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Rabehls Danubia-Rede zur Lage der Nation: Wo bleibt die Kritik?

Ein inhaltsloser Streit

Herr Rabehl steht ganz in der demokratisch-nationalistischen Traditionslinie; er ignoriert die Existenz von Klassen, verschweigt die sich daraus ergebenden Gegensätze und permanenten Kämpfe. Entsprechend haben in seiner Deutung der Studentenbewegung Klassenkämpfe keinen Platz: Kein Wort zum Pariser Mai, den italienischen Ereignissen, den Septemberstreiks in Deutschland. Die nationale Sichtweise läßt die wachsende proletarische Orientierung der ‘68er unsichtbar werden.

Inhaltlich hat der Streit um die Danubia-Rede Bernd Rabehls bislang jedenfalls nicht viel zu bieten gehabt. Die Kritik richtet sich in erster Linie auf äußere Umstände. Einwände werden u.a. gegen den Ort und den Veranstalter vorgebracht: Vor der politisch rechts stehenden Münchner Burschenschaft Danubia, wie überhaupt mit Nationalisten dürfe nicht geredet werden. Auch die Verbindung zu dem ins rechte Lager gewechselten Horst Mahler stößt auf Ablehnung. Schließlich wird beanstandet, daß die Rede Rabehls in der als nationalistisch geltenden Jungen Freiheit unter dem Titel “Ein Volk ohne Kultur kann zu allem verleitet werden“ publiziert worden sei. Ein mehrfacher Tabubruch also, der nicht geduldet werden könne.
Einige ehemalige SDS-Mitglieder sind empört, daß Rabehl der Studentenbewegung nachträglich einen “nationalrevolutionären Charakter“ angedichtet habe. Sie weisen in ihrer gemeinsamen Erklärung “Nationalisten waren wir nie!!“ die “nationalistischen Erklärungsmuster“ ihrer eigenen Geschichte “mit aller Entschiedenheit“ zurück. Zur nationalen Frage selbst, um die es in der Rede geht, haben die ehemaligen Mitstreiter nichts Kritisches anzumerken.
Andere empören sich über das völkisch-nationale Argumentationsmuster und sehen darin einen Beleg, daß Rabehl ins “faschistische Lager“ übergelaufen sei.
Wir halten all diese Proteste für nebensächlich, oberflächlich und halbherzig. Wir haben keine Lust, wie Demokraten gewohnt sind zu tun, den Nationalismus in seiner völkischen Form zu verwerfen, um ihn dann in seiner demokratischen Gestalt umso mehr zu stärken. Wir sind gegen alle Voraussetzungen, welche die Menschen feindlich in Nationen spalten. Diese gehören ausgeräumt zu werden. Ob Rabehl bereits völkischer oder noch demokratischer Nationalist ist, soll deshalb nicht der Streitpunkt sein.

Nation als Mittel zur Stärkung des Staates ...

Rabehl hat sein nationales Anliegen dem Kern nach klar und mit bemerkenswerter Offenheit formuliert. Als staatlich bestellter Denker gilt seine Sorge ganz dem Wohlergehen seines Staates, den er zur Durchsetzung der Staatszwecke sowohl nach innen hin als auch nach außen stärken will. Als Mittel dafür sieht er die Nation. Dieses Mittel muß, um tauglich zu sein, entsprechend hergerichtet werden. Aus dem Land der Dichter und Denker kommend und selbst mit Kulturproduktion beschäftigt, fällt unserem Mann in erster Linie die Kultur ein.

...sowohl nach außen....

Für ihren angeblichen Beitrag zur Stärkung der staatlichen Souveränität nach außen lobt Rabehl die Studentenbewegung, die den “Keim eines national-revolutionären Aufbruchs“ gelegt habe, um die “Hegemonie der Großmächte zu untergraben.“ (Danubia-Rede) Wir wollen hier nicht prüfen, ob dies tatsächlich die Zwecke waren. Es gilt hier nur festzuhalten, daß Rabehl heute wehmütig auf eine nationale Neuerungsbewegung zurückblickt: “1966 mußten die Amerikaner alle Pläne aufgeben, Bundeswehr nach Vietnam zu schicken. Jetzt kann deutsches Kanonenfutter wieder eingesetzt werden.“(ed.)

... als auch nach innen.

