Der Haider-Schlingensief-Pakt
Differenz-Nazis must die

von Hito Steyerl

Normalität 1
Im September 1998 wird ein Brandanschlag auf das Grab Heinz Galinskis verübt.
Er war der Vorsitzende des Zentralrates der Juden.
Der Sachschaden ist gering.
Aufgrund des Attentates wird erwogen, alle jüdischen Friedhöfe mit Kameras zu überwachen.
Einige Wochen später kehren die Täter zurück.
Auf Galinskis Grab detoniert eine zweite Bombe.
Diesmal wird die Grabplatte vollständig zerstört.

Normalität 2
1943 schreibt Arnold Schoenberg im Exil sein Klavierkonzert op. 42.
Im zweiten Satz beschreibt er den Faschismus als groteskes Scherzo.
Der Satz heißt: "Plötzlich bricht Hass aus".

Ende 1998 werden pro Woche 17 jüdische Friedhöfe geschändet.
Am 26.8.98 wird Moses Abraham Stern auf dem Kurfürstendamm gestoßen, geschlagen, angespuckt und als "Drecksjude" beschimpft.
Die Polizei greift nicht ein. Er habe, heißt es später, durch sein "Aussehen" provoziert.
Ende Oktober 1998 wird ein Schwein über den Alexanderplatz getrieben.
Auf seinem Rücken prangt ein Davidstern.
Daneben ist der Name Bubis’, des Nachfolgers von Galinski aufgepinselt.
Ein Polizeisprecher sagt: Dem Schwein ist nichts passiert. Es ist unverletzt.
Bubis wünscht aufgrund der Gefahr posthumer Attentate in Israel begraben zu werden.
Nach einem halben Jahr werden die Ermittlungen zum Attentat auf Galinskis Grab eingestellt.
Die Täter werden nicht gefasst.


Normalität 3
Normalität 1 wurde im April 99 fertiggestellt. Normalität 2 wurde wenige Tage vor Ignatz Bubis unerwartetem Tod beendet. Seinem Wunsch entsprechend wurde er in Tel Aviv begraben. Einen Tag lang berichteten die Medien entsetzt über die Enttäuschung, die aus seinem Vermächtnis sprach. Er sei gescheitert, so Bubis, und Deutsche und Juden seien sich fremd geblieben. Während seines Begräbnisses ergiff ein Irrer namens Meir Mendelsssohn die Gelegenheit, sich in den Vordergrund zu spielen. Er schändete Bubis Grab.
Deutschland ergriff seinerseits die Gelegenheit, Bubis als großen Patrioten zu reklamieren und seine maßlose Enttäuschung als Verbitterung eines kranken Mannes zu verleumden.
Als ich dieses Vorhaben begann konnte ich nicht ahnen, dass es sich zu einer niederschmetternden Serie entwickeln würde. Zu einem Fortsetzungsfilm aus Deutschland, einem Land, in dem Normalität herrscht.
Titel: In der Nacht des 3.10.99, des Tages der deutschen Einheit, werden auf dem jüdischen Friedhof in Berlin Weissensee 103 Gräber umgeworfen.
Ich wünsche, dass diese Folge die letzte sei.
Titel: In derselben Nacht wird das Mahnmal an die Deportation der Berliner Juden mit Hakenkreuzen besprüht.
Aber es wird nicht von selber gehen. Es muss etwas dafür getan werden.


Fortsetzung folgt
Ich hatte ursprünglich geplant, nur über die Fortsetzung der Normalitätsserie zu sprechen, aber die gegenwärtigen Ereignisse haben mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das bedeutet, dass dies auch eine Sondersendung zum Thema Österreich wird, und ich im Laufe dieses Textes immer wieder nach Österreich umschalten werde. Und hier liefere ich auch nach, was die derzeitige Normalität in Österreich zu bieten hat: schon Ende Oktober letzten Jahres, also nur drei Wochen nach den Österreichischen Nationalratswahlen ging der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Ariel Muzicant, mit der Mitteilung an die Öffentlichkeit, dass die Zahl antisemitischer Vorfälle sich seit der Parlamentswahl verzehnfacht habe. Allein 80 physische Übergriffe seien in den letzten Wochen zu verzeichnen gewesen. Muzicant legte auch einen dicken Stapel Drohbriefe vor, den die Polizei wie üblich mit "antisemitischer Hintergrund nicht klar erkennbar" bewertete. Die Struktur der kommenden Normalität in Österreich setze ich als bekannt voraus; Jörg Haider, mit dessen FPÖ die konservative ÖVP eine Regierung eingeht, hat sein Modell der Bildung einer ebenso neoliberalen wie rassistischen ethnisierten Klassengesellschaft als "Modell für Europa" bezeichnet, womit er leider Recht behalten wird.

Aber sowohl in Österreich wie auch in Deutschland deutet sich neben diesen klassischen Formen antisemitischer Brutalität, der Grabschändung, des Anschlags, der physischen Attacke eine neue Form des Antisemitismus an, den ich als postmodernen Antisemitismus bezeichnen möchte. Deren Vertreter sind fidele Differenz-Nazis, die mit Spaß, Pop, demokratischer Konfliktkultur und dem hemmungslosen Ausagieren sogenannter Ambivalenzen prahlen. Sie sind nicht tumb, brutal und plump. Mit Charme und Spontaneität verführen sie. Die Frage ist allerdings: Wozu? Es wird also in diesem Text um das Verhältnis von Pop und Populismus gehen und die Frage gestellt, wie traditionelle und postmoderne Formen des Antisemitismus in Österreich und Deutschland koexistieren.


