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Einspruch!
Wenn die Linke den Israel-Hass in der arabischen Welt nicht verstehen kann, hat sie als emanzipatorische Kraft abgedankt.

Von Walter Hanser

11/05

trend onlinezeitung

Werner Pirker winkt in seinem junge-Welt-Kommentar vom 29.10. zu der Israel-feindlichen Propaganda im Iran bloß ab. Das ist nichts Neues, so schreibt er, „eh und je“ wurde das Existenzrecht des Staates Israel von allen möglichen, von Pirker in einen Topf geschmissenen Kräften im Nahen Osten abgelehnt. Pirker will beschwichtigen: zum einen will er den vom Staatschef des Iran lancierten Staatsantisemitismus als diskussionswürdigen, in der arabischen Region nun mal dazugehörigen und ihm darüber hinaus honorig erscheinenden Antizionismus darstellen. Zum anderen mag er die zu tiefst antiemanzipatorische, ja konterrevolutionäre Strategie dieses Manövers nicht zu erkennen und sieht in ihm einen – von ihm als positiv erachteten – Schachzug gegen die USA.  

Neu ist das in der Tat alles nicht. Erschreckend ist dennoch, dass in dem Aufruf zur Tilgung Israels von der Landkarte kein Antisemitismus erkannt wird und dass antisemitischer „Antizionismus“ und linker-emanzipatorischer Antizionismus in einen Topf geschmissen wird. Was Minimalkonsens einer Linken sein sollte, muss also nochmals aufgelistet werden. Israel steht im arabischen Raum für Fortschritt und Entwicklung im westlichen Sinne. Wie die Hof- und Schutzjuden, die den kaiserlichen Schutz genossen, des Kaisers Militär finanzierten und den ausgebeuteten Bauern bei Bedarf als Sündenböcke angeboten wurden, hat der Staat Israel im arabischen Raum die Funktion eines Sündenbocks eingenommen. Israel, der frühere Brückenkopf des Imperialismus, steht für Westen, Liberalismus und Dekadenz. Diejenigen, die heutzutage gegen Israel Stimmung machen, folgen ganz ähnlichen Motiven wie die klassischen Judenfeinde und Antisemiten. An das sich durchsetzende Wertgesetz kamen die judenfeindlichen Bauern damals nicht ran, an den Kaiser und König, vom Pfaffen gesegnet, trauten sie sich nicht ran. Später wiederholte sich dies im modernen Antisemitismus. Wie sieht es im Iran aus?  

Ganz ähnlich, erschreckend ähnlich - nur dass der Pfaffe hier Mullah heisst und die Bevölkerung längst durch alle möglichen Stadien des sich durchsetzenden Wertgesetzes hindurchgehen musste. Die aktuell vom Iran auf leisen Sohlen betriebene Privatisierungspolitik soll durch populistische Parolen und anti-westliche Propaganda übermalt werden. Der Präsident mag „aus dem Volke“ kommen, er ist jedoch ein Mann des Staates und des ökonomischen, politischen und religiösen Gewaltapparats geworden. Er ist also ein Populist, der im Auftrag der Konterrevolution die ideologische Verblendung, die auch unter den Leuten  „von der Straße“ anzutreffen ist, aus Staatsräson zu bedienen weiß.  

Das kapitalistische Weltsystem mit seinen blutigen Spielregeln von Verwertung, Unterdrückung und Vernichtung wird heute im ”Teufel USA und Israel” personalisiert, den Leuten geht es dadurch nicht besser – im Gegenteil. Arbeiterkämpfe, Frauenemanzipation und Jugendsubversion werden davon nicht beflügelt, sondern damit bekämpft. Der Antijudaismus und Antisemitismus in Polen Anfang des 20. Jahrhunderts war genauso konterrevolutionär wie der heutige Israel-Hass  in der arabischen Welt. Er schützt die Despoten und die lokale Herrschaft, genauso wie das Weltkapital und lenkt vom eigentlichen Feind, dem Kapitalismus als sozialem Verhältnis der Mehrwertauspressung, ab. Diese aktuelle Konterrevolution bedient sich der alten Propagandamittel des Antisemitismus, kein Wunder, dass auf der letzten Frankfurter Buchmesse Exemplare der „Protokolle der Weisen von Zion“ auftauchten – von iranischen Verlagen vertrieben.  Kommunisten und Libertäre könnten das wissen.  

