Duncan Hallas

 

Die Rote Flut

 

5. 1924-28: Ausschlag nach links, Wende nach rechts

Die Politik der wichtigsten kommunistischen Parteien, die auf dem 5. Kongreß abgestimmt war, erwies sich bereits sehr bald als völlig unzulänglich. Die Fehler der scheinbaren „Linksheit“, welche die Entwicklung der Kommunistischen Parteien hinderte, haben später den Anstoß zu neuen empirischen Zickzack-Abweichungen gegeben, und zwar zu einem beschleunigten Hinabgleiten nach rechts ... Die aventuristische Linksheit trat ihren Platz einem offenen Opportunismus von rechtszentristischem Typus ab.

Trotzki, Die Strategie und Taktik in der imperialistischen Epoche [1]

DIE UNMITTELBARE ANTWORT der Kominternführung auf das Versagen des deutschen Oktobers war, die Richtigkeit ihrer eigenen Rolle in jeder Etappe zu behaupten, Sündenböcke zu opfern und ein Fortbestehen der revolutionären Situation in Deutschland zu proklamieren. „Die grundsätzliche Einschätzung der deutschen Situation, wie sie von der Kominternexekutive im letzten September vertreten wurde, bleibt in ihren Grundzügen unverändert“ erklärte die Exekutive im Januar 1924. „Der Charakter dieser Kampfphase und die Hauptaufgaben der Partei sind die gleichen geblieben. Die KPD darf die Frage des Aufstandes und der Machtergreifung nicht von der Tagesordnung streichen.“ [2]

Dies war ein Beispiel dafür, wie Trotzki bitter bemerkte, daß „nachdem die Revolution schon den Rücken gekehrt hatte, dieser entgegengesetzte Teil hartnäckig für das Gesicht der Revolution gehalten“ wurde [3] – und dies war typisch für den kurzlebigen „Linksausschlag“. Rhetorik, Bluff, Einbildung und vor allem das Fehlen einer ehrlichen Rechenschaftsablegung waren seine Merkmale. Damit ging ein etwas verschämter Linksextremismus einher, der allerdings nicht überall zur Geltung kam: Die britische, amerikanische, chinesische und jugoslawische kommunistischen Parteien blieben davon unberührt.

Und es gab Veränderungen in den Parteiführungen. In Deutschland übernahmen die Linken – Arkady Maslow, Ruth Fischer und ihre Anhänger – die Kontrolle über die KPD, die im März 1924 wieder legalisiert wurde. In Polen, wo es zu einem Generalstreik im November 1923 und einem örtlichen Aufstand in Krakow gekommen war, wurde die rechtsorientierte Führung von Warski, Walecki und Wera Kostryewa von den Linken Domskis, Zofia, Unslicht und Lenski ersetzt. In Frankreich wurden Rosmer, Monatte und Souvarine ausgeschaltet, und Sinowjews Günstlinge Treint und Suzanne Girault an deren Stelle installiert. In Schweden wurde der rechte Hoeglund durch Kilbom ersetzt.

Es handelte sich hier aber keineswegs um eine einheitliche politische Veränderung. Es war Sinowjews Komintern, und noch nicht die Stalins. Die „Troika“ aus Sinowjew, Stalin und Kamenjew hatte die Linke Opposition auf der dreizehnten Konferenz der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) im Januar 1924 und auf deren dreizehnten Kongreß im Mai besiegt. Nun förderten sie mächtig den Kult des „Leninismus“ – womit die Gegnerschaft zur politischen Linie Trotzkis gemeint war –, und große Anstrengungen wurden unternommen, um diesen Kurs von ausländischen Kommunistischen Parteien bestätigen zu lassen. Mit Erfolg. Die Komintern war jetzt Sinowjews Herrschaftsgebiet. Es gab aber immer noch ein gewisses Maß an offenen Diskussionen in den verschiedenen Kommunistischen Parteien. Die neuen linken Führer konnten in unterschiedlichem Ausmaß auf eine wirkliche Unterstützung in ihren Parteien verweisen. Sie waren nicht bloß die Geschöpfe Moskaus. Bezeichnenderweise gerieten die meisten unter ihnen bald in Konflikt mit der Kominternexekutive.

So hatte die Maslow-Fischer Gruppe eine überwältigende Mehrheit auf dem Frankfurter Kongreß der KPD im April 1924 und schob den Versuch des Kominternvertreters, Manuilsky beiseite, ihren Sieg durch das Einbeziehen einiger Vertreter der alten Führung in die neue zu mäßigen. In Schweden hätte Kilbom zweifelsohne eine mehrheitliche Unterstützung erhalten und Hoegland auch ohne Kominterunterstützung entfernt. In Polen und Frankreich lief die Sache allerdings etwas anders.

Bevor das Jahr 1923 vorüber war, protestierten die Zentralkomitees zweier wichtiger kommunistischer Parteien, der französischen und der polnischen, in Moskau gegen die Diffamierung Trotzkis und appellierten an die Streitenden, ihre Differenzen in kameradschaftlichem Geist beizulegen. Das geschah kurz nachdem Brandler im Auftrag seiner Partei darum ersucht hatte, daß Trotzki die Führung in dem geplanten kommunistischen Aufstand in Deutschland übernehme. Die Triumvirn [Stalin, Sinowjew, Kamenew] nahmen die Proteste übel auf und befürchteten, daß Trotzki, da er in der russischen Partei unterlegen war, die Internationale gegen sie aufbringen werde. Sinowjew erblickte in der Aktion der drei Parteien eine Herausforderung seiner Präsidentenautorität. [4]

Der Angriff auf „die drei Ws“ in der polnischen Partei hatte mehr zu tun mit ihrem Widerwillen, Trotzki zu verurteilen, als mit ihren tatsächlichen Schwankungen im November 1923. Diejenigen, die an ihre Stelle traten, hatten einen wirklichen Rückhalt in der Partei aber keine Mehrheit und verdankten ihren Sieg der Vermittlung durch die Kominternexekutive. Das gleiche galt, in noch stärkerem Maße, für Treint und Girault in Frankreich. So schuf Sinowjew einen üblen Präzedenzfall, dem er und seine Unterstützer bald selber zum Opfer fallen würden.

Die Periode des „linken Ausschlags“ ist politisch bedeutsam wegen der Aufgabe der Einheitsfronttaktik in der Praxis – obwohl sie charakteristischerweise in Worten beibehalten wurde –, bedeutsam wegen des erstmaligen Auftretens der berüchtigten Doktrin des „Sozialfaschismus“ und wegen der „Bolschewisierung“. „Bolschewisierung“ war das Losungswort des fünften Kongresses der Komintern im Juni-Juli 1924. Es war das genaue Gegenstück zum Kult um den toten Lenin in der UdSSR, und ihr Inhalt war auch der gleiche: die uneingeschränkte Unterordung unter die Troika als den vermeintlichen Hütern der leninistischen Orthodoxie und die Ablehnung aller kritischen Stimmen, insbesondere der Trotzkis. Natürlich hatte dieser „Leninismus“ nichts gemeinsam mit dem Geist von Lenins eigener Politik. Er selber hatte einige Jahre zuvor zum Schicksal von Revolutionären geschrieben: „Nach ihrem Tod versucht man, sie in harmlose Götzen zu verwandeln, sie sozusagen heiligzusprechen, man gesteht ihrem Namen einen gewissen Ruhm zu ..., wobei man ihre revolutionäre Lehre des Inhalts beraubt, ihr die revolutionäre Spitze abbricht, sie vulgarisiert.“ [5] Dies ist eine genaue Beschreibung der Funktion des „Leninismus“ und seines Gegenstücks in der Komintern, die Bolschewisierung“, in dieser Periode.

