http://www.fhuisken.de/elite.htm
DIE ELITE DER ELITE
(11.01.04)
1.Herzlichen Glückwunsch, Herr Professor Huisken, ihre
Bremer Uni scheint gerüstet zu sein für den Wettstreit, wer Deutschlands neue
Eliteuni werden darf. So darf man aktuelle Aussagen von Walter Dörhage,
Abteilungsleiter Wissenschaft im Bildungsressort der Stadt interpretieren.
Freuen Sie sich auf den möglichen Titel „Eliteuniversität“?
Irgendwie scheint zur Zeit eine fürchterliche
Begriffsverwirrung um sich zu greifen. Als ob es sich bei einer
„Eliteuniversität“ um ein ganz neues Programm handeln würde! Dabei
ist doch jede Universität eine Eliteuniversität! Das bezeichnet den uralten
und bis heute gültigen Auftrag jeder Universität: Sie hat nämlich den Nachwuchs
für die nationale Führungselite zu produzieren, die es in einer
kapitalistischen Gesellschaft braucht, damit die große Masse der ‚kleinen
Leute’ auch ordentlich funktioniert. Was zur Zeit unter „Eliteuniversität“
kontrovers diskutiert wird, das betrifft die Sortierung, die noch einmal innerhalb
des Personals für die zukünftige Elite gesondert stattfinden soll. Die „Besten
der Besten“ sollen vermittels forcierter Lernkonkurrenz, die dann auch zwischen
den Unis eingerichtet wird, herausfiltert werden und in gesonderten Anstalten
ihren Kopf zum Ruhme der Nation anstrengen. Wer erst darin die einst verpönte
Elitebildung entdeckt, der hat den entscheidenden Skandal des hiesigen
Bildungswesens bereits verpasst: Dass nämlich die Bürger mehrheitlich per
Bildungswesen vom Zugang zu wissenschaftlicher Ausbildung ausgeschlossen
werden. Wer erst am Programm zur Bildung von Eliteuniversitäten die Verletzung
eines demokratischen Gleichheitsgrundsatzes beklagt, der hat es längst für
selbstverständlich abgehakt, dass die Masse der Bürger für ihre späteren
staatlichen und privatwirtschaftlichen Dienste wenig wissen muss und deswegen
auch nur wenig lernen soll.
2. Was halten Sie persönlich von solchen Einrichtungen?
Wie gesagt, meine Kritik an der
Universität, ihrem Auftrag, ihrer Lehre und Ausbildung beginnt nicht erst dort,
wo auf die stattfindende Konkurrenz zwischen dem akademischen Nachwuchs noch
eine weitere draufgesattelt wird. Was mit dieser Zusatzselektion geleistet
werden soll, wird außerdem geradeheraus mitgeteilt: Ohne deutsches Harvard,
Yale oder MIT wird Deutschland in Sachen nobelpreisverdächtiger
Spitzentechnologie, Spitzenmanagement, Spitzenführungskräften - so lautet der
Maßstab - die innerimperialistische Konkurrenz gegen die Supermacht USA und
Japan nicht bestehen. Deshalb darf es auch nicht verwundern, wenn in den
Eliteunis der Welt das „große Geld“ der Abnehmer von „Spitzenkräften“ und
„-leistungen“ von Anfang an präsent ist und die Richtung in Lehre und Forschung
ganz unmittelbar vorgibt. Offener kann man gar nicht mehr aussprechen, wozu
Wissenschaften, natürlich vor allem Naturwissenschaft und ihr Personal, hier
und heute eingesetzt werden sollen: Deutschlands Stärke als Kapitalstandort
gilt die ganze Anstrengung der rotgrünen Regierung.(1) Eine zynische
Klarstellung darüber, was mit ‚Wissensgesellschaft’ gemeint ist.
3. Gibt es in Deutschland eine neue Sehnsucht nach
Eliten? Ist das vielleicht generell ein Merkmal von Industrienationen oder
bürgerlichen Gesellschaften?
Eine Elite hat jede bürgerliche Gesellschaft.
