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Notizen zu Oskar Negt

Oskar Negt: "10 Thesen zur marxistischen Rechtstsoziologie", in: Hubert Rottleutner (HG): "Probleme der marxistischen Rechtstheorie", FfM, 1975, S. 10-71

"Meine Untersuchungen mündeten im den Ergebnis, dass Rechtsverhältnisse wie Staatsformen weder aus sich selbst zu begreifen sind noch aus der so genannten allgemeinen Entwicklung des Geistes, sondern vielmehr in den materiellen Verhältnissen wurzeln (...) Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur diese Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen hervorbringt." "Die Waren können nicht selbst zu Markte gehen und sich nicht selbst austauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehen, den Warenbesitzern. ... Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehen, müssen die Warenbesitzer sich zueinander als Personen verhalten, deren Willen in jenen Dingen haust, so dass der eine nur mit dem Willen des anderen, also jeder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensaktes sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigene veräußert. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen; dies Rechtsverhältnis, ob nun legal entwickelt oder nicht ist ein Willenverhältnis, worin sich das ökonomische Verhältnis widerspiegelt. Der Inhalt des Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis gegeben." "Verkäufer und Käufer werden Gläubiger und Schuldner. ... Aus einem Gläubigen wird er zum Gläubiger, aus der Religion fällt er in die Jurispudenz." (Karl Marx)

Marx leitet aus der einfachen Warenzirkulation die Existenz einer allgemeinen Ware (Geld) und die damit notwendig folgende Verrechtlichung (Münzrecht, Währungshoheit) bei Ausweitung des Handels ab. Schon beim Kommissionskauf in einfachen Handelsbeziehungen ergibt sich weiterhin die notwendige Verrechtlichung von Kreditbeziehungen. Die Problematik marxistischer Rechtstheorie besteht in einem theoretischen Widerspruch: Marx zeigte im zitierten Vorwort den aus den Produktionsverhältnissen abgeleiteten Charakter jeden Rechts. Allerdings bringt jede Verrechtlichung einen Zivilisierungsprozess zum Ausdruck, insbesondere dann, wenn im Recht der aktuelle Stand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, vor allem Klassenauseinandersetzungen, festgeschrieben sind.

"Den bürgerlichen Ökonomen schwebt nur vor, dass sich mit der modernen Polizei besser produzieren lasse als z.B. im Faustrecht. Sie vergessen nur, dass auch das Faustrecht ein Recht ist und dass das Recht des Stärkeren unter anderer Form auch in ihrem 'Rechtsstaat' fortlebt."

Hier, in diesem so oft zitierten Vorwort, ist nicht zu sehen als eine methodisch begründete theoretische Leerstelle, denn das bestimmte, sich weiterentwickelnde Formen der Verrechtlichung zu den zwangsläufigen und also notwendigen Regulationsformen der sie hervorbringenden Produktionsweisen gehören, wusste auch der Autor und hat es in seinen Betrachtungen über den doppelt freien Lohnarbeiter gezeigt.

Negt behauptet zwei für die Rechtstheorie relevante Erscheinungen (1975):

In den kapitalistischen Länder eine widersprüchliche Entwicklung, die durch eine zunehmende Verrechtlichung gesellschaftlicher Tatbestände und Zentralisation des Rechts und gleichzeitig durch eine Reprivatisierung staatlicher Institutionen der Exekutive gekennzeichnet ist.

In den sozialistischen Länder gewinnen formale Rechtsgrundsätze und staatliche Sanktion an Bedeutung, deren Charakter durch ihre sozialistischen Inhalte nicht aufgehoben wird.

Seine 10 Thesen dazu:

I. Die permanente Verrechtlichung in kapitalistischen Gesellschaften führt zu einem gigantischen Flickwerk und bringt nicht mehr, sondern weniger Rechtssicherheit.

Ursachen:

Ein Blick ins Gebetbuch: Die bestehende Rechtsordnung ist für den materiellen und geistigen Lebensprozess der Gesellschaft zu eng geworden. Der alles zusammenhaltende Klammer des bürgerlichen Rechts, eben der Schutz des Privateigentums, wird durch den immer stärker gesellschaftlichen Charakter der Produktion und ihrer Mittel seit der Einführung der Aktiengesellschaften obsolet. Damit wird auch der individuell definierte Schuldbegriff zum blanken Mythos.

Durch die zerfallende bürgerliche Öffentlichkeit und ihre Ablösung durch den Meutenjournalismus verkehrt sich das Öffentlichkeitsprinzip in sein Gegenteil: War es anfänglich das sichere Mittel gegen die Willkür der Richter, so wird es heute zur vorverurteilenden Instanz, gegen die der Angeklagte einen Unschuldsbeweis zu führen hat.

Das bürgerliche Rechtssystem kann nach Engels nämlich nicht einfache Widerspiegelung der ökonomischen Verhältnisse sein, da es zwingend darauf angewiesen ist, eine einheitliche logische Matrix, ein in sich zusammenhängender, innerlich wesentlich widerspruchsfreier Ausdruck der Herrschaft sein muss. Diese Notwendigkeit besteht durch den Legitimationszwang moderner Rechtssysteme, die sich in ihrer täglichen Praxis nicht permanent selbst ins Gesicht schlagen dürfen. Da sich die materiellen Basis jedoch ständig selbst umorganisiert (Aktiengesellschaften) und daraus sich ergebende Veränderungen des Rechtssystems immer wieder neu ins einheitliche System integriert werden müssen, verwickelt sich die Rechtsentwicklung des bürgerlichen Staates in immer neue Widersprüche. Engels (und mit ihm Negt) greift hier z.T. auf jene rechtssoziologische Schulen vor, die die Funktionalität eines Rechtssystems wesentlich in der Abhängigkeit von seiner allgemeinen Akzeptanz sehen (und Negt reflektiert dies nicht). Ein wesentlicher Grund einer einheitlichen rechtlichen Struktur ist im Gegensatz zu den angeführten Betrachtungen in den durchaus divergierenden Interessen aller nichtproletarischen Klassen und ihrer Fraktionen in einer Gesellschaft des totalisierten Kapitalverhältnisses zu suchen. Und dann sind es auch die partiell widerstreitenden Interessen, die zur Ausbildung "privater" Rechts- und Exekutivgewalt (private Sicherheitsdienste aller Art) mit größtenteils geliehener staatlicher Autorität führen. Da zudem die erkämpften Rechte der Arbeiterbewegung mindestens bis zur nächsten großen Umstrukturierung mit in die Rechtsbildung einbezogen werden müssen, kommt Oskar Negt zu dem Ergebnis, dass die Entwicklung einer einheitlichen rechtlichen Matrix tendenziell unmöglich wird und daraus das bekannte Verrechtlichungschaos entsteht.