In der Frage der Einheitsfronttaktik gab der Fünfte Weltkongreß eine formell richtige Erklärung heraus. [6] Schließlich wollte die Troika in die Kleider Lenins schlüpfen, und die Stellungnahmen Lenins in dieser Frage waren noch in guter Erinnerung. Aber die ganze Grundtendenz von Sinowjews Rede über Orientierung und Taktiken ging in genau die entgegengesetzte Richtung. „Einheitsfronttaktik nur von unten“ war der Gehalt von Sinowjews Linie, womit gemeint war, daß Einheitsfrontaktionen ausschließlich der Basis von anderen Parteien und Arbeiterorganisationen, nicht aber deren Führungen, vorgeschlagen werden sollten.

Nun, es gibt tatsächlich Bedingungen, unter denen die Taktik der Einheitsfront offensichtlich unpassend und falsch ist. Das war der Fall in Rußland im September-Oktober 1917 in den letzten Wochen vor dem Aufstand. Damals hätte ein Herantreten der Bolschewiki an die Menschewiki und den rechten Flügel der Sozialrevolutionäre ein Zurücktreten vom Kampf um die Macht bedeutet. Wiederum, unter Bedingungen, wo die revolutionäre Linke extrem schwach ist, ist die Einheitsfronttaktik ebenfalls falsch, bzw. irrelevant. Eine Einheitsfront bedeutet Einheit in der Aktion und ist bedeutungslos, wenn die Revolutionäre über keine wirklichen Kräfte verfügen, die sie zu einer solchen Aktion verpflichten können.

Wenn die Einheitsfronttaktik für unangebracht erachtet wird, ist es politisch notwendig, dies offen auszusprechen. Die gesamte Stoßrichtung der politischen Linie, die auf dem Fünften Kongreß der Komintern herausgegeben wurde, war, daß die Offensive in einer Reihe von Ländern, insbesondere in Deutschland, auf der Tagesordnung stand. Das war ein grotesker Fehler. Wenn das aber gestimmt hätte, dann hätte der Kongreß der Einheitsfronttaktik – die, wohlgemerkt, eine defensive Taktik ist – bestenfalls eine untergeordnete Rolle zuweisen und sie in bestimmten Fällen ganz und gar ablehnen müssen.

Das wurde aber nicht getan. Stattdessen wurde die Linie der Einheitsfront „nur von unten“ proklamiert. Das war Unsinn. Das Wesen der Einheitsfronttaktik besteht eben darin, Aufrufe für einheitliche Aktionen genauso an die Führung von anderen Arbeiterorganisationen zu richten wie auch an ihre Basis, wobei der Erfolg natürlich von der Antwort der Basis abhängt. Die Einheit in der Aktion wird dann der Basis jener Organisation aufzeigen, daß revolutionäre Politik der ihrer eigenen Führung überlegen ist. Ein Appell für die einheitliche Aktion ausschließlich an die Basis zu richten, ist überhaupt keine Einheitsfront. Es ist bloß ein Appell an Individuen, sich der Partei anzuschließen oder mit ihr zusammenzuarbeiten, ein Appell, das Revolutionäre in jeder Situation sowieso machen müssen.

Jede ehrliche Führung einer Kommunistischen Partei, die an den „Aufruf zur Offensive“ des Fünften Kongresses, wie irrtümlich auch immer, geglaubt hätte, hätte so argumentiert. Und einige taten das. Bordiga, für die Italiener, sprach sich aus Prinzip gegen die Einheitsfront aus. Domski, für die Polen, argumentierte gegen sie in der Praxis. Aber die selbsttäuschende, verschämte Position Sinowjews und seiner Anhänger machte das Rennen.

Die unmittelbaren Folgen waren, wie es sich herausstellte, ziemlich unbedeutend. Die „nur von unten“-Linie wurde allerdings 1929–33 wiederbelebt, diesmal mit tatsächlich katastrophalen Folgen.

Ähnlich verhielt es sich mit dem „Sozialfaschismus“. Nehmen wir als ersten einen echten, prinzipientreuen und unverbesserlichen Ultralinken, Bordiga, der auf dem Fünften Kongreß folgendes zu sagen hatte: „Der Faschismus wiederholt im Grunde genommen nur das alte Spiel der bürgerlichen Linksparteien und der Sozialdemokratie, d.h. er ruft das Proletariat zum Burgfrieden auf. Er versucht dieses Ziel durch Bildung von Gewerkschaften der Industriearbeiter und der Landarbeiter, die er dann zu praktischer Zusammenarbeit mit der Unternehmerorganisation führt, zu erreichen.“ [7]

Was denn ist der Unterschied zwischen Faschismus und Sozialdemokratie? Nach dieser Analyse gibt es keinen Unterschied. Das ist offensichtlich Unfug. Das wesentliche unterscheidende Merkmal des Faschismus ist, daß er versucht, alle autonomen Arbeiterorganisationen, die revolutionären wie die reformistischen, zu zerschlagen, die Arbeiterklasse zu atomisieren, um sie so politisch impotent zu machen. Diese Entwicklung war bereits voll im Gange in Italien 1924, als Bordiga das Wort ergriff. Die Sozialdemokratie andererseits stützt sich, sozusagen einem Parasiten gleich, auf echte Arbeiterorganisationen, ohne die sie überhaupt keine Basis hat.

Die Klassenbasis des Faschismus ist fundamental anders als die der Sozialdemokratie. Wie revolutionäre Sozialisten können die Faschisten eine wirkliche Massenbasis nur in Zeiten tiefer sozialer Krisen erhalten. Aber während revolutionäre Sozialisten von der organisierten Arbeiterklasse oder von Arbeitern, die um die Organisationsfrage ringen, und deren kollektive Macht ihnen die Fähigkeit gibt, den Kapitalismus zu stürzen und eine neue Gesellschaft aufzubauen, abhängig sind, sind die Faschisten vom Kleinbürgertum und von den unorganisierten, „Lumpen“-Sektionen der Arbeiterklasse abhängig. Als Opfer der Krise bis an die äußersten Extreme der Unsicherheit getrieben und ihrer eigenen Selbstverteidigungsorganisationen beraubt können sie leicht vom Faschismus gewonnen werden, der ihnen in einer Zeit der tiefen sozialen Krise die falsche Solidarität des Vorurteils und der paramilitärischen Gewalt bietet.

Im Gegensatz zu den Sozialdemokraten sind die Faschisten überhaupt nicht an die bürgerliche Demokratie gebunden. Im Gegensatz zu den revolutionären Sozialisten sind sie allerdings der Aufrechterhaltung der Diktatur des Kapitals verpflichtet. Die Tatsache jedoch, daß sie einen Teil ihrer Unterstützung unter den Opfern des Kapitalismus findet, macht die Liquidierung des „Lumpen“-Arbeiterflügels der Bewegung notwendig, falls diese zur Macht gelangt, wie dies Hitler bei der Liquidierung des Röhm-Strasser Flügels der Nazipartei 1934 in der Tat praktizierte.

Der Fünfte Weltkongreß unterstützte jedoch Bordigas Idiotien und hob die Behauptung, daß „der Faschismus und die Sozialdemokratie ... die beiden Seiten ein und desselben Werkzeuges der großkapitalistischen Diktatur“ [8] seien, auf ein Altar. Stalins notorischer Aphorismus: „Diese Organisationen [der Faschismus und die Sozialdemokratie] schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen einander. Es sind nicht Antipoden, sondern Zwillinge. Der Faschismus ist ein formloser Block dieser beiden Organisationen“ [9], stammt aus dieser Periode. Hier auch waren die unmittelbaren folgen unbedeutend, die Wiederbelebung dieser Vorstellungen 1929–33 hatte aber katastrophale Auswirkungen. Der Faschismus und die Sozialdemokratie sind eben nicht zwei Schneiden des gleichen Schwertes. Sie sind alternative Säulen des Kapitalismus.

