http://www-user.uni-bremen.de/~w30s/14erstie/todesstrafe.htm 30S Nr. 14 10/01: Die moderne Todesstrafe
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Theodor W. Adorno

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Die moderne Todesstrafe

Staatliches Handeln gegen Drogensüchtige und “Drogen”:

Käme ein Staat auf die Idee, seinen Untertanen aus Sorge um ihre Gesundheit das Tragen von Mützen im Winter vorzuschreiben, gälte dies wohl als lächerlich. Würde er diese Vorschrift mit der Androhung von Knast durchsetzen wollen, wäre der entsprechenden Regierung erbitterter Widerstand gewiß. Und würde das Verfassungsgericht eine solche Vorschrift verbieten, käme wohl keiner Boulevardzeitung der Einfall, in riesigen Lettern “Wir sagen nein!” zu dieser Entscheidung zu titeln.
Bei Drogen ist das alles ein bißchen anders.
Als vor drei Jahren das Bundesverfassungsgericht verfügte, GelegenheitskifferInnen müßten nicht unbedingt bestraft werden, und die Städte Hamburg und Frankfurt die legale Heroinabgabe an Schwerstabhängige (erfolglos) beim Bundesgesundheitsamt beantragten, wurde einmal mehr deutlich: Drogenpolitik ist, speziell in der BRD, keine Frage der Vernunft, sondern der Gesinnung. Keiner konnte den Begründungszusammenhang des Betäubungsmittelgesetzes während dieser Debatte besser darstellen, als jener CDU-Hinterbänkler, der per Presseerklärung mitteilte, die SPD wolle den privaten Waffenbesitz einschränken, jedoch “die Todeswaffe Heroin freigeben”. Daß dies kein Aussetzer war, sondern der Logik der Drogengesetzgebung entspricht, belegt ein Blick in deren Geschichte:
Drogenfreie Gesellschaften hat es noch nie gegeben, doch stets Versuche der Herrschenden, eine solche herzustellen. Im 17. Jahrhundert wurden europaweit die Drogen des aufkommenden BürgerInnentums, Tabak und Kaffee, verboten - bis hin zur Todesstrafe für KonsumentInnen. In den 20er Jahren dieses Jahrhunderts wurden die bis dahin gebräuchlichen Rausch- und Arzneimittel Opium samt seiner Abkömmlinge (Morphium und Heroin), Kokain und Cannabis verboten, und der UNO-Drogenbeauftragte Nahas begründete beispielsweise 1965 das Hanfverbot damit, daß Cannabis das gebräuchlichste Selbstmordmittel in Europa sei (1). Doch erst 1972 wurde in der BRD die bis dato gültige Praxis, Opiate an Abhängige ärztlich abzugeben, abgeschafft, und seitdem erst greift - nicht zuletzt dank der modernen Repressionsinstrumente - die gesetzliche Durchsetzung eines moralisch richtigen Lebensstils so, wie es sich vielleicht schon die oben genannten Feudalherren gewünscht hätten. Denn Zuwiderhandlungen werden auch heute noch mit dem Tode bestraft - nur bedarf es nicht mehr des Henkers.
Für HeroinkonsumentInnen ist der Tod auf der Bahnhofstoilette, anders als uns das Gerede von der “Killerdroge” weismachen will, nämlich keineswegs vorgezeichnet. Korrekt dosiertes, reines Heroin, von Bayer früher als Hustenmittel vertrieben, erzeugt außer gelegentlicher Verstopfung keine organischen Schäden. Auch wer körperlich abhängig ist, kann problemlos, wie die vielen opiatabhängigen ÄrztInnen und ApothekerInnen der 50er und 60er Jahre leibhaftig dokumentieren, gesund bis ins hohe Lebensalter bleiben (2). Zum gesundheitlichen Problem wird Heroin erst dann, wenn der Staat durch Verbote statt eines legalen einen Schwarzmarkt produziert. Drinnen - Draussen