Differenz-Nazis
Auf diesem Feld entstehen bislang unbekannte Verschränkungen: völkische Denkformen kollaborieren problemlos mit Formen globaler Kultur. Populäre kulturindustrielle Formen wie Talkshow-Spektakel, die bislang von rechts wegen mangelnder Urigkeit und unterstelltem Amerikanismus unter Verdacht standen, befördern plötzlich das Ressentiment. Und so kann es auch von Jörg Haider heißen, dass seine Selbstinszenierung Elemente enthält1 die Leihgaben aus der Popkultur nach 68 sind: "Mode, Ironie, Gesten der Spontaneität, ein sich jung gebender Protest gegen das Establishment, der Reflex gegen institutionalisierte Hierarchien, dafür die Selbstermächtigung aus dem Charisma des Popstars." Allerdings hat der Rädelsführer und Post68er Haider das Rebellieren fechtenderweise an einer Strohpuppe mit der Aufschrift “Wiesenthal” gelernt.2
Völkisch-popkulturelle Formationen wurden zwar in letzter Zeit bevorzugt am neuen Anderen des Differenzkapitalismus, nämlich in Jugoslawien beobachtet, wo sich "westliche" Artikulationen der Popkultur mit klassisch nationalistischen Inhalten verbinden.3 "Das ist das Paradoxe," schreibt Slavoj Zizek im Magazin der Süddeutschen, "die pro-westliche Einstellung koexistiert mit einer ganz grundlegenden Beeinflussung durch die nationalen Mythen. Das ist wirklich schwer zu verstehen - und das ist übrigens nicht nur in Serbien so, sondern auf dem ganzen Balkan. (...) Das ist wahrer Postmodernismus. Da kann der Westen eine ganze Menge lernen."4 Nun, entweder lernt der Westen schon seit ca. 1970 vom postmodernen Jugoslawien, in einem Anfall retroaktiver Fortbildung5, oder aber es ist im Gegenteil so, dass diese Artikulationen hier so hartnäckig ignoriert werden, dass sie gewissermaßen bis in den Balkan hinein verdrängt werden. Sie sind da, die Öffentlichkeit strotzt förmlich vor ihnen. Aber keiner will sie sehen. Es ist viel einfacher, dazu auf den Balkan zu schielen. Hier sind sie also.


Normalität 4
Und damit zurück zur Normalität in Deutschland und zur Folge vier dieses unerfreulichen Unterfangens. Natürlich war es ein frommer Wunsch, dass der Hass einfach verschwinden möge. Das tat er selbstverständlich nicht, und Normalität 4 entwickelte sich wie alle anderen Filme als direkte Fortsetzung aus den bislang beschriebenen Ereignissen.

Wenige Wochen, nachdem Meir Mendelssohn das Grab von Ignatz Bubis in Tel Aviv schändete, wurde er im Rahmen von Christoph Schlingensiefs sogenannten "Internationalen Kameradschaftsabenden" zu zwei aufeinanderfolgenden Talkshows eingeladen.6 Das restliche Personal bestand aus Horst Mahler, Regine Hildebrandt, Rainer Langhans und Reinhold Oberlercher. Von deren Einlassungen will ich gänzlich schweigen, obwohl sie teils entsetzlich genug waren. Die unbestrittene Topskandalnudel in dieser Freakshow war jedoch Meir Mendelssohn. Zur Erinnerung: Ein abgehalfterter Künstler, hatte er während Bubis’ Beerdigung schwarze Farbe auf seinem Leib vergossen. Er wartete nicht lange ab, bis er zur Rede gestellt wurde, sondern prahlte ungefragt mit seiner Tat herum, wobei er Bubis als Kriminellen und “Hitler der Juden“ beschimpfte. Seine Tat wurde in Deutschland mit einer gewissen Erleichterung, um nicht zu sagen Schadenfreude aufgenommen, da die deutsche Öffentlichkeit doch von gewissen unangenehmen Gefühlen geplagt wurde, als Bubis es vorgezogen hatte, sich in Israel beerdigen zu lassen, aus Furcht vor weiteren Grabschändungen. Er hatte dies in seinem berühmten letzten Interview mitgeteilt, in dem seine tiefe Resignation gegenüber der Verstocktheit des deutschen Ressentiments zum Ausdruck kam, vor allem aus Anlass der sogenannten Walserdebatte. Nun kam es vielen Deutschen äußerst gelegen, dass nicht nur Bubis’ Plan gescheitert war, sein Grab vor Schändungen zu bewahren, sondern dass der Täter auch noch ein Jude war und somit der beruhigende Gedanke greifen konnte, dass sie nicht als Deutsche versagt hatten, sondern allgemein als Menschen. Eine ausgesprochene Erleichterung setzte ein, denn somit war Bubis letztes Interview gewissermaßen seiner Pointe beraubt worden und zu einem tragischen Witz mutiert. Dies war die Situation, als nunmehr Meir Mendelssohn die Bühne des Hamburger Schauspielhauses betrat.


Kunst und Gewalt

Während der Tabushow, wie ich den Internationalen Kameradschaftsabend nennen möchte, zeigte sich jedoch, dass Schlingensief mit untrüglichem Instinkt den von mir vorher beschriebenen Strategien der Kulturalisierung folgte. Zwar hatte Meir Mendelssohn, obzwar verkrachter Künstler, das Grab von Bubis nicht ausdrücklich als Kunstaktion geschändet, Schlingensief erkannte jedoch sofort das Potential das in dem Verbrechen steckte und arbeitete es heraus. Die Tat wurde "vergegenwärtigt" indem eine weiße Leinwand mit Farbe bespritzt wurde. Es führt zu weit, dies jetzt kunstgeschichtlich in die durchaus reaktionäre Tradition der Aktionisten7 zu stellen. Überdies würde dies genau in die Falle der Kulturalisierung tappen, die mit dieser Aktion aufgespannt wird. Ein politischer Akt wird nicht mehr als solcher betrachtet, sondern ästhetisiert. Seine Betrachtung erfolgt nicht mehr unter den Prämissen des öffentlichen Raums, das bedeutet den bestetig in Aushandlung befindlichen Regeln einer Gesellschaft, sondern wird in einen imaginären Raum enthoben, in dem alles möglich und erlaubt sei. Was bei dieser Betrachtung notwendig aus dem Blick gerät, ist der Umstand, dass das Verbrechen wiederholt wird, aber nicht wirklich. Obgleich seine symbolische Funktion beibehalten wird, wird es in einen Raum verlegt, der vom Gesellschaftlichen abgesperrt ist, und in dem keine Rechenschaft abgelegt werden muss. Und dies ist natürlich die Konfliktlinie an der sich die Diskussion über dieses Thema mit hartnäckiger Sicherheit festfährt, nämlich die so genannte Kunstdiskussion. Sie brach auch im Hamburger Schauspielhaus aus, wo das Publikum, hilflos wie immer, Mahler und Co als Nazis beschimpfte, wobei ihnen kühl beschieden wurde, dass es sich nicht um Nazis handle sondern um Kunst. So geht das seit Jahren. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Auseinandersetzung um den Film “Beruf Neonazi”, in dem die Verbreitung der sogenannten Auschwitzlüge, also genauer gesagt die Leugnung der Massenmorde der Deutschen unter den Schutz des Kunstdeckmantels gestellt und der Film somit jeglicher politischen Kritik entzogen wurde.


