http://www.fhuisken.de/10thesen.htm
“Ich wollte auch mal mächtig
sein!”
“Es ist ein geiles Gefühl,
über andere Macht auszuüben!”
(So zwei jugendliche “Straftäter” vor dem
Jugendrichter)
10 Thesen über „coole Kids“
1.
Dieses Bedürfnis, dieses Motiv, über andere Macht ausüben zu wollen, ist gemein
und absurd. Die Gemeinheit hat es mit anderen, leider allzu sehr zur
Normalität gerechneten Formen der Machtausübung von Erwachsenen gemein: Per Gewaltausübung
werden physische Verletzungen bzw. psychische Schädigung hergestellt und so der
Wille von Schwächeren gebrochen. Die Absurdität dieses Bedürfnisses von
Jugendlichen besteht darin, dass sie Macht gar nicht als Mittel zur
rücksichtslosen Durchsetzung entsprechender materieller Anliegen haben
wollen – wie dies die staatliche Machtausübung kennzeichnet. Sie wollen ein
„geiles Gefühl“ von Machtausübung genießen. Machtausübung soll ihnen per
se Genuss bereiten. Da wollen sich Jugendliche daran erfreuen,
dass sie in der Lage sind, anderen Schmerzen und seelischen Schaden zuzufügen.
2.
So ein Bedürfnis nach Machtausübung, wie es die Kids treibt, hat also allein sich
selbst zum Inhalt. Es verrät sich damit als zwecklose Imitation
jener Macht, der Jugendliche täglich in Familie, Schule und auf der Straße ausgesetzt
sind. Sie wollen vermittels der Machtausübung gar nicht an der sie umgebenden
Welt materiell etwas zu ihren Gunsten ändern, sondern allein selbst etwas
ausüben, wovon sie als Jugendliche ausgeschlossen sind: Macht. Es bleibt bei
diesem absurden Genuss, mit dem sie eine seelische Befindlichkeit – nenne man
sie Frust des Verlierers oder Ohnmachtsgefühl
- korrigieren wollen. Sie halten
für sich plötzlich positiv an dem Mittel fest, unter dem sie sonst
leiden, weil befugte Inhaber von (Staats-)Macht so ihre Zwecke rücksichtslos
gegen andersgeartete Interesse von ihnen als den Heranwachsenden durchsetzen.
Wenn etwa amtierende Ordnungshüter, Erzieher oder Väter mit dem Einsatz ihrer Machtbefugnis Kinder und Jugendliche “zur Ordnung” bringen, ihnen die Unterwerfung unter Schuldisziplin aufnötigen oder sie für Regelverstöße abstrafen, dann geht es ihnen – in aller Regel - nicht um den Genuß von Machtausübung, sondern darum, dass Kinder und Jugendlichen sich dem Schulzweck, der Straßenverkehrsordnung oder den Regeln des Familienlebens, also den Zwecken widerspruchslos fügen, die das gesellschaftliche Leben hierzulande bestimmen. Es legitimiert nun Machtausübung keineswegs, wenn sie zweckmäßig eingesetzt wird, sondern verweist allein darauf, dass hierzulande mit Macht gültig gemachte Ziele sich an Einwänden und Widersprüchen nicht relativieren – so vernünftig sie auch sein mögen.
3. Wenn Kinder und
Jugendliche die erfahrene Machtausübung der Erwachsenen imitieren, ziehen sie
aus der von ihnen selbst kritisierten Ohnmacht einen absurden
(Fehl-)Schluss: Sie entwickeln dieses rohe Bedürfnis nach Machtausübung, gerade
weil sie keine Macht besitzen. Sie wollen “auch mal mächtig sein”, obwohl
sie die Macht verabscheuen, der sie unterworfen sind. Ausgerechnet das,
was sie an den zur (Erziehungs-)Gewalt gegen Heranwachsende befugten
Erwachsenen stört, das wollen sie selbst praktizieren, das soll ihnen
gar Genuss bereiten..
4. Um einen Fehlschluss
handelt es sich deswegen, weil durch diese Machtimitation, die notwendig immer
physisch Schwächere als Opfer braucht, keines der Interessen von Jugendlichen
bedient wird, das an Lehrer-, Eltern- oder Polizeimacht scheitert. Weder
gibt es bessere Zensuren noch mehr Taschengeld, weder das kostenlose
Nahverkehrsticket noch das selbstverwaltete Jugendheim, wenn Jugendliche
jüngere Mitschüler verprügeln. Sie nehmen damit nur ihren sachlich begründeten
– nicht: berechtigten - Ärger über die Wirkung der Verbote und Strafen selbst
nicht mehr ernst: Wenn Lehrer mit Strafarbeiten den Kindern den Nachmittag
versauen oder Väter wegen einer Fünf in Mathe das Taschengeld sperren, dann
stören sich diese gewaltgeilen Jugendlichen plötzlich weniger am reduzierten
Taschengeld oder am vergeigten Nachmittag als allein daran, dass Erwachsene
ihnen gegenüber zur Machtausübung befugt sind und diese Befugnis
einsetzen. Ihr Ärger über das untersagte bestimmte Interesse
verwandelt sich in den Wunsch, anderen gegenüber “auch mal” wie ein zur Machtausübung
Befugter aufzutreten.
