem Tage von mehr Reizen getroffen, als der Bauer in einem
Jahre, und ist, weil an fortwährende Neuigkeiten und Neuerungen gewöhnt,
immer »novarum rerum cupidus«. Von der Natur entfernter und viel
weniger abhängig als der Landmann, empfindet er weniger Furcht vor den
»Geistern«, und darum folgt der Untertan mit viel weniger Respekt
den »tabuierenden« Verordnungen, die der erste und zweite Stand
ihm auferlegen. Und weil er schließlich in dichten Massen zusammenhaust
und daher seine, in der Mehrheit liegende Kraft deutlich empfindet, ist der
Untertan trotziger und aufsässiger als der hörige Bauer, der in solcher
Vereinzelung lebt, daß er sich seiner Masse nie bewußt werden kann,
und daß der Herr mit seinem Gefolge in jedem Streit fast immer die Übermacht
haben wird. Schon das bedingt eine
immer mehr vorschreitende Lockerung des starren Unterordnungsverhältnisses,
das der primitive Eroberungsstaat geschaffen hat. Nur die »Landstaaten«
von Hellas haben ihre Untertanen lange in der alten Knechtschaft gehalten: Sparta
seine Heloten, Thessalien seine Penesten. Überall in den Stadtstaaten aber
finden wir schon früh die Plebs im Aufstiege, dem die Herrenklasse keinen
ernstlichen Widerstand entgegensetzen kann. Wie die Siedlungsverhältnisse,
so wirken auch die ökonomischen Dinge auf das gleiche Ziel hin. Der mobile
Reichtum hat nicht entfernt die starre Stabilität des Grundeigentums: das
Meer ist launisch, und das Glück des Seekrieges und Seeraubes nicht minder.
Der Reichste kann schnell alles verlieren, der Ärmste durch eine Drehung
von Fortunas Rad nach oben geschleudert werden. Armut aber verliert, [S. 87]
Reichtum gewinnt in einem ganz auf den Reichtum gestellten Gemeinwesen Rang
und »Klasse«. Der reiche Plebejer wird zum Führer der Volksmasse
bei ihrem Verfassungskampfe um die Gleichberechtigung und setzt alle seine Mittel
dafür ein; und die Stellung der Patrizier wird unhaltbar, wenn sie notgedrungen
ein erstes Mal nachgegeben haben: die legitimistische Verteidigung des Geburtsrechtes
ist für immer unmöglich, sobald der erste reiche Plebejer Aufnahme
gefunden hat. Von da an heißt es: was dem einen recht ist, ist dem anderen
billig, und dem aristokratischen folgt erst das plutokratische, dann das demokratische
und schließlich das ochlokratische Regiment, bis eine fremde Eroberung
oder die Tyrannis eines »Säbelheilands« dem wüsten Treiben
ein Ende macht. Was aber dieses Ende
nicht nur des Staates, sondern meist auch des Volkes selbst, diesen buchstäblich
zu nehmenden Völkertod herbeiführt, das ist eine gesellschaftliche
Einrichtung, die in jedem, auf Seeraub und Seehandel begründeten, geldwirtschaftlich
entfalteten Stadtstaat unvermeidbar eintreten muß: die kapitalistische
Sklavenwirtschaft. Die Sklaverei, aus dem primitiven Feudalstadium übernommen
und anfangs, wie in allen Naturalwirtschaften, harmlos, wird zum fressenden
Kanker, der das ganze Staatsleben zerstört, sobald sie »kapitalistisch«
ausgebeutet wird, d.h. sobald Sklavenarbeit nicht mehr als Selbstversorgung
für eine feudale Naturalwirtschaft, sondern für die Versorgung eines
mit Geld zahlenden Marktes angewendet wird. Seeraub, Kaperei und
Handelskriege schaffen zahllose Sklaven ins Land. Die Kaufkraft des reichen
Marktes gestattet intensive Landwirtschaft, die Grundbesitzer im Stadtgebiet
ziehen immer steigende Renten aus ihrem Besitz und werden immer landgieriger.
Der kleine Gemeinfreie auf dem Lande, durch Kriegsdienste im Interesse der Großkaufleute
überlastet, verschuldet sich immer mehr, wird Schuldsklave oder wandert
als habeloser Bettler in die Stadt. Aber auch hier findet er keine Arbeitsstelle;
im Gegenteil: die Verdrängung des Bauern hat schon die vorher in der Stadt
ansässigen Handwerker und Kleinhändler schwer geschädigt; denn
der Bauer kaufte in der Stadt, aber die durch das Bauernlegen immer mehr anschwellenden
»Grossoikenwirtschaften« auf dem Lande decken ihren Bedarf an Gewerbswaren
womöglich auch durch eigene Sklavenproduktion. Und weiter frißt das
Übel! Auch der Rest der städtischen [S. 88] Gewerbe, diejenigen, die
für die Stadt selbst tätig sind, werden mehr und mehr von Unternehmern
besetzt, die die billige Sklavenarbeit ausbeuten. So verarmt der Mittelstand,
und ein nichtshäbiger, nichtsnutziger Pöbel, ein wahres »Lumpenproletariat«,
ist dank der inzwischen erfochtenen demokratischen Verfassung der Souverän
des Staatswesens. Daran muß es früher oder später politisch
und militärisch zugrunde gehen; aber auch ohne eine fremde Invasion, die
nicht ausbleiben kann, würde es sozusagen physisch an der ungeheuren Entvölkerung,
an der, wörtlich zu nehmenden Völkerschwindsucht zugrunde gehen, die
alle diese Staaten schnell vernichtet. Ich kann an dieser Stelle nicht näher
darauf eingehen. Nur ein einziger Stadtstaat
hielt sich lange Jahrhunderte, und zwar aus dem einen Grunde, weil er, der zuletzt
übrig bleibende Sieger, die Bevölkerungsschwindsucht immer wieder
durch das einzige Mittel, ausgiebige Neuschaffung städtischer und ländlicher
Mittelstände durch gewaltige Bauernkolonisationen, zu bekämpfen vermochte,
auf Ländereien, die er den Besiegten abgenommen hatte. Dieser Staat war
das römische Reich. Selbst dieser riesenhafte Organismus erlag zuletzt
der Völkerschwindsucht der kapitalistischen Sklavenwirtschaft. Aber inzwischen
hatte er das erste Imperium, d.h. den ersten straff zentralisierten Großstaat
geschaffen, indem er alle Landstaaten des Mittelmeergebietes und seiner Nachbarländer
überwand und sich eingliederte, und hatte für alle Zukunft das Muster
solcher Herrschaftsorganisation in die Welt gestellt. Und ferner hatte er inzwischen
Städtewesen und Geldwirtschaft so weit entwickelt, daß sie niemals
ganz wieder verschwinden konnten; und so erhielten unmittelbar oder mittelbar
die feudalen Landstaaten, die sich nach Roms Fall auf seinem ehemaligen Herrschaftsgebiet
aufgerichtet hatten, die neuen Anstöße, die sie über den Zustand
des primitiven Eroberungsstaates weiter emporführen konnten. Fußnoten 1. I. Kulischer, l. c.,
p. 317. Folgen weitere Beispiele. [Zurück zum Text] IV. Die Entfaltung des
Feudalstaates a) Die Entstehung des
Großgrundeigentums [S. 89] Wir kehren jetzt
verabredetermaßen zu jenem Punkte zurück, wo der primitive Eroberungsstaat
den Nebenast des Stadtstaates aussandte, um nunmehr dem Hauptaste, dem nach
oben führenden, weiter zu folgen. Wie des Stadtstaates
Geschick bestimmt war durch die Agglomeration desjenigen Reichtums, um den das
Staatswesen als seinen Schwerpunkt schwang, des Handelskapitals: so ist des
Landstaates Geschick bestimmt durch die Agglomeration desjenigen Reichtums,
um den sein Staatswesen als seinen Schwerpunkt schwingt, des Grundeigentums. Wir haben oben die ökonomische
Differenzierung im Hirtenstamm verfolgt und uns überzeugt, daß schon
hier das Gesetz der Agglomeration um vorhandene Vermögenskerne von dem
Augenblicke an kräftig genug wirksam wird, wo das politische Mittel in
Gestalt des Raubkrieges und vor allem der Sklaverei mit ins Spiel kommt. Schon
spaltete sich der Stamm in Edelinge und Gemeinfreie, unter denen als dritter
Stand der politisch rechtlose Sklave sich ordnet. Diese in den primitiven
Staat mit eingebrachte Verschiedenheit des Vermögens und damit des sozialen
Ranges verschärft sich nun ungemein mit der Seßhaftigkeit, durch
die das private Grundeigentum geschaffen wird. Starke Unterschiede des Bodenbesitzes
müssen bereits bei der ersten Entstehung des primitiven Eroberungsstaates
entstehen, wenn die Gliederung des Hirtenstammes in große Sklaven- und
Herdenfürsten und in kleine Gemeinfreie schon stark ausgeprägt war.
Die Fürsten okkupieren mehr Land als die Kleinen. Das geschieht zunächst
ganz naiv und ohne die Spur eines Bewußtseins von der Tatsache, daß
der große Grundbesitz das Mittel einer bedeutenden sozialen Macht- und
Reichtumsmehrung sein wird. Davon kann keine Rede sein; auch hätten die
Gemeinfreien in diesem Stadium noch sehr wohl die Macht besessen, die Bildung
des Großgrundeigentums zu verhindern, wenn sie gewußt hätten,
daß es seine Spitze einst gegen sie kehren könnte. Aber niemand konnte
das [S. 90] ahnen: Land hat in dem Zustande, den wir beobachten, keinerlei Wert.
Darum war auch nicht das Land an sich Ziel und Preis des Kampfes, sondern das
Land samt den an die Scholle gefesselten Bauern, Arbeitssubstrat und Arbeitsmotor,
aus deren Verbindung das Ziel des politischen Mittels erwächst, die Grundrente. Von dem massenhaft vorhandenen
unbebauten Lande aber mag sich jeder Freie so viel nehmen, wie er braucht und
bebauen will oder kann. Man denkt so wenig daran, jemandem aus dem scheinbar
unerschöpflichen Vorrat zuzumessen, wie aus dem Vorrat an atmosphärischer
Luft. Die Fürsten der
Stammhäuser erhalten wohl in der Regel nach dem Brauch des Hirtenstammes
schon von Anfang an mehr »Land und Leute« als die Gemeinfreien.
Das ist ihr Fürstenrecht als Patriarchen, Feldherren und Soldherren ihres
kriegsgewöhnten Gefolges aus Halbfreien, Knechten und »Klienten«
oder Schutzhörigen (Flüchtlingen usw.); und das bedeutet schon einen
vielleicht erheblichen primitiven Größenunterschied des Bodeneigentums.
Aber das ist nicht alles. Die Fürsten brauchen auch von dem »Land
ohne Leute« eine größere Fläche als die Gemeinfreien.
Denn sie bringen Knechte, Sklaven mit, die nicht rechtsfähig sind und daher
nach allmenschlichem Volksrecht kein Grundeigentum erwerben können: aber
Land müssen sie dennoch haben, um leben zu können, und so nimmt es
ihr Herr für sich, um sie darauf anzusetzen. Je reicher der Nomadenfürst
war, um so größer wird der Grundherr! Damit ist nun zunächst
der Reichtum und mit ihm der soziale Rang ungleich fester und dauerhafter konsolidiert
als im Hirtenstadium. Denn die größte Herde kann verloren gehen,
aber Grundeigen ist unzerstörbar; und arbeitspflichtige Menschen, die ihm
Rente abgewinnen, wachsen auch nach den furchtbarsten Gemetzeln schnell genug
wieder nach, selbst wenn sie nicht durch Sklavenjagden in erwachsenem Zustande
beschafft werden können. Aber um diesen festen
Reichtumskern agglomeriert sich nun auch das Vermögen mit ganz anderer
Geschwindigkeit. So harmlos die erste Okkupation war, so muß doch alsbald
die Erkenntnis sich einstellen, daß man um so mehr Renten zieht, je mehr
Sklaven man hat und auf freiem Lande ansetzt. Fortan geht die Außenpolitik
des Staates nicht mehr nur auf Land und Leute, sondern auch auf Leute ohne Land,
die man als Sklaven heimführt, um sie neu anzusetzen. [S. 91] Führt
der ganze Staat den Krieg oder Raubzug, so erhalten die Edelinge den Löwenanteil;
sehr häufig aber ziehen sie auf eigene Faust, nur mit ihrem Gefolge, aus,
und der daheim gebliebene Gemeinfreie erhält keinen Anteil an der Beute.
Und nun geht's im Zirkel immer schneller voran mit dem Größenwachstum
des adligen Grundeigentums: je mehr Sklaven der Edeling hat, um so mehr Grundrente
zieht er, um so mehr kriegerische Gefolgsleute kann er unterhalten: Knechte,
arbeitsscheue Kleinfreie und Flüchtlinge; und um so mehr Sklaven kann er
mit ihrer Hilfe erbeuten und zur Vergrößerung seiner Rente ansetzen. Dieser Prozeß vollzieht
sich auch da, wo eine Zentralgewalt besteht, der nach allgemeinem Volksrecht
die Verfügung über das unbebaute Land zusteht, und zwar nicht nur
unter ihrer Duldung, sondern häufig genug unter ihrer ausdrücklichen
Sanktion. Solange nämlich der Feudalherr der ergebene Vasall der Krone
ist, liegt es in ihrem Interesse, ihn so stark wie möglich zu machen, um
seine Kriegsmacht, die er kraft Lehenspflicht unter die Fahne des Herrschers
zu stellen hat, nach Möglichkeit zu vergrößern. Um zu zeigen,
daß dieser uns aus den westeuropäischen Feudalstaaten wohlbekannte
Zusammenhang auch unter völlig verschiedenen Umständen zur Erscheinung
kommen muß, sei eine einzige Stelle angeführt: »Die Hauptleistung
auf Fidschi lag im Kriegsdienst, der bei siegreichem Ausgang zu neuer Schenkung
von Land samt den darauf Wohnenden als Sklaven und damit zur Übernahme
neuer Verpflichtungen führte.« [1] Diese Anhäufung
des Grundeigentums in immer gewaltigeren Massen in den Händen des Grundadels
führt nun den primitiven Eroberungsstaat höherer Stufe zum »entfalteten
Feudalstaat« mit ausgebildeter feudaler Staffelung. Ich habe den Kausalzusammenhang
an anderer Stelle [2] für das deutsche Stammgebiet ausführlich nach
den Quellen geschildert und dort bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß
es sich um einen in sämtlichen Hauptzügen typischen Prozeß handelt.
Nur so ist z.B. die Tatsache zu erklären, daß in Japan das Feudalsystem
sich bis in die Einzelheiten identisch entwickelte, obgleich das Land von einer
von der kaukasischen grundverschiedenen Rasse bewohnt ist und zudem [S. 92]
(ein starkes Argument gegen die allzusehr zugespitzte materialistische Geschichtsauffassung)
eine ganze andere technische Grundlage seiner Wirtschaft besitzt: Hackbau, nicht
Pflugkultur. Hier, wo es sich, wie
überhaupt in dieser ganzen Abhandlung, nicht um das Schicksal eines einzelnen
Volkes, sondern darum handelt, die überall aus der gleichen Menschennatur
folgenden gleichen Grundzüge typischer Entwicklung zu zeichnen, werde ich
die beiden großartigsten Beispiele des entfalteten Feudalstaates, Westeuropa
und Japan, als bekannt voraussetzen, mich im wesentlichen auf weniger bekannte
Fälle beschränken und auch hier das ethnographische Material vor dem
historischen im engeren Sinne bevorzugen. Der Prozeß, den
wir jetzt darzustellen haben, ist eine allmähliche sich vollziehende grundstürzende
Umgestaltung der politischen und sozialen Gliederung des primitiven Eroberungsstaates:
die Zentralgewalt verliert ihre politische Macht an den Grundadel, der Gemeinfreie
sinkt, und der »Untertan« steigt. b) Die Zentralgewalt
im primitiven Eroberungsstaat Der Patriarch des Hirtenstammes
hat bei allem Ansehen, das ihm sein Heerführer- und Priesteramt gewährt,
doch gemeinhin keinerlei despotische Gewalt, und ebenso hat der »König«
der kleinen, seßhaft gewordenen Völkerschaft ganz allgemein nur sehr
beschränkte Macht. Dagegen pflegt die erste Zusammenfassung zahlreicher
Hirtenstämme zu einer gewaltigen Heeresmasse durch kriegerische Genies
zumeist in despotischen Formen zu erfolgen, [3] wie denn überhaupt im Kriege
das homerische eine selbst von den unbändigsten Völkern anerkannte
und betätigte Wahrheit ist. Der freie primitive Jäger leistet seinem
gewählten Häuptling auf dem Kriegspfade unbedingten Gehorsam; die
freien Kosaken der Ukraine, die in Friedenszeiten keinerlei Autorität anerkannten,
räumten im Kriege ihrem [S. 93] Hetman die volle Gewalt über Tod und
Leben ein. Dieser Gehorsam dem Feldherrn gegenüber ist ein gemeinsamer
Zug aller echten Krieger-Psychologie. Wie an der Spitze der
großen Nomadenzüge allmächtige Despoten stehen: ein Attila,
ein Omar, ein Dschinghis-Khan, ein Tamerlan, ein Mosilikatse, ein Ketschwäyo,
so pflegt auch in den, aus kriegerischer Zusammenschweißung einer Anzahl
von primitiven Feudalstaaten entstandenen, Großstaaten zu Anfang eine
starke Zentralgewalt zu bestehen. Als Beispiele seien Sargon, Cyrus, Chlodwig,
Karl der Große, Boleslaw der Rote genannt. Zuweilen, namentlich solange
der Großstaat seine - geographische oder soziologische - Grenze noch nicht
erreicht hat, bleibt die Zentralgewalt in den Händen einer Anzahl kräftiger
Monarchen noch stark, und ihre Macht kann bis zum tollsten Despotismus und Cäsarenwahnsinn
ausarten: namentlich das Zweistromland und Afrika bieten dafür charakteristische
Beispiele. Wir können auf die, für den allgemeinen Verlauf übrigens
wenig bedeutungsvolle Regierungsform dieser Staaten hier nur kurz eingehen;
nur so viel sei gesagt, daß die Ausbildung der despotischen Regierungsform
vor allem davon abhängt, welche religiöse Stellung der Herrscher neben
dem Feldherrenamt einnimmt, und ob er das Handelsmonopol besitzt oder nicht. Der Cäsaropapismus
neigt überall dazu, die krasseren Formen des Despotismus auszubilden, während
bei Teilung der geistlichen und weltlichen Gewalt ihre Träger sich gegenseitig
hemmen und mäßigen. Charakteristisch dafür sind die Verhältnisse
in den Malaienstaaten Insulindiens, echten »Seestaaten«, deren Entstehung
ein genaues Gegenstück zu den griechischen Seestaaten bildet. Hier ist
im allgemeinen der Fürst gerade so machtlos, wie etwa der König zu
Beginn der uns bekannten attischen Geschichte. Die Gauhäupter (in Sulu
die Datto, in Atschin die Panglima) haben, wie in Athen, die Gewalt. Wo aber,
»wie in Tobah dem Herrscher noch religiöse Motive die Stellung eines
kleinen Papstes einräumen, wendet sich das Blatt. Die Panglima hängen
dann ganz vom Radscha ab, sind nur Beamte« [4]. Es darf hier an die bekannte
Tatsache erinnert werden, daß die aristokratischen Gauhäuptlinge
Athens und Roms, als sie das alte Königtum abschafften, doch wenigstens
den alten Titel einem sonst machtlosen Mitträger der Gewalt verliehen:
die Götter müssen [S. 94] ihre Opfer in gewohnter Weise haben. Aus
demselben Grunde bleibt häufig der Nachkomme des alten Stammkönigs
als im übrigen ganz ohnmächtiger Würdenträger erhalten,
wenn schon längst die eigentliche Regierungsgewalt auf einen Kriegshäuptling
übergegangen ist: wie im späteren Merowingerreiche der karolingische
Hausmeier neben dem »rex crinitus« aus dem Geschlecht Merowechs,
so steht in Japan der Shogun neben dem Mikado, und im Inkareich der Inkaheerführer
neben dem mehr und mehr auf die priesterlichen Funktionen beschränkten
Huillcauma. [5] Außer durch das
Oberpriesteramt erhält die Macht des Staatsoberhauptes häufig eine
gewaltige Vermehrung durch das Handelsmonopol, das dem Häuptling auf primitiver
Stufe zumeist zusteht: eine natürliche Folge der oben von uns geschilderten
Anfänge des friedlichen Handels aus Gastgeschenken. Solch Handelsmonopol
hatte z. B. Salomo [6]. Die Negerhäuptlinge
sind in der Regel »Monopolisten des Handels« [7]. So auch der Sulukönig
[8]. Bei den Galla ist das Oberhaupt, wo es anerkannt ist, »selbstverständlich
auch der Handelsmann seines Stammes; keiner seiner Untertanen darf direkt mit
den Fremden handeln«. [9] Bei den Barotse und Mabunda ist der König
»streng nach dem Rechte der einzige Kaufmann seines Landes«. [10] Ratzel würdigt die
Bedeutung dieser Tatsache treffend wie folgt: »Mit der Zauberkraft verbindet
sich zur Steigerung der Macht des Häuptlings das Monopol des Handels. Indem
der Häuptling der Vermittler des Handels ist, bringt er alles in seine
Hand, was seinen Untertanen begehrenswert ist und wird der Spender guter Gaben,
der Erfüller der heißesten Wünsche. In diesem System liegt sicherlich
[S. 95] eine Quelle großer Macht.« [11] Wenn sich in Eroberungsgebieten,
wo die Regierungsgewalt an sich schon stärker zu sein pflegt, das Handelsmonopol
noch dazu gesellt, kann das Königtum sehr mächtig werden. Im übrigen scheint
die Regel zu sein, daß selbst in den äußerlich krassesten Fällen
von Despotismus doch kein monarchischer Absolutismus besteht. Der Herrscher
kann ungestraft gegen seine Untertanen wüten, namentlich gegen die unterworfene
Klasse: aber er ist doch durch feudale Mitregierung stark beschränkt. Ratzel
bemerkt dazu im allgemeinen: »Der sogenannte 'Hofstaat' afrikanischer
oder altamerikanischer Fürsten ist wohl immer der Rat (...) Die Willkürherrschaft,
deren Spuren wir dennoch überall bei Völkern auf niederer Stufe begegnen,
auch wo die Regierungsform republikanisch ist, hat ihren Grund nicht in der
Stärke des Staates oder Häuptlings, sondern in der moralischen Schwäche
des Einzelnen, der fast widerstandslos der über ihm waltenden Macht anheimfällt.«
[12] Das Königtum der Sulu ist ein beschränkter Despotismus: sehr
mächtige Minister (Induna), bei anderen Kaffernstämmen ein Rat, der
häufig Volk und Fürsten beherrscht, stehen ihm zur Seite [13]. Trotzdem
wurde »unter Tschaka jedes Niesen und Räuspern in Gegenwart des Tyrannen
und jedes trockene Auge beim Tode eines Anverwandten des Königshauses mit
dem Tode bestraft« [14]. Ganz dasselbe gilt von den durch ihre furchtbare
Blutwirtschaft berüchtigten westafrikanischen Reichen Dahomey und Ashanti.