Negt misst die Rechtsentwicklung der kapitalistischen Gesellschaft an den Standards der Bürgerlichen während ihrer heroischen Phase (vor allem in Frankreich) und folgert aus der obigen Beobachtungen, dass eine (klassische) bürgerliche Rechtsphilosophie heute eine logische und praktische Unmöglichkeit ist, da mit zunehmend (kapitalistisch) vergesellschafteter Produktion samt Folgen die Autonomie des bürgerlichen Rechtssubjekts vollständig verschwindet und also eine solche Rechtsphilosophie, wollte sie ihren emanzipativen Anspruch wahren, eine neuartige Autonomie nur außerhalb des Eigentumsrechts (als Anker der Rechtsordnung) herstellen könnte.

II. Die Aufhebung der des Privateigentums (Produktionsmittel) und der darauf aufbauenden Rechtsordnung durch Selbstaufhebung, also eine revolutionäre Neugestaltung eines einheitlichen Rechtsprinzip, wurde im Gefolge der Oktoberrevolution versucht. Negt konstatiert dann allerdings "eine eigentümliche Rückbildung der revolutionären Legalität" mit der daraus folgenden Verrechtlichung Beziehung (analog zu denen in einer Warengesellschaft) und zunehmenden Bedeutung staatlicher Sanktion. Der Autor stellt also die naiven Vorstellungen einiger Revolutionäre (vor allem Lenin) der sowjetischen Realität gegenüber. Die Vorstellung, staatliche Gewalt und Verrechtlichung würden mit der Änderung der Produktionsbedingungen automatisch und in kürzester Zeit absterben kann z.T. auf Marx' Hoffnungen (der dazu keine genauen Angaben gemacht hat) zurückgeführt werden, wenn man sich am Übergang zum Kommunismus wähnt und zudem etwas infantile Vorstellungen hat. Das Sprachrohr solcher Vorstellungen auf dem Gebiet der Rechtstheorie war Paschukanis (Allgemeine Rechtslehre und Marxismus), der eine Ablösung rechtlicher durch technische Regeln mit Aufhebung des Privateigentums annahm und die Lenin (Staat und Revolution) mit ihm als Notwendigkeit betrachtete, da Lenin das Absterben des Staates in wenigen Generationen annahm, allerdings bis dahin auf ein ausgearbeitetes Rechtssystem nicht verzichten wollte.

Die anders gelagerte Realität erklärt Negt aus der Weiterführung der Warenproduktion nach Abschaffung ihrer kapitalistischen Form.

Während Lenin sich noch um die Reflektion der eigenen Herrschaft drücken konnte, legitimiert Negt die Parteidiktatur außerhalb der unmittelbaren Notwendigkeiten eines revolutionären Notstandssozialismus indem er Partikularinteressen in einem großen Land denen der Partei und des durch sie angeblich vertretenen "Allgemeininteresses" entgegenstellt. Ausgehend von dieser Prämisse fällt der Autor in ein partielles Delirium, wenn er z.B. das sowjetische Arbeitsrecht als Selbsterziehungsprozess beschreibt, in dem die sowjetische Arbeiterklasse die Diktatur des Proletariats gegen sich selbst anwende, um auf dem Weg der Produktivkraftentwicklung Fortschritte zu machen.

Tatsächlich war die damalige SU eine zutiefst orientalische Gesellschaft (nach Wittfogel) mit europäisch- feudalen Überlagerungen auf dem Weg zur Industrialisierung. Sowohl Lenins Ansprüche, als auch Negts Legitimation gingen und gehen an der Realität vollkommen vorbei. Die Disziplinierungen z.B. durch das Arbeitsrechts dienten einem durch die Partei gesteuerten Entwicklungsprotektionismus, deren Ergebnisse heute in aller Ruhe verrotten.)

Nach Negt konnte die Oktoberrevolution nur den Teil des bürgerlichen Rechts hinter sich lassen, der unmittelbar das Privateigentum schützt (entsprechend der bereits erreichten Umwälzung), während alle anderen Bereiche, insbesondere die Verteilung der Produkte und der Arbeit, durch - seiner Genese nach - bürgerliches Recht reguliert werden.

Das Wesen der bürgerlichen Rechtsform im Vergleich zu vormodernen besteht aber in der Abstraktion von Gewohnheitsrechten, allgemeinen Gerechtigkeitsbegriffen und moralischen Verpflichtungen, es schützt das Eigentum in seiner Wertform, nicht in seiner Gebrauchswertform, wie vormoderne Systeme.

(Dies zeigte Marx in der Kritik der politischen Ökonomie am Beispiel der Rechtsentwicklung allein durch sich ausdehnenden Handel: Findet dieser über die Grenzen vormoderner Gemeinschaften hinweg statt, kann nur der abstrakte Wert überhaupt Gegenstand moderner Rechtsentwicklung sein.)

Blieb also in der nachrevolutionären SU die bürgerliche Rechtsform teilweise bestehen, eben zur Regulierung der Verteilungsfragen, konnte dies nur heißen, das eine zu schützende Wertform, also die Warenproduktion erhalten geblieben war. Im Gegensatz zu vormodernen Systemen kommt aber das bürgerliche Recht ohne einen hochgradig zentralisierten Zwangsapparat aus, dessen Verfestigung dann notwendig das auf den Gebrauchswert fixierte Reproduktionsinteressierte gegenüber der abstrakten Wertform vernachlässigt (was Negt verschweigt).