5.
Dabei wissen sie nur zu genau, dass ihre Rohheiten – im Unterschied zu denen
von zur Macht- und Gewaltausübung legitimierten Erwachsenen – immer unerlaubt
sind, folglich Strafen nach sich ziehen. Am Ende stehen sie dann doppelt
dumm da: Neben der Erfahrung, dass sich jeder ihrer Wünsche und jedes ihrer
Interessen immer an den gültigen, von Erwachsenen per Macht exekutierten
Zwecken zu relativieren hat und nicht selten ganz verboten werden, bringt sie
obendrein der absurde Wunsch, selbst einmal Macht auszuüben, erst recht in
Schwierigkeiten. Nicht selten führen die zum Jugendrichter, der die gültigen
Kräfte- sprich: Machtverhältnisse mit Verhängung einer Jugendstrafe dann wieder
herstellt. Der darf nämlich auch, was Kindern und Jugendlichen per Strafe
untersagt ist: Gewalt ausüben - die
dritte, die judikative Gewalt nämlich.
6.
Dem können sich Kinder und Jugendliche auch dadurch nicht entziehen, dass sie
ihr rohes Treiben dort veranstalten, wo sie sich unter sich wähnen: auf
dem Schulhof, nach oder vor der Schule auf der Straße, auf dem Spielplatz, usw.
Der Versuch, dort ganz auf Gewalt von Jugendlichen gegründete separate “Machtverhältnisse”
zu etablieren, scheitert früher oder später daran, dass Kinder und Jugendliche
eben nie “unter sich” sind. Sie stehen immer unter Aufsicht –
darin den meisten Erwachsenen gar nicht unähnlich -, auch wenn die Aufsichtspersonen
physisch nicht anwesend sind. So sind Kinder und Jugendliche nämlich gesetzlich
definiert: Es handelt sich bei Kindheit und Jugend nicht um unschuldige Altersangaben,
sondern um einen Katalog all dessen, was so ein Menschlein noch nicht darf.
Wenn es als zusätzlicher Skandal verbucht wird, dass es einmal wochenlang – wie jüngst mehrfach gemeldet - unentdeckt bleibt, dass Jugendliche einen Mitschüler gequält haben, dann ist dem nur die Empörung darüber zu entnehmen, dass die als ziemlich totale gedachte Aufsicht versagt hat. Gekleidet wird diese Kritik nicht selten in die entsetzte Frage, warum denn der gequälte Schüler sich nicht vertrauensvoll an Erzieher oder Eltern gewendet habe. So ist das eben mit der Aufsicht über die Heranwachsenden: Am liebsten ist es den Aufsichtspersonen, wenn sie von den der Aufsicht Unterstellten selbst eingeklagt wird.
7.
Gerade deswegen gilt auch Gewalt unter Kindern und Jugendlichen als so
besonders skandalös: Beklagt wird dabei nicht, dass es noch nicht gelungen ist,
ihnen die Gewaltausübung ein für alle mal auszutreiben. Darum geht es auch gar
nicht – es braucht schon immer wieder Nachwuchs für legitimierte Gewalttäter
mit oder ohne Uniform. Vielmehr wird geargwöhnt, dass Kinder noch nicht
zu unterscheiden und zu akzeptieren gelernt haben, wer wann
und warum hierzulande zur Gewaltausübung über Mitmenschen befugt ist.
Das ist nämlich ein Hauptwitz von Erziehung hierzulande: Als reif und mündig
wird der Heranwachsende aus der Pflichterziehung entlassen, wenn ihm zugetraut
wird, dass er zum einen alles, was er auch Erwachsener nicht darf, aus freien
Stücken, aus Einsicht in angebliche Notwendigkeiten unterlässt, und
dass er zum anderen gelernt hat, sich mit jedem nicht verwirklichten Interesse abzufinden,
ohne dabei “auffällig” zu werden. Um das zu begreifen, muss der Nachwuchs
hierzulande ca. ein Viertel seines Lebens in Unmündigkeit gehalten
werden. Offensichtlich bereitet es ziemliche Schwierigkeiten, dem Nachwuchs die
gewünschte “Vernunft” beizubringen. Oder anders gesagt: Offensichtlich
hat der Erwachsene in dieser Gesellschaft ziemlich viel Dinge zu unterlassen,
die sich überhaupt nicht von selbst verbieten; und ziemlich viele
Ratschläge zu beherzigen, die ihm allein nicht im Traum eingefallen wären.
8.