Das konkrete Ergebnis des „linken Ausschlags“ war die Entfernung unabhängig denkender Menschen sowohl der „Rechten“ als auch der „Linken“ (nach kommunistischen Kriterien) aus führenden Positionen in der Komintern und in einigen wichtigen Kommunistischen Parteien. Einige dieser Leute waren ganz klar im Unrecht und bewegten sich auf die Sozialdemokratie zu; andere wiederum entwickelten in verschiedenem Maße eine richtige Kritik. Dies war ein entscheidender Schritt in Richtung auf eine Situation, wogegen Lenin, Bucharin und Sinowjew einige Jahre zuvor gewarnt hatte: „Werdet Ihr alle nicht besonders gefügigen, aber klugen Leute wegjagen, und Euch nur die gehorsamen Dummköpfe lassen, so werdet Ihr die Partei bestimmt zugrunde richten.“ [10]

Der „Linke Ausschlag“ brachte auch einige Tragödien mit sich. Auf die Empfehlung Sinowjews, der einen Erfolg dringend nötig hatte, inszenierte die schwache estnische Kommunistische Partei im Dezember 1924 einen Staatsstreich. „Die Aufständischen konnten anfänglich einige Überraschungserfolge in der Hauptstadt Reval erzielen. Aber nach nur wenigen Stunden war alles vorbei. Das war das klassische Beispiel für einen hoffnungslosen Putsch. Nach diesem Versagen wurden die Verfolgungen natürlich intensiviert, nachdem der Aufstand selbst den passenden Vorwand für die Errichtung einer Militärdiktatur geliefert hatte.“ [11]

Im Gegensatz zum Revaler Putsch war die bulgarische „Pulververschwörung“ im April 1925 auf keine direkte Initiative der Komintern zurückzuführen, verdankte aber zweifelsohne einiges der linkssektiererischen Atmosphäre, die Sinowjew gefördert hatte. Der von der Militärorganisation der bulgarischen Kommunistischen Partei ohne Wissen der Parteiführung im Ausland konzipierte Plan beinhaltete die Sprengung des Sofia Doms in einem Augenblick, in dem der König mitsamt seiner Regierung und seinen Armeeführern dem Begräbnis eines ermordeten Generals beiwohnen sollte.

Zwei Tage später versammelte sich das offizielle Bulgarien en Masse für das Begräbnis in der Kathedrale von Sofia. Eine Bombe explodierte, die mehr als 100 Menschen tötete und 300 verletzte, obwohl alle Regierungsmitglieder wie durch ein Wunder entkamen ... Zwei führende Mitglieder der Militärorganisation der bulgarischen Kommunistischen Partei, Yankow und Minkow, wurden getötet, als sie bei ihrer Festnahme Widerstand leisteten. Hunderte von Kommunisten wurden festgenommen; Geständnisse wurden unter Folter erzwungen; und viele unter den Verhafteten wurden mit oder ohne Prozeß hingerichtet. [12]

Die Komintern wies jede Verantwortung von sich, was formal den Tatsachen entsprach, und gab das alte marxistische Argument gegen den individuellen Terrorismus wider. Im Zuge der darauf folgenden Repressionen wurde die bulgarische Kommunistische Partei vorübergehend zerstört.

Der kurzlebige Linksausschlag wurde auf dem fünften Plenum der Kominternexekutive im März 1925 beendet. Auf einmal entdeckt man, „daß wir gegenwärtig in West- und Mitteleuropa keinen akutrevolutionären Zustand haben.“ [13] Daraus zog man den Schluß, daß die Hauptbetonung wieder auf die Einheitsfronttaktik gelegt werden soll. Das Kriterium „nur von unten“ und die These des „Sozialfaschismus“ verschwanden bald in der Schublade. Die „Bolschewisierung“ allerdings nicht. Sie wurde mehr denn je hervorgehoben, und die feindliche Haltung gegen Trotzki und seine Anhänger wurde immer offenkundiger. Die Wende nach rechts, die trotz einer Verspätung um 16 Monate an sich richtig war, verwandelte sich bald in einen offenen Opportunismus.

Wie Trotzki später schrieb:

Wenn Menschen sich an der Milch verbrennen, so fangen sie an, auch auf das Wasser zu pusten. Die „linken“ Z.K.'s einer ganzen Reihe von Parteien wurden ebenso gewaltsam gestürzt, wie sie vor dem 5. Kongreß entstanden waren. Die aventuristische Linksheit trat ihren Platz einem offenen Opportunismus von rechtszentristischem Typus ab.

Um den Charakter und das Tempo dieser organisatorischen Rechtswendung zu begreifen, muß man sich daran erinnern, daß Stalin, der Führer dieser Wendung, noch im September 1924 den Übergang der Parteiführung an Maslow, Ruth Fischer, Treint, Suzanne Girault u.a. als den Ausdruck der Bolschewisierung der Parteien ... bezeichnet hat ... Schon nach 10 Monaten aber wurden die wahren „Bolschewiki“ und „revolutionären Führer“ zu Sozialdemokraten und Renegaten erklärt, aus der Parteileitung beseitigt und aus der Partei hinausgeworfen. [14]

Und ihr Schutzherr Sinowjew sollte auch bald folgen. Denn die Rechtswendung in Rußland, das zunehmende Selbstvertrauen. der Bürokratie mit ihrem neuen Slogan des „Sozialismus in einem Land“, führten zum Auseinanderfallen der Troika und zum Übertritt Sinowjews, und später Kamenews, zur Opposition. Stalins Stern war im Aufgehen.

Sinowjews Regentschaft in der Komintern war ein Fiasko gewesen. „Linke“' und pseudolinke Abenteuer waren, wie wir sehen werden, mit grob opportunistischen Abenteuern verbunden worden. Trotz all seiner Schwächen und seines Zauderns gab es jedoch gewisse Grenzen, die Sinowjew nicht überschreiten würde. Er war seit 1903 Bolschewik gewesen, und seit 1907 Mitglied des Zentralkomitees. Als Lenins engster Mitarbeiter in den frühen Jahren hatte er zuviel von seinem Internationalismus aufgenommen, um ein brauchbares Instrument in den Händen einer zunehmend nationalistischen und bürokratischen Diktatur zu sein.

Obwohl er erst 1926 formell abgesetzt wurde, verlor Sinowjew jeden Einfluß bereits nach dem fünften Plenum der Kominternexekutive im frühen 1925. Stalin war jetzt der Führer, wenngleich immer noch nur der „Erste unter Gleichen“, der neuen selbstbewußten bürokratischen Chefs.

Stalin war ein Neuling in der Komintern. „In jenen Tagen, als die Komintern ein lebendiger Organismus zu sein schien, und die ständige und besorgte Aufmerksamkeit Lenins, Trotzkis und Sinowjews in Anspruch nahm, blieb er [Stalin] ihr gegenüber anscheinend gleichgültig. Er wandte sich ihr erst 1924 zu, als ... sie zu einer bürokratischen Maschine geworden war, geeignet, die sowjetische Politik oder seine eigenen politischen Vorhaben zu behindern oder zu fördern.“ [15]

Für Stalin war die Komintern in erster Linie ein Instrument der russischen Außenpolitik. Dies konnte jedoch nicht offen gestanden werden, noch konnte Stalin die Komintern persönlich leiten oder durch von ihm ernannte Marionetten leiten lassen. Er brauchte einen prominenten „Altbolschewik“ mit einiger echten Befähigung, der vom ganzen Herzen von der Notwendigkeit einer rechten Orientierung überzeugt war. Nikolai Bucharin war der gesuchte Mann. Die Periode der Rechtswendung war die Periode von Bucharins Komintern.

Bucharin war ein Doktrinär im buchstäblichen Sinne des Wortes. In seinem „Testament“ hatte Lenin kurz vor seinem Tod über Bucharin geschrieben, daß „seine theoretischen Anschauungen können nur mit sehr großem Bedenken zu den völlig marxistischen gerechnet werden, denn in ihm steckt etwas Scholastisches (er hat die Dialektik nie studiert und, glaube ich, nie vollständig begriffen).“ [16] In den ersten Jahren nach der russischen Revolution war Bucharin ein konsequenter Linksextremist gewesen. Und jetzt vertrat er genauso konsequent und genauso mechanisch rechte Ansichten sowohl was die Situation innerhalb Rußlands anbelangte als auch international. Unter seiner Führung vollzog die Komintern eine weitere qualitative Degeneration.