Dabei handelt es sich eben um die mit Geld- und Staatsmacht ausgestattete führende
Klasse. Das ist in einer Klassengesellschaft mit ihren Gegensätzen objektiv
notwendig. Etwas anderes ist die ideologische Botschaft, die bei dem
Begriff ‚Elite’ mitschwingt: Die will dem Volk die Herrschaftsverhältnisse als
Verhältnisse natürlicher Auslese „der Besten“ vorstellig machen. Und die
meisten bürgerlich-demokratischen Staaten wie Frankreich, Großbritannien usw.
haben auch kein Problem damit, von ihren Eliten unbefangen zu reden. Das ist
bzw. war hierzulande etwas anders: Lange Zeit warf man deutschen Eliten vor,
mindestens zwei mal Deutschland in schwere Niederlagen geführt zu haben. Wie
können das „die besten Deutschen“ gewesen sein, wenn sie nicht zum
Besten Deutschlands gewirkt haben!
Das ist aber längst vorbei. Jetzt redet gerade Kanzler Schröder
ungeniert von „Führung“, die Deutschland braucht, wenn es mit den Weltmächten
mithalten will. Und zur „Führung“ berufen sind „die Besten“. Folglich braucht
es wieder eine „Führungselite“, die natürlich nicht über eine
„gleichmacherische, nivellierende“ Ausbildung ermittelt werden kann, sondern nur durch Elitebildung.
4. Wird nicht schon allein durch die drastisch erhöhten
Studiengebühren für eine Selektierung unter den Studierenden gesorgt, so dass
am Ende nur die studieren können, die es sich leisten können. Das ist doch die
Vorstufe zur Elitenbildung?
Genau so verhält es sich, weswegen die
kommenden Studiengebühren und sonstigen Verschärfungen der Konkurrenz unter
Studierenden und Unis eben auch weder ein „Anschlag auf Deutschlands Zukunft“
sind, wie das streikende Studenten z.T. beklagen, die sich ihr Deutschland
immer noch als volks- und friedensfreundliche Heimat zurecht denken, noch aus
purer Finanznot geborener Sachzwang sind. Nein, nichts ist der Bildungspolitik
selbstverständlicher als die verschärfte Lernkonkurrenz zu ihrem logischen Ende
voranzutreiben, also bis zur Auswahl einer Elite aus der angehenden
Führungselite. Bemerkenswert ist daran übrigens, dass durch diese Reform das
ganze Hochbegabtengefasel widerlegt wird: Natürlich wird sich derjenige
in Atomphysik oder Biogenetik gut auskennen, der 12 Stunden am Tag nur über
seinen Bücher sitzt und dies eben auch kann, weil er über die Mittel,
d.h. die Finanzmittel dafür verfügt. Wenigstens wird er sich um einiges besser
auskennen, als der Kommilitone, der nachts Taxi fährt, damit er tagsüber
studieren kann. Von wegen „vererbte Begabung“, von wegen „ein Naturrecht“ würde
sich hier durchsetzen! Übrigens fällt Politikern und Wissenschaftlern sofort
passend dazu ein, dass „Gleichbehandlung von Ungleichen ungerecht sein
kann“. So etwas würde ihnen bei der
Primarstufe nie einfallen. Da ist dasselbe völlig gerecht, weil dort die
Gleichbehandlung von Ungleichen, also von Arbeiter-, Handwerks-, Arzt- und
Professorenkindern gerade die gewünschten Unterschiede, also Restschüler
einerseits und Gymnasiasten andererseits, aus denen sich dann die nationale Führungsmannschaft
rekrutiert, hervorbringen soll.
5. Was soll denn Ihrer Meinung nach eine Hochschule
bieten – und wie weit ist der aktuelle Standard hierzulande von diesem Ideal
entfernt?
Dieses Problem mache ich mir nicht, da
jeder „aktuelle Standard“ an Kriterien Maß nimmt, die immer von der Funktion
der Wissenschaft für Staats- und Geldmacht im Kapitalismus ausgehen. Da
interessieren mich die Abweichungen vom „Standard“ nach unten und oben wenig.
6. Die Industrie fordert immer lauter die Verkürzung der
Studienzeiten und mehr Praxisnähe. Sie auch?
7. Komischerweise reagieren ausgerechnet die
konservativen Politiker empört über den Vorschlag von SPD-Ministerin Bulmahn.
Der bayerische Wissenschaftsminister Thomas Goppel (CSU) sagt: „Wir brauchen
keine Eliteinseln.“ Ist das nicht eigenartig?
