trend.infopartisan.net/trd0505/t180505.html Wertgesetz und Rassismus

Wertgesetz und Rassismus
Zur begrifflichen Genesis kolonialer und faschistischer Bewußtseinsformen


Von Peter Schmitt-Egner
05/05

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Vorbemerkung

Der vorliegende Aufsatz beruht auf einigen Kapiteln meines Buches Kolonialismus und Faschismus.(1) Man kann hier jedoch insofern von einer Neufassung sprechen, als diese grundlegende Überarbeitung m. E. von einer größeren begrifflichen Strenge geprägt ist als die ursprüngliche Darstellung. Zudem wurde auf eine breite Diskussion der bisherigen Literatur verzichtet und der Anmerkungsapparat stark gekürzt. Auch können bestimmte Voraussetzungen der Darstellung des Gegenstandes nur angedeutet, nicht ausgeführt werden (wie etwa der Kolonialismusbegriff etc.). 

Die verschiedenartigen Reaktionen auf die Resolution der UNO über den Zionismus als »spezifische Form des Rassismus« haben nicht nur politische Emotionen geweckt, sondern angesichts von Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus die Verwirrung der wissenschaftlichen Diskussion in dieser Frage offenbart. Die absolute Unkenntnis über das Wesen des Rassismus hat freilich ihren Grund nicht in der mangelnden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Problem, sondern vielmehr in der unbewältigten Geschichte des Faschismus. Die theoretische Erfassung des historischen Faschismus im allgemeinen und seiner Bewußtseinsformen im besonderen reflektieren diese Schwierigkeiten gerade in ihren fortgeschrittensten Varianten. Im Hinblick auf den Rassismus als Bewußtseinsform seien hier kurz die Ansätze skizziert, welche die bisherige Diskussion in der Sozialwissenschaft, sei es mit marxistischem oder nichtmarxistischem Anspruch, beherrschten. 

Es sind grob zwei Argumentationsrichtungen zu unterscheiden: einerseits eine „sozialpsychologische“, andererseits eine „ökonomische“. Erstere kann als genetisch, letztere als funktionalistisch umschrieben werden. 

Die wesentlichen Impulse des sozialpsychologischen Konzepts gingen von Wilhelm Reich und seiner Tradition aus, der angesichts der historischen Situation des Faschismus an der Macht den Zusammenhang von Ökonomie und Bewußtsein als „Schere“ entwickelte. 

Reich konstatierte ein Auseinandertreten von „Ökonomie“, welche durch die Krise nach „links“ treibe, und Bewußtsein, das sich nach „rechts“ entwickele. Da die Entwicklung der Ökonomie selbst diese Bewußtseinsform nicht unmittelbar hervorbringen konnte, suchte Reich nach dem entscheidenden Transmissionsriemen und fand ihn in den Sozialisationsinstanzen. Er verwies zwar stets darauf, daß die Ökonomie diese Instanzen hervorbringe, mußte jedoch weiterhin den Begriff der „Schere“ beibehalten, weil die Genesis dieser Bewußtseinsformen nicht aus den Widersprüchen der Ökonomieform entwickelt werden konnte. Diese Richtung gerann daher auch entweder zur reinen Sozialpsychologie, speziell zur Vorurteilsforschung, oder wurde gar zum Zweig der Psychopathologie, die jenem Phänomen nur eine wie immer geartete „Rationalität“ entgegensetzen konnte. Die marxistische Variante, welche noch auf dem Zusammenhang von Ökonomie und Bewußtsein beharrte, blieb letztlich im - wenn auch modifizierten - Basis-Überbau-Schema hängen, wobei dann von einer relativen „Verselbständigung“ des letzteren vom ersteren gesprochen wurde. 

Dieses Basis-Überbau-Schema war auch Grundlage der zweiten „funktionalistischen“ Richtung, welche - in der Tradition der II. und III. Internationale im Gegensatz zur sozialpsychologischen Strömung die Genesis des Rassismus aus der Theorie eskamotiere und sich ausschließlich auf seine Funktion bezog. Der Zusammenhang von Kapitalismus und Rassismus konnte nur konstatiert und nicht bewiesen werden, weil der Rassismus nicht als gesellschaftlich notwendige Bewußtseinsform der warenproduzierenden und austauschenden Gesellschaft begriffen wurde, sondern nur als Instrument der Unterdrückung der Länder der „Dritten Welt“. Die Funktion des Rassismus konnte nicht auf seine Form und deren Genesis bezogen werden, der Rassismus nicht mehr als formbestimmt betrachtet werden. So wurde seine politische Bekämpfung zusehends zu einer moralischen. 

Dies traf insofern auch auf die sozialpsychologische Richtung zu (und ihre kritischen Varianten machen hier keine Ausnahme!), die entweder den Rassismus als ein Moment individueller oder kollektiver Pathologie betrachtete oder als Produkt der primären und sekundären Sozialisation sowie eine Kombination beider Faktoren. Der Rassismus kann hier nur pädagogisch, also durch Aufklärung oder durch die Psychotherapie im allgemeinen und die Psychoanalyse im besonderen „geheilt“ werden. 

Dagegen geht es uns darum, den Rassismus als gesellschaftlich notwendigen Schein der bürgerlichen Gesellschaft nachzuweisen, d. h. zu entwickeln, wie sich in den Widersprüchen der Ökonomieform die objektive Möglichkeit des Rassismus verbirgt. Dieser Nachweis des Rassismus als genuiner Bewußtseinsform der bürgerlichen Gesellschaft ist erst dann erbracht, wenn der Begründungszusammenhang der letzteren zum Begründungszusammenhang auch des ersteren wird. Wenn nämlich der Wert bzw. das Wertgesetz den abstraktesten Grund der bürgerlichen Gesellschaft bildet, so muß dieser auch für den Rassismus als Bewußtseinsform gelten. Die Entfaltung der Bestimmungen des Wertgesetzes müßte uns dann die aus der Allgemeinheit entspringenden Besonderheiten enthüllen; d. h. wenn wir die Menschenrechte ebenso wie ihre Negation aus den Widersprüchen der Warenform entwickelt haben, also die objektive Möglichkeit des Rassismus, so müßte sich auf der konkreteren Ebene der Kapitalform zeigen lassen, wie diese Möglichkeit zur Totalität, also zur herrschenden Bewußtseinsform, werden kann. Auf dieser Basis ist dann zu untersuchen, unter welchen Bedingungen diese Möglichkeit in Wirklichkeit umschlagen kann, d. h. unter welchen Bedingungen jener Inhalt diese Formen annimmt.

Es handelt sich hier also primär um die begriffliche Genesis der Form aus der abstrakten Bewegung ihres Inhalts; die konkrete Bewegung des Begriffs im einzelnen ist Gegenstand seiner historischen Darstellung, auf die hier verzichtet wird. 

Bei der Genesis des Rassismus sind also drei Stufen zu unterscheiden, die sich aus der Entfaltung der Bestimmungen des Wertgesetzes ergeben: 

1. Der Rassismus als notwendige Bewußtseinsform der bürgerlichen Gesellschaft (Warenform).

2. Die objektive Möglichkeit des Rassismus als herrschende Bewußtseinsform dieser Gesellschaft (Kapitalform).

3. Die Bedingungen, unter welchen die objektive Möglichkeit des Rassismus in Wirklichkeit umschlägt (Verhältnis von Warenform und Kapitalform im internationalen Maßstab).

Die Entwicklung dieser Argumentationsstufen ist Grundlage der Bestimmung von Kolonialismus und Faschismus als Existenzformen bürgerlicher Herrschaft. 

I. Warenform und Rassismus: Zur Genesis bürgerlicher Bewußtseinsformen in ihrer Allgemeinheit 

1. Einleitende Notiz zum Verhältnis von Ökonomiekritik und Ideologiekritik. 

Die folgenden Ausführungen verstehen sich nicht als eine Explikation der in dieser Arbeit verwandten „Methode“; vielmehr sollen sie dem Leser eine Vororientierung des kenntnis- und wissenschaftstheoretischen Selbstverständnisses geben, dem gerade die Einheit von Gegenstand und Methode zugrunde liegt. Dies soll im Laufe der Darstellung ausgeführt werden. 

Die Beschäftigung mit der Genese von Bewußtseinsformen setzt die Beschäftigung mit dem Ideologiebegriff voraus. Ideologie als Kritik von Bewußtseinsformen hat seit dem Anbruch des bürgerlichen Zeitalters mit Bacon den entscheidenden Angriff der entstehenden Aufklärung gegen die Bornierungen des feudalen Bewußtseins geführt; es war dies der ideelle Ausdruck des Kampfes des sich emanzipierenden Bürgertums gegen die Institution, welche als einziges Bollwerk der ungehinderten Entfaltung des bürgerlichen Handels und Gewerbes entgegenstand; die Kirche (in ihrer römisch-katholischen Bornierung).

Ideologiekritik. konnte daher in der englischen und französischen Aufklärung in ihrer Substanz nur Religionskritik sein. Die Einheit von Bewußtseins- und Gesellschaftskritik bezog sich jedoch ausschließlich auf die soziale Funktion der Ideologie. Dafür ist die Holbachsche Priestertrugstheorie idealtypischer Ausdruck. Wenn Holbach von der Verschwörung der Priester spricht, welche die Religion im Bündnis mit den Herrschenden zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft erfunden hätten und mit dem Hinweis auf das Jenseits eine scheinhafte Kompensation des bestehenden Unrechts lieferten, so ist dies nach Herbert Schnädelbach »bis heute die wesentliche Funktion aller Ideologien geblieben«.(1a) Doch schon hier gilt es, Schnädelbachs Feststellung zu differenzieren. Zwar hat die Kritik der englischen und französischen Aufklärung die Funktion der Ideologie durchschaut, dies aber wiederum nur ideologisch. Die Formen der Ideologie wurden als Vorurteile angeklagt (2); die Genesis dieser Formen wurde nicht als Ausdruck der inneren  Organisation der Gesellschaft selbst begriffen; Kritik blieb daher rein moralisch borniert. Noch der Feuerbachsche Materialismus war einer anthropologischen Anschauung verhaftet, die eine materielle Realität zwar als wirklich erkannte, sich dieser gegenüber jedoch bloß kontemplativ verhielt. Diesen passivischen Begriff der gesellschaftlichen Objektivität, die Trennung von Subjekt und Objekt, konnte erst der bürgerlich-neuzeitliche Idealismus auflösen (Hegel), indem er die tätige Seite, die Praxis, entwickelte, als ideellen Ausdruck der zunehmenden Vergesellschaftung der Subjekte (Frühindustrialisierung). Damit war die Voraussetzung für die Auflösung der bürgerlichen Anthropologie gegeben. 

Die tätige Seite wird jedoch nicht als sinnlich-menschliche, sondern als „Denkpraxis“ gefaßt. Daß Hegel das Wesen der Arbeit begreift, indem er ihr geschichtlich verändernde Potenz zuspricht, die in die Freiheit der Subjekt-Objekt-Vermittlung in Form der selbstbewußten Erkenntnis in die eigenen Produkte einmünden soll, führte zur Aufhebung der Trennung von Erkenntnismittel und Erkenntnisinhalt. 

Realität wird als produzierte begriffen. Doch wird der Begriff der Arbeit bei Hegel zur Arbeit des Begriffs. Die Bewegung des Begriffs schildert die Totalität der Produktion und substituiert damit die wirkliche. Hegel steht auf dem Produktionsbegriff der Klassischen Ökonomie, wenn er die Arbeit des Weltgeistes als Arbeit sans phrase, als abstrakte Arbeit faßt, die sämtliche Realität unter sich subsumiert. 

Die Marxsche Kritik besteht nun nicht nur in verkürzender „Umstülpung“, daß die Geschichte auf Arbeit und Klassenkampf beruhe, sondern in der präzisierenden Erkenntnis, daß sich hinter der von Hegel und der Klassischen Ökonomie entdeckten abstrakten Arbeit die konkrete verberge. Erst die Marxsche Begründung, warum sich die konkrete Arbeit als abstrakte darstellen muß, läßt den inneren Zusammenhang von Ökonomiekritik und Ideologiekritik deutlich werden. Der Doppelcharakter der Arbeit konstituiert bei ihm die Differenz von Wesen und Erscheinung und damit die Kritik an den Klassikern. Das von Hegel gesetzte »übergeordnete Bewußtsein« ist zwar ein Schein, aber ein realer Schein: nämlich die warenproduzierende und -austauschende Gesellschaft, Schein deshalb, weil keine reale Dingstruktur besteht, aber verdinglicht - vermittelt über die warenproduzierende und -austauschende Gesellschaft - ist es real, weil es gleichwohl die Menschen beherrscht. 

Arbeit sans phrase wird also nicht nur in der Kategorie, sondern »in der Wirklichkeit zum Schaffen des Reichtums überhaupt« (GR S. 25). Der Begründungszusammenhang, das Wesen der warenproduzierenden Gesellschaft, ist der Wert, eine existierende Abstraktion der Ware, die im Tauschwert erscheint. Er reduziert im gesellschaftlichen Verkehr alle konkreten Dinge auf die gesellschaftliche Abstraktion des Tauschwerts. Jedoch nur durch die Gleichgültigkeit dem Inhalt der Arbeit gegenüber setzt sich die Austauschbarkeit der Produkte als gleich geltende. Die gesellschaftlichen Verhältnisse der Produzenten erhalten so die Form eines gesellschaftlichen Verhältnisses der Arbeitsprodukte. Die Warenform, die sich in Gebrauchswertgestalt hüllen muß, spiegelt den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer Arbeit als Natureigenschaften der Dinge zurück. Die Subjekte erkennen sich nicht als Subjekte, sondern als Objekte an. Diese reale Verkehrung ist Ursache für alles ideologische Denken, für alle Verkehrungen des Bewußtseins. 

Ideologie (3) als gesellschaftlich notwendig falsches Bewußtsein setzt als Erkenntnisbedingung die Totalität der Warenproduktion voraus,. Erst auf dieser Grundlage ist die Verkehrung von Sein und Schein möglich. Insofern sind die häufig zitierten Passagen zum Ideologiebegriff in der Deutschen Ideologie lediglich eine vorläufige Orientierung über den Zusammenhang von Gesellschaft und Bewußtsein. Geschichte wird hier noch wesentlich als Aufeinanderfolge von Arbeitsteilung und Herrschaft begriffen. Qhne den systematischen Begriff von Arbeit als konstituierender Wesenskategorie der bürgerlichen Gesellschaft konnten die Formen der gesellschaftlichen Verdoppelung nicht als Realabstraktionen, sondern nur - nominalistisch - als Legitimationsbedürfnis von Herrschaft kritisiert werden; der Ideologiebegriff ist hier noch der Tradition der Aufklärung verhaftet, weil das falsche Bewusstsein noch nicht als gesellschaftlich notwendige Form enthüllt, ist. 

Der Ideologiebegriff des „reifen“ Marx unterscheidet sich daher von allen vor und nach ihm entwickelten darin, daß er als Kritik eine methodische Einheit von Ideologiekritik und ökonomiekritik bildet, welche durch ihren Gegenstand als solche gesetzt ist. Die Verschiedenheit in der Einheit des Gegenstandes bewirkt, daß es zunächst die Aufgabe der Ökonomiekritik ist, die gesellschaftliche Notwendigkeit des Bewußtseins aufzuzeigen, indem sie die Kerngestalt der Verhältnisse offenlegt. Ideologiekritik reflektiert dagegen die Ebene des Scheins, der gleichwohl dingliche Realität in bezug auf das Wesen besitzt. Die Realität des Scheins bezieht sich somit auf die Ökonomiekritik; die Scheinhaftigkeit der Realität wird enthüllt, indem gezeigt wird, wie sich die Formen in ihrer Verkehrung im gesellschaftlichen Bewußtsein als Teil dieser Realität ausdrücken. Dieser Zusammenhang soll nun an den allgemeinsten Legitimationsbegriffen der bürgerlichen Gesellschaft, Freiheit und Gleichheit, entfaltet werden. Nur in bezug auf die Einheit von Ökonomiekritik und Ideologiekritik kann gezeigt werden, wie das Wertgesetz die Menschenrechte und deren Negation erzeugt. 

2. Die Realität des Scheins: Der Ursprung der Menschenrechte (W-G-W). 

Ernst Bloch hat darauf hingewiesen, daß es nicht das »Ideal der Freiheit, sondern der Gleichheit« gewesen sei, »vor dem das beginnende Bourgeoisinteresse in der französischen Revolution gezittert hat«(4); weil Gleichheit von »vornherein, wenn nicht ausdrücklich« ohne Einschränkung Gleichheit der Vermögen bedeutet, betont er mit dem Hinweis auf Babeuf die plebejische Variante der Revolution. Nun ist es in dieser Form sicher richtig, daß die Gleichheit in letzter Konsequenz in ihrer Verbindung mit dem Privateigentum sich selbst als »reale Ungleichheit unter den Klassen« (5) denunziert; es erklärt jedoch noch nicht, warum die bürgerliche Revolution die Embleme »Freiheit und Gleichheit« auf ihre Fahnen geheftet und warum dieselben ihren Eingang in nahezu alle Verfassungen bürgerlicher Demokratien gefunden haben. Der oben entwickelte Ideologiebegriff verpflichtet uns daher zu untersuchen, welche reale Grundlage die Kategorien Freiheit und Gleichheit (und Eigentum) haben, und in welchem Maße er den Legitimationszusammenhang der bürgerlichen Gesellschaft begründet. 

Deshalb versuchen wir zu entwickeln, wie Ideologiekritik die Form der Ökonomiekritik annehmen muß, um die Realität des Scheins kategorial zu erfassen. 

