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Israelkritik
Vorbemerkung
(Dezember 2004): Dieser Artikel erschien in Der lustige Kommunist.
Organ
zur endlichen Etablierung der linken Meinungsdiktatur. Nr. 3, Herbst
2004.
Ist Kritik an Israel antisemitisch?
Israelfreunden
wird häufig unterstellt, Kritik an der israelischen Politik prinzipiell
als antisemitisch zu denunzieren und insbesondere die Erinnerung an den
Holocaust als Freibrief zu benutzen für alles, was der der Staat Israel
tut. Mit derartigen Vorhaltungen werde ich selbst nicht selten konfrontiert.
Allerdings dürften die wenigsten bestreiten, dass es antisemitische
Formen von Israelkritik gibt bzw. dass sich Antisemitismus auch hinter
Israelkritik verbergen kann. Präziser wäre also zu fragen: Ist
jede
Kritik an Israel antisemitisch?
Hier
ist zunächst einmal zu klären, was mit Kritik an Israel überhaupt
gemeint ist. Denn Israel ist im Gegensatz zu den anderen Staaten im Nahen
Osten eine bürgerlich-parlamentarische Demokratie, mit einem breiten
Spektrum an Parteien und anderen politischen Organisationen, einer sich
auch in der Presselandschaft niederschlagenden Anschauungsvielfalt. Die
Regierung ist mit Gegnern im eigenen Land konfrontiert, die Regierungskoalition
ist, in jüngster Zeit verstärkt, zerstritten. Eine proisraelische
Haltung bedeutet also Solidarität mit einem Staat, in dem kritische
Auseinandersetzungen zum Alltag gehören, bedeutet somit per se auch
ein Bekenntnis zu diesem kritischen Klima. Sympathie für die eine
Seite dieses Spektrums schließ zwangsläufig Ablehnung von Positionen
der anderen ein. Solidarität mit Israel ist insofern als kritiklose
gar nicht denkbar. Verstanden als Identifizierung mit der Regierungspolitik
würde sie sich, sobald sich diese ändert, selbst ad absurdum
führen.
Doppelte
Standards
Wie
schief diese Debatte ist, lässt sich noch anderweitig illustrieren.
Als Gegner der Gentechnik etwa kritisiere ich implizit und unvermeidlich
auch die Entwicklung in Israel, denn israelische Wissenschaftler spielen
in diesem Bereich eine führende Rolle. Dennoch handelt es sich nicht
um eine spezifisch israelische Angelegenheit und ist auch nicht als spezifisch
israelische Angelegenheit zu kritisieren! Von meiner Gegnerschaft zur industriellen
und erst recht zur militärischen Nutzung der Atomkraft nehme ich die
Atommacht Israel nicht aus. Hier ist jedoch insbesondere zu fragen, wieso
ausgerechnet Israel so viel mehr ins Kreuzfeuer der Kritik gerät als
andere, auch andere inoffizielle Atommächte. Das Anlegen unterschiedlicher
Maßstäbe stellt ein Merkmal dar der Überschreitung der
Grenze zwischen Kritik und Antisemitismus. An dieser Stelle liegt auch
die Frage des Verhältnisses zu den israelischen Kriegsdienstverweigerern,
den Refuseniks, nahe. Im Sinne meines grundsätzlichen Eintretens für
das Recht auf Kriegsdienstverweigerung verurteile ich Repressionen gegen
sie. Das bedeutet keine Identifikation mit ihrem Verhalten, denn Israel
braucht eine schlagkräftige Armee schon aus Gründen der bloßen
Existenz. Solidarität mit den Refuseniks hat sich dessen bewusst zu
sein. Kampagnen zur Unterstützung israelischer Kriegsdienstverweigerer
müssen nicht antisemitisch sein, dienen jedoch allzu oft der Brandmarkung
Israels und werden auf diese Weise antisemitisch instrumentalisiert.
Die Frage, ob Kritik an Israel
immer antisemitisch sei, ist also aus meiner Sicht zu verneinen. Aber gibt
es denn überhaupt Leute, die so etwas vertreten? Handelt es sich nicht
vielmehr um einen Popanz? Die Beweislast für Unterstellungen liegt
bei denen, die sie in die Welt setzen. Selbst wenn es unter Israelunterstützern
Leute gibt, deren Äußerungen im Sinne solcher Unterstellungen
verstanden werden können, bleibt zu zeigen, welchen Stellenwert diese
haben, ob es sich um mehr als Randerscheinungen handelt.