Das eingangs zitierte Dilemma aller marxistischen Rechtstheorie erscheint hier daher erneut aus einem anderen Blickwinkel: die zivilisierende Wirkung bürgerlichen Rechts schätzend, hat diese Recht durch seine Abstraktion den nicht abstellbaren Nachteil, dass es eben die Wertform schützt.

Da eine marxistische Rechtstheorie sich nicht auf geschichtslose Normen berufen kann (Positivismus), bleibt ihr nur eine Legitimationsstrategie des Rechts und seiner Institutionen über den aktuellen Stand und gewünschten Entwicklungsweg des gesamtgesellschaftlichen (Re-)Produktionsprozesses. Sie kann sich keine dauerhaften Illusionen über sich selbst machen, wie noch die Arbeiterbewegung zu kapitalistischen Zeiten, als ihre aktuelle Rechtsposition jeweils die Ergebnisse aktueller Auseinandersetzungen festschrieb (festschreibt), hier rächt sich ihr eigener aufklärerischer Charakter.

Bei der Ableitung des Rechts unmittelbar aus dem gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozess wartet dann auch gleich die nächste Falle: Die Rechtstheorie wurde zur Legitimation und die Rechtsprechung zum Knüppel des Stalinschen Terrors durch Überpolitisierung. Ohne Letztere wird sie soziologisch und befindet sich ständig in Erklärungsnöten wie die Rechtstheorie in der SU (z.B. Nedbailo) nach Stalin, da sie die Entdeckung ihres Erfinders nie auf sich selbst anwenden darf, denn sonst müsste sie zugeben, dass das Recht in (ehemals) sozialistischen Staaten die zentrale Planungsbürokratie mit ihrer Arbeitsanweisung und den Werttransfer absichert (wie das in der DDR durch Möllnau proklamiert wurde). Und deshalb muss das Recht von anderen sozialen Normen getrennt und in einem institutionalisierten System staatlicher Zwangsapparate konzentriert werden, mit den entsprechenden Rückwirkungen auf die Konsolidierung der Wertform (was Negt wieder verschweigt).

Die später sichtbaren Verrechtlichungstendenzen in den sozialistischen Staaten sind neben dem damit verbundenen Nachweis wertkonstitutiver Arbeit und ihres Transfers, auch noch eine Anzeichen extremer Unsicherheit gegenüber den gesellschaftlichen Entwicklungen und gegenüber sich selbst, dafür hatte Stalin gesorgt.

III, Negt konstatiert einen völlig unterschiedlichen Charakter der Verrechtlichung in den kapitalistischen und in den sozialistischen Staaten, der allerdings aus seiner Begründung nicht völlig eindeutig ist.

Deshalb schiebt der Autor eine nach. Diese Unterschiede drücke sich in der verschiedenen Rechtstheoriebildung aus: Die bürgerliche Rechtstheorie hat nach Negt jegliche Kraft verloren, während die der sozialistischen Staaten in einen "voluntaristischen Idealismus" verfällt, indem sie ihr eigenes Recht als stärksten Hebel der gesellschaftlichen Umwälzung feiert und das der kapitalistischen Staaten als Überbau analysiert (oft verkürzt in der Widerspiegelungstheorie); eine Analyse, die sie auf sich selbst nicht anwenden mag. Negt teilt diese Sichtweise nicht, leitet aber deduktiv aus dieser Theoriebildung einen Unterschied zur kapitalistischen Rechtstheorie ab.

IV. Recht als Schnittpunkt zwischen Emanzipation und Gewalt wird für Transformationgesellschaften zum neuralgischen Bereich wenn sie den Anspruch auf Aufhebung der in ihr selbst steckenden Gewalt erhebt, da das Recht ja immer auch ein Index für die Notwendigkeit von Gewalt gemäß dem Stand der Produktivkräfte ist weshalb das sozialistische Recht (nach Negt) die "Veränderungen der subjektiven und objektiven Handlungsbedingungen" in seine praktische wie theoretische Entwicklung mit einbeziehen, also auch hier soziologisch werden muss, da es die bürgerliche Illusion vom autonomen Rechtssubjekt nicht teilen kann. Mit der Notwendigkeit der Gewalt haben die bürgerlichen Rechtstheorien keine Probleme. Sie definieren als Naturzustand den Krieg aller gegen alle und das Recht als dessen Einschränkung, also die Gewalt als Emanzipation vom Naturzustand.

Zwischendurch fängt der Autor an zu träumen, wenn er fordert, dass die sozialistische Rechtsgewalt mit jedem Schritt ihrer Anwendung gleichzeitig ihre eigene gesellschaftliche Notwendigkeit in Frage zu stellen hätte, da es ihre Aufgabe sei einen Zustand herbeizuführen, der sie selber überflüssig macht. (Dies kann die Rechtsgewalt nicht, gerade weil sie Rechtsgewalt ist; die verlangte Entwicklung ist nur politisch und außerhalb des Rechts zu fordern, eben weil Recht nur Instrument sein darf.)

V. Die Schwäche der marxistischen Rechtstheorie ergibt sich auch aus weiteren Gründen:

1. Da ist zum einen die theoretisch begründete Leerstelle bei Marx + Engels. Insbesondere Marx insistierte pedantisch auf die Darstellung der ökonomischen Basis und bekämpfte die Rechtsillusion, man könne juristische/rechtstheoretische Fragen davon unabhängig behandeln. Recht wird bei ihm nur als Abgeleitetes, nur primär Scheinendes betrachtet. (Materielle Rückwirkungen des Rechts selbst entstehen nach Marx aus 2 Gründen: Zum einen durch die differenzierte Zeitstruktur, also den rascheren oder langsameren Umwälzungsprozesse des Überbaus, oder als Formierungsprozesse. Beide tangieren nie die die ökonomische Grundstruktur einer Gesellschaftsformation, können aber ihr Entwicklungstempo bestimmen.)

