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Wolfram




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Wolfram ist offline
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--- "pfreundschuh.de" <wolfram@pfreundschuh.de>
schrieb an Liste Kritische Psychologie
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Liebe Leute,

im Durchschnitt ist bereits wieder jedeR vierteR Deutsche antisemitisch eingestellt (so kürzlich die Sprecherin der
Tagesthemen im II. Deutschen Fernsehen). Ich finde es an der Zeit, dass PsychologInnen solche Massen-Phänomene diskutieren.

Hallo,
zwei Zeitungsausschnitte zum Thema:

11.12.2003
In der Bevölkerung wächst nach einem Bericht der Zeitung "die Zeit", die Verachtung für Minderheiten. Sie richte sich gegen Obdachlose, Bettler und Ausländer. Diese gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit stehe in Zusammenhang mit Erfahrungen wie Arbeitslosigkeit und der Furcht vor dem Verlust sozialer Anerkennung.


14.12.2001
Rechtsextreme häufiger ohne Job; Rechtsextreme Einstellungen sind nach einer Studie der Uni Leipzig in Ostdeutschland stärker verbreitet als im Westen. Insgesamt habe der Erwerbsstatus einen hohen Einfluss auf das rechtsextreme Gedankengut,
heißt es in der Untersuchung: Arbeitslose und Ruheständler neigten demnach verstärkt rechtsextremen Gedanken zu.


Eine wie ich finde aufschlussreiche Quelle: "Richter, Horst-Eberhardt: Flüchten oder Standhalten" Auszug S.19-20

Der einzelne kann seine Angst dadurch leidlich in Schach halten, daß er sich durch eine konformistische Anklammerung an schützende Partner, Gruppen, Institutionen, Ideologien einen Zustand von unzerstörbarer Geborgenheit suggeriert. Unsere Neigung, die Bedeutung dieser Anklammerung für unsere Selbstsicherheit zu bagatellisieren, erklärt sich sehr einfach aus dem Grund, daß wir das Ausmaß unserer realen Gefährdung nicht ertragen können. Abgesehen von regelrechten «Angstneurotikern», die von ihrer Isolations- und Todesangst hilflos überflutet werden, halten sich die meisten Menschen leidlich in emotionellem Gleichgewicht, wobei sie sich ähnlich verhalten wie die Träger eines Herzschrittmachers, die ihre vitale Abhängigkeit von dem Schrittmacher ebenfalls mit der Zeit verleugnen, um an ihre Stabilität glauben zu können.
Wir wagen nicht, uns einzugestehen, wie isoliert und gefährdet wir wirklich sind, weil wir uns den damit verbundenen Befürchtungen nicht gewachsen fühlen. Somit verteidigen wir die Illusion unserer relativen Stärke und Selbständigkeit und erklären alle unsere Bemühungen um konformistische Anpassung, um Versöhnung gefährlicher Autoritäten usw. als souveräne, aus der eigenen Identität heraus getroffene Entscheidungen. Die Selbstentfremdung wird verleugnet, obwohl genau dies stattfindet, was HEIDEGGER 42 meint, wenn er von dem Ich-selbst spricht, das nichts weiter mehr sei als das Man-selbst, als das in das Man zerstreute Dasein.

Eben aber deshalb, weil Isolation so unerträglich geworden ist, daß zu ihrer Unsichtbarmachung gemeinhin permanent vielfältige
Anklammerungen und Anpassungen an äußere Stabilisatoren notwendig sind, gibt es keine ähnlich verwundbare Stelle wie diese, die jederzeit für die Manipulation von Menschen durch Menschen und von Menschen durch Institutionen ausgenützt werden kann. Die Bedrohung mit Isolation -und damit mit vermeintlicher Vernichtung -ist das wirksamste Instrument, jederzeit Gefügigkeit zu erzwingen. Ein teuflischer Kreisprozeß bewirkt, daß die Trennungsdrohung als geläufiges Mittel der Kindererziehung in unserem Kulturkreis jede neue Generation wiederum im übermaß für diese Angstform sensibilisiert und es ihr enorm erschwert, so viel Isolation zu erleiden und zu tragen, wie im Grunde für den Menschen notwendig ist, um wirklich zu einer eigentlichen Identität zu gelangen und der Vielfalt der alltäglichen korrumpierenden Manipulationen leidlich standhalten zu können.
J. W.

