Antideutsche Kommunisten Berlin

Bunt macht braun

Über den Antimarxismus der Linken und ihre Regression zur Antiglobalisierungsbewegung

Vortrag, gehalten in der Reihe "Nachtgespräche" des Partisan.net im Dezember 2001

I.

Das Problem der Antiglobalisierungsbewegung ist, daß sie nichts von Marx wissen will. In Deutschland ist dies nicht neu, schon das, was unter dem Namen Neue Linke firmierte, war, von einem kurzen Aufblitzen Ende der 60er Jahre abgesehen, antimarxistisch und dafür um so ökobewegter. Nicht so in Italien und Frankreich. Dort gab es Arbeiterstreiks, die das Kapital nicht so leicht wegstecken konnte wie die Lieder und Sitzblockaden deutscher Linker. In Italien gab es in den 70er Jahren eine große undogmatische marxistische Linke, die Autonomia Operaia. Von dieser mußte sich die heutige Linke lösen, damit sie statt Revolution den zivilen Ungehorsam predigen konnte. Ein Sprecher der tute bianche, also jener Organisation, die in Italien den Revisionismus vorantrieb, meinte stolz und gegen die Überbleibsel der inzwischen aufgelösten Autonomia Operaia gerichtet: "Wir haben uns entschieden, von allen Ideologien Abstand zu nehmen, andere haben das nicht." Tute Bianche sind keine Ideologen, das sei ihnen zugestanden. Ein Ideologe hat immerhin ein falsches Bild der Realität. So denkfaul viele Marxisten auch sind, indem sie sich auf Marx berufen, können sie nicht alles verbocken. Marx war schließlich ein Genie. Ein Marxist ist ein Ideologe, er begreift nicht, daß Marx die Wahrheit über die Gesellschaft gesagt hat, sondern schließt sich statt dessen einer Weltanschauung an. Meist sind Marxisten unglaublich viel platter als Marx selbst. Vor allem die Marxisten, die Marx weiterentwickeln wollten und ihn doch nur um seine Radikalität brachten. Die aber, die sich offen dazu bekennen, keiner Ideologie anzuhängen, sind einfach wie der moderne Massenmensch, der auf seine höchst eigene Meinung pocht, als ob Freiheit darin bestünde, möglichst individuell zu spinnen.

Bevor sich näher den heutigen Globalisierungsgegnern gewidmet wird, soll erst einmal Marx zu Rate gezogen werden, genauer das Kommunistische Manifest. An Marx kommt keine Linke, die es ernst meint, vorbei und hätten die Globalisierungsgegner das Manifest gelesen, so würden sie Globalisierung nicht für so überaus neu halten. In diesem Text lobt Marx zunächst einmal den Kapitalismus und zwar in großartigeren Tönen, als jeder bürgerliche Apologet es könnte. Ich zitiere eine längere Passage:

"Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckige Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose 'bare Zahlung'. Sie hat den heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. [...] Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen. [...] Die Bourgeoisie hat das Land der Herrschaft der Stadt untergeordnet. Sie hat enorme Städte geschaffen, sie hat die Zahl der städtischen Bevölkerung gegenüber der ländlichen in hohen Grade vermehrt und so einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des Landlebens entrissen. Wie sie das Land von der Stadt, hat sie die barbarischen und halbbarbarischen Länder von den zivilisierten, die Bauernvölker von den Bourgeoisvölkern, den Orient vom Okzident abhängig gemacht [...] Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen. Unterjochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschiffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiffbarmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden hervorgestampfte Bevölkerungen - welches frühere Jahrhundert ahnte, daß solche Produktionskräfte im Schoß der gesellschaftlichen Arbeit schlummerten."

Ich fasse zusammen: Der Kapitalismus zerstörte die gottgegebenen und naturwüchsigen feudalen Verhältnisse und die bornierte Landwirtschaft. Er schuf gigantische Produktionsmittel, das egoistische Individuum und den Weltmarkt. Das war gut so und erst seitdem kann man überhaupt von der Emanzipation der Menschheit reden. Alle von Marx formulierte Kritik am Kapital setzt diese Errungenschaften des Kapitals voraus. Daß die Linken das Kapital nie loben ist ebenso unverzeihlich wie der triste Umstand, daß sie es nie kritisieren. Die falschen Produktionsverhältnisse kann man nur kritisieren, wenn man die Produktivkräfte thematisiert, die zumindest potentiell die Assoziation freier Menschen ermöglichen. Wie soll man eine bessere Welt als die des Kapitals erkämpfen, wenn man die schönen Dinge, die das Kapital als Abfallprodukte hervorbrachte, einfach verschmäht.

