Am 11. September 1973 wurde in Chile die Demokratie im Blut ertränkt
Am 4. September 1970 brach in Chile eine neue Zeit an.
Die Unidad Popular, ein Bündnis linker Parteien, stellt den neuen Präsidenten.
Der Mann mit den dick umrandeten Brillengläsern und dem väterlichen Lächeln
wurde ein Symbol, sein Name: Dr. Salvador Allende.
Der vorhergegangene Wahlkampf der Unidad Popular war so vielfältig und gründlich
geführt worden, dass es in dem kleinen langgezogenen Andenstaat kaum einen Arbeiter,
Bauern und Studenten gab, der nicht über ihre Ziele informiert war. In hunderten von
kleinen und großen Kundgebungen und Manifestationen sprach Salvador Allende zum
chilenischen Volk. Und sie haben ihn verstanden, denn es war ihre Sprache, die er sprach.
Die Kundgebungen wurden begleitet von Künstlern wie Victor Jara, Isabell und Angel Parra,
Dean Reed und anderen. Alle stellten ihre Kunst unentgeltlich in den Dienst für ein
gerechtes, sozialistisches Chile.
Zum ersten Mal schien es gelungen zu sein, über demokratische Wahlen eine sozialistische
Gesellschaft zu etablieren. Auch wenn dem Präsidenten und seiner Unidad Popular bis zuletzt
die absolute Mehrheit im chilenischen Parlament fehlte und die Sozialisierungspläne nur
schwer gegen die vereinte liberale und rechte Opposition durchzusetzen waren, waren die
darauffolgenden drei Amtsjahre von Salvador Allende von vielen Erfolgen gekrönt. Die
Kindersterblichkeit wurde durch die verbesserte Ernährung und den Ausbau des
Gesundheitswesens drastisch gesenkt. Die Kupferminen und die Schlüsselindustrie wurden
verstaatlicht und die Arbeiter und Angestellten erhielten erstmals grundlegende Sozialleistungen.
Das Projekt eines demokratischen Sozialismus weckte nicht nur große Hoffnungen beim
chilenischen Volk, sondern auch bei bei den Linken in der ganzen Welt.
Die USA dagegen wollen um jeden Preis verhindern, dass nach Kuba ein zweiter lateinamerikanischer
Staat das kapitalistische Lager verlässt. Der CIA, der korrupte nordamerikanische Geheimdienst,
förderte nach Kräften die in Chile ohnehin bereits in den Reihen des Militärs
schwelende Konspiration gegen Allende. Wichtigster Bündnisgenosse der CIA war Augusto
Pinochet Ugarte, der erst wenige Wochen zuvor von Allende zum Heereschef ernannt worden war.
Im Morgengrauen des 11. September 1973 startete der lang geplante faschistische Putsch.
Marineeinheiten besetzten die Hafenstadt Valparaiso, die Armee kreiste die Hauptstadt Santiago
ein, linke Radiostationen wurden übernommen, erste Schüsse fielen. Die Putschisten
forderten den sofortigen Rüktritt Allendes. Als der ablehnte und erklärte, er werde
die "Moneda", den Präsidentenpalast in Santiago, nicht verlassen, kündigen die
Militärs einen Luftangriff auf das Gebäude an. In einem Funkspruch sagt Augusto
Pinochet: "Ist der Hund tot, stirbt auch die Tollwut aus." Am 11. September um
12 Uhr mittags fallen im Büro des Präsidenten 17 Schüsse - Salvador Allende ist tot.
In seiner letzten Ansprache sagte Salvador Allende: "Es werden andere Chilenen kommen.
In diesen düsteren und bitteren Augenblicken, in denen sich der Verrat durchsetzt, sollen
sie wissen, dass sich früher oder später, sehr bald, erneut die großen Straßen
auftun werden, auf denen der würdige Mensch dem Aufbau einer besseren Gesellschaft entgegengeht.
Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Werktätigen! Das sind meine letzten Worte,
und ich habe die Gewissheit, dass diese Opfer zumindest eine moralische Lektion sein werden,
die den Treuebruch, die Feigheit und den Verrat verurteilen. Meine Worte sind nicht von Bitternis
geprägt, sondern von Enttäuschung, sie sind auch eine moralische Züchtigung derjenigen,
die den Eid, den sie geleistet haben, gebrochen haben: Soldaten Chiles, amtierender
Oberbefehlshaber. (...) Ich werde nicht zurücktreten. In eine historische Situation gestellt,
werde ich meine Loyalität gegenüber dem Volk mit dem Leben bezahlen (...) Sie haben die
Gewalt, sie können zur Sklaverei zurückkehren, aber man kann weder durch Verbrechen
noch durch Gewalt die gesellschaftlichen Prozesse aufhalten. Die Geschichte lehrt uns, es sind
die Völker, die sie machen. (...)"
Am gleichen Tage verbreitete die Militärjunta die Lüge, dass Salvador Allende Selbstmord
begannen habe. Diese Lüge, geschaffen um das chilenische Volk zu demoralisieren, wird noch
heute als Wahrheit verkauft und steht auch in den Geschichtsbüchern der Schulen vieler Länder
der Welt. Noch am Tag der Machtübernahme begann die Militärjunta, die Opposition
rücksichtslos zu verfolgen. Im Zentralstadion von Santiago de Chile wurde ein
Internierungslager errichtet und Anhänger der Unidad Popular gefangengehalten, gedemütigt,
gefoltert und ermordet. Dem Volkssänger Victor Jara wurden dort vor seiner Ermordung die Finger
beider Hände mit einem Beil abgeschlagen. Unterdessen rühmten bundesdeutsche Politiker
den Sonnenschein, dessen sich die Gefangenen erfreuen durften.
Bis zum Ende der Pinochet-Diktatur im Jahre 1990 ließen abertausend Menschen ihr Leben in den
Gefängnissen und Lagern des Regimes oder wurden von den Agenten des berüchtigten
Geheimdienstes DINA entführt und ermordet. Mehr als tausend Chilenen wurden verschleppt und
kehrten nie wieder heim.
Hunderttausenden Chilenen/-innen blieben nur die Flucht ins Exil. Viele von ihnen fanden Aufnahme
in der DDR. Im Gegensatz zur Bundesrepublik, die sich nie zu einer Verurteilung des Putsches
und der Diktatur entschließt, bezieht die Regierung in Ostberlin klar Stellung gegen die
Junta. Bis heute wurden Pinochet und die Mehrheit seiner faschistischen Kumpanen nicht für
ihre grausamen Verbrechen belangt.
Über die Hintergründe des Militärputsches und die wirkliche Anzahl seiner
Opfer wird heute vielfach kaum oder nur sehr verfälscht informiert. Die amtierende
chilenische Regierung nennt offiziell die Zahl von 6.000 Menschen, die während der
militär-faschistischen Diktatur ermordet wurden. Diese Opferzahl ist das Produkt eines
von allerhand Drohungen begleiteten zähen Ringens zwischen der heutigen demokratischen
Regierung und den einstigen Putschisten. Sie steht in krassem Widerspruch zu früheren Berichten
von Menschenrechtsorganisationen und der UNO, die Opferzahlen zwischen 30.000 und 80.000 Menschen nannten.
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