http://www.gegenargumente.at/sonstige_texte/gsp_antwort.htm "Vertritt der GegenStandpunkt ein völkisches Blut- und Bodenprinzip?" GEGENARGUMENTE

Schriftliche Diskussion über Artikel im GegenStandpunkt, Teil 1

"Vertritt der GegenStandpunkt ein völkisches Blut- und Bodenprinzip?"

Ich beziehe mich hauptsächlich auf den Artikel "Neueste Entwicklungen im nahöstlichen Friedensprozeß" im GegenStandpunkt Nr. 2-94.

Vertritt der GegenStandpunkt ein völkisches Blut- und Bodenprinzip? Denn im Artikel ist die Rede von den "Eingeborenen" in den besetzten Gebieten. Die Eindringlinge sind danach die Jüdinnen und Juden, die aber auch schon mehr als 50 Jahre da leben. Wie lange müssen sie da leben, um als "Eingeborene" zu gelten?

Das Bild das über weite Strecken des Textes gezeichnet wird, präsentiert einerseits fanatische Siedler, die von der Armee gedeckt werden und andererseits Palästinenserinnen und Palästinenser die von Siedlern und Armee angegriffen werden. Generell wird der Eindruck vermittelt, daß die Israelis nur Übeltäter und die Araber nur arme, wehrlose Unterdrückte seien.

Daß Israel ein bürgerlicher Staat ist, der sich, wie alle anderen Staaten auch, auf Gewalt gründet, hat niemand bestritten. Deshalb ist der Nachweis der gewaltförmigen Ausrichtung Israels überflüssig.

Die "besetzten Gebiete" heißen deswegen so, weil sie im Krieg 1967 von Israel erobert wurden. Seither sind sie, nach freier Einschätzung des israelischen Staates, Objekt jüdischer Okkupation zwecks Vergrößerung des Bodens, auf dem jüdisches Blut siedelt, um es einmal so völkisch zu formulieren, wie es der Sache entspricht. Seither – nicht "schon mehr als 50 Jahre" – läuft eben in den besetzten Gebieten die Landnahme. Die Eindringlinge in den besetzten Gebieten sind natürlich nicht "die Juden", sondern die jüdischen Siedler, wer denn sonst? Diese Landnahme hat vor etwa 10 Jahren die entscheidende Intensivierung erfahren, als ein Instrument zuerst der Gestaltung und dann der Hintertreibung und Erledigung der Perspektive eines palästinensischen Staates durch die Regierungen des Likud. Die Siedler sind die Aktivisten dieses staatlichen Landgewinnungs- und Vertreibungsprojekts, dabei werden sie vom Staat und von der Armee unterstützt, was Streit zwischen Staatsführung und Siedlerbewegung nicht ausschließt. In diesem Vorgehen setzt der Staat Israel die Besiedlungs- und Vertreibungspolitik fort, mit der die damaligen zionistischen Aktivisten die Staatsgründung im heutigen israelischen Kernland betrieben haben. So geht diese "Umvolkung"; was an der Darstellung ist falsch? Und wer vertritt ein "völkisches Blut- und Bodenprinzip" – der israelische Staat oder der GegenStandpunkt? An diese Fakten zu erinnern ist angebracht, um einer verbreiteten wohlmeinenden Ideologie zu widersprechen, nach der sich im Nahen Osten eine "Spirale der Gewalt" deswegen immer weiter dreht, weil die Konfliktparteien mit dem Drehen an der Spirale einfach nicht aufhören. Dagegen ein klares NEIN: Der "Konflikt" hat sehr wohl einen Gegenstand. Es geht um das Land, ob es zum Territorium eines jüdischen oder eines palästinensischen Staates gehört, welche Personen deswegen in welcher Gegend welche Rechte haben oder nicht haben, und wer es deswegen besiedeln darf – salopp formuliert also, ob es "den Juden" oder "den Palästinensern" "gehört", was natürlich nicht auf die Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden bezogen ist, sondern auf den völkischen Charakter des Staates, um dessen Existenz bzw. um dessen Territorium gekämpft wird.

Die Benennung der Palästinenser als "Eingeborene" bezeichnet die Banalität, daß es sich um die Leute handelt, die in Palästina bzw. in den besetzten Gebieten mehr schlecht als recht leben und die schon länger das Problem haben, für das Staatsgründungs- bzw. Staatserweiterungsprojekt des jüdischen Staates unbrauchbar zu sein, aus völkischen Gründen, weil sie eben keine Juden sind wie die Einwanderer, die der Staat ins Land holt, wg. völkischem Blut- und Bodenprinzip. Auf keinen Fall soll die Bezeichnung "Eingeborene" ausdrücken, die so Angesprochenen hätten ältere Rechte als die jüdischen Einwanderer. Denn Rechte sind nun einmal eine reine, pure Gewaltfrage, und sonst nichts. Ein Mensch hat genau die Rechte, die ihm von der Gewalt, der er unterworfen ist, zuerkannt werden. Das hat mit der Dauer einer allfälligen Anwesenheit an irgendeinem Ort nichts zu tun, sondern folgt ausschließlich dem Interesse der rechtssetzenden Instanz. Der Staat Israel benutzt die jüdischen Bürger als sein Material und unterwirft sie den dafür passenden Rechten und Pflichten. Diesen vollwertigen Bürgern des Staates Israel kommen ihre Rechte auch nicht aufgrund ihrer längeren oder kürzeren Anwesenheit zu – Israel ist ein Einwanderungsland –, sondern wegen des völkischen Standpunkts der überlegenen Gewalt. Weder aus dem Blut noch aus dem Boden folgt in rechtlicher Hinsicht irgend etwas, es sei denn, eine Staatsmacht knüpft an die Anwesenheit, an deren Dauer oder an die Abstammung irgendwelche Rechtsfolgen oder Auflagen – so wie der Staat Israel die Staatsbürgerschaft eben an die Abstammung, also an des Blut knüpft. Die Leute in den besetzten Gebieten haben das Pech, daß sie in den politischen Kalkülen Israels nur negativ vorkommen: Sie hocken auf Land, das nicht nur die Siedlerbewegung als jüdisch ansieht, was durchaus auch in Israel umstritten ist. Sie sind weder israelische Bürger, noch irgendwie reguläre Ausländer, weil das Ausland, dessen Bürger sie sein möchten, israelisches Besatzungsgebiet ist.

Ich kann Dich nicht daran hindern, es in den Artikel hineinzulesen – sein Gegenstand sind aber nicht die "die Israelis" und "die Araber" bzw. die moralischen oder sonstigen Untugenden dieser Kollektive. Der Artikel betreibt definitiv keine Rassen- oder Volkscharakterkunde. Daß auf beiden Seiten dieser Auseinandersetzung um das Land die entsprechenden Feindbilder im Umlauf sind, daß auf beiden Seiten Haß und Hetze kultiviert werden, wie in jedem Krieg, das versteht sich ohnehin von selbst. Der GegenStandpunkt heißt übrigens auch deswegen so, weil er nicht der Auffassung huldigt, daß die Opfer immer die Guten sind – und deswegen zu aller Gewaltanwendung berechtigt oder wenigstens dazu tauglich, einen Bombenteppich zu legitimieren, falls Du das der Darstellung der Besatzungsmacht und ihrer Opfer entnommen haben solltest. Das betreibt schon die imperialistische Öffentlichkeit – so selektiv, wie sie es halt brauchen kann, um die jeweilige Etappe der "Weltordnung" oder des "Kriegs gegen den Terror" zu glorifizieren: Da kommen dann beispielsweise Albaner ebenso wie afghanische Frauen kurzzeitig in den Genuß echter Anteilnahme und ebenso echter Luftschläge. So eine moralische Würdigung des jeweiligen Kollektivs unter Verweise auf Opfer und Leiden kann man getrost dieser Öffentlichkeit, dem jeweiligen Kollektiv und dessen Klerus überlassen, egal ob christlich oder islamisch. Mit "Werten" von der moralischen Sorte kann man ohnehin immer alles rechtfertigen – und das jeweilige Gegenteil auch; so geht moralisches Problematisieren und so sind Werte konstruiert. Ihr Stellenwert in der mit dem Imperialismus sympathisierenden Öffentlichkeit richtet sich nicht nach der Sachlage – Leichen gibt’s ja tagtäglich genug – und auch nicht nach der Glaubwürdigkeit echt unschuldiger Opfer, sondern nach der Kampfkraft der Macht, die sich für ihre Zwecke auf passende Opfer beruft. Falls "die Araber" also glauben sollten, daß das Deuten auf von der israelischen Armee getötete Kinder oder Erwachsene ihnen die Unterstützung des westlichen Imperialismus einbringen müßte, analog zu getöteten Albanern, dann sind sie extrem schief gewickelt. Im Frühjahr 1999 anläßlich des NATO-Krieges gegen Jugoslawien ist auch in Israel zur Kenntnis genommen worden, daß alle Titel bzw. Vorwände der NATO gegen Serbien auch gegen Israel in Anschlag gebracht werden könnten; aus diesem Grund hatte das israelische rechte politische Lager teilweise schwere Bedenken gegen das NATO-Bombardement:

"Wenn die Kosovaren einen Anspruch auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker haben, nur weil sie eine ethnische Mehrheit bilden, dann haben auch Palästinenser das Selbstbestimmungsrecht – und dies nicht nur in den von Israel besetzten Gebieten, die für das national-religiöse Milieu in Israel ebenso heilig sind wie für viele Serben das Kosovo, sondern auch in manchen Gegenden Israels, in Galiläa etwa, wo die arabische Bevölkerung die ethnische Mehrheit stellt. Wenn die NATO heute Serbien bombardiert, kann sie morgen Israel bombardieren: das ist für manchen ängstlichen oder aufrechten Rechten in Israel durchaus ein Argument." (Ein israelischer Politologe in der Süddeutsche Zeitung, Mai 1999)

Diese Sorge vor einem möglichen "humanitären Bombardement" Israels durch NATO-Flieger erklärt sich aus der im Westen durchschlagend erfolgreichen Gehirnwäsche des Inhalts, das westliche Bombardement für Menschenrechte am Balkan verdanke sich der heißen Liebe westlicher Staatenlenker zu "ethnischen Minderheiten" im allgemeinen und zu den Kosovaren im Besonderen. Wie mit solchen umgesprungen gehört und wie nicht kommt aber ganz darauf an. Ethnische Minder- oder auch Mehrheiten wurden und werden vom demokratischen Imperialismus durchaus verschieden, aber in der Sache eindeutig, funktional und brutal betreut. Im Nahen Osten hat es sich seit der Gründung des Staates Israel und seinen mit amerikanischer Feuerhilfe siegreichen Kriegen für demokratische und zivilisierte Menschen verboten, von "ethnischer Säuberung" zu reden, seit überwiegend Juden auf einem Territorium Staat machen, auf dem vorher nur Araber lebten. "Autonomie" oder gar "Selbstbestimmung" für die in Israel verbliebenen Araber, die als Bürger 2. Klasse traktiert werden, ist keiner israelischen Regierung je zugemutet worden. Für eine Rückkehr der Flüchtlinge in das Land, auf dem der Zionismus mit militärischer und mit terroristischer Gewalt seine "nationale Heimstatt" errichtete, hat sich die NATO nie zuständig gemacht. Soviel zur Rolle der "Unterdrückten" in der Weltpolitik. Im GegenStandpunkt-Artikel, über den wir uns austauschen, heißt es dazu übrigens in der Fußnote 10, daß "es sich mit der internationalen Moral nicht anders verhält als mit dem internationalen Recht: Beide sind Mittel der Mächte, die in der Staatenwelt das Sagen haben, und nicht derjenigen, die dabei unter die Räder kommen."