»Trotz der Verwüstung der Menschenleben in Kriegen, Sklavenhandel
und Menschenopfer herrschte nirgends unbeschränkter Despotismus. (...)
Bowditch hebt die Ähnlichkeit des (in Aschanti bestehenden ständischen)
Systems mit dem persischen hervor, wie Herodot es beschreibt.« [15] Wir müssen uns,
um es nochmals zu betonen, sehr hüten, Despotismus und Absolutismus gleichzusetzen.
Auch in den westeuropäischen Feudalstaaten war des Herrschers Gewalt über
Leben und Tod häufig ganz unbeschränkt, und dennoch war er ohnmächtig,
wenn die »Großen« gegen ihn waren. Solange er die Klassengliederung
nicht [S. 96] antastet, mag er seiner Grausamkeit die Zügel schießen
lassen und sogar einmal einen der großen Herren opfern: aber wehe ihm,
wenn er es wagen sollte, die ökonomischen Vorrechte seiner Großen
anzutasten. Sehr charakteristisch ist diese nach der einen Seite (rechtlich)
ganz freie, nach der anderen (politisch) engbegrenzte Macht in den großen
ostafrikanischen Reichen zu studieren gewesen: »Die Regierung der Waganda
und Wanyoro ist so, daß der Theorie nach der König das ganze Land
beherrscht, doch ist dies nicht viel mehr als eine Scheinregierung, denn in
Wahrheit gehört das Land den obersten Häuptlingen des Reiches. Zu
Mtesas Zeit verkörperten sie den Widerstand des Volkes gegen fremde Einflüsse,
und Muanga fürchtet sich vor ihnen, wenn er Neues einführen möchte.
Wenn nun auch das Königtum in Wirklichkeit beschränkt ist, so kommt
ihm doch eine imposante Stellung im Äußerlichen, im Formalen, zu.
Der Masse des Volkes steht der Herrscher als unbeschränkter Gebieter gegenüber,
denn er verfügt frei über Leben und Tod und fühlt sich nur im
engen Kreise der obersten Höflinge gebunden.« [16] Und wieder ganz dasselbe
gilt, um auch den letzten der großen staatsbildenden Kreise zu nennen,
von den Ozeaniern: »Nirgends fehlt ganz eine repräsentative Vermittlung
zwischen Fürst und Volk. (...) Das aristokratische Prinzip korrigiert (...)
das patriarchalische. Daher beruht der hochgesteigerte Despotismus mehr auf
Klassen- und Kastendruck als auf dem übermächtigen Willen eines Einzelnen.«
[17] c) Die politische und
soziale Zersetzung des primitiven Eroberungsstaates Wir können an dieser
Stelle nicht näher auf die unzähligen Abschattungen eingehen, in denen
sich die patriarchalisch-aristokratische (resp. plutokratische) Mischung der
Regierungsform des primitiven Eroberungsstaates für die ethnographisch-historische
und juristische Betrachtung darstellt. Sie ist auch für den Verlauf der
Entwicklung von geringster Bedeutung. [S. 97] So groß
nämlich auch die Machtgewalt des Herrschers im Anfang sein mag, ein unvermeidbares
Geschick zersplittert sie dennoch in kurzer Zeit, und zwar um so schneller,
je größer jene Macht, d.h. je größer das Gebiet des primitiven
Eroberungsstaates höherer Stufe war. Schon die Machtvermehrung
der einzelnen Adligen durch den oben geschilderten Prozeß der immer vermehrten
Okkupation und Besiedelung des ungenützten Landes mittels neu erworbener
Sklaven kann ihn mächtiger machen, als der Zentralgewalt lieb sein kann.
»Wenn in einem Clan«, berichtet Mommsen von den Kelten, [18] »der
etwa 80 000 Waffenfähige zählte, ein einziger Adliger mit 10 000 Knechten,
ungerechnet die Hörigen und die Schuldner, auf dem Landtage erscheinen
konnte, so ist es einleuchtend, daß ein solcher mehr ein unabhängiger
Dynast war, als ein Bürger seines Clans.« Und ähnliches mag
für den »Heiu« der Somal gelten, den »großen Grundbesitzer,
der Hunderte von Familien auf seinem Boden in Abhängigkeit hält, so
daß man sich bei den Somal an unsere mittelalterlichen Feudalzustände
erinnert finden könnte«. [19] Wenn solche Übermacht
einzelner Grundherren schon im primitiven Eroberungsstaate niederer Stufe entstehen
kann, so erreicht sie doch ihren höchsten Grad erst im Eroberungsstaat
höherer Stufe: im feudalen Großstaat; und zwar durch die Machtvermehrung,
die der Großgrundbesitz durch die Amtsgewalt erhält. Je mehr sich der Staat
dehnt, um so mehr Amtsgewalt muß die Zentrale den Verwaltern der durch
Krieg und Aufstände am meisten bedrohten Grenzbezirke der Marken übertragen.
Ein solcher Beamter muß die höchste kriegerische Machtbefugnis mit
den Funktionen eines obersten Richters und Verwaltungsbeamten vereinen, um seinen
Amtsbezirk mit Sicherheit dem Staat erhalten zu können. Kommt er mit ganz
wenigen Zivilbeamten aus, so braucht er doch eine ständige Kriegsmacht.
Wie soll sie besoldet werden? Steuern, die zur Zentralstelle zusammenfließen,
um wieder über das Land verteilt zu werden, kennt (vielleicht mit einer
einzigen Ausnahme, von der unten zu sprechen sein wird) nur der geldwirtschaftlich
entfaltete Staat. Von Geldwirtschaft und Geldsteuern kann aber hier, im naturalwirtschaftlichen
»Landstaate«, noch nicht die Rede sein. Darum bleibt der [S. 98]
Zentrale nichts anderes übrig, als den Grafen, oder Kastellan, oder Satrapen
auf die Naturaleinkünfte seines Amtsbezirkes anzuweisen. Er zieht die Abgaben
der Untertanen an sich, verfügt über ihre Fronden, erhält die
Sporteln und Strafleistungen an Vieh usw. und hat dafür die bewaffnete
Macht zu unterhalten, bestimmte Truppenmengen zur Verfügung der Zentrale
zu stellen, Straßen- und Brückenbauten auszuführen, gelegentlich
den Herrscher samt seinem Gefolge oder seine »Königsboten«
zu verpflegen, und schließlich eine bestimmte Abgabe in hochwertigen oder
sonst leicht transportablen Gütern an den Hof zu liefern: Pferde, Rinder,
Sklaven, Edelmetalle, Wein usw. Mit anderen Worten: er
erhält ein ungeheuer großes Dienstlehen und wird schon dadurch, selbst
wenn er nicht, was meistens der Fall sein wird, schon ohnehin der Größte
im Lande war, der mächtigste Grundherr seines Amtsbezirkes. Daß er
als solcher genau das Gleiche tut, wie seine nicht beamteten Standesgenossen,
nur in noch viel größerem Maßstabe, nämlich immer neues
Land mit immer neuen Hörigen besetzt, um seine Kriegsmacht immer mehr zu
verstärken, ist selbstverständlich und muß von der Zentrale
sogar gewünscht und gefördert werden. Denn das ist ja das Verhängnis
dieser Staaten, daß sie die lokalen Mächte selbst groß füttern
müssen, die sie verschlingen werden. Es kommen Gelegenheiten,
wo der Markgraf Bedingungen stellen kann, wenn man seine Kriegshilfe verlangt,
namentlich in den hier nie fehlenden Erbfolgefehden. Er erlangt irgendeine wichtige
Konzession, vor allen anderen die formelle Erblichkeit seines Amtslehens, das
nun dem eigentlichen Feudallehen völlig gleichsteht. So wird er allmählich
immer selbständiger, und das trübe Wort des Muschik: »der Himmel
ist hoch und der Zar weit«, wird unter jedem Himmel Wahrheit. Ich gebe
ein charakteristisches Beispiel aus Afrika: »Das Lundareich ist ein absoluter
Lehnsstaat. Die Häuptlinge (Muata, Mona, Muene) können in allen inneren
Angelegenheiten selbständig handeln, solange es dem Muata Jamvo gefällt.
Gewöhnlich schicken die großen und fernerwohnenden Häuptlinge
einmal im Jahre ihre Tributkarawanen nach der Mussumba; aber weitab wohnende
unterlassen wohl für längere Zeit jede Tributzahlung, während
die kleineren Häuptlinge in der Nähe der Residenz sogar mehrmals im
Jahre Tribut senden.« [20] [S. 99] Nichts kann deutlicher
zeigen als diese Mitteilung, wie sehr in diesen lose zusammengehaltenen Naturalstaaten
mit ihrem unzureichenden Transportsystem die räumliche Entfernung politisch
wirksam ist. Man könnte fast sagen, daß die Selbständigkeit
der Feudalherren wächst wie das Quadrat der Entfernung vom Sitze der Zentralgewalt.
Die Krone muß ihre Dienste immer teurer erkaufen, muß ihnen eines
der gesamtstaatlichen Hoheitsrechte nach dem anderen formell übertragen,
oder muß es dulden, wenn sie es nehmen: die Erblichkeit der Lehen, Straßen-
und Handelsrecht (auf höherer Stufe auch das Münzrecht), die Gerichtshoheit,
die staatlichen Fronrechte und die Verfügung über den Kriegsdienst
der Freien im Lande. So gelangen die Machthaber
der Grenzprovinzen allmählich zu immer größerer, zuletzt zu
voller tatsächlicher Selbständigkeit, wenn auch das formale Band der
Lehnshoheit die neu entstandenen Fürstentümer noch lange scheinbar
zusammenhalten kann. Dem Leser drängen sich die Belege für diesen
typischen Vorgang auf; die ganze mittelalterliche Geschichte ist eine einzige
Kette davon; nicht nur das Merowinger- und das Karolinger-Reich, nicht nur Deutschland,
sondern auch Frankreich, Italien, Spanien, Polen, Böhmen, Ungarn und auch
Japan und China [21] haben, nicht ein-, sondern mehrfach, diesen Zerfallsprozeß
durchgemacht. Nicht minder die Feudalstaaten im Zweistromlande: die hier einander
ablösenden Großstaaten bersten immer wieder auseinander, um sich
immer wieder zusammenzuballen. Von Persien heißt es ausdrücklich:
»Einzelne Staaten und Provinzen erlangten durch glücklich vollbrachten
Abfall auf längere oder kürzere Zeit die Freiheit, und der »Großkönig«
in Susa hatte nicht immer die Macht, sie zum Gehorsam zurückzuführen;
in anderen herrschten Satrapen oder kriegerische Häuptlinge willkürlich,
treulos und gewalttätig entweder auf eigene Hand oder als zinspflichtige
Teilfürsten oder Unterkönige des Großherrschers. Eine Anhäufung
von Staaten und Landschaften ohne gemeinsames Recht, ohne geregelte Verwaltung,
ohne gleichmäßiges Gerichtswesen, ohne Ordnung und Gesetzeskraft,
ging das persische Weltreich unrettbar seiner Auflösung entgegen.«
[22] Dem Nachbar im Nillande
erging es nicht anders: »Aus den Okkupatorenfamilien, den freien Grundherren,
die wohl nur dem Könige [S. 100] zinsten, gehen die Fürsten hervor,
welche über gewisse Landstriche, Gaue (...) geboten. Diese Gaufürsten
regieren ein von ihrem Familieneigen getrenntes besonderes Amtsland.« »Spätere kriegerische
Ereignisse mit glücklichem Ausgang, die vielleicht die Lücke zwischen
dem alten und mittleren Reich füllen, verbunden mit der Einbringung von
Kriegsgefangenen, die als Arbeitskräfte verwendet werden konnten, veranlaßten
eine strengere Ausnützung der Unterworfenen, eine genaue Festsetzung der
Abgaben. Die Macht der Gaufürsten steigt im mittleren Reich zu gewaltiger
Höhe empor, und große Hofhaltungen werden von ihnen eingerichtet,
der Prunk des Königshofes imitiert.« [23] »Beim Sinken der
königlichen Autorität in der Verfallszeit nützen die höheren
Beamten ihre Macht für persönliche Zwecke, um ihre Ämter in ihren
Familien erblich zu machen.« [24] Aber natürlich ist
auch dieses geschichtliche Gesetz nicht auf die »geschichtlichen«
Völker beschränkt. »Auch außerhalb Radschistans«,
sagt Ratzel von den indischen Feudalstaaten, »erfreuten sich die Adligen
oft eines großen Maßes von Unabhängigkeit, so daß selbst
in Haiderabad, nachdem sich der Nizam die Alleinherrschaft angeeignet hatte,
die Umara oder Nabobs eigene Truppen, unabhängig von der Armee des Nizam,
hielten. Den in neuerer Zeit höher gesteigerten Anforderungen in der Verwaltung
indischer Staaten sind seltener noch als die großen Fürsten diese
kleineren nachgekommen.« [25] Und gar in Afrika kommen
und vergehen die feudalen Großstaaten wie Blasen, die aus dem Strom des
ewig gleichen Geschehens auftauchen und wieder zerplatzen. Das gewaltige Aschantireich
ist binnen anderthalb Jahrhunderten auf ein Fünftel seines Gebietes eingeschrumpft
[26], und viele der Reiche, mit denen die Portugiesen zusammenstießen,
sind seitdem spurlos verschwunden. Und doch waren auch das starke Feudalreiche:
»Pomphafte und grausame Negerreiche, wie Benin, Dahomey oder Aschanti,
bilden in ihrer Umgebung politisch desorganisierter Stämme manche Vergleichspunkte
[S. 101] mit dem alten Peru oder Mexiko. Der streng gesonderte Erbadel der Mfumu,
dem hauptsächlich die Distriktsverwaltung oblag, und daneben der vergänglichere
Standesadel bildeten in Loango starke Säulen des Herrschertums.«
[27] Ist derart das einstige
Großreich in eine Anzahl staatsrechtlich oder nur faktisch voneinander
unabhängiger Teilstaaten zerfallen, so beginnt der alte Prozeß von
neuem. Der Große frißt den Kleinen, bis ein neues Großreich
entstanden ist. »Die größten Grundherren werden später
Kaiser«, sagt Meitzen lakonisch von Deutschland. [28] Aber auch diese
große Hausmacht verflüchtigt, zersplittert sich an der Notwendigkeit,
die Grundherrschaft an kriegerische Vasallen zu verlehnen. »Die Könige
selbst hatten sich dabei verschenkt; ihr großer Grundbesitz im Delta war
zerronnen«, sagt Schneider (l. c. p. 38) von den Pharaonen der sechsten
Dynastie. Und ebenso verarmte im fränkischen Reiche die Hausmacht der Merowinger
und Karolinger, in Deutschland die der Sachsen und der Staufer. [29] Wir brauchen
weitere Belege dafür nicht anzuführen; sie sind in jedermanns Besitz. Welche Kräfte den
primitiven Eroberungsstaat aus diesem Hexenkreis, in dem die Zusammenballung
mit dem Zerfall ohne Ende abwechselt, schließlich befreit haben, werden
wir unten betrachten. Zunächst aber haben wir nach der politischen die
soziale Seite dieses geschichtlichen Vorganges zu betrachten. Er verändert
die Klassengliederung in der einschneidendsten Weise. Mit furchtbarer Gewalt
trifft er überall die Gemeinfreien, die untere Schicht der Herrengruppe.
Sie versinken in Hörigkeit. Ihr Verfall muß mit dem der Zentralgewalt
parallel gehen; denn beide, gleichmäßig von der um sich greifenden
Macht der großen Grundherren bedroht, sind natürliche Verbündete.
Die Krone hält den Grundherrn so lange in der Hand, wie das Aufgebot der
Gemeinfreien des Bezirkes seiner Garde, seinem »Gefolge«, überlegen
ist. Aber die fatale Notwendigkeit, die wir schilderten, zwingt die Krone, die
Bauern dem Junker auszuliefern, indem sie seine Hausmacht mehrt; und im Augenblick,
wo seine Garde stärker wird, als das Gau-Aufgebot, ist der freie Bauer
geliefert. Wo der Grundherr die staatlichen Hoheitsrechte delegiert erhalten
hat, d.h. zum mehr oder weniger unabhängigen [S. 102] Landesherrn geworden
ist, da geschieht die Niederwerfung des Freien wenigstens zum Teil unter scheingesetzlichen
Formen: man ruiniert ihn durch den Kriegsdienst, der um so häufiger gefordert
wird, je mehr das dynastische Interesse der Landesherren nach neuem Land und
neuen Leuten strebt; man mißbraucht seine Fronpflicht, man mißbraucht
die Justiz. Den Rest aber gibt dem
Stande der Gemeinfreien die formelle Delegation oder tatsächliche Usurpation
des wichtigsten Kronregals, der Verfügung über das noch nicht okkupierte
Land. Das gehört ursprünglich dem »Volke«, d.h. den Freien
zur gesamten Hand; aber nach einem wohl überall geltenden Urrecht hat der
Patriarch die Verfügung darüber. Auch dieses Verfügungsrecht
geht mit den anderen Kronrechten an den »Landesherrn« über
- und damit hat er das Mittel in die Hand bekommen, den Rest der Freien zu erdrosseln.
