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Krise, Arbeitslosigkeit & (Neo-)Faschismus
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Vortrag im Rahmen der fachhochschulübergreifenden Ringvorlesung
„Faschismus, Neofaschismus und Rechtsextremismus“
an der Fachhochschule Frankfurt am Main, SS 2005, Mittwoch, 13.05.2005
Krise, Arbeitslosigkeit & (Neo-)Faschismus
Prof. Dr. Egbert Dozekal
Gliederung
0. Vorbemerkung
1. Aktuelle Debatte der etablierten demokratischen Parteien über die Wahlerfolge von NPD
und DVU
2. Gestern: Was hat der deutsche Faschismus mit der Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit
zu tun?
3. Heute: Wie Neofaschisten Arbeitslosigkeit und Hartz IV kritisieren?
4. Vergleich von Gestern und Heute: Der imperialistische Erfolg der deutschen Demokratie
macht Faschismus überflüssig
0. Vorbemerkung
Faschismus soll einerseits das genaue Gegenteil von Demokratie sein: Gewalt- versus Volksherr-
schaft, Böse versus Gut!
Andererseits dauernd Warnungen innerhalb der bundesdeutschen Demokratie, den Anfängen zu
wehren, wachsam gegen Neonazis und Rassisten zu sein: offensichtlich ist es mit der Unverein-
barkeit von Demokratie und Faschismus gar nicht so weit her, wenn in der Demokratie dauernd
die Gefahr des Faschismus lauert!
Vortrag will die Dämonisierung des Faschismus nicht mitmachen. Der moralische Abscheu vor
Faschisten ist einfach zu haben, aber gerade an einer Hochschule sollte die Erklärung und Kritik
angebracht sein: Faschismus erklären als „eine Form bürgerlicher Herrschaft“, nämlich die politi-
sche Alternative zur demokratischen Organisation der politischen Gewalt des Kapitalismus. Solch
eine Erklärung klärt auch darüber auf, was in der Demokratie der Nährboden des Faschismus ist;
und nicht zuletzt, wie man den Faschismus und die Neofaschisten kritisiert und bekämpft.
1. Aktuelle Debatte der etablierten demokratischen Parteien über die Wahlerfolge von NPD
und DVU
Vorwurf CDU/CSU: „Stoiber erhob den Vorwurf, die Politik der Bundesregierung mache den
Rechtsradikalismus und die NPD stark... ‚Das ökonomische Versagen der Regierung Schröder,
dieses Ausmaß an Arbeitslosigkeit, bildet den Nährboden der Extremisten, die letztlich die Per-
spektivlosigkeit der Menschen ausnutzen und damit die Demokratie in unserem Lande gefährden.’
Stoiber nannte die Massenarbeitslosigkeit die Hauptursache für das Wiedererstarken der NPD’.
Zuvor hatte der CSU-Generalsekretär Söder vor ‚Weimarer Verhältnissen gewarnt. Frau Merkel
hatte diesen Zusammenhang so nicht hergestellt, sie äußerte aber, ‚die Verzweiflung und Perspek-
tivlosigkeit’ führten dazu, dass die Menschen ‚Auswege in anderen Bereichen suchen’.“ (FAZ vom
07.02.2005) „Die Zahl der Arbeitslosen habe mittlerweile eine Größenordnung wie in der Weima-
rer Republik erreicht. ‚Diese Situation wird von den rechten Rattenfängern ausgenutzt, um vor
allem auch junge Menschen zu verführen’, sagte Beckstein (CSU).“ (FAZ vom 08.02.2005)
Antwort SPD/Grüne: „Müntefering warf der CSU vor, mit ihren Äußerungen das Geschäft der
Rechtsradikalen zu betreiben...’Herr Stoiber macht einen schweren Fehler, wenn er die Neonazis
in Deutschland gegen die SPD instrumentalisiert.’ Es seien nicht einmal die Arbeitslosen, die die
NPD wählen.“ (FAZ vom 07.02.2005) „Verantwortlich für die Erfolge der NPD sind allein die
Wähler. Niemand hat das Recht, aus Protest die Rechtsradikalen zu wählen.“ (Müntefering in der
ARD-Tagesschau am 12.02.2005) „Bundeswirtschaftsminister Clement nannte den Vergleich
‚abscheulich’ und ‚hirnrissig’. Er fügte an: ‚Es ist gute Übung in Deutschland, dass wir Demokra-
ten uns nicht wechselseitig Nichtdemokraten zum Vorwurf machen, sondern dass wir gemeinsam
versuchen, das einzudämmen.’ Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Christa Sager sagte, Stoibers
Argumentation sei verharmlosend und unverantwortlich.“ (FAZ vom 08.02.2005)

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Replik Union: „CSU-Generalsekretär Söder warf SPD und Grünen vor, wider besseres Wissen
den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und einem Zulauf für extremistische Parteien zu
leugnen. Söder verwies auf Stellungnahmen des SPD-Vorsitzenden im Jahr 2000; damals habe
Müntefering selbst gesagt, dass die Arbeitslosigkeit der extremen Rechten Proteststimmen zutrei-
be... Söder führte auch ein ähnliches Zitat Gerhard Schröders aus dem Jahr 1998 an: ‚Das Wie-
dererstarken des Rechtsextremismus liegt vor allem in der Perspektivlosigkeit auf dem Arbeits-
markt und in der mangelnden Fähigkeit, mit Fremdheit umzugehen.“ (FAZ vom 09.02.2005)
CDU/CSU bemühen das Standardargument in Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft, das den
Erfolg des (Neo-)Faschismus mit Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit erklärt, und schieben der
SPD/Grünen-Regierung die Schuld am Aufschwung der rechtsextremen NPD und DVU in die
Schuhe nach der Logik: SPD=Arbeitslosigkeit=NPD. Die geben sich empört und weisen entschie-
den zurück, was auch bei ihnen Allgemeingut der politischen Bildung ist, dass Wirtschaftskrise
und Arbeitslosigkeit Hitler möglich machten und heute die Neofaschisten erstarken lassen.