2. Die Rechtsillusionen der II. Internationale und später der offiziellen Sozialdemokratie entwickelten sich aus den ersten Erfolgen der Arbeiterbewegung insbesondere den Normalarbeitstag betreffend. Abseits von Marx' begründet schematischen Darstellungen wurde Recht als Arena der politischen und sozialen Auseinandersetzungen und als Möglichkeit zum (temporären, immer prekären und anderweitig erwirtschafteten) Festschreiben der eigenen Erfolge erfahren. Daraus wurden legalistische Positionen entwickelt, dadurch. Diesen zufolge sollte über den Weg der parlamentarischen Legislative das Recht soweit verändert werden, dass die ökonomische Grundstruktur der Gesellschaft sich mittels ihres eigenen Rechts selbst aufhebe. Dass vorher das Recht wie das Parlament suspendiert wird, haben Zeitgenossen vorhergesagt und die Geschichte bestätigt.

Derartige Illusionen (Recht als primär und substantiell) entwickeln sich sehr häufig an der Form der Rechtsentwicklung. Diese zerfällt historisch und geographisch in unzählige und komplexe Prozesse, die den Inhalt der Kulturgeschichte bilden. So kann die kapitalistische Warenproduktion mittels umgeschriebenem englischen Feudalrecht oder mittels Anleihen aus dem römischen Recht abgesichert werde; die dieses Recht exekutierende Staatsgewalt kann monarchistisch oder republikanisch sein (während das moderne Gefängnis als der kapitalistischen Produktion gemäße Strafform in allen industrialisierten Ländern entwickelt wurde, MB). Diese Kulturgeschichte wird dann als Geschichte selbst aufgefasst, nach Marx eine Fiktion.

Entwickelt sich die Widerspiegelungstheorie (lineares Abbildungsverhältnis) an dem Unvermögen die gesellschaftlichen Phänomene als komplexe Entwicklung zu fassen, so entspringt die Rechtsillusion eben jener Komplexität.

VI Der Begriff Gerechtigkeit bezeichnet scheinbar ein geschichtsloses Vernunftpostulat; real ist er der subjektive Ausdruck entfalteter, allgemein akzeptierter Äquivalenzvorstellungen innerhalb der jeweiligen Produktionsweise. Gerechtigkeitsvorstellungen sind notwendig falscher Schein, verdinglichtes Denken, notwendig zum geübten alltäglichen Austausch, sie erscheinen ihren Trägern primär und substantiell. Anhand derartiger generalisierter Vorstellungen und ihrer Entwicklung lässt sich der Entwicklungsprozess einer Gesellschaft schlaglichtartig beleuchten, denn solche Gerechtigkeitsvorstellungen sind die natürliche Konsequenz der Produktionsverhältnisse, die Auseinandersetzungen um solche Vorstellungen spiegeln die bestimmenden Auseinandersetzungen der Gesellschaft. Die staatliche Gewalt betreffend, bestimmen Gerechtigkeitsvorstellungen die Grenze notwendiger (für die Produktionsweise) und überflüssiger Gewalt. Damit aber wachsen sie über die Beliebigkeit "zufälliger" Ideologiebildung hinaus, denn sie beschreiben Geschichte.

VII Marxistische Rechtstheorie kann sich nicht darauf beschränken einfach den Klasseninhalt des Rechts aus der ideologischen Vielfalt herauszudestillieren, wie noch Marx dies tat). Sie muss vielmehr Gerechtigkeitsvorstellungen, Normen und also auch das Recht in ihren fetischistischen Formen aus der Widerspruchsstruktur der "jeweiligen wirklichen Lebenszusammenhänge" erklären. Für solche Untersuchungen eignet sich besonders die Produktion einer industriekapitalistischen Gesellschaft. Dabei ist die Produktion im umfassenden Sinne zu verstehen, als die Distribution und Konsumtion bestimmend, eben als Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens. Rechtstheorie muss also durch Rechtssoziologie abgelöst werden. Damit ist nach Negt (er folgt dort Marx und dessen Logik der Kapitalanalyse) beim einfachen Warentausch zu beginnen und von dort aus die besondere Ware Arbeitskraft, samt der daraus resultierenden Konsequenzen für die Rechtsentwicklung zu analysieren.

VII Kapital Band I: "Die Waren können nicht selbst zu Markte gehen und sich nicht selbst austauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehen, den Warenbesitzern. ... Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehen, müssen die Warenbesitzer sich zueinander als Personen verhalten, deren Willen in jenen Dingen haust, so dass der eine nur mit dem Willen des anderen, also jeder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensaktes sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigene veräußert. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen; dies Rechtsverhältnis, ob nun legal entwickelt oder nicht ist ein Willenverhältnis, worin sich das ökonomische Verhältnis widerspiegelt. Der Inhalt des Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis gegeben."

Diese Entstehung modernen Rechts im Handelskapitalismus, schematisch beschrieben (methodisch begründete Leerstelle) in einem ganz anderen Zusammenhang, verwendete Paschukanis zur Entwicklung seiner ganzen Rechtstheorie. Er verlängert einfach das Austauschverhältnis auf das Recht und interpretiert jedes Recht als Kette von Rechtsverhältnisses (zwischen austauschen Warenbesitzern) deren Atom der einzelne Vertrag des einzelnen Subjektes sei. Negt kritisiert daran den vertragstheoretischen Ansatz, die Unterbelichtung der formellen Seite und die Fixierung auf den Handelskapitalismus. Substanz und Geltung bezieht das bürgerliche Recht im Industriekapitalismus nämlich aus dem "Austauschverhältnis von zwei besonderen Privateigentümern, den Lohnarbeitern und den Kapitalisten - ein produktionsvermittelter Austausch". Im Handelskapitalismus ist der Austausch von Äquivalenten nicht Bedingung für seine eigene Fortsetzung. Anders eben beim Kauf der eigentümlichen wertschaffenden Ware Arbeitskraft und deren Anwendung als Arbeit (mit Mehrarbeit), deren Mehrwert Antrieb der ganzen Transaktionen ist und erst im Verkauf der Ware realisiert werden kann.