Er erklärt das gesamte noch unbebaute Land für sein Eigentum, sperrt
es gegen die Okkupation freier Elemente, gewährt nur denen noch den Zugang,
die seine Oberherrschaft anerkennen, d.h. sich in irgendeine Art von Abhängigkeit,
von Hörigkeit begeben. Das ist der letzte Nagel
zum Sarge der Gemeinfreiheit. Bisher war die Gleichheit in der Vermögenslage
einigermaßen gewährleistet. Und wenn der Bauer zwölf Söhne
hatte: das Erbgut blieb unzersplittert, denn elf rodeten sich neue Hufen in
der Gemeinen Mark oder dem noch nicht an Gemeinden aufgeteilten Volkslande.
Das ist fortan unmöglich; die Hufen zersplittern, wo viele Kinder aufgezogen
wurden, andere werden zusammengelegt, wo Erbsohn und Erbtochter die Ehe eingingen:
jetzt gibt es ja »Arbeiter«, die die größere Fläche
bestellen helfen, nämlich jene Halb-, Viertel- und Achtelhufner. So wird
die freie Dorfschaft in Reiche und Arme zerklüftet; schon das löst
das Band, das bisher das Bündel Pfeile unzerbrechlich machte; und wenn
dann gar Unfreie in die Dorfgemeinde eindringen, weil ein allzu arg geplagter
Genosse, dem Drucke weichend, sich dem Herrn »kommendierte«, oder
weil der Herr einen durch Tod oder Überschuldung des Inhabers erledigten
Hof mit einem seiner Hörigen besetzte, dann ist jeder soziale Zusammenhalt
gelöst, die durch Klassen- und Vermögensgegensätze zerspellte
Bauernschaft dem Machthaber wehrlos preisgegeben. Im übrigen verläuft
der Vorgang auch da nicht anders, wo der Magnat keine staatlichen Hoheitsrechte
vorschützen kann; dann tut [S. 103] offenbare Gewalt, frecher Rechtsbruch
die gleichen Dienste, und der ferne, ohnmächtige Herrscher, auf den guten
Willen der Rechtsbrecher und Gewalttäter angewiesen, hat weder Macht noch
Möglichkeit, einzugreifen. Auch für diese Dinge
braucht man kaum Beispiele anzuführen. In Deutschland hat die freie Bauernschaft
diesen Vorgang der Enteignung und Deklassierung wenigstens dreimal durchgemacht.
Einmal in keltischer Zeit [30]. Das zweitemal traf der Niederbruch die freien
Bauern des Stammlandes im neunten und zehnten Jahrhundert, und die dritte Tragödie
derselben Art spielte sich vom fünfzehnten Jahrhundert an im Kolonisationsgebiet
des ehemals slawischen Landes ab [31]. Am schlimmsten ging es den Bauern dort,
wo überhaupt keine monarchische Autorität bestand, deren natürliche
Interessensolidarität mit den Untertanen doch fast überall mildernd
wenigstens auf die äußere Form der Unterdrückung einwirkte,
nämlich in den »Adelsrepubliken«. Das keltische Gallien zu
Cäsars Zeit bildet eines der frühesten Beispiele. Hier »vereinigten
die großen Familien in ihrer Hand die ökonomische, kriegerische und
politische Übermacht. Sie monopolisierten die Pachtungen der nutzbaren
Rechte des Staates. Sie nötigten die Gemeinfreien, die die Steuerlast erdrückte,
bei ihnen zu borgen und zuerst tatsächlich als Schuldner, dann rechtlich
als Hörige sich ihrer Freiheit zu begeben. Sie entwickelten bei sich das
Gefolgwesen, d.h. das Vorrecht des Adels, sich mit einer Anzahl gelöhnter
reisiger Knechte, sogenannter Ambakten, zu umgeben und damit einen Staat im
Staate zu bilden; und gestützt auf diese ihre eigenen Leute trotzten sie
den gesetzlichen Behörden und dem Gemeindeaufgebot und sprengten tatsächlich
das Gemeinwesen (...) Schutz fand nur noch der hörige Mann bei seinem Herrn,
den Pflicht und Interesse nötigten, die seinem Klienten zugefügte
Unbill zu ahnden; die Freien zu beschirmen, hatte der Staat die Gewalt nicht
mehr, weshalb diese zahlreich sich als Hörige einem Mächtigen zu eigen
gaben« [32] Genau die gleichen Verhältnisse finden wir anderthalb
Jahrtausende später in Kurland, Livland, Schwedisch-Pommern, Ost-Holstein,
Mecklenburg [S. 104] und namentlich in Polen. Wie dort dem Landjunker der freie
Bauer, so erliegt ihm hier der freie adlige Schlachziz. »Die Weltgeschichte
ist eintönig«, sagt Ratzel. Hat doch derselbe Prozeß schon
im alten Ägypten die Bauernschaft niedergeworfen: »Die nach einem
kriegerischen Zwischenspiel folgende Periode des mittleren Reiches bringt auch
den Bauern des Südens eine Verschlechterung ihrer Lage. Die Zahl der freien
Herren sinkt, während ihr Landbesitz und ihre Macht steigt. Die Abgaben
der Bauern werden auf dem Wege einer genauen Qualifikation der Güter durch
eine Art von Kataster streng festgesetzt. Unter diesem Drucke strömen viele
Bauern wohl den Fronhöfen und Städten der Gaufürsten zu, um sich
dort als Knechte, Handwerker oder selbst als Beamte dem Wirtschaftsorganismus
der Höfe einzuordnen. So tragen sie im Verein mit etwaigen Kriegsgefangenen
dazu bei, die fürstliche Domanialverwaltung zu erweitern, und das Verjagen
von Bauern aus ihren Besitzungen, wie es damals üblich gewesen sein dürfte,
zu fördern« [33] Nichts kann klarer für
die Unvermeidlichkeit dieses Prozesses zeugen, als das Beispiel des Römerreiches.
hier ist der Begriff der Hörigkeit bereits verschollen, als es zum erstenmal
in voller »Neuzeit« die Bühne betritt: nur die Sklaverei ist
bekannt. Und dennoch versinken anderthalb Jahrtausende später die freien
Bauern wieder in echte Hörigkeit, nachdem Rom zu einem übermäßig
gedehnten Großstaat geworden ist, dessen Grenzbezirke sich mehr und mehr
vom Zentrum gelöst haben. Die großen Grundbesitzer, denen die niedere
Gerichtsbarkeit und die Polizeiverwaltung auf ihren Gütern übertragen
ist, haben »ihre Hintersassen, auch wenn sie ursprünglich freie Eigentümer
von ager privatus vectigalis waren, in eine hofrechtliche Stellung gebracht«,
haben »in einer Art von Immunität die faktische glebae adscriptio
entwickelt« [34]. Die einwandernden Germanen konnten diese Feudalordnung
in Gallien und den anderen Provinzen fertig übernehmen. Schon hier war
der ehemals so ungeheure Unterschied zwischen Sklaven und freien Kolonen völlig
verwischt, in der wirtschaftlichen Lage zuerst und natürlich bald auch
in der Rechtsverfassung. In gleichem Maße,
wie überall der Gemeinfreie in politische und wirtschaftliche Abhängigkeit
von den großen Grundherren der [S. 105] Nachbarschaft, in Hörigkeit
verfällt, steigt die ehemals unterworfene Schicht empor Die beiden Schichten
kommen sich entgegen, treffen sich auf halbem Wege und verschmelzen zuletzt.
Was wir soeben an den freien Kolonen und den Ackersklaven des späten Rom
beobachtet haben, vollzieht sich überall. So verschmelzen in Deutschland
die Gemeinfreien mit den ehemaligen Hörigen zu der wirtschaftlich und rechtlich
einheitlichen Schicht der »Grundholden« [35] Die Hebung der ehemaligen
»Untertanen«, nennen wir sie der Kürze halber die »Plebs«,
folgt mit der gleichen Konsequenz, wie der Niedergang der Freien, aus der Grundvoraussetzung,
auf der diese ganze Staatsordnung beruht, aus der Agglomeration des Grundvermögens
in immer wenigeren Händen. Die Plebs ist der natürliche
Gegner der Zentralgewalt - denn diese ist ihr Besieger und Besteuerer -; und
der Gemeinfreien - denn sie wird von ihnen verachtet und politisch unterdrückt,
wie wirtschaftlich zurückgedrängt. Der große Magnat ist ebenfalls
der natürliche Gegner der Zentralgewalt - denn sie ist das Hindernis auf
seinem Wege zur staatlichen Unabhängigkeit; und ist ebenfalls der natürliche
Gegner der Gemeinfreien, die nicht nur die Stützen der Zentralgewalt bilden,
sondern auch mit ihrem Besitz räumlich die Ausdehnung seiner Herrschaft
hindern und mit ihrem Anspruch auf Gleichheit der Rechte seinem Fürstenstolz
unbequem sind. Übereinstimmung der politischen und sozialen Interessen
muß den Landesfürsten und die Plebs zu Bundesgenossen machen; jener
kann nur zur vollen Unabhängigkeit kommen, wenn er bei seinen Machtkämpfen
gegen Krone und Gemeinfreie über zuverlässige Krieger und willige
Steuerzahler verfügt; die Plebs kann wirtschaftlich und gesellschaftlich
nur dann aus ihrer Pariahstellung erlöst werden, wenn die verhaßten,
übermütigen Freien niedergerissen werden. Es ist die Solidarität
zwischen dem Fürsten und seinen Untertanen, der wir hier zum andernmal
begegnen. Das erstemal fanden wir sie schwach angedeutet schon in unserem zweiten
Stadium der Staatsbildung. Diese Solidarität veranlaßt den Halbfürsten,
seine hörigen Hintersassen mit ehensoviel Milde zu behandeln, wie die Freien
seines Gebietes mit Härte: um so williger werden sie für ihn fechten
und steuern, und um so williger werden die geplackten Freien seinem Druck nachgeben,
namentlich da ihre Teilsouveränität mit dem Verfall [S. 106] der Zentralgewalt
doch nur der Schatten eines Wortes geworden ist. Hier und da - in Deutschland
gegen das Ende des zehnten Jahrhunderts geschah es mit vollem Bewußtsein
[36] - übt der Landesfürst ein besonders »mildes« Regiment,
um die Untertanen benachbarter Machthaber zu sich herüberzuziehen und sich
selbst dadurch an militärischer und steuerlicher Kraft um ebensoviel zu
stärken, wie jene, seine natürlichen Gegner, zu schwächen. So
erhält die Plebs formell oder faktisch mehr und mehr Rechte, besseres Besitzrecht,
wohl auch Selbstverwaltung und eigene Gerichtsbarkeit in Gemeindeangelegenheiten,
und steigt derart in gleichem Schrittmaß aufwärts, wie die Gemeinfreien
abwärts, bis beide sich unterwegs treffen und zu einer rechtlich und wirtschaftlich
ungefähr gleichen Schicht verschmelzen. Halb Hörige, halb Staatsuntertanen,
bilden sie eine charakteristische Bildung des Feudalstaates, der noch keine
klare Scheidung zwischen Staats- und Privatrecht kennt: eine unmittelbare Folge
aus seiner historischen Entstehung, die staatliche Herrschaft um ökonomischer
Privatrechte halber setzte. d) Die ethnische Verschmelzung Die rechtliche und soziale
Verschmelzung der gesunkenen Freien und der gehobenen Plebs wird nun selbstverständlich
auch zur ethnischen Durchdringung. Wurde zuerst dem Unterworfenen das commercium
und connubium streng verwehrt, so findet die Mischung jetzt kein Hindernis mehr;
im Dorfe entscheidet nicht mehr das Herrenblut, sondern der Reichtum über
die soziale Klasse. Und oft genug mag der reinblütige Abkömmling der
Hirtenkrieger bei einem ebenso reinblütigen Nachkommen der Leibeigenen
den Ackerknecht spielen müssen. Die soziale Gruppe der Untertanen ist jetzt
zusammengesetzt aus einem Teil der alten ethnischen Herrengruppe und einem Teil
der alten Untertanengruppe. Nur aus einem Teil der
letztgenannten! Denn ihr anderer Teil ist jetzt mit dem anderen Teil der alten
ethnischen Herrengruppe ebenfalls zu einer einheitlichen sozialen Gruppe verschmolzen.
Das heißt: ein Teil der Plebs ist nicht nur bis zu dem Punkte aufgestiegen,
bis zu [S. 107] dem die Masse der Gemeinfreien absank, sondern ,weit darüber
hinaus, bis sie die volle Rezeption in die jetzt ebenso ungeheuer gehobene wie
an Zahl verminderte Herrengruppe erlangte. Auch das ist ein universalgeschichtlich
allgemeiner Vorgang, weil er überall mit gleicher zwingender Gewalt aus
den Bedingungen der feudalen Herrschaftsordnung folgt. Der primus inter pares,
der, sei es als Inhaber der Zentralgewalt, sei es als örtlicher Machthaber,
die Fürstenstellung innehat, braucht gefügigere Werkzeuge seiner Herrschaft
als seine »Pairs« es sind. Diese vertreten eine Klasse, die er herabdrücken
muß, wenn er selbst steigen will, und das will jeder, muß jeder
wollen, denn Machtstreben ist hier identisch mit Selbsterhaltungsstreben. In
diesem Streben stehen ihm die widerhaarigen, steifnackigen Vettern und Edelinge
im Wege - und darum finden wir an jeder Hofhaltung, vom Großkönig
des mächtigsten Feudalreiches bis herab zum Herrn einer fast rein privaten
,,Grossoikenwirtschaft«, Männer dunkler Herkunft als vertraute Beamte
neben den Vertretern der Herrengruppe, die häufig unter der Maske fürstlicher
Beamten eigentlich »Ephoren« sind, Mitinhaber der Fürstenmacht
als Bevollmächtigte ihrer Gruppe. Ich erinnere an die Induna am Hofe des
Bantukönigs. Kein Wunder, wenn der Fürst sich, lieber als diesen lästigen
und anspruchsvollen Ratgebern, Männern anvertraut, die ganz seine Geschöpfe
sind, deren ganze Stellung unlösbar mit der seinen verknüpft ist,
die sein Sturz mit ins Verderben reißen muß. Auch hier wieder sind
historische Belege fast überflüssig. Jedermann weiß, daß
an den Höfen der westeuropäischen Feudalreiche neben Verwandten des
Königs und einigen edlen Vasallen auch Elemente der Untergruppe in hohe
Stellungen einrückten: Geistliche, [37] schwertgewandte Plebejer. Zu den
Antrustiones Karls des Großen stellten alle Rassen und Völker seines
Reiches ihr Kontingent. Auch in der Dietrichssage spiegelt sich dieses Emporkommen
tapferer Söhne der unterworfenen Völker. Ich bringe auch hier einige,
weniger bekannte Belege: Im Pharaonenland fand
sich bereits im alten Reiche neben der Reichsbeamtenschaft aus dem feudalen
Adel der Hirten-Eroberer, die die Gaue als Vertreter der Krone mit der ganzen
Machtfülle von [S. 108] Statthaltern verwalteten, »eine für
die einzelnen Regierungsfunktionen bestimmte Hofbeamtenschaft«. Diese
»ist aus der Zahl der an den Höfen der Herrenfürsten eingestellten
Dienerschaft - Kriegsgefangenen, Flüchtlingen usw. - hervorgegangen«
[38]. Noch die Josefssage zeigt als eine diesem Zeitalter geläufige Erscheinung
das Aufsteigen eines Sklaven zum allmächtigen Minister. Ganz ebenso war
es im kaiserlichen Rom. Und auch heute noch ist
solche Karriere an allen orientalischen Höfen, in Persien, der Türkei,
Marokko usw. durchaus nichts Unerhörtes. Der alte Derfflinger mag aus viel
späterer Zeit und aus einem Stadium des Überganges vom entfalteten
Feudal- zum Ständestaat ein Beispiel geben, dem unzählige andere tapfere
Haudegen an die Seite zu stellen wären. Und noch einige Belege
von den »Geschichtslosen«. Ratzel berichtet vom Bornu-Reich: »Die
Freien haben das Bewußtsein ihrer freien Herkunft den Sklaven des Scheichs
gegenüber nicht verloren, aber die Herrscher hegen zu den Sklaven mehr
Vertrauen als zu ihren eigenen Verwandten und freien Stammesgenossen und rechnen
auf ihre Ergebenheit. Nicht nur Hofämter, sondern auch die Verteidigung
des Landes wurde von alters her vorzugsweise Sklaven anvertraut. Die Brüder
des Fürsten, wie auch die ehrgeizigeren oder tatkräftigeren Söhne
werden mit Argwohn betrachtet; während man die wichtigsten Hofämter
in den Händen von Sklaven findet, sind die Posten fern vom Regierungssitz
in denen der Prinzen. Die Einkünfte der Ämter und Provinzen müssen
für die Gehälter aufkommen.« [39] Bei den Fulbe »teilt
sich die Gesellschaft in Fürsten, Häuptlinge, Gemeine und Sklaven.
Eine große Rolle spielen die Sklaven der Könige, die Soldaten und
Beamte sind und auf die höchsten Stellen im Staate Anspruch machen dürfen«
[40] Dieser Hofadel kann unter
Umständen auch zur Reichsbeamtenschaft zugelassen werden, so daß
ihm der geschilderte Weg zum Landesfürstentum offen steht; er stellt dann
im entfalteten Feudalstaat den hohen Adel dar und pflegt seinen Rang selbst
dann zu bewahren, wenn er durch Verschlucken seitens eines mächtigeren
[S. 109] Nachbarn mediatisiert worden ist. Der fränkische Hochadel enthält
sicher solche Elemente aus der ursprünglichen Untergruppe [41]; und da
aus seinem Stamm der Hochadel des ganzen europäischen Kulturkreises zum
großen Teil hervorgegangen ist, mindestens in indirekter Linie durch Verschwägerung,
so finden wir die ethnische Verschmelzung, wie in der jetzigen Untertanengruppe,
so auch in der höchsten Schicht der Herrengruppe. Dasselbe gilt für
Ägypten: »Beim Sinken der königlichen Autorität in der
Verfallszeit nützen die höheren Beamten ihre Macht für persönliche
Zwecke, um ihre Ämter in ihren Familien erblich zu machen und so einen
ethnisch nicht von der übrigen Bevölkerung sich abhebenden Beamtenadel
zu schaffen.« [42] Und schließlich
ergreift der gleiche Prozeß aus den gleichen Gründen die jetzige
Mittelklasse, die Unterschicht der Herrengruppe, die Beamten und Offiziere der
großen Lehenträger. Zuerst besteht noch ein gesellschaftlicher Unterschied
zwischen den freien Vasallen, die der große Grundherr mit Unterlehen begabt
hat: Verwandten, jüngeren Söhnen anderer adliger Familien, verarmten
Bezirksgenossen, einzelnen freigeborenen Bauernsöhnen, freien Flüchtlingen
und berufsmäßigen Raufbolden freier Abkunft, - und den sozusagen
subalternen Offizieren der Garde, die aus der Plebs stammen. Aber die Unfreiheit
steigt, und die Freiheit sinkt im sozialen Werte, und auch hier verläßt
sich der Fürst sicherer auf seine Geschöpfe als auf seine pares. Und
so kommt es auch hier früher oder später zur vollen Verschmelzung.
In Deutschland steht der hörige Hofadel noch 1085 im Range zwischen servi
et litones, aber hundert Jahre später bereits bei den liberi et nobiles
[43]. Im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts verwächst er völlig mit
der freien Vasallität zum ritterschaftlichen Adel, dem er inzwischen wirtschaftlich
gleichgestellt ist: beide haben Unterlehen, Dienstlehen, gegen Verpflichtung
zur Heeresfolge; und die Dienstlehen der Hörigen, der »Ministerialen«,
sind inzwischen ebenso erblich geworden, wie die der freien Vasallen, und wie
es die Erbgüter der wenigen noch aufrechten, der Umklammerung durch [S.
110] das Landesfürstentum noch nicht verfallenen, kleineren Grundherren
des alten Adels von jeher waren. Ganz analog ist der Prozeß
in allen anderen Feudalstaaten Westeuropas verlaufen, und sein genaues Gegenstück
findet sich im äußersten Osten der eurasischen Landmasse, in Japan.