Ziemlich paradox ist es nun, dass die öffentliche Erziehung die “Jugendgewalt”
zwar einerseits schwer verurteilt, aber andererseits sehr einverstanden ist mit
der Funktion, die diese Rohheiten für den Seelenhaushalt der
kleinen Täter haben. Es wird nämlich der Genuss der Ausübung der “kleinen
Macht” nicht selten konserviert als Selbstbefund über die Vortrefflichkeit
der eigenen Person: Da gilt es dem Jugendlichen dann glatt als
Auszeichnung vor und gegenüber anderen, z.B. Kinder zu quälen, Mitschüler zu
erpressen, von ihnen Jacken zu zocken etc. Das taugt dann dazu, das Selbstbewusstsein
zu heben – eine psychologische Einrichtung, die gerechter Weise pädagogisch
hoch im Kurs steht und die es gar bis zu einem Erziehungsziel gebracht hat.
9.
“Gerecht” ist dieses Ziel, da ein Selbstbewusstsein alle diejenigen brauchen –
es wird die gute Mehrheit der Zeitgenossen sein -, die gegen alle
schlechten Erfahrungen, die das alltägliche Leben in Schule, Beruf, Familie und
Freizeit für sie bereit hält, nicht von dem Urteil lassen wollen, dass sie
dennoch ziemlich gut dastehen und dass sie als Personen letztlich
unverwüstliche Siegertypen sind. Je ärger “das Leben” den
Menschen mitspielt, desto brauchbarer erweist sich so ein
Selbstbewusstsein; trennt es doch erstens den Befund über die eigene Person
vollständig von der Lage ab, in die es sie verschlagen hat, und reicht ihnen
zweitens die Berufung auf das Selbstbewusstsein glatt zum Versuch, die
ärgerlichen Umstände, in denen sie sich wirklich befinden, zu
kompensieren.
10.
Hoch im Kurs steht das Selbstbewusstsein also vor allem, weil so ein psychologischer
Selbstbetrug nichts von gesellschaftlichen Ursachen wissen will, die den
Menschen ärgern und frustrieren. Warum der Jugendliche als chronischer
Schulverlierer auf der Hauptschule landet, warum der Ausländer herumgeschubst
wird, warum der Schüler gehänselt wird, warum der Lehrherren den Lehrling
schikaniert usw., wird nicht ergründet, sondern hingenommen. Denn all dies gilt
als nur noch halb so ärgerlich, wenn man zum Ausgleich für solchen Frust mal
schwächere Jugendliche quält oder eine Telefonzelle zerlegt. Wem gesellschaftlich
jener Erfolg versagt bleibt, den sich der Heranwachsende gewünscht hat, dem
muss – darin sind sich Pädagogen heute einige – wenigstens anderweitig, also
auf gesellschaftlichen Nebenschauplätzen Anerkennung zuteil
werden. Dass ein großer Teil des Nachwuchses zu Schulversagern gemacht wird,
Lehrstellen nicht gesichert, ein Arbeitsplatz geradezu ein Luxus und ein
Verdienst, der ein einigermaßen erträgliches Leben garantiert, heutzutage mit
deutschen Standortkriterien unverträglich ist, all das gilt nicht als
der Skandal, den es zu bekämpfen gilt. Vielmehr wird all dies zum Anlass für
die Sorge genommen, ob der hiesige Nachwuchs auch so damit fertig wird, dass er
weder an sich verzweifelt, noch die eine oder andere unerwünschte
– politische oder kriminelle - Karriere einschlägt.
11.
Wenn also Kinder und Jugendliche mit allen möglichen Rohheiten untereinander
und manchmal sogar gegenüber Erwachsenen “auch mal Macht” ausüben
wollen, dann geht es ihnen nicht um Veränderung ihrer wirklichen Lage, sondern
um ihr Seelenheil. Es geht ihnen allein darum, Selbstbewusstsein zu tanken und
Anerkennung durch Opfer bzw. von Zuschauern einzufordern. Sie folgen damit
einem pädagogischen Anliegen, allerdings mit Mitteln, an die die
Erzieher nicht gedacht haben, die aber – und das ist der Witz: - von Logik
dieses Anliegens gedeckt werden: Wo den Knirpsen und –Innen von klein auf
beigebracht wird, dass der Mensch zum Durchwursteln Selbstbewusstsein braucht
und dabei auf die Anerkennung durch die Umwelt ganz einfach nicht verzichten
kann, da ist eben dem ganzen Arsenal von erlaubten und unerlaubten
Mitteln dafür ein generelles Placet erteilt. Ja, es wird von den Kids
aus dem herbeierzogenen Wissen um verbotenes Tun noch ein extra Kick abgeleitet:
Wer sich beim Werben um Anerkennung, wer sich beim Aufbau von Selbstbewusstsein
traut, die Grenze zum verbotenen Tun zu überschreiten, der hat – wenigstens bei
Kids, die auf demselben dummen Dampfer sind – Sonderrationen von Anerkennung verdient.
Wie steigern Kids “selbstbewusst”? Selbstbewusst, cool, mega-cool!