In der Bundesrepublik heute darf laut Regierung nicht gelten, was für die Weimarer Republik
unzweideutig galt, dass die Arbeitslosen Hitler an die Macht gebracht haben. Was ist an dem Ar-
gument dran, Massenarbeitslosigkeit führt zu Faschismus? Und warum verbittet sich die Regie-
rung diesen Vorwurf der Opposition?
Das Argument, Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit verursachen Faschismus:
a) Demokratischen Politikern ist selbstverständlich, dass eine ökonomische Krise die Betroffenen
nach „Führung“ durch eine entschlossene Regierung seufzen lässt, die zwischen gerechterweise
und ungerechterweise Geschädigten unterscheidet; sie verwundert es auch nicht, dass die beantrag-
te Scheidung sich am Staatsbürger-Privileg orientieren soll, wer zum deutschen Volk gehört und
wer nicht; also dass Ausländerfeindschaft und verschärfter Nationalismus die allein passende Ant-
wort auf die verschärften „sozialen Fragen“ ist.
b) Das gilt in marktwirtschaftlichen Demokratien geradezu als gesellschaftlicher Automatismus
bei Politikern, Medien und Sozialwissenschaftlern. Daher vorab eine Klarstellung zum Zusam-
menhang von Arbeitslosigkeit und Rechtsextremismus.
Ein Arbeitsloser ist in einer praktischen Notlage, er ist von seinem Arbeitgeber entlassen und ihm
fehlt mit seiner Arbeit das nötige Einkommen zum Leben. Aus der Tatsache der Arbeitslosigkeit
folgt gar nichts. Die Gedanken, die er sich über seine Notlage macht, sind damit keineswegs fest-
gelegt.
Ein Blick auf die Profitkalkulation des Unternehmers könnte ihn darüber aufklären, dass in seiner
Geschäftsrechnung Löhne Kosten sind, die nur für rentable Arbeit gezahlt werden, und deswegen
das Wachstum wie die Krise des Geschäftsgangs Arbeitslose produziert, ebenso wie ein Blick auf
die Politik ihn darüber aufklären könnte, dass der Staat mit seinem Schutz des Eigentums zugleich
der Urheber und Garant der für lohnabhängig Beschäftigte so verheerenden Profitmacherei ist;
dann wüsste er über die kapitalistischen Interessen, die seine Lage verursachen, Bescheid, und
seine Feinde wären dann Unternehmer und Politiker, seine Verbündeten all diejenigen, die von
Arbeit leben müssen und sich die Lage so wie er erklärt haben. Die Erklärung der Arbeitslosigkeit
ist Systemkritik.
Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt ein Arbeitsloser, wenn er nach Schuldigen für seine Lage
sucht. Und dafür gibt die Politik die Richtung vor: alle demokratischen Parteien präsentieren die
Arbeitslosigkeit als ein „Problem“, das sie nicht etwa herstellen, sondern mit dem sie konfrontiert
sind und an dessen „Lösung“ sie sich mit Engagement arbeiten. Sie geben die Richtung vor, Ar-
beitslosigkeit nicht als Systemfrage, sondern als Frage der politischen Führung zu nehmen. Dann
kommt ein Arbeitsloser dazu, mangelnde Führung für seine Notlage verantwortlich zu machen: da
versagen Unternehmer genauso wie Politiker an der Aufgabe, für Arbeit zu sorgen; sie handeln
undeutsch, wenn sie an deutschen Arbeitern sparen, während sie Ausländern gestatten, hier zu
arbeiten oder gar Stütze zu kassieren. Die kapitalismusgeschädigten Opfer verlangen dann ausge-
rechnet knallhartes Management und rücksichtslose Führung von der Wirtschaft und dem Staat,
die ihre Notlage verursachen; und sie fordern kompromissloses staatliches Durchgreifen gegen
diejenigen, die wie sie Ausbeutungsmaterial sind, aber nicht den deutschen Pass haben: Ausländer
raus!