Die Daimio sind der Hochadel, die Samurai die Ritterschaft, der Schwertadel. Damit ist der Feudalstaat
völlig zur Entfaltung gelangt. Er bildet politisch-sozial eine Hierarchie
von zahlreichen Schichten, von denen immer die untere der nächst oberen
leistungsverpflichtet, die obere der nächst unteren schutzverpflichtet
ist. Die Grundlage unten bildet das arbeitende Volk, immer noch zum Hauptteil
aus Bauern bestehend; der Überschuß ihrer Arbeit, die Grundrente,
der gesamte »Mehrwert« des ökonomischen Mittels, dient dem
Unterhalt der oberen Schichten. Diese Grundrente fließt von der Mehrzahl
der Grundstücke, soweit sie nicht mehr unmittelbarer, unverlehnter Besitz
des Landesherren oder des Kronenträgers sind, an die kleinen Lehensträger;
diese haben dafür ihre vertragsmäßige Heeresfolge zu leisten
und auch in gewissen Fällen wirtschaftliche Leistungen zu erfüllen;
der größere Lehensträger ist in gleicher Weise dem großen,
dieser wenigstens formell-rechtlich dem Träger der Zentralgewalt verpflichtet;
und der Kaiser, König, Sultan, Schah, Pharao gilt wieder als Vasall des
Stammgottes: so steigt vom Ackerboden, dessen Bebauer alles trägt und nährt,
bis zum »Himmelskönig« eine kunstvoll gestaffelte Rangordnung
auf, die das ganze Staatsleben so umklammert, daß der Sitte und dem Rechte
nach kein Stück Land und kein Mensch sich ihr entziehen kann. Sind doch
alle ursprünglich für die Gemeinfreien geschaffenen Rechte verfallen
oder durch den Sieg des Landesfürstentums zweckwidrig umgebogen worden;
wer nicht im Lehnswesen steht, ist in der Tat vogelfrei, ohne Schutz und ohne
»Recht«, d.h. ohne die Macht, die allein Recht schafft. Und so war
das Gesetz, das uns so leicht als Ausfluß junkerlichen Übermuts erscheint:
»nulle terre sans seigneur« in Wirklichkeit nichts anderes, als
die Kodifikation eines fertigen neuen Rechtszustandes und allenfalls die Forträumung
einiger veralteter, nicht mehr zu duldender Reste des völlig überwundenen
primitiven Eroberungsstaates. Was haben nicht die Verfechter
der Rassenlehre als eines geschichtsphilosophischen Hauptschlüssels für
Schlüsse aus der angeblichen [S. 111] Tatsache gezogen, daß nur die
Germanen kraft ihrer überlegenen »Staatsbegabung« den kunstvollen
Bau des entfalteten Feudalstaates zustande gebracht haben! Dies Argument hat
schon viel an Kredit verloren, seit man sich davon überzeugen mußte,
daß auch die mongolische Rasse in Japan ganz das gleiche geleistet hat.
Vielleicht hätte der Neger es auch dann nicht so weit gebracht, wenn ihm
nicht die Invasion stärkerer Kulturen den Weg abgeschnitten hätte,
obgleich sich Uganda z. B. nicht gar so sehr von dem Reiche der Karolinger oder
des roten Boleslaw unterscheidet, mit Ausnahme der »Traditionswerte«
aus der mittelländischen Kultur: und die waren nicht ein Verdienst der
germanischen Rasse, sondern ein Geschenk, das sie vom Geschick als Mitgift erhielt. Aber lassen wir den Neger
beiseite! Auch der »Semit«, dem angeblich die Staatsfähigkeit
so ganz abgehen soll, hat vor Jahrtausenden ganz dasselbe Feudalsystem aufgebaut,
wenigstens wenn die Gründer des ägyptischen Reiches Semiten waren.
Klingt es nicht wie eine Schilderung aus der Stauferzeit, wenn Thurnwald berichtet
[44]: »Wer sich in die Gefolgschaft eines Machthabers begab, stellte sich
dadurch unter dessen Schutz, wie unter den eines Familienhauptes. Dieses Verhältnis
(...) bezeichnet ein der Vasallität ähnliches Treue-Verhältnis.
Dieses Schutz- gegen Treue-Verhältnis wird zur Basis der gesamten Gesellschaftsorganisation
Ägyptens. Es liegt ebenso den Beziehungen des Feudalherren zu seinen Dienstmannen
oder Bauern, wie des Pharao zu seinen Beamten zugrunde. Auf dieser Form beruht
der Zusammenschluß der Einzelnen zu Gruppen unter gemeinsame Schutzherren
bis hinauf zum Gipfel der Gesellschaftspyramide, zum König, der selbst
als »Platzhalter seiner Väter«, als Vasall der Götter
auf Erden gilt. (...) Wer außerhalb dieser sozialen Klammerung lebt, der
»Mann ohne Meister« (= Schutzherr), ist schutzlos und daher rechtlos.« Wir haben bisher die
Hypothese einer besonderen Rassenbegabung nicht gebraucht und werden sie auch
in Zukunft nicht brauchen. Sie ist, wie Spencer sagt, der dümmste Versuch
einer Geschichtsphilosophie, der denkbar ist. Die vielfache Staffelung
der Stände in einer einzigen Pyramide gegenseitiger Abhängigkeit ist
das erste Kennzeichen des entfalteten [S. 112] Feudalstaates. Die Verschmelzung
der ursprünglich gesonderten ethnischen Gruppen zu einem Volkstum ist sein
zweites Kennzeichen. Das Bewußtsein
der einstigen Rassenverschiedenheit ist völlig verschwunden. Nichts bleibt
als die Klassenverschiedenheit. Fortan haben wir es nicht
mehr mit ethnischen Gruppen, sondern mit sozialen Klassen zu tun. Der soziale
Gegensatz beherrscht allein das Leben des Staates. Und entsprechend wandelt
sich das ethnische Gruppenbewußtsein zum Klassenbewußtsein, die
Gruppentheorie zur Klassentheorie. Sie ändert ihr Wesen dabei nicht im
mindesten. Die neuen Herrenklassen sind genau so legitimistisch-rassenstolz,
wie die alte Herrengruppe es war; auch der neue Schwertadel versteht es, seinen
Ursprung aus der besiegten Gruppe schnell und gründlich zu vergessen. Und
auf der anderen Seite schwört der deklassierte Freie oder der gesunkene
Edeling genau so auf das »Naturrecht«, wie früher nur die Unterworfenen. Und ebenso ist der entfaltete
Feudalstaat noch immer grundsätzlich genau dasselbe Wesen, das er bereits
im zweiten Stadium der primitiven Staatsbildung war. Seine Form ist die Herrschaft,
sein Wesen die politische Ausbeutung des ökonomischen Mittels, begrenzt
durch ein Staatsrecht, das den Berechtigten des politischen Mittels die Schutzpflicht
auferlegt und das Recht des Verpflichteten des politischen Mittels auf Erhaltung
bei der Prästationsfähigkeit gewährleistet. Am Wesen der Herrschaft
hat sich nichts geändert, sie ist nur vielfältiger abgestuft, und
das gleiche gilt für die Ausbeutung oder das, was jetzt die ökonomische
Theorie als »Verteilung« bezeichnet. Nach wie vor kreist die
Innenpolitik des Staates in derjenigen Bahn, die ihm das Parallelogramm aus
der zentrifugalen Kraft des jetzt zum Klassenkampf gewandelten Gruppenkampfes
- und aus der zentripetalen Kraft des Gemeininteresses vorschreibt. Und nach
wie vor wird seine Außenpolitik bestimmt durch das Streben seiner Herrenklasse
nach neuem Land und Leuten: ein Streben auf Erweiterung, das gleichzeitig noch
immer Trieb der Selbsterhaltung ist. Viel feiner differenziert,
viel mächtiger integriert, ist der entfaltete Feudalstaat mithin nichts
anderes als der zu seiner Reife gelangte primitive Staat. Fußnoten 1. Ratzel, l. c. I, p.
263. V. Die Entfaltung des
Verfassungsstaates [S. 113] Wenn wir den
Begriff der »Ausgänge« wieder wie oben fassen, als eine organische,
aus inneren Kräften bedingte Weiterentwicklung des entfalteten Feudalstaates
nach vor- oder rückwärts, nicht als ein von äußeren Kräften
bedingtes, mechanisch herbeigeführtes Ende - dann kann man aussprechen,
daß seine Ausgänge lediglich durch die selbständige Entwicklung
der vom ökonomischen Mittel begründeten gesellschaftlichen Schöpfungen
bestimmt werden. Solche Einflüsse
können auch von außen, aus fremden Staaten kommen, die dank einer
weiter gediehenen wirtschaftlichen Entwicklung straffere Zentralisation, bessere
militärische Gliederung und größere Stoßkraft besitzen.
Wir haben solche Fälle schon gestreift: die selbständige Entwicklung
der mittelländischen Feudalstaaten wurde durch ihren Zusammenstoß
mit den ökonomisch viel reicheren, straff zentralisierten Seestaaten, Karthago
und vor allem Rom, abgeschnitten. Auch die Zerstörung des Perserreiches
durch Alexander darf hier [her]angezogen werden, da Makedonien damals bereits
die ökonomischen Errungenschaften der hellenischen Seestaaten sich angeeignet
hatte. Das beste Beispiel für solche Fremdeinflüsse bietet aber wieder
die neueste Zeit in Japan, dessen Entwicklung durch die kriegerischen und friedlichen
Einwirkungen des westeuropäischen Kulturkreises in fast unglaublicher Weise
abgekürzt wurde. In kaum einem Menschenalter hat es den Weg vom entfalteten
Feudalstaat zum voll ausgebildeten modernen Verfassungsstaat zurückgelegt. Mir scheint, als handle
es sich hier eben nur um eine Abkürzung des Prozesses. Soweit wir zu sehen
vermögen - denn jetzt werden die historischen Belege sehr selten, und die
Ethnographie bietet uns überhaupt keine mehr -, müssen innere Kräfte
auch ohne starke, fremde Einflüsse den entfalteten Feudalstaat mit strenger
Folgerichtigkeit immer denselben Weg zum gleichen Ausgang führen. Die Schöpfungen
des ökonomischen Mittels, die diesen Gang beherrschen, sind das Städtewesen
und die in den Städten entwickelte Geldwirtschaft, die die Naturalwirtschaft
allmählich verdrängt und damit die Achse, um die das ganze Staatsleben
kreist, an eine andere Stelle verlegt: an die Stelle des Grundvermögens
rückt allmählich das mobile Kapital. a) Die Emanzipation der
Bauernschaft [S. 114] All das folgt
mit Notwendigkeit aus den Grundvoraussetzungen des feudalen Naturalstaates.
Je mehr sich das Großgrundeigentum zum Landesfürstentum auswächst,
um so mehr muß im gleichen Schrittmaß die feudale Naturalwirtschaft
zerfallen. So lange das Großgrundeigentum
noch verhältnismäßig klein ist, läßt sich der primitive
Imkergrundsatz, der dem Bauern gerade die Lebensnotdurft läßt, durchführen:
wenn es sich aber räumlich ins Gewaltige dehnt und, wie regelmäßig
der Fall, durch Fehdegang, Kommendation kleiner Grundherren, Erbschaft und Ehepolitik
einen weit um den eigentlichen Kern umherliegenden Streubesitz einschließt,
dann läßt sich die Imkerpolitik nicht mehr durchführen. Will
der Grundherr nicht eine Unzahl von Aufsichtsbeamten besolden, was teuer und
politisch nicht ungefährlich ist, so muß er den Bauern eine irgendwie
begrenzte Abgabe (halb Rente, halb Steuer) auflegen. Die wirtschaftliche Notwendigkeit
einer Verwaltungsreform kommt also der politischen Notwendigkeit, die »Plebs«
zu heben, die wir oben betrachteten, entgegen. Je mehr nun der Grundherr
aufhört, privatwirtschaftliches Subjekt zu sein, je ausschließlicher
er öffentlich-rechtliches Subjekt wird, nämlich Landesfürst:
um so mehr setzt sich die oben dargestellte Solidarität zwischen Fürst
und Volk durch. Wir sahen, daß die einzelnen Magnaten schon in der Übergangsperiode
zwischen Großgrundeigentum und Fürstentum das größte Interesse
daran hatten, eine »milde« Regierung zu führen, nicht nur um
die eigene Plebs zu kräftigem Staatsbewußtsein zu erzielen, sondern
auch, um den noch aufrechten Gemeinfreien den Übertritt in die Hörigkeit
zu erleichtern und den Nachbarn und Rivalen das kostbare Menschenmaterial zu
entziehen. Dieses Interesse muß dem zur vollen faktischen Selbständigkeit
gelangten Landesfürsten das Verharren auf dem einmal eingeschlagenen Wege
dringend anempfehlen. Vor allem aber wird er, wenn er nun wieder selbst Land
und Leute an seine Beamten und Offiziere verlehnt, das dringendste politische
Interesse daran haben, ihnen seine Untertanen nicht mit Haut und Haaren auszuliefern.
Um sie in der Hand zu behalten, beschränkt der Fürst das Rentenrecht
der »Ritter« auf bestimmte Leistungen in Naturalien und Fronden,
während er andere, im Landesinteresse nötige (Wege-, Brückenfronden
[S. 115] usw.) für sich vorbehält. Wir werden sofort erkennen, wie
sehr der Umstand, daß der Bauer im entfalteten Feudalstaat mindestens
an zwei Herren zu leisten hat, für seinen späteren Aufstieg entscheidet. Aus allen diesen Gründen
muß im entfalteten Feudalstaat der Bauer auf irgendwie begrenzte Abgaben
gestellt werden. Aller Überschuß gehört von jetzt an ihm zur
freien Verfügung. Damit ist der Charakter des Grundeigentums völlig
umgeschlagen: gehörte ihm bisher von Rechts wegen der gesamte Ertrag, abzüglich
des notdürftigen Unterhaltes des Bebauers, so gehört jetzt der gesamte
Ertrag von Rechts wegen dem Bebauer abzüglich einer festen Rente für
den Eigentümer: der Großgrundbesitz ist Grundherrschaft geworden.
Das ist der zweite große Schritt, den die Menschheit zu ihrem Ziele tut.
Der erste war der Übergang vom Bären- zum Imkerstadium, der die Sklaverei
erfand; dieser hebt sie auf. Der arbeitende Mensch, bisher nur Objekt des Rechtes,
ist jetzt zum ersten Male Rechtssubjekt geworden. Der rechtlose Arbeitsmotor
seines Herrn, der nur auf Leib und Leben eine notdürftige Gewähr besaß,
ist jetzt steuerpflichtiger Untertan eines Fürsten geworden. Nun spannt das ökonomische
Mittel, seines Erfolges zum ersten Male sicher, ganz anders seine Kräfte
an. Der Bauer arbeitet mit unvergleichlich mehr Fleiß und Sorgfalt, erzielt
Überschüsse, und damit ist die »Stadt« im strengen ökonomischen
Sinne geschaffen, die Gewerbsstadt. Bäuerliche Überschüsse bedeuten
Nachfrage nach Gütern, die die bäuerliche Wirtschaft nicht selbst
erzeugt; und Intensivierung des bäuerlichen Betriebes bedeutet Verminderung
der gewerblichen Güter, die bisher der bäuerliche Hausfleiß
nebenbei erzeugte: denn der Bodenbau und die Viehzucht absorbieren mehr und
mehr von der Arbeitskraft der bäuerlichen Familie. Arbeitsteilung zwischen
Urproduktion und Gewerbe wird möglich und notwendig; das Dorf wird vorwiegend
der Sitz der ersteren, die Gewerbsstadt entsteht als Sitz der letztgenannten. b) Die Entstehung der
Gewerbsstadt Man verstehe nicht falsch:
nicht die Stadt entsteht, sondern die Gewerbsstadt. Die reale historische Stadt
besteht längst, und keinem [S. 116] entfalteten Feudalstaat fehlt sie.
Sie ist entstanden entweder aus dem reinen politischen Mittel als Burg [1],
oder aus dem Zusammenwirken des politischen mit dem ökonomischen Mittel
als Meßplatz, oder aus dem religiösen Bedürfnis als Tempelbezirk
[2]. Wo solche Städte im historischen Sinne in der Nachbarschaft bestehen,
gliedert sich die neu erwachsende Gewerbsstadt ihr an; sonst entsteht sie spontan
aus der nunmehr entfalteten Arbeitsteilung und wird in der Regel sich nun ihrerseits
auch als Burg und Kultstätte ausbauen. Aber das sind zufällige
historische Beimengungen. Im streng ökonomischen Sinne bedeutet »Stadt«
den Ort des ökonomischen Mittels, des äquivalenten Tauschverkehrs
zwischen Urproduktion und Gewerbe. Dem entspricht auch der Sprachgebrauch: eine
reine, wenn auch noch so große Festung, eine noch so große Anhäufung
von Tempeln, Klöstern und Wallfahrtsstätten, wenn sie ohne Markt möglich
wären, würde man immer nur nach ihren äußeren Merkmalen
als »stadtähnlich« oder »stadtartig« bezeichnen. So wenig sich an dem
Äußeren der historischen Stadt geändert haben mag, so gewaltig
ist doch die innere Umwälzung, die ihr Entstehen ankündigt. Die Gewerbsstadt
ist der Gegenpol und Widerpart des Staates; wie er das entfaltete politische,
so ist sie das entfaltete ökonomische Mittel! Der große Kampf, der
die Weltgeschichte erfüllt, ja bedeutet, spielt hinfort zwischen städtischem
und staatlichem Wesen. Die Stadt, als ein politisch
wirtschaftlicher Körper, unterhöhlt das Feudalsystem mit politischen
und wirtschaftlichen Waffen. Mit der ersten entwindet, mit der zweiten entlockt
sie der feudalen Herrenklasse die Macht. Auf dem politischen Felde
vollzieht sich dieser Prozeß dadurch, [S. 117] daß die Stadt als
Zentrum eigener Macht in das politische Kräftespiel eingreift, das den
entfalteten Feudalstaat bewegt, zwischen Zentralgewalt, örtlichen Grundherren
und Untertanen. Als Festungen und Wohnstätten kriegerischer Männer,
wie als Lagerplätze der für die Kriegsführung erforderlichen
Güter (Waffen usw.) und später als Zentren der Geldwirtschaft sind
sie in den Kämpfen zwischen der Zentralgewalt und den werdenden Landesfürsten
oder zwischen diesen untereinander wichtige Stützpunkte und Bundesgenossen
und können bei kluger Politik bedeutende Rechte erwerben. In der Regel stehen die
Städte in diesen Kämpfen auf Seite der Zentralgewalt gegen die feudalen
Junker; und zwar aus sozialen Gründen, weil der Landedelmann dem Patrizier
die gesellschaftliche Gleichstellung versagt, die der Reichere doch fordert;
- aus politischen Gründen, weil die Zentrale, kraft der Solidarität
zwischen Fürst und Volk, doch viel mehr das Gemeininteresse im Auge hat,
als der nur seinen Privatinteressen dienende Großgrundbesitzer; - und
schließlich aus wirtschaftlichen Gründen, weil das Städtewesen
nur in Frieden und Sicherheit gedeihen kann. Das Faust- und Fehderecht und der
Stegreif sind mit dem ökonomischen Mittel nicht vereinbar: darum stehen
die Städte meistens in Treue zu dem Friedens- und Rechtsschützer,
zuerst zu dem Kaiser, dann zu dem souveränen Landesherrn; und wenn die
bewaffnete Bürgerschaft ein Raubnest bricht und ausräuchert, so spiegelt
sich im Tropfen nur der gleiche gewaltige Gegensatz wie im Weltmeer der Geschichte. Um diese politische Rolle
mit Erfolg spielen zu können, muß die Stadt möglichst viele
Bürger heranziehen, ein Bestreben, das auch durch rein wirtschaftliche
Erwägungen geboten wird. Denn mit der Bürgerzahl wächst Arbeitsteilung
und Reichtum. Darum fördert die Stadt die Einwanderung mit allen Kräften
und zeigt auch hierdurch wieder die Polarität ihres Wesensgegensatzes gegen
den Landedelmann. Denn die neuen Bürger, die sie heranzieht, entzieht sie
den Feudalgütern, die sie dadurch an Steuer- und Wehrkraft ebenso schwächt,
wie sie selbst sich stärkt. Die Stadt tritt als mächtiger Mitbieter
in jene Auktion ein, in der der hörige Bauer an den Meistbietenden (die
meisten Rechte Bietenden) versteigert wird. Sie bietet ihm die volle Freiheit,
zuweilen auch noch Haus und Hof. Der Grundsatz »Stadtluft macht frei«
wird durchgekämpft, und die Zentralgewalt, froh die Städte zu stärken
und die aufsässigen Edlen zu [S. 118] schwächen, setzt gemeinhin gern
ihr Siegel unter das neu entstandene Recht. Der dritte große
Fortschritt der Weltgeschichte: Die Ehre der freien Arbeit ist entdeckt oder
besser wiederentdeckt; sie war verschollen seit jenen fernen Zeiten in denen
der freie Jäger und der noch nicht unterworfene Hackbauer den Ertrag ihrer
Arbeit genossen. Noch trägt der Bauer das Pariahzeichen des Unfreien, und
noch ist sein Recht schwach: aber in der mauerumgürteten, wehrhaften Stadt
trägt der Bürger das Haupt hoch, als ein Freier in jedem rechtlichen
Sinne. Zwar gibt es noch Rangstufen
der politischen Berechtigung innerhalb der Stadtmauer. Die Alteingesessenen,
die Ritterbürtigen, die Altfreien, die reichen Grundbesitzer weigern dem
Zugezogenen, dem unfrei Geborenen, dem armen Handwerker und Höker das Mitregiment.