Es hätte mit Marx keinen antiimperialistischen Kampf gegeben, weil er den strahlenden Kolonialismus seiner Zeit bejubelte. Nicht daß das Kapital die bornierten Subsistenzgesellschaften zerschlug und damit die Menschheit zur Gattung vereinte, war ihm das Problem, sondern daß das Ganze nicht konsequent gemacht wurde, also die Menschheit immer noch in Klassen gespalten blieb.

Warum aber strahlte der Kolonialismus? Man könnte die Antithese aufstellen und sagen, er sei im Gegenteil äußerst grausam gewesen: So viele Azteken, wie die zivilisierten Spanier unter Cortez umbrachten, wurden sicherlich von den mexikanischen Barbaren nicht geopfert.

Marx ist ein Aufklärer, das heißt, er verschweigt dies nicht. Nicht im Manifest, sondern in einem Artikel über die britische Kolonialherrschaft in Indien schreibt er: "Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das von den Briten über Hindustan gebrachte Elend wesentlich anders geartet und unendlich qualvoller ist, als alles, was Hindustan vorher zu erdulden hatte." Die gesamte Landwirtschaft war in Indien ebenso zusammengebrochen wie die Textilindustrie. Das Problem der kolonialisierten Länder war, daß die Kolonialtruppen und der freie Markt alle naturwüchsigen Produktionsverhältnisse zerstörten, ohne eine neue vernünftige Produktionsweise einzuführen. Genauso haben die Proletarier in der neuen bürgerlichen Epoche nichts zu lachen. Schneller noch als der Reichtum expandierte der Pauperismus.

Für Marx war der Umstand, daß das Kapital zwar die Produktivkräfte entwickelte, aber die Massen um so härter ausbeutete oder dem nackten Elend ohne Ausbeutung überlies und sie dadurch um die von ihnen produzierte Geschichte betrog, ein objektiver Widerspruch. Er hätte deshalb nie sentimental über die sozialen Opfer der Globalisierung genörgelt. Objektive Widersprüche verlangen eine Aufhebung auf höherem Niveau. Wenn die Produktion schon gesellschaftlich ist, aber die Produktionsmittel weiter in Privatbesitz bleiben, so müssen sich die geknechteten Massen die Maschinen aneignen, sich die Welt selbstbewußt untertan machen. Dies hieße dann, das Mehrprodukt nach menschlichen Zwecken zu benutzen, um so wahrhaft Geschichte zu schreiben, die des Menschen Glück fördert. Geschichte wäre dann nicht mehr Geschichte von Klassenkämpfen und Massenvernichtung, also wesentlich Kriegsgeschichte, sondern wahrhaft menschenbestimmter Prozeß. Marx sah diese endgültige Befreiung des Menschengeschlechts kommen und konnte deshalb den bornierten bürgerlichen Fortschritt huldigen. Der Kapitalismus und ebenso der Kolonialismus erstrahlt im Lichte der Befreiung. Bleibt diese aus ist beides ein schauerliches Verbrechen.

II.

Von all dem will heute niemand mehr etwas wissen. Weltrevolution ist zur Utopie von Spinnern verkommen. Alle Kritik hat einen Wahrheitsanspruch und Wahrheit ist den Apologeten der bloß subjektiven Meinung verhaßt. Die Globalisierungsgegner sind so facettenreich wie die Postmoderne. Sie schreiben es sich gerade auf ihre Fahnen, daß sie bunt und breitgefächert sind und dementsprechend wird auf ihren Demonstrationen getanzt, getrommelt und allerlei sonstiger dem Ernst der Lage nicht entsprechender Krimskrams getrieben. Was sich aber spontan und individuell gibt, ist in Wahrheit eine formlose Masse und alle Farbtupfer gemischt, ergibt am Ende braun. Eine Bewegung ist nicht kritisierbar, wenn sie bereits in ihren Grundannahmen irrt. Die Grundannahmen der Globalisierungsfeinde sind folgende:

1. Die Globalisierung ist ein neues Phänomen

und

2. Sie ist abzulehnen.

Warum die Globalisierung ein neues Phänomen sein soll, obwohl doch Kolumbus Amerika schon vor nunmehr mehr als 500 Jahren entdeckt hat und auch Hegel vom Weltgeist und Marx dann vom Weltkapital spricht, ist nicht nachzuvollziehen. Man könnte genauso von einer Entglobalisierung reden, weil große Teile der Welt, wie etwa Afrika, weniger in den Weltmarkt integriert werden, als vielmehr aus ihm herausfallen.