Gegenstand des Artikels ist die Politik des Staates Israel, und wie darin die beteiligen, von Israel nach völkischen Kriterien unterschiedenen Kollektive vorkommen. Deswegen ist auch nicht das Stattfinden von Gewalt das Thema – in der Tat eine Banalität, wie Du anmerkst –, sondern deren "Räson": Sie besteht in der Etablierung und Konsolidierung einer "nationalen Heimstatt" speziell für Juden, also eines Staatswesens, das eine damit postulierte jüdische Menschensorte als seinen ideellen Auftraggeber behauptet und sich deren exklusive Hege und Pflege auf einem von einem heiligen Buch versprochenen Territorium als höchste Pflicht gutschreibt – was sich realiter darin auflöst, daß der Staat Israel sich gegen seine Nachbarn wegen überlegener Gewaltmittel durchsetzt und seine Bürger dabei als sein Material benutzt. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Die "Eingeborenen" im Sinne derer, die halt auch da sind oder schon da waren, haben das Pech, dabei nur im Weg zu sein; weil sie nicht zum vom Staat Israel auserwählten Volk gehören. Israel ist eine "Siedlerkolonie", und so eine Landnahme in einer Gegend, in der schon Leute hausen, ist ohne deren Vertreibung nicht zu machen. Wenn "Israel ein bürgerlicher Staat ist, der sich, wie alle anderen Staaten auch, auf Gewalt gründet", wieso ist dann die Kritik der so gewaltträchtigen Staatsräson "überflüssig"? Wieso kommt Dein Hinweis auf den Gewaltcharakter jeden Staates wie ein Einspruch gegen die Kritik dieser Gewalt daher? Wenn Gewalt ein Mittel "aller anderen Staaten auch" ist, darf man sie dann in ihrer israelischen Ausprägung nicht kritisieren? Wenn sich Israel auf Gewalt gründet, was ist falsch am "Bild, das über weite Strecken des Textes gezeichnet wird"? Also "einerseits fanatische Siedler, die von der Armee gedeckt werden und andererseits Palästinenserinnen und Palästinenser die von Siedlern und Armee angegriffen werden. Generell wird der Eindruck vermittelt, daß die Israelis nur Übeltäter und die Araber nur arme, wehrlose Unterdrückte seien." Auch wenn die Palästinenser nicht wehrlos sein wollen – das Kräfteverhältnis ist doch eindeutig, oder?

"Sind die Juden genauso rassistisch wie die Nazis?"

Der GegenStandpunkt behauptet, daß beim Massaker von Sabra und Schatila 1982 5000 Menschen ermordet wurden. Woher kommt diese Zahl? Meines Wissens waren es knapp 1000 Ermordete.

Der GegenStandpunkt kritisiert, daß Palästina (1994) kein Staat, sondern ein Konstrukt sei. Was sind denn Staaten anderes als Konstrukte!

Die Zionisten setzen, laut GegenStandpunkt auf die "Volksreinheit", indem sie so wenig wie möglich Araber aus den besetzten Gebieten nach Israel lassen, um so die "jüdische Arbeit" nicht zu gefährden. Sind die Juden genauso rassistisch wie die Nazis? Es werden Zitate (Ben Gurion in den 30er-Jahren, Rabin, ...) angeführt, die die rassistische Ausrichtung Israels "beweisen" sollen. Die ausgewählten Zitate beweisen aber gar nichts.

Im übrigen ist Israel eindeutig ein säkularer Staat. Wäre dem nicht so, würde es innerisraelisch keine Kontroversen über "zionistische" Besiedelungspolitik geben.

Der Zionismus ist kein religiöses Projekt, sondern bürgerlicher Nationalismus. Wie jeder Nationalismus, hat auch der Zionismus religiöse Wurzeln und Inhalte. Die orthodoxen Juden lehnen den weltlichen Staat Israel ebenso ab.

Woher die Zahl 5000 konkret kommt, weiß ich nicht; jedenfalls aus öffentlich zugänglichen Quellen. Woher die Zahl 1000 kommt, weiß ich auch nicht. Die Angaben über die Opfer solcher Massaker differieren in der Regel mit der Quelle. Ich will mich auf diese Frage auch gar nicht einlassen. Einmal zurückgefragt – ab welcher Größenordnung oder bei welcher völkischen Zuordnung stört Dich denn das Abschlachten von wehrlosen Leuten? Die bewaffneten Freiheitskämpfer/Terroristen von der PLO – such’ Dir die Bezeichnung aus – mußten damals den Libanon verlassen, und dann durften christlich-libanesische Milizen in die Lager; unter dem Schutz der israelischen Armee, damals unter dem Kommando des heutigen Premier Scharon. Der hat seither öfter bedauert, wie Du sicher gehört hast, bei dieser Gelegenheit nicht auch gleich Arafat liquidiert zu haben, und er erinnert auf diese Weise immerhin unmißverständlich daran, wer 1982 in Beirut und Umgebung über Leben und Tod entschieden hat. Das damalige Massaker war übrigens eine Botschaft an die PLO des Inhalts, daß sie keine wie immer geartete Anerkennung genießt, daß ihre Kalkulationen und Berechnungen keine wie immer geartete Chance haben, und daß Israel mit ihr keine wie immer beschaffenen politischen "Geschäfte" macht: Die PLO hat ihre Bewaffneten damals abgezogen, um das Bombardement der Flüchtlingslager zu beenden, dem sie nichts entgegenzusetzen hatte, und wenigstens auf diese ohnmächtige Weise ihre Leute zu "schützen". Wie sehr sie sich verkalkuliert hat, wurde ihr durch die Schlächterei vorgeführt. Nebenbei: Damals hat die hiesige Öffentlichkeit nach dem obligatorischen Bekunden von Abscheu ausdrücklich davor gewarnt, den Opfern zu viele moralische Pluspunkte zuzurechnen, damit aus der militärischen Niederlage der PLO nicht womöglich noch ein "politischer Erfolg" für sie wird. Das als Ergänzung zur Rolle des Opfers in der Weltpolitik.

Daß die zionistische Bewegung im damaligen britischen Mandatsgebiet eine dezidiert jüdische Wirtschaft etabliert, und die Ausgrenzung der Eingeborenen auch auf diese Weise betrieben hat, durchaus bekannt als das Prinzip der "jüdischen Arbeit", ist jedenfalls eine Tatsache. Wenn Dir dazu sofort die Nazis einfallen und Du die Frage aufwirfst: "Sind die Juden genauso rassistisch wie die Nazis?" – dann ist das vor allem einmal Dein Problem. Dazu folgendes: Der GegenStandpunkt heißt u.a. deswegen so, weil er nicht den Standpunkt vertritt, die Welt des demokratischen Imperialismus wäre im Großen und Ganzen eine heile und schöne – mit einer längst verschwundenen und dadurch wohlfeil zu verabscheuenden inakzeptablen Ausnahme, nämlich den Nazis mit ihrem Dritten Reich. Insofern hat der GegenStandpunkt auch nicht das Anliegen, dieser Instrumentalisierung Rechnung tragen und alles an Geschäft & Gewalt gut oder wenigstens normal und damit akzeptabel zu finden, was nicht "wie die Nazis" daherkommt – und natürlich auch nicht den umgekehrten Impetus, Krieg, Vertreibung und Rassismus seien erst dann so richtig kritikabel, wenn deren politischen Subjekte "wie die Nazis" hausen. Dir scheint diese billige Technik der Entschuldigung bzw. Verurteilung so geläufig zu sein, daß Du sie bei jeder unpassenden Gelegenheit zur Anwendung bringst. Was willst Du mit Deiner Frage denn andeuten? Nur wenn "die Juden" rassistisch wären, dann dürfte man Israel überhaupt ernsthaft kritisieren? Oder meinst Du, angesichts dessen, daß Juden zu Opfern des Nazi-Rassismus geworden sind, könnten Juden bzw. der Staat Israel schon deswegen einfach unmöglich selber rassistisch agieren? Beides ist Unsinn. Im übrigen empfehle ich Dir dringend, Dein völkisches Beobachten bleiben zu lassen. Die Frage, wie denn wohl "die Juden" oder auch "die Araber" so "sind", ob rassistisch oder nicht, die kann selbst nur den Auftakt zu rassistischen, völkerpsychologischen, nationalcharakterlichen Erörterungen bilden, weil sie die jüdische oder arabische oder sonstige Identität, nach der sie fragt, immer schon unterstellt. Kritikabel ist diese Tour des Weltbetrachtens übrigens nicht aus moralischen, sondern aus intellektuellen Gründen: Sie "erklärt" diverse politische, ökonomische oder sonstige Phänomene tautologisch aus einer – nationalen, ethnischen, rassischen – Disposition dazu. Die Festsetzung der Taliban in den bekannten Käfigen auf Kuba erklärt sich aber nicht daraus, daß "die Amerikaner" halt "so sind", nämlich arrogant und rachsüchtig; und das deutsche "Wirtschaftswunder" hatte seinen Grund auch nicht darin, daß "die Deutschen" halt so, nämlich "so fleißig" wären. Der Rassismus des israelischen Staates erklärt sich ebenfalls nicht daraus, daß "die Juden" "so sind". Umgekehrt: Wer sich auf den Standpunkt dieses Staates und seiner Probleme mit der unjüdischen Wohnbevölkerung stellt, der kommt ohne rassistische Urteile nicht aus. Und der krönende Überbau, die Selbstbewunderung eines sich zum Judentum bekennenden Menschen als Teil eines auserwählten Volkes, die impliziert natürlich auch ein Urteil über die weniger auserlesenen Sippschaften. Allerdings, speziell jüdisch ist daran sehr wenig, auch "die Amis" sollen ja von der Überlegenheit eines Menschenschlages überzeugt sein, der "god’s own country" behaust; und "die Franzosen" haben Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erfunden und insofern eine hohe Meinung von sich, während zumindest früher mal am "Deutschen Wesen" irgendwas Globales genesen sollte usw. Wie sich die braven Völker doch gleichen, ideologisch!

