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Erinnyen Nr. 16 |
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Rede von Konzernchef Backermannan seine potenziellen Nachfolger
(Unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Protokoll - Redemanuskript) (Ähnlichkeiten und Analogien mit der Wirklichkeit sind gewollt. Ansonsten sind Teile der Rede so oder ähnlich schon oft gehalten worden – auch wenn der Text von uns als Ganzer erfunden wurde.)
Ich begrüße Sie meine Herren! Ich weiß, Sie wollen meinen Posten. Ich sehe schon, wie der Speichel aus Ihrem Mund lechzt. Noch ist es aber nicht so weit. Mein kleiner Fehler vor kurzem, der einigen von Ihnen Hoffnung gemacht hat, steigerte eher noch mein Gewicht bei den Großaktionären. Noch ist es nicht so weit. Und diejenigen von Ihnen, denen man es ansah, wie scharf sie auf meine Funktion sind, die werden es nie. Es fehlt Ihnen nämlich an Haltung, an Souveränität, an Komment, wie man früher sagte. Karrieristen, deren Schweiß man schon durch die Glastüre riecht, schaffen es höchstens bis zur mittleren Führungsebene. Ich brauche gar nicht auf diverse soziologische Studien verweisen, die Quatschen immer mit einem elenden Vokabular, um dann doch nur herauszufinden, was wir immer schon fühlen: Aufsteigen bis nach ganz oben kann nur der, welcher in seinem Elternhaus Haltung gelernt hat. Die lernt man nicht im Kleinbürgertum oder gar im Arbeiterstand. Dem geht es nur ums Überleben mit ein paar Wohlstandsgütern und das kleine Kapital hat zu sehr
den Geruch und die Mentalität des Parvenüs oder gar die alte protestantische Werksmoral des Schaffens, selbst wenn es diese gar nicht mehr nötig hat. Meine Herren, Sie schaffen nicht, sie führen. Für das Schaffen sind Ihre Mitarbeiter da, für die schmutzige Seite Ihres Gewerbes haben Sie käufliche Subjekte und für den Verkauf in der Öffentlichkeit die Politiker, die nebenbei bemerkt weniger kosten als diverse Söldner, die z.B. ihre Filiale im Irak heute braucht. Haltung saugt man schon mit der Muttermilch ein. Stellen Sie sich ein Kind vor, das vor der Villa seiner Eltern spielt. Es sieht einen Handwerker, kniend an irgendwelchen Steinen hämmernd, geht zu ihm hin und tritt – beim ersten Mal noch zögernd – dem Arbeiter in den Hintern. Das Kind hat schon die erste Lektion in Haltung gelernt. Natürlich braucht man ein bisschen Intelligenz und Schulbildung, später auch Fachwissen, am besten Jura mit Betriebswirtschaft. Aber glauben Sie ja nicht, für den Aufstieg entscheiden die Noten unter Ihrem Examen. In eine Firma und auf die Leiter nach oben kommt man in erster Linie durch Beziehungen, also Vitamin B, und durch die richtige Haltung. Vielleicht hat man Ihnen in der Schule die idiotische Erzählung von Peter Weiss „Abschied von den Eltern“ aufgezwungen. Ich kann Ihnen versichern, darin stimmt nichts außer einer Szene, wo ein Fritz W. dem jungen Erzähler tröstet, weil er sitzen geblieben ist. Dieser Fritz W. lacht schallend, sagt, er wäre vier Mal sitzen geblieben und jetzt einer der reichsten Männer der Stadt. Gewiss, es war ein Parvenü, aber einer mit Haltung. Wenn er in den Raum trat, da erstrahlte das Zimmer, die frustrierte Mutter des Jungen lebte auf und selbst der verbiesterte schwache Vater konnte ihm die Anerkennung nicht verweigern. Das ist Haltung, das ist Souveränität, das sprüht Optimismus aus. Meine Herren, wenn Sie nicht nur eine Abteilung führen wollen, brauchen Sie einen gewissen Überblick. Wie jeder Buchhalter doppelte Buchführung macht, so müssen Sie auch in ihrem Gehirn zwei Ordner anlegen. Der eine Ordner enthält das, was Sie wirklich denken. Hier haben Sie so rational wie möglich zu sein, hier sind Sie zynisch mit sich und Ihrer Umgebung, hier treiben Sie ihren Verstand auf die Spitze. Es hilft dabei, die größten Zyniker der Weltgeschichte zu lesen, etwa Marquis de Sade oder Nietzsche, doch auch diese quasi aus der Perspektive einer moralfreien Kritik – wenn Sie wissen was ich meine, also kalt und wissenschaftlich.