HeroingebraucherInnen, insbesondere abhängige, sind gezwungen, die Preise zu bezahlen, die gefordert werden (und die aufgrund der Illegalität ca. das Hundert- bis Tausendfache des Produktionspreises betragen) und dafür klauen, dealen und anschaffen zu gehen. Sie müssen auf ärztliche Versorgung, ausreichende Nahrung und im schlimmsten, leider nicht seltenen Falle auf Wohnraum verzichten. Ihr so strapazierter Körper verträgt dann weder jene Streckmittel wie Strychnin oder Mörtel, die dank der nicht möglichen Qualitätskontrolle dem Straßenheroin - Reinheitsgrad meist unter 10% - zugesetzt werden, noch unerwartet reines Heroin, welches aus Unwissenheit überdosiert wird. Und wer - im Knast z.B. - keinen Zugang zu sterilen Spritzen hat, läuft ständig Gefahr, sich beim “Needle-sharing” mit HIV oder Hepatitis B zu infizieren.
Nicht die Droge, das Drogenverbot produziert jene Junkies, die dann auf den Straßen und Bahnhöfen zur Schau gestellt werden. HeroingebraucherInnen sind unzähligen Angriffen auf ihre Menschenwürde angesetzt - Rausschmiß aus Familie, Schule und Job, entwürdigende Cleantherapien gegen ihren Willen, Sorgerechtsentzüge, Vergewaltigungen durch Freier, die ihre Rechtlosigkeit ausnutzen, Verknastung. Ca. 50% aller Gefangenen sitzen wegen Drogen oder Beschaffungsdelikten, und wenn Heroin nicht das Problem ist, ist erst recht klar, daß Knast es nicht löst. All diese Angriffe finden ihren Höhepunkt in jenen 2000 HeroingebraucherInnen, die man jährlich sehenden Augens verrecken läßt, damit sie, wie der frühere Bundesdrogenbeauftragte Franke offen erklärte, als abschreckendes Beispiel dienen (3).

Haschisch frei - Hurra?

Wer in den vergangenen 20 Jahren Kritik am Betäubungsmittel übte, tat dies jedoch nicht wegen des Heroin-, sondern wegen des Haschverbots. Und so war der Jubel groß, als im Frühjahr das Verfassungsgericht Jein zur Freigabe sagte. Während die BerufskifferInnen zufrieden waren, daß nun das abgesegnet wurde, was ohnehin, außer in Bayern, gängige Praxis war - die Einstellung von Verfahren bei Kleinmengen -, erhofften die anderen eine Trendwende der Drogenpolitik. Die kam auch - in Form der Ankündigung der Bundesregierung, das BtmG so zu ändern, daß Verfahren bei Kleinstmengen “harter Drogen” in Zukunft nicht mehr eingestellt werden dürfen. Wer heute noch lediglich für Hanffreigabe eintritt und der Trennung in “weiche” und “harte” Drogen das Wort redet, fordert nur jene Modernisierung der Verfolgung: Weil die vier Millionen KifferInnen in der BRD, von denen eh nur jedeR 137. erwischt wird (4), tagtäglich Baudelaires Diktum widerlegen, mit ihnen sei kein Staat zu machen, wird ein albernes Verbot ad acta gelegt, um sich den wahrhaft bösen Drogen, KonsumentInnen und DealerInnen zuzuwenden. Das Hanfverbot war und ist nervig, das Heroinverbot tödlich; das mißachten die, die - wie die HanflobbyistInnen - Zeit und Muße haben, sich als ganz normale SteuerzahlerInnen und ihr Kraut als ökologische und bewußtseinserweiternde Rettung der Welt zu präsentieren.

Und Methadon?