Warum die Globalisierung schlecht sei ist genauso wenig einsichtig. Es wurde eingangs ausführlich Marx zitiert und er befand, daß der Verlust jeglicher lokaler Borniertheiten einer der großen Fortschritte der Menschheitsgeschichte sei. Genauso der Reichtum, der durch das Profitprinzip ungeheuerlich anwuchs, sodaß damals Teile der Gesellschaft euphorisch wurden und die Emanzipation zum greifen nahe schien. Man bedenke, plötzlich raste die Menschheit auf Schienen und von einem mit Dampf betriebenen Ungeheuer durch den wilden Westen. Von solch unglaublichen Errungenschaften konnten die sich als Gottkönige mißverstehenden Pharaonen nicht einmal träumen. Sie hatten Pyramiden, aber noch nicht mal elektrisches Licht.

Die Propagierung des Elendskommunismus ist die logische Folge der abstrakten Negation des nun Globalisierung oder Neoliberalismus genannten Kapitalismus. Das viele Gegner der Globalisierung kein Fleisch essen, keine Cola trinken und selbst feste Häuser ablehnen, mag eine Randerscheinung sein, sie von der allgemeinen Ideologie abzutrennen, hieße zu lügen. In der linken Verachtung für die Kunst ist das Problem enthalten. Wer statt guter, also klassischer Musik ständig das Gestampfe der modernen Popmusik über sich ergehen läßt, hat letztendlich schon resigniert. Am Reichtum und an der Globalisierung, das ist allzu banal, ist ihre Beschränkung auf Wenige zu kritisieren und nicht, daß beides existiert. An der bürgerlichen Revolution ist zu kritisieren, daß sie partikular bleiben mußte, statt der Menschheit also nur die kleine Bürgerklasse emanzipiert wurde und auch letztere nur sehr scheinhaft und nur für kurze Zeit. Dies folgt natürlich aus der Form der Gesellschaft und dazu gehören die Börse, das Profitprinzip, die Monopole und der Handel ebenso wie der von den Gegnern gerne verschwiegene Staat, die Nation, die Arbeit und der zunehmend völkische Nationalist.

Inhaltlich ist mit den Gegnern der Globalisierung nichts anzufangen. Wir haben uns über derlei Schwachsinn erschöpfend lustig gemacht und wen dies interessiert, der kann unsere Flugschrift über den Hirntod der Linken lesen. Der Schwachsinn ist leider nicht nur lustig, sondern tendiert immer zum reaktionären, wie man schon optisch an den Palästinensertüchern erkennt, die aus der Linken nicht verschwinden wollen, obwohl doch inzwischen jeder wissen müßte, daß die Palästinenser ein Mordkollektiv ohne Zukunft sind. Die nicht immer nur klammheimliche Freude angesichts des Massakers in New York ist bezeichnend.

Ich hätte mich noch einmal lustig gemacht, wenn ich nicht eine Broschüre in die Hände bekommen hätte, die Linksruck kritisieren wollte und immerhin einige Passagen von Linksruck zusammen trug, die vernünftig sind. Die Broschüre ist prototypisch für den Antimarxismus der Linken, sie ist noch viel schlechter als Linksruck und sie interessiert nicht. Bisher kannte ich Linksruck nur von ihren unglaublich langweiligen und die Nerven tötenden Populismus und weil ich Vorurteile habe, ordnete ich diesen Verein automatisch an den unteren Rand der Bewegung an. Nur die ganz offen proimperialistischen und prokapitalistischen Attac-Leute hielt ich für schlimmer.

III.

Es erscheint mir so zu sein, daß folgende Passagen aus Linksruck klüger sind, als die meisten ihrer Aktivisten, die doch sehr demokratieselig sind. Sie stammen alle aus der erwähnten Broschüre und wurden von den Schreiberlingen abgelehnt.