Asyl der Kunst
Die solchen Vorfällen inhärente These ist, dass Antisemitismus gerechtfertigt sei, oder geduldet werden müsse, wenn er quasi im Asyl der Kunst stattfinde. Antisemitismus sei also Kunst. Diese These möchte ich verstärken, indem ich sie völlig ernstnehme, umdrehe, und behaupte, dass eine bestimmte Form von Kunst präzise antisemitisch sei, und zwar in ihrer Form als Vehikel gesellschaftlicher Normalisierung antisemitischer Affekte. Ich werde also nicht den politischen Inhalt betrachten, sondern die ästhetische Artikulation. Es braucht kaum wiederholt zu werden, dass Walter Benjamin exakt in dieser Kulturalisierung die faschistische Strategie par excellence sah. Die Ästhetisierung des Politischen ist für ihn faschistisch. Sie verhelfe den Massen zum Ausdruck aber nicht zu ihrem Recht. Die Massen zu ihrem Ausdruck kommen lassen: das tat Schlingensief etwa mit seinem Spektakel Chance 2000, und dieser Strategie bedient sich auch Jörg Haider, von dem der Schriftsteller Egyd Gstaettner knapp formuliert: Haider interessiert sich nicht für Politik, er interessiert sich nur für die Darstellung von Politik, also ihre Performance. So auch in Jörgls Snow Show, seinem Geburtstagsspektakel auf einem extra angemieteten Kärntner Berg, bei dem mit Hilfe skifahrender Bärenpuppen ein folkloristisches Disneyspektakel inszeniert wurde, dessen Kulmination darin bestand, dass Haider zu den Klängen der Hippierebellenhymne "Born to be wild" mit einem Motorschlitten in eine Arena brauste. Im gleichen Atemzug gelang es ihm, die Staatschefs Frankreichs und Belgiens so nachhaltig zu beleidigen, dass diese sich umgehend um die Implementierung von EU-Sanktionen gegen Österreich bemühten. Rebellisch, in der Tat. Die Frage ist bloß: Gegen wen?


Ein Witz
Gegen jegliche Kritik verwehrt sich Haider ausgerechnet und penetrant damit, dass in einer Demokratie alles erlaubt sei, und man tolerant mit ihm und seinen Wählern sein müsse. Genau dieselbe Toleranz wird auch von den Schlingensiefkritikern verlangt, die sich die dreiste Naziexhibition ebenso nicht bieten lassen mögen. Was bei Schlingensief die Kunst ist, in der alles erlaubt sei, ist bei Haider die Demokratie. Dabei entsteht eine verblüffende Umkehrung: ausgerechnet die Kritiker der Ressentimentshows werden von Haider und Schlingensief zum intoleranten, humorlosen, undemokratischen und ungebildeten Mob erklärt. In der Kunst sei ebenso alles erlaubt wie in der Demokratie und deswegen seien Kritiker banausische Spielverderber, denn sie würden die reinigende und befreiende Energie von Ironie und Tabubruch nicht verstehen.


Ironie und Tabubruch
Was aber sind Ironie und Tabubruch unter ästhetischen Gesichtspunkten? Laut Freud ist der Witz die perfekte Methode eine nicht erlaubte Aggression zu artikulieren, und zwar unter einem formalen Vorwand. Der Witz bedeutet, einen erotischen oder aggressiven Affekt zu äußern, sich aber danach immer auf die Form des Witzes zurückziehen zu können und es nicht so gemeint zu haben. Der Witz wird also gleichzeitig Einschränkungen umgehen und Lustquellen öffnen. Die Frage ist bloß: Wessen Lust?
Genauso der Tabubruch, der eine Tat symbolisch wiederholt, ohne sie wirklich begangen haben zu wollen, und sich durch ihren therapeutischen Effekt legitimiert. Irgendwie soll das befreiend und gesund sein, für wen ist allerdings die Frage. Die symbolische Wiederholung des Verbrechens, ohne es allerdings so gemeint haben zu wollen, dafür ist Haider Spezialist. Seine wiederholten Einlassungen zur Beschäftigungspolitik und zum Anstand von SS-Männern, sowie Entschuldigungen dafür, die keine sind, weisen ihn als Meister auf dem Gebiet des Tabuspektakels aus. Ähnlich seine antisemitschen Äußerungen, die indirekt verlaufen, im Modus der Anspielung, und über die klassischen Stereotypen von Juden als vaterlandsverratenden Weltverschwörern funktionieren, die selbst am Antisemitismus Schuld seien. Haider braucht das Ressentiment nicht offen zu artikulieren - im Rahmen der Normalität weiß ohnehin jeder, wer gemeint ist. Ariel Muzicant hat Haider mittlerweile wegen seiner "rotzigen unverantwortlichen und antisemitischen" Äußerungen verklagt. Haider verklagte daraufhin Muzicant.

Ironie und Tabubruch funktionieren in dieser Variante als Vehikel der Normalisierung des Ressentiments. Sie machen es sukzessive gesellschaftsfähig, in dem sie ihm eine ästhetische oder therapeutische Verpackung verleihen und somit rätselhafte Lustquellen anzapfen.


Cosa Nostra
Wenn man jetzt aber danach fragt, was eigentlich diese Lust ist und dieser Genuss, die über den Umweg von Kunst und Ironie genossen werden müssen, liegt die Anwort ziemlich nahe: es handelt sich hier um den Punkt tautologischer Leere, den Slavoj Zizek als das "Nationale Ding" bezeichnet hat, eine Bildung einer in diesem Falle völkischen Gemeinschaft, die just dadurch existiert, dass ihre Grundlagen nicht artikuliert werden und eine Leerstelle des Irrationalen bilden. Das Nationale Ding gibt es nicht, es besteht nur aus dem Glauben an die Volksgemeinschaft, und dem Genuss an deren verbrecherischer Intimität. Zizek bezeichnet das nationale Ding lustigerweise als “Cosa Nostra”. Wie diese Gemeinschaft funktioniert, hat die hessische CDU vorbildlich bewiesen, indem sie das Mafia-Geld auf ihren "Schwarzgeld"-Konten8 als "Nachlässe jüdischer Mitbürger" deklarierte, und ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, für ihre hetzerisch-rassistische Anti-Doppelpasskampagne verwandte. Die perfekte Verdichtung des nationalen Cosa-Nostra Dings: rassistischer Sprachgebrauch, antisemitische Parasitenrhetorik, populistische Praxis. Knapper geht es nicht. Ein echter Witz, auf Österreichisch heißt es: a Hetz. Der Genuss an dieser Gemeinschaft findet sich allerdings ständig bedroht, in Walsers Fall durch die "Monumentalisierung der Schande", die durch das Berliner Mahnmal bewerkstelligt werde, in Augsteins konkret antisemitischer Diktion durch ein mysteriöses Weltverschwörungskollektiv von "New Yorker Anwälten", oder aber ganz plump und vage bei Schlingensief, Haider und Co durch humorlose, banausische und undemokratische Spaßverderber.