Zu einer Beurteilung des Prinzips der "jüdischen Arbeit" trägt der von Dir eingebrachte Vergleich mit den Nazis jedenfalls nichts bei, aber ist eine solche Beurteilung überhaupt Dein Anliegen? Deine speziellen Einwände gegen die Referierung von Rabin und Ben Gurion bzw. gegen die daraus gezogenen Schlüsse hast Du jedenfalls für Dich behalten. Welche hast Du denn? Der Zweck der Zitierung dieser Quellen besteht nämlich nicht darin, die "rassistische Ausrichtung" Israels zu beweisen, so als wäre mit einem solchen Beweis irgend etwas gewonnen, sondern sie zu erklären. Du hast den Artikel offenbar ausgehend von Deinem Rechtfertigungsbedürfnis gegenüber Israel gelesen, und ziehst von Deinem Anliegen einen Umkehrschluß auf den GegenStandpunkt – im Artikel geht es aber darum nicht. In Erinnerung an Deinen Hinweis, daß man über den Gewaltcharakter des israelischen Staates ohnehin nicht zu streiten braucht, und angesichts Deines Insistierens auf dem säkularen Charakter des israelischen Gewaltmonopolisten – Kein religiöses Projekt, bloß religiöse Wurzeln; auch in religiösen Staaten gibt es übrigens "Kontroversen"! –, ebenso wie im Hinblick darauf, daß die Bezeichnung "rassistisch" Deiner Meinung nach auf keinen Fall zutrifft, vermute ich, daß Du eine moralische Unterscheidung geltend machen willst, die von der Politologie ebenso wie von der Öffentlichkeit vertreten wird, und die Du im GegenStandpunkt schon wieder nicht finden wirst: Gewalt aus politischen Gründen ist gut oder zumindest normal – höchstens Gewalt aus religiösen oder rassistischen Gründen ist böse und "sinnlos" und "verrückt" und "pervers" und nur deswegen kritikabel; und im Lichte dieser netten Unterscheidung willst Du Israel halt auf der Seite mit der guten Gewalt ansiedeln. Die beflissene Öffentlichkeit denkt diesen Unterschied in der Regel so weiter, zB am Fall Taliban/Bin Laden, daß die gute, die normale, die politisch zweckmäßige, die berechnende Gewalt natürlich immer die eigene ist, und daß der jeweilige Gegner überhaupt keine politischen Zwecke mit seiner Gewalt verfolgt – das wäre nämlich in den Augen der Propagandaabteilungen schon zuviel der Anerkennung. Da wäre er nämlich so wie "wir", nur unterlegen. Einmal also davon abgesehen, daß es sich bei der öffentlich als "rassistisch" oder "religiös" diffamierten Gewalt der politischen Gegner des Westens in aller Regel sehr wohl um politisch begründete Gewalt handelt: Der GegenStandpunkt heißt schon wieder so, weil er die Unterscheidung politische Gewalt gleich gut und religiöse Gewalt gleich böse nicht mitmacht. Nimm halt zur Kenntnis, daß es auch im diskutierten Artikel gar nicht um eine Einordnung entlang dieser Skala geht, und zieh’ von Deiner bevorzugten Einordnung nicht den Umkehrschluß auf den GegenStandpunkt – der hat dieses Problem nicht.

Die rassistische Praxis Israels ist übrigens – falls Dich das beruhigt?! – nicht die Folge dessen, daß "die Juden" halt "so sind", sondern liegt daran, daß dieser Staat noch immer mit der Gründung einer "nationalen Heimstatt" befaßt ist. Wo seine Grenzen liegen (sollen), ist eine offene Frage, um die sich auch die Siedlerbewegung verdient macht. Der Rassismus kommt eben daher, daß sich dieser Staat mit jeder Vergrößerung seines Territoriums eine Frage einhandelt: Was wird aus denen, die es schon besiedeln? Die Antwort lautet: Schikanieren, Diskriminieren, Terrorisieren, Vertreiben. Der – für israelische Verhältnisse – revolutionär zu nennende Versuch der Regierung Rabin/Peres Anfang der 90er Jahre, diese Staatsgründung zu Ende zubringen, endgültige und international anerkannte Grenzen festzulegen und eine PLO als Partner anzuerkennen, die im Auftrag, unter Aufsicht und von Gnaden Israels auf einem zugeteilten Territorium jene Leute verwalten sollte, die Israel zwar beherrscht, aber nicht als vollwertige Staatsbürger haben will – dieser Versuch ist von den folgenden Regierungen Netanjahu/Barak/Scharon revidiert worden; Rabin selber wurde von einem enttäuschten Israeli umgelegt, der diesen Kurswechsel, wie die gesamte israelische Rechte, als Verrat interpretiert hat. Israel bleibt das Projekt Judenstaat, ist also nach wie vor damit befaßt, sich Raum zu verschaffen und diesen mit seinem Volk zu füllen. (Mit dem "Konstrukt" war übrigens das seinerzeit ins Auge gefaßte Palästinenser-Homeland gemeint, im Unterschied zu "Staat", das geht aus den nächsten Absätzen des Artikels eindeutig hervor.)

"Stehen hinter antizionistischen Motiven vielleicht andere Beweggründe?"

Wofür steht der GegenStandpunkt? Eindeutig gegen Israel. Weil es ein bürgerlicher Staat ist? Weil es ein "Apartheidstaat" ist? Nebenbei bemerkt, ist das eine Verharmlosung des ehemaligen Apartheidregimes.

Wieso wird immer nur Israel derart bekämpft? Weil es sich dabei um einen Judenstaat handelt? Stehen hinter antizionistischen Motiven die in Deutschland und Österreich formuliert werden, vielleicht andere Beweggründe?

Können antizionistische Einwände in Deutschland und Österreich genauso formuliert werden, wie z.B. in den USA oder Frankreich? Gibt es da keine Bedeutungsunterschiede?

Wofür der GegenStandpunkt steht, hast Du doch gelesen. Warum gibst Du vor, das nicht verstanden zu haben? Und entscheidend bei jedem "wofür" oder "wogegen" ist doch wohl das "warum"! Falls Du der Meinung bist, gegenüber Israel existiere ein Kritikverbot, dann hält sich der GegenStandpunkt halt nicht daran. Daß "immer nur" Israel kritisiert wird, widerlegt ein Blick in ein beliebiges GegenStandpunkt-Inhaltsverzeichnis. Im übrigen: Sogar wenn der GegenStandpunkt eine auf Israel oder den Nahen Osten spezialisierte Zeitschrift wäre, wäre durch den Hinweis auf diese Schwerpunktsetzung keine einzige seiner Behauptungen widerlegt. Wenn Du meinst, daß "hinter" den Argumenten unlautere Beweggründe stehen, dann heraus mit einer Begründung dafür, anstatt eine Denunziation anzubringen und die dann mit einem "vielleicht" und einem Fragezeichen zu verzieren. Wer darauf aus ist, Motive "hinter" einer Kritik ausfindig zu machen, die ihm nicht gefällt, gibt vor allem zu Protokoll, daß er keine Argumente gegen das hat, was ganz offen, also "vorne" geäußert wird.

Der GegenStandpunkt heißt jedenfalls u.a. deswegen so, weil er sich nicht dem heutigen deutsch-österreichisch-nationalistischen Anspruch unterwirft, bei der Beurteilung des israelischen Staates den Verstand in die Wüste zu schicken und statt dessen das schlechte Gewissen des heutigen guten Deutschen/Österreichers sprechen zu lassen, dessen verflossene Obrigkeit die Juden hat umbringen lassen. Ein guter heutiger hiesiger Nationalist ist angehalten, die heutige deutsche bzw. österreichische Staatsräson als moralisches Erfordernis, als eine aus der "Vergangenheit" gezogene Lehre zu begreifen; und er soll sich diese Staatsräson womöglich zum persönlichen Anliegen zu machen, indem er sich manche persönliche "Verantwortung" einbildet. Das ist halt eine aktuelle Art und Weise, in der sich der brave heutige Bürger zu seiner heutigen Nation bekennt. Die grundlegende Behauptung, "in Deutschland und Österreich" trage man wegen der Taten des Dritten Reiches eine spezielle, von der Regierung wahrgenommene Verantwortung für "die Juden" oder den Staat Israel, was übrigens auch nicht identisch ist, die jedenfalls ist pure Heuchelei. Man merkt das an der sehr selektiven, zweckvollen Benutzung der vielen verschiedenen Opfer des Dritten Reiches: Gegenüber der Sowjetunion war die Tatsache des Überfalls und die Tatsache, daß darüber etliche Millionen Sowjetmenschen krepiert sind, übrigens auch als Kriegsgefangene im Lager und nicht nur durch Kriegshandlungen und Säuberungen hinter der Front, nie ein Argument dafür, daß man "in Deutschland und Österreich" ein spezielles positives Verhältnis zur SU aufbauen müßte und daß man – wg. spezieller "Verantwortung" – kein kritisches Wort über die Sowjetunion oder den Kommunismus verlieren dürfe. Politik besteht eben nie im Bemühen um "Wiedergutmachung" oder darum, moralischen Imperativen aus der Vergangenheit gerecht zu werden, sondern die jeweilige Staatsräson mit ihren etwas anders beschaffenen Zwecken wird als eine moralische Tat eingekleidet. Das ist an der deutschen Wiedergutmachung gegenüber Israel ebenso kenntlich wie etwa an der österreichischen Entschädigung für Zwangsarbeiter aus dem Jahr 2000. Das eine war ein Mittel des deutschen Nachkriegsimperialismus; der "Rechtsnachfolger" des Dritten Reiches qualifizierte sich auch durch die Subventionierung des Judenstaates für seine Teilhabe an der neuen westlichen Weltwirtschaftsordnung und am militärischen NATO-Bündnis. Das andere ist schlichtes "Schutzgeld" für die Absicherung österreichischer ökonomischer Interessen in den USA, gegen die berühmten Sammelklagen. (Ich weiß nicht, wieweit Du eine Skurrilität am Rande registriert hast: Es gibt Leute, die jene Wiedergutmachungs- und Verantwortungsheuchelei sehr wohl bemerken, und sie dann erst recht glaubwürdig machen wollen, indem sie verschiedene Kategorien von Opfern des Dritten Reiches nach den Graden der "Unschuld" unterscheiden, wodurch dann in den Augen dieser Beobachter "die Juden" als besonders unschuldig oder zumindest ein wenig unschuldiger als etwa "die Russen" abschneiden sollen, um so den moralischen Schein jener so problemlos durchschaubaren selektiven "Lehren aus der Vergangenheit" zu retten. Das ist nicht nur etwas unappetitlich, sondern geht vor allem an beidem völlig vorbei: Sowohl an den Kriterien der Nazis für "lebensunwertes Leben", als auch an der Staatsräson der Nachkriegs-Lizenzstaaten Deutschland und Österreich.)