Von wegen also, Arbeitslosigkeit ist der „Nährboden des Rechtsextremismus“ - genauso gut ist sie
der Anlass zu linker Kapitalismuskritik. Dass kapitalismusgeschädigte Opfer Rechtsextreme wäh-
len, ist keine zwangsläufige Reaktion auf ihre „sozialen Lage“, sondern Konsequenz ihres Staats-
bürgerbewusstseins: die demokratischen Parteien haben ihr Volk erfolgreich politisiert und aus
vaterlandsfeindlichen Proleten treue deutsche Bürger gemacht, so dass ausgerechnet Arbeitslose
und Sozialopfer ein Bekenntnis zum deutschen Staat und den Ruf nach politischer Führung her-
vorrufen. Die von Demokraten so geschätzte Staatsbürgertugend des Nationalismus, pardon Pat-
riotismus, ist der „Nährboden“ des von ihnen dann inkriminierten (Neo-)Faschismus.

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c) Der politisierte Untertanenverstand, der Arbeitslosigkeit und Verarmung durch ökonomische
Krise und politische Sozialreformen dem Versagen der verantwortlichen Politiker anlastet und
nach echt deutscher Führung verlangt, gilt hierzulande als eine keiner weiteren Beachtung werte
Selbstverständlichkeit. Das ist kein Wunder. Schließlich wollen die demokratischen Parteien das
von ihnen erzeugte Staatsbürgerbewusstsein nicht kritisieren, sondern ausnutzen: die Regierung als
Aufforderung zu noch entschlossenerem Regieren, die Opposition als Beweis, dass die Regierung
versagt und vom Volk bei der nächsten Wahl von der Regierung ab- und sie in sie hineingewählt
werden muss. Solange die politisierten Untertanen nach einer starken Führung rufen und gegen
Ausländer nur schimpfen, ist für SPD/Grüne und CDU/CSU die demokratische Welt in Ordnung;
dann artikulieren sie nämlich ihre Unzufriedenheit in der in der Demokratie einzig vorgesehenen
Art und Weise, als bloße Meinung, die von Politikern tatkräftiges Regieren verlangt, und als
Wahlstimme, die eine der demokratischen Parteien ermächtigt. In Unordnung gerät für Demokra-
ten die Welt, wenn größere Volksteile (nämlich exakt über 5% der Wähler) rechtsextreme Parteien
wählen.
d) Fazit: Was kann man dem Streit über die Erfolge der Rechtsextremen zwischen rot-grüner Re-
gierung und christlicher Opposition entnehmen?
Den behaupteten Automatismus von Krise, Arbeitslosigkeit und Faschismus gibt es nicht. Für die
demokratischen Parteien, die bürgerliche Öffentlichkeit inklusive der Geistes- und Sozialwissen-
schaften aber ist er das Standardargument für die Erklärung der Erfolge von Nationalsozialisten
und Rechtsradikalen.
Selbstverständlich ist der Schluss von der sozialen Notlage auf eine wirklich souveräne und ganz
deutsche Führung erstens nur für politisierte Untertanen, denen es zur staatsbürgerlichen Natur
geworden ist, aus der praktischen Abhängigkeit von der politischen Herrschaft ein theoretisches
Bekenntnis zu ihr machen, zweitens für die Profis der demokratischen Parteienkonkurrenz, welche
sich als das im Gegensatz zu den rechtsextremen „Rattenfängern“ realistische, weil erfolgsver-
sprechende Angebot an den Nationalismus ihrer Untertanen präsentieren, und drittens für die pro-
fessionellen Beobachter in Öffentlichkeit und Wissenschaft, die den politisierten Untertanenvers-
tand als Inbegriff staatsbürgerlicher Vernunft preisen.
Die Lehre, die SPD und Grüne aus den „Weimarer Verhältnissen“ ziehen, lautet: Die demokrati-
schen Parteien müssen sich einig sein, dass sie die Regierung nicht schlecht reden und ihr nicht die
Verantwortung für Krise und Arbeitslosigkeit in Deutschland anhängen; davon profitieren am
Ende nur die Rechtsextremen. Angesichts von Krise und Arbeitslosigkeit braucht es weniger
Streit, erst recht keinen Protest, dafür aber mehr Bekenntnis zu Krisenbewältigung und Sozialre-
formen der Regierung und Einsicht in die dafür erforderlichen Opfer. Dann besitzen die kapita-
lismusgeschädigten Opfer die nötige staatsbürgerliche Moral und leiden auch nicht an „Perspektiv-
losigkeit“, die rechtsextreme Parteien ausnutzen können. Die Lehre, die Demokraten aus Erfolgen
von Rechtsextremen ziehen, lautet: NPD und DVU verurteilt man praktisch zum Misserfolg, in-
dem man sich unisono als die erfolgreicheren Sachwalter Deutschlands und des Nationalismus
seiner Bürger präsentiert. Demokraten können Faschisten nicht kritisieren, sondern wollen sie
überflüssig machen.