Mehr Selbstbewußtsein nach außen hin, aber auch mehr innere Stärke soll der deutsche Staat erhalten. In seiner Sorge um die innere Sicherheit unterscheidet sich der akademische Staatsdiener kaum von den offiziellen Verfassungsschützern.
Rabehl sagt: "Nicht primär die Asylanten und Flüchtlingsströme bedrohen den ethischen und moralischen Zusammenhang der zentraleuropäischen Völker, sondern der Import der Partisanenfraktionen der internationalen Bürgerkriege und Kriegsschauplätze. ... Die Bürgerkriegskonstellationen werden hineingetragen in die jeweils europäischen und nationalen Gemeinschaften. Mit dieser ‘Besetzung' gehen Hand in Hand illegale Geschäfte, Drogenhandel, Bestechung, Korrumpierung von Polizei und Behörden...Im Fall Öcalan hat der deutsche Staat bereits kapituliert. Auf Barrikadenkämpfe, brennende Autos, Krawalle... sind Polizei und Bundesgrenzschutz, Justiz, aber auch die neue Regierung nicht vorbereitet." (Danubia-Rede)
Der Verfassungschützer sagt: "Probleme bereiten solche Ausländer, die Konflikte aus ihren Heimatländern bei uns austragen...Die innere Sicherheit Deutschlands wird durch extremistische und terroristische Ausländergruppen bedroht, die mit ihren Aktivitäten im Bundesgebiet vor allem auf politische Vorgänge in den jeweiligen Herkunftsländer reagieren...Die Fähigkeit der PKK, Massen zu mobilisieren, zeigen sich, als die Organisation zahlreiche Solidaritätsaktionen und Kundgebungen für Öcalan durchführte. Die herausragende Organisationskraft und jederzeit aktivierbare Gewaltbereitschaft der PKK stellen eine unverminderte Gefahr für die innere Sicherheit dar.... Es wird nicht zugelassen, daß Konflikte aus den Herkunftsländern in Deutschland ausgetragen werden. Deshalb beobachtet der Verfassungschutz diese Gruppen, und deshalb sind mit Hilfe des Verfassungsschutzes schon etliche Verbote ausländischer Organisationen verhängt worden." (Verfassungschutzbericht 1998)

Herrichtung der Nation durch Kultur

Staatsschützer Rabehl bietet natürlich kraft seiner Profession andere Dienste an als derartige Schnüffel- und Polizeiaktionen. Für einen Ideologieproduzenten liegt es da viel näher, die verlorengegangene Staatlichkeit durch kulturelle Maßnahmen herzustellen.
Seine zentrale These, die völlig zu Recht von der Jungen Freiheit als Titel auserkoren worden ist, lautet deshalb: “Ein Volk ohne Kultur kann zu allem verleitet werden.“ Und weiter heißt es: “Dort, wo Völker keinerlei Kultur und Identität mehr besitzen, ist keine Entscheidung zum Kurswechsel möglich. Agonie und Anomie sind angesagt.“ Lang ersehnte akademische Würden winken hier bei dem Herrichten der “nationalen Identität“.
Die Aufgabe besteht darin, solche Gemeinsamkeiten zu formulieren, mit denen sich das Volk identifizieren kann. Als Konstitutionsmerkmale der Nation kommen neben der Kultur, die von Rabehl in den Vordergrund gerückt wird, auch biologische Gemeinsamkeiten (Rasse/Blut) bzw. territoriale Merkmale in Betracht.

Die Nation - eine Angelegenheit des Kapitals, nicht der Arbeiter

Die Identifikation mit solchen Merkmalen vollzieht sich nicht spontan, wie die Nationalisten glauben, sondern wird hergestellt durch die Produzenten der öffentlichen Meinung. Wer über die Mittel der materiellen Produktion verfügt, disponiert selbstverständlich auch über die Mittel zur geistigen Produktion. Zu den Eigentümern und Disponenten der Produktionsmittel gehören nicht die abhängig Beschäftigten, die mehr als 90% des Volkes ausmachen, sondern die Unternehmer, Couponschneider, Großspekulanten etc. Diese ökonomisch herrschende Klasse besitzt zugleich die politische und ideologische Macht. Sie versucht, mit Hilfe der Meinungsproduzenten ihr Klasseninteresse als allgemeines Volksinteresse darzustellen. Die Nation bildet eine Form der so produzierten Gemeinsamkeit, unter die der schmutzige Krämergeist kunstvoll verborgen wird.