Wieso ist für Dich so naheliegend, daß man sich in allem und jedem und jederzeit "als Deutscher" oder "als Österreicher" betätigt, daß also auch jedes Nachdenken – über Israel zB – automatisch eine völkische Betätigung ist, weswegen jede Kritik an Israel unter dem Verdacht steht, auf völkischen Ressentiments zu beruhen? Hältst Du das deswegen für unvermeidlich, weil Du selbst Dich positiv auf diese "Selbstverständlichkeit" beziehst, wenn Du "antizionistische Einwände" nach der Nation beurteilen willst, aus der sie kommen, und nicht nach ihrem Inhalt? Dann benenne doch mal wenigstens einen "Bedeutungsunterschied" anitizionistischer Kritik, der in der Nation gründen soll, aus der die Kritik kommt, bevor Du ihn unterstellst und dann betroffen registrierst, daß der GegenStandpunkt dieses Dein Problem schon wieder nicht hat! Jeder Einwand ist halt ein Einwand und bedeutet genau das, was er halt bedeutet, in Frankreich ebenso wie in Österreich. Im Interesse einer gedeihlichen Diskussion und im Interesse Deiner eigenen geistigen Verfassung empfehle ich Dir dringend, Deine vorgeblichen "Fragen" entweder zu beantworten, oder sie fallenzulassen: "Stehen hinter antizionistischen Motiven in Deutschland und Österreich vielleicht andere Beweggründe? Können antizionistische Einwände in Deutschland und Österreich so formuliert werden, wie in den USA oder Frankreich? Gibt es da keine Bedeutungsunterschiede?" Wenn "andere Beweggründe" dahinterstecken, dann gib sie bekannt, oder gib diesen Einfall auf. Wenn "antizionistische" Einwände hierzulande anders "formuliert" werden müßten, dann erklär’ doch, warum; und erkläre auch gleich die "Bedeutungsunterschiede". Es ist halt eine etwas ungute Masche, im Gestus der Skepsis und in Frageform Positionen einzuführen, und sich dann auf die eigenen unbeantworteten Fragen wie auf Tatsachen zu beziehen.

Daß man sich selber mit Sinnen und Trachten, mit Haut und Haar und auch mit dem Verstand unter "seine" Nation subsumiert und in allem "als Österreicher" betätigt, diese Vorstellung, daß jeder zwangsläufig nun einmal sowieso als Nationalist denkt und urteilt, und deswegen intellektuell mit nichts anderem befaßt ist als mit der Rechtfertigung von Deutschland, Österreich, den USA oder Frankreich, die ist zwar aus dem vollen Leben gegriffen – ja, so wird in der Öffentlichkeit geistig produziert, die gerade der GegenStandpunkt ständig kritisiert –, sie erübrigt aber nicht den je einzelnen Nachweis. Es handelt sich übrigens um eine miese Tour, "hinter" einer Kritik, die einem nicht paßt, "andere Beweggründe", nämlich unlautere, zu argwöhnen – statt die Kritik zu widerlegen. Da gilt knallhart die Devise: Entweder – Oder. Entweder wird der entsprechende Nachweis mitgeliefert; denn falls es sich so verhält, ergibt sich aus dem, was "vorne" formuliert wird, schon ein Schluß darauf, was "hinter" der Kritik steckt. Oder dieser Nachweis fehlt, dann wird der Vorwurf zur unbegründeten Denunziation. Es sei denn, man hält diesen Nachweis für überflüssig, weil ohnehin die Nationalität oder die Rasse bzw. das Blut den Verstand in Richtung der Unterstützung der "eigenen" Nation determiniert. Meinst Du das?

"Ist Israel keine Konsequenz des mörderischen Antisemitismus?"

Wo bleibt die Kritik an den arabischen Nachbarstaaten? Existieren dort bürgerliche Freiheiten? Wie wird in jenen Ländern mit der Opposition verfahren? Warum ist relativ wenig über Unterdrückung in Syrien oder Saudi-Arabien zu erfahren? Setzt sich der GegenStandpunkt für einen weiteren Nationalstaat (Palästina) ein?

Jedenfalls sind eine ausführliche Darstellung, ausgewählte Zitate und Anekdoten kein Ersatz für eine Analyse. Die Macher (gibt es auch Macherinnen?) des GegenStandpunkts haben viele Zeitungen gelesen und diese zusammengetragen, aber eine Analyse und eine theoretische Reflexion muß daraus noch nicht folgen.

Ist Israel für den GegenStandpunkt keine Konsequenz des mörderischen Antisemitismus? Solange es Antisemitismus gibt, solange muß es einen jüdischen Staat geben! Die Shoah stellt (bis jetzt) ein einmaliges Verbrechen dar. Darüber verliert der GegenStandpunkt kein Wort.

Wodurch unterscheidet sich der GegenStandpunkt in der Nahostfrage von antiimperialistischen Gruppen, außer in den längeren schriftlichen Ausführungen?

Auf die Gefahr, mich zu wiederholen: Sogar falls im GegenStandpunkt sonst nichts kritisiert würde, widerlegte die Konzentration auf ein Thema kein einziges der geäußerten Urteile. Auch die "Unterdrückung in Syrien oder Saudi-Arabien", egal wie sie beschaffen ist, widerlegt kein Argument in Sachen Israel. Der GegenStandpunkt hat sich nie diesem üblichen nationalistischen "Aufrechnen" angeschlossen, wonach die Unterdrückung hier ein guter Grund für die Unterdrückung dort ist; oder wonach die Unterdrückung hier wenigstens ein Kritikverbot für die Sauerei woanders begründet. Der GegenStandpunkt ist, wie Du weißt, auch nicht der Meinung, Staaten mit "bürgerlichen Freiheiten" oder einer zugelassenen "Opposition" dürften schon deswegen nicht kritisiert, sondern nur noch mit Dankbarkeit bedacht werden. Auch diese Variante der Rechtfertigung und der Forderung nach Kritikverbot gehört ganz der Öffentlichkeit und den dort tätigen Nationalisten. Daß der brave Bürger in seiner fiktiven Eigenschaft als Weltenrichter einer Demokratie jede Sauerei durchgehen läßt, die er einem Diktator schwer ankreiden würde, überläßt der GegenStandpunkt schon wieder denen, die solche Propaganda betreiben. Und welchen Stellenwert die bürgerlichen Freiheiten generell genießen, hast Du sicher anhand der demokratischen Beschlüsse zur "inneren Sicherheit" nach dem 11. September 2001 verfolgt: Es handelt sich um reine Zweckmäßigkeitserwägungen. Nach dem Kriterium des Nutzens für den Staat werden sie gewährt oder gestrichen. Daß bürgerliche Staaten die prinzipiellen Garanten total "unveräußerlicher Rechte" der Bürger seien, gehört zwar zur Lobhudelei in Politologie und Öffentlichkeit, entspricht aber so, wie es gemeint ist, nicht den Tatsachen. Ein Dir sicher bekanntes Beispiel dafür ist, daß die bürgerlichen Freiheiten im demokratischen Israel mit der Erlaubnis an Staatsorgane koexistieren, zu foltern und ohne Gerichtsurteil "gezielt" zu töten, was ansonsten gern als "Menschenrechtsverletzung" oder Terrorismus gilt und schon für manchen Krieg gut war, natürlich nur ideologisch. Diese Freiheiten gewährt der israelische Staat seinen Organen in Bezug auf Palästinenser, also unter Berücksichtigung der Rasse. Der Wunsch der Palästinenser nach einem Nationalstaat ist insofern menschlich verständlich, die bilden sich glatt ein, sie würden von einer Besatzungsmacht aus völkischen Gründen unterdrückt, und im Vorgehen folgen die Aktivisten des Palästinenserstaates der israelischen Staatsgründergeneration, sind also Terroristen. Wie kommst Du auf die Idee, der GegenStandpunkt hält das für das Gelbe vom Ei? Wo Du doch die Kritik am Nationalstaat Israel zwar nicht teilst, aber bemerkt hast – und dieser Staat sich nach wiederholter Auskunft des GegenStandpunkt gerade wegen seiner unsympathischen Eigenschaften als Nationalstaat so aufführt.

(Zitate und Anekdoten sind Zutaten der zwischen uns umstrittenen Analyse; aber auch wenn Du ihr nicht zustimmst, bleibt es eine theoretische Reflexion und ist kein Gedicht oder eine Novelle. "Analyse" ist kein Orden, den sich eine theoretische Darstellung verdienen müßte, die Bezeichnung sagt auch noch nichts über die Qualität dieser Analyse aus und die Bestreitung des analytischen Charakters des Textes widerlegt keine der enthaltenen und Dir anscheinend mißfallenden Behauptungen. Das tut die Frage nach dem Geschlecht der AnalytikerInnen übrigens auch nicht. Der GegenStandpunkt mißt dieser Frage keine Bedeutung bei. Falls sich eine Frau als Autorin "outet", würdest Du Deine Einwände zurückziehen? Na eben. Beide Anmerkungen sind der Sache sehr äußerlich. Eine mögliche Identität bzw. Differenz zu "antiimperialistischen Gruppen" ist auch nicht das Problem des GegenStandpunkt: Wenn Du gegen deren Positionen Bedenken hast, muß Du das mit denen austragen.)