Gestern: Was hat der deutsche Faschismus mit der Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit zu
tun?
Was für eine nationale Lage haben die deutschen Faschisten vorgefunden? (Vgl. Hecker, Konrad;
Der Faschismus, München 1996, S.29f)
a) Deutschland hat einen Weltkrieg verloren. Die Siegermächte diktieren ihm einiges an Unkosten
und an Einschränkungen seiner Souveränität (Gebietsabtretungen, Reparationen, Demilitarisie-
rung, Besetzung des Rheinlandes); die Nation vollzieht die ihr eigentümliche Selbstkritik, indem
sie das Kaiserreich ab- und die Weimarer Republik herschafft – und die demokratischen Parteien
von SPD über Zentrum bis zur Nationalpartei konkurrieren um die Wiederaufrichtung und Rehabi-
litation der Nation. Die politischen und ökonomischen Anstrengungen des Auslands richten sich
gegen die Anstrengungen Deutschlands, ein nationales Wirtschaftswachstum zu erzielen und die
ökonomischen Erträge des Kapitals frei für die Steigerung des politischen Einflusses in der Welt
zu nutzen. Eine Weltwirtschaftskrise sorgt für rote Zahlen in den Geschäftsbilanzen, die dazugehö-
rige wachsende Zahl von Erwerbslosen und für allgemeine Sparsamkeit bei der Bezahlung von
Leuten, die auf Lohn angewiesen sind. Die demokratischen Regierungen bemühen sich nach Kräf-
ten, das Volk für die fällige Korrektur gerade stehen zu lassen, die sie einerseits an den Resultaten
des Waffengangs – Stichwort „Versailles“ -, andererseits an denen der Konkurrenz im Geschäfts-
leben vornehmen wollen. Dabei lassen sie die Betonung der Zuständigkeit der jeweiligen Führung
für die Misserfolge der Nation schon aus Gründen der Konkurrenz um Parlamentsmandate und
Regierungsmacht nicht zu kurz kommen und pflegen den Nationalismus, der nun in demokrati-
schen Wahlen zu seinem organisierten Recht kommt (und den Hurrapatriotismus auf Kaiser und
Reich ablöst), nicht zu knapp. Die Parteien der Weimarer Republik betören also ihr Wählervolk

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mit der demokratischen Litanei, allein die richtige Führung im Staat könnte seinen Enttäuschungen
– den materiellen Einschränkungen wie den ideellen Entbehrungen der Nachkriegsschmach –
gerecht werden.
b) Und diese Praxis der Politik der Weimarer Republik hat Erfolg gehabt. Allerdings bestand die-
ser Erfolg nicht in der Erfüllung des demokratischen Traums von der sozialfriedlichen Regelung
sämtlicher Gegensätze und der gedeihlichen Benutzung der Opfer unter der Leitung einer in allen
nationalen Grundsatzfragen einigen politischen Führungsriege, die einem modernen Klassenstaat
Macht und Größe unter seinesgleichen verschafft. Er bestand im Erstarken und Sieg einer faschis-
tischen Bewegung und Partei.
Was also haben Hitler und die Nationalsozialisten aus der vorgefundenen nationalen Lage ge-
macht?
a) Die Faschisten haben den demokratischen Staat der Weimarer Republik am Idealismus der
Nation gemessen, die deutschen Reichtum wie deutsche Größe vermisste, und dafür den Zuständi-
gen auch die Schuld zuwiesen. Hitler und die NSDAP haben die zentrale Ideologie (man kann
auch sagen Lüge) demokratischer Politik, der Dienst des Volks sei der Garant des nationalen Er-
folgs und damit auch zumindest des ideellen Lohns der Untertanen, nicht bloß wie alle demokrati-
schen Konkurrenten um Macht für ihren Wahlerfolg bemüht, sondern gegen alle Demokraten in
Amt und Würden gekehrt. Sie haben die Resultate des Außenhandels, des Arbeitsmarktes, der
Geld- und Kreditgeschäfte gewogen und erstens für zu leicht befunden; zweitens aber deren staat-
lichen Verwaltern vorgerechnet, dass sie durch verantwortungslose Schwäche gegenüber äußeren
wie inneren Gegnern der Nation (die imperialistischen Konkurrenten USA, Frankreich und Eng-
land; von Kommunisten bis hin zum internationalen Judentum) für diesen desolaten Zustand der
Nation verantwortlich seien, also die Schande selbst heraufbeschworen hätten. Hitler und die
NSDAP warben und kämpften für den rechten Gebrauch der Macht, durch den sie die Nation von
sämtlichen Schranken zu befreien versprachen. Und dieser Idealismus der Staatsgewalt verfing
nicht nur bei großen Teilen des Volkes, sondern schließlich auch noch bei professionellen Vertre-
tern der deutschen Größe aus dem demokratischen Lager, die Hitler für Idioten und Gegner hielt.