Das waren die Jahre des „rechtszentristischen Blocks“ in der UdSSR, der Allianz zwischen Stalin und Bucharin, des „Wachstums in den Sozialismus hinein“ in einem Land, versteht sich – „im Schneckentempo“ als man zwecks eines langsamen Wirtschaftswachstums auf die Bauernschaft zählte und ihr die Parteibotschaft übermittelte: „Bereichert Euch“ und jeder Vorschlag für eine geplante Industrialisierung als „Abenteuertum“ abgelehnt wurde (alle Zitate von Bucharin).

Das entsprechende Gegenstück in der Komintern war die Bündnispolitik mit „linken“ Gewerkschaftsbürokraten, „linken“ Labourparteipolitikern und bürgerlichen und kleinbürgerlichen Nationalisten.

 

 

„Kleinbürgerliche ‚Verbündete‘“

Dank ihrer privilegierten Position und ihren konservativen Denkgewohnheiten ... neigt die Sowjetbürokratie viel eher dazu, der „revolutionären“ Kuomintang, der „linken“ Bürokratie der britischen Gewerkschaften, den kleinbügerlichen „Freunden der Sowjetunion“ und liberalen und radikalen Pazifisten zu vertrauen als in die unabhängige revolutionäre Initiative des Proletariats.

Trotzki, Die Internationale Linke Opposition [17]

DIE WURZELN DER RECHTSWENDE müssen in der Periode des Linksausschlags gesucht werden, nicht nur, weil sie eine Reaktion darauf war, sondern auch weil das bürokratische Abenteuertum, das Sinowjews Regime in der Komintern kennzeichnete, in sich den Keim eines groben Opportunismus trug.

Im Herbst 1923 hatte eine Delegiertenversammlung, die angeblich Bauernorganisationen in vierzig Ländern vertrat, einen „internationalen Bauernrat“ in Moskau gegründet. Diese schattenhafte Körperschaft wurde auf dem Fünften Weltkongreß zur „Bauerninternationale“ (Krestintern) erkoren. Man beanspruchte sechs Millionen Unterstützer für sie und sah in ihr offensichtlich einen Haken, mit dem man einen wichtigen Fang zu machen hoffte. Verhandlungen mit den Führern der exilierten bulgarischen Bauernunion wurden eröffnet, und man versprach ihnen finanzielle Hilfe, wenn sie der Krestintern beiträten. Die verschlagenen Bulgaren nahmen das Geld an (angeblich 20 Millionen Dinar) und schlichen sich davon. [18]

Ihr Erfolg mag auch Stephan Raditsch, den Führer der kroatischen Bauernpartei, beflügelt haben. 1924 kam er nach Moskau und trat mit seiner Partei der Krestintern bei. Nachdem er auf diese Weise die jugoslawische Regierung in Angst versetzt hatte, kam er zu einer Übereinkunft mit derselben und führte seine Partei in eine Koalitionsregierung. „ ... er hielt es für ratsam, sich auf dem Wege aus dem grünen Agram in dem roten Moskau zu zeigen, um dadurch seine Ministerchancen in dem weißen Belgrad zu stärken“, bemerkte Trotzki. [19]

Danach geriet die Krestintern mehr oder weniger in Vergessenheit, obwohl sie, wie wir weiter unten sehen werden, lange genug überlebte, um eine kleine Rolle bei der katastrophalen Intervention der Komintern in die chinesische Revolution von 1925-27 zu spielen.

Dann gab es das komische Zwischenspiel mit der föderativen Farmer-Arbeiterpartei. „In den Vereinigten Staaten haben die kleinen Farmer eine Arbeiter- und Farmerpartei geschaffen, die immer mehr und mehr radikalisiert wird, sich den Kommunisten annähert und von der Idee der Schaffung einer Arbeiter- und Bauernregierung in den Vereinigten Staaten durchdrungen wird“, behauptete man auf dem Fünften Weltkongreß. [20]

Was sich hinter dieser Fantasie verbarg, war eine kleine Bewegung der Labour Party um die linken Führer der Chicagoer Arbeiterföderation (die örtliche Führung der AFL-Gewerkschaft). Sie hatten ihre eigene Farmer-Arbeiterpartei (wobei das Wort „Farmer“ dem Titel hinzugefügt wurde, um mehr Stimmen auf sich zu ziehen, denn es ging lediglich um die Teilnahme an Wahlen) und versuchten, sie durch die Abhaltung einer Konferenz in Chicago im Juli 1923 auf breiteren Fuß zu stellen.

Die amerikanische Arbeiterpartei, Vorläufer der Kommunistischen Partei, glaubte, daß es sich um eine wachsende Bewegung handelte, und versuchte, diese Konferenz zu vereinnahmen. Die Partei war klein. Sie beanspruchte für sich eine Mitgliedschaft von 14.000, die meisten unter ihnen frisch eingewandert und der englischen Sprache unkundig, und hatte sich bis vor kurzem extrem linksradikal gebärdet. Nun, unter der Anleitung des ungarischen Kominternvertreters Pogany (Pepper in den USA) nahm sie sich anläßlich der Präsidentschaftswahlen von 1924 vor, sich vermittels einer Frontpartei großartig in die Wahlpolitik reinzuwerfen.

Mehrere hundert Delegierte, die angeblich 600.000 Arbeiter und Farmer vertraten, nahmen an der Farmer-Arbeiter-Versammlung teil ... Lediglich zehn Delegierte gehörten offiziell der Arbeiterpartei an ... aber die Kommunisten fanden Schleichwege, um reinzukommen. Dutzende nahmen als Delegierte der örtlichen Gewerkschaften teil. Andere vertraten solche Organisationen wie die Lithuanische Arbeitergesellschaft für Literatur, den Rumänischen Progressiven Klub, den Vereinigten Arbeitersängerverein usw. [21]

Die wirklichen Anhänger der Farmer-Arbeiterpartei besaßen kein großes Gewicht in der amerikanischen Arbeiterklasse, aber ganz bedeutungslos waren sie trotzdem nicht, denn ihr Präsidentschaftskandidat hatte 1920 noch eine Viertelmillion Stimmen auf sich vereinigen können. Die Arbeiterpartei stellte dagegen praktisch überhaupt nichts dar, hatte aber eben genügend Delegierte, um die Versammlung zu vereinnahmen. Die wirklichen Farmer-Labour Anhänger machten einen Abgang, und die Ernannten der Arbeiterpartei wurden erwartungsgemäß als Kandidaten zur Präsidentschaft und Vizepräsidentschaft aufgestellt. Die Führer der Arbeiterpartei waren überglücklich. Die Arbeiterpartei „nahm die führende Stellung ein, und die erste Massenpartei der amerikanischen Arbeiter – die Föderative Farmer-Arbeiterpartei – wurde gegründet.“ [22]

Das, worin die Arbeiterpartei „die führende Stellung eingenommen“ hatte, war bloß eine leere Hülse, dazu noch eine reformistische Hülse, denn das Programm, das schließlich verabschiedet wurde, war praktisch identisch mit der alten Farmer-Arbeiterpartei. Diese Hülse war so zerbrechlich, daß sie innerhalb eines Jahres auseinanderfiel, und die übriggebliebene Arbeiterpartei war danach eher schwächer als vorher.

Diese törichten opportunistischen Machenschaften fanden unter dem Regime des „Linksausschlags“ statt. Der weitaus ernsthaftere polnische „Mai-Irrtum“ fand zu einem Zeitpunkt statt, als die „rechte Wendung“ bereits voll im Gange war.

Die Politik der 1924 installierten ultralinken Führung hatte die polnische Kommunistische Partei ernsthaft geschwächt. Dazu muß man sagen, daß die polnische KP während ihres ganzen Bestehens als eine echte Arbeiterpartei in der Zeit von 1919 bis 1938 eine illegale Organisation blieb, wobei die Möglichkeiten für halblegale Aktivitäten stark schwankten. Meistens arbeitete sie durch legale „Deck“-Organisationen.