Sowohl über die Judenvernichtung als auch über ihre ideologische Ausschlachtung durch den österreichisch-deutschen Nachkriegs-Lizenz-Nationalismus (Fachausdruck: "Vergangenheitsbewältigung") hat der GegenStandpunkt, entgegen Deiner Behauptung, manches Wort verloren. Ihre verharmlosende Darstellung als "Verbrechen" findet sich allerdings nicht darunter, auch darum heißt der GegenStandpunkt so; das war nämlich die damalige Staatsräson, also das Werk der Instanz, die zwischen erlaubten und verbotenen Handlungen unterscheidet und dadurch überhaupt erst Verbrechen definiert, was bekanntlich auch das Dritte Reich gemacht hat, nicht nur in den "Nürnberger Rassegesetzen". Die vom Nachkriegsnationalismus vertretene Charakterisierung als "Verbrechen" soll die Judenvernichtung als eine Abweichung von all den guten Werken kennzeichnen, die einem bürgerlichen Gewaltmonopolisten gemeinhin angedichtet werden, um so den Gewaltmonopolisten von dieser speziellen Leistung zu trennen, um ihn von dieser seiner Tat wegzurücken – anstatt zur Kenntnis zu nehmen, wozu er fähig ist, wenn er von der Lage der Nation so richtig gefordert wird. Verboten und als Verbrechen vom Staat verfolgt wird nämlich das Umlegen von Leuten nur, falls es von Privatpersonen aus eigenen Motiven und ohne Staatsauftrag betrieben wird. Nicht jedoch, sofern der Staat Menschen als Feinde definiert und ausmerzen läßt: Die Aktivisten der Judenvernichtung haben in ihrer Eigenschaft als Politiker und Patrioten gehandelt, erst nach dem verlorenen Krieg und nur deswegen sind manche, wenige, zu Verbrechern geworden. Insofern vertritt der GegenStandpunkt, daß es sich nicht um eine Abweichung, einen "Zivilisationsbruch", sondern um eine Radikalisierung dessen handelt, was bürgerliche Staaten auch in zivilen Zeiten treiben, wenn sie zwischen den eigenen anerkannten Vollwert-Bürgern und Leuten unterscheiden, die aus völkischen Gründen für den Staat untauglich sind, den "Illegalen" etwa, die auf dem nationalen Boden nicht existenzberechtigt sind, bzw. wenn sie die Mitglieder eines als "feindliches Volk" identifizierten Kollektivs vernichten. Die gängige Kennzeichnung der Judenvernichtung als "einmalig" oder "einzigartig" klingt demgegenüber ausgesprochen dünn, sie streicht doch, einmal wörtlich genommen, nur heraus, daß da eine zu erklärende Besonderheit vorliegt – anstatt zu erklären, worin diese "einmalige" Besonderheit besteht. Das ist andererseits dann doch kein Mangel, weil die Langfassung des Kürzels "einzigartig" darauf hinausläuft, daß die Judenvernichtung mit keinem der Phänomene etwas zu tun haben darf, die der politische, der nationalistische Verstand schätzt: Nichts mit Staat, nichts mit Nation, nichts mit Politik, nichts mit Volk, nichts mit Patriotismus, nichts mit Herrschaft und Untertan – um so dem Bedürfnis zu genügen, aus der Judenvernichtung einen quasi "externen" und in dem Sinn "einzigartigen" Effekt zu machen. (Die Bezeichnung "Shoah" ist übrigens auch nicht die glücklichste, weil sie der Sache einen religiösen touch verleiht, der ihr nicht zukommt.)

Der GegenStandpunkt hält das, was als "Antisemitismus" nicht nur durch die "antideutsche" Vorstellungswelt geistert – eine sich durch die Jahrhunderte ziehende Judenfeindlichkeit, die eventuell irgend etwas Kompliziertes mit dem Kapitalismus zu tun haben kann, das nur die Eingeweihten auch nicht völlig verstehen – dezidiert nicht für den Grund der Gaskammern im Dritten Reich. Die Judenvernichtung hat keinen pseudo-ökonomischen Grund in "verkürzt-kapitalismuskritischen" Flausen, hinter denen, wie hinter allem und jedem, der "Warenfetisch" steckt. Die Anhänger dieses Gedankens nehmen ihn übrigens selber nicht für voll, wenn sie dann doch die speziell "deutsche" Art, das "deutsche" Wesen für die Judenvernichtung verantwortlich machen: "Deutschland denken, heißt Auschwitz denken" – soll heißen, daß "Auschwitz" schlicht und einfach typisch "deutsch" ist, und umgekehrt das spezifisch "Deutsche" durch Auschwitz bzw. den "Vernichtungsantisemitismus" zu charakterisieren ist. Auch hier gilt, daß eine Tat eben nur scheinbar erklärt wird, wenn sie auf eine Disposition, die sie hervorbringt, zurückgeführt wird. Diese Vorstellung, daß "die Deutschen" halt "so sind", daß sie zum Judenvernichten neigen, ist wieder weniger wegen der rassistischen Betonung ärgerlich, sondern wegen der Tautologie, die da geboten wird. Wie es angesichts dieser Diagnose die Anti-Deutschen geschafft haben, ihren deutschen Charakter abzulegen, wüßte man übrigens auch gern. (Nebenbei: Den haben sie nicht abgelegt. Das Anti-Deutschtum ist bloß die konsequente Verabsolutierung der Vorbehalte, die ein guter Deutscher einige Jahrzehnte gegenüber deutschem "Hurra-Patriotismus" an den Tag legen sollte. Anti-Deutsche weisen halt alle vergangenheitsbewältigenden bzw. alle darauf basierenden Postulate, als geläuterter und "resozialisierter" sei der deutsche Nationalismus wieder zulässig – damit wurde nach der "Wiedervereinigung" das Recht auf ein "normales" Verhältnis zur Nation beschworen – kategorisch zurück. Nicht wegen der Brutalitäten, die eine ganz normale Nation auszeichnen und ausmachen, sondern durch die Erinnerung an die damalige, die in ihrem Verständnis "deutsche" Tat schlechthin.)

Die Judenvernichtung ist nicht einer Eigenheit der deutschen Rasse geschuldet und sie hat auch keinen ökonomischen Grund im "Warenfetisch", sie hat einen staatspolitischen: Sie wurzelt in der Unterscheidung des eigenen, des nationalen Vollwert-Menschenmaterials mit dem richtigen Blut gegenüber all denen, die eine höchste Gewalt nicht eingemeinden will. Der Sache nach war die Judenvernichtung eine "ethnische Säuberung". Dabei geht es darum, das "Blut" und den "Boden", also Volk und Raum zur Deckung zu bringen, und das ist in der Regel im Krieg fällig – wenn Staaten gegründet werden, sich erheben bzw. untergehen. Da reicht allein die Zugehörigkeit zum falschen Volk für das Todesurteil, unabhängig von der allfälligen praktischen Betätigung des Individuums, und unabhängig davon, ob das Individuum sich selbst überhaupt als Angehörigen des inkriminierten Volkes betrachtet. Die in normalen Zeiten übliche, als gewaltfrei geltende Unterscheidung in Ausländer und Inländer samt nationalen Minderheiten basiert auf der erfolgreichen Herstellung dieser Übereinstimmung im Zuge der Gründung. Der tschechische Ministerpräsident Zeman hat vor einem Jahr durch undiplomatische Äußerungen aufhorchen lassen, die als ungehörig abgetan wurden, was mit einer inhaltlichen Widerlegung auch nicht zu verwechseln ist: "Wenn sie (die Sudetendeutschen) vertrieben oder transferiert wurden, war das milder als die Todesstrafe." Er hat recht; Vertreibung oder Vernichtung sind in dem Fall – vom Staatsstandpunkt aus – wirklich Alternativen. Zeman hat auf Staatsbesuch in Israel empfohlen, mit den Palästinensern im Zuge einer ordentlichen "Terrorismusbekämpfung" ebenso zu verfahren wie seinerzeit mit den Sudetendeutschen, um deren damalige Vertreibung im Lichte heute gültiger moralischer Titel zu betrachten – ein sachlich überflüssiger Vorschlag, weil eine in der jetzigen Regierung vertretene Partei diese "Transferlösung" genannte Vertreibung der Nicht-Juden ohnehin in ihrem Programm hat. Die Vernichtung der Armenier durch die Türkei im Zuge der nationalen Konsolidierung gehört ebenso in diese Abteilung der ethnischen Säuberung wie die Ausrottung und Vertreibung von Bosniern / Kroaten / Serben während der Zerstörung Jugoslawiens durch die Staatsgründer der Nachfolgerepubliken.

Das ist der Versuch einer sachlichen Einordnung der Judenvernichtung, um zu begreifen, warum sie befohlen und durchgeführt wurde – und keine moralische. Der gern erhobene Vorwurf der "Verharmlosung" ist mir natürlich bekannt; er ist sachlich falsch und einigermaßen bizarr: Ein Völkermord wird doch nicht dadurch harmlos, daß er mehr als einmal begangen wird. Bei "normalen" "Verbrechen" ist diese Entschuldigungs-Logik übrigens auch nicht üblich. Um es mir einfach zu machen, zitiere ich mich, aus dem Buch über Haider: "Es fällt schließlich auch niemandem ein, Kindesmißbrauch daran ‘relativieren’ zu wollen, daß der öfter vorkommt. Die traurigen Versuche, dieser NS-‘Relativierung’ durch den Nachweis der garantierten ‘Einmaligkeit’ von KZ und Gaskammer zu begegnen, die belegen also vor allem, daß die andere, die antifaschistische Seite es offenbar genau so sieht: Wäre dergleichen öfter passiert, müßte man sich dem Urteil alter und neuer Nazis – relativ harmlos, weil vergleichsweise genauso schlimm wie anderswo(!) – anschließen. Denen will man sich aber nicht anschließen, also muß die Einmaligkeit zum Thema werden, als gälte es, einen deutsch/jüdischen Weltrekord gegen eine fragwürdige Schiedsrichterentscheidung zu verteidigen. Das leidige Thema muß aufkommen, weil solche Diskussionen von National-Kollektivisten geführt werden, für die es selbstverständlich ist, die Weltgeschichte und die Politik als geschichtsbewußte Angehörige und Anwälte der je eigenen Nation zu begutachten. Es wird nicht nur über die Sache selbst verhandelt, sondern es wird die Frage aufgeworfen, wer eigentlich das Recht habe, sich über andere (ver)urteilend zu äußern." Ein Antideutscher würde – ist mir schon passiert – womöglich entgegnen, daß etwa die Sudetendeutschen doch wirklich des Dritten Reiches fünfte Kolonne waren, daß insofern diese ethnische Säuberung wohlbegründet war, wohingegen mit den Juden brauchbare Mitglieder der deutschen Volksgemeinschaft, die z.T. im Ersten Weltkrieg patriotisch für Deutschland getötet hatten, völlig grundlos aus dieser ausgeschlossen und dann eliminiert wurden, so daß also ohne erkennbaren Nutzen für den Staat Leute umgebracht wurden, die sich gar nicht abweichend betätigt hatten. Mit diesen konstruktiven Abwägungen bezüglich der Frage nach dem lebens(un)werten Leben – das Kriterium ist der Nutzen für den Staat – ist er mitten in der Frage nach den guten, besseren oder schlechteren Rechtfertigungen für Völkermord und Vertreibung, und mit diesen Fragen sollte man ihn allein lassen. Es ist nämlich allemal eine Sache der höchsten Gewalt, zwischen den existenzberechtigten "eigenen" und den anderen, minder wertvollen Menschen zu unterscheiden, in dieser Frage ist der Genozid immer schon angelegt.