b) Die Faschisten haben sich also nicht darauf verlassen, dass die Weimarer Verhältnisse - das
Kombinat aus in einem Weltkrieg verlorener Größe, Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit –
ihnen automatisch Zulauf und Wahlerfolge bringen. Sie haben für ihre Sicht der Weimarer Ver-
hältnisse agitiert und damit Erfolg gehabt. Die bekämpften Demokraten haben es ihnen dabei
leicht gemacht, schließlich konnten sie bei ihrer faschistischen Überzeugungsarbeit auf die demo-
kratische Willensbildung bauen, die dem deutschen Volk nach der Weltkriegsniederlage die natio-
nale Moral beigebracht hat, es leide unter der mangelnden Größe der Nation, an der unfähige bis
schwache Politiker und die äußeren und inneren Feinde schuld seien.
Wie genau haben die Faschisten über Versailles und Wirtschaftskrise agitiert?
„Jawohl, dazu kann ein solcher Friedensvertrag dienen. In der Maßlosigkeit seiner Unterdrü-
ckung, in der Schamlosigkeit seiner Forderungen liegt die größte Propagandawaffe zur Wieder-
aufrüstung der eingeschlafenen Lebensgeister der Nation... Man hat alles versäumt und nichts
getan. Wer will sich nun wundern, wenn unser Volk nicht so ist, wie es sein sollte oder sein könn-
te? Wenn die andere Welt in uns nur den Büttel sieht, den willfährigen Hund, der dankbar nach
den Händen leckt, die ihn vorher geschlagen haben.“ (Hitler, Mein Kampf, S.715)
„Wenn dann diese oft seelenguten braven Menschen in ihrer politischen Betätigung dennoch in
die Reihen der Todfeinde unseres Volkstums eintraten und diese so schließen halfen, dann lag dies
daran, dass sie ja die Niedertracht der neuen Lehre (des Marxismus) weder verstanden noch ver-
stehen konnten, dass niemand sonst sich die Mühe nahm, sich um sie zu kümmern, und dass end-
lich die sozialen Verhältnisse stärker waren als aller sonstige etwa vorhandene gegenteilige Wille.
Die Not, der sie eines Tages so oder so verfielen, trieb sie in das Lager der Sozialdemokratie doch
noch hinein... Man lehnte da alles ab: die Nation als eine Erfindung der ‚kapitalistischen“ – wie
oft musste ich dieses Wort hören! – Klassen; das Vaterland, als Instrument der Bourgeoisie zur
Ausbeutung der Arbeiterschaft; die Autorität des Gesetzes als Mittel zur Unterdrückung des Prole-
tariats...“ (Hitler über das Wiener Proletariat in: Mein Kampf, S. 47/41)
Hitler verlässt sich nicht darauf, dass der der Nation auferlegte Friedensvertrag wie auch die Ar-
beitslosigkeit die Massen zwangsläufig in die „Bahnen nationalistischer Reaktionen“ treiben wür-
de. Ohne dass man den Massen die richtige Botschaft dazu bringt, erzeugt die Tatsache „Versail-
les“ eher eine nationale Stimmung der Ohnmacht. Und die Armut der arbeitenden Bevölkerung
treibt diese eher in die Arme der Sozialdemokraten und Kommunisten. Also ist angesichts von
Kriegsniederlage und Wirtschaftskrise die Schuldfrage neu aufzumachen.
„Denn ich halte es für wichtig, vor allem mit der Auffassung der Weltbedingtheit unseres Schick-
sals grundsätzlich zu brechen. Es ist nicht wahr, dass unsere Not ihre letzte Ursache in einer Welt-
krise, in einer Weltkatastrophe hat, sondern richtig ist, dass wir in eine allgemeine Krise hineinge-

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rieten, weil bei uns von vorneherein gewisse Fehler gemacht worden sind. Ich kann nicht sagen:
‚Nach fast allgemeiner Auffassung ist der Friedensvertrag von Versailles die Ursache unseres
Unglücks’... Nein durchaus nicht ‚nach fast allgemeiner’, sondern nur nach Auffassung derjeni-
gen, die mitschuldig sind an seiner Abschließung... Ich muss also feststellen, dass auch in
Deutschland eine unbedingte Schuld an diesen Vorgängen vorhanden sein muss, wenn ich über-
haupt glauben will, dass das deutsche Volk noch Einfluss auf den Wandel dieser Verhältnisse
ausüben könne... So sehe ich denn das Mittel des deutschen Wiederaufstiegs im Unterschied zu
unserer offiziellen Regierung nicht im Primat der deutschen Außenpolitik, sondern im Primat der
Wiederherstellung eines gesunden, nationalen und schlagkräftigen deutschen Volkskörpers.“ (Hit-
ler, Rede vor dem Industrieklub in Düsseldorf, 27.01.1932)
Mit Ursachenforschung ist diese Polemik gegen die „Weltbedingtheit“ des nationalen „Unglücks“
nicht zu verwechseln. Sie ergibt sich ais dem nationalsozialistischen Programm, das Hitlers dem
deutschen Reich für seinen Wiederaufstieg in den erlauchten Kreis der imperialistischen Mächte
verordnen will: im Unterschied zu den imperialistischen Ambitionen der Weimarer Demokraten
weder mit den Mitteln einer berechnenden „Erfüllungspolitik“ noch mit denen einer ökonomischen
Konkurrenz der Nationen, sondern mit der Eroberung neuen „Lebensraums“ für die Nation. Weil
er aus eigener Kraft heraus die Staatsnot wenden wollte, musste es im Land selbst Schuldige für
den ausgebliebenen Erfolg der Nation geben. Und weil er kein anderes Mittel zur Änderung der
Lage kannte und hatte als die Potenzen seines Volkes, bestand für Hitler das Versäumnis seiner
demokratischen Widersacher darin, die „Lebensgeister“ in der Bevölkerung nicht mobilisiert zu
haben.