Linksruck schreibt:

"Der Kapitalismus hat riesigen Reichtum und technologischen Fortschritt geschaffen ... Wir wollen den Reichtum nicht zerstören, sondern nutzen, um die Welt wieder in Ordnung zu bringen"

Wann die Welt schon einmal in Ordnung war weiß ich nicht, aber der Wunsch sie in Ordnung zu bringen ist vernünftig. Weiter: "Die Multis haben rund um den Globus expandiert, aber sie haben auch eine Weltarbeiterklasse geschaffen, die zunehmend ein gemeinsames Interesse hat"

Linksruck will die Revolution der Weltarbeiterklasse, mit dem Ziel endlich die Produktivkräfte in den Dienst der Menschheit zu stellen. Er will die Massen emanzipieren und dann wäre die Masse keine Masse mehr: "Nur die direkte Aktion der Masse kann ... den Kapitalismus mit all seinen Institutionen und seiner Unterdrückungsmaschinerie beseitigen" Dies ist richtig. Nur die Arbeiter können die Produktionsmittel aneignen und den Staat zerschlagen. Das bleibt auch dann wahr, wenn die Arbeiter sich subjektiv nicht als solche fühlen, sondern als Volksgenossen.

Wenn die Arbeiter rassistisch, frauenverachtend, schwulenfeindlich sind, dann ist das gegen ihr objektives Interesse, den so Linksruck weiter: "Die herrschenden Ideen sind die Ideen der herrschenden Klasse. ... Die Arbeiter haben als Klasse kein objektives Interesse an der Aufrechterhaltung dieser Ideen" Sie mögen subjektiv die Ideologien des Kapitalismus gefressen haben, aber es sind nicht die ihrigen Ideologien, so sehr sie sich das einbilden, genauso wenig ist der Staat ihr Staat. "Der Staat ist ... der bewaffnete Flügel der herrschenden Klasse. ... Polizei, Justiz, Medien und Bildungssystem sind aufeinander abgestimmt" Sie müssen deshalb von der revolutionären Bewegung abgeschafft werden. Dazu braucht es eine linke Avantgarde: "In jeder Bewegung gibt es eine Führung ... Es gab nie die Wahl zwischen Führung oder keiner Führung, sondern nur zwischen revolutionärer Führung und reformistischer Führung" sagt Linksruck und wendet sogleich ein, was einzuwenden ist: "Eine Führung ist für uns nicht da Führung zu sein und zu bleiben, sondern, um andere führungsfähig zu machen" Linksruck will also nicht eine Hammelherde führen, sondern diese letztendlich von der Führung emanzipieren. Führung ist aber notwendig, weil die Masse unmittelbar immer das falsche tut und ganz ohne Anleitung irgendeinem reaktionärem Führer nacheilt und willig dessen Verbrechen exekutiert.

Dies alles ist ein wenig roh, aber diskutierenswert. Es bestätigt die Eingangsthese, das Marxisten immerhin noch Ideologen sind, also immerhin ein falsches Bild der Realität besitzen. Das Hauptproblem liegt darin, daß die Subjekte nicht mitspielen. Die herrschenden Ideen mögen zwar nicht das objektive Interesse der Massen repräsentieren, diese aber dürsten nach den reaktionären Ideologien, wie sonst nur nach dem Fernsehen oder der Popmusik. Ein totgeschlagener Ausländer oder eine mißhandelte Frau kann sich nichts davon kaufen, daß der wackere und männliche Volksgenosse wider seine objektiven Interessen handelte. Die Weltarbeiterklasse, die Linksruck erstaunlicherweise heranreifen sieht, gab es rudimentär im letzten Jahrhundert als man Arbeiterinternationalen schuf, vor denen das Kapital zittern mußte wie vor einem Gespenst. Heute kümmern sich die Arbeiter noch nicht einmal um ihre unmittelbaren Interessen, also um höheren Lohn und eine bessere Krankenversicherung. Es zittern deshalb nicht ernsthaft die Kapitalherren sondern allerhöchstens die Bevölkerung, weil die einzige Bewegung, die es gibt, eine Art weltweiter Djihad ist. Das Massaker in New York, die Pogrome in Mölln, der Richter Gnadenlos in Hamburg, die ständigen Angriffe auf Israel, das sind die Aktionen der heutigen Internationale. Eine Demonstration in Bernsdorf ist deswegen richtiger, als der Aufruf zum sozialen Protest, der momentan als Pogromaufruf verstanden wird, selbst dann, wenn die Aufrufenden etwas ganz anderes im Sinn haben.