Mir ist natürlich die Einmaligkeit der Gaskammern bekannt, aber die gehören eben zum Mittel des Völkermordes, und betreffen nicht seinen Grund. Auch auf den nur für Relativierer und Verharmloser interessanten Vergleich zwischen dem einmaligen industriell betriebenen und anderen eher handwerklich vollbrachten Völkermorden sollte man sich nicht einlassen. Die Vehemenz, mit der um diese Kategorie "einzigartig" gestritten wird, verweist auf ein bemerkenswertes Problem derer, die das zur Glaubensfrage erhoben haben: Die Einmaligkeit wird zur Bedingung der Verurteilung; wenn nicht gesichert wäre, daß die Judenvernichtung sinnlos, zwecklos, nutzlos und jenseits jeder geläufigen politischen Räson ist – in diesem Sinn "einmalig" –, dann könnte sie der moderne politische Verstand nicht aus voller Überzeugung ablehnen! So dient die Judenvernichtung zur Relativierung der politisch zweckmäßig und nutzbringend produzierten Leichenberge nach 1945. Man merkt an dieser Problemstellung vor allem, wie abgeklärt und selbstverständlich die Rechtfertigung von Gewalt geworden ist: Sofern sie überhaupt zweckgerichtet, kalkuliert vorgeht und auf einen Nutzen abzielt, geht sie in Ordnung oder gilt als normal, was auf dasselbe hinausläuft – darüber können dann allemal Millionen verrecken. Wenn sie ausnahmsweise ganz grundsätzlich und kompromißlos abgelehnt werden soll, dann muß ihr jeder Zweck und jeder Nutzen bestritten werden, weil sie sonst in den Augen hartgesottener Betrachter viel zu "verständlich" wäre. Und an dem Punkt sind die Liebhaber der "Einzigartigkeit" und der "Irrationalität" entweder ahnungslos oder sie heucheln. Denn die Herstellung eines ethnisch reinen, homogenen, eines geschlossenen Volkskörpers, der deswegen im ewigen Völkerringen wie ein Mann hinter seiner Führung steht, die ist nun einmal ein allgemein übliches politisches Ziel. Dieses Ziel ist jederzeit im Alltag präsent, in der Abschiebung minder brauchbarer Ausländer ebenso wie etwa in der Sorge um die – den Staat – zufriedenstellende Gebärfreudigkeit der österreichischen Frau. Auch da geht es um einen rassisch wertvollen homogenen "Volkskörper", um es einmal im damaligen Jargon zu formulieren.

Ob es einen jüdischen Staat geben "muß", das ist wie bei jedem Staat eine Gewaltfrage; und das hat mit dem "Antisemitismus" nichts zu tun. Weder die Gerechtigkeit noch die Geschichte noch die USA stellen für die Opfer von Staatsmaßnahmen oder für die betroffene "Rasse" einen Staat zur Verfügung – wenn Du der Meinung bist, wegen Auschwitz sollte es Israel geben, dann referierst Du die dortige Staatsideologie; mit den materiellen Existenzbedingungen Israels hat das nichts zu tun, weil die moralischen Titel die jeweilige Räson des Imperialismus nicht materiell begründen, sondern sittlich erhöhen. Eine solche Erhöhung ist die von der Einmaligkeit von "Auschwitz", die einen "einmaligen", einen Sonderstatus für den Staat Israel beansprucht, der also alles rechtfertigen soll, was sonst als Terrorismus oder Menschenrechtsverletzung gebrandmarkt wird – wenn etwa ein Staat wie Serbien aus ganz anders gelagerten Gründen auf der Abschußliste der Weltordnungsmacht steht. Israel hat seinen Sonderstatus, aber nicht wegen Auschwitz, sondern wegen seiner Brauchbarkeit für die USA. Auch der israelische Staat ist keine Einrichtung zum prinzipiellen Schutz seiner Bürger – er schützt sie, wie jeder Staat, weil und indem er sie als sein Mittel behandelt, und das schließt das Benutzen dieses Mittels unter billigender Inkaufnahme des Ablebens ein. Weniger vornehm ausgedrückt: Er verschleißt sie, wenn es seiner Durchsetzung dient. Daran ändert die Tatsache nichts, daß Israels Bürger wie alle anderen Nationalisten auch ihre individuelle Existenz mit der Durchsetzung "ihres" starken Staates gleichsetzen, und daran ändert ebenfalls nichts, daß Palästinenser das auch so sehen, weswegen sich etliche freiwillig für einen zu gründenden Staat opfern.

 

Schriftliche Diskussion über Artikel im GegenStandpunkt, Teil 2

"Das Problem besteht in der feindlichen Einstellung der Araber"

Mir ist schon klar, dass es im Nahost-Konflikt um Land geht und wer es bewirtschaftet, aber das reicht für Erklärungen nicht alleine aus. ... Die Araber, die in den "besetzten Gebieten" leben, sind nicht nur "auch da" wie du schreibst. Wenn sie nur "auch da" wären, wäre der Konflikt schon weit mehr entschärft. Das Problem besteht darin, dass sie den Israelis derart feindlich eingestellt sind, wofür sie verschiedene Motive haben, dass sie, wenn es möglich wäre, die Juden ins Meer treiben würden.

Diese Feindseligkeit läßt sich mit "konventionellem" Nationalismus nicht so ohne weiteres erklären. Das läßt sich viel mehr mit antisemitischen Motiven erklären, denn: Wären die Israelis in der Mehrzahl keine Juden, sondern Moslems, hätten die arabischen Nachbarn weitaus weniger Probleme mit ihnen, selbst wenn diese erst nach 1945 eingewandert wären und sich das Land unter den Nagel gerissen hätten. Die arabischen Staaten hätten sich mit dem neuen Staat schon längst arrangiert und auch die Vertreibung von 700 000 Juden aus der arabischen Welt 1948 ff wäre aus ihrer Sicht nicht nötig gewesen.

Die harten Bandagen der Israelis, auf die die Palästinenser wiederum brutal reagieren, resultieren aus den Erfahrungen der Israelis mit den Arabern im umkämpften Kernland bis 1948 und den arabischen Nachbarstaaten, seit mehr als 50 Jahren. Da sind wir uns hoffentlich einig.

Nicht wirklich. Die "harten Bandagen" der Israelis resultieren also aus Erfahrungen, wohingegen die harten Bandagen palästinensischer Steinewerfer und Selbstmordattentäter keineswegs aus Erfahrungen mit der Besatzungsmacht resultieren – sondern aus anderen, nämlich "antisemitischen Motiven", also aus einer ebenso grundlosen wie abgrundtiefen Bösartigkeit? Im Ernst? Wenn Du wirklich glaubst, zum "ins Meer treiben" gehört mehr als "konventioneller Nationalismus", dann täuschst Du Dich aber ganz gewaltig; auch im normalen Nationalismus ist nämlich die Vernichtung von Feinden allemal und jederzeit inbegriffen. Das kommt davon, wenn man unbedingt die Feindschaft gegen Juden als etwas einmaliges und außergewöhnliches auffassen will – eine etwas zu hohe, eine verharmlosende Meinung vom handelsüblichen Nationalismus kommt da offenbar immer heraus.

Meine Behauptung, daß die nichtjüdische Wohnbevölkerung in der besagten Gegend einfach "auch da" ist, und daß das schon das Problem ist, wiederhole ich. Deren Anwesenheit allein ist sehr wohl das Problem, wenn ein dezidiert völkisches Gemeinwesen etabliert werden soll, eine "nationale Heimstatt" speziell für Juden, wodurch die Nichtjuden das Problem haben, nicht der auserwählten Rasse anzugehören, der sich dieser Nationalstaat verpflichtet weiß: Deswegen müssen sie im Zuge der Besiedlung vertrieben werden, und so eine Vertreibung ist ohne Terrorisierung nicht zu haben; früher im heutigen Kernland, heute in den besetzten Gebieten. Wenn Dir klar ist, daß es "um Land" geht, wieso ist Dir dann nicht auch klar, daß schon die Anwesenheit von Leuten das Problem ist, wenn deren Land völkisch umgewidmet werden soll? Hältst Du einen Krieg "um Land" für etwas im Grunde genommen harmloses? Für einen "Konflikt", der von den Opfern leicht entschärft werden könnte, wäre da nicht die – grundlose, jedenfalls aus ganz anderen "Motiven" herrührende – Feindseligkeit der Vertriebenen bzw. der Diskriminierten?

Die Vorstellung, daß die Palästinenser "feindlich eingestellt" sind, nicht weil sie von Juden vertrieben, sondern weil sie speziell von Juden vertrieben wurden bzw. werden – so als hätten sie bloß einen Vorwand gebraucht und gefunden, um ihren "Antisemitismus" endlich in vollen Zügen ausleben zu können! –, diese Vorstellung halte ich, höflich formuliert, für reichlich abwegig. Es gehört halt zur Konstruktion von Feindbildern, der eigenen Seite gute Gründe bzw. überhaupt Gründe oder "Erfahrungen" zu bescheinigen, und der anderen Seite das zu bestreiten, so daß als deren Movens die pure Bösartigkeit übrigbleibt. Die komplementäre Vorstellung, von Moslems hätten sich die ursprünglichen Bewohner Palästinas alles gefallen lassen – weil diese Mohammedaner eh’ alle unter einer Decke stecken? –, was sie sich von Zionisten wg. "Antisemitismus" auf keinen Fall bieten lassen, die ist in jeder Hinsicht lächerlich und intellektuell schon reichlich peinlich. Genauer gesagt ist die Vorstellung, ein durch Rasse oder Religion formiertes Kollektiv würde immer zusammenhalten und "intern" niemals Feindschaften austragen, selber ein rassistisches Ideal, aber eben ein Ideal. Als gegenläufiger Hinweis bietet sich im Kontext unserer Diskussion etwa die Dir doch auch bekannte Behandlung der vertriebenen Palästinenser in Jordanien an, wo diese – überwiegend "nach 1945" und "eingewanderte" "Moslems" – sich nach Einschätzung des dortigen Königs zuviel Land und Einfluß "unter den Nagel gerissen" hatten: Im "Schwarzen September" 1970 ließ Hussein, ein klassischer Held der westlichen Welt, seine legendären "treuen Beduinen" das passende Blutbad in den Palästinenser-Lagern veranstalten. Syrien und der Libanon haben es bei Gelegenheit ähnlich gehalten. Merkst Du eigentlich noch, in welche Absurditäten Du Dich wegen Deines pro-israelischen Rechtfertigungsbedürfnisses versteigst? Nebenbei: Schon mal was von "Täter-Opfer-Umkehr" gehört?