Verlogene Pseudokritik
Doch
es gibt ja für die pauschal formulierten Vorwürfe der Israelkritiker
konkrete Anlässe, konkrete Äußerungen, aufgrund derer sie
sich zu Unrecht dem Antisemitismusverdikt ausgesetzt sehen. Allerdings
ist es auch für den klassischen, sich nicht auf die Nahost-Diskussion
beziehenden Antisemitismus heute kennzeichnend, dass seine Protagonisten
jeden Antisemitismusverdacht entschieden von sich weisen. Das zeigt ein
Blick in die Machwerke brauner Verschwörungstheoretiker à la
Jan van Helsing oder Jo Conrad. Wenn Antisemiten nur diejenigen wären,
die sich selbst so nennen, gäbe es in der Tat fast keinen Antisemitismus
mehr. Hinsichtlich Israel lässt sich in Anlehnung an den Journalisten
Jared Israel (der heißt so!) die entscheidende Differenz prägnant
formulieren: Es ist nicht antisemitisch, Israel zu kritisieren, aber es
ist antisemitisch, Lügen über Israel zu verbreiten! (1) Ein erheblicher
Teil dessen, was unter dem Label Israelkritik daherkommt, besteht in
der absichtlichen oder leichtfertigen Verbreitung von Unwahrheiten. Wir
haben es mit Phänomenen zu tun, die den traditionellen antijüdischen
Gerüchten - Ritualmordlegenden, Protokolle der Weisen von Zion,
Holocaustleugnung usw. - durchaus vergleichbar sind. Und wir haben es bei
den Retourkutschen mit vergleichbaren Abwehrhaltungen zu tun.
Belege für den verlogenen
Charakter des die Debatte weltweit beherrschenden Israel-Bashings sind
en masse vorhanden. Jared Israel vom linken investigativjournalistischen
Internet-Portal The Emperor's New Clothes und seine Kollegen haben sich
um das Zusammentragen und Auswerten betreffenden Materials besonders verdient
gemacht. (2)
Antizionismus ist Antisemitismus
Nun
lässt sich ein Großteil sogenannter Israelkritik zwar als de
facto antisemitisch zurückweisen, aber bedeutet dies im Umkehrschluss,
dass sich Sozialisten und Kommunisten, also Menschen, die eine klassen-
und staatenlose Weltgesellschaft anstreben, mit Israel, also einem Staat,
solidarisieren
sollen?
Welch ein Widerspruch!
Wirklich?!
Nicht zu vergessen ist, dass dieser
Staat als nationale Heimstätte für Juden seine Entstehung Bedingungen
schuldet, die sich von den Entstehungsbedingungen anderer Staaten unterscheiden.
Israel bzw. die Israel begründende zionistische Bewegung entstand
als Reaktion auf den Antisemitismus, als Versuch, Juden einen Raum zu geben,
in dem sie frei von Verfolgung leben können. Zur absoluten Notwendigkeit
wurde dieses Projekt durch die nationalsozialistische Judenvernichtung.
Dass die Araber, auch die Araber in Palästina, für Judenverfolgung
und Shoah nichts können und unschuldige, von Anfang an gewaltsam vertriebene
Opfer der Opfer wurden, ist eine der Legenden, von denen oben die Rede
war. Dass das Ziel, Juden wenigstens auf diesem Fleck der Erde ein einigermaßen
sicheres Leben zu ermöglichen, nicht erreicht wurde und in weiter
Ferne scheint, delegitimiert nicht den Versuch und schafft seine Notwendigkeit
nicht aus der Welt. Zu allererst wäre zu fragen, wer dafür verantwortlich
ist, dass Juden auch in Israel nicht ihres Lebens sicher sind und wer sich
mit den Judenmördern solidarisiert oder zumindest Verständnis
für sie hat.
Eine prinzipiell antinationale
und auf Abschaffung jeglicher Staatsgewalt ausgerichtete Haltung ist mit
der Solidarität mit dem zionistischen Staat nicht nur vereinbar, sondern
bleibt ohne sie inkonsequent. Anderes zu behaupten wäre unhistorisch.
Eine herrschaftsfreie Gesellschaft bleibt eine zu erkämpfende Möglichkeit
bzw. - im Interesse des Fortbestehens der Spezies Mensch - Notwendigkeit.
Unter der Bedingung real existierender Nationalstaaten einen bestimmten
Staat abschaffen zu wollen, bedeutet hingegen, ihn zur Beute anderer zu
machen. Ausgerechnet den Judenstaat zu beseitigen wäre der größte
antisemitische Triumph seit dem Holocaust. Deshalb ist Antizionismus heute
eine Spielart des Antisemitismus. Denn aus der zionistischen Bewegung ging
Israel hervor, der Zionismus ist die ideologische Grundlage des jüdischen
Staates, Antizionismus bedeutet somit die Verneinung des Existenzrechts
Israels. Antizionismus und kommunistische Staatskritik sind die größtmöglichen
Gegensätze. Sollte die Errichtung einer staatenlosen Weltgesellschaft
künftigen Generationen gelingen, würde das auch die Abschaffung
Israels bedeuten: Israel wäre überflüssig geworden. Anders
ausgedrückt: Die ganze Welt wäre Israel geworden, in dem Sinne,
dass in einer Welt ohne Antisemitismus niemand mehr - egal wo - von antisemitischer
und sonstiger Verfolgung bedroht wäre.
Anmerkungen:
Klaus Blees