Wenn die Partei 1923 nicht genügend revolutionäre Tatkraft an den Tag legte, so war ihre Politik in den Jahren 1924 und 1925 hingegen durch ein falsches Übermaß an eben dieser Tatkraft gekennzeichnet. Dies war umso schädlicher, da nach der Novemberkrise von 1923 die objektiven Möglichkeiten für revolutionäre Aktionen zurückgegangen waren. Während dieser Periode verwarf die polnische Kommunistische Partei die Einheitsfronttaktik voll und ganz und verzettelte sich in vergeblichen Abenteuern. Und das Ergebnis? Sie verlor ihren Einfluß und schnitt sich von den arbeitenden Massen ab.

Es ist lohnenswert, sich zu entsinnen, daß noch bei den Kommunalwahlen Anfang 1924 die polnische Kommunistische Partei besser abschnitt als die Sozialistische Partei. Dieser Erfolg war jedoch nichts mehr als das verspätete Echo der 1923 erfolgten Radikalisierung der Massen und war keineswegs ein Indiz für das Entstehen einer neuen revolutionären Welle [genausowenig wie in Deutschland – D.H.]. Im darauffolgenden Jahr nahm der Einfluß der Kommunistischen Partei drastisch ab. [23]

Aus diesen Gründen, und noch mehr deswegen, weil sie gewissenhafte Anhänger Sinovjews waren, wurden Domsky und Zofia Unslicht entfernt. Warski und seine Freunde, die die erforderliche Denunziation von Trotzki geleistet hatten, wurden im Dezember 1925 als Führung wiedereingesetzt. Es gab allerdings eine bedeutsame Veränderung. Lenski brach mit seinen ehemaligen Mitarbeitern und zog es vor, die KPdSU (in anderen Worten Stalin) bedingungslos zu unterstützen, und er war von da an Stalins Mann in Polen, das Vorbild für Thälmann in Deutschland, Thorez in Frankreich, Browder in den USA, Pollitt in Großbritannien, und all die anderen. Er wurde mit in die neue Führung aufgenommen, die die Partei scharf nach rechts führte.

Am 12. Mai 1926 startete Joseph Pilsudski, der Oberbefehlshaber der polnischen Armee zur Zeit ihres Sieges über die Rote Armee 1920, einen Staatsstreich gegen Polens bürgerlich-demokratische Rechtsregierung unter Witos, dem Führer der Bauernpartei. Die polnische Kommunistische Partei unterstützte diesen Staatsstreich, der auch erfolgreich war und eine Militärdiktatur installierte, der die Komintern bald den Namen verpaßte: „Pilsudskis faschistisches Regime“!

Wie konnte ein solcher Wahnsinn geschehen? Weil die polnische Sozialistische Partei Pilsudski unterstützte, der einst eins ihrer Mitglieder und Führer ihrer „revolutionären Fraktion“ (in anderen Worten ihres terroristischen Flügels) 1905-06 gewesen war, und die Einheitsfrontpolitik inzwischen so ausgelegt wurde, daß die polnische Kommunistische Partei der Sozialistischen Partei hinterherzutraben habe. Dies, gekoppelt mit der absurden im Zuge der antitrotzkistischen Kampagnen produzierten Vorstellung, daß die Revolution in Polen eine bürgerliche Revolution, und Pilsudski deshalb der polnische Cromwell sein müsse, waren die Gründe.

Die Komintern war zu dem Zeitpunkt gerade damit beschäftigt, die trotzkistische und sinowjewsche Ketzereien auszumerzen. Die kennzeichnenden Merkmale dieser Ketzereien wurden als „Linksradikalismus“ und eine negative Einstellung zu „Bündnissen mit den mittleren Schichten“, als ein fundamentaler Unwille, solche Bündnisse zu schließen und als ein Unwille anzuerkennen, daß die bürgerliche Revolution, insbesondere in unterentwickelten Ländern, ein separates Stadium in der historischen Entwicklung bilde, in dem die Bourgeoisie eine progressive und gar revolutionäre Rolle spiele, definiert.

Die Komintern schien wie besessen von der fixen Idee eines „Bündnis“-Kultes. Jedes Anzeichen von Zweifel hinsichtlich dieses Kultes wurde als Trotzkismus gebrandmarkt. Dieser Bündniskult diente einem doppelten Zweck: Innerhalb der Sowjetunion diente er als Rechtfertigung für die rechte Linie Bucharins und Stalins; international diente er als Rechtfertigung für die sowjetische Politik in China, die die chinesische Kommunistische Partei der Kuomintang unterordnete und sie unter den Befehl Tschiang Kaischeks stellte. [24]

Natürlich mußte man im Falle Polens diesen Schund sehr schnell über Bord werfen. Denn Pilsudski, als verläßlicher Verbündeter des französischen Imperialismus, war ein bitterer Feind der UdSSR, und sein Regime verfolgte die Arbeiterorganisationen, insbesondere die polnische Kommunistische Partei, hartnäckiger und effektiver, als es Witos je getan hatte.

 

 

Der britische Generalstreik

Sinowjew gab uns zu verstehen, daß er damit rechnete, daß die Revolution nicht durch die enge Pforte der Britischen Kommunistischen Partei, sondern durch das breite Tor der Gewerkschaften Einzug finden würde. Der Kampf der Britischen Kommunistischen Partei zur Gewinnung der in den Gewerkschaften organisierten Arbeiter wurde durch die Hoffnung ersetzt, den bereits vorhandenen Gewerkschaftsapparat zum Zweck der Revolution möglichst bald zu benutzen. Aus dieser falschen Position heraus entsprang die spätere Politik des Anglo-Russischen Komitees ...

Trotzki, Bilanz des Anglo-Russischen Komitees [25]

IM GLEICHEN MONAT MAI 1926 fand der britische Generalstreik statt. [26] Die Ereignisse werden den meisten Lesern wohl bereits bekannt sein. Wie wir weiter oben bemerkten, blieb die britische Kommunistische Partei vom „Linksausschlag“ unberührt. Im Jahr 1924 war die Hauptstoßrichtung ihrer Aktivität die Einheitsfrontarbeit in den Gewerkschaften, konzentriert um die nationale Minderheitsbewegung. Diese in ihren Grundzügen richtige Arbeit erhielt eine rechte Schlagseite nach der Gründung des Anglo-Sowjetischen Gewerkschaftskomitees im April 1925, ein Ereignis, das die Komintern mit außerordentlicher Begeisterung begrüßte.

„Der organisatorische Ausdruck der neuen Stimmungen der breiten Arbeitermassen und der Mehrheit der organisierten Arbeiterklasse in England ist die Schaffung des Anglo-Russischen Einheitskomitees“, erklärte das sechste Plenum der Kominternexekutive im März 1926. „Das Anglo-Russische Komitee, dessen Gründung einen freudigen Widerhall bei den breiten Massen fand, bedeutet einen neuen Abschnitt in der Entwicklung der internationalen Gewerkschaftsbewegung ... [Es] beweist praktisch die Möglichkeit der Schaffung einer einheitlichen Internationale und eines gemeinsamen Kampfes der Arbeiter der verschiedensten Richtungen gegen die Reaktion, den Faschismus und die Offensive des Kapitals.“ [27]

Was es in Wirklichkeit bewies, war, daß die vorübergehend am Steuer befindlichen linksreformistischen Bürokraten des Generalrats des Britischen TUC es für nützlich erachteten, sich ein „linkes“ Mäntelchen und den Schutz vor jeglicher Kritik seitens der Kommunistischen Partei quasi gratis zu erkaufen. Während der Periode vom Juli 1925 bis Mai 1926 bereitete sich die britische Regierung kaltblütig und mit größter Sorgfalt darauf vor, die Macht der Bergarbeitergewerkschaft zu brechen. In der gleichen Periode erfreuten die linken Gewerkschaftsführer, als Helden des Anglo-Sowjetischen Gewerkschaftskomitees, ihre Anhänger mit linker Rethorik, wobei sie keine Vorbereitungen für den unvermeidlichen Konflikt mit der Regierung trafen und somit die Verratspolitik der Rechten deckten. Kaum zwei Monate nach dem sechsten Plenum, das nur lobende Worte für sie gefunden hatte, hatten sie sich mit den Rechten zusammengetan, um den Generalstreik auszuverkaufen.