Würden Sie sich die gleichen Illusionen über das Wirtschaftssystem machen, die Sie nach außen verbreiten, dann sind Sie als führende Manager fehl am Platze. Wir beuten die Menschen aus, das ist keine Erfindung der Kommunisten, das ist Fakt. Und wir beuten sie für die Kapitaleigner aus, deshalb wollen wir ein kräftiges Stück von dem Kuchen abbekommen, damit wir selbst Kapital anlegen und zur herrschenden Klasse gehören oder in ihr unsere ökonomische Potenz vergrößern können. Meine Herren, das ist letztlich nur ein natürlicher menschlicher Zug, was die anderen im Kleinen machen, tun wir im Großen. Dafür haben wir auch eine größere Verantwortung, das dürfen Sie niemals vergessen. Die Größe dieser Verantwortung verlangt geradezu nach einem hypokritischen Zynismus. Wer Großes leistet, der macht sich schuldig, sagte mal ein Denker: Wenn Sie sich nicht schuldig machen wollen, dann können Sie auch nicht meine Führerschaft übernehmen. Der eine Ordner funktioniert aber nicht ohne den anderen: Ihre Aufgabe als leitende Angestellte, die Betonung liegt auf „leitende“, gegenüber Ihren Untergebenen und gegenüber den Kapitaleignern ist bekannt: Die Mitarbeiter spornen Sie zur Leistung an, den Aktionären schreiben Sie möglichst schwarze Zahlen. Ich selbst habe, wie Sie wissen, jüngst einen Fehler begangen. Man lernt eben nie aus. Deshalb hüten Sie sich, denselben Fehler zu wiederholen. Kurz nachdem unser Konzern den profitabelsten Erfolg der letzten Jahre gemeldet hat, habe ich öffentlich verkündet, 5000 Mitarbeiter zu entlassen. Obwohl das neoliberale Denken inzwischen weite Teile des Bewusstseins der Massen beherrscht, unsere Medienberater haben dabei gute Arbeit geleistet, geht es noch nicht so einfach wie in Amerika mit dem hire and fire. Die Deutschen sind da noch empfindlich, die Politiker müssen Rücksicht nehmen auf die Stimmung im Lande und ab und zu auch mal auf die Manager schimpfen, um Unmut abzulassen. Mein Fehler war also, die
Entlassung offen angekündigt, anstatt stillschweigend einfach durchgeführt zu haben. Deshalb machen Sie so etwas allmählich, erklären Sie es mit Sachzwängen, auch wenn Sie wissen, dass nur der Gewinn gesteigert, ihr Anteil also vergrößert und die Last durch Intensivierung der Arbeit auf den Rest der Belegschaft aufgeteilt werden muss. In diesem zweiten Ordner sollten Sie ein Gedanken- und Gefühlsmodell für ihre Belegschaft entwickeln, das sich auch in der Öffentlichkeit sehen lassen kann. Dieses Modell sollte an die Gefühle der Menschen appellieren, es sollte an die Schlagworte anknüpfen, die in der Gesellschaft dominieren, schließlich haben wir in den Medien schon dafür gesorgt, das es die richtigen sind. Da ist eine Menge Vorarbeit geleistet. Praktisch vom größten lebenden Philosophen bis zum kleinsten Zeitungsvolontär wurde unseren Interessen zugearbeitet. Natürlich, wenn Sie die Menschen bei ihrer Gefühlslage abholen, dann müssen Sie diese auch wohin führen – das sind Ihre Interessen, die sich mit den Interessen Ihrer Firma und, wenn Sie so wollen, mit denen der freien Marktwirtschaft allgemein in Einklang befinden. Ihre Interessen sprechen Sie in der Regel aber nicht zu offen aus. Sagen Sie Mitarbeiter zu Ihrem Untergebenen, auch wenn sie wissen, dass der Typ morgen rausfliegt. Geben Sie ihre Firma oder Ihren Konzern als gemeinsames Werk aller aus, auch wenn Sie morgen zum Konkursverwalter gehen müssen. Sagen Sie Arbeitgeber statt Unternehmer, auch wenn Sie wissen, dass es letztlich nur um die Vermehrung des Kapitals geht. Schaffen Sie eine Atmosphäre der Höflichkeit, wenden Sie ethisches Management an, auch wenn Sie wissen, dass viele nur fauler Säcke sind, die sich im Betrieb eine Nische suchen wollen. Treten Sie solchen Leuten auf die Füße oder werfen Sie diese raus, es gibt genug, die für solche Hanseln einspringen können. Aber immer alles im höflichen Ton, Sie sparen sich dadurch domains of damages. Allerdings, manchmal ist auch ein relativ klares Wort angebracht, wenn die Firma vor dem Bankrott steht oder Werkteile aufgelöst werden müssen, dann können Sie mit Klartext, mit einem Schwarz-in-Schwarz-Malen des Unternehmens wahre Wunder an Opferbereitschaft erleben. Sie können dadurch den Betriebsrat gleichschalten und jede Lohnsenkung durchsetzen. Aber wie gesagt, das geht nur ab und zu, alle zehn Jahre vielleicht, wenn sich eine neue Krise einstellt. Meine Herren, bei all dem, was Sie so von sich geben, die doppelte Buchführung in ihrem Gehirn muss strickt eingehalten werden. Wenn Sie die Doppelstrategie der zynischen Hypokrisis aufgeben und selbst an Ihre Schmuseworte glauben, dann werden