Autor: Karl-Heinz
Dellwo (217.114.68.---)
Datum: 08-21-04 01:04
Antwort auf Andreas Gruenwald.
Ich verzichte darauf, auf Deine „Erinnerung des bisherigen
Entwicklungsweges“ (Kritik Teil I) zu antworten mit einer
„Klarstellung“ des bisherigen Entwicklungsweges von mir. Im
Diskussionsforum auf www.sozialforum-hamburg.de habe ich unter der
Rubrik „Vorgeschichte des Konflikts“ zwei Texte von mir
veröffentlicht, die einen inhaltlichen Dissens am Politikinhalt
und den von Dir vertretenen Politikstrukturen äußern. Ich
glaube, das ist aussagekräftig genug für ein Bild des
Konflikts zwischen uns aus meiner Sicht. Mir fehlt auch das Engagement,
einen Streit zu führen, um „Recht zu haben“ und zum 27. mal darauf
hinzuweisen, daß an jenem Tag dieses und am nächsten Tag
jenes abgelaufen ist – an denen, die Recht haben wollen, geht
bekanntlich jede Idee zu Grunde.
Mein Satz zu den Gewerkschaften hat viel Erregung produziert. Im
mündlichen Vortrag habe ich auch darauf hingewiesen, daß ich
an dieser Aussage keine Freude habe. Ich selber bin seit Jahren
Verdi-Mitglied. Ich kann verstehen, wenn Gewerkschafter sich hier vor
den Kopf gestoßen fühlen. Ich hätte natürlich
differenzieren können zwischen einem Gros der Gewerkschaften,
insbesondere einer Führung, die doch längst schon die Logik
des Kapitals verinnerlicht hat und davon persönlich auch
profitiert und einer Gewerkschaftslinken, die um soziale
Grundsätze in der Gesellschaft kämpft. Es ändert aber am
Grundsätzlichen nichts, daß in den Gewerkschaften die
gleiche Basislogik vorherrscht wie auf seiten des Kapitals. Auch
erreicht kaum eine Kritik an den Gewerkschaften diese Qualität der
Selbstdenunziation, wie sie von DGB-Chef Sommer oder in Hamburg, Herrn
Pumm, ausgedrückt wird, indem sie das ganze sozialpolitische
Rollback der Sozialdemokratie unterstützen durch Nichtstun und
Abwiegeln gegen die, die Widerstand leisten wollen bzw. kanalisieren,
wenn der Daumen nicht mehr draufgehalten werden kann.
Diese Woche stand im Spiegel, daß „das durchschnittliche
Nettogeldvermögen des reichsten Viertel gegenüber dem
ärmsten vom Achtfachen auf das Zwanzigfache (stieg)“. Darf man das
ansprechen als Frage nach dem Erfolg der Gewerkschaftspolitik?
Ja, ich weiß, die Gewerkschaftslinke erklärt seit 30 Jahren,
daß sie die Gewerkschaftspolitik von innen ändern wollen.
Man hört dem nur noch ermüdet zu. Diese Gewerkschaften so wie
sie heute sind, sind keine Hoffnung für niemand. Wo Frau
Engelen-Kefer erklären kann, daß die Gewerkschaften „voll
hinter Hartz IV“ stehen, fällt es schwer, nicht drastisch und
ausfallend zu werden. Es gibt auch den Satz, daß man nie so tief
sinken sollte, daß man den Kakao, durch den man gerade gezogen
wird (oder sich ziehen läßt) , auch noch trinkt. Wie soll
man das denn nennen wenn hier die Gewerkschaften als Verband das
sozialpolitische Rollback gleich Hektoliterweise reinschlürfen
(Beispiel DaimlerChrysler), um bei diesem Bild zu bleiben?
Inzwischen hat sich die Lage weiter verändert. Nachdem von Beust
zur Unterstützung von Schroeder bei der Agenda 2010 aufruft,
können wir so langsam von einer neuen „Volksfront von oben“ reden,
die SPD, Gruene, FDP, CDU-CSU, Arbeitgeber- und
Gewerkschaftsverbände umfasst, alle einige darin, daß man
einen gemeinsamen Kraftakt machen muß, um die Mehrheit der
Bevölkerung auf 1-EURO-Jobs einzutrimmen als den realen
Bezugspunkt für ihre gesellschaftliche Anspruchsgröße,
wenn auf Grund des eingeleiteten weltweiten Wettrennens im Lohndumping
ihre Jobs hier flöten gehen. Da haben wir die „Solidarität
der Demokraten“ gegen den Rest der Gesellschaft im Verteidigen
kapitalistischer Verhältnisse.