Diese linken Funktionäre waren für die Führer der britischen Kommunistischen Partei keineswegs ein unbeschriebens Blatt. Sie waren typischerweise Männer, die an den syndikalistischen und vereinigenden Bewegungen von vor 1914 teilgenommen hatten, sich in den verschiedenen Gewerkschaftsapparaten hochgearbeitet hatten und nun deren linkes Gesicht bildeten. Eine Anzahl unter ihnen war 1920 und 1921 sogar der Kommunistischen Partei beigetreten, hatte sie aber dann wieder verlassen, sobald die Partei Druck auf sie ausübte, sich als disziplinierte Parteimitglieder zu verhalten. Bestenfalls waren sie wankende und unzuverlässige Verbündete. Zumindest einige der Führer der Kommunistischen Partei hatten dies begriffen. „Es wäre für die Kommunistische Partei und die Minderheitsbewegung jedoch eine selbstmörderische Politik, zuviel Vertrauen in das zu setzen, was wir den offiziellen linken Flügel genannt haben“, erklärte die Monatszeitschrift der Partei im September 1924. [28] Die Betonung mußte auf „die Schaffung von Komitees am Arbeitsplatz [als] ein notwendiges Gegengewicht zur Bürokratie“ gelegt werden.

Nach der Errichtung des Anglo-Russischen Komitees wurde ein ganz anderer Akzent gesetzt. Jetzt ging es um „die Förderung der Gewerkschaftseinheit“ als einen Schritt zur „internationalen Einheit der Arbeiter aller Länder“ und als „unzerbrechlichen Pfand des Friedens und der ökonomischen Sicherheit“. [29] Die Vereinbarung mit den russischen Gewerkschaften wurde vom britischen TUC in jenem September einstimmig bekräftigt. Die britische Kommunistische Partei schlug dann ihren „selbstmörderischen“ Kurs ein. Natürlich gab es einheimische Tendenzen in der Parteiführung, die nur allzu bereitwillig waren, sich den scheinheiligen TUC-Linken anzubiedern, es waren aber die Komintern- und russischen Führer, die dafür sorgten, daß diese opportunistische Linie bis zur letzten Konsequenz weiterverfolgt wurde.

Das Denken der russischen Führer zu jener Zeit war von der Idee beherrscht, daß, während die britische Kommunistische Partei klein und schwach war, der TUC in Großbritannien eine Macht darstellte, eine Macht, die im Interesse der UdSSR bemüht werden konnte. Die Aufgabe der Kommunistischen Partei bestehe deshalb darin, den TUC zu ermutigen und ihn nicht durch „voreilige“ Kritik zu verprellen.

Das Kriminelle an dieser Episode war nicht das Anglo-Sowjetische Komitee an sich, denn man konnte es als kurzfristiges Manöver zur Schwächung der Amsterdamer Internationale womöglich rechtfertigen. Das Verbrecherische daran war die gezielte Schaffung von Illusionen in die TUC.“Linken“ und die politische Lähmung, die der Britischen Kommunistischen Partei durch die Komintern auferlegt wurde. Während des neunmonatigen „Waffenstillstandes“ zwischen Regierung und Gewerkschaften, der dem Mai 1926 voranging, wäre es für die Kommunistische Partei absolut unerläßlich gewesen, die Tatenlosigkeit der linken Gewerkschaftsführer angesichts der Regierungsvorbereitungen für den Entscheidungskampf ständig, konkret und klar zu kritisieren, vor der drohenden Katastrophe zu warnen und alle Anstrengungen zur Entwicklung einer von den Gewerkschaftsbürokratien, ob linken oder rechten, unabhängigen Kampfbereitschaft an der Basis zu unternehmen. Stattdessen trug sie dazu bei, die Illusionen in die Linken, in jene „Freunde der UdSSR“, zu stärken und ihnen zu helfen, die Kontrolle über die Gewerkschaftsbewegung zu behalten – eine Haltung, die in der berüchtigten Losung der Kommunistischen Partei: „Alle Macht dem Generalrat [des TUC]“ zum Ausdruck kam. Es war ein Generalrat von Verrätern, wie sich bald herausstellen sollte.

Sogar nach dem Verrat an dem Generalstreik hielt die Bucharin-Stalin-Führung in rührender Weise an dem Anglo-Sowjetischen Gewerkschaftskomittee fest, trotz wiederholter Schmähungen. Kurze Zeit darauf, als die britische Regierung ihre diplomatischen Beziehungen mit der UdSSR angeblich wegen ihrer „kommunistischen Propaganda in Indien“ abbrach, stellte das Komitee seinen wirklichen Wert als Stützpunkt unter Beweis: Der TUC verließ das Komitee und verurteilte die Russen!

 

 

Die Chinesische Revolution

Die Gomindan-Partei [Kuomintang], die in ihrem Kern im Bunde mit den chinesischen Kommunisten auftrat, ist ein revolutionärer Block der Arbeiter, Bauern, Intelligenz und der städtischen Demokratie, auf der Grundlage einer längeren Gemeinschaft der Klasseninteressen dieser Schichten im Kampfe gegen die ausländischen Imperialisten und die gesamten militärisch-feudalen Verhältnisse, für die Unabhängigkeit des Landes und für eine einheitliche revolutionär-demokratische Regierung.

Resolution des Komintern-Exekutivs (März 1926) [30]

DIES WAREN DIE JAHRE der Chinesischen Revolution von 1925-27, einer gigantischen Umwälzung von welthistorischer Bedeutung.

In den frühen 20er Jahren war China ein halbkoloniales, in „Einflußphären“ geteiltes Land unter der Vorherrschaft rivalisierender imperialistischer Mächte, unter denen Großbritannien und Japan damals die bedeutendsten waren. Diese Mächte übten ihre Kontrolle vermittels territorialer Rechte aus, die ihnen in den Küstenstädten eingeräumt worden waren. Um diese Rechte sicherzustellen, hatten sie sowohl eigene Truppen stationiert als auch enge Verbindungen zu den Gangster-Kriegsherren, die das Land unter sich aufgeteilt hatten, geknüpft. Der bedeutendste unter ihnen war der „pro-britische“ Wu Pei-Fu, der einen Großteil Zentralchinas kontrollierte, und der „pro-japanische“ Chang Tso-Lin, der im Norden dominierte. Es gab auch zahlreiche untergeordnete Kriegsherren, die sich mal dem einen, mal dem anderen der großen Haifische anschlossen. In Kanton, im Süden, führte eine schwache chinesische Nationalregierung, die der Kuomintang (KMT), eine ungesicherte Existenz, indem sie Bündnisse mit dem einen oder anderen örtlichen Kriegsherrn schloß. In der Hauptstadt Peking war die Nationalregierung Chinas machtlos.

Die Kuomintang war eine bürgerlich-nationalistische Partei, die eine vage linke Rhetorik pflegte. „Ihre erklärten Ziele waren Sun Yat-Sens Drei Prinzipien des Volkes: der Nationalismus, die Demokratie (Volksrechte) und der Sozialismus (das Wohlergehen des Volkes). Diese vagen Abstraktionen wurden durch keine konkreten Vorschläge erhärtet. Ihr wirkliches Ziel war die militärische Macht, und es war das Angebot sowjetischer Militärhilfe, das ein Bündnis [mit der UdSSR, D.H.] in Suns Augen als ein strebenswertes Ziel erscheinen ließ.“ [31] Ein Übereinkommen zwischen der Kuomintang und der Regierung der UdSSR wurde 1923 erzielt, und in seinem Rahmen wurden im darauffolgenden Jahr russische Waffen und militärische und politische Berater nach Kanton geschickt wurden. Bald besaß die Kuomin „ang eine relativ effektive Armee unter der Führung Tschiang Kaischeks, der eine militärische Schulung in Rußland erhalten hatte.