Nation/Nationalismus

Je größer die Ziele sind, die der Staat durchsetzen will, umso mehr ist er auf das Mitmachen seines Volkes angewiesen. Im Krieg tritt daher das nationale Element besonders grell hervor.
Zur persönlichen Bewältigung der schmerzlichen Kriegsopfer ist eine nationale Sonderbehandlung schon vonnöten. Würden die Soldaten denn sonst mitmachen, wenn ihr Blut nicht für eine besonders ehrenwerte nationale Angelegenheit, sondern schlicht für die Bereicherung von Rüstungsfirmen, für Absatzmärkte, Rohstoffe oder für politische Einflußsphären fließen soll?
Auch die Heimatfront muß in der “Stunde der Gefahr“ möglichst geschlossen hinter dem Staat stehen, und darf auf keinen Fall den Krieg der herrschenden Klassen für die eigenen Interessen nutzen.
Aber auch bei alltäglichen Aufgaben muß ein solcher Dolchstoß mittels der nationalen Identität verhindert werden. So geht es z.B. seit etlichen Jahren um den “Standort Deutschland“, der natürlich ganz im Interesse des kommerziellen Gesindels durch niedrigere Löhne und höhere Profite befördert werden soll. Hier reicht gewiß schon das normale nationale Element aus; der in Friedenszeiten kritisierte “übersteigerte Nationalismus“ bleibt den Perioden des Krieges vorbehalten.
Rabehl ahnt, “daß in Zentraleuropa ein Friedenszeitalter sich dem Ende zuneigt.“ (Danubia-Rede) Er sieht seinen Staat also vor großen Aufgaben. Daher seine Sorge über die Unzulänglichkeiten des einsetzbaren nationalen Mittels und seine Mahnungen, die “nationale Identität“ kulturell herzurichten, um nämlich das Volk zum Mitmachen vorzubereiten.

Klassenkampf statt Volksgemeinschaft

Die Nation als Mittel zur Durchsetzung staatlicher Ziele steht im völligen Gegensatz zum proletarischen Klassenkampf. Erstens wird hier die Gesellschaft als Klassengesellschaft mit antagonistischen Interessen begriffen. Zweitens wird die in der Nation enthaltene Gemeinsamkeit als ideologische Form entlarvt, unter der die herrschende Klasse ihr Interesse als das aller Mitglieder der Gesellschaft darzustellen pflegt. Und drittens wird der Staat generell als die Organisationsform enthüllt, welche sich die Bourgeois zur gegenseitigen Garantie ihres Eigentums und ihrer Interessen sowohl nach außen als auch nach innen hin notwendig geben. Zusammen mit den Klassen müssen auch die Staaten samt allen nationalen Gegensätzen verschwinden.
Diese auf dem Klassenbegriff beruhende Fundamentalopposition gegen die kapitalistische Gesellschaft kann auf der anderen Seite nur eine Konsequenz haben: Feindschaft gegen den Klassenbegriff, gleichgültig ob die bürgerlichen Meinungssoldaten dem völkischen oder demokratischen Nationalismus verpflichtet sind.
Hitler z.B. hatte nichts gegen die Gewerkschaft “als Mittel zur Verteidigung allgemeiner sozialer Rechte des Arbeitnehmers und zur Erkämpfung besserer Lebensbedingungen.“ (Mein Kampf, Erster Band) Er unterschied diese ganz der Volksgemeinschaft angehörende Aufgabe scharf von der “Gewerkschaft als Instrument der Partei des proletarischen Klassenkampfes.“ (ed.)
Herr Rabehl steht ganz in der demokratisch-nationalistischen Traditionslinie; er ignoriert die Existenz von Klassen, verschweigt die sich daraus ergebenden Gegensätze und permanenten Kämpfe. Entsprechend haben in seiner Deutung der Studentenbewegung Klassenkämpfe keinen Platz: Kein Wort zum Pariser Mai, den italienischen Ereignissen, den Septemberstreiks in Deutschland. Die nationale Sichtweise läßt die wachsende proletarische Orientierung der ‘68er unsichtbar werden.
Seine demokratischen Kollegen finden das ganz in Ordnung. Gewiß, sie wollen keine völkische Nationalisten sein, teilen aber deren allgemeine Voraussetzungen, haben nichts gegen die Leugnung der Klassen und deren Kämpfe vorzubringen.
Die damaligen Mitstreiter Rabehls haben ihr rebellisch-antibürgerliches Element abgelegt, sind ebenso etabliert, staatstreu geworden, nur weben sie in demokratisch-herkömmlicher Weise an dem schwarz-rot-goldenen Mantel, der die Klassenfeindschaft umhüllen soll.
Zumindest eines sollten sie, und auch die anderen, die Rabehl Beifall klatschen oder kreuzigt ihn rufen, bedenken: Wer wirklich etwas gegen den Nationalismus hat, muß helfen, die ökonomisch, politisch und ideologisch herrschende Klasse auszuräumen. Die Endlösung der nationalen Frage besteht in der Lösung der Klassenfrage. Wer eine wirkliche Gemeinschaft herstellen will, muß auch den Nationalismus als Mittel des schmutzigen Schacherinteresses ausräumen.

Guenther Sandleben

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