Ausgangspunkt unserer Betrachtung sind die bereits von Hegel vorgenommene Trennung von Staat und bürgerlicher Gesellschaft und die daraus entspringende Verdoppelung des Mitglieds der bürgerlichen Gesellschaft in Bourgeois und Citoyen. »Derselbe sorgt für sich und seine Familie, arbeitet, schließt Verträge usf., und ebenso arbeitet er auch für das Allgemeine, hat dieses zum Zwecke. Nach jener Seite heißt er Bourgeois, nach dieser Citoyen.(6) 

In seiner Kritik des Hegelschen Staatsrechts und noch eindringlicher in der Judenfrage (7) hat Marx das Problem der „Verdoppelung“ aufgegriffen. Im Zusammenhang mit seiner Kritik an den französischen Verfassungen von 1791 und 1793 geht er davon aus, »daß die [. . .] Menschenrechte [. . .] nichts anderes sind als die Rechte des Mitglieds der bürgerlichen Gesellschaft, d. h. des egoistischen Menschen, des vom Menschen und vom Gemeinwesen getrennten Menschen«.(8) In der bürgerlichen Revolution wurde daher der Mensch »nicht von der Religion befreit, er erhielt die Religionsfreiheit. Er wurde nicht vom Eigentum befreit, er erhielt die Freiheit des Eigentums. Er wurde nicht von dem Egoismus des Gewerbes befreit, er erhielt die Gewerbefreiheit«.(9)

Wo der politische Staat seine wahre Ausbildung erreicht hat - im Kapitalismus -, führt der Mensch ein doppeltes Leben, das Leben im politischen Gemeinwesen, wo er als Staatsbürger, als Citoyen, gilt und das Leben in der bürgerlichen Gesellschaft, worin er als Privatmensch tätig ist, worin sich also die Differenz zwischen dem »religiösen Menschen und dem Staatsbürger, zwischen dem Kaufmann und dem Staatsbürger, zwischen dem Taglöhner und dem Staatsbürger [. . .] zwischen dem lebendigen Individuum und dem Staatsbürger« ausdrückt.(10)

An der für die bürgerliche Gesellschaft charakteristischen Verdoppelung des Menschen in Bourgeois (Homme) und Citoyen hatte der junge Marx die Widersprüchlichkeit von formaler und realer Bedingung von Freiheit und Gleichheit im Zusammenhang mit der Eigentumsfrage aufgegriffen, Jedoch noch nicht kategorial ausführen können, worin die Realität des Scheins besteht."

 Es wurde bereits festgestellt, daß diese Ausführungen erst in dem sich anschließenden Forschungsprozeß von Marx entwickelt werden konnten. Ideologiekritik und ökonomiekritik werden erst dann zur Einheit, wenn Marx als Resultat seiner Kritik der politischen Ökonomie den Wertbegriff als Wesensbegriff der bürgerlichen Gesellschaft gewinnt, in dem alle ihre Erscheinungen notwendig gründen(12).

Allgemeine begriffliche Voraussetzung dafür,'daß der zum ersten Mal in der Geschichte universelle Anspruch von Freiheit und Gleichheit seinen formellen Niederschlag in nahezu allen bürgerlich-republikanischen Konstitutionen fand, ist die Notwendigkeit, daß »die Warenform, die allgemeine Form des Arbeitsproduktes, als auch das Verhältnis der Menschen zueinander als Warenbesitzer das herrschende gesellschaftliche Verhältnis ist«.(13) 

Gleichheit wird also dann „real“, wenn die Ware oder die Arbeit nur noch als Tauschwert bestimmt ist und in der Beziehung, wodurch die verschiedenen Waren aufeinander bezogen werden, als Austausch dieser Tauschwerte eine Gleichsetzung realisiert wird, da »die Individuen, die Subjekte zwischen denen dieser Prozeß vorgeht, nur einfach bestimmt [sind] als Austauschende.«(14) Was die ökonomische Formbestimmung betrifft, besteht zwischen ihnen absolut kein Unterschied. Analytisch aufgeschlüsselt sind es vor allem drei entscheidende Momente im Austauschprozeß, die den „realen Schein“ der Gleichheit konstituieren: 

1. Die Subjekte des Verhältnisses (bestimmt als Austauschende).

2. Die Gegenstände ihres Austausches (»Tauschwerte, Äquivalente, die nicht nur gleich sind, sondern ausdrücklich gleich sein sollen und als Gleiches gesetzt sind«).

3. Der Akt des Austausches selbst (»die Vermittlung, wodurch die Subjekte eben als Austauschende, Gleiche und ihre Objekte als Äquivalente, gleicher gesetzt werden«).(15)

Die ökonomische Bestimmung löscht jede stoffliche Verschiedenheit im Gebrauchswert ihrer Waren aus, als Subjekt der Zirkulation treten sie sich in der Tat nur als subjektivierte Tauschwerte, d. h. lebendige Äquivalente, entgegen, als gleichgeltende.(16) Die Auslöschung der stofflichen Verschiedenheit manifestiert sich an der Oberfläche als »ideales Dasein der Ware im Preis«.(17) 

Die stoffliche Verschiedenheit der Gebrauchswerte wird für uns in dem Maße bedeutsam, in •dem wir die reale Basis der Freiheitsideologie untersuchen. Wird die Gleichheit durch die Form, so die Freiheit durch den Inhalt der auszutauschenden Waren bestimmt. 

»Aus dem Akt des Austausches selbst ist das Individuum, jedes derselben, in sich reflektiert als ausschließliches und herrschendes (bestimmendes) Subjekt desselben. Damit ist also die vollständige Freiheit des Individuums gesetzt; freiwillige Transaktion; Gewalt von keiner Seite«.(18) 

Der Inhalt des Auszutauschenden ist dem zufolge 

1. durch die natürliche Besonderheit der Ware bestimmt, die ausgetauscht wird,

2. durch das besondere, natürliche Bedürfnis der Austauschenden selbst, d. h. durch den verschiedenen Gebrauchswert der auszutauschenden Waren.(19)

»Diese natürliche Verschiedenheit der Individuen und ihrer Bedürfnisse bilden das Motiv zu ihrer Integrierung als Austauschende. D'abord treten sie sich im Tauschakt als Person gegenüber, die sich wechselseitig als Eigentümer anerkennen, als Person, deren Willen ihre Waren durchdringt und wo die wechselseitige Aneignung durch wechselseitige Entäußerung und durch ihren gemeinschaftlichen Willen, also wesentlich vermittels des Kontrakts, stattfindet.

Es kommt also hier das juristische Moment der Person herein und der Freiheit, die in ihr enthalten ist . . .«(20)

Die Verschiedenheit ihrer Bedürfnisse und ihrer Produktion, die den Anlaß zum Austausch geben, und damit auch die soziale Gleichsetzung der Austauschenden in ihm lassen den dialektischen Zusammenhang von Gleichheit und Freiheit als von der Zirkulation gesetzt offen hervortreten; die natürliche Verschiedenheit wird hier zur »Voraussetzung ihrer sozialen Gleichheit im Akt des Austausches und dieser Beziehung überhaupt, worin sie zueinander als produktiv treten«." Von daher sind Freiheit und Gleichheit nicht nur »respektiert im Austausch, der auf Tauschwerten beruht, sondern der Austausch von Tauschwerten ist die produktiv reale Basis aller Freiheit und Gleichheit. Als reine Ideen sind sie bloß idealisierte Ausdrücke desselben, als entwickelt in juristischen, politischen, sozialen Beziehungen sind sie nur diese Basis in anderer Potenz«.(22) 

In noch unterentwickelten Tauschsystemen sind die Abhängigkeiten primär personal (etwa Feudalherr-Vasall, Grundherr-Leibeigener) (23), jedoch im »Geldverhältnisse, im entwickelten Tauschsystem (und dieser Schein verführt die Demokratie) sind in der Tat die Bande der persönlichen Abhängigkeit gesprengt, zerrissen, Blutunterschiede, Bildungsunterschiede« (24) mit dem Übergang von der allgemeinen Wertform zur Geldform wird das Geld zum »universellen Leveller«; da es nichts anderes als die Realisierung des Tauschwertes ist, entwickeltes Tauschwertsystem Geldsystem, so kann letzteres »in der Tat nur die Realisierung von Gleichheit und Freiheit sein«.(25) Haben wir versucht, die Realität des Scheins nachzuzeichnen, so ist es unsere ideologiekritische Aufgabe, den Schein als Schein zu entlarven, d. h. in bezug auf das Wesen die Verkehrung desselben offenzulegen. Im oben entwickelten allgemeinen Ideologiebegriff ist in kurzen Zügen dargelegt worden, daß der Wert den inneren Zusammenhang und die Funktionsweise, d. h. das Wesen der bürgerlichen Gesellschaft, ausmacht. Marx zeigt nun, daß die Waren als Werte Kristallisation unterschiedsloser, gleicher abstrakter menschlicher Arbeit sind, bloße Gallerte der von Warenproduzenten als Teil einer jeweiligen gesellschaftlich-notwendigen geleisteten Arbeit, die nach ihrer Dauer gemessen wird.(26) Im Warenaustauschprozeß erscheint jeder dem anderen gegenüber als Besitzer des Zirkulationsmittels, d. h. die Individuen treten sich hier ausschließlich als Käufer und Verkäufer von Produkten gegenüber; dies begründet den Schein eines Systems selbständiger Warenbesitzer. 

Wenden wir uns jedoch von der Zirkulation, wo der Tauschwert erscheint, zum Produktionsprozeß, wo der Tauschwert entsteht, und stoßen wir dabei auf die Arbeit, so haben wir den Ausgangspunkt für die Enthüllung der Begriffe Freiheit und Gleichheit gefunden; doch auch schon auf der Ebene der Zirkulation wird das Gegenteil von Freiheit angedeutet, weil es auf dieser Ebene nur »als tauschwertproduzierendes Existenz hat, also schon die ganze Negation seiner natürlichen Existenz eingeschlossen ist«(27), gerade weil sein unmittelbares Produkt nicht für den Produzenten selber ist, sondern ein solches erst wird im gesellschaftlichen Prozeß.(28) Die Arbeit muß gleichgültig gegenüber ihrem Inhalt werden, um als gleichgeltend auftreten zu können. Nur die Abstraktion von ihrem Inhalt läßt also die Gleichheit real werden. 

3. Die Scheinhaftigkeit der Realität: Die Negation der Menschenrechte (G-W-G'). 

Ist in der einfachen Zirkulation die Aktion der Individuen aufeinander dem Inhalt nach die wechselseitige Befriedigung ihrer Bedürfnisse, so wird zunächst stillschweigend (von der klassischen Ökonomie) auch das Eigentum als »Appropriation des Produkts der Arbeit durch die Arbeit und des Produkts fremder Arbeit durch die eigene Arbeit, insofern das Produkt der eignen Arbeit durch fremde Arbeit gekauft wird«(29), gesetzt. Die oben beschriebene Entwicklung des Tauschwerts zum universellen System ergreift jedoch die Arbeit selbst, mit der Trennung von Arbeit und Eigentum30, läßt also das Arbeitsvermögen selbst zur Ware werden, zerreißt den Schleier von Freiheit und Gleichheit. 

»Beim Scheiden von dieser Sphäre der einfachen Zirkulation oder des Warentausches, woraus der Freihändler vulgaris Ansuchungen, Begriffe und Maßstab für sein Urteil über die Gesellschaft, des Kapitals und der Lohnarbeit entlehnt, verwandelt sich, so scheint es, schon in etwas die Physiognomie unserer dramatis personae. Der ehemalige Geldbesitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm als sein Arbeiter, der eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, der andere scheu, widerstrebsam, wie jemand, der seine eigne Haut zum Markte getragen, und nun nichts andres zu erwarten hat, als die Gerberei.«(31) 

Die zentrale Enthüllung der Scheinhaftigkeit von Gleichheit und Freiheit konzentriert sich im Austauschprozeß also auf einen ganz spezifischen Tausch einer besonderen Ware, die von ihrer Naturalform her den besondern Gebrauchswert hat, Quelle von Wert zu sein. Zunächst erscheint auch der Austausch von Kapital und Arbeit als ein Austausch von Äquivalenten. Erst der Produktionsprozeß in seiner doppelten Funktion als Arbeits- und Verwertungsprozeß enthüllt, daß in diesem Fall nur scheinbar Äquivalente ausgetauscht werden; einmal, weil der gegen Arbeitskraft ausgetauschte Kapitalteil selbst nur »Teil des ohne Äquivalent angeeigneten fremden Arbeitsproduktes ist«, zum anderen, weil dasselbe  »von seinem Produzenten dem Arbeiter nicht nur ersetzt, sondern mit neuem Surplus ersetzt werden muß. Das Verhältnis zwischen Kapitalist und Arbeiter wird also nur ein dem Zirkulationsprozeß angehöriger Schein, bloße Form, die dem Inhalt selbst fremd ist und ihn nur mystifiziert«.(32) 

Dies ist wiederum nur durch die konsequente Anwendung der Gesetze der Warenproduktion erklärbar, denn wenn »also die in Arbeitslohn vorgeschossene wertsumme sich im Produkt nicht einfach bloß widerfindet, sondern um einen Mehrwert vermehrt vorfindet, so rührt dies nicht her aus einer Übervorteilung des Verkäufers, der ja den Wert seiner Ware erhalten, sondern nur aus dem Verbrauch dieser Ware durch den Käufer.«(33) 

Der Nachweis, daß der Austausch von Kapital und Arbeit kein Austausch von Äquivalenten, sondern Aneignung fremder Arbeit »ohne Austausch, ohne Äquivalent, aber mit dem Schein des Austausches«34 ist, bildet den Kernpunkt der Zerstörung der Ideologie von Freiheit und Gleichheit, denn er zeigt, daß sie formell bleibt, nicht inhaltlich wird. Doch auch hier findet der Schein seine reale Gestalt, nämlich in der Form des Arbeitslohns; er löscht jede Spur der »Teilung des Arbeitstages in notwendige Arbeit und Mehrarbeit, in bezahlte und unbezahlte Arbeit aus. Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit.«" Dies erklärt die Mystifikation, der selbst der Produzent erliegt, da sie »das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und gerade sein Gegenteil zeigt«, auf ihr beruhen »alle RechtsVorstellungen des Arbeiters, wie des Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen. «(36) 

Wir haben versucht, aus dem oben skizzierten allgemeinen Ideologiebegriff den zentralen Legitimationszusammenhang der bürgerlichen Gesellschaft abzuleiten, und gesehen, daß der reale Grund aller Freiheits- und Gleichheitsideen aus dem Zirkulationsprozeß entspringt, die Scheinhaftigkeit jedoch nur aus der Voraussetzung desselben zu ergründen ist. 

Wollen wir nun die Genese der Kolonialideologie, als deren zentrale Erscheinungsformen Rassismus und Chauvinismus genannt werden müssen, verfolgen, so müßte sich auf dieser Abstraktionsebene ableiten lassen, warum in einem solchen Fall die bürgerliche Gesellschaft ihre „eigene“ Ideologie abstreift und in Verleugnung der bürgerlichen Revolution die Ungleichheit der Menschen zur neuen Ideologie kürt. 

Es ist also nachzuweisen, daß die Widersprüche, »die bei tieferer Entwicklung erscheinen«, immanente Widersprüche sind, »Verwicklungen dieses Eigentums, Freiheit und Gleichheit selbst; die gelegentlich in ihr Gegenteil umschlagen.«(37) 

Wenn wir bisher die allgemeinsten Formen bürgerlichen Bewußtseins, Freiheit und Gleichheit, aus dem Wertgesetz selbst abgeleitet haben, so müßten die Besonderungen dieses Bewußtseins auf derselben Ebene entspringen. Es gilt also hier nicht, angesichts der Aufhebung von Freiheit und Gleichheit die Aufhebung des bürgerlichen Systems zu konstatieren und damit die Aufhebung des Wertgesetzes, sondern vielmehr umgekehrt zu begründen, inwiefern die Negation von Freiheit und Gleichheit aus der Entfaltung der Bestimmungen des Wertgesetzes hervorgeht. Auf der Warenebene haben wir zunächst festgestellt, daß sich der abstrakteste Grund des Rassismus in der Produktion verbirgt. 

Dies konnten wir nur behaupten, weil wir zur Arbeitskraft als Ware vorgestoßen sind. Aus der Warenform der Arbeit ergibt sich zugleich der logische Übergang zu ihrer Kapitalform. Erst die Stufe der Arbeit als Kapital, welche die weltmarktliche Verfassung der bürgerlichen Gesellschaft erschließt, erlaubt uns, die Besonderheiten rassistischer Bewußtseinsformen zu entwickeln. Dieser Übergang wird im folgenden nur implizit entwickelt; zur expliziten Entwicklung sei hier auf eine andere Arbeit verwiesen.(38) Erst die Entfaltung der Bestimmungen bis hin zur Kapitalform gibt uns den Schlüssel zur Erklärung der Erscheinungsformen des Rassismus in die Hand und darüber hinaus die Begründung des Kolonialismus als Daseinsform bürgerlicher Herrschaft ebenso wie die seines Pendants, des Faschismus. 

Zunächst gilt es hier jedoch noch zu zeigen, wie der logische Übergang von der Warenform des Arbeitsprodukts zur Warenform der Arbeitskraft sich als historischer Ursprung des Rassismus darstellt. Die begriffliche Genesis des Rassismus ist also die Voraussetzung seiner historischen Darstellung. 