Aber wie wir es oben bei der Schilderung der Seestädte sahen: in der Stadtluft
können solche Rangstufen nicht erhalten bleiben. Die intelligente, skeptische,
straff gegliederte und zusammengefaßte Mehrheit erzwingt die Gleichberechtigung.
Nur dauert der Kampf im entfalteten Feudalstaat gemeinhin länger, weil
hier die Parteien ihre Sache nicht unter sich allein abzumachen haben; die großen
Grundherren der Nachbarschaft und die Fürsten greifen hemmend in das Kräftespiel
ein. Dieser tertius gaudens existierte nicht in den antiken Seestaaten, wo außerhalb
der Stadt kein mächtiges Feudalherrentum bestand. Das sind die politischen
Waffen der Stadt im Kampfe gegen den Feudalstaat: Bundesgenossenschaft mit der
Krone, unmittelbare Offensive, und Fortlocken der Hintersassen in die freie
Stadtluft. Nicht minder wirksam aber ist ihre wirtschaftliche Waffe, die vom
städtischen Wesen unzertrennliche Geldwirtschaft, die den Natural- und
damit den Feudalstaat völlig zerstört. c) Die Einflüsse
der Geldwirtschaft Der soziologische Prozeß,
den die Geldwirtschaft auslöst, ist so bekannt und in seiner Mechanik so
allgemein anerkannt, daß wir uns mit kurzen Andeutungen begnügen
dürfen. [S. 119] Stärkung
der Zentralgewalt bis zur Allmacht und Schwächung der Lokalgewalten bis
zur Ohnmacht, das ist auch hier, wie in den Seestaaten die Folge der eindringenden
Geldwirtschaft. Die Herrschaft ist nicht
das Ziel, sondern das Mittel der Herren zu ihrem eigentlichen Ziele, dem »Prestige«,
das arbeitsloser Genuß möglichst vieler, möglichst kostbarer
Genußgüter verleiht. Im Naturalstaat ist die Herrschaft das einzige
Mittel dazu: dem Markgrafen und Landesherrn gibt seine politische Macht den
Reichtum. Je mehr Bauern ihm dienen, um so größer seine Streitmacht,
um so mehr dehnt er seinen Herrschaftsbezirk und damit seine Einkünfte.
Zahlt aber erst ein reicher Markt Produkte der Landwirtschaft mit verlockenden
Waren, so ist es für jedes noch vorwiegend privatwirtschaftliche Subjekt,
d.h. für jeden, noch nicht zum Landesfürstentum aufgestiegenen Grundherrn
- und dazu gehören jetzt die Ritter - viel rationeller, die Zahl der Bauern
nach Möglichkeit zu vermindern und nur so viele übrig zu lassen, wie
mit äußerster Anstrengung möglichst viel Produkte aus dem Acker
ziehen können, und ihnen von diesen Produkten so wenig wie möglich
zu lassen. Das gewaltig vermehrte »produit net« des Grundeigentums
wird nun aber, wieder ganz rationell, nicht mehr zur Unterhaltung einer streitbaren
Garde verwendet, sondern auf den Markt geführt und gegen Waren verkauft.
Das Gefolge wird aufgelöst, der Ritter ist zum Rittergutsbesitzer geworden.
Damit ist wie mit einem Schlage die Zentralgewalt (Reichskönig oder Landesherr)
der Rivalen um die Herrschaft ledig, ist politisch allmächtig geworden.
Die trotzigen Vasallen, die den Schattenkönig zittern machten, haben sich
bald, nach einem kurzen Intermezzo der Mitregierung im Ständestaat, in
geschmeidige Höflinge verwandelt, die den roi soleil umschranzen; jetzt
sind sie auf ihn angewiesen: denn nur die militärische Macht, die er jetzt
allein (als Soldheer) in Händen hat, kann sie davor schützen, daß
ihre bis zum Äußersten getriebenen Hintersassen ihr Joch abwerfen.
Stand in der Naturalwirtschaft die Krone fast immer mit Bauern und Städten
im Bunde gegen den Adel, so haben wir jetzt das Bündnis des aus dem Feudalstaat
geborenen Absolutismus mit dem Adel gegen die Vertreter des ökonomischen
Mittels. Seit Adam Smith pflegt
man diese grundstürzende Umwälzung so darzustellen, als habe der dumme
Junker sein Erstgeburtsrecht für ein [S. 120] Linsengericht verkauft, indem
er die Herrschaft für törichte Luxuswaren verschacherte. Nichts kann
falscher sein. Der einzelne irrt häufig in der Wahrung seiner Interessen:
eine Klasse irrt niemals auf die Dauer! Die Wahrheit ist, daß
die Geldwirtschaft unmittelbar, ohne das Dazwischentreten der agrarischen Umwälzung,
die Zentralgewalt politisch so sehr stärkt, daß ein Widerstand des
Grundadels sinnlos wäre. Wie die Geschichte des Altertums beweist, ist
das Heer einer finanziell starken Zentralgewalt dem feudalen Aufgebot immer
überlegen. Mit Geld kann man Bauernjungen vortrefflich bewaffnen und zu
Berufssoldaten drillen, deren geschlossener Masse der lockere Verband des Ritterheeres
nicht gewachsen ist. Und dazu kann der Fürst in diesem Stadium noch auf
die wehrhaften Bataillone der städtischen Innungen rechnen. Die Feuerwaffe
tat in Westeuropa das übrige, auch sie ein Produkt, das nur in der Gewerbswirtschaft
der wohlhabenden Stadt entstehen konnte. Aus diesen militärtechnischen
Gründen muß selbst derjenige Feudalherr, der den Luxus nicht achtet
und den Wunsch hat, seine relative Selbständigkeit zu erhalten oder zu
steigern, sein Gebiet der gleichen agrarischen Umwälzung unterwerfen: denn,
um stark zu sein, braucht auch er jetzt vor allem Geld, das nunmehr der nervus
rerum geworden ist, um Waffen zu kaufen und Berufssoldaten zu dingen. Die geldwirtschaftliche
Umwälzung schafft den zweiten kapitalistischen Großbetrieb; neben
die Großlandwirtschaft tritt die Großunternehmung des Krieges: die
Kondottieri erscheinen auf der Bühne. Söldnermaterial ist ja jetzt
genug auf dem Markte, um Heere zusammenzubringen: die entlassenen Feudalgardisten
und die expropriierten Bauern. Auf diese Weise kann
wohl einmal ein Junker als Kondottiere noch zum Landesfürstentum aufsteigen,
wie es in Italien öfters geschah, und wie es Albrecht Wallenstein schon
erreicht hatte. Aber das ist individuelles Schicksal, das am Schlußergebnis
nichts ändert. Die lokalen Mächte verschwinden aus dem politischen
Kräftespiel als selbständige Machtzentren, behalten nur so lange noch
ein Restchen ihres ehemaligen Einflusses, wie sie dem Fürsten als Finanzquelle
nötig sind: der Ständestaat. Die unendliche Machtvermehrung
der Krone wird nun noch gesteigert durch eine zweite Schöpfung der Geldwirtschaft,
das Beamtentum. Wir haben den »Hexenkreis« ausführlich dargestellt,
den der [S. 121] Feudalstaat zwischen Zusammenballung und Zerfall ohne Ausweg
durchlaufen mußte, solange er gezwungen war, die Beamten mit »Land
und Leuten« zu besolden und dadurch zu selbständigen Machtfaktoren
aufzufüttern. Die Geldwirtschaft zerbricht den Hexenkreis. Fortan vollzieht
die Zentralgewalt die Funktionen durch besoldete Beamte, die von ihr dauernd
abhängig sind [3]. Von jetzt an ist einer straff zentralisierten Regierung
die Dauer ermöglicht, und Reiche entstehen, wie sie seit den geldwirtschaftlich
entfalteten Seestaaten nicht mehr existiert hatten. Diese Umwälzung
der politischen Kräftekonstellation hat sich, soweit ich sehen kann, überall
an die Ausbildung der Geldwirtschaft angeschlossen - vielleicht mit einer einzigen
Ausnahme: Ägypten. Hier scheint - von irgendeiner Gewißheit ist nach
mir gewordener sachverständiger Auskunft keine Rede - die Geldwirtschaft
sich erst in der griechischen Zeit entfaltet zu haben. Bis dahin leistet der
Bauer Naturalzinse [4]. Dennoch finden wir schon nach der Austreibung der Hyksos
im neuen Reiche den königlichen Absolutismus voll ausgebildet: »Die
militärische Macht wird durch ausländische Söldner gestützt,
die Verwaltung durch ein in der Hand des Königs zentralisiertes Beamtentum
geführt, die Lehensaristokratie ist verschwunden« [5]. Indessen bestätigt
gerade diese Ausnahme die Regel. Ägypten ist ein Land von einzigem geographischen
Charakter. Schmal zwischen Wüste und Gebirge eingepreßt, wird es
in seiner ganzen Länge von einer natürlichen Straße durchzogen,
die dem Transport von Massengütern viel weniger Schwierigkeiten entgegenstellt,
als selbst die prächtigste Landstraße: die Wasserstraße des
Nil. Und diese Straße ermöglichte es dem Pharao, die Steuern sämtlicher
Gaue in seinen eigenen Magazinen, den »Häusern des Königs«
[6] zu zentralisieren und von da aus Beamte und Garnisonen in naturalibus zu
besolden. [7] [S. 122] Darum bleibt Ägypten, nachdem es einmal zu einem
Großstaat geeinigt war, auch zentralisiert, bis fremde Mächte seinem
staatlichen Dasein ein Ende bereiten. »Der Umstand, daß im Zustande
der Naturalwirtschaft der Herrscher unmittelbar und ausschließlich über
die Genußgüter verfügt und von den gesamten Einkünften
nur eine solche Menge und solche Art von Gütern an seine Beamten abgibt,
wie es ihm wünschenswert und nützlich erscheint, und die Verteilung
der Luxusgüter ebenfalls fast ausschließlich in seiner Hand ruht,
ist die Quelle seiner ungeheuren Machtfülle.« [8] Mit dieser einen Ausnahme,
wo ein gewaltiger Strom die Aufgaben der Zirkulation löst, hat wohl immer
die Geldwirtschaft die Auflösung des Feudalstaates bewirkt. Die Kosten der Umwälzung
tragen Bauern und Städte. Im Friedensschluß liefern sich Krone und
Junker den Bauern gegenseitig aus, teilen ihn sozusagen in zwei ideelle Hälften;
die Krone bewilligt dem Adel den größten Teil des Bauernlandes und
den größten Teil der Arbeitskraft der nicht gelegten Bauern; der
Adel bewilligt der Krone die Rekrutenaushebung und Steuern auf Bauernschaften
und Städte. Der Bauer, der schon in der Freiheit reich geworden war, sinkt
in Armut und damit in soziale Deklassierung zurück. Die Städte werden
durch die nunmehr verbündeten ehemaligen Feudalgewalten unter das Knie
gebogen, wo sie nicht selbst, wie z.B. in Oberitalien, schon feudale Zentralgewalten
geworden waren. (Auch dann noch verfallen sie zumeist der Herrschaft der Kondottieri.)
Die Angriffsmacht der Gegner ist stärker, ihre eigene Macht ist schwächer
geworden. Denn mit der Kaufkraft der Bauern verfällt ihr Wohlstand, wie
er mit ihr entstanden war. Die kleinen Landstädte stagnieren und verarmen
und verfallen wehrlos dem fürstlichen Absolutismus; die großen, wo
die Luxusnachfrage der Herren ein starkes Gewerbe auferzieht, zerklüften
sozial und verlieren dadurch an politischer Kraft. Denn die Masseneinwanderung,
die jetzt in ihre Mauern erfolgt: entlassene Gardisten, gelegte Bauern, verarmte
Handwerker der Kleinstädte, ist eine proletarische. Zum erstenmal erscheint
der »freie Arbeiter« der Marxschen Terminologie massenhaft auf dem
städtischen Arbeitsmarkte; und nun tritt wieder das »Gesetz der Agglomeration«
vermögens- und klassenbildend in Wirksamkeit und zerklüftet die Stadtbevölkerung
in heftigen Klassenkämpfen, [S. 123] durch deren Ausnützung der Landesfürst
fast immer die Herrschaft gewinnt. Nur wenige echte »Seestaaten«,
»Stadtstaaten«, können sich auf die Dauer dieser Umklammerung
durch das Fürstentum entziehen. Wieder hat sich, wie
in den Seestaaten, die Achse des Staatslebens auf eine andere Stelle verlegt.
Statt um das Grundvermögen kreist es jetzt um das Kapitalvermögen
(denn auch das Grundeigentum ist jetzt »Kapital« geworden). Warum
mündet nun die Entwicklung nicht, wie bei den Seestaaten, in die kapitalistische
Sklavenwirtschaft ein? Dafür sind zwei
Gründe maßgebend: ein innerer und ein äußerer. Der äußere
ist der, daß eine ergiebige Sklavenjagd kaum irgendwo noch möglich
ist, wo fast alle Länder in erreichbarem Umkreise ebenfalls als starke
Staaten organisiert sind. Wo sie möglich ist, wie z.B. in den amerikanischen
Kolonien der Westeuropäer, bildet sie sich sofort aus. Der innere Grund aber
ist der, daß der Bauer hier, im Gegensatz zum Seestaat, nicht einem, sondern
mindestens zwei [9] Berechtigten leistungspflichtig ist: dem Grundbesitzer und
dem Landesherrn. Beide halten sich die Hände fest, um dem Bauern den Rest
von Prästationsfähigkeit zu erhalten, der für ihre Interessen
nötig ist. Namentlich haben starke Fürsten, z.B. die brandenburgisch-preußischen,
viel für die Bauern getan. Aus diesem Grunde blieb der Bauer, wenngleich
jämmerlich ausgebeutet, überall da persönlich frei und Rechtssubjekt,
wo das Feudalsystem voll entfaltet gewesen war, als die Geldwirtschaft einsetzte. Daß diese Erklärung
richtig ist, ergibt sich klar aus den Verhältnissen derjenigen Staaten,
die von der Geldwirtschaft ergriffen wurden, ehe das Feudalsystem fertig entwickelt
war. Das sind die ehemals slawischen Gebiete Deutschlands, namentlich aber Polen.
Hier hatte sich der Feudalstaat noch nicht so kunstvoll gestaffelt, als der
Getreidebedarf der großen Gewerbszentren des Westens den Ritter, das staatsrechtliche
Subjekt, in den Rittergutsbesitzer, das privatwirtschaftliche Subjekt, verwandelte.
Daher war der Bauer nur einem einzigen Herrn, dem Grundherrn, leistungspflichtig,
und daher entstehen hier die schon gekennzeichneten Adelsrepubliken, die der
[S. 124] kapitalistischen Sklavenwirtschaft so nahe kommen, wie der Druck der
staatlich vorgeschritteneren Nachbarn es irgend gestattet. [10] Das, was jetzt noch folgt,
ist so allgemein bekannt, daß einige Worte genügen. Die Geldwirtschaft,
zum Kapitalismus entfaltet, tritt klassenbildend neben den Grundbesitz; der
Kapitalist fordert Gleichberechtigung und erzwingt sie schließlich, indem
er die niedere Plebs revolutioniert und zum Sturme gegen die alte Herrschaftsordnung
führt, selbstverständlich unter dem Banner des »Naturrechts«.
Kaum ist der Sieg errungen, so wendet die Klasse des mobilen Reichtums, die
Bourgeoisie, die Waffen rückwärts, schließt mit dem alten Gegner
Frieden und bekämpft die Plebs im Namen des Legitimismus oder wenigstens
einer üblen Mischung legitimistischer und scheinliberaler Argumente. So hat sich allmählich
der Staat entfaltet: vom primitiven Raubstaat zum entfalteten Feudalstaat, zum
Absolutismus, zum modernen Verfassungsstaat. d) Der moderne Verfassungsstaat Betrachten wir Statik
und Kinetik des modernen Staates etwas näher. Er ist grundsätzlich
noch dasselbe Wesen, wie der primitive Raub- und der entfaltete Feudalstaat.
Nur ein neues Element ist hinzugetreten, das wenigstens die Bestimmung hat,
im Interessenkampfe der Klassen das Gemeininteresse des Staatsganzen zu vertreten:
die Beamtenschaft. In wieweit sie tatsächlich dieser Bestimmung gerecht
wird, werden wir an seiner Stelle betrachten. Zunächst studieren wir den
Staat in denjenigen Charakterzügen, die er aus seinen Jugendstufen mit
herübergebracht hat. Noch immer ist seine
Form die Herrschaft, sein Inhalt die Ausbeutung des ökonomischen Mittels,
diese noch immer begrenzt durch das Staatsrecht, das einerseits die hergebrachte
»Verteilung« des nationalen Gesamtproduktes schützt, andererseits
die Leistungspflichtigen bei der Prästationsfähigkeit zu erhalten
sucht. Noch immer kreist die Innenpolitik des Staates in derjenigen Bahn, die
ihm durch [S. 125] das Parallelogramm aus der zentrifugalen Kraft des Klassenkampfes
und der zentripetalen Kraft des staatlichen Gemeininteresses vorgeschrieben
wird; und noch immer wird seine Außenpolitik bestimmt durch das Interesse
der Herrenklasse, das jetzt aber außer dem landed auch das moneyed interest
umfaßt. Grundsätzlich sind
nach wie vor nur zwei gesellschaftliche Klassen zu unterscheiden: eine herrschende,
der vom gesamten Erzeugnis der Volksarbeit (des ökonomischen Mittels) mehr
zufällt, als sie beigetragen hat, und eine beherrschte, der weniger zufällt,
als sie beigetragen hat. Jede dieser Klassen zerfällt je nach dem Grade
der ökonomischen Entwicklung, in mehr oder weniger Unterklassen und -schichten,
die sich nach der Gunst und Ungunst des für sie geltenden Verteilungsschlüssels
abstufen. In hochentwickelten Staaten
findet sich zwischen den beiden Hauptklassen eine Übergangsklasse eingeschoben,
die ebenfalls untergeschichtet sein kann. Ihre Mitglieder sind nach oben leistungspflichtig,
nach unten leistungsberechtigt. Um ein Beispiel zu wählen, so sind im modernen
Deutschland in der herrschenden Klasse mindestens drei Schichten vertreten:
die großen Landmagnaten, die zugleich Industrie- und Bergherren sind,
die großen Industriellen und Bankokraten, die oft zugleich schon Großgrundbesitzer
sind und daher schnell mit der ersten Schicht verschmelzen (Fürsten Fugger,
Grafen Donnersmarck), und drittens die kleinen Landjunker. Die beherrschte Klasse
besteht mindestens aus Kleinbauern, Landarbeitern, Industriearbeitern samt kleinen
Handwerkern und Unterbeamten. Die Übergangsklassen sind die »Mittelstände«:
Groß- und Mittelbauern, die kleinen Industriellen und bessersituierten
Handwerker und diejenigen reichen Bourgeois, die noch nicht reich genug geworden
sind, um gewisse traditionelle Schwierigkeiten zu überwinden, die ihrer
Aufnahme in den Konnubialverband entgegenstehen (Juden). Sie leisten nach oben
unentgolten und empfangen von unten unentgolten; es ist individuelles Schicksal,
was auf die Dauer überwiegt; danach bestimmt sich der Ausgang, den die
Schicht oder das Individuum erlebt: volle Rezeption nach oben oder volles Versinken
nach unten. Aszendent sind von den Übergangsklassen Deutschlands jetzt
z.B. der Großbauer und Mittelindustrielle, deszendent die Mehrzahl der
Handwerker. Damit sind wir schon zur Kinetik der Klassen gelangt. [S. 126] Das Interesse
jeder Klasse setzt eine reale Menge assoziierter Kräfte in Bewegung, die
mit einer bestimmten Geschwindigkeit auf die Erreichung eines bestimmten Zieles
hindrängen. Dieses Ziel ist für alle Klassen dasselbe: das Gesamterzeugnis
der auf die Gütererzeugung gewandten produktiven Arbeit aller Staatsangehörigen.
