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Erinnyen Nr. 16 |
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„Parasitäre Intelligenz“Ohne Zweifel, in diesem Begriff von Georg Lukács steckt etwas von der Disziplinierung der Gedankenarbeiter im ehemaligen Ostblock. Sie sollten für die Partei arbeiten, wer ausscherte und dennoch bezahlt wurde, lebte parasitär. Ihm wurde nicht nur der geistige Arbeitsplatz entzogen, er musste nicht nur in die Produktion, wo er sich zu „bewähren“ hatte, sondern er wurde in der Stalinzeit oft auch liquidiert, wie dieses schreckliche Modewort in der Nomenklatura hieß. Wenn Lukács diesen Begriff „parasitäre Intelligenz“ auf die Denker in den kapitalistischen Ländern anwendet, dann schwingt etwas von diesen Drohungen mit, falls dort das gleiche Regime errichtet würde wie damals in Ungarn, der Sowjetunion usw. So brauchten die westlichen Intellektuellen nur die Nase rümpfen, von „Denkverbot“ reden, um diesen Begriff abzutun. Angesichts der Gräuel, den viele Schriftsteller und Denker in der Sowjetunion unterlagen, brauchten sie nur auf das Denunziatorische verweisen. Man sieht ja, wohin das führt... Doch der deiktische Beweis ist nur eine Ausrede, wenn man nicht fragt, was dieser Ausdruck in Wahrheit bedeutet. Das philosophische Denken war immer mit Herrschaft verbunden. Nur die Herrschenden hatten die Muße Gedanken und Kultur zu produzieren, weil sie auf Kosten der namenlosen Arbeiter lebten, die ihnen den Lebensunterhalt sicherten. Walter Benjamin sagt deshalb mit Recht, dass es niemals ein Produkt der Kultur gab, das nicht zugleich auch eines der Barbarei war. Ausnahmen wie Sokrates bestätigen die Regel: da er noch nicht einmal Geld von seinen Schülern nahm, um gedanklich unabhängig zu bleiben, lebte er sein ganzes Leben in Armut. Oder Spinoza, der Linsen schleifen musste, um seine geistige Unabhängigkeit zu sichern. Da es in vorkapitalistischen Gesellschaften keine andere Möglichkeit gab, Kultur zu schaffen, war das Leben dieser Denker auf Kosten der anderen auch zu rechtfertigen. Wir würden heute immer noch mit den Fingern essen, mit Faustkeilen hantieren und Frauen rauben, wenn es keine Kulturentwicklung gegeben hätte. Der Zusammenhang von Barbarei und Kultur ist demnach sogar die Voraussetzung einer möglichen sozialistischen Gesellschaft in der Moderne, wie schon Friedrich Engels erkannte. Allerdings ließ sich diese Ausnutzung der Arbeitenden nur moralisch rechtfertigen, wenn sie nicht nur parasitär war, sondern wirklich zur Kultur beitrug, man denke nur an die prächtigen Bauten der Renaissance. Insofern haben meine bäuerlichen Vorfahren mit ihrem Kirchenzehnten zum Bau des Petersdom beigetragen, was mir ein historisches Eigentumsrecht wenigstens an ein paar Steinen gibt. Für die Philosophie (und früher gehörten alle Wissenschaften zur Philosophie (außer im Mittelalter die Theologie)) heißt dies, sie muss allgemeine Arbeit für die Gesellschaft verrichten, wissenschaftliche Resultate hervorbringen, Wahrheiten erkennen. Der Begriff „parasitäre Intelligenz“ von Georg Lukács bezieht sich auf die bürgerlichen Philosophien nach Hegel, weil sie kaum noch Wahrheiten produzierten, sondern falsches Bewusstsein. Nicht nur um die Lohnabhängigen im ökonomischen, sozialen und kulturellen Bereich über alle möglichen Kolporteure zu verdummen, sondern sie arbeiten sogar seit fast 200 Jahren an der Zerstörung der Vernunft, so dass selbst die Herrschenden kein wahres Bewusstsein mehr von ihrem Tun haben. Dies wurde schlagartig sichtbar, als 1933 die gesamte bürgerliche Philosophie sich den Nazis andiente. Schon vorher hatten die Philosophen bewusst oder unbewusst deren Ideologie vorbereitet. Und die Vertreter des Kapitals, ohne Selbstbewusstsein über ihr Tun, auch ihr Resultat, engagierten sich einen Hitler. Und heute? Kaum ein bürgerlicher Philosoph, der selbst den Begriff der Wahrheit denunziert, kaum ein Denker des Kapitals, der nicht einer Variante skeptischer Philosophie anhängt, kein postmoderner Philosoph, der nicht die zerstörte Vernunft sogar noch als Leiche schändet. Eine Gesellschaft, die solch parasitäre Intellektuellen bezahlt, ist danach. |
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