Die Polizei ist selbstverständlich der bewaffnete Arm der Bourgeoisie. Aber diese Erkenntnis ist nur halb und damit gänzlich falsch, wenn übersehen wird, daß in so manch einem Land die Polizei das schlimmste zu verhüten weiß und man sich nicht wünscht, daß in Pakistan, Algerien oder Palästina die faschistische Volksbewegung die Macht an sich reißt.

Außerdem sollte nicht übersehen werden, daß die Bourgeoisie nicht mehr als personale in Erscheinung tritt, sondern als Aktiengesellschaft, die ihrerseits Gesetzen folgen muß. Statt diese erstaunlich anonyme Herrschaft zu reflektieren, ruft Linksruck dumpf zum Haß gegen die Reichen auf. Das eint sie mit dem Rest der Bagage und dies ist der Grund, warum man sie leicht für reaktionär hält, sie verhalten sich objektiv reaktionär. Ebenso andere radikalere und klügere Trotzkisten. Was nutzen alle wenigstens partiell richtigen Erkenntnisse der traurigen Spartakisten, wenn sie dann Parolen formulieren, die dem Führer gefallen würden und von "zionistischen Schlächtern" faseln und damit der Konterrevolution zuarbeiten, die ja nicht auch noch von Links unterstützt werden müßte.

VI

Das Dilemma, in dem wir stecken ist folgendes: Die einzige richtige Praxis momentan wäre die Aneignung und völlige Umgestaltung des Produktionsapparates. Die aber, die dies tun könnten sind so schwach, daß sie sich psychologisch mit dem Aggressor verbünden müssen. Sie hängen dem Unheil noch mehr an als die Verfügenden selbst. Horkheimer sagte deshalb einmal, daß man um so verzweifelter am Kommunismus festhalten müsse, je unmöglicher er sei. Selbst die Deutschen benötigen den Kommunismus, auch dann, wenn sie alles totschlagen, was auch nur entfernt nach Glück riecht.

Was können Linke in so einer verfahrenen Situation tun? Sie sollten eine intellektuell Avantgarde sein. Die Führungsrolle kann nicht, wie Linksruck das will, eine unmittelbar praktische sein; was dann herauskommt sieht man ja: Die Plakate von Linksruck sind mit denen der NPD kompatibel. Trotzdem muß die Linke eine Avantgarde bilden. Diese muß sich selbst bewußt werden, also genau wissen, was sie tut und durchaus praktisch in die Gesellschaft intervenieren. Sie darf unter keinen Umständen Zugeständnisse an die zu agitierende Masse machen, muß sich ihr im Gegenteil kompromißlos gegenüber stellen. Das Menschengeschlecht wirklich lieben, heißt heute, ihm in allem was es denkt und tut zu widersprechen. Aufklärung ist notwendig und wichtig, kann aber leider die nicht erreichen, die so ressentimentgeladen sind wie die hiesige Bevölkerung. Man kann nur die Gruppe erreichen, die eh schon offen für Kritik und Erkenntnis ist. Folgender Rat Adornos soll das Schlußwort sein. Er sagte, es ist "keineswegs überflüssig, [...] diese Gruppe gegen die öffentliche Meinung durch Aufklärung zu stärken. Im Gegenteil, man könnte sich wohl vorstellen, daß sich aus ihr so etwas wie Kaders bilden, deren Wirken in den verschiedenen Bereichen dann doch das Ganze erreicht, und die Chancen dafür sind um so günstiger, je bewußter sie sich selbst werden."

Damit die Freunde der rabiateren Praxis nicht frustriert aus diesem Raum gehen noch dies: Eine vernünftige Randale etwa anläßlich eines Naziaufmarsches ist deshalb nicht zu verachten. Das macht den Beteiligten Spaß, sieht gut aus und sorgt dafür, daß die Nazis nur in einem Ausnahmezustand marschieren können. Adorno schlägt vor, diejenigen, die nicht durch Aufklärung zu erreichen sind, sachte daran zu erinnern, daß sie es am Ende waren, denen die Bomben um die Ohren flogen. Noch einmal Adorno: "So vergessen aber sind Stalingrad und die Bombennächte trotz aller Verdrängung nicht, daß man den Zusammenhang zwischen einer Wiederbelebung der Politik, die es dahin brachte, und der Aussicht eines dritten Punischen Krieges nicht allen verständlich machen könnte."

Antideutsche Kommunisten Berlin