Jede Klasse erstrebt einen möglichst großen Anteil am Nationalprodukt;
und da alle dasselbe erstreben, bildet der Klassenkampf den Inhalt aller Staatsgeschichte
(immer abgesehen von den durch das Staatsinteresse erzeugten gemeinsamen Handlungen,
von denen wir hier absehen dürfen, weil sie von der bisherigen Geschichtsbetrachtung
- zumeist mit größter Einseitigkeit - in den Vordergrund gerückt
worden sind). Dieser Klassenkampf stellt sich historisch dar als Parteienkampf.
Eine Partei ist ursprünglich und auf die Dauer kaum je etwas anderes als
die organisierte Vertretung einer Klasse. Wo eine Klasse durch die soziale Differenzierung
in mehrere Schichten mit verschiedenen Sonderinteressen zerfällt, da zerfällt
alsbald auch die Partei in entsprechend viele junge Parteien, die je nach dem
Grade der Divergenz der Klasseninteressen Bundesgenossen oder Todfeinde sein
werden. - Wo umgekehrt ein alter Klassengegensatz durch die soziale Differenzierung
verschwindet, da verschmelzen auch in Bälde die beiden alten Parteien zu
einer neuen. Als Beispiel für den ersten Fall mag die Abspaltung der mittelständischen
und antisemitischen Parteien vom deutschen Liberalismus genannt werden, als
Folge davon, daß jene deszendente, dieser aszendente Schichten vertreten;
den zweiten Fall mag die politische Verschmelzung charakterisieren, die den
ostelbischen Kleinjunker mit dem westelbischen Großbauern im Bunde der
Landwirte zusammenführt. Da jener sinkt und dieser steigt, treffen sie
sich auf halbem Wege. Alle Parteipolitik hat nur einen Inhalt: der vertretenen
Klasse einen möglichst großen Anteil am Nationalprodukt zu verschaffen.
Mit anderen Worten: die bevorzugten Klassen wollen ihren Anteil mindestens auf
der alten Höhe halten, womöglich noch vermehren bis auf ein Maximum,
das den ausgebeuteten Klassen gerade noch die Prästationsfähigkeit
läßt (ganz wie im primitiven Imkerstadium) und das ganze Mehrprodukt
des ökonomischen Mittels beschlagnahmt, ein Mehrprodukt, das mit wachsender
Volksdichtigkeit und Arbeitsteilung ungeheuer anwächst; - die Gruppe der
ausgebeuteten Klassen will ihren Tribut womöglich auf Null vermindern,
das gesamte Nationalprodukt selbst [S. 127] verzehren; - und die Übergangsklassen
streben danach, den Tribut nach oben soviel wie möglich zu vermindern,
das unentgoltene Einkommen von unten soviel wie möglich zu vermehren. Das ist Ziel und Inhalt
des Parteienkampfes. Die herrschende Klasse führt ihn mit allen Mitteln,
die ihr die überkommene Herrschaft in die Hand legt. Sie gibt die Gesetze,
die zu ihrem Zwecke dienen (Klassengesetzgebung), und wendet sie so an, daß
die scharfe Schneide immer nach unten, der stumpfe Rücken immer nach oben
gerichtet ist (Klassenjustiz.) Sie handhabt die Staatsverwaltung zwiefach im
Interesse ihrer Klassenangehörigen, indem sie erstens alle hervorragenden
Stellungen, die Einfluß und Gewinn bringen, ihnen vorbehält (Heer,
obere Verwaltung, Justiz), und zweitens die Staatspolitik durch diese ihre Geschöpfe
leitet (Klassenpolitik: Handelskriege, Kolonialpolitik, Schutzzollpolitik, Arbeiterpolitik,
Wahlpolitik usw.). Solange der Adel herrscht, beutet er den Staat wie ein Rittergut
aus; sobald die Bourgeoisie ans Ruder kommt, exploitiert sie ihn wie eine Fabrik.
Und die Klassen-Religion deckt alles mit ihrem Tabu, solange es geht. Noch bestehen im Staatsrecht
eine Anzahl politischer Privilegien und wirtschaftlicher Machtpositionen zugunsten
der Herrenklasse: plutokratisches Wahlsystem, Koalitionsbeschränkung, Gesindeordnung,
»Liebesgaben« usw. Und darum ist der Verfassungskampf der Jahrtausende
hindurch das Staatsleben beherrschte, noch nicht beendet. Er vollzieht sich
zumeist friedlich in den Parlamenten, aber auch zuweilen durch Straßendemonstrationen,
Massenstreiks und Revolten. Aber die Plebs hat begriffen,
daß nicht, wenigstens nicht mehr, in diesen Resten der feudalen Machtpositionen
die Zitadelle der Gegner zu suchen ist. Nicht politische, sondern wirtschaftliche
Ursachen müssen es sein, die es bewirken, daß auch im modernen Verfassungsstaate
sich die »Verteilung« grundsätzlich nicht geändert hat.
Nach wie vor lebt die große Masse in bitterer Armut, bestenfalls in karger
Dürftigkeit, in harter, zermalmender, verdumpfender Fron - und nach wie
vor zieht eine schmale Minderheit, eine aus Altprivilegierten und Emporkömmlingen
gemischte neue Herrenklasse, den ins Ungeheure gewachsenen Tribut unentgolten
ein, um verschwenderisch zu genießen. Diesen wirtschaftlichen Ursachen
der mangelhaften Verteilung gilt fortan mehr und mehr der Klassenkampf als unmittelbarer
[S. 128] Lohnkampf zwischen Proletariat und Exploiteuren mittels Streik, Gewerkschaft,
Genossenschaft. Die wirtschaftliche Organisation tritt erst gleichberechtigt,
dann führend neben und vor die politische. Die Gewerkschaft beherrscht
zuletzt die Partei. So weit ist die Entwicklung des Staates in Großbritannien
und den Vereinigten Staaten bisher gediehen. Viel feiner differenziert,
viel mächtiger integriert, wäre auch der Verfassungsstaat also nach
Form und Inhalt grundsätzlich nichts anderes, als seine Vorstufen, wenn
nicht die Beamtenschaft als neues Element in ihn eingetreten wäre. Grundsätzlich ist
der Beamte, aus Staatsmitteln besoldet, dem ökonomischen Interessenkampf
entrückt. Daher gilt in jeder tüchtigen Bureaukratie die Beteiligung
des Beamten an Erwerbsunternehmungen mit Recht als nicht dem Amte angemessen.
Wäre das Prinzip völlig durchführbar, und brächte nicht
auch der beste Beamte als seine »persönliche Gleichung« die
Staatsauffassung der Klasse mit, aus der er entstammt, so wäre in dem Beamtentum
in der Tat jene schlichtende und ordnende Instanz oberhalb des Interessenkampfes
gegeben, die den Staat seinen neuen Zielen zuführen könnte. Sie wäre
der Punkt des Archimedes, von dem aus die Welt des Staates bewegt werden könnte. Aber leider ist weder
das Prinzip völlig durchführbar, noch sind die Beamten abstrakte Menschen
ohne Klassenbewußtsein. Ganz abgesehen davon, daß die Beteiligung
an einer bestimmten Art der Unternehmung, der Großlandwirtschaft, in allen
Staaten so lange geradezu als höhere Qualifikation des Beamten gilt, wie
der Grundadel überwiegt, wirken auf zahlreiche Beamte, und gerade auf die
einflußreichsten, gewaltige ökonomische Interessen ein und ziehen
sie unbewußt und gegen ihren Willen in den Kampf mit hinein. Väterliche
und schwiegerväterliche Zuschüsse, ererbter Besitz und nahe Verwandtschaft
mit Interessenten des landed oder moneyed interest verstärken die aus der
»Kinderstube« mitgebrachte Solidarität mit der herrschenden
Klasse, aus der diese Beamtenschaft fast ausnahmslos hervorgeht, während
diese Solidarität bei Fortfall solcher ökonomischen Beziehungen leichter
durch das reine Staatsinteresse zurückgedrängt wird. Aus diesem Grunde finden
wir in der Regel die tüchtigste, objektivste, unparteilichste Beamtenschaft
in armen Staaten; Preußen z.B. [S. 129] verdankte früher vor allem
seiner Armut jenen unvergleichlichen Beamtenstand, der es sicher durch alle
Klippen steuerte. Seine Mitglieder waren wirklich der Regel nach von allen Erwerbsinteressen,
unmittelbaren und mittelbaren, völlig gelöst. In reicheren Staatsgebilden
ist dieses ideale Beamtentum seltener zu finden. Die plutokratische Entwicklung
zieht den Einzelnen mehr oder weniger mit in den Strudel, nimmt ihm einen Teil
seiner Objektivität, seiner Unparteilichkeit. Dennoch erfüllt der
Beamtenstand noch immer einigermaßen die Aufgabe, die ihm zugefallen ist,
das Staatsinteresse gegen die Klasseninteressen zu wahren; und, wenn auch wider
Willen oder wenigstens ohne klares Bewußtsein davon, wahrt er es so, daß
das ökonomische Mittel, das den Beamtenstand erschuf, in seinem langsamen
Siegesgang gegen das politische Mittel gefördert wird. Gewiß: die
Beamten treiben die Klassenpolitik, die die Konstellation der Kräfte im
Staate ihnen vorschreibt; gewiß: sie sind im Grunde nur Vertreter der
Herrenklasse, der sie entstammen. Aber sie mildern die Schärfe des Kampfes,
sie treten Ausschreitungen entgegen, sie bewilligen Änderungen des Rechtes,
die durch die soziale Entwicklung reif geworden sind, ehe der offene Kampf darum
entbrennt. Wo ein tüchtiges Fürstengeschlecht herrscht, dessen jeweiliges
Haupt sich gleich Friedrich nur als »den ersten Beamten des Staates«
betrachtet, gilt das Gesagte in verstärktem Maße von ihm, da sein
Interesse, als des dauernden Nutznießers des Dauerwesens Staat, ihm vor
allem gebietet, die zentripetalen Kräfte zu verstärken und die zentrifugalen
zu schwächen. Wir haben im Laufe der Betrachtung öfters die natürliche
Solidarität zwischen Fürst und Volk als segensreiche geschichtliche
Kraft kennen gelernt: im vollendeten Verfassungsstaat, in dem der Monarch nur
noch in relativ unendlich geringem Maße privatwirtschaftliches Subjekt,
und fast ganz »Beamter« ist, drückt diese Interessenverknüpfung
noch viel stärker durch als im Feudalstaat und absoluten Staat, wo die
Herrschaft noch wenigstens zur einen Hälfte Privatwirtschaft ist. Die äußere
Form der Regierung ist auch im Verfassungsstaate nicht von entscheidender Bedeutung:
der Klassenkampf wird in der Republik mit den gleichen Mitteln geführt
wie in der Monarchie und führt zum gleichen Ziele. Immerhin ist die Wahrscheinlichkeit
ziemlich groß, daß ceteris paribus in der Monarchie die Kurve der
Staatsentwicklung gestreckter, mit geringeren sekundären Einbuchtungen
[S. 130] verläuft, weil der Fürst, für Tagesströmungen weniger
empfindlich als ein auf kurze Jahre gewählter Präsident, eine vorübergehende
Einbuße an Volkstümlichkeit weniger zu scheuen braucht und daher
seine Politik auf längere Zeiträume spannen kann. Noch ist einer Abart
des Beamtentums zu gedenken, deren Einfluß auf die Höherentwicklung
des Staatswesens nicht unterschätzt werden darf, des wissenschaftlichen
Beamtentums der Hochschulen. Es ist nicht nur Schöpfung des ökonomischen
Mittels, wie das Beamtentum überhaupt, sondern gleichzeitig Vertreter einer
geschichtlichen Kraft, die wir bisher nur als Bundesgenossen des Eroberungsstaates
kennen gelernt haben, des Kausalbedürfnisses. Dieses Bedürfnis sahen
wir auf primitiver Stufe die Superstition erschaffen; und deren Bastard, das
Tabu, fanden wir überall als starke Waffe in den Händen der Herrenklasse.
Aus demselben Bedürfnis aber ist nunmehr die Wissenschaft entstanden, die
jetzt die Superstition angreift und zertrümmert und dadurch der Entwicklung
den Weg bereiten hilft. Das ist die unschätzbare geschichtliche Leistung
der Wissenschaft und namentlich der Hochschulen. VI. Die Tendenz der staatlichen
Entwicklung [S. 131] Wir haben die
Entwicklung des Staates in ihren Hauptzügen aufzudecken versucht von der
fernsten Vergangenheit bis zur Gegenwart, dem Erdforscher ähnlich, der
einen Strom von seinen Quellen abwärts verfolgt bis zum Austritt in die
Ebene. Breit und gewaltig rollt er seine Wogen an ihm vorbei, bis er im Dunst
des Horizontes verschwindet ins Unbekannte, noch nicht Erforschte, für
ihn Unerforschliche. Breit und gewaltig rollt
auch der Strom der Geschichte - und alle Geschichte bis heute ist Staatengeschichte
- an uns vorbei, und sein Lauf entschwindet uns in den Nebeln der Zukunft. Dürfen
wir es wagen, Vermutungen über seinen ferneren Lauf anzustellen, bis er,
»dem erwartenden Erzeuger freudebrausend an das Herz« sinkt? Ist
eine wissenschaftlich begründete Prognose der künftigen Staatsentwicklung
möglich? Ich glaube, daß
sie möglich ist. Die Tendenz [11] der Entwicklung des Staates führt
unverkennbar dazu, ihn seinem Wesen nach aufzuheben: er wird aufhören,
das »entfaltete politische Mittel« zu sein, und wird »Freibürgerschaft«
werden. Das heißt: die äußere Form wird im wesentlichen die
vom Verfassungsstaate ausgebildete bleiben, die Verwaltung durch ein Beamtentum:
aber der Inhalt des bisherigen Staatslebens wird verschwunden sein; die wirtschaftliche
Ausbeutung einer Klasse durch die andere. Und da es somit weder Klassen noch
Klasseninteressen mehr geben wird, wird die Bureaukratie des Staates der Zukunft
jenes Ideal des unparteiischen Wahrers des Gemeininteresses wirklich erreicht
haben, dem die heutige sich mühsam anzunähern versucht. Der »Staat«
der Zukunft wird die durch Selbstverwaltung geleitete »Gesellschaft«
sein. Man hat Bibliotheken
geschrieben über die Abgrenzung der Begriffe Staat und Gesellschaft. Von
unserem Standpunkt aus läßt sich das Problem leicht beantworten.
Der »Staat« ist der Inbegriff aller durch das politische, die »Gesellschaft«
der Inbegriff aller durch das ökonomische Mittel geknüpften Beziehungen
von Mensch zu [S. 132] Mensch. Bisher waren Staat und Gesellschaft in eins verschlungen:
in der »Freibürgerschaft« wird es keinen »Staat«,
nur noch »Gesellschaft« geben. Diese Prognose der Staatsentwicklung
ist eine Ineinsfassung aller der berühmten Formeln, in denen die großen
Geschichtsphilosophen das »Wertresultat« der Weltgeschichte zu geben
versuchten. Sie enthält den »Fortschritt von kriegerischer Tätigkeit
zur friedlichen Arbeit« St. Simons ebenso wie die »Entwicklung von
der Unfreiheit zur Freiheit« Hegels; die »Entfaltung der Humanität«
Herders ebenso wie das »Hindurchdringen der Vernunft durch die Natur«
Schleiermachers. Unsere Zeit hat den frohen
Optimismus der Klassiker und Humanisten eingebüßt: der soziologische
Pessimismus beherrscht die Geister. Die hier gestellte Prognose kann kaum irgendwo
auf Anhänger rechnen. Nicht nur, daß sie den Nutznießern der
Herrschaft kraft ihrer Klassenstimmung unglaublich erscheinen muß: auch
die Angehörigen der beherrschten Klasse stehen ihr mit dem äußersten
Skeptizismus gegenüber. Die proletarische Theorie sagt zwar grundsätzlich
den gleichen Endzustand, die klassenlose, von aller Ausbeutung erlöste
Gesellschaft, voraus, aber sie hält ihn nicht auf dem Wege der Evolution,
sondern nur auf dem Wege der Revolution für möglich und stellt ihn
sich unter dem Bilde einer, von der historisch gewordenen gänzlich abweichenden
Gestalt der »Gesellschaft«, d.h. der Organisation des ökonomischen
Mittels, vor: als marktlose Wirtschaftsordnung, als Kollektivismus. - Die anarchistische
Theorie hält Form und Inhalt des »Staates« für untrennbar,
Schrift und Kopf derselben Münze: keine »Regierung« ohne Ausbeutung!
Sie will daher Form und Inhalt des Staates zerschlagen und den Zustand der Anarchie
herbeiführen, selbst wenn dabei alle ökonomischen Vorteile der großen
arbeitsteiligen Volkswirtschaft geopfert werden müßten. - Sogar der
bedeutende Denker, der zuerst den Grund zu der hier vorgetragenen Staatslehre
gelegt hat, Ludwig Gumplowicz, ist soziologischer Pessimist, und zwar aus denselben
Gründen, wie die von ihm so heftig befehdeten Anarchisten. Auch er hält
Form und Inhalt, Regierung und Klassenausbeutung, für ewig untrennbar:
da er aber - mit Recht - ein Zusammenleben vieler Menschen ohne eine mit Zwangsgewalt
ausgestattete Regierung nicht für möglich hält, so [S. 133] erklärt
er den Klassenstaat für eine »immanente«, nicht bloß
für eine historische Kategorie. Nur das kleine Häuflein
der Sozialliberalen oder der liberalen Sozialisten glaubt bisher an die Evolution
einer Gesellschaft ohne Klassenherrschaft und Klassenausbeutung, die neben der
politischen auch die ökonomische Bewegungsfreiheit des Individuums, natürlich
innerhalb der Grenzen des ökonomischen Mittels, gewährleistet. Das
war das Kredo des alten, vormanchesterlichen, sozialen Liberalismus, wie ihn
Quesnay und namentlich Adam Smith verkündeten, und wie es in der Neuzeit
von Henry George, Eugen Dühring und Theodor Hertzka aufgenommen wurde. Diese Prognose läßt
sich zwiefach begründen, geschichtsphilosophisch und volkswirtschaftlich,
als Tendenz der Staats- und als Tendenz der Wirtschaftsentwicklung, die beide
deutlich einem Punkte zustreben. Die Tendenz der Staatsentwicklung
enthüllte sich uns als ein steter, siegreicher Kampf des ökonomischen
Mittels gegen das politische. Das Recht des ökonomischen Mittels, das Recht
der Gleichheit und des Friedens, sahen wir im Anfang auf den winzigen Kreis
der Blutverwandtschaftshorde beschränkt, eine Mitgift schon aus vormenschlichen
Gesellschaftszuständen [12]; rings um dieses Friedenseiland tobte der Ozean
des politischen Mittels und seines Rechtes. Aber weiter und weiter sahen wir
die Kreise sich spannen, aus denen das Recht des Friedens seinen Widerpart verdrängt
hat, und sahen sein Vordringen überall geknüpft an das Vordringen
des ökonomischen Mittels, des als äquivalent betrachteten Tauschverkehrs
der Gruppen untereinander. Zuerst vielleicht durch den Feuertausch, dann durch
den Frauentausch und schließlich durch den Gütertausch dehnte sich
das Gebiet des Friedensrechtes immer weiter; es schützte die Marktplätze,
dann die zum Markt führenden Straßen, dann die auf den Straßen
ziehenden Kaufleute. Wir haben ferner gesehen, wie der »Staat« diese
Friedensorganisation in sich aufnimmt, sie fortbildet, und wie sie dann im Staat
selbst das Gewaltrecht immer weiter zurückdrängt. Kaufmannsrecht wird
Stadtrecht; die Gewerbsstadt, das entfaltete ökonomische Mittel, unterhöhlt
durch seine Waren- und Geldwirtschaft den Feudalstaat, das entfaltete politische
Mittel; und [S. 134] die städtische Bevölkerung vernichtet zuletzt
im offenen Kampf die politischen Reste des Feudalstaates und erstreitet der
gesamten Bevölkerung des Staates die Freiheit und das Recht der Gleichheit
zurück. Stadtrecht wird Staatsrecht, zuletzt Völkerrecht. Nun sehen wir nirgend
eine Kraft, die dieser bisher dauernd wirksam gewesenen Tendenz jetzt noch hindernd
in den Weg treten könnte. Im Gegenteil: die bisherigen Hemmungen des Prozesses
werden augenscheinlich immer schwächer. Die Tauschbeziehungen der Nationen
gewinnen international eine die kriegerisch-politischen Beziehungen immer mehr
überwiegende Bedeutung; und durch den gleichen Prozeß ökonomischer
Entwicklung überwiegt intranational das mobile Kapital, die Schöpfung
des Friedensrechtes, immer mehr das Grundeigentum, die Schöpfung des Kriegsrechtes!