In deutlichem Gegensatz also zur politischen Themenvorgabe der Weimarer Demokratie war für
Hitler weder der Friedensvertrag von Versailles noch die für Deutschland sich besonders negativ
auswirkende Weltwirtschaftskrise das nationale Problem Nr.1, sondern eben das, was die bürgerli-
che Politik aus dieser Problemlage gemacht oder besser: nicht gemacht hatte. Darin sah er den
Ansatzpunkt einer massenwirksamen Agitation, indem er auf das – heute würde man sagen –
„Hausgemachte“ der nationalen Affären deuten wollte. Auf diese Weise will Hitler im Inneren der
Nation mit dem Kampf gegen die für diese Lage Verantwortlichen die notwendigen Vorausset-
zungen für das Auftreten nach außen zu schaffen.
So geht im Faschismus der bruchlose Übergang von Weltkriegsniederlage und Weltwirtschaftskri-
se zur Säuberung des Volks von inneren Feinden und zum Krieg gegen die äußeren Feinde.
Heute: Wie Neofaschisten Arbeitslosigkeit und Hartz IV kritisieren?
Dass die Massenarbeitslosigkeit und die „größte Sozialreform seit Bestehen der Bundesrepublik“
das deutsche Volk verarmt, ist eine Tatsache, ebenso die Unzufriedenheit der Betroffenen. Der
Reim, den sich die Betroffenen auf ihre Verarmung machen bzw. machen sollen, ist damit nicht
determiniert; die Angebote reichen von „Sozialreform muss sein, denn sozial ist, was Arbeit
schafft“ (SPD) und „Absolut nötig, aber noch nicht weit genug.“ (CDU/CSU) über „Soziale Ge-
rechtigkeit statt Massenarmut“ (PDS) bis hin zu „Arbeit für Deutsche“ (NPD). Letztere Parole war
für fast 10 Prozent der Wählerstimmen in Sachsen gut.
„Zum 1. Januar 2005 findet der größte soziale Raubbau unserer Nachkriegsgeschichte statt. Mit
der Zusammenlegung von Arbeitslosen – und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II werden Arbeits-
lose zu Sozialhilfeempfängern gemacht und systematisch in die Armut getrieben. Knallhart werden
untertariflich bezahlte Arbeitslose, die sich an jedem Ort zu jedem Preis verkaufen müssen, gegen
die noch in Lohn und Brot stehenden Erwerbstätigen ausgespielt. Wir brauchen eine Politik, die
Arbeit für Deutsche schafft!... Wir fordern die Rückführung der hier lebenden Ausländer in ihre
Heimat. Jeder beschäftigte Ausländer, der nach Hause geht, macht einen Arbeitsplatz für Deut-
sche frei. Jeder ausländische Sozialhilfe-Empfänger, der geht, liegt dem deutschen Sozialsystem
nicht länger auf der Tasche... Diese Agenda 2010 ist das Produkt einer volksfremden und interna-
tional ausgerichteten Politik des BRD-Apparates. Deutschland wird nicht sozialreformiert, son-
dern nach dem Willen der Konzerne kapitalistisch transformiert.“ (www.sachsen.npd.de)
a) Drastisch malt die NPD die Not der von den Sozialreformen Betroffenen aus (größter sozialer
Raubbau, systematisch in die Armut getrieben...), die sich in einem Missstand zusammenfasst: als
Deutsche leiden die Hartz-IV-Opfer Not. Für Rechtsextreme ist der Skandal, dass deutsche Be-
schäftigte und Sozialopfer und ausländische gleichermaßen betroffen werden, dass der deutsche
Staat bei seinen Sozialreformen nicht zwischen seiner angestammten Manövriermasse und seinen
aus dem Ausland geholten Menschenmaterial unterscheidet. Da spielt es keine Rolle, dass die
bösen Ausländer genauso schlecht behandelt werden wie ihre deutschstämmigen Klassenbrüder
und demselben „sozialen Raubbau“ ausgesetzt sind, der eben noch angeprangert worden ist. Das
Schlimme an Arbeitslosigkeit und Verarmung ist nicht, dass es sie gibt, sondern dass ein paar
Volksfremde davon verschont bleiben. Umgekehrt: wenn man wenigstens keinen Ausländer mehr
zu Gesicht bekommt, der auf einem Arbeitsplatz hockt, den ein Deutscher nicht kriegt, dann wäre
die Welt schon wieder in Ordnung. Die soziale Anklage ist nichts als Material für die nationale

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Beschwerde, darauf zu bestehen, dass wenigstens bloß Deutsche in den Genuss von Ausbeutung
und sozialpolitisch betreutet Armut gelangen.