Neben der medienwirksamen Haschlegalisierungs-Bewegung gibt es jedoch auch eine andere, weniger wahrgenommene: Zunehmend mehr (Ex-)Junkies, TherapeutInnen und WissenschaftlerInnen fordern die Legalisierung von Heroin. Ihnen ist es zu verdanken, daß es die Methadonprogramme gibt, die zahlreichen Junkies erst das Überleben ermöglichen - auch wenn v.a. in CDU-regierten Ländern die Zugangsbeschränkungen so hoch sind, daß manche HeroingebraucherInnen sich HIV-infiziertes Blut spritzen, um aufgenommen zu werden (5). Doch auch Methadon ist Bestandteil der Repressionslogik, nur - und das ist das sozialdemokratische Innovationspotential - effektiver. Wer an Methadonprogrammen teilnimmt, steht unter strenger ärztlicher Kontrolle und tagtäglich zur Verfügung. Die Junkies werden weiterhin als abnorm wahrgenommen, nur nicht mehr als kriminell, sondern als krank. Was ihnen nicht zugebilligt wird, ist Selbstbestimmung und ein freier Wille, der sie eventuell einen eigenen, mit Heroingebrauch verbundenen Lebensstil wählen ließ. Nur folgerichtig ist, daß Methadon dem gleich unschädlichen (und sogar leichter entziehbarem) Heroin vorgezogen wird, da es, so die Ideologie, keinen “Kick” erzeuge; ebenso folgerichtig ist, daß in den Methadon-Musterstädten Hamburg, Frankfurt und Bremen die brutalsten Polizeieinsätze gegen die offene Junkszene gefahren werden, denn zur Einsicht, krank zu sein, gelangen nicht alle ohne den Knüppel.
Diese Polizeieinsätze wird man auch dann noch brauchen, wenn eines Tages auch in der BRD Heroin an Schwerstabhängige ärztlich vergeben werden sollte, denn auch eine solche Praxis sprengt nicht die Medizinalisierungslogik. Zu fragen bliebe schließlich, warum, wer reines Heroin will, erst auf dem Schwarzmarkt abhängig werden muß, um eine Berechtigung dazu zu erlangen.

Legalisiert alle Drogen!

Angesagt wäre stattdessen die Freigabe aller heute illegalisierter Rauschmittel und ihre Abgabe in lizensierten Drogenläden, in denen zwar die Waren, nicht aber die KonsumentInnen der Kontrolle unterliegen. Ob es dann zu einem Drogenboom käme, bezweifeln wir; Erfahrungen mit der Legalisierung von Alkohol in den USA, von Haschisch in den Niederlanden belegen eher das Gegenteil. Es geht nicht darum, daß möglichst wenige (oder auch möglichst viele) Drogen nehmen; die, die sich berauschen wollen, soll das unter Bedingungen möglich sein, die frei sind von Verfolgung, Vereinzelung und erzwungener Selbstschädigung.
Solange aber die Massen, die nicht die Ekstase, sondern die Arbeit für Freiheit halten, bei der exemplarischen Abstrafung der DrogengebraucherInnen, speziell der Junkies, die für den verwehrten Genuß stehen, stets weiter Beifall spenden, solange wird die Drogenpolitik so bleiben, wie sie ist. Und wenn wieder eine Christiane F. medienwirksam auf der Bahnhofstoilette gefunden werden wird, wird die Volksgemeinschaft leicht schaudernd näher zusammen rücken, die zwischenmenschliche Kälte beklagen und verschärfte Verfolgung der “gewissenlosen Dealer” fordern.
Und das ist zum Kotzen.

 

Fußnoten
(1) Zitiert nach: Hans-Georg Behr, “Von Hanf ist die Rede”, S. 284, Reinbek 1985
(2) Vgl. beispielsweise de Ridder, “Heroin: Geschichte - Legende - Fakten” in: Grötzinger (Hg.), “Recht auf Sucht?”, Berlin 1991; van Wely, “Körperliche Wirkungen des Opiatkonsums” in: Scheerer/Vogt (Hg.), “Drogen und Drogenpolitik”, Frankfurt 1989; Schmidt-Semisch, “Drogen als Genußmittel”, München 1992
(3) H.G. Behr, “Die Substanzen”, S. 8, Hamburg o.J.
(4) taz 1.3.92
(5) taz 8.7.93


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