Die chinesische Kommunistische Partei, die im Juli 1921 gegründet worden war, war 1923 immer noch winzig. In jenem Januar beschloß die Kominternexekutive, daß alle Mitglieder der chinesischen Kommunistischen Partei als Individuen der Kuomintang beitreten sollten, obwohl die Partei „gleichzeitig ihre unabhängige Organisation aufrechterhalten muß ... Während sie die Kuomintang in all ihren Kampagnen auf der national-revolutionären Front unterstützt – soweit diese eine objektiv richtige Politik verfolgt – sollte die Kommunistische Partei mit ihr nicht verschmelzen und während dieser Kampagnen ihre eigene Flagge nicht einziehen“. [32] Wie diese sich gegenseitig ausschließenden Ziele verwirklicht werden sollten, wurde nicht näher erläutert.

Am 30. Mai 1925 schoß die unter britischen Offizieren operierende Schanghaier Polizei auf eine Demonstration und tötete dabei zwölf Menschen.

Die Wirkung war rasch und tumultuös. Schanghai, die große ausländische Hochburg mit ihren westlichen Banken und Werken und ihren ausländischen Stadtteilen wurde durch einen Generalstreik gelähmt. Sogar Diener verließen ausländische Haushalte ... Er breitete sich bald aus ... In den unvollständigen Statistiken wurden 135 Streiks als direkte Antwort auf den Kugelhagel vom 30. Mai registriert, an denen 400.000 Arbeiter beteiligt waren ...

In Hankan eröffnete eine ans Land gegangene Truppe von britischen Soldaten das Feuer auf eine Demonstration, wobei acht Menschen getötet und zwölf verwundet wurden. In Kanton traten chinesische Seeleute, die bei britischen Reedereien beschäftigt waren, am 18. Juni in den Ausstand. Am 23. zog eine Demonstration von Studenten, Arbeitern und Offiziersanwärtern durch Kanton ... Die Briten und Franzosen begegneten den Demonstranten mit Maschinengewehrfeuer. 52 Studenten und Arbeiter wurden getötet und 117 verwundet. Ein Boykott von britischen Waren und ein Generalstreik wurden sofort ausgerufen. Hong-Kong, die Festung Großbritanniens in China, wurde vollkommen lahmgelegt. Kein einziges Rad drehte sich. Kein einziger Warenballen wurde transportiert. Kein einziges Schiff lichtete die Anker. [33]

Diese Explosion wurde von individuellen Aufständischen und von jungen Nationalisten angeführt – aber auch von der Kommunistischen Partei. Die Partei erhielt einen massiven Zustrom. Bald zählte sie 30.000 Mitglieder, verglichen mit weniger als tausend im Jahr 1924, und die überwältigende Mehrheit waren Arbeiter aus den Küstenstädten.

Die chinesische Arbeiterklasse war sehr neu, aber zahlenmäßig schon bedeutend: ungefähr dreieinhalb Millionen im modernen, meist in ausländischer Hand befindlichen Industriesektor, und weitere elf Millionen in kleineren, meist in chinesischem Besitz befindlichen Betrieben. Sie war auch in einigen wenigen Städten konzentriert. Vor dem Beginn der Bewegung am 30. Mai zählten die neuen, oftmals von den Kommunisten angeführten Gewerkschaften, nur Tausende von Mitgliedern. Ende 1925 waren es bereits dreieinhalb Millionen Mitglieder. Gleichzeitig wuchs eine Bauernbewegung zur Verweigerung von Pachtzahlungen in den benachbarten Provinzen heran, insbesondere um Kanton herum.

Das alles war für die Kuomintangführer, die seit Sun Yat-Sens Tod Ende 1924 von Tschiang Kaischek dominiert waren, sehr unangenehm. Sie waren Nationalisten. Sie wußten, daß sie ohne die Unterstützung der Massen keine Hoffnung hegen durften, die Macht der Imperialisten und ihrer Kriegsherren-Günstlinge zu brechen. So waren sie gezwungen, die Protestbewegungen nach dem 30. Mai zu unterstützen. Sie waren aber gleichzeitig bürgerliche Nationalisten mit unzähligen Familienbanden unter den Großhändlern, den Kapitalisten und den Landbesitzern – alles Gruppierungen, die in China eng miteinander verflochten waren. Für sie war die Arbeitermacht und die Bauernrevolte eine genauso erschreckende Vorstellung, wie es für die ausländischen Bosse von Jardin Matheson und der Schanghai- und Hong-Kong Bank waren.

Die Kuomintang versuchte deshalb, die Massenbewegung auszunutzen zu kontrollieren und dann schließlich zu zerstören. Es war ein sehr schwieriges Unternehmen, das die Erfüllung zweier Bedingungen voraussetzte: Erstens mußte die schnell anwachsende Kommunistische Partei auch weiterhin der Kuomintang untergeordnet bleiben; zweitens brauchte die Kuomintang die ununterbrochene Lieferung russischer Waffen und russischen Militärfachwissens, denn nur so war der Ausbau einer zuverlässigen „Berufsarmee“ für den Einsatz gegen Arbeiter und Bauern wie auch gegen die Kriegsherren möglich.

Die Bucharin-Stalin-Führung garantierte beides. Als Tschiang Kaischek erstmals militärisch in Kanton im März 1926 zuschlug und die örtlichen Kommunistischen Parteiführer und Aktivisten der Streikkomitees – denn die Streiks liefen noch – einsperren ließ, erhielt die chinesische Kommunistische Partei den Befehl, sich zu fügen. Im Januar hatte die KPdSU erklärt: „Unserer Partei ist die stolze und historische Aufgabe zugefallen, die erste siegreiche proletarische Revolution der Welt anzuführen ... Wir sind überzeugt, daß es der Kuomintang gelingen wird, die gleiche Rolle im Osten zu spielen.“ [34] Nun, nach dem März-Streich, wurde die Unterordnung der chinesischen Kommunistischen Partei unter die Kuomintang noch verstärkt.

So wurde die chinesische Kommunistische Partei – im Interesse der von der russischen Bürokratie verfolgten Außenpolitik – der chinesischen Bourgeoisie untergeordnet. Stalins Chefgesandter in China, Borodin, erklärte: „Die augenblickliche Periode ist eine, in der die Kommunisten Kulidienste für die Kuomintang leisten sollten.“ [35] Im gleichen Monat wurde ein rechter Kuomintang-Führer, Hu Hanmin, ins Präsidium der Krestintern gewählt und übergab brüderliche Grüße an das sechste Plenum der Kominternexekutive!

Im März 1926 ... hatte das sechste Plenum der Kominternexekutive die Politik des „Blocks der Klassen“ in China sanktioniert. Tschiangs Streich hatte die Vorstellung von einer „Gemeinsamkeit der Klasseninteressen“, auf der diese Politik basierte, Lügen gestraft. Aber die auf die Gewinnung eines starken Bündnispartners in China erpichten Kremlführer überwanden diese Schwierigkeit ganz einfach, indem sie keine Notiz davon nahmen und die Tatsache verschwiegen, daß die Macht in Kanton in die Hände des extrem rechten Flügels der Kuomintang unter der Führung Tschiang Kaischeks übergegangen war. Kurz darauf billigte das Politbüro der KPdSU mit nur einer Gegenstimme – der Trotzkis – die Aufnahme von Tschiangs Kuomintang in die Kommunistische Internationale. „Während er sich auf die Henkersrolle vorbereitete“, schrieb Trotzki über Tschiang Kai-Schek, „wollte er die Deckung des Weltkommunismus und – er bekam sie“. [36]

Dermaßen gestärkt, setzte Tschiang dem Boykott britischer Waren ein Ende, knüpfte wieder Verbindungen mit dem britischen Imperialismus und startete seinen,“nördlichen Feldzug“, den Versuch zur militärischen Eroberung Chinas. Dies wurde von einer begeisterten Welle von Bauernrevolten begleitet, die dem Vormarsch der Kuomintang-Armee vorauseilten. Anfänglich war die Armee klein, mit einer Stärke von nur 60.000 Mann – aber die zahlenmäßig überlegenen Kräfte der Kriegsherren zerfielen einfach.