Gleichzeitig verliert die Superstition immer mehr an Einfluß. Und so muß
man schließen, daß die Tendenz sich bis zur vollen Ausscheidung
des politischen Mittels und seiner Schöpfungen, bis zum vollen Siege des
ökonomischen Mittels durchsetzen wird. Aber, wird man einwerfen:
dieser Sieg ist ja bereits errungen. Im modernen Verfassungsstaat sind ja alle
erheblicheren Reste des alten Kriegsrechts ausgemerzt! Nein, es besteht noch
ein solcher Rest, aber ökonomisch maskiert, dem Anschein nach kein rechtliches
Privileg, sondern ein ökonomisches Eigentum, das Großgrundeigentum,
die erste Schöpfung und die letzte Zitadelle des politischen Mittels. Seine
Maske hat es davor bewahrt, das Schicksal der übrigen feudalen Schöpfungen
zu erleiden; und dieser letzte Rest des Kriegsrechtes ist zweifellos das letzte,
einzige Hindernis auf dem Wege der Menschheit; und zweifellos ist die Wirtschaftsentwicklung
jetzt im Begriff, ihn zu vernichten. Ich habe diese Behauptung,
deren Beweis an dieser Stelle mir der Raum nicht gestattet, in eigenen Werken
als wahr erwiesen, auf die ich hinweisen muß [13]. Hier kann ich nur die
Hauptsätze aneinanderreihen: Die Verteilung des Gesamterzeugnisses
des ökonomischen Mittels unter die einzelnen Klassen der Verfassungsstaaten,
die [S. 135] »kapitalistische Verteilung«, unterscheidet sich grundsätzlich
nicht von der feudalen Verteilung. Die Ursache ist nach
der übereinstimmenden Auffassung der sämtlichen bedeutenden volkswirtschaftlichen
Schulen einzig darin zu suchen, daß das Angebot »freier« (d.h.
nach Karl Marx politisch freier und zugleich wirtschaftlich kapitalloser) Arbeiter
die Nachfrage dauernd übertrifft, d.h., daß das »Kapitalverhältnis«
besteht. Es »laufen stets zwei Arbeiter einem Unternehmer nach, unterbieten
sich«, und so bleibt der Kapitalistenklasse der »Mehrwert«
übrig, während der Arbeiter nie dazu gelangt, selbst Kapital zu bilden
und Unternehmer zu werden. Woher stammt das Überangebot
freier Arbeiter? Die Erklärung der
bürgerlichen Theorie, wonach dieses Überangebot durch Erzeugung zu
vieler Proletarierkinder hervorgerufen wird, beruht logisch auf einem Fehlschluß
und widerspricht allen bekannten Tatsachen [14]. Die Erklärung der
proletarischen Theorie, wonach der kapitalistische Produktionsprozeß selbst
die »freien Arbeiter« durch »Freisetzung« immer wieder
in genügender Anzahl reproduziert, beruht logisch auf einem Fehlschluß
und widerspricht allen bekannten Tatsachen [15]. Alle Tatsachen zeigen
vielmehr, und die Deduktion kann es widerspruchsfrei ableiten, daß das
Massenangebot »freier Arbeiter« vom Großgrundeigentum stammt:
Ab- und Auswanderung sind die Ursachen der kapitalistischen Verteilung. Hier
besteht ein echtes soziologisches Gesetz, das Theodor v. d. Goltz 1893, zwanzig
Jahre nach dem Tode von John Stuart Mill, zehn Jahre nach dem Tode von Karl
Marx, zuerst entdeckte und formulierte: »Mit dem Umfange des Großgrundeigentums
parallel und mit dem Umfang des bäuerlichen Besitzes in umgekehrter Richtung
geht die Wanderung.« Nun geht zweifellos die
Tendenz der Wirtschaftsentwicklung auf Ausstoßung des Großgrundeigentums.
Es verblutet rettungslos an der rechtlichen Befreiung seiner Hintersassen, die
ihm die städtische Entwicklung aufzwang. Die Freizügigkeit führte
zur Landflucht; die [S. 136] Auswanderung schuf die ȟberseeische
Konkurrenz« und den Sturz der Produktenpreise, die Abwanderung erzwingt
dauernd steigende Löhne. So wird die Grundrente von beiden Seiten her verringert
und muß allmählich auf Null sinken, da auch hier keine Gegenkraft
erkennbar ist, die den Prozeß ablenken könnte [16]. So geht das Großgrundeigentum
zugrunde [17]. Ist es aber verschwunden, dann gibt es kein Überangebot
freier Arbeiter mehr, »zwei Unternehmer laufen einem Arbeiter nach und
überbieten sich«, es bleibt kein »Mehrwert« für
die Kapitalistenklasse übrig, der Arbeiter kann selbst Kapital bilden und
selbst - im Wege der Genossenschaft - Unternehmer werden. Das politische Mittel
ist in seiner letzten noch aufrechten Schöpfung vernichtet, das ökonomische
Mittel herrscht allein. Der Inhalt dieser Gesellschaft ist die »reine
Wirtschaft« [18] des äquivalenten Tausches von Gütern gegen
Güter oder von Arbeitsleistungen gegen Güter - und die politische
Form dieser Gesellschaft ist die »Freibürgerschaft«. Diese theoretische Ableitung
wird nun bestätigt durch die historische Erfahrung. Wo immer eine Gesellschaft
existierte, in der kein Großgrundeigentum wachsende Rente zog, bestand
die »reine Wirtschaft«, näherte sich die Form des Staates der
»Freibürgerschaft«. Solch ein Gemeinwesen
war Deutschland fast vierhundert Jahre lang [19], von etwa dem Jahre 1000 nach
Christi, wo das primitive Großgrundeigentum sich in die sozial harmlose
Großgrundherrschaft umwandelte, bis etwa zum Jahre 1400, wo das durch
das politische Mittel, den Raubkrieg, im Slawenlande neu erstandene Großgrundeigentum
dem Bauern aus dem Stammlande das Siedelland sperrte [20]. Ein solches Gemeinwesen
war - und ist noch fast unverändert -, der [S. 137] Mormonenstaat Utah,
wo eine weise Bodengesetzgebung nur Klein- und Mittelbauern duldete [21]. Ein
solches Gemeinwesen war Grafschaft und Stadt Vineland [22] in Jowa, U. S., so
lange, wie jeder Siedler Land ohne Zuwachsrente erhalten konnte. Ein solches
Gemeinwesen ist vor allem Neu-Seeland, dessen Regierung den Klein- und Mittelgrundbesitz
mit allen Kräften fördert, während sie den - mangels freier Arbeiter
übrigens so gut wie rentelosen - Großgrundbesitz mit allen Mitteln
einengt und auflöst [23]. Überall hier ein
erstaunlicher, erstaunlich gleichmäßig - nicht mechanisch gleich!
- verteilter Wohlstand, aber kein Reichtum. Denn Wohlstand ist die Herrschaft
über Genußgüter; Reichtum aber die Herrschaft über Menschen.
Nirgend sind hier Produktionsmittel »Kapital«; sie hecken keinen
Mehrwert: es gibt eben keine »freien« Arbeiter und kein »Kapitalverhältnis«
[24]. Und die politische Form dieser Gemeinwesen steht überall, soweit
es der Druck der noch nach dem Kriegsrecht organisierten Umwelt gestattet, der
Freibürgerschaft sehr nahe und nähert sich ihr immer mehr. Der »Staat«
verfällt oder kommt auf neuem Lande, wie in Utah oder Neu-Seeland, nur
keimhaft zur Entwicklung, und die freie Selbstbestimmung freier Menschen, die
kaum einen Klassenkampf kennen, setzt sich immer kräftiger durch. Im Deutschen
Reiche z.B. ging dem politischen Aufstieg der Städtebünde und dem
Verfall des Feudalstaates die Emanzipation der Gewerke, die damals noch die
ganze »Plebs« der Städte umfaßten, und der Verfall des
Patriziats der Geschlechter in gleichem Schritte parallel. Nur die Errichtung
neuer primitiver Staaten an der Ostgrenze konnte diese segensreiche Entwicklung
unterbrechen und ihre wirtschaftliche Blüte knicken. Wer an einen bewußten
Zweck in der Geschichte glaubt, mag sagen: die Menschheit mußte erst noch
durch eine neue Leidensschule gehen, ehe sie freigesprochen werden konnte. Das
Mittelalter hatte das System der freien Arbeit entdeckt, [S. 138] aber noch
nicht zu seiner vollen Leistungsfähigkeit entwickelt. Die neue Sklaverei
des Kapitalismus mußte erst noch das unvergleichlich wirksamere System
der kooperierenden Arbeit, die Arbeitsteilung in der Werkstatt, entdecken und
ausgestalten, um den Menschen zum Herrn der Naturkräfte, zum König
des Planeten, zu krönen. Antike und kapitalistische Sklaverei waren nötig:
jetzt sind sie überflüssig geworden. Standen neben jedem freien Bürger
Athens angeblich fünf menschliche Sklaven, so haben wir neben jeden Bürger
unserer Gesellschaft schon das Vielfache von Sklaven gestellt, von Sklaven aus
Stahl, die nicht leiden, wenn sie schaffen. Jetzt erst sind wir reif geworden
für eine Kultur, die so hoch über der Kultur des periklëischen
Zeitalters stehen wird, wie Volkszahl, Macht und Reichtum unserer Reiche über
dem winzigen Kleinstaat Attika. Athen mußte zugrunde
gehen - an der Sklavenwirtschaft, am politischen Mittel. Von hier aus führte
kein Weg in die Zukunft als der in den Völkertod. Unser Weg führt
zum Leben! Die geschichtsphilosophische
Betrachtung, die die Tendenz der Staatsentwicklung, und die volkswirtschaftliche
Betrachtung, die die Tendenz der Wirtschaftsentwicklung beobachtete, kommen
demnach zu dem gleichen Ergebnis: das ökonomische Mittel siegt auf der
ganzen Linie, das politische Mittel schwindet in seiner ältesten und lebenszähesten
Schöpfung aus dem Gesellschaftsleben: mit dem Großgrundeigentum und
der Grundrente verfällt der Kapitalismus. Das ist der Leidens-
und Erlösergang der Menschheit, ihr Golgatha und ihre Auferstehung zum
ewigen Reich: vom Krieg zum Frieden, von der feindlichen Zersplitterung der
Horden zur friedlichen Einheit der Menschheit, von der Tierheit zur Humanität,
vom Raubstaat zur Freibürgerschaft. Fußnoten 1. »Die größeren
Heerlager der Rheinarmee erhielten teils durch die Handelsleute, die dem Heere
sich anschlossen, teils und vor allem durch die Veteranen, die in ihren gewohnten
Quartieren auch nach Entlassung verblieben, einen städtischen Anhang, eine
von den eigentlichen Militärquartieren gesonderte Budenstadt (canabae);
überall und namentlich in Germanien sind aus diesen bei den Legionslagern
und besonders den Hauptquartieren mit der Zeit eigentliche Städte erwachsen.«
(Mommsen, l. c. V, p. 153.) [Zurück zum Text]
von Franz Oppenheimer
Libertad Verlag, Berlin 1990
Vorwort
des Autors
Einleitung
a) Die Staatstheorien
b) Die soziologische Staatsidee7
11
11
14
I.
Die Entstehung des Staates
a) Politisches und ökonomisches Mittel
b) Staatenlose Völker: Jäger und Hackbauern
c) Vorstaatliche Völker: Hirten und Wikinge
d) Die Entstehung des Staates18
19
21
23
32
II.
Der primitive Eroberungsstaat
a) Die Form der Herrschaft
b) Die Integration
c) Die Differenzierung: Gruppentheorien und Gruppenpsychologie
d) Der primitive Eroberungsstaat höherer Stufe46
46
48
50
562.
Teil
III.
Der Seestaat
a) Der vorstaatliche Handel
b) Der Handel und der primitive Staat
c) Die Entstehung des Seestaates
d) Wesen und Ausgang des Seestaates64
64
71
74
813.
Teil
IV.
Die Entfaltung des Feudalstaates
a) Die Entstehung des Großgrundeigentums
b) Die Zentralgewalt im primitiven Eroberungsstaat
c) Die politische und soziale Zersetzung des primitiven Eroberungsstaates
d) Die ethnische Verschmelzung89
89
92
96
1064.
Teil
V.
Die Entfaltung des Verfassungsstaates
a) Die Emanzipation der Bauernschaft
b) Die Entstehung der Gewerbestadt
c) Die Einflüsse der Geldwirtschaft
d) Der moderne Verfassungsstaat
IV. Die Tendenzen der staatlichen Entwicklung113
114
115
118
124
1315.
Teil
--------------------------------------------------------------------------------
2. »Die Geschichte vermag uns kein Volk aufzuzeigen, bei dem die ersten
Spuren der Teilung der Arbeit und des Ackerbaues nicht auch mit solchen wirtschaftlicher
Ausbeutung zusammenfielen, bei dem nicht die Last der Arbeit den einen, und
deren Frucht den anderen zugefallen wäre, bei dem, mit anderen Worten,
die Teilung der Arbeit sich nicht in der Form der Unterwerfung der einen unter
die andern gebildet hätte.« (Rodbertus-Jagetzow, Beleucht. der soz.
Frage. 2. Aufl. Berlin 1890. p. 124.) [Zurück zum Text]
3. Große, Formen der Familie. Freiburg u. Leipzig 1896. p. 39. [Zurück
zum Text]
4. Ratzel, Völkerkunde. 2. Aufl. Leipzig u. Wien 1894/5. II, p. 372. [Zurück
zum Text]
5. Die soziale Verfassung des Inkareichs. Stuttgart 1896. p. 51. [Zurück
zum Text]
6. Dieser psychologische Gegensatz, der vielfach ausdrücklich bezeugt ist,
ist doch nicht die absolute Regel. Große (Formen der Familie, p. 137)
schreibt: »Einzelne Kulturhistoriker stellen freilich die Ackerbauer den
kriegerischen Nomaden als friedliebende Völker gegenüber. Man kann
allerdings von ihrer Wirtschaftsform nicht wie von der Viehzucht behaupten,
daß ihr Wesen zum Kriege erziehe und locke. Nichtsdestoweniger aber findet
man gerade in dem Bereiche dieser Kultur eine Menge der kriegslustigsten und
grausamsten Völker, die man überhaupt finden kann. Die wilden Kannibalen
des Bismarckarchipels, die mordgierigen Vitianer, die Menschenschlächter
von Dahome und Aschanti - sie alle betreiben die »friedliche« Ackerwirtschaft;
und wenn die übrigen Pflanzenbauer auch nicht ganz so schlimm sind, so
scheint uns doch die Sanftmut der meisten mindestens fragwürdig.«
[Zurück zum Text]
7. Siedlung und Agrarwesen der Westgermanen usw. Berlin 1895. I, p. 273. [Zurück
zum Text]
8. l. c. I, p. 138. [Zurück zum Text]
9. Ratzel, l. c. I, p. 702. [Zurück zum Text]
10. Dazu kommt entscheidend, daß überall in diesen Gesellschaften
der Reiche durch den Druck der öffentlichen Meinung gezwungen ist, reichlich,
und oft überreichlich, bis zum Ruin, herzuschenken. [Zurück zum Text]
11. Ratzel, l. c. II, p. 555. [Zurück zum Text]
12. Ratzel, l. c. II, p. 555. [Zurück zum Text]
13. Z.B. bei den Ovambo nach Ratzel, l. c. II, 214, wo sie sich zum Teil »in
sklavischer Stellung zu finden scheinen«; so nach Laveleye im alten Irland
(Fuidhirs). [Zurück zum Text]
14. Ratzel, l. c. I, p. 648. [Zurück zum Text]
15. Ratzel, l. c. II, p. 99. [Zurück zum Text]
16. Lippert, Kulturgeschichte der Menschheit. Stuttgart 1886, II, p. 302. [Zurück
zum Text]
17. Diese Angabe Lipperts ist nicht ganz korrekt. Die höheren seßhaften
Jäger und Fischer Nordwest-Amerikas haben beides, Adel und Sklaven. [Zurück
zum Text]
18. Lippert l. c. II, p. 522. [Zurück zum Text]
19. Röm. Geschichte. 6. Aufl. Berlin 1874. I, p. 17. [Zurück zum Text]
20. Ratzel, l. c. II, p. 518. [Zurück zum Text]
21. Ratzel, l. c. I, p. 425. [Zurück zum Text]
22. Ratzel, l. c. II, p. 545. [Zurück zum Text]
23. Ratzel, l. c. II, p. 390/1. [Zurück zum Text]
24. Ratzel, l. c. II, p. 390/1. [Zurück zum Text]
25. Lippert, l. c. I, p. 471. [Zurück zum Text]
26. Kulischer, Zur Entwicklungsgeschichte des Kapitelzinses. Jahrb. f. Nat.-Ök.
u. Stat. III. Folge, 18. Bd. Jena 1899. p. 318. (»Plünderer und bei
der Dürftigkeit ihrer Heimat nach fremdem Land begierig«, sagt Strabo.)
[Zurück zum Text]
27. Ratzel, l. c. I, p. 123. [Zurück zum Text]
28. Ratzel, l. c. I, p. 591. [Zurück zum Text]
29. Ratzel, l. c. II, p. 370. [Zurück zum Text]
30. Ratzel, l. c. II, p. 390/1. [Zurück zum Text]
31. Ratzel, l. c. II, p. 388/9. [Zurück zum Text]
32. Ratzel, l. c. II, p. 103/4. [Zurück zum Text]
33. Thurnwald, Staat und Wirtschaft im alten Ägypten. Zeitschrift f. Soz.
Wissenschaft Bd. 4 (1901), p. 700/1. [Zurück zum Text]
34. Ratzel, l. c. II, p. 404/5. [Zurück zum Text]
35. »Viele Sklaven zu halten, verbietet die Schwierigkeit ihrer Ernährung.
Man hält also ganze Bevölkerungen in Untertänigkeit, denen man
alles nimmt, was über das Bedürfnis der Lebensfristung hinausgeht.
Man wandelt ganze Oasen in Domänen um, die man zur Erntezeit besucht, um
ihre Bewohner auszurauben: eine echt wüstenhafte Beherrschung.« (Ratzel,
l. c. II, p. 393, von den Arabern). [Zurück zum Text]
36. Bei den Fulbe besteht sogar etwas wie ein Übergangszustand zwischen
den drei ersten und dem vierten Stadium, ein halb inter-, halb intranationaler
Zustand der Herrschaft: »Das erobernde Volk streckt wie ein Polyp zahlreiche
Arme hier- und dorthin zwischen die bestürzten Eingeborenen, deren Uneinigkeit
eine Menge von Lücken bietet. So fließen langsam die Fulbe in die
Benuëländer hinein und durchdringen sie ganz allmählich. Mit
Recht vermeiden es daher auch neuere Beobachter, bestimmte Grenzen anzugeben.