Diebstahl des Genießens
Die Spaßverderber wollen natürlich nur eins: den Genuss am völkischen Ding stören. Der angebliche Diebstahl des Genießens ist laut Zizek ein Grundmerkmal rassistischer oder antisemitscher Mechanismen. Motto: Sie wollen uns unser Genießen stehlen. Der Andere will uns unser Genießen stehlen, und /oder hat Zugang zu einer geheimen, perversen Art des Genießens. Dabei ist es ziemlich interessant, dass das Genießen des Anderen immer in einem Überschuss besteht. Entweder genießt er zuviel und ist exzessiv, faul, hemmungslos, oder zuwenig, und ist verklemmt, tabuhörig und humorlos. So schreibt Zizek über den Antisemitismus: "Es ist als ob sie (also die Juden) ihr Genießen gerade aus der exzessiven Versagung gegenüber der Lust bezögen, aus ihrem Eifer, die Unfähigkeit, die Dinge leicht zu nehmen, sich zu entspannen und zu genießen."9 Also: wer den Spaßnazis ihre Kunst, ihre ästhetisch normalisierte Version des Genusses am nationalen Ding vermiesen will, verhindert den Genuss an der nationalen Cosa Nostra.


Schlingensiefs Ethnotravestie
Wie postmoderne Mittel wie Ironie, Maskerade und Travestie zur kulturellen Normalisierung des Ressentiments verwendet werden können, bewies Schlingensief in einer geradezu grotesken Ethnotravestie, indem er, als Jude verkleidet, randalierte.
Schlingensief hatte sich mittels angeklebter Ringellocken als Pseudojude aufgetakelt, und marschierte mit seinem Kameraden Kuhlbrodt durch die Straßen von New York.
Zitat Schlingensief:
“Das jüdische Kostüm, das ich bereits im Flugzeug angezogen habe, sorgt in diesem Zusammenhang für Verstörung, und das von Kuhlbrodt entrollte Plakat: ‘Kauft nicht bei Deutschen’ läßt die Sache kurzfristig eskalieren. ‘So etwas geht nicht’, sagt der jüdische Pressesprecher des PS1 Museums, ‘dann werden sie hier erschossen.’ Schlingensief brüllt: ‘Ich bin ein Jude und werde Deutschland versenken! Auge um Auge, Zahn um Zahn.’ Der Pressemann gerät außer Kontrolle, versucht Kuhlbrodt das Plakat aus der Hand zu reißen, wird aber von unserem Fahrer abgedrängt. Wir flüchten in die fast sechs Meter lange, strahlendweiße Stretchlimousine des Goethe-Instituts und verschwinden in der Nacht.”


Ganz locker

Mitten in diesem miserablen Radau findet also eine verblüffende Umkehrung statt: der mit postmodernen ironischen und nicht-identischen Travestiemitteln herumhampelnde Schlingensief benutzt diese Mittel genau um seinen Pseudojuden im Gegenteil als alttestamentarisch verstockt, fundamentalistisch und rachsüchtig darzustellen. Der Jude hat keinen Humor, er kann die Shoah nicht locker nehmen, er kann sich nicht entspannen und genießen, sondern droht damit, Schlingensief ganz undemokratisch zu erschießen. Gott sei Dank bewahrt die strahlendweiße sechs Meter lange Limousine des Goethe-Instituts Schlingensief davor, ein bemitleidenswertes Opfer des jüdischen Fundamentalismus zu werden und deren Fatwa zu erliegen. Im Zweifelsfall funktioniert der Rückzug ins deutsche Kulturgut immer prächtig.

Diese Strategie der Diffamierung wurde auch in der sogenannten Walserdebatte gegen Ignatz Bubis angewandt, der einfach nicht locker und tolerant genug sei, das multikulturalistische und pluralistische Zusammenleben von Opfern und Tätern vorurteilsfrei zu akzeptieren und in seinem hysterisch-subjektiven Ressentiment und blinder Selbstethnisierung gefangen sei. Genau dasselbe passierte Daniel Goldhagen, dem man ebenfalls vorwarf, subjektiv und befangen zu sein, und daher einfach nicht objektiv genug sei für den wissenschaftlichen Diskurs, während dies für die Tätergeneration und deren Nachkommen selbstverständlich vorausgesetzt wurde. Und genau dasselbe passierte natürlich auch dem Radioreporter des israelischen Rundfunks, der Haider in dessen infamer Pressekonferenz mit seinem Assistenten Schüssel der Kooperation mit Nazis zieh. Haider ganz kühl: Er verstehe nicht, wieso man nicht normal und unbefangen miteinander reden könne, dies sei schließlich in einer zivilisierten Demokratie so Brauch.
Leute wie Schlingensief, Dohnanyi, Haider und Co inszenieren sich also als locker, kosmopolitisch, demokratisch, konfliktfähig und hemmungslos bereit, Ambivalenzen auszuhalten10 im Vergleich zu ihren intoleranten und verklemmten Gegnern. Dies tun auch Leute wie Walser und Botho Strauss, die sich als verfolgte Minderheit inszenieren, welche nun vor Kühnheit zitternd den Tabubruch begeht, weil ihnen eine fundamentalistische Phalanx von Spaß- und Spielverderbern entgegenstarrt. Sie tun allesamt als seien sie Salman Rushdie. Mittlerweise ist diese Strategie sogar bei den bislang eher humorlosen Altnazis angekommen: Bei ihrem kürzlich erfolgten Aufmarsch gegen das Berliner Mahnmal fingen sie in klassisch postmodern ironischer Manier an, die Polizei mit "Nazis raus" zu beschimpfen.