"Die PLO würde ihre Leute hinschlachten lassen"

Dass die PLO damals ihre Kämpfer abgezogen hat, um die Bombardierung zu beenden, das wäre heute viel schwerer vorstellbar. Die PLO würde ihre Leute wahrscheinlich "bis zum letzten Blutstropfen" hinschlachten lassen, um damit einen Sieg im Bilderkrieg mittels toter Kinder zu erringen. Diese Vorgangsweise überrascht mich ebenso wenig, da es durchaus gängigen nationalistischen Motiven entspringt. Aber ist es nicht so, dass sich der "Wert" der Opferrolle der Palästinenser in den letzten 20 Jahren erhöht hat? Die palästinensischen Repräsentanten wissen, dass sie zumindest in Europa als zukünftiger Partner mehr in Frage kommen als noch vor 20 Jahren.

Merkst du eigentlich noch, wie sehr Du Hetze und Feindbildpflege betreibst? Die PLO kriegt einen dicken Minuspunkt, und zwar für eine "Vorgangsweise", die sie gar nicht zu verantworten hat, die Du Dir vielmehr als die "wahrscheinliche" ausgemalt hast, worauf Du natürlich auch keineswegs "überrascht" bist – von Deiner eigenen Unterstellung nämlich! So sind sie halt, diese Typen, nicht? Imitieren doch glatt eine Vorgangsweise, die Du offenbar für ein Privileg von Juden bzw. des israelischen Staates hältst – nämlich die Tour, mit dem Verweis auf Opfer moralische oder materielle Punkte sammeln zu wollen. Noch einmal: Der Wert der Opfer, sowohl jüdischer als auch palästinensischer Opfer, ist in der harten Welt des Imperialismus realiter nach wie vor und einheitlich gleich Null: Weder verdankt Israel seine Unterstützung den jüdischen Opfern der Vernichtungspolitik des Dritten Reiches, noch gründet der berechnende Umgang Europas mit Arafat in toten Kindern. Israel, Jordanien und Ägypten sind bloß eindeutig als US-amerikanische Satelliten positioniert, deswegen hat der EU-Imperialismus versucht, über eine dezente Förderung der Arafat-Administration dort Einfluß zu nehmen. Nebenbei: "Täter-Opfer-Umkehr" wird nicht nur im Verhältnis Deutsche/Juden betrieben.

"Konkret meine ich den Kampf der Alliierten gegen die Nazis"

Du meinst richtig, dass die Staaten ihre Menschen abschlachten, wenn es ihnen in den Kram paßt. Menschenabschlachten ist verwerflich, egal wer es tut. Aber durch diese Definition verunmöglichst du eine Analyse und einen differenzierten Blick. ... Was ist denn mit Menschenabschlachten, das begangen wird, um noch größeres Abschlachten zu verhindern? Konkret meine ich den Kampf der Alliierten gegen die Nazis. Mir ist bewußt, dass die Alliierten wenig von "humanen Werten" getrieben wurden, sondern von "klassischen" nationalen Bestrebungen geleitet wurden. ... Aber wenn die Allierten durch ihr Abschlachten ein noch größeres Abschlachten verhinderten und das bislang schlimmste Regime zurückdrängten, dann ist es notwendig gewesen. Der Kampf gegen die Nazis ist für mich in jeder Hinsicht unterstützenwert und erlaubte und erforderte leider auch eine große Zahl an Grausamkeiten, aber eben um noch größere Grausamkeiten abzuwenden. Und das alles geschah unzweideutig im nationalen Rahmen, auf der einen Seite der Faschismus und auf der anderen Seite der demokratische Nationalismus mit dem staatssozialistischen Nationalismus.

Wenn man was gegen das Abschlachten von Leuten hat, verunmöglicht das weder die Analyse noch den differenzierten Blick. Allerdings, die Frage, für die Du "differenzieren" möchtest, nämlich für welche der vielen (nicht nur) staatlichen Subjekte man Partei ergreifen soll, die planmäßig und zweckgerichtet über Leichen gehen – die ergibt sich aus meiner "undifferenzierten" Ablehnung in der Tat nicht. Daß es ausgerechnet im Krieg darum gehe, größere "Abschlachtungen" zu verhindern, gehört ins Schatzkästlein seiner Apologeten. Wahr daran ist höchstens, daß jede Partei das Abschlachten der Mannschaft des Gegners so radikal wie möglich betreibt, um ihn am Abschlachten des eigenen Kanonenfutters zu hindern.

Was Deine Interpretation des Zweiten Weltkrieges betrifft, folgt eine Gegendarstellung: Der Weltkrieg war keine Judenrettungsaktion, weder vom Zweck her noch vom Resultat. Die Vernichtungslager waren so ziemlich die einzige Abteilung im Dritten Reich, die bis zum Schluß unbeeinträchtigt vom Krieg funktioniert haben; die Befreiung der Überlebenden war eine Nebenwirkung der Niederlage, nichts weiter. Diese Tatsache wird ab und an auch öffentlich gemacht, aber wenn, dann mit keineswegs zufälligen Weiterungen. Eine besonders geschmackvolle Darstellung stammt von einem österreichischen Journalisten aus der Zeit des letzten Kriegs gegen Jugoslawien:

"Warum haben die Westalliierten nicht die Eisenbahngeleise nach Auschwitz bombardiert, obwohl sie über den Holocaust ziemlich genau unterrichtet waren? Die Frage ist bis heute nicht völlig gelöst. Eine Antwort lautet, es hätte nicht viel bewirkt. Roosevelt und Churchill dachten damals, die beste Methode, das Morden zu stoppen, wäre die möglichst rasche Niederringung Hitler-Deutschlands. … Die Nato, die USA und Europa, der amerikanische Präsident und die wichtigsten europäischen Politiker … stehen vor der Entscheidung: Lassen wir in einem Europa der Demokratie und Marktwirtschaft, das bis zur polnischen Ostgrenze reicht, einem mörderischen Außenseiter, der seit zehn Jahren einen Krieg nach dem anderen anzettelt, freie Hand? Gerade weil Auschwitz nicht bombardiert wurde, fühlt sich eine Generation der Fünfzigjährigen verpflichtet, die Unterlassungen der Großväter nicht noch einmal zu begehen." (Hans Rauscher, Format 14/99)

Hans Rauscher, selbsternannter Chefübersetzer der weltweit wichtigsten "Fünfzigjährigen", hat da Kriegshetze für echte Genießer geboten. Diese "Fünfzigjährigen" wollten eine "Unterlassung" ihrer "Großväter", die viele Juden das Leben gekostet hat, ausgerechnet an den Bewohnern des heutigen Jugoslawien rächen!? Ausgerechnet an Leuten, deren "Großväter" von Hitler bombardiert wurden? Bomben auf die Brücken von Novi Sad, als Kompensation für unbehinderten Transporte nach Auschwitz? Gerade weil der Zweite Weltkrieg keine Judenrettungsaktion war, ist für Rauscher um so naheliegender, daß der von den damaligen West-Alliierten gemeinsam mit den Verlierern von anno dunnemals geführte Jugoslawienkrieg unbedingt eine Albanerrettungsaktion war?! Respekt; auf den Spaß mußte erst einmal einer kommen.

Die Frage, warum die Bahngeleise der Auschwitz-Transporte nicht bombardiert wurde, ist übrigens längst beantwortet. Die Antwort ist bloß in höchstem Maß politisch unkorrekt. Beispielsweise im Sommer 1981 hat ein auf politische Skandale spezialisiertes deutsches Massenblatt wieder einmal "enthüllt", was ohnehin jeder wußte, der es wissen wollte. Der SPIEGEL stellte dem Historiker und Politologen Walter Laqueur etliche Seiten für den Vorabdruck eines Buches ("Das schreckliche Geheimnis") zur Verfügung, in dem dieser um ein Faktum nicht herumkommt und sich, das muß man ihm anrechnen, auch nicht herumdrückt: Die vom Dritten Reich in Osteuropa errichteten Vernichtungslager konnten ihr Werk unbehelligt von der alliierten Kriegführung verrichten. (SPIEGEL 35-37/1981) Das widerspricht natürlich der Legende, wonach es sich beim Zweiten Weltkrieg irgendwie schon auch um ein großangelegtes Judenrettungsunternehmen gehandelt haben soll, und Laqueurs Betroffenheit über seine Forschungsergebnisse speist sich aus dem Vergleich der Kriegsideologie – Hitler böser Feind wg. Judenvernichtung – mit dem tatsächlichen Kriegsverlauf, der für diese Ideologie einfach keine Anhaltspunkte bietet. Dabei ist Laqueur durchaus imstande, die Ereignisse auf "politisch korrekte" Art und Weise hinzudrehen, also unter Berücksichtigung der gültigen Mythen der politischen Kultur – ohne Rücksicht auf Logik, Wahrheit und sonstige Hindernisse. Laqueur bereitet die unerfreuliche Materie als Informationsproblem auf, nach dem Motto: Wenn die Führer (der Alliierten) das gewußt hätten … – und dabei kommen ihm die Details ständig in die Quere. Seine "jahrelangen Recherchen" haben nämlich ergeben, daß der Informationsfluß über die Vernichtungslager am Desinteresse der maßgeblichen US-amerikanischen Stellen "gescheitert" ist und an sonst nichts. Dafür macht Laqueur dann wieder etliche Faktoren verantwortlich, von angeblichen alliierten Befürchtungen, durch übertriebene Greuelpropaganda unglaubwürdig zu werden, bis zum auch dort verbreiteten Antisemitismus, etc. usw. So vermeidet er die zwingende, aber politisch eindeutig unkorrekte Schlußfolgerung: Das Retten der Juden war schlicht und einfach kein alliiertes Kriegsziel; die Informationen über die "Endlösung" waren für den tatsächlichen Kriegszweck – bedingungslose Kapitulation – unbrauchbar und wurden deswegen ohne Konsequenzen abgeheftet.