Sie unfähig zu führen. Lassen Sie sich nicht von der moralischen Verwerflichkeit dieses Terminus irritieren. Ein führender Manager, der Moral nicht als Mittel seiner Propaganda einsetzt, hat auf solch einen Posten, wie Sie ihn bekleiden, nichts zu suchen. Und wer den Unterschied zwischen Herren- und Sklavenmoral nicht kennt, auch nichts. Spätestens seit Nietzsche wissen wir, dass die Sachzwänge entscheiden, ob wir uns nun moralischer Phrasen bedienen, weil sie in der Belegschaft seit mehr als 2000 Jahren Gewöhnung einfach gewünscht werden, oder ob wir die Herrenmoral, die eigentlich ein Jenseits von Gut und Böse, also gar keine Moral ist, auch mal aussprechen. Ich habe vor kurzem das neue Buch von meinem Freund Senkel, dem Vorsitzenden unseres Verbandes, gelesen. Eine Zeit lang dachte ich, der glaubt wirklich die moralischen Appelle, die er von sich gibt. Dann habe ich mir aber seine Rhetorik genauer angeschaut. Er spricht die Probleme kurz an, durchaus offen, um dann zu einer Reihe belangloser geglückter Lösungen überzugehen, indem er schließlich diese Art der Bewältigung für das ganze Land empfiehlt. Also das alte Großmütterchen, das ihr Sparbuch plündert, um dem Enkel einen neuen Computer zu kaufen, als Modell dafür, wie man trotz Lohnsenkung doch den Konsum ankurbeln kann. Wer gläubig der schönen Sprache meines Freundes bis dahin gefolgt ist, der glaubt auch diesen Blödsinn. So geht es. Reden sie positiv, seien Sie aufmunternd, aber nur nach außen. Im Inneren bleiben Sie der misstrauische Buchhalter. Nur so geht das. Mein Freund hat mich nicht enttäuscht, er ist nicht zu den Lämmern übergegangen, zu den Leuten also, die ihren eigenen Schmus auch noch glauben,
sondern er ist der Wolf, der zynische Hypokrit geblieben, als den ich ihn seit langem kenne. Meine Herren, ich kann meine Rede nicht abschließen, ohne auf die große Politik zu sprechen zu kommen. Sie wissen, wir denken vor allem betriebswirtschaftlich, als Führer eines Konzerns haben Sie aber die Nationalökonomie und die gesamte Weltwirtschaft nicht aus den Augen zu verlieren. Die Regierung hat in letzter Zeit an uns Unternehmer appelliert, unserer nationalen Pflicht nachzukommen und Arbeitsplätze zu schaffen. Wir würden schon gern ein paar Leute anstellen, schließlich steigt mit jedem produktiven Mitarbeiter unser Gewinn, aber das geht nur, wenn auch entsprechende Nachfrage nach unseren Produkten da ist. Das ist eine einfache Addition und Subtraktion. Meine Herren, dieses Geklimper auf dem nationalen Klavier, das bei jedem Fußballspiel der Nationalelf neu gespannt wird, dürfen Sie nicht ernster nehmen, als es die Regierung selbst tut. Die Saiten des Klaviers sind gespannt, die Melodie hat eine einheitsstiftende Wirkung wie bei uns der Betriebsausflug auf das Klima der Abteilung, und ab und zu klimpert die
Regierung getrieben durch die Opposition darauf rum. Das dürfen Sie nicht ernster nehmen als ihre eigene Propaganda. Sie wissen als Wirtschaftsführer so gut wie ich, dass wir nach den ökonomischen Möglichkeiten gehen und nicht unseren Profit schmälern durch nationale Duselei. Wir agieren weltweit, wir sind Kosmopoliten, keine patriotischen Hansel, Goethe statt Uhland. Allerdings, das sei nicht verschwiegen, ab und zu brauchen wir den Staat, die geballte Macht des Leviathan, um Rohstoffquellen, Handelswege und Investitionen zu sichern. Warum sollen wir kostspielige Banden finanzieren oder gar Söldnerarmeen aufstellen, wenn wir das durch die Staaten fast umsonst bekommen. Sie kennen unsere Losung: Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der faux fraise. Schließlich zahlen wir immer noch ein paar Steuern. Im Übrigen ist die Sicherung des Geschäfts selbst kein Geschäft und deshalb müssen wir zumindest verbal den jeweiligen Nationen, in denen wir tätig sind, schmeicheln. Aber auch hier gilt das Prinzip der zynischen Hypokrisis. Vergessen Sie dabei niemals, dass wir letztlich das Sagen haben, wir Unternehmer als „herrschende Klasse“, wie die Kommunisten früher gesagt haben, nicht die Politiker bestimmen. Es gilt: cujus economia, ejus regio. Meine Herren, wenn Sie meinen Platz haben wollen – noch trete ich nicht ab -, dann müssen Sie diese Ratschläge beherzigen. Vor allem brutaler Optimismus nach außen und Plan B, wenn alles schief geht. Aber das allein ist noch keine Garantie für Ihren Aufstieg. Ohne den richtigen Stallgeruch, ohne die entsprechende Haltung, und seien Sie andererseits noch so tüchtig, schaffen Sie es nie. Ich danke Ihnen nicht für Ihre Aufmerksamkeit, Sie sollten mir danken. |
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