Kaum hatte Herr Pumm gesagt, daß es für den Protest zu
spät ist und man nur noch die Arbeitslosen beraten kann,
erklärst Du im Hamburg Journal, daß man das Gesetz bis hin
zur Substanz verändern muß. Damit hattest Du Deinen Schritt
von „Weg mit Hartz IV“ zu „verändern“ vollzogen, um im Gleichklang
zu bleiben mit denen, die in den Führungsetagen der Gewerkschaften
gar nicht auf die Idee kämen, daß eine andere Gesellschaft
möglich ist. Das ist doch nur Deine „ja-aber“-Rhethorik, wenn Du
in Deinem Kritiktext erklärst, Du bist voll gegen Hartz IV und
gleichzeitig, daß leider die Mehrheit der Bevölkerung
dafür sei und dies berücksichtigt werden muß.
(Inzwischen bist Du wieder bei „voll gegen Hartz IV“, nachdem Dich die
Gewerkschaftsführung mit ihrem offenen Fahnenwechsel zur
grundsätzlichen Bejahung von Agenda 2010 düpiert).
Ich lass es hingestellt, ob das auch wirklich so eine klare
Mehrheitsposition ist. Aber solange die gesamte Systemkritik immanent
ist, gibt es auch gar keine Chance für den Großteil der
Gesellschaft, ein Gegenbewußtsein zu den herrschenden
Verhältnissen und die Vorstellung von Alternativen zu ihnen zu
entwickeln. Von Euch kommt doch seit eh und je immer das gleiche: ‚die
anderen sind nicht so weit’. Deswegen könnt ihr denen nicht die
Wahrheit sagen, also daß wir einen Systemwechsel brauchen, denn
das würde sie verschrecken, obwohl ihr ja insgeheim selber der
Meinung seid, so jedenfalls in den Diskussionsaussagen, daß
dieser notwendig ist. Dahinter steht ein taktisches
Mobilisierungsmodell, nachdem man mit kleinen Schritten
Verhältnisse schafft, mit denen man dann so langsam den
Systemwechsel schafft.
Ich glaube weder daran, daß man die Bourgeoisie enteignen kann
mit kleinen Schritten, ohne daß sie das merkt oder
Gewerkschafter, Arbeiter, Masse, Mehrheit, wie immer man das fassen
will, für sie unbemerkt zu einem Systemwechsel bringen kann.
Zitat:
„Veränderung hat leider keine Anhänger, sie findet nicht aus
Einsicht oder Vernunft statt. Das einzig zwingende Argument für
Veränderung ist die Not. Und die zweite Wahrheit ist: Sie
können nicht in homöopathischen Dosen verändern; Sie
können nicht den Arm in fünf gestreckten Operationen
amputieren, nur damit dem Patienten nichts auffällt.“
( Hemjö Klein, ex-Vorstand bei Bundesbahn und Lufthansa über
seine Leitgedanken zitiert aus: brandeins, Heft 6/04).