Durch die gewaltsame Trennung des Arbeiters von seinen Produktionsmittel (ursprüngliche Akkumulation) wird selbiger in die Lage und in den Zwang versetzt seine Arbeitskraft zu verkaufen, also seine Haut zu Markte zu tragen. Damit verkehrt sich das Äquivalenzprinzip des Tausches in sein Gegenteil, trotz Beibehaltung seines Prinzips. Die Produktionsmittel treten dem Arbeiter jetzt als bestens geschütztes Eigentum des Vertragspartners gegenüber; das Recht am eigenen Eigentum wird für den Kapitalisten zu Anrecht auf fremder Hände Produkt und für den Arbeiter die Pflicht seiner Arbeit Produkt als fremdes Eigentum zu achten und der Vertiefung seiner Abhängigkeit selbst zuzuarbeiten. Bei fortschreitender Akkumulation wird der beschriebene Austausch zum bloßen Schein, da die Arbeitskraft mit älteren Mehrwertanteilen bezahlt wird und solchen auch noch abzuliefern hat. Das Recht wird (nach Negt) zum Schutz der vergegenständlichten, vergangenen Arbeit (Produktionsmittel) über die lebendige, gegenwärtige Arbeit. Dazu wird das Recht bekanntermaßen von anderen (sozialen, moralischen) Normen abgetrennt und zu einem staatlich sanktionierten Zwangsverhältnis im Rahmen eines Nationalstaates (Vereinheitlichung der Produktionsbedingungen). Gleichzeitig rückt es näher an die Produktion heran, die Arbeitskraft wird nach Negt zum wesentlichen Bezugspunkt des Rechts. Der Autor definiert also den Inhalt des Rechts als das Verhältnis von toter zu lebendiger Arbeit; und die Formbestimmung durch das Verhältnis zwischen Kapital und Lohnarbeit.

IX

1. Die Darstellung des Kaufs der Ware Arbeitskraft als Äquivalententausch und die Form ihrer Bezahlung bilden den wesentliche Grund der Rechtsvorstellungen im Sinne von verdinglichten Bewusstseinsformen. Im Arbeitslohn ist (im Gegensatz zur Naturalrente) jeglicher Unterschied zwischen notwendiger und Mehrarbeit ausgelöscht und alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit; der Gebrauchswert und der wertschöpfende Gebrauch der Arbeit wird verschleiert.

2. Auf diesen notwendigen Schein durch die Lohnform kann nur bei Anwendung unmittelbaren Zwangs (z.B. Faschismus) verzichtet werden. Da die gesteigerte Kapitalverwertung mit der Erde und der Arbeitskraft auch ihre eigenen Grundlagen untergräbt, muss die staatliche Sanktion, will sie das Kapitalverhältnis insgesamt wirklich schützen, diesen Auszehrungen Grenzen setzen (Normalarbeitstag, Verbot der Kinderarbeit, usw.); die aber wesentlich auch Forderungen der Arbeiterbewegung entsprechen.

Die Arbeiterbewegung kann weder auf solche Rechtsforderungen verzichten; noch kann sie darin ihre Forderungen adäquat zum Ausdruck bringen. (S. 58) zitieren???

"... wenn Krisen und politische Katastrophen zum Erstaunen darüber führen, dass auch die fortschrittlichste Gesetzgebung an den grundlegenden Gewaltverhältnissen kaum etwas ändert. ... All diese Gesetze (Bürgerrechte, Sozialgesetze) und Institutionen sind mit den Malen des Kapitals gezeichnet, realisieren und befestigen die Herrschaft der toten über die lebendige Arbeit; und doch sind sie als erkämpfte oder erworbene Rechte der Arbeiterklasse nicht einfach rückgängig zu machen.

X. Nach Negt muss eine marxistische Rechtstheorie eine Handlungsanweisung für kommunistische Politik miteinschließen, deshalb dürfe sie nicht nur ein analytisches Messer sein. Warum ausgerechnet die Rechtstheorie dies leisten soll, weiß nur der Autor, und ob es nicht sinnvoller ist, sie weiterhin nur zur Analyse zu nutzen und die geforderte Politik Anderen zu überlassen (wie z.B. von Peter Römer gefordert), diskutiert er nicht. Nach Negt soll der wesentliche Fortschritt marxistischer Rechtstheorie in der praktischen Vorbereitung der Aufhebung des Formalrechts bestehen, als ob sie dafür besonders geeignet wäre.

Recht bedeutet seinem Inhalt nach die staatlich sanktionierte Zwangsgewalt über fremde Arbeit (nach Maßgabe ihres Werts). Solange das Verhältnis zwischen lebendiger und toter Arbeit nicht durch umfassende Selbstverwaltung geregelt ist, wird es ein Recht nach den Grundsetzen des bürgerlichen (samt Zwangsmaschine Staat) geben. Der Autor analysiert nicht die sich abzeichnenden überstaatlichen Rechtsinstitutionen. Recht in der SU bedeutet also nach Negt lediglich, dass Arbeit noch nicht zum ersten Lebensbedürfnis geworden ist. Hier warnt Negt 1975 vor einer mangelnden Sensibilität gegenüber diesem Gewaltpotential und sieht darin die Verewigungstendenz gegründet (eine marxistische Analyse müsste nach den Gründen in den Produktionsverhältnissen suchen).

 

Und nun die Umgangssprachliche Fassung

Die in der Fragestellung angesprochene Untersuchung von Oskar Negt datiert auf Mitte der 70er Jahre und ist Teil einer Diskussion zu Problemen marxistischer Rechtskritik in der SU. Sie tangiert also keine aktuellen Fragen wie z.B. die Entstehung übernationaler Rechtsinstitutionen. Gleichwohl hat die angesprochen Diskussion noch immer einige Aktualität, da prinzipielle Fragen marxistischer Rechtstheorie angesprochen werden.