Exkurs: Die historische Genesis der bürgerlichen Gesellschaft als historische Genesis des Rassismus 

In der neueren sozialwissenschaftlichen und anthropologischen Forschung gilt es inzwischen weitgehend als unbestritten, daß der anthropologische Rassenbegriff39 weder als Konstante geschichtlicher Prozesse im allgemeinen verstanden noch zur Erklärung des Rassismusphänomens selbst herangezogen werden kann.(40) 

Wenn wir also den Rassismus im Anschluß an die angelsächsische Forschung(41) als diejenige „Theorie“ oder Doktrin definieren, die, sei es „wissenschaftlich“ oder vulgär, behauptet, daß die erbgenetische Ausrüstung der Menschheit durch die Beziehung von Über- und Unterlegenheit bestimmt sei, dann können wir uns selbst eine „Widerlegung“ derselben ersparen; es gilt hier vielmehr, Ursprünge und Bedingungen des Rassismus, also die historische Realität des Scheins, zu klären, um von da aus seine Struktur und soziale Funktion begreifen zu können. Der britische Rassismusforscher Michael Banton kommt in einer gründlichen historischen Studie, die auch den Anspruch auf adäquate theoretische Interpretation erhebt, zu dem Schluß, daß »the effect of racist doctrin may persist for some time and there will be occasional revivals, but future historians may fix the period 1850-1950 as a Century of racism.«(42) 

Obgleich wir den Endpunkt dieser Periodisierung angesichts des Fortdauerns rassistischer Strukturen nicht nur bezweifeln können, sondern müssen, kann die Übereinstimmung bei der Ansetzung ihres historischen Ausgangspunktes mit vielen sonst divergierenden Untersuchungen konstatiert werden.(43) 

Eine Übereinstimmung wird für uns erst in dem Maße historisch evident, wie wir uns dem 18. Jahrhundert zuwenden. Dieses ist einerseits gekennzeichnet durch die hohe Blüte des vom Handelskapital geprägten Sklavensystems, andererseits von der Durchsetzung der Menschenrechte, von Freiheit, Gleichheit und Eigentum in den bürgerlichen Revolutionen. So gibt uns die Betrachtung zunächst auf phänomenologischer Ebene Gelegenheit, die Parallelität von Entfaltung der bürgerlichen Gesellschaft und Entstehung der Rassendoktrin zu verfolgen. Die zeitgenössische Beurteilung des Sklavensystems wird insofern bedeutsam, als diese den Bruch kennzeichnet, der sich in der bürgerlichen „Moralität“ im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert vollzog und der vor spezifisch sozialhistorischem Hintergrund das analytische Problem der oben aufgezeigten „Verdoppelung“ enthält. 

So nimmt eine oberflächliche Betrachtung mit Erstaunen die Differenz zwischen den in diesem Jahrhundert aufkommenden Ideen der Aufklärung, gipfelnd in der Erklärung der Menschenrechte als der universalen Legitimation der Herrschaft des „Dritten Standes“, und der Wirklichkeit des Sklavensystems des Handelskapitals44 wahr. Noch erstaunlicher scheint es, daß in den Anfängen eine Ablehnung dieses Systems kaum zu erkennen war. Missionare und Naturforscher äußerten zwar hin und wieder ihr Bedauern, gingen selbst aber nicht gegen die Sklaverei vor.(45) 

Man sollte vermuten, daß die im 17. und 18. Jahrhundert entstehende wissenschaftliche Anthropologie sich dieses Phänomens angenommen hätte, und zwar in Form einer wissenschaftlichen Sanktionierung der Sklaverei durch die Entwicklung einer Rassentheorie im obigen Sinne. Daß dies nicht der Fall war, bestätigen die neueren Forschungen von Gerard Ledere und Urs Bitterli. Letzterer kommt in seiner Interpretation der Lehren bedeutender Anthropologen des 18. Jahrhunderts zu dem Ergebnis, daß deren Urteile, »den moralischen und intellektuellen Wert von Angehörigen anderer Rassen betreffend, [. . .] mit dem modernen Rassismus [in seiner erbgenetischen Interpretation; P. S. E.] nichts zu schaffen« haben.46 So waren die Pflanzer in Virginia während der amerikanischen Kolonialzeit stolz darauf, indianisches Blut in den Adern zu haben, ebenso wie die ersten Arbeitskämpfe in den Neuenglandkolonien noch von Schwarz und Weiß gemeinsam ausgefochten wurden.(47) 

Bei eingehender Analyse des Zusammenhangs von Sklaverei und der Abwesenheit einer diese legitimierenden Rassismusdoktrin löst sich dieser scheinbare Widerspruch erst dann auf, wenn wir ihn in seinem Verhältnis zu seiner sozialökonomischen Grundlage betrachten. Die Sklaverei und damit die offene Herrschaftsbeziehung erscheinen hier noch als Naturkonstante. Die Notwendigkeit offener Gewaltverhältnisse, als Konsensus im Bewußtsein von Herrschenden und Beherrschten - jedoch immer wieder von Revolten durchbrochen, wurde als organische Ordnung von Herr und Knecht rezipiert. Selbst für die Kirchen bestand daher keine Notwendigkeit, die durch traditionale Gewaltverhältnisse konstituierte Abhängigkeit mit der Rechtmäßigkeit derselben zu legitimieren.(48) Das Verhältnis von Arbeit und Aneignung war sich noch ein unmittelbares, woraus die Unmittelbarkeit von Gewalt und Herrschaft entsprang. Daher war der Sklavenhandel des 17. und 18. Jahrhunderts puritanisch eingesegnet. 

Die sich mit der Durchsetzung des Tauschwerts (als produktionsbestimmend) ergebende Vertragsfreiheit und die analoge Brechung der Vorherrschaft des Handelskapitals durch das industrielle bildeten die Bedingung für die Abschaffung des Sklavensystems als eines ökonomisch und sozial nicht mehr zu rechtfertigenden Gewaltverhältnisses. Wie wir gesehen haben, hat der objektive Zwang zur Vertragsfreiheit Freiheit und Gleichheit in der Zirkulation notwendig gesetzt, und da eine biologische Ungleichheit des Menschengeschlechts im Sinne einer rassischen Minderwertigkeit eines seiner Teile noch nicht „bekannt“ war oder diese „Kenntnis“ zumindest gesellschaftlich nicht zum Zuge kam, stellte sich der scheinbare Widerspruch zwischen der Universalität von Freiheit und Gleichheit und der vom Sklavensystem gesetzten Unfreiheit als gesellschaftliche Wirklichkeit dar. 

Dieser Widerspruch, der sich in der Rechtssphäre widerspiegelte, wurde zunächst dadurch „gelöst“, daß man den Sklaven, sei es direkt oder indirekt, unter die Rubrik Eigentum subsu-mierte. Denn als Eigentum kann sich der Sklave nicht zu sich selbst verhalten, also auch nicht als Austauschender; er war daher vom gesellschaftlichen Austausch ausgeschlossen und konnte nach unserer obigen Ableitung nicht mehr als Freier und Gleicher bestimmt werden. Der Sklavenmarkt ist nicht durch den Zirkulationsprozeß vermittelt, sondern bezeichnet Naturalaneignung fremder Arbeitskraft durch direkten physischen Zwang. Während beim freien Arbeiter die Vermittlungsform zur Konsumtion W-G-W Freiheit und Gleichheit setzt, also auch bürgerliche Subjektivität, welche ebenso beim Akt G-W als G-A noch erscheint, entfällt dies beim Sklaven. Er selbst bewegt sich nicht zum Markt, sondern wird vielmehr bewegt, erscheint daher nicht als Subjekt, sondern als Objekt. Sein lebendiges Arbeitsvermögen ist nicht Ware. Er erscheint nicht nur als Instrument in der Produktion, sondern auch außerhalb derselben. Er ist Arbeitsmittel, und ist er dem produktiven Kapital einverleibt, so erhält er die Bewegungsform des Capital fixe ebenso wie das Vieh oder der Dünger. Im Gegensatz zum freien Arbeiter fallen beim Akt G-A Schein und Sein zusammen, weil der Sklavenhalter nicht die Arbeitskraft kauft, sondern die Arbeit. »Im Sklavenverhältnis ist der Arbeiter nichts als lebendige Arbeitsmaschine, die daher einen Wert hat für andere oder vielmehr Wert ist« (GR 368 f.). 

Wenn in der Kategorie des Lohns die Arbeit des freien Arbeiters als bezahlt erscheint, so erscheint im Sklavenverhältnis alle Arbeit als unbezahlt. 

»Bei der Sklaverei, wo nicht der falsche Schein durch die vorige Verwandlung des Produkts - soweit es in Wages ausgelegt wird - in Geld bewirkt wird, ist es auch handgreiflich, daß das, was der Sklave als Lohn erhält, in der Tat nichts ist, was der Slave owner ihm advances, sondern nur der Teil der realisierten Arbeit des Slave, der ihm in Form von Lebensmitteln wieder zurückströmt« (MEW Bd. 26.3, S. 88).

Die Ideologie des Lohns entfällt hier, weil die Mehrarbeit im Gegensatz zu ihrer kapitalistischen Form nicht nur unbezahlt ist, sondern auch so erscheint. 

Daß Freiheit und Gleichheit sich über die Zirkulation vermitteln, haben die bürgerlichen Theoretiker der ursprünglichen Akkumulation und bürgerlichen Revolution gespürt. So hat etwa Thomas Hobbes schon früh mit großer Klarheit erkannt, daß das „Bürgersein“ als „Menschsein“ erscheint, weil es an den Tauschwert gebunden ist. Er legt diese innere Beziehung offen, wenn er auf der Ebene der einfachen Warenzirkulation die Frage nach dem „Wert“ des Menschen stellt und in klarer Abgrenzung von der feudalen Bestimmung antwortet: »The Value, or Worth of a man, is äs of all other things, his Price.« Die Größe dieses Preises war konsequenterweise »so much äs would be given for the use of his Power«; die Objektivität des Menschseins und seines „Wertes“ vermittelt sich für ihn nur über den Markt, weil »äs in other things, so in men, not the seller, but the buyer determines the Price«. Daher ist für ihn »their true value [. . .] no more than it is esteemed by others«.(49) 

Bei Hobbes wird schon im Keim deutlich, daß der Wert oder der Preis des Menschen sich nach seinem Gebrauchswert richtet, welcher nicht vom Verkäufer, sondern vom Käufer bestimmt ist. Der Akt G-W als G-A ist hier schon angelegt. Dagegen geht Hegel von W-G-W aus, der Vertauschung von Wesen und Schein im Bewußtsein der Zirkulationsagenten: »Die Gesinnung des Kaufmannstandes ist also dieser Verstand der Einheit des Wesens und des Dings: so reell ist einer, als er Geld hat.«(50) 

Liegt für Hegel der Zusammenhang von Tauschwert und Menschsein in der Realabstraktion des Wertes begründet, welche er aus der Zirkulation gewinnt, so geht Marx vom Doppelcharakter der warenproduzierenden Arbeit aus. Hier wird auch bereits die Genesis des Rassismus deutlich, wenn Marx folgert, daß beim bürgerlichen Individuum, da es auf dieser Ebene nur »als Tauschwertproduzierendes Existenz« hat, schon »die ganze Negation seiner natürlichen Existenz eingeschlossen ist«.(51)

Den Zusammenhang von Tauschwert und „Menschsein“, das heißt, als Bürger entweder kaufen oder verkaufen zu können, läßt sich geradezu klassisch an der Rechtsprechung der amerikanischen Kolonien im 18. Jahrhundert illustrieren. 

Als 1787 einige versklavte Indianer auf ihre Freilassung und damit auf ihre Gleichheit als Bürger klagten, wurde ihrer Klage stattgegeben und fand eine Bestätigung durch das höchste Gericht Virginias. In ihrer Urteilsbegründung beriefen sich die Richter Jedoch nicht, wie man hätte glauben können, auf die Declaration of Rights, sondern auf ein Gesetz aus dem Jahre 1705, welches allen Indianern ungestörten Handel überall in Virginia zusicherte. Dem zufolge, so interpretierte das höchste Gericht, könne kein seit 1705 nach Virginia gekommener Indianer Sklave sein.(52)

Alles, was sich in der Zirkulation selbst bewegt, ist bürgerliches Subjekt; alles, was bewegt wird, ist Objekt. Dies drückt sich anschaulich in den Rechtsformen der bürgerlichen Nationalstaaten des 18. Jahrhundert in bezug auf den Status des Sklaven aus. Dieser war nach traditionellem englischen Recht juristisch nicht festgelegt; der Sklave blieb bis Ende des 18. Jahrhunderts daher völlig rechtlos, d. h. er unterstand den Normen, die auf das bloße Eigentum angewandt wurden.(53) Ebenso zeigte der 1685 in Frankreich erlassene Code Noir zwar Ansatzpunkte von Verbesserungen, indem er etwa versuchte, den Sklaven vor größter Willkür wie etwa Totschlag zu schützen; sein Status als Leibeigener, d. h. als Eigentum, blieb jedoch unverändert.(54) Solange das Handelskapital noch dominierte, bestand also bei Sklavenhandel treibenden Nationen keineswegs die Notwendigkeit, diesen Widerspruch vermittels einer „Theorie“ zu „lösen“, die Person des Sklaven ging ja selbst im Eigentum auf."(55) 

Dies änderte sich jedoch im 19. Jahrhundert, als sich im westeuropäischen und nordamerikanischen Raum das industrielle Kapital voll durchsetzte. Während das Handelskapital seine Existenz nur mittelbar aus der Produktion schöpft, so das industrielle unmittelbar. Deshalb ist es gezwungen, »alle gesetzlichen und traditionellen Schranken« umzuwerfen, »die es verhindern, nach Gutdünken diese oder jene Art von Arbeitsvermögen zu kaufen oder sich beliebig diese oder jene Arbeit anzueignen«.(56) 

Die Progression des industriellen Bürgertums vertrug sich nicht mehr mit dem statischen System der Sklavenwirtschaft und forderte die Sklavenfreiheit. 

Marx hat die innere Begründung für die schließliche Abschaffung der Sklaverei aus der Entwicklung des Tauschwerts, der zu Universalität drängt, hergeleitet: 

»Der Sklave erhält die für seinen Unterhalt nötigen Lebensrnittel in Naturalform, die ebenso fixiert ist, der Art wie dem Umfang nach - in Gebrauchswerten. Der freie Arbeiter erhält sie in der Form des Gelds, des Tauschwerts, der abstrakten sozialen Form des Reichtums. So sehr das Salair nun in der Tat nichts ist als versilberte oder vergoldete oder verkupferte oder verpapierte Form der notwendigen Lebensmittel, in die es sich beständig auflösen muß - das Geld hier nur als verschwindende Form des Tauschwerts, als bloßes Zirkulationsmittel funktioniert, bleibt doch in der Vorstellung der abstrakte Reichtum, der Tauschwert, nicht ein bestimmter traditionell und lokal bestimmter Gebrauchswert für ihn Zweck und Resultat seiner Arbeit.«(57) 

Die Naturalform verhindert also die Expansion des Tauschwerts und muß deshalb gesprengt werden; gleichwohl behält er, wie wir noch sehen werden, aufgrund seiner besonderen Durchsetzungsbedingungen in der Kolonie die Muttermale der alten Form bei. 

Der Zusammenhang von Universalität der Warenproduktion und Freiheit und Gleichheit wurde oben schon entwikkelt. Da sich die Universalität auch über den Weltmarkt vollzog, wurden die Kolonien selbst, wenngleich nur formell, miteinbezogen; diese primär formelle Einbeziehung war, wie wir sehen werden, der reale Grund der Ungleichheit, wie er in der Zirkulation erscheint, und erzeugte auf der begrifflichen Ebene die Rassenideologie. 

Historisch zeigte sich, daß der erneute Schub der Expansion im 19. Jahrhundert diesmal die traditionellen Produktionsstrukturen nicht mehr unberührt ließ, sondern sie graduell zu zerstören begann. Sie schuf in historischer Analogie zur ursprünglichen Akkumulation den zentralen Nährboden für die Aufhebung der Menschenrechte an der Peripherie. Als objektive Voraussetzung und zugleich Folge dieser Aufhebung figurierte die Notwendigkeit der Zerstörung der traditionellen Wirtschafts- und Sozialverfassung durch offene Gewalt — zum einen, weil der »Selbst-Expropriationstrieb der arbeitenden Menschheit zu Ehren des Kapitals«(58) kaum existierte, zum anderen, weil man nun einmal mit „Kapital“ (d. h. Produktionsmitteln) allein keinen gesellschaftlichen Reichtum schöpfen kann, wie die klassische Ökonomie bestätigt. Deshalb war die Herausbildung von Lohnarbeit als wesentliche Bedingung der Kapitalakkumulation notwendig.(59) 

Damit haben wir einen historischen Bezug zum Rassismus hergestellt, den so viele sozialwissenschaftliche Analysen bisher ausgeklammert haben, indem sie sich bei der Erforschung dieses Problems auf die Vorurteilsproblematik beschränkten.(60) 

II. Kapitalform und Rassismus - die Besonderungen bürgerlicher Bewußtseinsformen

1. Die begriffliche Genesis des Rassismus an der Peripherie 

Wir haben bisher logisch entwickelt und historisch dargestellt, daß die Warenform der Arbeitskraft die widersprüchliche Einheit von Gleichheit und Ungleichheit in sich birgt; der Rassismus ist also insofern notwendige Bewußtseinsform, als hier,die Gleichheit in der Zirkulation die Ungleichheit in der Produktion zur Voraussetzung hat. Der Übergang von der Arbeit als Ware zur Arbeit als Kapital erfordert nun neue Bestimmungen. Die Kapitalform der Arbeit kann sich als formelle oder reelle Subsumtion darstellen. Wir werden sehen, inwiefern diese Begriffe entscheidend sind, um die Produktionsstruktur der Peripherie zu bestimmen.(61) 

Neben Cesaire und Frantz Fanon hat Jean-Paul Sartre diesen historischen Bezug und die Widersprüchlichkeit des Kolonialsystems mit der Schärfe hervorgehoben, die die Wirklichkeit gebietet.(62) 

»Der Kolonialismus vermeidet die Menschenrechte, Menschen die er gewaltsam in Elend und Unwissenheit, also wie Marx sagen würde, im Zustand des Untermenschentums hält. Den Fakten selbst, den Institutionen, der Art des Tauschens und der Produktion ist der Rassismus immanent, [. . .] da der Eingeborene ein Untermensch ist, betrifft die Erklärung der Menschenrechte ihn nicht; umgekehrt ist er, da er die Rechte nicht hat, schutzlos den unmenschlichen Kräften der Natur ausgesetzt, den „ehernen Gesetzen“ der Wirtschaft. Der Rassismus ist bereits da, getragen von der kolonialistischen Praxis, in jedem Augenblick erzeugt durch den kolonialen Apparat und unterhalten durch Produktionsverhältnisse, die zwei Arten von Individuen unterscheiden: Für die einen bilden das Privileg und das Menschsein eine Einheit; sie werden Menschen durch den freien Gebrauch ihrer Rechte; bei den anderen wird durch die Rechtlosigkeit ihr Elend, ihr chronischer Hunger, ihre Unwissenheit, kurz, ihr Untermenschentum sanktioniert.«(63) 

Sartres dialektische Erfassung des kolonialen Rassismus knüpft direkt an den Begriff der „Verdoppelung“ an, der oben entwickelt wurde, und nennt als entscheidenden Ausgangspunkt, daß der Rassismus dem Kolonialsystem insofern immanent ist, als die Kolonie Lebensmittel und Rohstoffe billig ans Mutterland verkauft und dafür teuere Fertigprodukte aufkauft. »Dieser sonderbare Handel ist nur dann für beide Teile profitabel, wenn der Eingeborene für nichts oder fast nichts arbeitet.«(64) 

Obgleich Sartres Darstellung ihrem unmittelbaren politischen Charakter entsprechend nicht begrifflich gefaßt ist, gibt sie uns doch die entscheidenden Anhaltspunkte, um eine Analyse der Bedingungen des Rassismus in Angriff zu nehmen. 