Ich habe das Zitat von Klein in diese Auseinandersetzung
eingeführt, weil es das Bewußtsein des Angriffs von oben
nach unten ausdrückt. In der Tat ist der EIN-EURO-JOB keine
„homöopathische Dosis“ mehr. Danach weiß der „Patient“,
daß das, was ihm selbstverständlich war, für immer weg
ist. Wo die Not des EIN-EURO-JOB allgemein erfahrbar hergestellt ist,
wird sich in Zukunft der ZWEI-EURO-JOB als neues
Regelarbeitsverhältnis als „nochmal vom schlimmsten davongekommen“
vermitteln. Das ist nichts anderes als das Durchsetzen einer neuen
sozialpolitischen Richtschnur im Alltagsbewußtsein der
Gesellschaft. Sie halten uns für Hunde, die man prügeln
muß, damit wir die von ihnen gesetzten Grenzen respektieren. Das
ist ihr Verhältnis zu der Masse und so besprechen sie das
untereinander. Daraus kommt jetzt auch der gemeinsame
Schulterschluß in der „konzertierten Aktion“ (Wirtschaftsminister
Schiller 1968, oder: Die Einheitsfront von oben singt und spielt wie
das Kapital dirigiert). Genauso wie das besitzende Bürgertum zum
Anfang der kapitalistischen Entwicklung Arbeitshäuser eingesetzt
hat, um aus den renitenten freien Gesellen Fabrikarbeiter zu machen, so
kommt das imperiale Bürgertum heute mit neuen kollektiven
Erziehungsmethoden an, um die Masse der von der Produktion
ausgesonderten an ein erbärmliches Lebensniveau anzupassen. Ich
kann nicht nachvollziehen, wieso das für Euch unabhängig
aller politischen Differenzen nicht selber unerträglich ist, wieso
ihr auf diesen zentralen Angriff des Kapitals nicht selber antwortet
mit einer offensiven Mobilisierung für einen Systemwechsel, denn
eines gilt, da haben sie durchaus recht: Auf dem sich als einen Markt
herausgebildeten Weltmarkt ist die privilegierte Situation für
einen großen Teil der Menschen in der Metropole nicht mehr
haltbar. Für sie gilt in Zukunft ebenso das, was schon längst
für viele in anderen Teilen der Welt Realität ist.
Der Unterschied zwischen Metropolen und „Dritte Welt“ löst sich
auf. Hier finde ich es überraschend, daß Du mir unsere alte
Analyse aus den 70er Jahren über die Ungleichzeitigkeit der
Entwicklung vorhälst, die in Deiner Darstellung dann auch noch zur
Begründung für das Verteidigen von nationalen Lösungen
wird. Auch dem widerspreche ich: Wir nähern uns einer
Gleichzeitigkeit der Entwicklung in immer größeren Teilen
der Welt an. Das ist die Basis, auf der das Kapital alles ersetzen und
mit seiner Produktion von hier nach da ziehen und in der
Niedriglohnkonkurrenz die Massen weltweit gegeneinander ausspielen
kann.
Kohl hat 1982 die „geistig-moralische Wende“ eingeleitet. Auf dieser
Basis wird unter Führung der SPD durch die „Volksfront von oben“
die bisherige sozialpolitische Normalität durchschlagen.
Du schreibst, daß Du mich nicht kritisierst, weil ich den
Kapitalismus kritisiere sondern weil ich „alle anderen“ ausgrenzen
wolle. Ich kann nur sagen: von mir gibt es keine solchen Papiere wie
die von Deinen Bündnispartnern Christian Schroeppel und Santosh
Reichert, die in einem geradezu manisch entwickeltem Szenario
Bunkerveranstaltungen bei Euch vorschlagen, um andere Vorstellungen als
„Störer“ „sicher“ auszugrenzen. Am 12. August waren neue Leute und
Gruppen in die Veranstaltung gekommen, die ich z.B. alle dort zum
ersten Mal kennengelernt habe. Ihr seid in Eurem Ablaufplan (mit
Ausnahme von Christiane Schneider) völlig unfähig gewesen,
etwas neues zu integrieren. Das ist das Elend von Funktionären,
die andere nur verplanen, nie aber mit ihnen etwas gemeinsam entwickeln
können. An dieser Haltung würdet Ihr auch scheitern, wenn wir
nicht mehr da wären.
Du schreibst, ich möchte den anderen das „eigene Ich“, „im
Schreibstübchen des Genossen gezimmert“ aufoktroyieren.
Ich möchte die Diskussion über die RAF hier nicht
führen, wäre aber jederzeit zu einer Auseinandersetzung
darüber bereit. Ich kann Dir aber versichern, daß es keine
„Schreibstübchen“ waren, in denen ich und andere sicher auch mein
(unser) eigenes Ich „gezimmert“, oft aber auch nur um unser
Überleben gekämpft habe(n). Du weißt wirklich nicht,
von was Du da redest.
Da Du weiter anführst, daß wir uns schon früher geirrt
hätten (Na, so richtig erfolgreich und irrtumslos scheint mir
Deine Geschichte auch nicht zu sein), kann ich nur sagen:
Alle Konezpte der Vergangenheit sind gescheitert. Alle treffen sich auf
gleicher Augenhöhe wieder. Es gibt den Wettstreit der Ideen und
von niemand eine Dominanz. So ist jedenfalls meine Vorstellung.
20. August 2004
Karl-Heinz Dellwo
|
|