Ihren Anfang nahm diese Diskussion in der Feststellung, dass ausgerechnet das Recht in den sozialistischen Staaten offensichtlich eine wichtige Stütze kommunistischer Politik war (hätte sein können). So nimmt auch Oskar Negts Analyse in "10 Thesen zur marxistischen Rechtstheorie" ihren Anfang in der Beobachtung, dass es sowohl in den kapitalistischen als auch in den sozialistischen Ländern eine Tendenz zunehmender Verrechtlichung gesellschaftlicher Tatbestände gibt, die nach Negts Auffassung aber verschiedene Ursachen und Entwicklungsgeschichte haben.
Für die sozialistische Länder ergibt sich aus der Notwendigkeit institutionalisierter Rechtssysteme aber noch ein viel weitergehender, tieferliegender Widerspruch:
Marx zeigte im Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie den aus der ökonomischen Struktur (in ihrer Gesamtheit) abgeleiteten Charakter jeden Rechts. Rechtssysteme, samt ihrer Zwangsgewalt, gehören also als notwendige Sicherungs- und Regulationsmechanismen zu den Produktionsweisen die sie hervorgebracht haben. (Basis und Überbau) Sahen wir also in den sozialistischen Ländern eine zunehmende Relevanz formaler Rechtsgrundsätze (gerade nach Stalin), so konnte (kann) der fortexistierende, im Kern bürgerliche Charakter solchen Rechts nicht durch ein Postulat vom "sozialistischen Inhalt" aufgehoben werden. Beide Problemstellungen (Verrechtlichungstendenz und beschriebener Widerspruch) führen Negt von der marxistischen Rechtstheorie, die im wesentlichen Kritik an substantialistischen Vorstellungen ist, zu einer Rechtssoziologie, da er das gesellschaftliche Handeln untersucht (allerdings auf sehr hohem Abstraktionsniveau), das bei Marx einfach vorausgesetzt wurde.
Um die Gründe für die Weiterentwicklung marxistischer Rechtstheorie darzustellen, folgt diese Klausur relativ textnah den Darstellungen Oskar Negts und vergleicht diese en passant mit der Rechtskritik von Karl Marx. Dieses nicht sonderlich elegante aber wirkungsvolle Vorgehen ergibt folgende Gliederung:
Im ersten Kapitel wird in 2 Abschnitten die Verrechtlichungstendenzen in kapitalistischen (1.1) und in sozialistischen Ländern (1.2) behandelt. Im zweiten Kapitel wird in zwei Abschnitten die darauf aufbauenden Grundlagen einer marxistische Soziologie des Rechts dargestellt.
1.1 Die permanente Verrechtlichung gesellschaftlicher Tatbestände in kapitalistischen Gesellschaften (als Folge sich verändernder Produktionsbedingungen) führt zu einem gigantischen Flickwerk und bringt nicht mehr, sondern weniger Rechtssicherheit. Die alles zusammenhaltende Klammer bürgerlichen Rechts, eben der Schutz des Privateigentums, wird durch den immer stärker gesellschaftlichen Charakter der Produktion tendenziell obsolet. Dadurch gelingt es dem bürgerlichen Recht immer weniger, eine einheitliche logische Matrix zu bilden, die für eine konstante Rechtspraxis unabdingbar ist. Die Notwendigkeit einer einheitlichen rechtlichen Matrix, also eines zusammenhängenden, wesentlich widerspruchsfreien Rechtssystems (das sich nicht durch seine Praxis ständig selbst ins Gesicht schlägt) entsteht nach Negt (er folgt hier Engels) durch den Legitimationszwang modernen Rechts. Diese Argumentation ist eine offensichtliche (und unreflektierte) Anleihe bei jenen Schulen der Rechtssoziologie, die die Funktionalität von Recht wesentlich durch seine Akzeptanz gewährleistet sehen. //Im Gegensatz zu Negt kann die Notwendigkeit einer einheitlichen rechtlichen Matrix auch aus den durchaus divergierenden und widerstreitenden Interessen nichtproletarischer Klassen und ihrer Fraktionen in einer Gesellschaft des totalisierten Kapitalverhältnisses erklärt werden. (Denn die "bürgerliche Klasse" existiert nicht als rechtsbildendes Subjekt, es existieren konkrete Interessengruppen.) Dann beschreibt die Verrechtlichungstendenz wesentlich die zunehmende Schwierigkeit, divergierende Kapitalinteressen (imperialistisch oder nicht, fordistischer Akkumulationstyp oder Postfordismus) ((##: Beispiel: Die Diskussion um die Patentierung lebender Organismen.)) unter den Bedingungen einer sich ständig umorganisierenden Produktion, rechtlich unter einen Hut zu bringen. ((F##: Daher die Tendenz zur Ausbildung "privater" Rechts- und Sicherheitssysteme mit meist geliehener staatlicher Autorität. Generell aber, da ist Negt zuzustimmen, entspringt diese Verrechtlichungstendenz aus dem Widerspruch einer immer weiter (kapitalistisch) vergesellschafteten Produktion und dem unbedingten Schutz des Privateigentums. Die bürgerliche Rechtstheorie kann sich (nach Negt) dabei nur noch blamieren:
- Ihr gelingt es immer weniger eine einheitliche rechtliche Matrix zu bilden.
- Die Vergesellschaftung der Produktion führt jede Autonomievorstellung (des Rechtssubjekts) zur logischen wie praktischen Unmöglichkeit.