Wenn wir oben festgestellt haben, daß die Tauschbeziehungen in der einfachen Zirkulation den Schein von Freiheit und Gleichheit konstituieren, der sich als Schein nur durch einen besonderen Austausch, nämlich den von Kapital und Arbeit in der Produktion, als ungleicher Tausch enthüllt, so kann die Bedingung der Ungleichheit, wollen wir keine subjektivistischen Deutungen geben, sich nur an diesen Zusammenhang, nämlich der Tauschbeziehung und ihrer Voraussetzung, festmachen. 

Die sozialökonomische Analyse des Kolonialsystems legt daher eine zweifache Bedingung von Ungleichheit offen:

1. Ungleichheil in den Tauschbeziehungen.
2. Ungleichheit in den Produktionsbedingungen.

Die Expansion und die Konstituierung einer arbeitsteiligen Struktur im internationalen Maßstab bedingt den ungleichen Tausch (65), indem ungleich größere Arbeitsquanta gegen ungleich kleinere Arbeitsquanta getauscht werden, wobei die Warenform selbst das Abhängigkeitsverhältnis der Kolonie von der Metropole verschleiert und somit eine erste Mystifikation schafft, die dem auf offenem Raub und Plünderung beruhenden Handelskapital fehlte. Die Kolonie entwickelt sich nicht mehr in historischer Analogie zur ursprünglichen Akkumulation in der Metropole, sondern hier ist der vom industriellen Kapital formell subsumiene Weltmarkt vorausgesetzt. Zwar wird mit dem Export von Kapital, sofern dieses aus Arbeitsmitteln besteht, die reelle Subsumtion mitexportiert, sie setzt sich jedoch allenfalls sektoral durch; bei den früheren Expansionsstufen des industriellen Kapitals entfiel sie ganz. 

Die Ungleichzeitigkeit, als Unvollkommenheit der Tauschwertentwicklung in den verschiedenen Produktionszweigen des nationalen Gesamtkapitals als Möglichkeit gesetzt, welche mit der Entfaltung der Produktivkraft der Arbeit verschwindet, wird international, in der über unmittelbare Herrschaft vermittelten Weltarbeitsteilung, zur Notwendigkeit. 

Da die Tauschbeziehungen sich primär zwischen Metropole und Kolonie abspielen, bleiben diese selbst in der Kolonie unterentwickelt, rudimentär und lokal. Die Unfreiheit und Ungleichheit des Kolonisierten als Klasse drückt sich schon darin aus, daß nur die Kolonisatoren in ihrer Beziehung zum Weltmarkt oder der Metropole als Austauschende auftreten. Der Kolonisierte nimmt allenfalls am lokalen Tauschhandel teil und ist daher objektiv nicht in die Kolonialgesellschaft -qua ökonomischem Zwang - integriert, wie etwa der Austauschende des Mutterlandes, der durch diesen Akt am gesellschaftlichen Verkehr teilnimmt.(66) 

Auf der anderen Seite werden jedoch die traditionellen sozialen Bindungen des Kolonisierten vom Kolonisator zerstört (als zentrales Moment der Unterdrückung), so daß derselbe tatsächlich als „kulturlos“ erscheint, weder Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft noch Mitglied der alten traditionalen Organisation - eine Tatsache, die die schweren Identitätsstörungen des Kolonisierten erklärt und die Bedingungen für self-fulfilling prophecy(67) schafft. Dieses Fehlen einer objektiven Integration ist schließlich der Grund, weshalb im Kolonialsystem die politische Gewalt eindeutig dominiert, im Gegensatz zum Mutterland, wo in der Regel die ökonomische Mystifikation soziale Gewaltverhältnisse verschleiert.

Ein zweiter Grund, der dem ersten vorausgesetzt ist und ihn real erst ermöglicht, enthüllt sich in den kolonialen Produktionsbeziehungen. Wir haben oben festgestellt, wie ein ganz spezifischer Tausch, nämlich der von Kapital und Arbeit, den Ausgangspunkt bildet, an dem sich der Äquivalententausch als Schein enthüllt, eine Möglichkeit, die erst im Produktionsprozeß selbst erfahren werden kann. Es gilt daher genauer zu bestimmen, welche besondere Natur der Tauschwert an der Peripherie annimmt, speziell in welcher Form hier der Verwertungsprozeß den Arbeitsprozeß subsumiert. Denn wenn wir bisher den Ursprung der Menschenrechte aus dem Wertgesetz gefolgert haben, so kann aus deren Negation nicht die Außerkraftsetzung desselben geschlossen werden: denn dann müßte ja aus der Idee von Gleichheit und Freiheit das Wertgesetz entspringen und nicht umgekehrt. 

Da die warenproduzierende Arbeit in ihrer Entfaltung zur kapitalproduzierenden wird, gilt es nun zu den Kategorien des unmittelbaren Produktionsprozesses vorzustoßen. Es ist also zunächst zu zeigen, inwiefern in der Kolonie die Arbeit unter das Kapital primär formell subsumiert ist, die reelle Subsum-tion sich im unterentwickelten Stadium befindet, die Produktion daher vorwiegend die des absoluten Mehrwerts ist. Diese bestimmt sich hier nicht mehr nach dem allgemeinen historischen Stand der Produktivkraft der Arbeit, der die gesellschaftlich notwendige Durchschnittsarbeitszeit vermittels der Konkurrenz zugrunde liegt, sondern nach den Erfordernissen der individuellen und produktiven Konsumtion der Metropolen und dem von diesen beherrschten Weltmarkt. Je nach den Erfordernissen von Produktions- oder Lebensmittel bestimmt sich der Charakter der industriellen Produktion an der Peripherie. Ihre Produktion verlangt daher extraktive Formen, sei es in der Landwirtschaft oder Industrie (Bergbau etc.). In bezug auf das Produktionsmittel bestimmt der Arbeitsgegenstand der Metropole die Natur der Produktion der Peripherie. Dieser Zusammenhang setzt wiederum die Naturalform des Arbeitsmitteis und damit letztlich die Daseinsformen der gesellschaftlichen Arbeit in der Kolonie. 

Die Entfaltung des Arbeitsmittels in der Metropole erfordert die Einschränkung dieser Entfaltung an der Peripherie. Die Formbestimmtheit des Arbeitsmittels als fixer Bestandteil des konstanten Kapitals erfordert durch sein Wachstum gegenüber dem variablen Kapitalteil einen wachsenden Anteil des Wertes der Rohstoffe, welche in einer Produktionsperiode vernutzt werden. 

Über die herrschaftsbestimmte Weltarbeitsteilung wird nun der Bedarf des Capital fixe gedeckt: durch die extraktiven Industrien der Peripherie. Im Produktionsprozeß der extraktiven Industrie ist der Rohstoff nicht Arbeitsgegenstand, sondern das fertige Produkt. Ziel derselben ist es, den Arbeitsgegenstand für die Metropole zu schaffen. Deshalb ist hier schon eine niedrige organische Zusammensetzung des Kapitals vorausgesetzt. Wenn die Rohstoffe keinen Bestandteil des Kapitalvorschusses bilden, ist der Arbeitsgegenstand nicht das Produkt vergangener Arbeit, sondern von der Natur gratis geschenkt. So besteht das konstante Kapital fast ausschließlich aus Arbeitsmitteln. Deshalb steigen Masse und Wert des Produkts im Verhältnis zur angewandten Arbeit. Die Bildner Jer stofflichen Elemente von konstantem und variablem Kapital als ursprüngliche Produktenbildner, nämlich Mensch und Natur, kommen hier wieder zusammen. Durch die Beschaffenheit des Arbeitsgegenstandes in der extraktiven Industrie bedingt, benötigt das Kapital nur Arbeitsmittel mit relativ niedrigem technischen Aufwand, Produkte geringer Quanta toter Arbeit und daher, insofern die technische die Wertzusammensetzung bedingt, eine niedrige organische Zusammensetzung des Kapitals. Folglich gewinnt die lebendige Arbeitskraft an der Peripherie auch an der Oberfläche größere Bedeutung, da sich die Produktivkraft primär über sie vermittelt;

d. h. für die Ebene des Bewußtseins, daß sich die Herrschaft des Verwertungsprozesses über den Arbeitsprozeß noch nicht versachlicht hat, weil sich das Kapital hier noch nicht primär über die Maschine, also das Arbeitsmittel, sondern über Personen etablieren muß. Die Kooperation wird zur entscheidenden Produktivkraft. Sie setzt sich im Gegensatz zum metropolischen Produktionsprozeß also nicht durch die Herrschaft des Arbeitsmittels über das Arbeitsvermögen in Hierarchie um, sondern durch die Herrschaft des Menschen über den Menschen, ähnlich wie in den historischen Vorformen der einfachen Kooperation. Der Unterschied zu dieser zeigt sich lediglich darin, daß bei letzterer Zweck der Produktion der Gebrauchswert, die Konsumtion, bei ersterer Zweck der Produktion der Tauschwert, die produktive Konsumtion, ist.

Die niedrige Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit erfordert die Form des Herr-Knecht-Verhältnisses. Es ist in der mehrwertheckenden Produktion also auch das unvermittelte Verhältnis zur Gewalt über den Tauschwert vermittelt. Die Produktionsform ist daher keineswegs feudal (wie in der Dependenz-Debatte zeitweilig behauptet), sondern waren-subsumiert und kapitalbestimmt, durch ihre weltmarktliche Vermittlung, die zugleich Konstitution des Produktionsverhältnisses ist.

Da also im kolonialen Produktionsprozeß das Kapital die Arbeit primär formell subsumiert, eine niedrige organische Zusammensetzung vorherrscht, ist die Kooperation immer noch die entscheidende Produktivkraft (Plantagen/Sklavenarbeit). Die niedrige technische Zusammensetzung gerade des Arbeitsmittels verhindert die Intensivierung der Arbeit, weshalb sich die Extraktion von Mehrarbeit nur durch die absolute Verlängerung des Arbeitstages steigern kann. Die Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit ist hier weder durch die gesteigerte Produktivität noch über Intensität möglich, wohl aber durch die permanente Senkung des Preises der Ware Arbeitskraft unter ihren Wert. Das Wertgesetz ist hier nicht -wie man glauben könnte - außer Kraft gesetzt, sondern erzeugt seine Modifikationen und Widersprüche selbst. Der Wert der Arbeitskraft löst sich bekanntlich auf in den Wert »einer bestimmten Summe von Lebensmitteln. Er wechselt daher auch mit dem Wert der Lebensmittel, d. h. der zu ihrer Produktion erheischten Arbeitszeit.«(68) Er enthält sowohl die Gattungskosten des Arbeiters als auch ein historisch-variables Element - über die Produktivkraft der Arbeit vermittelt. Deshalb wird eine

»letzte Grenze oder Minimalgrenze des Werts der Arbeitskraft gebildet durch den Wert einer Warenmasse, ohne deren tägliche Zufuhr der Träger der Arbeitskraft, der Mensch, seinen Lebensprozeß nicht erneuern kann, also durch den Wert der physisch unentbehrlichen Lebensmittel. Sinkt der Preis der Arbeitskraft auf dieses Minimum, so sinkt er unter ihren Wert, denn sie kann sich so nur in verkümmerter Form erhalten und entwickeln. Der Wert jeder Ware ist aber bestimmt durch die Arbeitszeit, erfordert, um sie in normaler Größe zu liefern.«(69)

Wenn sich der Wert der kolonialen Arbeitskraft auf den kolonialen Gesamtarbeiter bezieht, der Preis der weißen Arbeitskraft in der Regel über oder zu ihrem Wert gekauft wird, muß der Preis der schwarzen Arbeitskraft unter ihrem Wert liegen; die niedrige organische Zusammensetzung des vorwiegend extraktiven Kapitals verlangt die Produktion des absoluten Mehrwerts über die Verlängerung des Arbeitstages. Wertschöpfung und Mehrwertschöpfung durch Intensivierung der Arbeit in der Metropole können in der Kolonie nur durch die Extensivierung der Mehrarbeit ausgeglichen werden, also die absolute Ausweitung des Arbeitstages. Ersteres hat die hohe technische Zusammensetzung, letzteres die niedrige organische Zusammensetzung des Kapitals zur Grundlage.

Es geht also dem Kolonisator um die ständige Erhöhung der Differenz von bezahlter und unbezahlter Arbeit, die er im gegensatz zur Metropole primär nur durch die Verlängerung des Arbeitstages und durch die permanente Senkung der Ware Arbeitskraft unter ihren Wert erreichen kann.

Diese beiden Komponenten bewirken, daß der Kolonisierte zum »Untermenschen« degradiert werden muß; er ist im in/örtlichen Sinne „minderwertig“, weil es seine Bestimmung ist, unter dem Wert seiner Arbeitskraft zu arbeiten; er ist »Untermensch«, weil die „natürliche Grenze“ des Arbeitstages über ihr historisches Niveau hinaus erweitert werden muß. Hier erreichen wir die Nahtstelle der Existenzbedingung des Rassismus: wenn nämlich der koloniale Arbeiter seine Arbeitskraft an der Oberfläche nicht mehr zu seinem Wert verkaufen kann, so stellt sein Tauschwert kein Äquivalent mehr dar, er kann also auch auf der Zirkulationsebene als ein Gleicher nicht mehr anerkannt werden.(70) So entsteht das auf den ersten Blick eigentümliche Phänomen, daß es einen freien Warenmarkt in der Kolonie gibt, dessen Spezifikum jedoch, der Arbeitsmarkt, unfrei ist, zumindest jedoch einer starken Reglementierung unterliegt.

Ergibt sich das Menschsein des Kolonisierten aus der Vermittlungsform zur Konsumtion W-G-W, so Degradierung aus der Vermittlungsform zur Produktion G-W-G'. Schon beim Akt G-W als G-A handelt es sich nicht mehr um den Tausch von Äquivalenten, sondern Schein und Realität fallen hier zusammen; der Lohn ist „ungerecht“, weil die Ware Arbeitskraft sich nicht zu ihrem Wert verkaufen kann. 

Die Gebrochenheit des Scheins drückt sich vorab darin aus, daß die durch die besondere Entfaltung des Tauschwerts an der Peripherie gesetzte Ungleichheit zur gesellschaftlichen Naturbestimmung gerinnt. 

Der Rassismus entspringt genau aus der Differenz von historisch-moralischer Reproduktion und physischer Reproduktion, denn die „Wertbestimmung“ als Mensch wird hier in Natur aufgelöst. Er wird auf Tiernatur reduziert. Der Kolonisierte erscheint deswegen als „tierisch“, weil hier seine gesellschaftliche Bestimmung mit der ersten Naturbestimmung zusammenfällt. Dies erzeugt weitere Verkehrungen. Voraussetzung des metropolitanen Kapitals ist die Entwertung des Arbeiters in der Produktion, während in den Kolonien die Entwertung sich schon in der Zirkulation äußert. In der Metropole schließt sich dies nicht aus, ist jedoch keine wesentliche Bedingung, wogegen es zum Wesen der kolonialen Arbeitskraft gehört, schon in der Zirkulation entwertet zu werden. 

Der Schein, daß die Arbeit und nicht die Arbeitskraft zu ihrem Wert gekauft wird, bezieht sich also nur auf den weißen Arbeiter, welcher hieraus sein Menschsein schöpft, das sich jedoch nur außerhalb des Produktionsprozesses realisieren kann in Konsumtion und freiem Verkehr; wogegen der Kolonisierte sein Menschsein aus W-G-W schöpft, es Jedoch schon beim Akt G-W als G-A verliert. Ist der Akt G-A in der Metropole in nuce die Aufhebung von Freiheit und Gleichheit, welche erst in der Produktion Unfreiheit und Ungleichheit in actu wird, so ist dieser in seiner kolonialen Bestimmung auf der Ebene der Zirkulation aufgehoben, was freilich die Qualität der Unfreiheit und Ungleichheit auch in der Produktion bestimmt. Die notwendige Arbeit, durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt, wird zur naturnotw endigen Arbeit. Die Reduktion des kolonisierten Arbeiters auf Natur wird noch durch die Naturalform seines Lohns deutlich, in dem von vornherein Unterkunft, Essen und Barlohn abgezogen werden, so daß hier die Geldform noch eine untergeordnete Rolle spielt (Trucksystem). Auch hier schimmern noch frühere Formen der Mehrarbeit durch (Sklavensystem). Je reeller die Subsumtion unter das Kapital, um so mehr setzt sich freilich auch der Lohn in Geldform durch. Aus dem bisher Entwickelten ist also zu resümieren, daß Rassenideologie historisch erst möglich wird, wenn die Arbeit selbst zu Ware und Kapital geworden ist, in der Metropole in bezug auf das Subjekt des Rassismus (wie noch im einzelnen zu begründen ist), in der Kolonie in bezug auf das Objekt des Rassismus. In der Rassenideologie lebt ideologisch das Sklavendasein fort; denn der Kolonisierte wird einerseits vom Kolonisator sowohl im Produktionsprozeß als auch in der Zirkulation nur als Instrument, als Ding anerkannt; andererseits definiert ihn das Sich-Verhalten zu seinem Arbeitsvermögen als Mensch, so daß der Rassist diesen Widerspruch nur durch eine Ideologie rationalisieren kann. Ein Bericht aus dem Jahre 1903, der die Haltung der weißen Siedler in Rhodesien beschreibt, trifft genau das hier Gesagte. »Für die große Mehrheit der weißen Bevölkerung ist der Eingeborene lediglich eine lebendige Schaufel oder ein beseelter Pickel, der auf der Erde ,st um für den weißen Mann zu arbeiten.«(71) 

Der Rassismus zeigt sich jedoch auch im unmittelbaren Produktionsprozeß selbst, wie durch die Kooperation schon angedeutet. Daß sich für den Kolonisator die Tätigkeit des Kolonisierten auf Handarbeit beschränken muß(72), führt zu einer weiteren Bestimmung des kolonialen Arbeiters im Produktionsprozeß: die Dequalifikation. Was in den südafrikanischen Kolonien formelles Dekret war, zeigte sich in den USA (nach der Sklavenbefreiung) als ökonomischer Zwang.(73) 

Daher kann grundsätzlich gelten: wenn die Arbeit unter das Kapital reell subsumiert ist, der Arbeitsprozeß also selbst zum Gegenstand der Umwälzung wird, verlagert sich die Bedingung des Rassismus von der Tauschebene nach innen und wirkt von dort wieder auf die Tauschebene zurück; d. h. das Geld macht den Kolonisierten zwar zum Gleichen, jedoch wird er durch die dequalifizierteste Arbeit in seinem degradierten Status festgehalten, was wiederum die Bedingung seines Auftretens außerhalb des Produktionsprozesses ist. 