b) Die Rechten malen gar kein Ideal einer Volksgemeinschaft aus, die mit rasserein deutschen
Proleten und Sozialhilfeempfängern wunderbar harmonisch funktionieren würde. Das geht nega-
tiv: Die Ausgrenzung derer, die auf alle Fälle nicht dazugehören, was man schon daran erkennt,
dass sie nicht mit einem deutschen Pass auf der Glatze geboren sind, steht dafür, dass innerhalb
der dicht gemachten Grenzen der Kapitalismus zur Idylle wird. Die Grenzen nicht dicht gemacht
zu haben, ist der eigentliche Vorwurf der Neofaschisten an die Bundesregierung mit ihrer Agenda
2010. Weil sie den rechten Fanatismus der Ausgrenzung nicht bedient, wird der Staat zum „BRD-
Apparat“ und Büttel internationaler Konzerne, die als vaterlandslose Gesellen doch glatt deutsche
und ausländische Lohnarbeiter ausbeuten.
c) Mit der Parole „Deutschland den Deutschen“ sind die Neofaschisten gar nicht so weit weg von
demokratischen Innenpolitikern wie Schily und Beckstein, die der Überfremdung entgegenarbeiten
und zwischen den „Ausländern, die uns nutzen und denjenigen, die uns nur ausnutzen“, unter-
scheiden. Unerträglich ist die rechte Ausländerfeindschaft für die regierenden und oppositionellen
Demokraten, weil die Neofaschisten damit erstens die über jeden Zweifel erhabenen, weil für den
wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands nötigen Sozialreformen der Regierung angreifen, zweitens
ausgerechnet den regierenden Schilys und Becksteins Pflichtvergessenheit in Sachen Begrenzung
und Kontrolle der Ausländer vorwerfen, sich drittens mit ihrer patriotischen Polemik gegen eine
Etikette der deutschen politischen Moral vergehen, nämlich die von allen demokratischen Parteien,
also auch den C-Gruppen geteilte Manier, das Ausgrenzende am Nationalismus - die Ausländer-
feindlichkeit, an die sie appellieren, wenn sie vor Überfremdung warnen, gegen Multikulti polemi-
sieren und vor den Türken in der EU warnen – zugleich zu dementieren; und viertens, dass sie mit
ihrer Ausländerhetze beim Wahlvolk gut ankommen, deutlich oberhalb der 5 %-Hürde abschnei-
den und den Christdemokraten ihr Monopol auf nationalistische Wählerstimmen streitig machen.
d) Die Lehren, die demokratische Parteien aus den Wahlerfolgen der Rechtsextremen ziehen, lau-
ten: erstens, die wahre Heimat für alle Wähler, die die Überfremdung Deutschlands für den Skan-
dal halten, sind CDU/CSU, aber auch Schilys SPD; und zweitens, am besten den nationalistischen
Wählern gar nicht mehr die Gelegenheit geben, NPD und DVU zu wählen. Ein Parteiverbot ist für
demokratische Parteien das schlagendste Argument gegen die Wahlerfolge von Neofaschisten, aus
dem nationalistischen Bewusstsein deutscher Wähler Kapital zu schlagen.
Vergleich von Gestern und Heute: Der imperialistische Erfolg der deutschen Demokratie
macht Faschismus überflüssig
Was ist Identität, was Differenz von Deutschland im Jahr 1933 und 2005?
