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The rebel/Der Rebell |
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USA |
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Die Macht dem Volke! - Der Prozess von BuffaloEs ist Sonnabend, der 28. Oktober 1978, auf dem Flugplatz von Minneapolis landet die viermotorige Linienmaschine aus Los Angeles mit über 100 Passagieren an Bord. Einer von ihnen will am darauffolgenden Tag in der örtlichen Universität einen Film vorstellen, der im vielgepriesenen "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" nicht gerne gesehen ist. Es geht um den im Vorjahr fertig gestellten Film El Cantor, der die letzten Tage des chilenischen Volks- und Protestsängers Victor Jara schildert und in vielfältiger Form die Verknüpfungen zwischen der chilenischen faschistischen Junta und der US-amerikanischen Regierung unter Präsident Nixon aufzeigt. Klar, dass die Behörden in Minneapolis so eine Filmvorführung nicht gerne in ihrer Stadt haben, denn er ist dafür gemacht worden, den Menschen die Augen zu öffnen, ihnen zu zeigen, dass das Streben nach Macht und Profit einiger weniger Menschen und ihrer "ausführenden Organe" in den Regierungen vor keiner Schweinerei Halt macht. Gleichzeitig aber ist der Film eine Hommage an den viel geliebten Sänger und Kämpfer für ein demokratisch-sozialistisches Chile, eine angemessene Ehrung für Victor Jara und seine Lieder. Deshalb hat sich der Passagier auch auf einige Unannehmlichkeiten eingestellt. Doch das, was ihm in den nächsten 16 Tagen widerfährt, hat er sich nicht im Traum ausmalen können. Dean Reed, Friedenskämpfer, Sänger, Schauspieler und Regisseur, soll den Kapitalismus und seine unbarmherzige Maschinerie am eigenen Leibe erleben. In einem winzigen Nest namens Delano, nahe der 6.000 Einwohner großen Kleinstadt Buffalo, sind am Tag nach der Filmvorführung viele Menschen auf den Beinen. Der Grund dafür sind die Proteste gegen die Machenschaften des Energiekonzernes "North West Coal Company". Auf dem weiten Land, auf dessen Prärien einst Indianer der Stämme der Algonkin und Sioux ihre Jagdgründe fanden, grasen heute große Schaf- und Rinderherden. Dort, wo der Boden am fruchtbarsten ist, finden sich riesengroße Felder, auf denen Soja und Getreide angebaut werden. Immer wieder haben sich in dieser Region und in anderen Gegenden der USA Energie- und Agrarkonzerne mit Unterstützung der Justizbehörden unberechtigt das Land der Farmer angeeignet, um dort ihre profitbringenden Überlandleitungen, Kraftwerke und Agrarfabriken zu errichten. Wer nicht freiwillig sein Land an die Profitgeier verkauft, wird verhaftet, gedemütigt und letztlich vertrieben. An dem Ort, wo kurz zuvor wieder einmal einige Farmer vertrieben worden sind, findet die Protestkundgebung statt. Die Organisatoren wollen dort ihr in der Verfassung der Vereinigten Staaten verbrieftes Recht auf Demonstrationsfreiheit wahrnehmen. Dean wurde von Freunden gebeten, die Demonstration zu unterstützen und dort zu singen. Er macht sich deshalb mit Freunden auf den Weg von Minneapolis nach Delano. Doch nicht nur er will den kämpfenden Farmern zur Seite stehen. Hunderte von Farmern aus der Umgebung und Arbeiter, Intellektuelle und Studenten aus Minneapolis und der Hauptstadt St. Paul treffen am Kundgebungsort ein. Sogar einige für ihre Rechte kämpfende Indianer haben sich, mit ihrem populären Führer Clyde Bellecourt, erstmals mit den Farmern solidarisiert. Auch sie haben in den Reservationen die Willkür der großen Konzerne und der Behörden erlebt. Die Protestaktion verläuft planmäßig. Es werden Reden gehalten und Schilder mit der Aufschrift "No nuclear" und "Power to the people" hochgehalten. Die Stimmung ist gut, und als Dean zu seiner Gitarre greift und "We shall overcome" und all die Lieder, die von Freiheit und Menschlichkeit erzählen, von dem Recht auf Leben und Arbeit, von der Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit, anstimmt, spüren alle Anwesenden die Stärke der Solidarität. Alle? Nein! Da sind noch fast einhundert mit Schlagstöcken bewaffnete und mit Helmen geschützte "Ordnungshüter", die aus Buffalo in 49 Polizeiautos angereist sind. Als die Kundgebung endet und die Protestierenden geordnet ihren Rückzug antreten, wittern sie ihre Chance und walten ihres Amtes. Sie springen aus ihren Autos und prügeln wild auf die Demonstranten ein. Die Transparente und Schilder werden zu Boden gerissen, Teilnehmern und Teilnehmerinnen die Arme auf den Rücken gedreht und zwanzig von ihnen an den Händen mit Plast-Kabelbinder gefesselt und abtransportiert. Dean ist einer von ihnen. Die Stimmung im Gefangenentransportwagen ist gut. Lieder werden gesungen und ein junger Student trägt entscheidend zur kämpferischen Stimmung bei. Er kann sich geschickt aus seinen Plastikfesseln befreien und hebt plötzlich zur Überraschung aller seine rechte Hand und ballt sie zur Faust. Einer hat ein Messer dabei und dann werden schnell alle Fesseln durchschnitten. Als die Verhafteten auf dem Hof des Wrigh-County-Gefängnisses in Buffalo, der kleinen Stadt westlich von Minneapolis, aus dem Transportwagen getrieben werden, ziehen die drei Frauen und sieben Männer klatschend und singend über den Gefängnishof. Ihre Reise endet in einer der widerwärtigen Gefängniszellen, die aus einem stählernen Käfig bestehen und weiter nichts enthalten als rostige Bettgestelle, ein paar Decken und eine Toilette. Doch die Verhafteten sind nicht mutlos! Noch in der gleichen Nacht beschließen sie aus Protest gegen die willkürliche Verhaftung und um die Öffentlichkeit auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, in den Hungerstreik zu treten. Hungerstreik, das bedeutet, ab sofort wollen sie keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen und dies bis zur Entlassung aus dem Gefängnis oder bis zu ihrem Tode fortsetzen. An dieser Aktion beteiligen sich außer Dean noch neun weitere Mitgefangene. Die anderen zehn Verhafteten lassen sich am nächsten Tag gegen die Zahlung einer Kaution von je 1.000 Dollar entlassen. Das ist notwendig, weil sie sonst ihren Arbeitsplatz verlieren würden. Dean hat diese 1.000 Dollar nicht, aber es wäre für ihn ein Leichtes, sie unter seinen Freunden zu sammeln. Doch er denkt nicht daran, für eine so zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit den Justizbehörden noch Geld in den Rachen zu schmeißen. Für ihn und die anderen Gefangenen kommt es jetzt darauf an, mit einer aufsehenerregenden Aktion die Unterstützung der Staatsmacht für die Interessen der Energiekonzerne an den Pranger zu stellen. Deshalb erklären die Verhafteten als Zweites, dass sie sich ab sofort als politische Gefangene betrachten. Deans Freunde aus Minneapolis engagieren den Rechtsanwalt Kenneth Tilsen, organisieren Protestaktionen vor den Gefängnistoren und mobilisieren die Presse. Es entfaltet sich eine fast beispiellose Solidaritätswelle. Tausende Telegramme, Protestschreiben, Unterschriftenlisten und Telefonanrufe erreichen den Gouverneur Perpich in Minnesotas Hauptstadt St. Paul und Präsident Carter im Weißen Haus in Washington. Es protestieren Prominente wie Joan Baez, Pete Seeger, Dimitri Schostakowitsch und Gisela May für die Freilassung der Inhaftierten. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht der Name Dean Reed in den Meldungen der großen internationalen Nachrichtenagenturen zu finden ist. AP, ADN, CTK, Reuter, TASS und UPI schicken ihre Berichte in die Welt. Die Presseorgane der DDR berichten fast täglich. Jetzt macht Dean auch dort Schlagzeilen, wo er bisher von der Presse wie eine Unperson behandelt wurde. "Der Rote Elvis" ist in aller Munde, und der Chefreporter des "Minneapolis Star" schreibt: "(...) hat die Nachricht von seiner Verhaftung die Proteste von prominenten Persönlichkeiten und sogar von Regierungen hervorgerufen".