Bei der Betrachtung des kolonialen Produktions- und Reproduktionsprozesses und seiner Abhängigkeit von der Metropole enthüllt sich auch das soziale Subjekt des Rassismus. Nach unserer obigen Darlegung können es nur diejenigen sein, die vom ungleichen Tausch am stärksten betroffen und daher darauf angewiesen sind, dieses Risiko durch extensive Aussaugung kolonialer Arbeitskraft zu kompensieren, zum anderen diejenigen, die die Senkung ihrer Arbeitskraft unter ihren Wert durch die schwarze Konkurrenz fürchten (Angst vor Dequalifikation). Als erste soziale Gruppe können die mittleren und kleineren selbständigen Warenproduzenten bezeichnet werden (also mittlere und kleinere Farmer, Pflanzer etc.), zweitens sind die weißen Arbeiter auch Handwerker und Dienstleistende zu nennen. 

Preis und Wert der weißen Arbeitskraft fallen der kolonialen Regel nach gewöhnlich zusammen; zumeist jedoch liegt der Preis über dem Wert. Dieser Zustand kann im kolonialen Reproduktionsprozeß nur erhalten werden, wenn der Preis der schwarzen Arbeitskraft ständig unter ihrem Wert liegt.

Die weißen Arbeiter in der Kolonie kann man grob in zwei Kategorien einteilen: einmal in die der (Fach-) Arbeiter und Handwerker, die, durch den jeweiligen Produktionszweig und das größere Lohnniveau der Kolonie angelockt, unmittelbar von da in die Kolonie eingewandert sind und durch das Kriterium ihrer Qualifikation anscheinend vor sozialer Deklassierung geschützt sind. Andererseits rekrutiert sich die weiße Arbeiterschaft aus einem Teil der ehemaligen selbständigen Warenproduzenten (kleine Farmer, Pflanzer, etc.), die proletarisiert und auf den Arbeitsmarkt geworfen wurden. Sie stellen die allmählich entstehende weiße Pauperschicht, deren Stärke jeweils vom Grad der Industrialisierung des Landes abhängig ist, und weisen sich durch ein Kriterium aus, das ihre soziale Misere als ständigen Existenzkampf definiert: die Dequalifikation.(74) Denn diese Poor Whites finden in den schwarzen Arbeitern, die gleichfalls ungelernt sind, ihre Konkurrenz. Da den schwarzen Arbeitern zumeist per Gesetz die dequalifiziertesten Arbeiten »vorbehalten« werden, befindet sich der Poor White in einem ständigen Zustand der Arbeitslosigkeit. Auf den ersten Blick könnte dies als Gegenargument zu unserer These gedeutet werden, daß der Wert der Arbeitskraft im industriekapitalistischen Kolonialsystem Grundlage und Maßstab für die Existenz des Rassismus ist. Denn der Poor White unterscheidet sich etwa in seiner Lebenshaltung nur geringfügig vom schwarzen Arbeiter. Dies wird jedoch dadurch aufgelöst, daß er von Zeit zu Zeit immer wieder in den Produktionsprozeß geworfen wird. Wenn wir uns also auf den Austausch von Kapital und Arbeit beziehen, so können wir feststellen, daß, wenn die Arbeitskraft des Poor White auf dem Markt gekauft wird, es immer zu ihrem oder über ihrem Wert geschieht, da er in der Produktion zumeist als Hierarch (Aufseher) eingesetzt wird, der freilich leicht wieder ersetzt werden kann.(75) 

Wichtig für uns ist jedoch, daß seine Arbeitskraft zumindest zu ihrem Wert gekauft wird. Dies bedeutet, daß er als „Freier“ und „Gleicher“ noch anerkannt ist, seine „Minderwertigkeit“ nicht als realer Schein an die Oberfläche dringt. Anders steht es jedoch mit der gesellschaftlichen Realität auf dem Arbeitsmarkt, denn real (d. h. in seiner Qualität als Arbeitskraft) unterscheidet er sich hier nicht vom schwarzen Arbeiter: beide sind durch Dequalifikation gekennzeichnet, die den preis der Arbeitskraft weitgehend bestimmt. Da jedoch der Afrikaner für seine produktive Arbeit nur zu einem Preis gekauft wird, der unter dem Wert seiner Arbeitskraft liegt, bleibt für den Poor White entweder die Arbeitslosigkeit /Staatsrentnertum) oder unproduktive Arbeit als Hierarch, was noch gefestigt wird dadurch, daß er selbst schwere körperliche Arbeit als historisches Stigma der Sklavenarbeit verachtet. Solange er außerhalb des Produktions- und Reproduktionsprozesses füngiert, ist sein sozialer Status, wie wir gese-jien haben, dem Afrikaner angepaßt. Im Reproduktionsprozeß selbst (d. h. auf dem Arbeitsmarkt) ist diese reale Gleichheit durch die Dequalifikation gesetzt. Genau diese Spannung erzeugt bei dem Poor White Rassismus: er kann seinen ökonomischen Status nur aufrechterhalten, wenn es etwas gibt, was ihn vom Schwarzen unterscheidet; dies ist seine Hautfarbe. Der Rassismus wird bei ihm noch einmal gewendet. Hier wird ganz deutlich der ideologische Bezug aufgezeigt, wenn die Formel Qualifikation = Rasse zur Formel Rasse = Qualifikation verkehrt wird. Genau aus dieser Verkehrung schöpft der Poor White seinen sozialen Anspruch, nämlich »qua Rasse bezahlt und politisch privilegiert zu werden«.(76)

Dies kann er nur erreichen, wenn er sich von seinem Konkurrenten, dem afrikanischen Arbeiter, um so heftiger absetzt. Die Angst vor sozialer Deklassierung kann nur dann gebannt werden (ideologisch), wenn die Rassenschranke aufrechterhalten wird. Diese Angst vor Deklassierung verbindet ihn mit dem selbständigen kleinen Warenproduzenten, der ja eine frühere Stufe seiner eigenen Geschichte darstellt. Doch stellt sich bei jedem das Verhältnis auf anderer Stufenleiter dar. Er unterscheidet sich nicht durch seine Konkurrenz mit dem Afrikaner auf dem Arbeitsmarkt. Folglich ist er nicht als ein Verkaufender, sondern als Käufer definiert.

Als Käufer von Arbeitskraft und Produktionsmitteln kann er nur in Konkurrenz mit anderen Käufern derselben treten.

Seine Ausgangslage ist jedoch zunächst die des Siedlers, der lediglich Subsistenz sucht. Während beim Kapital als sich verwertendem Wert die Naturalform des Produktionsmittels gleichgültig ist, solange dasselbe die Verwertung garantiert, ist der self-sustaining Siedler an die Existenz des Bodens elementarisch und existentiell gebunden. Die Erde bildet das Hauptinstrument des Siedlers, seine Produktions- und Reproduktionsbedingung. Deshalb muß der Boden vom selbständigen Warenproduzenten um jeden Preis gekauft werden. Solange er selbständig ist, fallen bei ihm Grundrente, Profit und Arbeitslohn zusammen. Die Konkurrenz zwingt ihn - kann er seine Waren nicht mehr mindestens zu ihrem gesellschaftlichen Durchschnitt, also ihrem Wert, verkaufen - zur Einführung von Lohnarbeit oder zum Lohnarbeiter, Käufer oder Verkäufer von Arbeitsvermögen.

Wenn wir oben als Kriterium der Abhängigkeit der Kolonie von der Metropole den ungleichen Tausch genannt haben, so können wir dies jetzt in doppeltem Sinne konkretisieren. Wenn der kleine Warenproduzent (kapitalistisch) produzieren will, muß er bekanntlich für den Arbeitsprozeß zwei „Faktoren“ kaufen: Arbeitskraft und Produktionsmittel. Da er das letztere, sei es direkt oder indirekt (wegen der Einschränkung der Konkurrenz und den terms of trade), nur teuer von der Metropole kaufen kann, muß es ihm darum gehen, den zweiten „Faktor“, nämlich Arbeitskraft, billig zu kaufen und möglichst die produktive Konsumtion extensiv (bei wenig Capital fixe) oder intensiv (bei größerer organischer Zusammensetzung) voranzutreiben, abgesehen davon, daß er die Mittel seiner individuellen Konsumtion ebenfalls teuer kaufen muß. 

Die Voraussetzung seiner Produktion, nämlich die Aneignung des Bodens und die Schaffung von Produktionsanlagen, verschlingt große Mengen an vorgeschossenem Kapital. Das liegt unter anderem daran, daß in der Kolonie der Boden (wenn extraktive Industrie vorherrscht) künstlich verteuert wird oder überhaupt nicht verkauft wird. Der kleine Warenproduzent ist daher von vornherein auf Kredit angewiesen, er muß sich immer mehr mit Hypotheken belasten. Diese machen ihn abhängig von den Banken, welche wiederum mit dem industriellen Kapital verflochten sind. Hauptgegner ist neben den großen Landgesellschaften die direkte Konkurrenz des großen Kapitals (in der Siedlungskolonie mit vorwiegend agrarischer Struktur Großfarmertum und Farmgesellschaften, in den Tropen Pflanzungsgesellschaften).

Die große Gefahr des Abstiegs ins Proletariat, also seine faktische Enteignung, steht ihm immer vor Augen, genährt durch die Erfahrung sozialer Deklassierung im Mutterland und die Existenz des Poor White in der Kolonie. Er ist also „existentiell“ gezwungen, den Grad der Ausbeutung der Arbeitskraft, d. h. die Mehrwertrate, extrem hochzuschrauben, höher als seine großkapitalistischen Konkurrenten: gerade hier ist die Erhaltung der Degradierten (Rassismus) für den Siedler als Warenproduzent lebensnotwendig!

Seine reale Situation schlägt sich im doppelten Sinne in seinem Bewußtsein nieder: einmal als „Antimonopolismus“, als Spielart eines romantischen „Antikapitalismus“, zum zweiten im Rassismus. Sozialpsychologisch erscheint dies als Autoritätskonflikt: indem er als der von „oben“ (durch die Konkurrenz des Großkapitals) Unterdrückte die Unterdrückung nach „unten“ weitergibt und sich dadurch sein Selbstgefühl, „Herr“ zu sein (d. h. Eigentümer von objektiven Produktionsbedingungen), bewahrt, sowie seine „Freiheit“, über sein Leben selbst verfügen zu können (d. h. seine Freiheit als Käufer von Arbeitskraft zu behalten und nicht als Verkäufer zu verlieren). Insofern ist er der eifrigste Verfechter der Unterdrückung der einheimischen Arbeiter und der Expropriierung der einheimischen selbständigen Produzenten, die er einerseits dadurch als Konkurrenten ausschalten kann, andererseits sich durch diese Ausschaltung die freigewordenen Produktionsmittel (Boden, Vieh etc.) aneignen kann.

Die oben begründete Senkung des Preises der kolonialen Arbeitskraft unter ihren Wert und die Verlängerung des Arbeitstages versucht er besonders fanatisch durchzusetzen. Die politische Durchsetzung sieht er gewährleistet durch die Ausschaltung der freien Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und folglich auch der Institutionen, welche dieselbe garantieren (Gewerkschaften, Zusammenschlüsse der Arbeiter), kurz, es müssen alle Organe ausgeschaltet werden, welche in der Metropole dafür zu sorgen haben, daß sich die Arbeitskraft zu ihrem Wert verkauft. Ist dies nicht mehr gewährleistet, so ist das System selbst gefährdet. Während sich Lohnkämpfe in der Metropole innerhalb der Kapitalform bewegen, haben sie in der Kolonie systemsprengende Kraft.

Wir haben die sozialen Subjekte des Rassismus in der Kolonie herausgearbeitet und hervorgehoben, daß ihre Ideologie selbst einer Abhängigkeit entspringt.

Das Kolonialsystem stellt also nicht nur für den Kolonisierten ein Zwangssystem dar, obwohl er der Hauptbetroffene ist, da alle sonstigen Abhängigen versuchen, ihre Abhängigkeit und sozialökonomische Situation auf Kosten des Kolonisierten zu ändern. Deshalb ist der Rassismus tatsächlich notwendiges ideologisches Korrelat des sozialökonomischen Systems in der Kolonie, gesellschaftlich notwendiger Schein der Kolonialgesellschaft. Der objektiv erforderliche Raubbau an Arbeitskräften setzt eine wachsende industrielle Reservearmee voraus. Diese erfordert wiederum einen permanenten Expropriierungsvorgang der noch selbständigen traditionalen Produzenten zur Schaffung von Lohnarbeit, was, wie die historische Analogie zur ursprünglichen Akkumulation im Mutterland zeigt, nur vermittels politischer und militärischer Gewalt möglich und realisierbar ist (wie etwa Steuersystem, Landfriedensordnung, Bodenrecht)77, wie auch der koloniale Arbeitsprozeß selbst von außerökonomischem Zwang gekennzeichnet ist (Kontraktsystem, Wanderarbeit).

So ist die Möglichkeit eines Kolonialkrieges immer gegeben, der zum Ziel hat, einerseits noch nicht Expropriierte zu expropriieren und andererseits unbotmäßige Lohnarbeiter zur „Raison“ zu bringen. In den mit äußerster Grausamkeit geführten Kolonialkriegen, in denen sämtliche Maßstäbe europäischer „Menschenrechtskonventionen“ über den Haufen geworfen werden, zeigt sich ein weiteres Ergebnis des Rassismus. Die „Ritterlichkeit“ auf den europäischen Schlachtfeldern verwandelt sich im Kolonialkrieg zum Kampf ums Dasein gegen eine »minderwertige« Rasse. Unter Bezug auf Ernst Jüngers Darstellung der „Kriegshelden“ des Ersten Weltkrieges hat Michael Siegert, wie uns scheint, die Differenz von Kolonial- und intereuropäischem Krieg treffend wiedergegeben.

»Während die Kolonialkriege mit Farbigen sich zu Jagden gestalten, sind Jüngers Gegner in Europa also ebenbürtig: Jünger, Richthof en kämpfen mit ihren Feinden gleichsam wie Ritter untereinander, während der Kolonialsoldat gegen die Eingeborenen vorgeht wie ein mittelalterlicher Feudaler gegen die Hintersassen seines Opponenten.«(78)

Jean-Paul Sartres Beurteilung der Ambivalenz des Kolonialkrieges, daß der ganze Widerspruch des Kolonialherrn darin liege, jene, die er ausbeuten will, nicht töten zu können, da er sie ja weiter ausbeuten wolle79, findet eben in dieser Rationalität ihre Grenze.

Für das Kapital ist nicht der Wert, sondern der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft relevant; sie verliert daher mit ihrem Gebrauchswert auch ihren Wert. Steht dem Kapital die Arbeit nicht als reiner Gebrauchswert gegenüber, so ist zugleich ihre Wertlosigkeit als gesellschaftliches Überflüssigsein gesetzt. Dieser Fall tritt besonders bei den Völkern ein, welche einerseits nicht getrennt von ihren Arbeitsbedingungen existieren, und bei denen andererseits eine Trennung nicht die gewünschte Bereitschaft zur Disponibilität hervorruft. Diese sind daher „nichts wert“, können also in Reservate zur Umerziehung gesteckt oder ausgerottet werden. 

Die Geschichte der Indianer in Amerika, der Maons in Neuseeland, der australischen Ureinwohner und, nicht zuletzt, das Schicksal der Buschmänner in Südafrika illustriert dies überdeutlich. 

Auch der Arbeiter in den Metropolen existiert als Arbeiter nur, wenn er als Verkäufer seiner Ware auftritt, deren Gebrauchswert wertsetzende Tätigkeit ist; entfällt dieser Gebrauchswert, der seine formelle Existenz als Freier und Gleicher zur Erscheinung bringt, so fällt seine stoffliche Existenz der Möglichkeit nach. 

Ob diese Möglichkeit sich in Wirklichkeit umsetzt, hängt vom Machtverhältnis zwischen Käufer und Verkäufer von Arbeitskraft ab. Da dieses Machtverhältnis in der Kolonie von vornherein zugunsten des Käufers bestimmt ist, wird die objektive Möglichkeit der Degradierung zur Wirklichkeit. Dies zu zeigen ist Gegenstand der historischen Darstellung im einzelnen. 

Deshalb ist das Gewaltverhältnis immer ein unmittelbares. Alle Theoretiker des Kolonialismus haben dies erkannt. Sie konnten dies jedoch nicht - auch ihre hervorragendsten Vertreter wie Fanon und Cesaire nicht - aus dem Wertgesetz selbst herleiten, weil die Form der Herrschaft den Inhalt fast verschwinden ließ. Nicht zufällig greift Fanon auf Hegels Phänomenologie zurück, in der über die Dialektik der Formen die (Herrschafts-)Form zum (Herrschafts-)Inhalt wird. Insofern war die Theorie des antikolonialen Befreiungskampfes Theorie der bürgerlichen Revolution.(80) 

Ebenso ist in bezug auf die Dependenz-Debatte anzumerken, daß in den Kolonien keinesfalls „feudale“ Strukturen herrschen, sondern daß der Tauschwert sich hier selbst eine feudale Form gibt, deren Inhalt kapitalbestimmt ist (formelle Subsumtion).(81) 

Eine Theorie des Antiimperialismus, welche sich nach dem revolutionären Subjekt umsieht, kann daher nicht dogmatisch die Bedingungen der Metropole (reelle Subsumtion) zum Maßstab der Peripherie machen. 