a) Damals: Politiker und die Mehrheit des Volks leiden unter der Krise Deutschlands, i.e. Kriegs-
niederlage (=imperialistische Konkurrenten halten gewaltsam den Weltmachtanspruch Deutsch-
lands nieder) und Wirtschaftskrise (=Deutschland bereichert sich nicht am Weltmarkt, sondern ist
auch dort Verlierer); Faschisten treten gegen die „Unfähigkeit“ der demokratischen Parteien an,
die deutsche Weltmacht wieder herzustellen. Argument: Wenn der Wiederaufstieg Deutschlands
eine Frage der politischen Führung ist, wie auch die Weimarer Demokraten behaupten, dann muss
aber endlich Schluss sein mit dem demokratischen Geschacher und kleinkarierten Parteiengezänk,
eine wirkliche nationale Führung muss her. Arbeitslosigkeit und Massenelend als Indiz für die
nationale Katastrophe und die Bedrohung der Nation – durch äußere Feinde, vor allem auch durch
innere, die vaterlandslosen Kommunisten (mit den Juden dahinter). Faschisten bieten sich an als
Retter der Nation gegen Bolschewismus und internationales Judentum – und werden von der herr-
schenden Klasse (Politik, Wirtschaft, Militär) der Weimarer Republik dafür geschätzt und prote-
giert. Dies entscheidender Unterschied zu heute, dass damals noch ein klassenbewusstes Proletari-
at existierte, das für eine sozialistische Revolution statt nationaler Machtentfaltung kämpfte.
Und das von heutigen Demokraten gegen die Faschisten angeführte (Misserfolgs-)Argument –
Hitler hat Deutschland in die Katastrophe geführt – gab es damals nicht: eher umgekehrt, konnten
doch die Faschisten den Demokraten der Weimarer Republik vorwerfen, sie hätten Deutschland im
Ersten Weltkrieg mit ihrem Dolchstoß den Feinden ausgeliefert und in die Niederlage geführt.
b) Heute: Politiker und Volk leiden auch wieder unter einer Krise, aber die ist etwas anders gela-
gert als damals: Deutschland ist eine globale Ordnungsmacht (Spätestens „seit der Wiedervereini-
gung zwingt uns das gewachsene weltpolitische Gewicht, mehr Verantwortung auf dem Globus zu
übernehmen“ – so präsentiert sich heute ein Imperialismus, der den Wiederaufstieg vom Welt-
kriegsverlierer zu einer Weltmacht der zweiten Garde bewerkstelligt hat) und eine der sieben füh-
renden Weltwirtschaftsmächte. Die fünf Millionen Arbeitslosen heute gelten den demokratischen
Parteien als Indiz, dass Deutschland zu wenig Wirtschaftswachstum und zu wenig Erträge aus dem
internationalen Geschäft zieht, und sie gelten als Auftrag, durch die Verbilligung des arbeitenden
Volkes dafür zu sorgen, dass Deutschland in der internationalen Konkurrenz wieder einen Spit-
zenplatz einnimmt, die deutsche Wirtschaft wieder wächst und entsprechend Macht und Hand-

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lungsfreiheit des Staates. Verarmung durch die Agenda 2010 gilt als Hebel des Wachstums und
der Konkurrenzfähigkeit der Nation auf dem Weltmarkt. Es steht also kein nationales Notstands-
programm an, wie die Faschisten es für unabdingbar gehalten haben. Und erst recht gibt es in der
deutschen Demokratie keine kämpferische Arbeiterklasse mehr, so dass sich heutige Neofaschisten
als Retter Deutschlands gegen den Kommunismus präsentieren können wie damals Hitler mit
seiner NSDAP gegen den Bolschewismus. Heute stehen die Rechtsextremen von NPD und DVU
als Ewig-Gestrige da, weil sie gegen die Interessen einer im inneren gefestigten und nach außen
erfolgreichen Nation stehen.
c) Die demokratischen Parteien heute können im Unterschied zu ihren Vorgängern in der Weima-
rer Republik sagen, die Opfer der Bevölkerung für die Krisenbewältigung zahlen sich aus – für
Wirtschaft und Staat ebenso wie für die krisen- und sozialreformgeschädigten Massen, die den
ideellen Lohn genießen dürfen: Stolz, Mitglieder einer führenden Nation zu sein.
d) Die Neofaschisten haben es einerseits leicht, andererseits schwer mit ihrer Agitation, der ideelle
Lohn für den deutschen Bürger sei erst dann perfekt, wenn Deutschland ausländerfrei ist und ganz
den Deutschen gehört: Leicht haben es NPD und DVU, weil der Stolz, ein Deutscher zu sein, von
allen demokratischen Parteien gepflegt und geschätzt wird und deswegen beim Wahlvolk verfängt,
schwer haben sie es, weil ihr Konzept des ausländerfreien Deutschlands konträr zum Erfolgsweg
der deutschen Nation liegt. Solange die etablierten Parteien, Öffentlichkeit und Wahlvolk sich
darüber einig sind, dass Deutschlands Erfolg über den Weltmarkt und über Europa führt und die
Opfer, die sie dem Volk dafür abverlangen, sinnvoll sind, solange bleiben Neofaschisten eine
radikale Minderheit im demokratischen Gemeinwesen, „aus deren fruchtbaren Schoß sie krie-
chen“, um eine literarische Formulierung von Bertolt Brecht zum Abschluss zu zitieren.