Am 3. November telefoniert Dean aus dem Gefängnis mit der ADN-Korrespondentin Ilse Schäfer in
Washington:
Victor Grossman, Deans Landsmann, Dolmetscher und Freund, äußert sich in der Ausgabe der
am 9. November in Berlin erscheinenden Zeitung der FDJ "Junge Welt" zu Deans Verhaftung: Einigen Gefangenen geht es gesundheitlich nicht gut. Deshalb fordert der Anwalt die Anstaltsleitung auf, die Häftlinge vom Anstaltsarzt untersuchen zu lassen. Statt eines persönlichen Besuches lässt er verantwortungslos an die Gefangenen Antibiotika verteilen. Elf Tage lang lassen die Behörden die Gefangenen schmoren, bis ihnen der Prozess gemacht wird. Für die Hungerstreikenden ist dies eine lange Zeit, aber für die allgemeinen Verhältnisse in den USA eine ungewöhnlich kurze Zeitspanne. Am Mittwoch, dem 8. November, beginnt endlich der Prozess im Bezirksgericht von Buffalo. Schon im Vorfeld der Verhandlungen gab es einen Eklat: Der Vertreter der Anklage, der Bezirksstaatsanwalt William McPhail, hatte wiederholt verleumderische Bemerkungen über die Angeklagten in die Öffentlichkeit getragen. In den Nächten zuvor wurden Flugblätter mit hetzerischen Inhalten in mehren Stadtteilen Minneapolis verteilt, um die Bevölkerung gegen die Protestler aufzubringen. Auf Grund öffentlicher Proteste musste er suspendiert und durch einen anderen Staatsanwalt ersetzt werden. Dem verantwortlichen Richter Harold Dahl sollen 12 Geschworene zur Seite stehen, die nun gewählt werden. Der Staat wird vertreten von Staatsanwalt Thomas Price. Einer der 20 Angeklagten, ein 13-jähriger High-School-Absolvent, wird aus dem Prozess ausgeklammert und an das Jugendgericht verwiesen. Viel mehr tut sich an diesem ersten Verhandlungstag nicht, die Verlesung der Anklage wird für den nächsten Tag angekündigt. Der Staatsanwalt verdeutlicht am zweiten Verhandlungstag sein Interesse an einer Kriminalisierung der Angeklagten. Er spricht nachdrücklich von der "Schwere des Falles" und behauptet, dass es sich um einen ausgesprochen "kriminellen Prozess" handelt. Er lässt in der Beweisaufnahme 18 Sheriffs und Hilfssheriffs als Zeugen der Anklage aufmarschieren. Sie schildern, dass fünf Sherifftrupps, mehrere Polizeiautos, ein Gefangenentransportwagen und eine spezielle Einheit, die erkennungsdienstliche Behandlung von Arretierten vornimmt, bereits Stunden vor Beginn der ordnungsgemäß angemeldeten und genehmigten Bürgerrechts-Demonstration Aufstellung genommen hatten. Die Demonstranten, die auf einer öffentlichen Straße entlang zogen, hätten gesungen, Transparente getragen und sich friedlich und gewaltlos verhalten. Dean Reed habe ein Schild mit der Aufschrift getragen: "Alle Macht dem Volke". Auf Befragen des Verteidigers mussten die Polizeizeugen bestätigen, dass es von Seiten der Demonstranten keinerlei Akte von Gewalt oder Anzettelung von aufrührerischen Handlungen gegeben hätte. Dann ereignet sich ein merkwürdiger Vorfall: Als die Anklagevertretung in gewohnter Weise einem Angeklagten das Wort abschneiden will, wird sie zur Richterbank zitiert. Dort kommt es zu einem längeren, in leisem Ton gehaltenen Gespräch zwischen Richter und Staatsanwalt, woraufhin Price seinen Einspruch zurückzieht und sich auch danach merklich zurückhält. Die Vertreter der großen Nachrichtenagenturen und Zeitungen sitzen im Saal, und es ist zu vermuten, dass Präsident Carter keinen öffentlichen Skandal wünscht. Die Mitangeklagten Deans, aber auch die Bewohner der Kleinstadt Buffalo hatten bis jetzt wohl kaum eine Vorstellung über den Begriff "Internationale Solidarität". Jetzt sind sie von den zahlreichen Sympathiebekundungen und dem immensen Medienecho aus aller Welt tief beeindruckt. Das gibt ihnen Kraft und Mut und einige wagen es jetzt öffentlich ihre Meinung zu äußern. Chris Strickling, eine junge Therapeutin für Körperbehinderte fordert z.B., dass das amerikanische Volk in den Entscheidungsprozess über das Wohl und Wehe des Landes einbezogen wird. Es darf nicht länger Objekt der Entscheidungen der Monopole sein. Die Indianerin vom Stamme der Chippewa, Janie Cyssonn, erklärt, sie unterstützt den Protest der Farmer, weil sie schon in den Reservationen die Willkür der großen Konzerne erlebt hat. Auch dort seien die einfachen Menschen von ihrem Land vertrieben worden.