Die sogenannte Normalität konstituiert sich also aus einer spezifischen Verschränkung zwischen Tabubruch und Mainstream, durch die das antisemitische Ressentiment durch ästhetische oder therapeutische Eingriffe gesellschaftsfähig gemacht wird.
Wie um diese Interpretation von Normalität unter Beweis zu stellen, forderte der Grabschänder Meir Mendelssohn das Publikum auf dem 2. Internationalen Kameradschaftsabend in Berlin auf, doch mal ganz locker und entspannt das Wort “Judensau” auszusprechen:
“Versuchen Sie mit mir, das Wort ›Judensau‹ zu sagen, ganz normal und natürlich!”
Schlingensief verteidigte Mendelssohn mit der Bemerkung, dass dieser sich schließlich nur um eine gewisse Normalität ohne Berührungsängste bemühe.
Andreas Nachama, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, erstattete Strafanzeige gegen Schlingensief und den Mitveranstalter Alexander Kluge. Es wird nicht ausbleiben, dass Nachama unterstellt wird, dass er humorlos und verklemmt sei und doch mal locker sein solle, genauso, wie Haider jetzt das ihm gegenüber kritische Frankreich als "Kultur der Intoleranz" beschimpft. Gleichzeitig meinte er, dass man "irgendwann auch mal aus der Vergangenheit ausbrechen können müsse, sowie Bundeskanzler Schröder das erfolgreich vorgemacht hätte", womit er Schröders Auffassung geschichtsverdrängender Normalität völlig richtig gedeutet hat. Der neue österreichische Bundeskanzler Schüssel hingegen vertraut auf die Kraft der "Normalisierung", was die internationale Ausgrenzung Österreichs betrifft.11 Wie immer koexistiert der postmoderne antisemitische Normalisierungsdiskurs mit grobschlächtigeren und altmodischeren Formen. Eine rabiatere Methode, sich über die sogenannte Intoleranz der EU zu beschweren, fand ein anonymer Anrufer aus Österreich, der das EU-Parlament während seiner Sondersitzung mit einer Bombendrohung bedachte.


Neu und alt
Es ist also so, wie ich oben schon behauptete: völkische Denkmuster kollaborieren problemlos mit Formen postmodern-globaler Kultur. Auch zu diesem Punkt äußerte sich Haider in der Presseerklärung zur blauschwarzen Koalitionsvereinbarung. Gerade in globalisierten Zeiten müsse ein heimeliges Lokales geboten werden. Dies tut er auf gänzlich altmodische Weise, indem er den antikolonialen Kämpfer gegen die EU-Fremdherrschaft gibt, genauso wie die NPD dies in Deutschland vormacht.12 Dafür sekundiert sein Kamerad Schüssel, dass die Gegner von Schwarz-Blau ja nur zu hasenfüßig seien, um sich den großen Reformen und Erneuerungen zu stellen, die in Österreich jetzt nötig seien um das Land für eine globale Wirtschaft fit zu machen. Die Gegner hätten Angst vor dem Neuen. Der Mut zum Neuen und die neoliberale Reform bei gleichzeitiger brachialer Rehabilitation der Vergangenheit werden penetrant von Schwarz-Blau besetzt. Präzise buchstabiert es ein Kärntner Landtagsabgeordneter von der FPÖ. Das Wort Nazi sei so zu verstehen: “N für neu, a für attraktiv, z für zielstrebig, i für ideenreich.”13 Neoliberalismus und völkische Ideologie werden auf dem Kultursektor durch postmoderne Mediatisierung bei gleichzeitiger Heimattümelei flankiert. Genauso handelt es sich beim Zusammenspiel von traditionellen und postmodernen Antisemitismen um geschickte Doppelpasskombinationen zwischen verschiedenen Stilrichtungen, etwa der des wenig expliziten Haider, seines rabiaten Kollegen Mölzer, der die Shoah gerne mal als “Dogma” und “Mythos” bezeichnet, oder gar Sichrovskys, der Muzicant als “Berufsjuden, der tote Verwandten ausnutzt” beschimpft hat.


Vom Pop zum Populismus
Aber zurück zur postmodernen Komponente des Ressentiments, die durch Teile der FPÖ genauso vertreten wird wie durch Schlingensief. Was haben Pop und Populismus miteinander zu tun? Beide, Schlingensief und Haider, sind Parodisten. Schlingensief parodiert den postmodernen Medienbetrieb, Haider das postmoderne Politikmanagement. Haider mixt politische Drifts von links bis rechts. Von Tony Blair, sagt er, unterscheide ihn nur der Name.14 Und tatsächlich bedient seine Linie sowohl die Globalisierungsverlierer, die sogenannten kleinen Leute, durch rassistische und protektionistische sozialstaatliche Maßnahmen wie den Kinderscheck15, als auch die Unternehmer, durch das Versprechen neoliberaler Modernisierung und Entstaatlichung. Das einzige, worauf man sich bei Haider felsenfest verlassen kann, ist dass er Interessenpolitik für Eingeborene betreibt: eine klipp und klar definierte völkisch-neoliberale Politik, Biopolitik für Weiß-Österreich, wie Uwe Mattheis es nennt.
Und genau das ist das Aquivalent zu einer Attitüde künstlerischen Tabubruchs, die Pop und Antisemitismus prächtig miteinander in Einklang bringt. Der Faschismus werde als postmoderne Kolportage aus Kitsch und Tod aus dem politischen Bereich in den metaphysischen eines Exorzismus finsterer Triebe entrückt, schreibt Saul Friedländer schon 1982. Kitsch und Tod bleiben jedoch auch in Schlingensiefs Grabschänder-Talkshow die bestimmenden Prämissen der Inszenierung. Dort erscheint die nackte Realität des Todes, als antisemitische Grabschändung “vergegenwärtigt”, als brutale Befleckung durch das Reale, in dem Regression und Genießen ineinander kollabieren. Der Nazismus erscheint als das verführerische “Zentrum der Entfesselung aller unterdrückten Affekte”16, und diese Vorstellung kann selbst dann nicht getrübt werden, wenn es sich bei dessen Vertretern um die maßlos unattraktiven Herren Oberlercher17 und Mahler handelt.