Es gibt viele zerstreute Fulbeortschaften, die einen bestimmten Ort als Mittelpunkt
und zugleich als Machtzentrum ansehen; so ist Muri Vor- und Hauptort der zahlreichen
am mittleren Benuë zerstreuten Fulbeniederlassungen, und ähnlich ist
wohl die Stellung Yolas im Gebiet von Adamaua. Eigentliche Reiche, die sich
fest gegeneinander und gegen die unabhängigen Stämme abgrenzen, gibt
es noch nicht. Selbst diese Hauptorte sind übrigens noch weit davon entfernt,
fest zu liegen.« (Ratzel, l. c. II, p. 492.) [Zurück zum Text]
37. Ratzel, l. c. II, p. 165. [Zurück zum Text]
38. Ratzel, l. c. II, p. 485. [Zurück zum Text]
39. Ratzel, l. c. II, p. 480. [Zurück zum Text]
40. Ratzel, l. c. II, p. 165. [Zurück zum Text]
41. Buhl, Soziale Verhältnisse der Israeliten, p. 13. [Zurück zum
Text]
42. Ratzel, l. c. II, p. 455. [Zurück zum Text]
43. Ratzel, l. c. I, p. 628. [Zurück zum Text]
44. Ratzel, l. c. I, p. 625. [Zurück zum Text]
45. Cieza de Leon, »Seg. parte de la crónica del Peru«, p.
75, zit. nach Cunow, Inkareich. Stuttgart 1896. (p. 62 Anm. 1.) [Zurück
zum Text]
46. Cunow, l. c., p. 61. [Zurück zum Text]
47. Ratzel, l. c. II, p. 346. [Zurück zum Text]
48. Ratzel, l. c. II, p. 36/7. [Zurück zum Text]
49. Ratzel, l. c. II, p. 221. [Zurück zum Text]
Dazu den Schirm des Leibes, den Stierschild altbewährt.
Mit ihnen kann ich pflügen, die Ernte fahren ein,
Mit ihnen kann ich keltern den süßen Traubenwein,
Durch sie trag ich den Namen »Herr« bei den Knechten mein.
Auch nicht den Schirm des Leibes, den Stierschild altbewährt,
Die liegen mir zu Füßen am Boden hingestreckt,
Von ihnen, wie von Hunden, wird mir die Hand geleckt;
Ich bin ihr Perserkönig - der stolze Name schreckt.« [6]
du junger edelman,
folg du miner lere
sitz uf, drab zum ban!
halt dich zu dem grünen wald;
wan der bur ins holz fert
so renn in freislich an!
derwüsch in bi dem kragen
erfreuw das herze din
nimm im was er habe
span uss die pferdelin sin!« [7]
dat doynt di besten van dem lande.«
--------------------------------------------------------------------------------
2. Ratzel, l. c. II, p. 178. [Zurück zum Text]
3. Ratzel, l. c. II, p. 198. [Zurück zum Text]
4. Ratzel, l. c., p. 476. [Zurück zum Text]
5. Ratzel, l. c., p. 453. [Zurück zum Text]
6. Kopp, Griechische Staatsaltertümer, 2. Aufl. Berlin 1893. p. 23. [Zurück
zum Text]
7. Uhland, Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder, I (1844), p. 339, zit.
nach Sombart: Der moderne Kapitalismus, Leipzig 1902, I, p. 384/5. [Zurück
zum Text]
8. »Als Adam grub, und Eva spann,
Wo war da der Edelmann«, sangen die englischen Lollharden. [Zurück
zum Text]
9. So z.B. strömten in den Griechenstaaten und im Römerreich überall
die Sklaven den eindringenden Germanen und Arabern massenhaft zu, und die scheinfreien
Kolonen hielten sich höchstens neutral. [Zurück zum Text]
10. Inama-Sternegg, Deutsche Wirtsch.-Gesch. I, Leipzig 1879, p. 59. [Zurück
zum Text]
11. Westermarck, History of human marriage, London 1891, p. 368. [Zurück
zum Text]
12. Entsprechend gibt es auch (nordasiatische) Jägerstämme, wo es
den Weibern streng verboten ist, das Jagdgerät zu berühren oder eine
Spur zu kreuzen (Ratzel I, p. 650). [Zurück zum Text]
13. Vgl. Ratzel, l. c. I, p. 81. [Zurück zum Text]
14. Ratzel, l. c. I, p. 156. [Zurück zum Text]
15. Ratzel, l. c. I, p. 259/60. [Zurück zum Text]
16. Ratzel, l. c. II, p. 434. [Zurück zum Text]
17. Im übrigen scheint es nach Ratzel, II, p. 596, mit der Starrheit des
indischen Kastenwesens nicht gar so arg zu sein. Die Zunft scheint ebenso oft
die Grenzen der Kaste zu überschreiten wie umgekehrt. [Zurück zum
Text]
18. Ich lasse diese 1907 geschriebenen Worte stehen, die sich wenigstens inbezug
auf die Türkei bereits als erfüllte Prophezeiung erwiesen haben. (Dez.
1928.) [Zurück zum Text]
19. China wäre übrigens einer genaueren Besprechung wohl wert, da
es sich in mancher Beziehung der »Freibürgerschaft« schon viel
mehr genähert hat als die westeuropäischen Völker. Es hat den
Feudalismus viel mehr überwunden als wir, hat das Großgrundeigentum
früh genug eingeengt, so daß sein Bastard, der Kapitalismus, kaum
zur Entstehung kam, und hat das Problem der genossenschaftlichen Produktion
und Verteilung sehr weit geführt. Hier fehlt mir leider der Raum zur näheren
Ausführung dieser uns fremdartigen Entwicklung eines Eroberungsstaates.
[Zurück zum Text]
--------------------------------------------------------------------------------
2. Westermarck, History of human marriage, p. 400. Auch hier sind eine Anzahl
ethnographischer Beispiele gegeben. [Zurück zum Text]
3. Es gibt übrigens (australische) Stammverbände, deren einzelne Gruppen
in verschiedenen Örtlichkeiten (z.B. Küste und Wald) leben und daher
verschiedene Produkte haben. Hier ist der Tausch selbstverständlich. Aber
es handelt sich hier auch um relativ hohe Kulturzustände. Die Australier
sind höhere Jäger! [Zurück zum Text]
4. Westermarck, l. c., p. 546. [Zurück zum Text]
5. Vgl. Ratzel, l. c. I, p. 318. 540. [Zurück zum Text]
6. Ratzel, l. c. I, p. 106. [Zurück zum Text]
7. Ratzel, l. c. I, p. 335. [Zurück zum Text]
8. Ratzel, l. c. I, p. 346. [Zurück zum Text]
9. Ratzel, l. c. I, p. 347. [Zurück zum Text]
10. Bücher, Entstehung der Volkswirtschaft, 2. Aufl. Tübingen 1898.
p. 301. [Zurück zum Text]
11. Dahin gehört auch der heute noch hier und da gebräuchliche Gruß:
Friede sei mit dir! Es ist bezeichnend für die Verblendung des alt gewordenen
Tolstoi, daß er dieses charakteristische Kennzeichen eines grundsätzlichen
Kriegszustandes als den Rest eines goldenen Zeitalters des Friedens ansieht.
(Die Bedeutung der russ. Revolution, dtsch. v. Ad. Heß, p. 17.) [Zurück
zum Text]
12. Vgl. Ratzel, l. c. I, p. 271, von den Ozeaniern: »Der Verkehr von
Stamm zu Stamm ist unverletzlichen Herolden übertragen, mit Vorliebe alten
Weibern. Diese vermitteln auch den Handel im Tauschverkehr.« Vgl. a. p.
317 für die Australier. [Zurück zum Text]
13. Deutsch von L. Katscher. Leipzig 1907. [Zurück zum Text]
14. Daher vielleicht die beliebte Verwendung alter Weiber zu Heroldsdiensten.
Sie haben den doppelten Vorzug, vom Standpunkte des Krieges aus ungefährlich
zu sein und im Rufe besonderer Zauberkraft zu stehen (Westermarck, l. c.), noch
mehr als alte Männer, die man auch vorsichtig behandelt, weil sie bald
»Geister« sein werden. [Zurück zum Text]
15. Ratzel, l. c. I, p. 81. [Zurück zum Text]
16. Ratzel, l. c. I, p. 478/9. [Zurück zum Text]
17. A. Vierkandt, Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Naturvölker.
(Zeitschrift für Sozialwissenschaft, II, p. 177/8.) [Zurück zum Text]
18. Dabei fällt sehr oft das Schwert des Brennus in die Wagschale. Der
scheinbare Tausch maskiert empfindliche »Reparationen«. [Zurück
zum Text]
19. Kulischer, l. c., p. 320/1. [Zurück zum Text]
20. Lippert, l. c. I, p. 266 ff. [Zurück zum Text]
21. Vgl. Westermarck, History of human marriage. [Zurück zum Text]
22. Ratzel, l. c. II, p. 27. [Zurück zum Text]
23. Das soll nach Ed. Hahn für die afrikanischen Hirten in viel geringerem
Maße zutreffen, als für die asiatischen. [Zurück zum Text]
24. Herodot IV, 23, zit. nach Lippert, l. c. I, p. 459. [Zurück zum Text]
25. Lippert, l. c. II, p. 170. [Zurück zum Text]
26. Mommsen, l. c. I, p. 139. [Zurück zum Text]
27. Ob die Etrusker ein zu Lande nach Italien eingewandertes und dann zum Seenomadentum
übergegangenes Kriegsvolk gewesen oder bereits als Seenomaden in ihre Sitze
an dem nach ihnen benannten Meere gelangt sind, ist nicht festgestellt. Es ist
aber sehr wahrscheinlich, daß wenigstens eine spätere Einwanderung
über See kam; die »Tursa«, von denen die ägyptischen Denkmäler
erzählen. Auch die Philister sind zur See nach Palästina gelangt,
vielleicht von Kreta aus: »Krethi und Plethi«. [Zurück zum
Text]
28. Ganz ähnlich liegen die Dinge in Insulindien. Hier sind die Malaien
die Wikinge. »Die Kolonisation spielt als überseeische Eroberung
und Ansiedlung (...) eine an Griechenlands Wanderzeit erinnernde große
Rolle. (...) Jede Küstenlandschaft weist fremde Elemente auf, die ungerufen
und oft den Altansässigen schädlich eindrangen. (...) Das Recht der
Eroberung wurde von den Herrschern von Tornate an adlige Häuser verliehen,
die dann halbsouveräne Statthalter auf Buru, Ceram usw. wurden.«
(Ratzel, l. c. I, p. 409.) [Zurück zum Text]
29. Mommsen, l. c. I, p. 132. [Zurück zum Text]
30. Mommsen, l. c. I, p. 134. [Zurück zum Text]
31. Ratzel, l. c. I, p. 160. [Zurück zum Text]
32. Ratzel, l. c. II, p. 558. [Zurück zum Text]
33. Buhl, l. c., p. 48. [Zurück zum Text]
34. Buhl, l. c., p. 78/9. [Zurück zum Text]
35. Mommsen, l. c. II, p. 406. [Zurück zum Text]
36. Ratzel, l. c. II, p. 191. Vgl. a. p. 207/8. [Zurück zum Text]
37. Ratzel, l. c. I, p. 363. [Zurück zum Text]
38. Mommsen, l. c., p. 46. [Zurück zum Text]
39. Beide zitiert nach Kulischer, l. c., p. 319. [Zurück zum Text]
40. Wie bezeichnend für diese Zusammenhänge ist es, daß Großbritannien,
der einzige »Seestaat« Europas, noch heute nicht auf das Kaperrecht
verzichten will! [Zurück zum Text]
--------------------------------------------------------------------------------
2. Großgrundeigentum und soziale Frage. 2. Buch. 1. Kapitel. Berlin 1898.
3. »Gerade der Nomadismus ist ausgezeichnet durch die Leichtigkeit, womit
er aus dem patriarchalischen Zusammenhang despotische Gewalten von weitreichendster
Macht entwickelt.« (Ratzel, l. c. II, p. 388/9.) [Zurück zum Text]
4. Ratzel, l. c. I, p. 408. [Zurück zum Text]
5. Cunow, l. c., p. 66/7. Vergleichbar bei den Ozeaniern, vielfach so z.B. in
Radak. (Ratzel, l. c. I, p. 267.) Ähnlich finden wir in Ägypten neben
dem bigotten Amenhotep IV den Hausmeier Haremheb, der »die höchsten
kriegerischen und Verwaltungsstellen des Reiches auf seinem Haupt zu vereinigen
wußte, bis er die Machtfülle eines Reichsverwesers besaß«
(Schneider, Kultur u. Denken der alten Ägypter, Leipzig 1907, p. 22). [Zurück
zum Text]
6. Buhl, l. c., p. 17. [Zurück zum Text]
7. Ratzel, l. c. II, p. 66. [Zurück zum Text]
8. Ratzel, l. c. II, p. 118. [Zurück zum Text]
9. Ratzel, l. c. II, p. 167. [Zurück zum Text]
10. Ratzel, l. c. II, p. 218. [Zurück zum Text]
11. Ratzel, l. c. I, p. 125. [Zurück zum Text]
12. Ratzel, l. c. I, p. 124. [Zurück zum Text]
13. Ratzel, l. c. I, p. 118. [Zurück zum Text]
14. Ratzel, l. c. I, p. 125. [Zurück zum Text]
15. Ratzel, l. c. I, p. 346. [Zurück zum Text]
16. Ratzel, l. c. II, p. 245. [Zurück zum Text]
17. Ratzel, l. c. I, p. 267/8. [Zurück zum Text]
18. [Zurück zum Text]
19. [Zurück zum Text]
18. Mommsen, l. c., Bd. III, p. 234/5. [Zurück zum Text]
19. Ratzel, l. c. II, p. 167. [Zurück zum Text]
20. Ratzel, l. c. II, p. 229. [Zurück zum Text]
21. Ratzel, l. c. I, p. 128. [Zurück zum Text]
22. Webers Weltgeschichte, Bd. III, p. 163. [Zurück zum Text]
23. Thurnwald, l. c., p. 702/3. [Zurück zum Text]
24. Thurnwald, l. c., p. 712. Vgl. Schneider, Kultur und Denken der alten Ägypter.
Leipzig 1907, p. 38. [Zurück zum Text]
25. Ratzel, l. c. II, p. 599. [Zurück zum Text]
26. Ratzel II, p. 362. [Zurück zum Text]
27. Ratzel, l. c. II, p. 344. [Zurück zum Text]
28. Meitzen, l. c. II, p. 633. [Zurück zum Text]
29. Inama-Sternegg, l. c. I, p. 140/1. [Zurück zum Text]
30. Mommsen, l. c. V, p. 84. [Zurück zum Text]
31. Vgl. die ausführliche Darstellung in meinem »Großgrundeigentum
u. soz. Frage«, Buch II, Kap. 3. [Zurück zum Text]
32. Mommsen, l. c. III, p. 234/5. [Zurück zum Text]
33. Thurnwald, l. c., p. 771. [Zurück zum Text]
34. Meitzen, l. c. I, p. 362 f. [Zurück zum Text]
35. Inama-Sternegg, l. c. I, p. 373, 386. [Zurück zum Text]
36. Vgl. mein »Großgrundeigentum«, p. 272. [Zurück zum
Text]
37. Es gehört in diesen Zusammenhang, daß sich die Fürsten gern
fremde Religionen holen. Die Geistlichen sind wenigstens im Anfang ihre natürlichen,
und dank der Geisterfurcht, sehr wirksame Verbündete. [Zurück zum
Text]
38. Thurnwald, l. c. I, p. 706. [Zurück zum Text]
39. Ratzel, l. c. II, p. 503. [Zurück zum Text]
40. Ratzel, l. c. II, p. 518. [Zurück zum Text]
41. Meitzen, l. c. I, p. 579: »Bei Erlaß der lex salica ist der
alte Geschlechtsadel bereits zu Gemeinfreien herabgedrückt oder vernichtet.
Aber die Beamten haben schon dreifaches Wergeld (600 solidi, und wenn er »puer
regis« ist, 300).« [Zurück zum Text]
42. Thurnwald, l. c., p. 712. [Zurück zum Text]
43. Inama-Sternegg, l. c. II, p. 61. [Zurück zum Text]
44. Thurnwald, l. c., p. 705. [Zurück zum Text]
--------------------------------------------------------------------------------
2. »Zu den Verehrungsstätten kommen immer Priesterwohnungen, Schulen,
Pilgerherbergen« (Ratzel, l. c. II, p. 575). Natürlich wird jeder
große Wallfahrtsort Mittelpunkt eines starken Marktverkehrs. Nicht umsonst
heißen unsere nordeuropäischen Großhandelsmärkte nach
der religiösen Zeremonie »Messen«. [Zurück zum Text]
3. Eisenhart, Gesch. der Nationalökonomie, p. 9: »Mit Hilfe des neuen
liquideren Soldmittels konnte nunmehr ein neuer abhängigerer Kriegs- und
Beamtenstand aufgestellt werden. Seine terminweise Auszahlung gestattete demselben
nicht ferner, sich von dem gemeinsamen Soldherrn unabhängig zu machen und
selbst wider ihn zu kehren.« [Zurück zum Text]
4. Thurnwald, l. c., p. 773. [Zurück zum Text]
5. Thurnwald, l. c., p. 699. [Zurück zum Text]
6. Thurnwald, l. c., p. 709. [Zurück zum Text]
7. Die Anweisungen auf die Magazine kursierten als eine Art von Papiergeld.
[Zurück zum Text]
8. Thurnwald, l. c., p. 711. [Zurück zum Text]
9. Im mittelalterlichen Deutschland zinst der Bauer oft außer an den Grund-
und den Landesherrn noch an Obermärker und Vogt. [Zurück zum Text]
10. Vgl. dazu mein »Großgrundeigentum usw.«, II. Buch, 3.
Kap. [Zurück zum Text]
11. »Tendenz, d.h. ein Gesetz, dessen absolute Durchführung durch
gegenwirkende Umstände aufgehalten, verlangsamt, abgeschwächt wird.«
(Marx, Kapital, III, 1, p. 215.) [Zurück zum Text]
12. Vgl. das treffliche Werk von Peter Kropotkin: »Gegenseitige Hilfe
in der Entwicklung«, deutsch v. Gustav Landauer. Leipzig 1904. [Zurück
zum Text]
13. Die Siedlungsgenossenschaft usw. Berlin 1896. Großgrundeigentum und
soziale Frage. Berlin 1898. [Zurück zum Text]
14. Vgl. mein »Bevölkerungsgesetz des T. R. Malthus. Darstellung
und Kritik«. Berlin-Bern 1901. [Zurück zum Text]
15. Vgl. mein »Grundgesetz der Marxschen Gesellschaftslehre. Darstellung
und Kritik«. Berlin 1903. [Zurück zum Text]
16. Vgl. mein »Grundgesetz der Marxschen Gesellschaftslehre«. IV.
Teil, namentlich im 12. Kapitel »Die Tendenz der kapitalistischen Entwicklung«,
p. 128 ff. [Zurück zum Text]
17. Heute, wo ich die Korrektur der neuen Auflage von 1929 lese, ist diese,
zuerst 1896 gedruckte Prophezeiung fast vollkommen verwirklicht. Das russische
Großgrundeigentum ist völlig verschwunden, in Rumänien, Polen,
Südslawien, der Tschechoslowakei ist es gewaltig zurückgeschnitten
worden, in Deutschland ist die Krise eingetreten, die das verarmte Preußen
dieses Mal nicht mehr beschwören könnte, selbst wenn es wollte. [Zurück
zum Text]
18. Vgl. mein »Großgrundeigentum und soziale Frage«, Berlin
1898, I. Buch, 2. Kap., 3. Abschn.: Physiologie des sozialen Körpers, p.
57 ff. [Zurück zum Text]
19. Siehe mein »Großgrundeigentum«, II. Buch, 2. Kap., 3.
Abschn., p. 322 ff. [Zurück zum Text]
20. Großgrundeigentum, II. Buch, 3. Kap., 4. Abschn., namentlich p. 423
ff. [Zurück zum Text]
21. Vgl. meinen Aufsatz »Die Utopie als Tatsache«. Zeitschrift f.
Soz.-Wissensch. II (1899), p. 19O ff. Neu abgedruckt in der Sammlung meiner
Reden und Aufsätze: »Wege zur Gemeinschaft«, Jena 1924. [Zurück
zum Text]
22. Meine »Siedlungsgenossenschaft«, p. 477 ff. [Zurück zum
Text]
23. Vgl. André Siegfried, »La démocratie en Nouvelle-Zélande«,
Paris 1904. [Zurück zum Text]
24. Das sagt niemand anderes als Karl Marx selbst, und zwar im letzten (25.)
Kapitel des ersten Bandes seines »Kapital«, dessen sorgfältiges
Studium allen Marxisten, namentlich den Führern der russischen Sowjets,
nicht dringend genug empfohlen werden kann. [Zurück zum Text]