Diejenigen, die es nicht wissen, scheinen schlechte Kommunisten zu sein oder sogar gar keine. Internationalistische Kommunisten wissen auch, dass linker Antizionismus etwas anderes ist (oder besser: einmal war) als Antisemitismus, sie könnten die Geschichte des Bund kennen. Stalinisten und nationalistische „Kommunisten“ können das nicht wissen, denn hinter ihrem „Antizionismus“ verbirgt sich Antisemitismus. Das müsste seit den antisemitischen Kampagnen gegen „Kosmopolitismus und Zionismus“ in der Sowjetunion bekannt sein. Wer jüdisch-orthodoxen Antizionismus – also irgendeine metaphysische Mucke -,  linken wie rechten arabischen Nationalismus und marginale linke antizionistische Stimmen in Israel in einen Topf haut wie Werner Pirker, hat kein Interesse an einer emanzipatorischen Kritik des Bestehenden, sondern will einen Feind markieren, um den zu bekämpfen, man jeden Bündnispartner akzeptiert. Man stellt sich unweigerlich die Fragen, warum er nicht noch die in den arabischen Raum geflohenen Nazis, die nach 1945 beispielsweise nach Ägypten auswanderten, mit ihrem Judenhass in diese Aufzählung dazu nimmt. Es gibt in Israel in der Tat Antizionisten aus dem marginalen linksradikalen Spektrum von Anarchisten und Situationisten – sie sind antinationalistische Linksradikale, und als solche gehören sie zu einem kleinen internationalistischen Spektrum von antistaatlichen, herrschaftskritischen Radikalen, die alle an einer universalistischen Aufhebungsperspektive festhalten. Es gibt auch kommunistische Antizionisten in Israel, die zuweilen ihren Staat mit Nazivokabeln belegen, jedoch in Stalin einen großartigen antifaschistischen Politiker sehen wollen. Mit letzteren werden libertäre Kommunisten, egal woher sie kommen, die gleichen Auseinandersetzungen führen müssen, wie mit allen anderen Stalinisten. Und es gibt das Problem, dass fast alle linken und linksradikalen Israelis, die sich als antizionistisch definieren, mit ihrer Staatskritik vor den Palästinensern Halt machen. Dem Antiimperialismus und Dritt-Weltismus verpflichtet meinen sie, dass junge unterdrückte Nationalstaaten als Staaten autonom werden sollen, unterdrückte „Völker“ sich erstmal befreien müssen. Sie schlucken damit die gegen-revolutionäre Kategorie des „Volkes“. Das stellt seit Lenins Befreiungsnationalismus eine Sackgasse dar.  

Bislang hat noch jede nationale Befreiung von „Fremdherrschaft“ zu neuer Herrschaft geführt. Pirker gibt den Antideutschen, die er aus ganz anderen Gründen nicht mag wie Linksradikale, genau das Futter, das sie brauchen – sie können genauso wenig wie er Israel-Kritik, die verschiedenen Varianten des Antizionismus und den Antisemitismus auseinander halten. Wie schon bei seinem Plädoyer für den Antiamerikanismus, stellt das jüngste anti-israelische Plädoyer von Pirker nur eines dar: es ist ein Symptom für eine im antiimperialistischen Milieu anzutreffende theoretische Verwahrlosung des Denkens, wenn nicht sogar für einen waschechten linken Antisemitismus. Den „großen und kleinen Satan“, die USA und Israel, als Hauptfeind der Menschheit auszugeben ist das Geschäft der Antiemanzipation und der Konterrevolution, das im Moment am aggressivsten in den arabischen Ländern des kapitalistischen Weltsystems betrieben wird. Diese historische Tendenz muss auch im „Herzen der Bestie“ bekämpft werden – sie braucht kein Sprachrohr in einer linken Tageszeitung.  

Die vom Autor verfasste Serie "Benjamins Tigersprung: Geschichte des Linksradikalismus – kurzer Lehrgang", die in der jungen welt erschienen ist, lässt sich nachlesen unter: http://archiv.gesellschaftsanalyse.de/cgeschic/serie.html

Editorische Anmerkungen

Der Autor übergab uns seinen Artikel am 7.11.2005 zur Veröffentlichung.