Der Fleck auf dem Tuch, der die Grabschändung “vergegenwärtigen” soll, ähnelt auf verblüffende Weise jenem blinden Fleck, den Lacan in seiner Analyse des Blicks beschreibt. Dieser blinde Fleck ist jener, der in jedem Blickfeld liegt, und in dessen Bereich man konsequenterweise nichts sieht als eben jenen schwarzen Fleck. Von dort aus, so Lacan, sieht einen umgekehrt das Bild an “...und sagt: Siehst du, in diesem Detail steht deine Wahrheit geschrieben, dieses Detail umrahmt die Stelle, von der aus du die Welt betrachtetst, es strukturiert den Horizont innerhalb dessen die Dinge für dich Bedeutung haben.”

Mit einem Wort: von diesem schwarzen Fleck aus konstituiert sich alles, was als Normalität erscheint. Der schwarze Fleck ist kein Detail, es ist der unsichtbare Rahmen des Normalen.18 Und in Schlingensiefs Fall ist es dieser schwarze Fleck, der dessen ressentimentbeladene Normalitätskonstruktion rahmt und ihr erst Sinn und Bedeutung verleiht. Und, vom ästhetischen Raum in den politischen übertragen, bedeutet das, dass die bundesdeutsche Realität ihre Normalität erst in dem Augenblick erblickt, in dem Meir Mendelssohn Bubis’ Grab schändet. Und von seinem Akt aus versteht sie sich als demokratisch, kosmopolitisch und postmodern, und vor allem: als hemmungslos normal.

Es ist also keineswegs nötig, den Balkan zu bemühen, um die Verbindung völkischer Stammespolitik und neoliberaler Postmoderne zu belegen. Genau diese Verbindung ist sowohl in Deutschland als auch in Östereich in jeweils unterschiedlicher Gewichtung nachweisbar. Sowohl Kunst als auch Demokratie werden als national befreite Zonen frei flutender, lockerer und entspannter Gehässigkeit beansprucht und als pure Spektakel depolitisiert, wobei hier deutlich gesagt werden muss, dass die angestrebte Durchsetzung dieses Ziels im österreichischen Kulturbetrieb erst jetzt in Form mannigfaltiger Repressionen begonnen hat. Diese Repression artikuliert sich entweder als purer Formalismus, als bürokratische Schikane oder aber als neoliberaler Budgetzwang. In Deutschland, wo der Kulturbetrieb schon seit den 80er Jahrren dereguliert wird, ist die bürgerliche Aufklärung schon lang überwunden: der Genuss am völkischen Ding verkleidet sich in postmoderne Formen, in Ironie, als Affirmation des Neuen und der Reform. Trotz aller lokalen Unterschiede ist den postmodernen Artikulationen des Antisemitismus eines gemein: Tabubruch und populistisches Spektakel verketten sich - im Dienste der Normalität. Das ist der gemeinsame Nenner des sog. Haider-Schlingensief-Paktes. Und leider nimmt Österreich zumindest im politischen Bereich eine Avantgardestellung ein, da sich neoliberaler Abbau "bisheriger sozialer Tabus" ganz prächtig mit einem neoliberalen Rassismus vertragen werden, in dem MigrantInnen nur noch als prima auszubeutende SaisonarbeiterInnen einreisen können. Insofern steht das Modell Haider jetzt schon Pate für ein Modell Europa, da auch Innenminister Schily sich umgehend dazu veranlasst sah, seinerseits Zuzugsbegrenzungen zu fordern.

Mit einem Wort von Walter Benjamin: der spektakelhafte und depolitisierte Ausnahmezustand antisemitischer und auch rassistischer Feindseligkeit konstituiert die Regel europäischer Normalität. Normalität bedeutet die Verschränkung von Pop und Populismus, von Neoliberalem und Völkischem, von Postmoderne und Gewalt, mitsamt ihren altmodischen Vorgängerformen. Diese Regel muss gebrochen werden. Der Internationale Kameradschaftsabend befreit höchstens ein paar völkische Triebe. Aber die Forderung nach der wirklichen Befreiung muss anstattdessen lauten: Internationale Brigaden gegen Österreich.



Epilog: Überwachen und schlafen

Im Sommer 2000 richtete Christoph Schlingensief im Rahmen der Wiener Festspielwochen ein Performanceprojekt aus. Es hieß "Bitte liebt Österreich" und wurde als das "Containerprojekt" bekannt. Das Konzept sah vor, dass etliche "Asylanten" in einen Container gesperrt, und dort, nach dem Modell der Fernsehserie Big Brother unter permanenter Überwachung gehalten würden. Im Internet konnten diese Bilder besichtigt werden. Zudem konnte dort per Mausklick darüber abgestimmt werden, welche Insassen abgeschoben werden sollten. Den Übriggebliebenen drohte die Hochzeit mit einem/r Eingeborenen. Das Projekt löste erhebliche Verwirrung aus. Sowohl Rechte als auch Linke wandten sich entschieden gegen die Abschiebeperformance - allerdings aus völlig unterschiedlichen Gründen. FPÖ-Politiker forderten den Subventionsentzug für die ihrer Meinung nach unbefriedigende Kunstdarbietung. Linke waren empört über Schlingensiefs zynischen Umgang mit Rassismus und seine Reproduktion rassistischer Mechanismen. Wenige Tage vor Beendigung der Aktion wurde der Container schließlich von linken DemonstrantInnen gestürmt. Schlingensief zeigte sich außerordentlich zufrieden mit der Statisterie, die ihm gewissermaßen kostenlos zugelaufen war. Allgemein wurde die Aktion als gelungen bewertet, da sie zu einer breiten Diskussion geführt habe.

Dieser Ansicht kann ich mich keineswegs anschließen. Jedes Land kriegt den Skandal, den es verdient. Und wenn es ein Land mit weit verbreiteter Idiotie ist, kriegt es eben auch einen idiotischen Skandal. Irgendwie ist das sogar gerecht. Schlingensiefs Aktion hat sicherlich zu einer Diskussion geführt. Die Frage ist nur: zur Diskussion von was?