1.2. Die Verrechtlichungstendenz in der SU stellt Negt erst einmal den frühen revolutionären Ansprüchen entgegen. Die von Naivität geprägten Vorstellungen der Revolutionäre gingen von einem baldigen Absterben rechtlicher Regelungen und staatlicher Sanktion nach Änderung der Produktionsweise aus. ((##: Zwischenzeitlich fällt Negt in die Legitimation der Parteidiktatur über die Notwendigkeiten eines Notstandssozialismus hinaus. Z.B stellt er das Arbeitsrecht als Selbsterziehungsprozeß dar. Darauf zu antworten ist hier nicht der Ort; es müsste der Weg der SU vom Mittelalter in die Neuzeit beschrieben werden.)) Die Oktoberrevolution konnte (nach Negt) jedoch nur jenen Teil des bürgerlichen Rechts hinter sich lassen, der unmittelbar das Privateigentum schützt (entsprechend der bereits erreichten Umwälzungen), während alle anderen Bereiche, insbesondere die Verteilung von Produkten und Arbeit, durch ein im Kern bürgerliches Recht (mithin herrschaftlich) reguliert wurden. Wenn diese Verteilungsfragen aber nicht wie erhofft technisch geregelt werden konnten, hieß dies, dass die Warenproduktion erhalten geblieben war und rechtlich abgesichert werden musste. Das Wesen der bürgerlichen Rechtsform (im Vergleich zu vormodernen Formen) besteht aber in der Loslösung rechtlicher Normen von Gewohnheitsrechten, moralischen Verpflichtungen etc.. Es schützt das Eigentum in seiner Wertform (Realabstraktion auf den Wert, zwecks Austausch, dazu später mehr), nicht in seiner Gebrauchswertform wie noch vormoderne Systeme z. B. beim Boden. Die Existenz eines die Warenproduktion schützenden Rechts war somit der sichere Nachweis wertkonstitutiver Arbeit, ihres Transfers und dem dazu nötigen Zwang. Im Gegensatz zu vormodernen benötigen Moderne Rechtssysteme aber einen hochzentralisierten Zwangsapparat; dessen Verfestigung führt dann notwendig zu einer Vernachlässigung des Reproduktionsinteresses (mit seiner Gebrauchswertfixierung) gegenüber der abstrakten Wertform, verfestigen also die Realabstraktion auf den Wert (was Negt verschweigt). Das eingangs zitierte Dilemma jeder marxistischen Rechtstheorie zeigt sich hier erneut aus einem anderen Blickwinkel: die zivilisierende Wirkung modernen Rechts steht gegen Schutz und Erhaltung der Wertform. Und die marxistische Rechtstheorie kann sich darüber keine dauerhaften Illusionen (Positivismus, Normativismus, Subjektautonomie) machen, dafür hatte ihr Erfinder gesorgt. Sozialistisches Recht muss also unmittelbar politisch sein, es kann seine Legitimation nur aus den Notwendigkeiten des aktuellen gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozesses ableiten. Und dort wartet auch gleich die nächste Falle: durch Überpolitisierung kann dann alles legitimiert werden. Recht sicherte den Werttransfer an eine zentrale Planungsbürokratie; Recht wurde zum Knüppel des Stalinschen Terrors. Die Verrechtlichungstendenzen in der SU waren somit auch Ausdruck einer enormen Unsicherheit gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen - und gegenüber sich selbst, dafür hatte Stalin gesorgt. //Recht als Schnittpunkt zwischen Emanzipation und Gewalt wird für Marxisten somit zum neuralgischen Bereich: Sie müssen die notwendige Sanktionsgewalt aus dem gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozess ableiten und zudem (sofern sie Ansprüche aufrechterhalten) die Aufhebung dieses Gewaltverhältnisses zumindest ermöglichen. Negt verlangt dies als Intention sozialistischen Rechts. Das kann das Recht nicht leisten, eben weil es eins ist. Das Geforderte gehört direkt in die politische (außerrechtlich) Sphäre. /// 2.1. Marxistische Rechtssoziologie kann sich also nicht darin erschöpfen den Klassencharakter des Rechts herauszudestillieren. Sie muss vielmehr Gerechtigkeitsvorstellungen, Normen etc. und also auch das Recht aus der Widerspruchsstruktur des jeweiligen wirklichen Lebenszusammenhangs erklären. Da muss es einen tieferliegenden Grund geben, dass der modern-rechtliche Schutz der Wertform auch bei Ausschaltung privater Eigentümer an Produktionsmitteln erforderlich ist. Und es muss einen Grund dafür geben, warum dies so zielsicher auf die Restaurierung des Kapitalismus hinauslief, und dies ist - abseits Negts Darstellungen - eine aktuelle Frage.
Das Problem sozialistischer Rechtsvorstellungen war - wie gezeigt - die Kontinuität der Warenproduktion als Muttermal der alten Gesellschaft. Marxistische Rechtssoziologie muss also in der Produktion (im umfassenden Sinne, als gesellschaftliche Produktion) ihren Anfang nehmen, denn dort ist ja auch der zentrale Hebel zur Reproduktion der Kapitalherrschaft zu finden.
Bürgerliches Recht entwickelte sich aus den Notwendigkeiten des Warentauschs. Zu diesem Zweck müssen sich die Eigentümer der Waren gegenseitig als solche Anerkennen. Damit ist ein Rechtsverhältnis gegeben, dessen Inhalt das ökonomische Verhältnis ist. (Marx, Kapital Bd. I) Da die Ware für ihren Eigentümer keinerlei Gebrauchswert hat, bezieht sich auch das Rechtsverhältnis auf den Sinn der Unternehmung Austausch, eben auf den Wert (Tauschwert). das bürgerliche Recht führt also auch die Realabstraktion auf den Wert durch und schützt eben diesen. (nach Marx, Kritik der politischen Ökonomie) Daraus leitete Paschukanis (Allgemeine Rechtslehre und Marxismus) seinen rechtstheoretischen Ansatz ab: Er verlängerte einfach das Austauschverhältnis auf das Recht und interpretiert Recht als Kette von Rechtsverhältnissen (zwischen austauschen Warenbesitzern) deren Atom der einzelne Vertrag der Subjekte sei. So verband Paschukanis mit der Oktoberrevolution die Hoffnung, dass die Autonomie des Rechtssubjekts auf neuer Grundlage in kürzester Zeit wiederhergestellt sein würde. Nur ist das zentrale Moment kapitalistischer Produktion das Verhältnis zwischen dem gar nicht souveränen Verkäufer seiner Arbeitskraft und dem Besitzer von Produktionsmitteln. Dies bringt zwei Änderungen gegenüber der einfachen Zirkulation:

- Der einfache Warentausch ist nicht gleichzeitig Bedingung für seine eigene Wiederholung. Anders beim Kauf der eigentümlichen wertschaffenden Ware Arbeitskraft und ihrer Anwendung als Arbeit (mit Mehrarbeit). Hier bildet der Mehrwert den Antrieb der ganzen Transaktionen, der aber erst im (immer wiederkehrenden) Verkauf der produzierten Ware realisiert werden kann. Das Prinzip des Äquivalententausches muss also erhalten bleiben - und dies gleichzeitig nicht.

- Für den Verkäufer der Arbeitskraft verkehrt sich das genannte Prinzip in sein Gegenteil - trotz seiner Beibehaltung. Die Produktionsmittel treten dem Arbeiter jetzt als bestens geschütztes Eigentum des Vertragspartners gegenüber; das Recht am eigenen Eigentum wird für den Kapitalisten zu Anrecht auf fremder Hände Produkt und für den Arbeiter die Pflicht, seiner Arbeit Produkt als fremdes Eigentum zu achten und der Vertiefung seiner Abhängigkeit selbst zuzuarbeiten. Bei fortschreitender Akkumulation wird der beschriebene Austausch zum bloßen Schein, da die Arbeitskraft mit älteren Mehrwertanteilen bezahlt wird und solche auch noch abzuliefern hat. (Marx, Kapital Bd. I)

Das Recht wird zum Schutz der vergegenständlichten, vergangenen Arbeit (Produktionsmittel) gegenüber der lebendigen, gegenwärtigen Arbeit. Dies bildet den Inhalt des modernen Rechts (und seiner Entwicklung): staatlich sanktionierte Zwangsgewalt über fremde Arbeit. Und als solches bleibt es bestehen, solange der Arbeiter Anhängsel der Maschine ist, egal wie der Laden nun heißt. Von hier aus können nun Probleme der Rechtssoziologie genauer bearbeitet werden.

2.2. Dabei kann es nicht mehr darum gehen verdinglichte Bewusstseinsformen, z. B. substantialistische Vorstellungen einfach zu widerlegen. Es kommt vielmehr darauf an, die verdinglichten Bewusstseinsformen aus der Form der Rechtsentwicklung heraus, die historisch und geographisch in komplexe Prozesse zerfällt, zu erklären. Entwickelt sich die Widerspiegelungstheorie (lineares Abbildungsverhältnis von Basis und Überbau) an dem Unvermögen, Rechtsentwicklung als komplexe Prozesse zu fassen; so entspringen die Rechtsillusionen eben jener Komplexität. (Bei Marx findet sich dazu eine theoretisch begründete Leerstelle; er insistierte mit großer Pedanterie auf die Darstellung der ökonomischen Basis und des abgeleiteten Charakters jeden Rechts.)

- Die rechtliche Absicherung der kapitalistischen Warenproduktion kann mittels umgeschriebenem älterem Recht unterschiedlichster Quellen (römisch, englisch-feudal) oder durch revolutionäre Rechtsentwicklung erfolgen; die exekutierende Staatsgewalt kann monarchistisch oder republikanisch sein. Diese Kulturgeschichte erscheint als primärer Zivilisationsprozess (Hegel). ((##:Das moderne Gefängnis wird übrigens in allen kapitalistischen Ländern als Sanktionsmittel entwickelt. Dort wird dann das Verhältnis von toter und lebendiger Arbeit mit den Widerspenstigen eingeübt.))

- Aus dem historisch komplexen Prozess der Rechtsentwicklung, eben der differenzierten Zeitstruktur bei der Umwälzung des (juristischen) Überbaus, entstehen materielle Rückwirkungen des Rechts, die allerdings nie die ökonomische Grundstruktur tangieren, wohl aber Anlass für substantialistische Illusionen sind.

- Scheinbar geschichtslose Vernunftpostulate, besonders Gerechtigkeitsvorstellungen als subjektiver Ausdruck allgemein akzeptierter Äquivalenzvorstellungen, müssen als unabdingbar für den geübten tagtäglichen Austausch verstanden werden. Die Auseinandersetzungen um solche generalisierten Vorstellungen spiegeln die Auseinandersetzungen in der Gesellschaft. Die staatliche Gewalt betreffend, beschreiben Gerechtigkeitsvorstellungen die Grenze zwischen notwendiger (für die Produktionsweise) und überflüssiger Gewalt, sie sind damit ein Indikator für historische Entwicklungen.

- Im Arbeitslohn ist (im Gegensatz zur Naturalrente) jeglicher Unterschied zwischen notwendiger und Mehrarbeit ausgelöscht und alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit; der Gebrauchswert und der wertschöpfende Gebrauch der Arbeit wird verschleiert. Der immer wiederkehrende Kauf der Arbeitskraft erscheint als gerechter Äquivalententausch.

- Abseits von Marx' begründet schematischen Darstellungen wurde Rechtsentwicklung von der II Internationale und später der Sozialdemokratie als Arena erfolgreicher politischer und sozialer Auseinandersetzungen erfahren. Daraus wurde die Illusion der grundsätzlichen Umgestaltung der Gesellschaft mittels ihres eigenen Rechts abgeleitet. Das vorher die Rechtsform suspendiert wird und die Rechte der vergegenständlichten Arbeit mit blanker Gewalt geschützt werden, haben Zeitgenossen vorhergesagt und die Geschichte bewiesen (Faschismus). Wer nicht Anhängsel der Maschine sein will, konnte und kann auf solche Rechtsforderungen nicht verzichten und gleichzeitig darin seine Interessen niemals ausreichend zum Ausdruck bringen.