19.03.2004, 15:18 Profil von Füge  deiner Freunde-Liste hinzu Email an Wolfram senden Homepage von Wolfram
Wolfram




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Ich finde das sehr gut, wie Du die Unerträglichkeit der Isolation als Grund für Anklammerung und Bedürfnis nach Stabilisatoren nimmst. Warum Isolation zugleich so etwas wie Identitätslosigkeit mit sich bringt, liegt wohl daran, dass in ihr wirklich ein Zusammenhang genommen ist, dass darin wirklich Verbindung zerschnitten ist, wie das Realabstraktionen so mit sich bringen. Die Kultur hat zunehmend als Identitätsmaschine zu funktionieren; die Kulturveranstaltungen, die Talkshows und die allabendliche Befriedung gegen das Böse durch einen Krimi mit viel Zwischenmenschlichkeit im Fernsehen belegt das schon zur Genüge. Bei den Jugendlichen kommen die Konzerte des Selbsterlebens noch hinzu, die fast einen Suchtcharakter haben und nicht nur Gemeinschaftssehnsucht, sondern auch Selbstverlorenheit befriedigen. Vielleicht ist die Angst vor Isolation sowas wie die Angst der Herzschrittmacher vor dem Schritt, das Versagen der Prothese vor der Wirklichkeit.
Solche Angst wird oft durch Selbstappelation überwunden, durch Selbstbezichtigung, Selbstermunterung, abergläubische Wiedergutmachung. So, als ob das Scheitern der Prothese durch Mythologisierung jedweder Störung zu überwinden sei, funktioniert auch das Schuldprinzip der systemischen Therapie von Bert Hellinger: Die Entschuldigung muss die Schuld erst erzeugen, von der erlöst werden soll - ein ungeheuerliches Unding, das den Archetypus des Seelenlebens in die Welt setzen muss, um Schuld als Versagen gegen ihn zu begründen. Das kann nur funktionieren, weil die Menschen Angst vor dem Verlust jeglicher Beziehung haben. Das Massenphänomen Hellinger ist also das Massenphänomen von Isolationsangst. Sie tun alles, um in dem Familienschema dabei zu bleiben - und sei es die vollständige Selbstaufgabe und Selbstverleugnung. Kein Wunder, dass solche Psychologie völkische Ideologie transportiert. In diese Richtung wird sich auch die Stabilisation der Kultur entwickeln.
Psychologie muss sich fragen, ob sie als Teil des Identitätsmechanismus funktionieren will, oder sich auf die Seite derer stellt, die daran scheitern, dass sie sich nicht funktionalisieren lassen können. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn sie das mit allen Konsequenzen fertig brächte. Das verlangt allerdings auch die Kritik der Ideologien und Mittel, mit denen Psychologie operiert. Die postmoderne Psychologie mag sich als solche Kritik verstehen; objektiv hat sie diese aber dadurch zerstört, dass sie das Objekt ihrer Bemühung (Gesellschaft, Institution, Klient) zum selbstkritischen Verhalten und zur Selbstverantwortung gegenüber der Gebrochenheit von Sinn und Welt gemahnt. Ich glaube, dass vor allem an dieser Gebrochenheit wirklich, also mit Wirkung gearbeitet werden muss. Und das verlangt, dass Psychologie die Verhältnisse, welche Leben zur psychischen Absicht reduzieren, auch als Wirklichkeit begreifen muss.

Wolfram Pfreundschuh

19.03.2004, 15:20 Profil von Füge  deiner Freunde-Liste hinzu Email an Wolfram senden Homepage von Wolfram
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