Daß auch dieser Krieg nicht in humanitärer Absicht geführt wurde, ist übrigens schon daran kenntlich, daß Staaten der Anti-Hitler-Koalition sich geweigert hatten, Juden aufzunehmen, als manche noch die Gelegenheit zum Verlassen Deutschlands gehabt hatten – auch Staaten, die sich seit 1945 wegen ihres Beitrags zum Befreien der Überlebenden bewundern. So hat die US-Einwanderungspolitik manche Juden das Leben gekostet, indem Leute keine Visa bekamen oder sogar mit Visum abgewiesen wurden. Diese Juden waren das damalige Asylantenproblem, und so wurden sie auch behandelt. Zuerst die Leute nach Deutschland zurückschicken, und dann wegen denen einen Weltkrieg führen – eine ziemlich absurde Vorstellung, nicht? Ihre praktizierte "Unterlassung" hat die Alliierten nach dem Befreien der überlebenden KZ-Insassen natürlich nicht daran gehindert, aus dem gewonnenen Weltkrieg ein hochsittliches Drama zu deichseln, eine Auseinandersetzung mindestens zwischen dem Guten und dem Bösen, und dabei durften auch die Opfer der Vernichtungslager ihre Dienste leisten. Die moralische Einkleidung von Politik und Krieg in eine Fabel von Recht und Unrecht, von Schuld und natürlich Sühne, ändert zwar nichts an den tatsächlich durchgekämpften Zwecken und macht auch keinen wieder lebendig – so setzt sich aber nun einmal das siegreiche politische Subjekt ausdrücklich ins Recht als selbsternannter Hüter des Guten, und mit sich selbst auch alle seine vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Kriege. So geht Indoktrination, und zumindest bei Hans Rauscher und bei Dir hat sie funktioniert. Falls die Nazis den Krieg gewonnen hätten, hätten sie übrigens ebenso "argumentiert" – eigene "Grausamkeit" gerechtfertigt wg. Verhinderung der Grausamkeiten der Gegenseite –, und jedem patriotischen, linientreuen Journalisten würde es einleuchten.

Noch ein Witz zum Schluß: In den USA werden angeblich Sammelklagen gegen den US-Staat vorbereitet, von Opferorganisationen, wegen eben dieser "unterlassenen" Judenrettung im Zweiten Weltkrieg.

"Es gab immer die Möglichkeit für Opfer, sich der Ermordung zu entziehen"

Der Antisemitismus ist nicht ein Rassismus unter vielen, denn wie erklärt sich dann seine Heftigkeit? Wie erklärt sich die Heftigkeit, dass die Juden weltweit ausgerottet hätten werden sollen? Sind dafür die fortgeschrittenen Kriegshandlungen ab 1941 ausschlaggebend? Die Einmaligkeit des Holocaust besteht darin, dass er nicht nur industriell betrieben wurde, das Gaskammern errichtet wurden, sondern vor allem darin, dass die Juden vollständig vom Erdball verschwinden hätten müssen.

In sämtlichen völkischen Kriegshandlungen vorher und auch nachher ist so etwas nicht mehr vorgekommen. Es gab theoretisch immer die Möglichkeit für potentielle Opfer, sich der Ermordung zu entziehen, sei es durch Abschwören einer Religion, einer Ideologie. Selbst für rassisch Verfolgte bedeutete es noch nicht die totale Vernichtung, nicht einmal unter den Nazis. Die von den Nazis als Untermenschen des Ostens titulierten Bewohner hatten noch die Möglichkeit als Sklavenvölker zu überleben. Einzig den Juden war auch diese Möglichkeit verwehrt.

Mal rein logisch: Wenn es, wie du unterstellst, verschiedene Rassismen gibt, wieso können die sich nicht auch durch ihre "Heftigkeit" unterscheiden – was immer damit gemeint sein mag? "Rassismus" allgemein nicht "heftig", "Antisemitismus" schon, oder was? Wieso sollte außerdem das "Ausrotten" nicht im "Rassismus" inbegriffen sein? Hältst Du jetzt auch "Rassismus", sofern er nicht antisemitisch ist, für etwas im Grunde genommen harmloses? Die antisemitische "Heftigkeit" des Nationalsozialismus erklärt sich übrigens daraus, daß diese politische Bewegung ein feindliches jüdisches Volk für das entscheidende Hindernis des deutschen Aufstiegs zur Supermacht gehalten und bekämpft hat, nichts weiter. Die Umkehrung stimmt deswegen aber nicht: Deutschland sollte nicht zur Supermacht werden, um Juden ausrotten zu können; konträr, auf dem Weg dorthin sollte, aus der Sicht des Dritten Reiches, die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung eliminiert werden.

Die ideologische Funktion des beliebten Ausschlachtens der Judenvernichtung, nämlich die Verharmlosung "sämtlicher völkischer Kriegshandlungen vorher und auch nachher", die ist bei Dir durchschlagend angekommen, wie bei jedem braven Bürger. So soll es auch sein! Allerdings geht es auch in Deiner Darstellung nicht ohne gröber Absurditäten ab. Die anvisierten Opfer von Kriegshandlungen könnten sich normalerweise der Vernichtung "entziehen", zumindest "theoretisch" – in welcher Welt lebst Du eigentlich? In Afghanistan sind neulich soundsoviel Tausende zerfetzt worden, im Irak ist es demnächst soweit, und die hätten bloß einer "Religion oder Ideologie abschwören" müssen – spinnst Du jetzt komplett, um einmal unhöflich zu werden? Im Krieg soll man sich einfach so und frei entscheiden können, ob man getötet wird oder nicht? Indem man sich von Religion oder Ideologie distanziert? Was glaubst Du eigentlich, was los ist auf der Welt? Merkst Du noch immer nicht, in welche Abseitigkeiten man gerät, wenn man den Glaubenssatz von der "Einzigartigkeit" bebildern will?

Und in der Tat, die nationalsozialistische Rassenkunde hat schon ihre Unterschiede gemacht, in der Beurteilung verschiedener Völker. Falls Du Dich für den Grund interessierst: Im Vergleich mit anderen feindlichen Völkern, wie etwa dem französischen, das nach seiner Niederlage immerhin für würdig befunden wurde, im vereinten Europa unter deutscher Führung dabei zu sein, ist das jüdische besonders schlecht weggekommen. Nach dem erzbürgerlichen Grundsatz, daß erst der Staat den Menschen zum wahren Menschentum emporhebt, haben die Nazis in den Juden einen Menschenschlag identifiziert, der es dazu, zu seinem eigenen Staat, nicht gebracht hatte, und daraus auf die Minderwertigkeit dieser "Rasse" geschlossen. Aber was soll daraus folgen? Soll man jetzt ausgerechnet den nationalsozialistische Rassenstandpunkt im Detail beibehalten bzw. wiederbeleben, und sich bei der moralischen Begutachtung verschiedener Völker und ihrer heutigen Rechte und Pflichten daran orientieren – aber sorgfältig die Bewertung auf den Kopf stellen, aus "Plus" ein "Minus" machen und umgekehrt? So wie es die superdeutschen "Antideutschen" machen, die das rassistische Weltbild nachvollziehen, aber das Ergebnis umwerten: Statt der Juden sind in deren Weltbild eben die Deutschen die bösartige, die minderwertige Rasse?!

"Meine/unsere Vorfahren haben ein qualitativ neuartiges Verbrechen begangen"

Ich bin weiters nicht von einem schlechten Gewissen getrieben und vertrete auch nicht den Standpunkt, dass man in Österreich und in Deutschland eine spezielle Verantwortung, wegen der Taten des 3. Reichs trage, wobei ich nicht weiß, was du unter dieser verstehst. Zumindest heißt das nicht, dass man Israel, wegen der "eigenen" Vergangenheit nicht kritisieren dürfe. Nur ist das was, in Österreich als Kritik daherkommt, meistens nur Diffamierung. Ich weise aber schon darauf hin, dass meine/unsere Vorfahren ein qualitativ neuartiges Verbrechen begangen haben. Die Nachfolger der Täter üben sich in Schuldabwehr und geben sogar den Juden die Schuld für Auschwitz.

Ich wiederhole meinen Hinweis, daß die Judenvernichtung kein Verbrechen war, sondern eine "ethnische Säuberung", also eine Staatsaktion, ausgeführt von Politikern und Patrioten, die nur durch die Niederlage als Verbrechen bestraft wurde. Diese Darstellung als "Verbrechen" ist die durchgesetzte Verharmlosung dieser Vernichtungsaktion, indem unterstellt wird, daß so etwas von den Staaten – also den üblichen Veranstaltern von solchen Säuberungen! –, eigentlich zu bekämpfen wäre. Es ist auch nicht besonders neuartig, Leute ausschließlich wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem "feindlichen Volk" zu töten, unabhängig davon, ob sich die Betroffenen subjektiv diesem Volk zuzählen und wie sie sich praktisch betätigt haben.

Welche Bedeutung mißt Du denn der Tatsache bei, daß "meine/unsere Vorfahren" im Dritten Reich mitgemacht haben? Auch hier gilt: Bestimme doch diese nebulöse Bedeutung, oder hör auf, damit zu argumentieren. Eine "besondere Verantwortung" folgt Deiner Ansicht nach nicht daraus, und ein "schlechtes Gewissen" hast Du auch nicht – aber betreibst Du da nicht selber schon "Schuldabwehr"? Ist nicht "Schuldabwehr" der Anspruch auf ein reines Gewissen? Und falls keine Vorfahren beteiligt gewesen wären, sollte man dann der Judenvernichtung desinteressiert gegenüberstehen? Oder wie sonst?

Was sonst "in Österreich als Kritik daherkommt", das sollte für unsere Debatte über die GegenStandpunkt-Kritik doch irrelevant sein, oder? Es sei denn, Du interpretierst die Kritik im GegenStandpunkt automatisch völkisch, nach dem Sitz des Verlages und damit als Teil dessen, was in Österreich oder Deutschland so daherkommt und in dieser Zeitschrift ständig kritisiert wird.