Im Februar 1927 näherten sich Tschiangs Truppen bereits dem Yangtse Fluß. Die chinesische Kommunistische Partei löste einen Generalstreik zur Unterstützung der Kuomintang in Schanghai, der größten noch von den Kriegsherren gehaltenen Stadt, aus, und nach einem bitteren Kampf errangen die Arbeiter dort im März die Macht. Wenige Tage später war Tschiang an Ort und Stelle. Er ging dazu über, zuverlässige Kuomintang-Kräfte zu sammeln, um die Arbeiterorganisationen zu zerschlagen. Die Kommunistische Partei hatte den ausdrücklichen Befehl erhalten, keinen Widerstand zu leisten – Vertreter der Kominternexekutive hatten den chinesischen Kommunisten gesagt, sie sollten ihre Waffen verstecken und sie unter keinen Umständen benutzen. Die Partei fuhr fort, Tschiang zu umwerben und die eigenen Anhänger in falscher Sicherheit zu wiegen.

Am 12. April 1927 schlugen die Kuomintang-Kräfte zu. Dies war nicht eine bloße Wiederholung des Kanton-Streichs. Tschiang wollte die imperialistischen Mächte, deren Truppen nach wie vor die Auslandskonzessionen in China aufrechterhielten, beruhigen und ihnen zeigen, daß die Kuomintang „ungefährlich“ sei. Die Kommunistische Partei, die Gewerkschaften und jede Spur von Arbeiterorganisation wurden gründlichst ausgemerzt.

Aber sogar zu dieser verspäteten Stunde wollten Bucharin und Stalin einen Bruch mit der Kuomintang nicht in Erwägung ziehen. Sie übertrugen ihre Untertanentreue von Tschiang auf die Kuomintang-„Linke“ unter der Führung Wang Tschingweis, der ein rivalisierendes Kuomintang-Zentrum mit einer Basis in Wuhan kontrollierte. Diese wurde jetzt als die „revolutionäre Kuomintang“ bezeichnet. In weniger als drei Monaten kamen deren Führer mit Tschiang überein und wandten sich gegen die Kommunisten. Wang Tschingwei führte später die Marionettenregierung unter der japanischen Besatzung Chinas von 1938 bis zu seinem Tod 1944.

Es gab immer noch eine breite und wachsende Bauernrevolte, aber die städtische Arbeiterbewegung war jetzt gebrochen. Die Kommunistischen Parteiführer außerhalb der Städte, insbesondere Mao Tse-tung und Chu Teh, wurden die Führer von bäuerlichen Guerillatrupps. Im Endergebnis gelang es der Kuomintang niemals, diese Einheiten zu zerschlagen – aber das Klassenwesen der chinesischen Kommunistischen Partei, die sich jetzt auf die Bauernschaft stützte, wurde natürlich umgewandelt.

Es kam zu einem letzten Aufbäumen des Kampfes in den Städten. In Kanton, wo die Kommunistische Partei immer noch eine beträchtliche Untergrundorganisation besaß, wurde ein Staatsstreich versucht. Er wurde zeitlich so geplant, daß er mit dem 14. Kongreß der KPdSU im Dezember 1927 zusammenfiel, auf dem die oppositionellen Strömungen innerhalb Rußlands endgültig verbannt sein sollten. Das Ziel des Staatsstreichs war es, Bucharin und Stalin einen „Sieg“ zu verschaffen, den sie dann gebührend feiern könnten, und er wurde von Stalins persönlichem Gesandten Heinz Neumann geführt. Ohne politische Vorbereitung und ohne wirkliche Unterstützung wurde er innerhalb von Tagen zerschlagen. Ein weiteres Massaker an Arbeitern war die Folge. Die letzte Stütze der Kommunistischen Partei in der Arbeiterklasse wurde ausradiert.

Dies war dann die letzte Frucht, die Bucharins Führungsperiode in der Komintern hervorbrachte.

 

 

Anmerkungen

Mit * versehene Zitate konnten aus Zeitgründen nicht endgültig;ltig in deutschen Originaltexten geortet werden. Sie sind also aus dem Englischen übersetzt worden.

1. Trotzki, Die III. Internationale nach Lenin, S.170.

2. EKKI, Januar 1924, Imprekorr, Jahrgang 1924, Nr.114 ? *

3. Trotzki, Die III. Internationale nach Lenin, Buchverlag und -vertrieb Wolfgang Dröge, Dortmund 1977, S.148.

4. Deutscher, Trotzki – Der unbewaffnete Prophet, Stuttgart 1972, Verlag W. Kohlhammer, Bd.II, S.143.

5. Lenin, Werke, Bd.25, S.397.

6. Siehe Protokolle des V. Weltkongresses, Bd.II.

7. Protokoll, V. Kongreß der Kommunistischen Internationale, Reprint Karl Liebknecht Verlag, Erlangen 1971, Bd.2, S.719.

8. Die Kommunistische Internationale in Thesen, Resolutionen, Beschlüssen und Aufrufen, Buchladen Georgi Dimitroff, Frankfurt September 1987, Bd.1, S.356.

9. Frank, Geschichte der Kommunistischen Internationale, Bd.II, S.568.

10. Lenin, zit. nach Bucharin, Protokoll des VI. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, Karl Liebknecht Verlag, Erlangen 1972, Bd.2, S.552.

11. Borkenau, a.a.O., S.263.

12. Carr, Socialism in One Country, S.410.

13. Protokoll der erweiterten Exekutive der Komintern, Feltrinelli-Reprint 1967, S.35.

14. Trotzki, Die III. Internationale nach Lenin, S.170.

15. Carr, Socialism in One Country, Bd.1, S.194.

16. Lenin, Werke, Bd.36, S.579.

17. Trotzki, Die internationale linke Opposition.*

18. Carr, Socialism in One Country, Bd.3, S.215f.

19. Trotzki, Die III. Internationale nach Lenin, S.165.

20. ebenda, S.166.

21. Draper, American Communism and Soviet Russia, S.43f.

22. ebenda, S.48.

23. Deutscher, Marxism in Our Time, London 1972, S.125f.

24. ebenda, S.135f.

25. Trotzki, Bilanz des Anglo-Russischen Komitees.*

26. Siehe Hallas und Harman, Days of Hope: The General Strike of 1926, London 1981, für eine kurze Erklärung.

27. Die Kommunistische Internationale, Bd.2, S.80.

28. Pearce, Early Years of the CPGB, in Woodhouse und Pearce, Communism in Britain, S.165.

29. Carr, Socialism in One Country, Bd.3, S.596-7.

30. Die Kommunistische Internationale, Bd.2, S.103.

31. Harris, The Mandate of Heaven, London 1978, S.5.

32. EKKI, Januar 1923.*

33. Isaacs, The Tragedy of the Chinese Revolution, New York 1968, S.70.

34. Zitiert in Harris, ebenda, S.9 * Deutscher, Trotzki ?, Erklärung der KPdSU, Januar 1926.

35. Tilak, The Rise and Fall of the Comintern, Bombay 1947, S.33.

36. Isaacs, a.a.O., S.117; das Zitat von Trotzki ist entnommen aus Trotzki, China: „Die Erwürgte Revolution“, Verlag Neuer Kurs, Berlin 1975, Bd.2, S.252.

 


Zuletzt aktualisiert am 24.4.2002