Es ist in diesem Rahmen zunächst interessant, den Einsatz ironischer Mittel innerhalb dieses Projekts weiterzuverfolgen. Eine weitverbreitete Ansicht lautete etwa, dass die Aktion den real existierenden Rassismus ironisch überzeichne und ihn somit zur Darstellung bringe. Diese Vorgehensweise sei somit subversiv und damit irgendwie kritisch. Der Begriff der Subversion setzt allerdings voraus, dass sich erstens etwas gewissermaßen umdrehen lässt und zweitens, dass es, wenn es dann umgedreht ist, anders aussieht als vorher, gewissermaßen seine Rückseite oder aber seine heimliche Wahrheit enthüllt. Demgegenüber glaube ich, dass weder die verschiedenen rassistischen Register, noch die plebiszitäre Seifenoper Big Brother, um in diesem Bild zu bleiben, eine Rückseite haben. Die Rückseite schaut genauso aus wie die Vorderseite. Eine ironische Wendung dieser Gegenstände der Betrachtung erzeugt keinerlei Differenz in ihrer Erscheinung, sondern nur eine Wiederholung, eine Reproduktion derselben Ansicht. Das Problem ist: sie enthalten kein verborgenes Geheimnis, das in aufklärerischer Absicht enthüllt werden könnte, wie es die Tradition ironischer Kritik vorsieht. Alles liegt offen. Alles ist bekannt. Sie sind gewissermaßen nicht pervertierbar, da sie schon pervers sind.

Es ist allerdings falsch, im Falle des staatlichen Abschiebeterrorismus davon zu sprechen, dass alle Vorgänge offen auf dem Tisch lägen. Das Gegenteil ist der Fall. Kurz vor Schlingensiefs Spektakel starben mehrere Afrikaner in Polizeigewahrsam unter dubiosen Umständen. In einer herzzerreißenden Pressekonferenz sprachen VertreterInnen der African Community von ihrem berechtigten Misstrauen gegenüber den Erklärungen der staatlichen Stellen. Es waren nicht besonders viele Journalisten anwesend, die Hälfte von ihnen kam aus dem Ausland. Der Tod mehrerer Menschen war keineswegs hinreichend um jene Diskussion auszulösen, die später anhand von Schlingensiefs Simulakrum losgetreten wurde. Was diese Diskussion betrifft, kann also festgehalten werden, dass reale rassistische Verbrechen offensichtlich nur den Vorwand darstellten, um eine Debatte über die Freiheit der Kunst anzuzetteln. Dass jene Freiheit der Kunst allerdings auch in dialektischer Beziehung zur ästhetischen Normalisierung des Ressentiments steht, wurde oben ausgeführt. In der Diskussion über das Containerprojekt wurde Rassismus also nur in Form einer ästhetischen Debatte angesprochen und dessen politischer Aspekt zum Ornament reduziert. Und das führt mich zu der Kritik einer Hierarchie der Sichtbarkeit, die an diesem Projekt evident wurde.

An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass nach dem Bombenanschlag auf Heinz Galinskis Grab auch von Vertretern der Jüdischen Gemeinde eine Videoüberwachung für jüdische Friedhöfe gefordert wurde. Diese Konstellation war für mich zunächst ziemlich verstörend. Schließlich ist in der bürgerlich liberalen Sichtweise Überwachung ein Beispiel für die Beschneidung von Bürgerrechten. Wie kann nur so etwas gefordert werden, fragte ich mich. Spätestens mit der Ausstrahlung von Big Brother wurde aber deutlich, dass es heutzutage keine Bestrafung, sondern im Gegenteil ein Privileg darstellt, überwacht zu werden. Warum sonst reißen sich Leute darum, sich stetiger öffentlicher Beobachtung auszusetzen? Die Antwort ist einfach: überwacht wird nur jemand, der es sich leisten kann, oder jemand, den die Gesellschaft für schützenswert bzw. attraktiv hält. Der Rest ist unwert, vogelfrei. Es ist leider ein Faktum, dass es gegenwärtig eine Gefahr für Lebende und Tote darstellen kann, nicht überwacht zu werden. Es bedeutet, nicht einmal eine Chance auf Schutz vor Gewalt zu haben. Überwachung, so meine These, ist stark hierarchisiert, und bedeutet auch Privilegiertheit und Sicherheit. Es bedeutet, nicht wie früher, einer Strafe ausgesetzt zu werden, sondern im Gegenteil, ruhig schlafen zu können, ohne dass eventuell ein Molotowcocktail durchs Fenster fliegt. “Die Wut entlädt sich auf dem, der auffällt ohne Schutz” schreiben Adorno und Horkheimer.19
Überwacht wird entgegen einem populären linken Mythos nicht primär das, was eine Gefahr darstellen könnte, sondern das, was davor geschützt werden soll. Und so funktionierte auch Schlingensiefs Containershow: als Schutzmaßnahme für die Kunst in ihrer Funktion als bourgeoise Lustbarkeit. Worauf die gesamte öffentliche Aufmerksamkeit konzentriert wurde, war die bürgerliche Funktion der Kunst als Freigehege verpönter Regungen, gewissermaßen als Reservat des Ressentiments. Es ist unnötig anzufügen, dass es sich hierbei um einen extrem verengten Kunstbegriff handelt, der Kunst im Prinzip mit verdrängten Bedürfnissen gleichsetzt: also naturalisiert. Auf dieses, ja fast muss ich sagen, Naturschutzgebiet, konzentrierten sich die Überwachungsmaßnahmen und tatsächlich ging es in der Diskussion weit mehr um die unter dem Begriff Freiheit20 gefasste Naturalisierung der Kunst als um etwas anderes.

Was hingegen eigentlich überwacht werden müsste, weil sich dort allwöchentlich Verbrechen und Misshandlungen ereignen, sind die Zellen der österreichischen Gefängnisse. Dort ist allerdings keine einzige Kamera installiert, die öffentlich Zeugnis über die dort stattfindende Gewalt ablegen könnte. Diese Hierarchisierung öffentlicher Überwachung, oder allgemeiner gesprochen, Aufmerksamkeit erinnert mich auch an Aussprüche von Politikern, denen zufolge zum Schutz gegen Nazianschläge schließlich nicht neben jede Wohnung von MigrantInnen ein Polizist gestellt werden könne. Oder an die gleichlautenden Begründungen, wieso eine ganze internationale Armee, nämlich die KFOR, sich außerstande sieht, die Gewalttaten gegen im Kosovo lebende Minderheiten zu unterbinden. Die Ressourcen werden einfach an anderer Stelle eingesetzt - nämlich für den Schutz von Objekten, die für schützenswert gehalten werden. Statt der Brennpunkte des vehementen österreichischen Rassismus wurde entlang dieser Logik also ein Theatercontainer überwacht. Die öffentliche Aufmerksamkeit bündelte sich auf die Frage, was Kunst dürfe, und dass sie das dürfen solle, was die schweigende Mehrheit sich nicht zu dürfen traut. Nicht aber auf die Frage, warum Polizisten ungestraft, unbehelligt, und gänzlich unbeobachtet Menschen misshandeln dürfen. Insofern ergab sich eine interessante Dialektik von exzessiver Sichtbarmachung der Bühne einer Selbstinszenierung bei gleichzeitiger fast totaler Unsichtbarkeit jener Orte, an denen Rassismus oft tödliche Wirkungen hat. Womit wir wieder bei der These der Kulturalisierung des Politischen wären.