Danach kommt Dean zu Wort:
Danach beschließt das Gericht, alle Angeklagten vorerst auf freien Fuß zu setzen und vertagte den Prozess auf Montag, 13. November. Am dritten Verhandlungstag halten die Vertretung der Anklage und der Verteidigung ihre Plädoyers. Der Gerichtssaal ist bis zum letzten Platz mit Unterstützern und Journalisten gefüllt, und in der Vorhalle und im Gang vor dem Saal drängeln sich noch viele Menschen, die keinen Platz gefunden haben. Staatsanwalt Thomas Price gibt sich nochmals sichtlich Mühe, den Geschworenen den kriminellen Charakter der Angeklagten zu erläutern. Kenneth Tilsen, der Anwalt der Angeklagten, kontert, indem er noch einmal die Verfassungsmäßigkeit der friedlichen und angemeldeten Demonstration hervorhebt. Gegen 16.00 Uhr zieht sich die Jury zur Beratung zurück. Die Zeit vergeht und erst nach über sieben Stunden, nach 23.00 Uhr, betreten sie wieder den Saal. Der Richter stellt zu dieser späten Stunde den Geschworenen die traditionelle Frage, ob sie zu einem Ergebnis gekommen sind. Der Sprecher der Geschworenen antwortet mit "yes". Die mit Spannung erwartete Antwort auf die zweite Frage des Richters lautet "Not guilty!" Nicht schuldig! Nicht schuldig - das heißt, alle 19 Angeklagten sind freigesprochen.
Ein Jubel geht durch den Saal und die Freigesprochenen stimmen mit ihren Unterstützern den Song
der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung "We shall overcome" an. We shall overcome, we'll walk hand
in hand, we shall live in peace und we are not afraid, wir fürchten uns nicht, schallt es dem
Staatsanwalt und dem Richter um die Ohren. Diesen Tag werden sie nicht so schnell vergessen. In Deans
erster Erklärung nach dem Prozess bedankt er sich im Namen aller für die internationale
Solidarität und für die Standhaftigkeit der Farmer, Gewerkschafter, Indianer und Studenten
innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern. Dann sagt er:
Am nächsten Tag meldet die "Junge Welt" in Berlin:
Der Journalist Jürgen Weidlich liefert in der gleichen Zeitung einige Hintergrundinformation
zum Kampf der nordamerikanischen Farmer: Am 19. November wird Dean auf dem Berliner Flughafen Schönefeld ein triumphaler Empfang geboten. Gestärkt, voller Kampfesmut und Zuversicht wird er sich seinem nächsten Vorhaben widmen. Norbert Diener Anmerkung des Autors:Der mutige Kampf der 19 war nicht vergebens. Der Freispruch von Buffalo ist zu einem Präzedenzfall geworden, auf den sich noch viele Jahre lang Anwälte von Bürgerrechtlern beriefen. Er ist alleinig durch das besonnene und verantwortungsbewusste Handeln der angeklagten Protestler zustande gekommen. Ausschlaggebend für den Erfolg war der Umstand, dass die Verhafteten sich von vornherein als politische Gefangene betrachtet haben, dementsprechend gehandelt haben und den Prozess auch politisch geführt haben. Sie sind kaum auf den einzigen rechtsrelevanten Anklagepunkt, das Betreten fremden Eigentums, eingegangen und haben die wahren Hintergründe, die Schaffung eines rechtsfreien Raumes für die Energiekonzerne, aufgezeigt. Die umfassende internationale Solidarität und der Umstand, dass die großen Presseagenturen anwesend waren, trugen entscheidend zum Erfolg bei. Es ist in den USA nicht üblich, Menschen, die organisiert für ihre Rechte eintreten, mit Samthandschuhen anzufassen. Aber die Solidarität und der Presserummel waren zu der Zeit für Präsident Carter, Oberhaupt eines Staates, der laufend mit dem Begriff Menschenrechte herumjongliert und sich oft als Hüter derselben aufspielt, zu groß, um vor aller Welt sein Gesicht zu verlieren. Diese Reportage wurde nach den uns z.Z. zugänglichen Quellen erstellt. Deans Biografie, die Berichterstattung der Massenmedien der DDR bildeten hierfür den Grundstock. Aber es geht weiter: Neue Quellen werden erschlossen, Augenzeugen befragt und die Berichterstattung der örtlichen Presse ausgewertet. Deshalb lohnt es sich, in einiger Zeit diese Seite wieder zu besuchen. |
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