Wenn man sich den Inhalt der Empörung
anschaut, dann ist das gar nicht mehr eigenartig. Die CDUCSUFPD sind die letzten,
die etwas gegen deutsche Princeton–Unis haben. Deswegen klagt Goppel auch
nur einen breiten Unterbau von normalen
„Massenunis“ ein, aus denen dann die „Inseln“ herausragen sollen. Als ob die
SPD was anderes vorhätte!? Aber man ist ja nicht umsonst Opposition in Berlin.
8. Was für Fähigkeiten und Fertigkeiten muss denn heute
jemand mitbringen, der an der Uni einen guten Abschluss machen will?
Eine der wichtigsten „Fähigkeiten“
besteht darin, über ein betuchtes Elternhaus zu verfügen, sodass der Studierende
sich die Bücher kaufen kann, die in der Unibibliothek ausgeliehen sind, und sie
auch durcharbeiten kann, weil er nebenbei nicht jobben muss.
Übrigens
hängen genau so „Leistungselite“ und „Herkunftselite“ zusammen. Kanzler Schröder sagt zwar zutreffend: Es geht um
„Elite durch Leistung nicht durch Herkunft“, vergisst aber hinzufügen,
dass geldige Herkunft eine der besten Bedingungen fürs Bestehen in der Leistungskonkurrenz
ist. Eine andere Fähigkeit hat er schon mit Ablegung der Reifeprüfung unter
Beweis gestellt, die Anpassungsfähigkeit: 12 oder 13 Jahre hat er
bereitwillig jeden Lernstoff, der ihm jeweils vorgesetzt worden ist und
auch so, wie er ihm vorgesetzt worden
ist, gefressen. Drittens muss er über das nötige Maß Skrupellosigkeit in
der Konkurrenz gegen die
Mitstudierenden verfügen; und viertens muss er seinen Opportunismus
nützen, um einen „guten Draht“ zu „seinem Professor“ herzustellen. Ehe ich es
vergesse: Lesen, schreiben, rechnen können muss er auch.
9. Letzte Frage: Wie endet dieser
SPD-Wunsch nach Eliteunis? Als kurzzeitiges Medientheater oder mit einem
wirklichen Ergebnis?
Nein, das ist kein Medientheater. Dafür reiht sich dieser
Vorschlag viel zu gut ein in das ganze Reformprogramm der Regierung, nämlich
alle Abteilungen der Gesellschaft - das
soziale System, nebst Gesundheitswesen ebenso wie das Bildungswesen oder die
Bundeswehr – neu unter eine einzige politische Zwecksetzung zu subsumieren, neu
zu definieren und entsprechend zu „reformieren“: Wie können sie einen noch
besseren Beitrag zur technologischen, ökonomischen, politischen, militärischen
Aufrüstung Deutschlands zu einer weltweit zwangsweise respektierten Großmacht
leisten. Und damit ist es allen Parteien bitter ernst.
(1) Ganz ungeniert hat dies
Minister Trittin auf einer Christiansen-Veranstaltung folgendermaßen zum Besten
gegeben. Er begann mit einer Schelte der deutschen Automobilindustrie, die es
einfach noch nicht geschafft habe, einen Hybrid-Motor zur Produktionsreife zu
entwickeln, wie dies „den Japanern“ längst gelungen sei. Na fein, könnte der
mit den Gepflogenheiten der kapitalistischen Standortkonkurrenz nicht so
vertraute Zeitgenosse denken, dann können „wir“ diesen Motor doch von denen übernehmen
und selbst andere feine Sache entwickeln. Von wegen: Exklusivität
herrscht auch in dieser Sphäre von Forschung und Entwicklung, die sich eigentlich
der Logik des Privateigentum entzieht. „Die Japaner“ wollen nämlich mit ihrer umweltfreundlichen
und kostensparenden Neuerung nicht die autofahrende Menschheit beglücken,
sondern damit der Konkurrenz Marktanteile wegnehmen – wie dies die hiesige
Autoindustrie ebenfalls umtreibt und gefälligst umzutreiben hat, wie Trittin moniert.
Da könnte man glatt auf den Gedanken verfallen, dass der Kapitalismus weltweit auch
noch eine grandiose Verschwendung von geistiger Kapazität organisiert!