Die zweite Etappe der Eskalation kolonialer Gewalt stellt sich in ihrer Konsequenz als Befreiungskampf dar und verweist damit auf die Ambivalenz der objektiven Funktion des Rassismus: denn die Rassenideologie schafft zwar die Rationalisierung für den Kolonisator, doch keineswegs für die Kolonisierten, da die ökonomische Mystifikation, der die Arbeiter im mutterländischen Produktionsprozeß unterliegen, hier permanent durchbrochen wird. Die rassistische Distanz wird zum Hebel der Befreiung, da es hier eine Gleichheit der Kolonialherren und eine Gleichheit der »Untermenschen« gibt, die sich antagonistisch gegenüberstehen. 

Die Auflösung dieses Antagonismus setzt die Auflösung des Kolonialsystems voraus. »Auf die Formel „Alle Eingeborenen sind gleich“ antwortet der Kolonisierte: „Alle Kolonialherren sind gleiche [. . .] Der Manichäismus des Kolonialherren erzeugt einen Manichäismus des Kolonisierten, der Theorie vom „Eingeborenen als absolutem Übel“ antwortet die Theorie vom Kolonialherren als absolutem Übel“.« 

Der vom Kolonisator in Form des Rassismus geschaffene Legitimationszusammenhang kehrt sich also gegen ihn selbst, zerstört Jede Mystifikation und wird daher zur ständigen Bedrohung des kolonialen Reproduktionsprozesses. Der Kolonisator ist somit gezwungen, denselben vermittels politischer und militärischer Gewalt aufrechtzuerhalten. 

Im folgenden ist zu zeigen, wie die Inhalte und Formen von Expansionsideologie und Rassismus ebenso in der Metropole aus dem Wertgesetz entspringen wie an der Peripherie. 

2.  Zur Genesis der Expansionsideologie und des Rassismus in der Metropole 

Stellt die Rassentheorie den objektiven Legitimationszusammenhang kolonialer Herrschaft dar, so der Chauvinismus die Legitimationsgrundlage für den Akt der Expansion. 

Quantitativ unterscheidet er sich insofern von der Rassentheorie, als er die von dieser postulierten naturgesetzlichen Superiorität einer bestimmten ethnischen Großgruppe (wie etwa „weiße Rasse“, „nordische Rasse“) auf „Nationen“ oder „Völker“ überträgt, wobei qua seiner Eigenschaften als „überlegenes“ Volk ihm das Anrecht, ja die Pflicht zukommt, das „unterlegenere“ zu „zivilisieren“, d. h. zu unterwerfen. 

Rassismus und Chauvinismus haben also darin einen identischen Kern, daß beide auf der Inferiorität aufbauen. Der letztere bezieht sich auf das noch zu unterwerfende, der erstere auf das bereits unterworfene Volk. Insofern geht die Expansionsideologie als Chauvinismus der Rassentheorie historisch, aber nicht logisch voraus. 

Oben haben wir darzulegen versucht, daß die Gleichheit erst dann ihre reale Gestalt gewinnt, wenn die Ware oder die Arbeit nur noch als Tauschwert bestimmt ist. Übertragen wir unsere Ableitung auf die Ebene des Weltmarktes, und halten wir hier die Scheinhaftigkeit in ihrer realen Gestalt fest, so erkennen wir, daß sich bei den zu erobernden Völkern der Tauschwert in seiner selbständigen Gestalt tatsächlich noch nicht durchgesetzt hat. Vielmehr basiert die sozialökonomische Struktur dieser Völker auf den verschiedenen Stufen agrarisch-subsistenzwirtschaftlicher Produktionsweise, also Gebrauchswertproduktion. Der Tauschwert ist hier allenfalls eine Nebenerscheinung, wie er etwa in Form des Wucherkapitals auf entwickelterer Produktionsstufe auftritt („asiatische Produktionsweise“). 

Auf der Grundlage dieser Erkenntnis gilt es hier noch einmal die Realität des Scheins hinsichtlich des Subjektes der Expansion genauer zu begründen. Ausgangspunkt ist die gesellschaftlich notwendige Durchschnittsarbeitszeit, die den Wert einer Ware bestimmt. Durch die Entfaltung der Produktivkraft der Arbeit, welche als Produktivkraft des Kapitals erscheint, fällt der individuelle Wert. Gleiche Arbeitsquanta stellen eine ungleich größere Produktenmasse her. Die durch die Konkurrenz gesetzte gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit konstituiert schließlich die zivilisatorische Seite des Kapitals. In Bezug zur Produktion ist die objektive Möglichkeit der Verkürzung des Arbeitstages auf der Basis der entwickelten Maschinerie gegeben, die Zunahme vergegenständlichter vergangener Arbeitszeit verringert die gesellschaftliche Notwendigkeit der Verausgabung unmittelbarer Arbeitszeit, das Maschinensystem setzt dann auch letztlich die Bedingung der Möglichkeit, daß die Arbeit selbst zum Bedürfnis wird. Hinsichtlich der Konsumtion wird die Entfaltung des sachlichen Reichtums und damit auch der Bedürfnisse dahingehend vorangetrieben, daß sich immer weniger Wert in immer mehr Gebrauchswerten darstellt. 

Die sich aus dem Widerspruch von Gebrauchswert und Wert, von Arbeits- und Verwertungsprozeß ergebende Negation der zivilisatorischen Seite verlagert sich in den Metropolen in der Regel in die Produktion und tritt nur in der Krise, welche das metropolische Gesamtkapital erfaßt, an die Oberfläche. Die zivilisatorische Seite wird also vom gesellschaftlichen Gesamtkapital, nicht vom Einzelkapital bestimmt. Die Vergesellschaftung über die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit vermittels der Konkurrenz umfaßt Produktion und Konsumtion. Das nationale Gesamtkapital vergesellschaftet sich über die Bildung der allgemeinen Profitrate und den über jene gesetzten Produktionspreis. Das Wertgesetz modifiziert sich auf internationaler Ebene insofern, als eine internationale Profitrate nicht zustande kommt, weil diese ein internationales Gesamtkapital voraussetzen würde. Daher gibt es keinen internationalen Produktionspreis, der sich aus Kostpreis und Durchschnittsprofit zusammensetzt, sondern nur internationale Marktwerte, welche sich auf die Branchenkapitale beziehen. Da sich der gesellschaftliche Fortschritt nur über die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit herstellen kann, auf deren Basis sich die Bildung der allgemeinen Profitrate vollzieht, wird die zivilisatorische Seite an der Peripherie negiert.

Zum Objekt der Expansion ist anzumerken: das zu kolonisierende Volk ist keine bürgerliche Gesellschaft,und demnach kann sich auf Weltebene nur der Bourgeois, nicht der Citoyen reproduzieren. Der Bourgeois dominiert zwar auch im interimperialistischen Verkehr; er erkennt hier jedoch den Konkurrenten als Austauschenden und „Vertragsfähigen“ an. Dem liegt die Durchsetzung des Tauschwerts zugrunde. „Naturvölker“ können deshalb nicht anerkannt werden, weil ihre gesellschaftliche Organisation der Arbeit primär auf Gebrauchswertproduktion beruht. Sie sind keine „Tauschwert-Produzierenden“, keine Mitglieder bürgerlicher Gesellschaften. Der schon früh von der Ethnologie geprägte Begriff des „Naturvolkes“, welcher sich bis in unsere Zeit hinein erhalten hat, gewinnt seinen ideologischen Sinn, indem die Reduktion auf Natur den Gegenbegriff „Kultur“ auf den Plan ruft. Wurde, wie oben ersichtlich, zunächst der einzelne Einheimische auf bloße Natur reduziert, so werden es jetzt ganze Völker. Da ihre Produktionsweise primär auf unmittelbarer Subsistenz beruht, der einfache Naturaltausch vorherrscht, erzielen sie nur ein geringes Mehrprodukt. Im Gegensatz dazu erscheint das Tauschwert produzierende Land durch die hohe Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit (Technologie, Wissenschaft) als die „Kultur“ schlechthin und die Herrschaft des Kapitalismus als höchstes Stadium der Kultur und Zivilisation. Damit ist die Legitimationsgrundlage der Expansion objektiv gegeben. Der Export von Kapital erscheint als Export von „Zivilisation“ und „Kultur“ schlechthin. Da bei den zu erobernden Völkern der Tauschwert die Arbeit selbst noch nicht erfaßt hat, erscheinen diese Völker dadurch, daß sie „Nicht-Mehrwert-Produzierende“ sind, als „minderwertig“.

„Kultur“ als die entscheidende Selbstbezeichnung und Selbstbestimmung des bürgerlichen Menschen als Menschen steht hier schroff den im Naturzusammenhang Stehenden entgegen. Die Ungleichheit setzt die Notwendigkeit der Expansion des Kapitalverhältnisses als Ideologie. Die „Minderwertigkeit“ stellt sich als Reduktion des Produktionsprozesses auf den realen Arbeitsprozeß, als bloße Aneignung von Natur zum Zwecke individueller Konsumtion dar, während als „Kultur“ die Unterwerfung des Arbeitsprozesses unter den Verwertungsprozeß zum Zwecke der produktiven Konsumtion erscheint. Hier tritt der radikale Wandel des Naturbegriffs im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert noch klarer hervor, wenn Natur nämlich nicht mehr, wie Ledere betont, als das „Authentische“, sondern nunmehr als das „Unvollkommene“, „Zurückgebliebene“, „Minderwertige“ aufgefaßt wird. Um seinen Status als „Zivilisierter“ nicht in Frage zu stellen, muß der Kolonisator seinen »phylogenetischen Ursprung verleugnen. Die Kindheit der Menschheit wird aus der Geschichte verdrängt«.(83) 

Wenn also der Rassismus aus dem Wertgesetz entspringt, ebenso wie sein Gegenteil: Freiheit und Gleichheit, so ergibt sich daraus die Identität von Gleichheit und Ungleichheit. Beide sind Existenzformen bürgerlichen Bewußtseins. Wenn das Wertgesetz die Gleichheit und ihre Negation durch den Akt Geld-Arbeit setzt, der Verkauf der Ware Arbeitskraft zu ihrem Wert Substanz, das Schwanken um diesen Wert Akzidenz ist, so kehrt sich in der Kolonie dieses Verhältnis um.

Der Begriff der notwendigen Arbeitszeit wird in der Kolonie seiner gesellschaftlichen Notwendigkeit enthoben, das historisch-moralische Moment der Wertbestimmung der Arbeitskraft entfällt; der Arbeiter wird hier auf bloße Natur, bloße physische Subsistenz reduziert.

Dadurch wird auch der Inhalt der rassistischen Form bestimmt. Der Kolonisierte erscheint kulturlos, weil einerseits Kultur sich über die Gebrauchswertproduktion vermittelt und mit der Zerstörung der letzteren auch die erstere verfällt. Dies begründet die Objektivität des Rassismus. Die Objektivität der Expansionsideologie ergibt sich daraus, daß der Zweck der Produktion der Gebrauchswert, einfache Reproduktion ist, Kultur und Zivilisation nur über Tauschwertproduktion gedacht werden können (vom Bürger). Wenn davon geredet wird, daß die Arbeit alle Kultur begründe, so muß man hier wohl von Mehrarbeit sprechen, und nicht nur von Mehrarbeit an sich, sondern von ihrer bestimmten historischen Form.

Ist der objektive Rahmen des Chauvinismus formal durch die reale Eroberung erfüllt, so verlagert er sich in Kolonie und Mutterland gleichsam nach innen (Rassismus, Antisemitismus).

Wir haben für die Kolonie herausgefunden, daß die »Minderwertigkeit« aus dem Wertgesetz ebenso entspringt wie die Wertlosigkeit und ihr Gegenteil, die Menschenrechte. Wir haben weiter festgehalten, daß es sich hier immer um eine objektive Möglichkeit handelt, die. Je nach dem historischen Machtverhältnis des Käufers zum Verkäufer von Arbeitskraft,  zur Wirklichkeit wird. In der Kolonie ist dies die Regel.

Die Affinität des Rassismus in Mutterland und Kolonie als objektive Disposition durch die Existenz des Tauschwerts gesetzt, zeigt sich in der Metropole darin, daß auch hier nur derjenige anerkannt wird, der als Austauschender auftritt und dadurch seine gesellschaftliche Existenz unter Beweis stellt. Daß er hier aufgrund seines Gebrauchswertes zu seinem Wert gekauft wird, verschafft ihm den realen Schein des Freien und Gleichen. Dies ist die Regel in den Metropolen, die aufgrund der Entfaltung der Produktivkraft der Arbeit immer von neuem erkämpft werden muß. Erst mit der daraus folgenden steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals, der damit fallenden Profitrate und dem daraus folgenden Widerspruch zwischen Produktion und Verwertung aktualisiert sich die Krise. Der Wert der Ware kommt nicht mehr zur Erscheinung, weil er nicht realisiert wird; die Ware wird „wertlos“, sie hat keinen gesellschaftlichen Gebrauchswert mehr. Dies gilt ebenso für die Ware Arbeitskraft. In der Krise hat sie für das Kapital keinen Gebrauchswert mehr, also keinen Wert; sie wird gesellschaftlich überflüssig. Daß die Ware Arbeitskraft mit ihrer formellen Existenz nicht ihre stoffliche verliert, ist das Ergebnis von Klassenkämpfen.

Eine weitere Bestimmung (welche freilich nicht nur in der Metropole eintritt) des Zusammenhangs von Tauschwert und „Menschsein“ als einem von Inhalt und Form ist nach der subjektiven Seite durch solche Klassen und Gruppen gegeben, die den Tauschwert selbst in Frage stellen, sei es der Möglichkeit (Produktivkraft) oder der Wirklichkeit nach (Produktionsverhältnisse). 

Da die Menschenrechte auf dem Tauschwert basieren, entfallen für die, welche ihn in Frage stellen, auch die Menschenrechte. Dieser „Logik“ auf der begrifflichen Ebene entspricht die historische Erfahrung: alle Konterrevolutionen, die sich bisher gegen solche Umwälzungen erfolgreich haben durchsetzen können, in der Metropole wie an der Peripherie, haben die Menschenrechte außer Kraft gesetzt. Aus diesem allgemeinen Zusammenhang entspringt noch ein besonderer, der sich jedoch ebenso aus dem Grad der Entfaltung des Tauschwerts im Innern erklären läßt.

Deshalb erscheint es notwendig, auf den von Ernst Bloch in die Faschismusdiskussion eingebrachten Begriff der »Ungleichzeitigkeit« einzugehen, der, wie wir meinen, nicht erst im 20. Jahrhundert seine volle Bedeutung, sondern schon im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die wirkliche Grundlage seiner Ausbildung hat.(84) Als Bestimmung der Ungleichzeitigkeit wirken nach Bloch »Antriebe und Reserven aus vorkapitalistischen Zeiten und Überbauten, echte Ungleichzeitigkeiten mithin, die eine sinkende Klasse in ihrem Bewußtsein rezent macht oder rezent machen läßt«.(85)

Bloch unterscheidet zunächst eine objektive und eine subjektive Dimension von Ungleichzeitigkeit: »Als bloß dumpfes Nichtwollen des Jetzt ist dies Widersprechende subjektiv ungleichzeitig, als bestehender Rest früherer Zeiten [. . .] objektiv ungleichzeitig.«

Das objektiv Ungleichzeitige »ist das zur Gegenwart Fremde, Ferne; es umgreift also untergehende Reste, wie vor allem unaufgearbeitete Vergangenheit, die kapitalistisch noch nicht „aufgehoben“ ist«.(86) 

Der Widerstand gegen »das Jetzt« aktualisiert sich sowohl nach innen als auch nach außen. Der Auflehnung gegen das »Zur-Ware-Werden« (Bloch) bei den Warenproduzenten, denen die Proletarisierung droht, ist der Kampf »der zur Ware Gewordenen« um Wiedergewinnung selbständiger Existenz komplementär. Nach außen hin enthüllt sich hier die soziale Funktion der Expansionsideologie; sie eröffnet noch einmal die scheinbare objektive historische Möglichkeit, das »Zur-Ware-Werden« zu verhindern. Der soziale Träger der Expansionsideologie, als gewesener und seiender selbständiger Warenproduzent, stellt sich die Frage nach der realen Erfüllung des Aggressionsziels, der Hoffnung auf eine neue selbständige gesicherte Warenproduzentenexistenz. Hier findet die „Theorie vom Lebensraum“ ihren sozialen Sinn.

Je nachdem, wie sehr diese Perspektiven als historische offengehalten oder gar partiell erfüllt werden können (vgl. die Funktion des englischen Kolonialsystems für den Mittelstand und unteren Mittelstand), wird die »gestaute Wut« (Bloch) kanalisiert; wenn nicht, schlägt sie mit voller Wucht nach innen zurück. Alle diejenigen, die das Ziel real oder scheinbar verhindern (so internationales Spekulationskapital und Landgesellschaften als „raffendes Kapital“ und „Eingeborene“), werden zur Zielscheibe ideologischer Invektiven. Die Behinderung des sozialen Ziels wird nicht mehr als objektives Ergebnis der Entwicklung des Kapitalverhältnisses gesehen, sondern als Verschwörung bestimmter Gruppen, zu denen auch die sozialistischen Gruppen zählen, denen die „Nivellierung“, d. h. das Zur-Ware-Werden durch ihre „Gleichmacherei“ zur Last gelegt wird. Je weniger der Chauvinist realen Anteil an der Expansion hat, um so mehr wird es notwendig, seine Illusionen auf Gewinnung von Raum für eine selbständige Existenz zu nähren. Die „Lebensraum“-Theorie ist daher die besondere kleinbürgerliche Stoßrichtung der Expansionsideologie, während die „Theorie von den kulturlosen Völkern“ die allgemeine Notwendigkeit der Expansion ideologisch ausdrückt.