Ach so. Ob die Diskussion in Österreich etwas bewirkt hat? Ja: zum Beispiel das unsägliche und unerträglich oft wiederholte Diktum, dass ‘wir’ ‘uns’ anhand des Containerprojekts mit ‘unserem’ Rassismus auseinandersetzen müssten. Wen meinen diese Leute eigentlich mit ‘wir’? Mich jedenfalls nicht. Und auch nicht meine Brüder und Schwestern in der African Community, von denen ich oben sprach. Sie identifizieren diesen Ausspruch genau mit jener kuscheligen Volksgemeinschaft, unter deren Patronage seit Jahren ein heimlicher und unausgesprochener Bürgerkrieg tobt. Eine widerlich intime Gewalt, fern öffentlicher Anteilnahme; Gewalt, die isoliert ist, und unsichtbar gemacht wird. Eine exzessive Intimität des Terrors im Gegensatz zum jenem Terror der Intimität, der die exzessive Veröffentlichung der Privatsphäre privilegierter Spaßkörper regelt. Gewalt der Unsichtbarkeit und des Schweigens, der Herrschaft jenes “kältesten plattesten Todes”, den Hegel als Folge eines freigelassenen Schreckens benennt. Gewalt gegen Juden und Jüdinnen. Gegen people of color, Migranten und Migrantinnen, gegen Menschen, die von der körperlichen Norm abweichen, gegen Obdachlose und insgesamt gegen all jene, deren Körper jenes Schlachtfeld darstellt, auf dem eine gewalttätige Normalität zu wüten nicht aufhört.

Filme erhältlich bei discinema. Fax: 004989-244348443, email: hito.steyerl@hff-muenchen.mhn.de



1 SZ 2.02.00 Uwe Mattheis.

2 Ebd.

3 Z.B.: National Disco, Katja Diefenbach, Jungle World 7.7.99.

4 Die Zukunft des Balkans, Interview mit Slavoj Zizek und Zoran Djindjic, Süddeutsche Zeitung Magazin 27.8.99, S.15.

5 Der Begriff “retroaktiv” wird von Slavoj Zizek benutzt um die Wirkungsweise des Symptoms zu beschreiben. Dieses sei eine Wirkung, die ihrer Ursache vorausgeht, es ist “die Spur einer zukünftigen Wahrheit”. In: Slavoj Zizek, Liebe Dein Symptom wie dich selbst, Berlin 1991, S10.

6 Nummer 1: Hamburger Schauspielhaus, 3.10.99, Nummer 2: Volksbühne Berlin, 23.11.99.

7 Die Tradition der Wiener Aktionisten besteht vordringlich aus dem transgressiven Herumsauen mit unappetitlichen Substanzen. Die rituelle Befreiung der Triebe steht darin im Vordergrund.

8 Die rassistische Konnotation dieses Begriffs ist von schwarzen Frauen unermüdlich herausgestrichen worden, siehe: Farbe bekennen, Hg. Ayim Oguntoye, Schulz 1986.

9 Slavoj Zizek, Genieße Deine Nation wie Dich selbst! Der Andere und das Böse - Vom Begehren des ethnischen “Dings”; in: Joseph Vogl, Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen, Frankfurt/Main 1993, S.133-164; hier S.140.

10 Berufe mich bei allen Beschreibungen von Schlingensiefs verschiedenen Shows auf Rohloff, konkret 1/2000. Als Beleg seiner “Toleranz” prahlt Haider etwa damit, dass er gnädigerweise den Sohn des letzten Kärntner Landesrabbiners eingebürgert habe, oder mit Peter Sichrovskys Mandat im europäischen Parlament. Weniger locker zeigt er sich, wenn es um seinen Grundbesitz, das sogenannte Bärental geht. Dieses sei, so Haider, nicht zu seinen Gunsten “arisiert”, sondern lediglich “entjudet” worden.

11 Der Standard, 5.2.2000 APA Meldung.

12 Zum antikolonialen Jargon der NPD gegen die “Fremdbestimmung” durch “jüdische Weltverschwörer” und “Amerikaner”, siehe Dialogliste des Films Normalität 6.

13 Beispiel dafür ist etwa der Kurswechsel der FPÖ in Sachen EU-Osterweiterung. Diese sei schon ok, wenn auch die Heimatvertriebenen entschädigt würden.

14 Diese Stelle paraphrasiert den ausgezeichneten Text von Uwe Mattheis, Die Politik der Gang, SZ 7.10.99.

15 Der Kinderscheck bundesweit und in Kärnten im Wahlkampf versprochen, sollte jeder Kärntner Mutter für jedes Kind bis zum sechsten Lebensjahr über 800DM monatlich bringen. Das bundesweite Wahlplakat versprach diese Summe explizit für “Österreichische Muetter”. Siehe auch Michael Frank in der Süddeutschen Zeitung 1.2.00, S3 .

16 Vgl. Saul Friedländer, Kitsch und Tod. Der Widerschein des Nazismus, München 1984.

17 Reinhold Oberlercher, Studienrat der Neuen Rechten, einstmals “die rechte Hand von Rudi Dutschke” im SDS, meinte etwa, das Reich sei in seinen alten Grenzen wieder herzustellen.

18 Prima Erklärung dieses verzwickten Sachverhalts von Stephan Gregory unter http://members.tripod.com/politesse/lacan.html.

19 Theodor.W. Adorno/ Max Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt/Main 1988, S180.

20 In einer berühmten Passage fasst G.W.F. Hegel die dialektische Beziehung zwischen abstrakter Freiheit und Terror. Phänomenologie des Geistes, S.436, Frankfurt/Main 1986: “Das einzige Werk und Tat der allgemeinen Freiheit ist daher der Tod, und zwar ein Tod, der keinen inneren Umfang hat, denn was negiert wird, ist der unerfüllte Punkt des absolut freien Selbsts; er ist also der kälteste, platteste Tod, ohne mehr Bedeutung als das Durchhauen eines Kohlhaupts oder ein Schluck Wassers.”