Es sei hier noch einmal an Lord Milners Formulierung der kolonialen Zukunftsprojektion erinnert, nach der einer weißen Herrenklasse eine »gut behandelte schwarze Arbeiterschaft« gegenüberstehen werde.87 Die Vorstellung der Aufteilung einer Nation in Käufer von Arbeitskraft, die mit der weißen, und Verkäufer von Arbeitskraft, die mit der schwarzen Hautfarbe zusammenfallen, erschien gerade dem oben genannten Ideologieträger eine verlockende soziale Utopie: einmal machte sie die drohende Enteignung unter diesen Bedingungen gegenstandslos, zum anderen nährte sie die konkrete Hoffnung auf die Rückkehr zu den Produktionsmitteln (proletarisierte Warenproduzenten) oder die Hoffnung auf Produktionsmittel (Intellektuelle, freie Berufe etc.).

Der Raum als Konstante versprach ebenfalls Erfüllung sozialpsychischer Ansprüche, die durch die Erfahrung der Degradierung schwer geschädigt waren; aus dem Raum ließen sich Machtansprüche ableiten. Herrenstellungen begründen, deren reale und scheinbare Grundlagen im Mutterland schon nicht mehr existierten.

Haben wir die Realität der Siedlungs-Projektionen des Kleinbürgertums aufgezeigt, so gilt es jetzt zu verdeutlichen, wie das Subjekt des Rassismus auch im Mutterland aus dem Wertgesetz gefolgert werden kann. Wir gingen grundsätzlich davon aus, daß sich in der Metropole der Rassismus in den Produktionsprozeß hineinverlagert; Grundlage ist hier die durch den Verwertungsprozeß gesetzte Konkurrenz innerhalb des kombinierten Gesamtarbeiters durch die formbestimmte Arbeitsorganisation, also die reelle Subsumtion des Arbeitsprozesses unter den Verwertungsprozeß.

Haben wir zuvor den Blochschen Begriff der Ungleichzeitigkeit aufgenommen und dargestellt, wie diese an der Peripherie zur Notwendigkeit, im Mutterland zur Möglichkeit wird, so gewinnt der Begriff der Ungleichzeitigkeit jedoch erst dann an analytischer Schärfe, wenn wir ihn mit den Kategorien des unmittelbaren Produktionsprozesses zu bestimmen suchen. Wie der Rassismus, der ihr sein Leben verdankt, setzt sich die formelle Subsumtion in der Kolonie als Ganzes, in der Metropole als Teil durch.

Eine erste Bedingung der Möglichkeit des Rassismus wird in der Metropole dadurch geschaffen, daß der kleine Warenproduzent dem entwickelten Tauschwert (als Kapital) nur formell unterworfen ist: Die Spannung wird also durch den Gegensatz Zirkulation - Produktion erzeugt.

Während unter den Bedingungen der reellen Subsumtion der Rassismus aus dem Produktionsprozeß entspringt, in dem der Verwertungsprozeß den Arbeitsprozeß unterwirft, entspringt der Rassismus unter der Bedingung formeller Subsumtion aus der erweiterten Bestimmung des Verwertungsprozesses als Einheit von Produktion und Zirkulation. Im Gegensatz zum Lohnarbeiter, welcher ja nicht nur vom Produkt seiner Arbeit entfremdet ist, sondern auch von der Form der Arbeit, ist der selbständige Warenproduzent noch identisch mit seiner Arbeit wie mit seinem Produkt - freilich nur, solange der Produktionsprozeß anhält. Diese Identität kommt dadurch zustande, daß ihm das Produktionsmittel nicht als eine fremde Macht, also als Kapital in potentia, gegenübersteht.

Was die Form seiner Arbeit angeht, so erscheint sie noch in ihrer besonderen Bestimmtheit versenkt. Bei der Lohnarbeit unterwirft die Form den Stoff der Arbeit, beim Selbstarbeiter ist dies umgekehrt: der Stoff bestimmt hier noch wesentlich die Form der Arbeit, die abstrakte Arbeit ist hier noch der konkreten unterworfen, Qualität herrscht noch über Quantität. In bezug auf den Produktionsprozeß ist also der selbständige Warenproduzent Einheit mit sich und seiner Arbeit, der Lohnarbeiter hingegen ist Zerrissenheit. Die Zerrissenheit erscheint für Jenen in der Zirkulation, begründet sich jedoch aus der Produktion.

Der Verwertungsprozeß, der Produktion und Zirkulation subsumiert hat, setzt selbst diese Spannung durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Der Warenproduzent häuft in seinem Produkt, welches als Ware produziert wird, in überdurchschnittlichem Maße Arbeitsquanta an, welche ja nach Auskunft der klassischen Ökonomie den gesellschaftlichen Reichtum schaffen, erfährt jedoch, daß das Produkt, in dem ungleich weniger Arbeitsquanta vergegenständlicht sind, seinem vorgezogen wird. Der Wert seines Produkts erscheint also nicht als Tauschwert, es hat daher auch keinen gesellschaftlichen Gebrauchswert (Gebrauchswert für andere), es ist nichts „wert“. Der Widerspruch von Produktion und Zirkulation zerstört letztlich seine Identität unter der Herrschaft des Verwertungsprozesses; der Extraprofit, der die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit vorantreibt, betreibt seinen Untergang als selbständiger Warenproduzent und verweist ihn notwendig auf zwei Alternativen: entweder Käufer oder Verkäufer von Arbeitskraft zu werden.

Da dieser Entwicklung die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, also das Wertgesetz, zugrunde liegt, ist nun zu untersuchen, inwiefern er diesen als „Kampf ums Dasein“ erfährt. Allein dies befähigt uns zu erkennen, wie er letztlich seine Menschlichkeit aus dem Tauschwert schöpft, sowie dessen Negation. Da er jedoch das Wertgesetz blind anerkennt, also ein historisch gesellschaftliches Gesetz als natürliches nimmt, sucht er den Widerspruch in der „ersten Natur“ des „Menschen“. Die ökonomische Charaktermaske, durch das Wertgesetz konstituiert, wird zum „schlechten Charaktere Wird unter den Bedingungen der formellen Subsumtion in der Kolonie der Rassismus dadurch erzeugt, daß die „zweite“ auf die „erste Natur“ reduziert wird, so wird in der Metropole umgekehrt die „erste“ auf die „zweite Natur“ reduziert. Beidem liegt zugrunde, daß die Zirkulation den Rassismus trägt, daß die Vergesellschaftung primär hier stattgefunden hat, denn mit der Vergesellschaftung der Produktion verlagert sich der Rassismus in dieselbe hinein.

Der Glaube der klassischen Ökonomie, daß allein die Arbeit den gesellschaftlichen Reichtum schafft, wird beim Selbstarbeiter um so heftiger erschüttert, als die Entwicklung dahin ging, daß diejenigen, die arbeiteten, immer weniger besaßen.

Wenn der gesellschaftlich notwendige Untergang des Warenproduzenten als Untergang seiner natürlichen Existenz, also als Untergang der Rasse erfahren wird, so die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als natürlich-notwendige Arbeitszeit. Durch seine Ausschaltung als Konkurrent erfährt er die Folgen derselben als Widerspruch zu deren Grundlagen. Gerade weil er aber an die bestehende gesellschaftliche Ordnung glaubt, können die gesellschaftlichen Übel nicht innerhalb dieser Ordnung bestehen, sondern nur außerhalb derselben: in der „Natur des Menschern. Der Konkurrent, welcher das Wertgesetz vollzieht, wird zum „unfairen Konkurrentern. Der Topos „Kampf ums Dasein“, historisch der Selektionstheorie entlehnt, signalisiert seinen eigenen logischen Stellenwert. Das „Dasein“ als Kategorie ist in der Hegeischen Logik, dem höchsten Ausdruck bürgerlicher Selbstreflexion, als das noch Unbestimmte und Unbegriffene definiert. Insofern fällt hier die historische Bestimmung mit der logischen zusammen. Dieser notwendige Grund wird erst dann zureichend, wenn wir uns vom Subjekt des Rassismus weg zu seinem Objekt hinwenden.

Aus dem Tauschwert sein „Menschsein“ schöpfend, wendet sich der Kleinbürger gegen diejenigen, welche den Tauschwert theoretisch und praktisch in Frage stellen und damit auch sein „Menschsem“ (Sozialismus): dies in seiner Abwehr gegen die Lohnarbeit. Seine Abwehr gegen das Kapital kann sich nach unseren vorigen Bestimmungen nur über die Zirkulation vollziehen. Der objektiv vorhandene Antikapitalismus wird über die Zirkulation auf die Rassenfrage abgelenkt. Durch die Spaltung des Profits in Zins, Unternehmergewinn und kommerziellen Profit setzen sich die Besonderungen des Kapitals als scheinbar selbständige Erscheinungsformen, was ihren Ursprung aus dem industriellen Kapital mystifiziert. Im zinstragenden Kapital der fetischhaftesten Form (G-G'), wo das prozessierende produktive Kapital völlig verschluckt ist, gebiert Geld mehr Geld. Dies erscheint dem Kleinbürger insofern als gesellschaftlich überflüssig, weil er als Selbstarbeitender permanent erfährt, daß der gesellschaftliche stoffliche Reichtum nur durch konkrete Arbeit geschaffen wird, die begriffslose Form also für ihn nur durch Betrug entstehen kann. Sinnlich wahrnehmbar erfährt er den Zins als Abzug von seinem Wertprodukt. Im zinstragenden Kapital ist Geschichte verschwunden, das Prozessuale ausgelöscht. Das Kapital erscheint hier nur noch in seiner Beziehung auf sich selbst, als Ding zu sich selbst. Geld „arbeitet“ hier. Die Eigentümlichkeit des zinstragenden Kapitals besteht darin, daß hier das Kapital als Ware auftritt. Im Gegensatz zu allen übrigen Waren mit Ausnahme der Ware Arbeitskraft, deren Gebrauchswert konsumiert wird und deren Wert dadurch verschwindet, wird hier durch die Konsumtion des Gebrauchswerts nicht nur der Wert und Gebrauchswert erhalten, sondern vermehrt. Für das zinstragende Kapital ist also die äußerliche, vom vermittelnden Kreislauf losgetrennte Form der Rückkehr kennzeichnend. Die Rückkehr als verwerteter Wert scheint nicht mehr vom Verlauf des Produktionsverhältnisses abzuhängen, sondern von der Übereinkunft zwischen Leiher und Verleiher. Die bloße Form des Kapitals ist hier nur die begriffslose - weil den Begriff, das Wesen, die Kerngestalt verhüllende - Form der wirklichen Bewegung des industriellen Kapitals in seiner produktiven Funktionsform.

Da also das Kapital dem selbständigen Warenproduzenten in der Form des zinstragenden und seinen abgeleiteten Formen wie Kredit, Hypothek etc. gegenübertritt, also in seiner abstraktesten Erscheinungsform die Arbeit als selbständige unterwirft, erscheint es aufgrund seiner nicht mehr erkennbaren Genesis durch die Arbeit als unproduktiv und reduziert sich auf die Formel G-G', während das industrielle Kapital nicht nur als Ding (d. h. als Produktionsmittel), sondern auch als Gebrauchswerte produzierender Prozeß, d. h. als produktiv, erscheint.

Dies drückt sich im Rassismus doppelt aus: einerseits aktiv aggressiv im Antisemitismus, dessen Objekt das „raffende Kapital“ bildet, andererseits passivisch-defensiv als „Blut und Bodern-Ideologie etc. Daher erzeugt dieser Mechanismus auch die Formen des Rassismus im Innern.

Erscheint die Entfaltung des Kapitalverhältnisses als Entfaltung der Zivilisation und wird diese positiv gegen die Peripherie gewendet (Expansionsideologie), so zeigt dieselbe sich im Innern für den Kleinbürger als eine negative, zerstörerische, die ihn in seinem ständischen Dasein unmittelbar bedroht. Diese objektive Bedrohung versucht er subjektiv abzuwenden, indem er in der Ideologie die Voraussetzung der Warenproduktion von .ihren Folgen trennt, nur das raffende Kapital abschaffen will, nicht das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis. Da das Kapital sein ständisches Dasein zerstört, also den Stand in eine Klasse auflöst, erscheint der Untergang eines Standes als ein Untergang einer Rasse, die Zerstörung der Kultur durch die Zivilisation. Die Formen der Ideologie selbst bestimmen sich deshalb nach ihren Inhalten: denn der ständischen Gesellschaft ist tatsächlich ein naturhaftes Moment zu eigen, da der gesellschaftliche Status qua Geburt verbürgt ist. Die Besonderheiten der Form ergeben sich Jeweils aus der Natur des Produktionsprozesses. So erscheint dem selbständigen Bauern die drohende Enteignung von seinen objektiven Arbeitsbedingungen tatsächlich als Bedrohung seines Blutes, denn durch den Entzug derselben wird auch der Lebenszusammenhang, die Erbfolge (Blut), zerstört; dagegen erscheint etwa bei dem selbständigen Handwerker die Qualifikation als Rasseneigenschaft, d. h. seine Dequalifikation als Rassenniedergang, was in seiner Verkehrung in der Kolonie - wie wir oben sahen - tatsächlich wieder an Realität gewinnt.

Unsere Aufgabe war es gewesen, die Genesis von Rassismus und Chauvinismus aus den Widersprüchen der ökonomieform selbst zu entwickeln. Die Entfaltung dieser Widersprüche aus der Entfaltung der Bestimmungen des Wertgesetzes haben gezeigt, auf welcher logischen Stufe der Rassismus von einer objektiven Notwendigkeit zur herrschenden Bewußtseinsform werden kann. Erst hier kann eine sozialpsychologische Interpretation ansetzen. Ihre Aufgabe wäre es nun zu untersuchen, unter welchen besonderen lebensgeschichtlichen Bedingungen der Rassismus sich im Kopfe, d. h. im Bewußtsein, der einzelnen Individuen durchsetzt.

Anmerkungen

 

1) Peter Schmitt-Egner, Kolonialismus und Faschismus. Gießen/Lollar 1975.

1a) H. Schnädelbach, Was ist Ideologie? in: Das Argument 50, Berlin 1963, S. 77.

2) Der klassische Ausdruck dieser Tendenz zeigt sich in der anonym erschienenen Schrift von Du Marsais und D'Holbach, Essai sur les Prejuges ou L'influence des opinions sur les mceurs et sur le bonheur des Hommes (1770) (Deutsch Leipzig 1972).

3) Aus Platzmangel wird auf eine ausführliche Diskussion des Ideologiebegrifts verzichtet. Ich verweise auf die entsprechenden Fußnoten meines Buches Kolonialismus und Faschismus, Kap, All i.

4) Ernst Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, in: Gesamtausgabe Bd. 6, Frankfurt/Main 1961, S. 187 f.

5) Ebenda, S. 188.

6) G. W. F. Hegel, Jenaer Realphilosophie, hrsg. v. J. Hoffmeister, Nachdruck 1967, S. 249.

7) Siehe Karl Marx, Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie, Kritik des Hegelschen Staatsrechts (in: MEW Bd. 1 S. 201-336), ebenso ders. Zur Judenfrage (ebenda S. 347-378). Die Form der »Verdoppelung« bei Marx ist von.H. Reichelt in ihrer inneren Beziehung zu den Kategonen der Kritik der politischen Ökonomie herausgearbeitet worden (s. H. Reichelt, Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs, Frankfurt/M. 1970, S. 20 ff.).

8) MEW Bd 1,S. 364.

9) MEW Bd.1l, S. 369.

10) MEW Bd 1l, S. 355.

11) Insofern bleiben die Ausführungen Blochs und Koflers »philosophisch« im Sinne des jungen Marx.

12) Grundrisse, S. 914

13) MEW Bd. 23, S. 74.

14) Grundrisse, S. 153. i; Ebenda, S. 153.

16) Ebenda, S. 912.

17) Ebenda, S. 913.

18) Ebenda, S. 156.

19) Ebenda, S. 145.

20) Ebenda, S. 911.

21) Ebenda, S. 157.

22) Ebenda, S. 156.

23) Wenn wir von personaler Abhängigkeit im Feudalwesen sprechen, so ist dabei nicht zu vergessen, daß auch diese Verhältnisse selbst innerhalb ihrer Sphäre einen sachlichen Charakter auf einer bestimmten Stufe einnehmen, wie etwa die Entwicklung des Grundeigentums aus militärischen Subordinationsverhältnissen beweist. So erscheint hier das sachliche Verhältnis als persönlich. (Vergl. Grundrisse S. 82).

24) Grundrisse, S. 81; Unterstreichung von mir, P.S.E.

25) Ebenda, S. 914.

26) Vgl. MEW Bd. 23, S. 64 ff.

27) Grundrisse, S. 159; wir werden sehen, wie sich schon auf dieser Ebene die Möglichkeit des Rassismus verbirgt.

28) Grundrisse, S. 159; in diesem Sinne argumentiert Marx gegen diejenigen, die glauben, die soziale Revolution sei nichts anderes als die Realisierung der bürgerlichen Ideen von Freiheit und Gleichheit, da das Tauschwertsystem ja ein System von Freiheit und Gleichheit sei und nur durch Geld und Kapital verfälscht worden sei (Proudhon). Dem hält Marx entgegen, daß es ein ebenso »frommer wie alberner Wunsch [sei], daß zum Beisiel der Tauschwert aus der Form von Ware und Geld sich nicht zu der Form des Kapitals, oder die tauschwertproduzierende Arbeit sich nicht zur Lohnarbeit fortentwickeln soll« (Grundrisse, S. 916; vgl. auch derselbe Zur Kritik der politischen Ökonomie, in: MEW Bd. 13, S. 68 ff.). Es wird später zu entwickeln sein, wie dieser Widerspruch zur notwendigen Bedingung des kleinbürgerlichen Rassismus wird.

29) Grundrisse, S. 148.

30) Als Eigentum wird hier ausschließlich Eigentum an Produktionsmitteln begriffen. Im Kapital hat Marx dann auch explizit seine Kritik aus der Judenfrage wieder aufgenommen: siehe MEW Bd. 23, S. 189. »Die Sphäre der Zirkulation oder des Warenaustausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angeborenen Menschenrechte. Was allein hier herrscht ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham. Freiheit! Denn Käufer und Verkäufer einer Ware, z. B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtliche, ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Äquivalent für Äquivalent, Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. Bentham! Denn jedem von beiden ist es nur um sich zu tun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres Eigennutzens, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen. Und eben weil so jeder nur für sich und keiner für den andren kehrt, vollbringen alle, infolge einer prästabilienen Harmonie der Dinge, oder unter Auspizien einer allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vorteils, des Gesamtinteresses.«

31) MEW Bd. 23, S. 191.

32) Ebenda, S. 609.

33) Ebenda, S. 611

34) Grundrisse, S. 449.

35) MEW Bd. 23, S. 562.

36) Ebenda.

37) Grundrisse, S. 916.

38) Dazu Dan Diner/Peter Schmitt-Egner, Tauschwert und Völkerrecht. Zur historischen und begrifflichen Genesis, der Rechtsform auf dem Weltmarkt (Univ. Man.). Ebenso Schmitt-Egner, Kolonialismus und Faschismus, a.a.O., Abschn. A i.

39) Daß der Rassenbegriff ausschließlich biologischer Natur ist und als Charaktertypologie wissenschaftlich unbrauchbar ist, dürfte inzwischen Konsensus der neueren Anthropologie sein. Vgl. K. Salier, Leitfaden der Anthropologie, 2. völlig neu bearbeitete Auflage, 1964, ebenso G. Heberer, Moderne Anthropologie, Hamburg 1973; die dort vertretenen Thesen befinden sich im Einklang mit einer von der Expertenkommission der UNESCO am 8. 8. 64 in Moskau angenommenen und 1967 gebilligten  esolution: Proposals on the biological aspects of race. Abgedruckt in: Social Science Bulletin 17 (1965), S. 60 ff.

40) Dazu Philip Mason, Race Relations, London 1970, S. 18 ff.; ebenso Michael Banton, Race Relations, 2. Auflage London, Sydney, Wellington, Toronto 1969, S. 3 ff.; H. Blumer, Reflections on the Theory of Race Relations, in: Race Relations in Worid Perspective, S. 4 ff.; ebenso die ältere Arbeit von Simpson, G. Yinger, Racial and Cultural Minorities - an Analysis of Prejudice and Discrimination, Revised 400 edition New York 19)8, S. 68 ff.

41) Vgl. Banton, a.a.O.

42) Banton, S, 164; zu Bantons Arbeit vgl. die Rezensionen von W. Cahlmann in: Journal of the History of Behavioral Science, Vol. 7 (1971), S. 109-111, und Lee Coleman in: Rural Sociology (Lexington), Vol. 34 (1969), S. 415 ff. Zur Periodisierung auch Michael Biddis, Racial Jdeas and the Politics of Prejudice lSjo-1914, in: The Historical Journal XV, 3 (1972) S. 570 ff.

43) Vgl. Banton S. 12 ff.; ebenso Statement on Race and Racial Prejudice der Expertenkommission der UNESCO vom 26. 9. 1967 in Paris, in: Social Science Bulletin, 20 (1968), S. 93 ff. Repräsentativ für die angelsächsische Forschung sind die Beiträge von David Lockwood, John Rex und Michael Banton auf der Konferenz der British Sociologica! Association Ende 1969- Abgedruckt bei Sami Zubaida, Hrsg. Race and Racialism, London 1970.

44) Vgl. die Zahlen bei Urs Bitterli, Die Entdeckung des schwarzen Afrikaners, Versuch einer Geistesgeschichte der europäisch-afrikanischen Beziehungen an der Guineaküste im ij. und 18. Jahrhundert, Zürich 1970 (Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte, hrsg. von R. von Albertini und H. Gollwitzer, Bd. 5), S. 130. Bitterli bezittert den Menschenverlust, den Afrika bis zur Auflösung des Sklavenhandels erlitten hat, auf 30 Millionen Menschen.

45) E. D. Seeber, Anti-Slavery Opinion in France During the Second Half of the i8th Century, Baltimore 1957, S. 15. Diese Aussage wird gestützt durch C. P. Groves, The Planung of Christianity in Africa, Vol i, London 1948, S. 162 ff.; für Nordamerika allgemein Winthrop D. Jordan, White over Block, American Attitude Toward the Negro 1550-1812, Chapel Hill 1968; in den Kolonien selbst spielte zu dieser Zeit (18. Jh.) der Rassismus nachweislich keine Rolle. So konstatiert etwa Adam (Südafrika, Soziologie einer Rassengesellschaft, Frankfurt/Main 1969, S. 27), daß es im 18. Jahrhundert »geläufige Praxis« war, daß einheimische Hottentottenfrauen durch Heirat mit weißen Siedlern in die europäische Gesellschaft aufgenommen wurden.

46) Bitterli, S. 118; Bitterli wird im wesentlichen von der Arbeit Leclercs bestätigt: »Während das 18. Jahrhundert den Ursprung [des Menschen, P. S. E.] als das Authentische begreift, stellt er sich dem 19. Jahrhundert als das Einfache (das Ungeschlachte) und Unvollendete dar.« G. Ledere, Anthropologie et Colonialisme, Paris 1972 (zitiert nach der deutschen Ausgabe, München 1973, S. 147); ebenso M. T. Hodgen, Early Anthropology in the Sixteenth and Seventeenth Century, New York/London 1973.

47) Vgl. Heide Gerstenberger, Zur politischen Ökonomie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt 1972, S. 29 und 33 f.

48) Dies beweist auch die bekannte Diskussion der beiden Richtungen der »christlichen Kolonialtheorie« in Spanien zwischen de Las Casas und Sepulveda. Während Las Casas eine gewaltsame kriegerische Bekehrung nur für den »Notfall« als ethisch gerechtfertigt hielt, sah Sepulveda in der gewaltsamen Unterwerfung die normale Behandlungsmethode. Beide hielten jedoch das Kolonialsystem für »natürlich«. Vgl. W. Markov, Fragen der Genesis und Bedeutung vorimperialistischer Kolonialsysteme, in: Wiss. Zeitschrift d. K. Marx Univ. Leipzig, 4. Jahrgang 1954/55, gesellschaftl. Reihe, und die dort zitierten Quellen. M. Mörner konstatiert, daß die Jesuiten in Lateinamerika größtenteils Sklaven hielten (derselbe, Der historische Hintergrund der sozialen Situation des Afro-Amerikaners in Lateinamerika, in: J. Gräbener (Hrsg.), Klassengesellschaft und Rassismus, Düsseldorf 1971).

49) Thomas Hobbes, Leviathan or the Matter, Form, and Power o/an Commonwealth, Ecciesiastical and Cwil, New York/London 1965, S. 44.

50) Jenaer Realphilosophie, a.a.O., S. 256.

51) Grundrisse, S. 156.

52) W. P. Adams, Das Gleichheitspostulat in der Amerikanischen Revolution, in: //2Bd. 212 (1971) S. 96.

53) Vgl. Banton, S. 109-112. So ist etwa nach römischem Recht der Servus konsequent bestimmt als einer, der nicht durch Tausch für sich selbst erwerben kann [Grundrisse, S. 157).

54) Bitterli, S. 130; vgl. auch die amerikanische Verfassungsdiskussion um die Menschenrechte, in der die spätere Diskriminierung deutlich angelegt ist. Während man zu dieser Zeit mit den Indianern noch Verträge abschloß, sie also als Vertragspartner außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft zumindest formal anerkannte, war man sich nicht sicher, ob der Schwarze Eigentum oder Mensch sei. Madison machte den „Kompromiß“: »But we must deny the fact, that slaves are considered merely äs propeny, and in no respect äs persons. The true state of case is, they partake of both these quahties.« Föderalist Paper'Nr. 54, in: Hamilton, Madison, Jay, The Federa-lists, hrsg. von Jacob E. Cooke, Cleveland 1961, S. 367 ff.; auf dem Kontinentalkongreß wurde jeder Diskussionsansatz über die Emanzipation der Schwarzen abgeschnitten mit der Bemerkung, Sklaven seien Besitz: »Species of property, personal estate«. (The works of John Adams, Vol. 2, S. 496). Konsequenterweise besaßen die »Väter« der Declaration of Rights Sklaven; so Thomas Jefferson 149 Sklaven, Washington sogar 390 Sklaven (dazu und zur generellen Einstellung der Gründergeneration W. Jordan, White over Black, a.a.O., S. 269-311; über die einzelnen Diskussionen genauer die Arbeit von Gunnar Mydral, An American Dilemma - The Negro Problem and Modern Democracy, New York, Evanston 1962, S. 84 ff.

55) Die allgemeine Sklavenhaltung wurde geduldet mit Ausnahme in der radikaien Phase der französischen Revolution, 1794 wurde aufgrund des Berichts von Abbe Gregoire vor dem Konvent die Abschaffung der Sklavenhaltung verfügt, jedoch schon nach kurzer Zeit von Napoleon Bonaparte wieder eingeführt und erst 1848 (!) endgültig abgeschafft.

56) Resultate, S. 39.

57) Ebenda, S. 58 ff.

58) MEW Bd. 23, S. 795.

59) MEW Bd. 23, S. 794.

60) Vgl. etwa Alphons Silbermann, Erkenntnisse der Soziologie zur Rassenfrage, in: Beckmann a.a.O., S. 25.

61)  Zu diesen Begriffen vgl. Schmitt-Egner, Kolonialismus. . ., a.a.O., S. 21 f.

62) Zynisch ist nicht die Sartresche Erfassung des Kolonialismus, wie Traber meint (a.a.O., S. 69), sondern die koloniale Wirklichkeit.

63) Jean Pau! Sartre, Einleitung zu A. Memmt, Portrait des Kolonisierten mit einer Einleitung Portrait des Kolonisators, in: Sartre, Kolonialismus und Neokolonialismus, Hamburg 1968, S. 25.

64) A.a.O., S. 24.

65) »Was andererseits die in den Kolonien etc. angelegten Kapitale betrifft, so können sie höhere Profitraten abwerfen, weil dort überhaupt wegen der niedrigen Entwicklung die Profitrate höher steht und ebenfalls, bei Anwendung von Sklaven und Kults etc., die Exploitation der Arbeit.« MEWßd. 25, S. 248. Zum ungleichen Tausch: A. Emmanuel, L'echange inegal, Paris 1970, ebenso Ernest Mandel, Der Spätkapitalismus, Frankfurt/Main 1972. , 66 Dazu Paul Baran: »Welcher Industriewarenmarkt auch immer in den kolonialen und abhängigen Ländern entstand, er entwickelte sich niemals zum Binnenmarkt dieser Länder. Durch Kolonisation und ungleiche Verträge weit geöffnet, wurde er Anhängsel des „Bmnenmarktes“ des westlichen Kapitalismus.« Politische Ökonomie des wirtschaftlichen Wachstums, Neuwied und Berlin 1971, 2. Auflage, S. 279.

67) Zum Begriff R. K. Merton, Social Theory and Social Structure, Glencoe 1957, S. 423

68) MEW Bd 23, S. 186.

69) Ebenda, S. 187.

70) Dies drückt sich etwa in der kolonialen Rechtssphäre aus. In einer Urteilsbegründung für die Aufhebung der Habeas-Corpus-Akte in der Kolonie spricht der Lord Justice Farwell mit wünschenswerter Deutlichkeit den Unterschied zwischen Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft und Nicht-Mitgliedern aus: »Die Wahrheit ist, daß in Ländern, die von Eingeborenen bewohnt werden, welche die weiße Bevölkerung an Zahl übertreffen, solche Gesetze [nämlich der Habeas-Corpus-Akte], obwohl Bollwerke der Freiheit im Vereinigten Königreich, sehr wohl das Todesurteil der Weißen werden könnten, wenn sie dort [d. h. in Kolonien] angewandt werden könnten.« (Zit. bei Franz Neumann, Demokratischer und autoritärer Staat, Studien zur politischen Theorie, Frankfurt/Main 1967, S. 44.) Dazu generell BI,1  und BII,2; daneben sei hier schon betont, daß sich die koloniale Rechtsprechung in bezug auf die Einheimischen nicht auf die bürgerlichen Gesetze bezieht, sondern ausschließlich auf das Verfügungs- und Verordnungsrecht.

71) Zit. bei A. Plangger, Rassenfrage und Missionierung in Rhodesien, in: J. Baumgartner (Hrsg.), Vermittlung zwischen kirchlicher Gemeinschaft, SchÖneck-Beckenried 1971, S. 173.

72) So betont etwa Traber (a.a.O., S. 71), daß eine wichtige Auswirkung der Sklaverei auf den weißen Rassismus die »Zuweisung der Rolle des Handarbeiters an den Nichtweißen« sei; ebenso betont Fanon »Der Vulgärrassismus in seiner biologischen Form entspricht .der Periode der brutalen Ausbeutung des Menschen« {Für eine afrikanische Revolution, Politische Schriften, Frankfurt/Main 1972, S. 45).

73) Vgl. etwa die bekannten Chamber of Mines im kolonialen und postkolonialen Südafrika; daneben das Bergwerks- und Arbeitsgesetz von 1912 (E. Segal, Kampf der Rassen, Frankfurt/Main 1966, S. 62; allgemein dazu Bettina Decke, Industrialisierung und Herrschaft in Südafrika, Neuwied 1972),

74) Bettina Decke nennt vor allem vier Punkte, die zur Produktion des Poor White geführt haben: 1. den Anreiz, den die neuen Beschäftigungsmöglichkeiten in den Industriezentren boten, 2. den Ankauf eines sehr großen Teils von Transvaal sowie riesige Ländereien durch Landgesellschaften, 3. die desintegrierende Funktion des Burenkrieges für die dortige Landbevölkerung, 4. »die von der Unionsregierung geförderte Rationalisierung der Landwirtschaft, die die neu entstandenen Märkte in den Städten vom Import der notwendigen Konsumgüter unabhängig machen sollte« (a.a.O., S. 59).

75) A.a.O. Die Disposition und soziale Funktion wird bei Decke klar definiert (S. 60 ff.). Zu dem objektiven Zusammenhang, der die allgemeine Bedingung des Rassismus setzt, kommt die gleichsam subjektiv-manipulative Funktion hinzu, die von den Vertretern der herrschenden Klasse direkt in Szene gesetzt wurde. So wurden etwa Cecii Rhodes und Chamberlain nicht müde, die aufbegehrenden Arbeiter darauf hinzuweisen, wie privilegiert sie seien, allein schon wegen ihrer weißen Hautfarbe und ihrer britischen Staatsangehörigkeit (vgl. Banton, a.a.O., S. 116 ff.).

76) Daß sich der so oft zitierte „Rassenkampf“ nicht von ungefähr am Qualifikationsbegriff und dem der „Effizienz“ zeigt, demonstriert ein »Rassenaufruf der Chamber of Mines«: »Nur durch Leistung kann die weiße Rasse in Südafrika ihre Herrschaft aufrechterhalten im Konkurrenzkampf mit der steigenden farbigen Flut, die in Südafrika an die Gestade der Zivilisation brandet, als Resultat des Anpassungsprozesses der schwarzen Rassen, die uns in der Union im Verhältnis 5:1 zahlenmäßig überlegen sind« (Zit. b. Decke, a.a.O., S. 62).

77) Die Mittel der Expropriation decken sich nicht von ungefähr mit denen, die in der Phase der ursprünglichen Akkumulation angewandt wurden.

78) De Sade und wir, Frankfurt/Main 1971, S. 36.

79) Sartre in: Vorwort zu Fanon, Die Verdammten dieser Erde, a.a.O., S. 14; vgl. auch Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, Theorie der gesellschaftlichen Praxis, Bd.I, Hamburg 1967, S. 799.

80) Zu Fanons Hegel-Rezeption: B. Tibi, Fanons Gewalttheorie und Hegelrezeption, in: SOPO 2 1969. Obgleich bei Fanon die Gewalt - im Gegensatz zu Sorel - nicht Inhalt ist, gelingt es ihm nicht, ihre Formbestimmtheit zu entwickeln. Dies steht zweifellos in einem inneren Zusammenhang mit seiner Rassismusinterpretation. Der von Adler übernommene Terminus der „Minderwertigkeitskomplex“ beschreibt zwar das zentrale psychische Problem des Kolonisierten, jedoch nicht als Ausdruck von formbestimmter Unterdrückung, sondern Unterdrückung an sich. Von daher bleibt auch die Gewalt, welche die Minderwertigkeit aufheben soll, letztlich geschichtslos. Der geschichtsmaterialistische Grund dieser Auffassung liegt nicht in einer unzulänglichen „wissenschaftlichen Methode“ etc., sondern in den allgemeinen sozialökonomischen und politischen Entstehungsbedingungen dieser Schriften; im besonderen jedoch in der Genesis des Intellektuellen an der Peripherie, für den der Verlust der kulturellen Identität durch die Begegnung mit der Metropole zweifellos schwerwiegender ist, als für den nordafrikanischen Bauern und Landarbeiter.

81) Zur Dependenzdebatte: Senghaas (Hrsg.), Imperialismus und strukturelle Gewalt, Frankfurt 1972; ders. (Hrsg.), Peripherer Kapitalismus, Frankfurt 1974. Der Gedanke kann in diesem Zusammenhang nicht weiter ausgeführt werden, er wird einer besonderen Untersuchung zur Kritik der Dependenzdebatte vorbehalten sein. Zum Ansatz dieser Kritik vgl. Kolonialismus und Faschismus, a.a.O., S. 71 f.

82) Fanon, a.aO., S. 70 ff.

83 Siegert, a.a.O., S. 62.

84) Wie wir oben gesehen haben, beginnt dies begrifflich mit dem Übergang von der formellen zur reellen Subsumtion, historisch mit der Durchsetzung des industriellen Kapitals.

85) Bloch, Erbschaft dieser Zeit, Gesammelte Schriften Bd. 4, Frankfurt/Main 1964,S. 113.

86) Ebenda, S. 116.

87) Zit. bei M. Benson, The African Patriots, London 1963, S. 20. Milner war seit 1897 Kap Gouverneur und Hoher Kommissar für Südafrika.

Editorische Anmerkungen

Der Aufsatz erschien in : Gesellschaft, Beiträge zur Marxschen Theorie 8/9, FfM 1978, 350 - 405

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