“Fluchtlinien der Kunst“ Buch von Simon Ruf
 
 

Das äußere Erscheinungsbild des Buches scheint mehr als nur auf eine bestimmte Art formaler Fabrikation hinzuweisen: es ist ziemlich flach, aber in großem Format gehalten.
Autor Simon Ruf schreibt über Gilles Deleuze und die Bedeutung der Kunst in dessen Philosophie. Die Kunst sei in die engen Wände des Subjekts gesperrt. Denn sie würde kleingeredet als „persönlicher Ausdruck“ des Künstlers und seiner Zeit.
Dabei wäre sie doch ungebändigte Vitalität, viel größer als die Person des Künstlers, viel mehr als ein Second-Hand-Substantiv.
Kritisiert werden von Ruf daraufhin Platon, die  Abbildtheorie, die Metaphysik, das Ping-Pong-Spiel der Dialektik, die alles zum mittelmäßigen Duplikat herunterinterpretierten oder es ins Einerseits-Ande-
rerseits beförderten.Die Kunst sei  jedoch etwas Einzigartiges, eine Irritation, ein Ärgernis.
Wie sie sich dieser repräsentativen Zumutung entziehe, könne man beispielhaft bei Kafka und Bacon erleben. Die Verwandlungen der Figuren Kafkas und die verwischten Gesichter Bacons verweigerten sich der Identifikation und forderten eher das Denken als die Betrachtung. Die Kunst selbst sei eine Form des Denkens, gleich neben Philosophie und Wissenschaft.
Grob gesagt, gehe es darum, vom Konzept Ähnlichkeit und Identität wegzukommen, um wieder Vielfalt zuzulassen.
Soweit Gilles Deleuze in der Darstellung Simon Rufs.

Angenommen, Gilles Deleuze wäre gar kein Philosoph, sondern eine dicke alte Dame. Auf einem ihrer Verdauungsspaziergänge trifft sie auf eine alte Nachbarin mit Hündchen.Die beiden kommen ins Gespräch.“Sie glauben gar nicht“, sagt die alte Dame, „wie sehr mir mein Hündchen über das Alleinsein hinweghilft. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, ohne es zu leben.Haben sie nie daran gedacht, sich auch ein Hündchen zuzulegen?“
„Ich kaufe mir jeden Tag ein Tier“ antwortet Madame Deleuze“und esse es dann sofort auf.Sie ahnen gar nicht, wie sehr mir das übers Alleinsein hinweghilft“
Doch die Alte hat bereits mitsamt Hündchen das Weite gesucht und Madam Deleuze, stelle ich mir vor, zieht nun ein Hühnerbein aus ihrer Manteltasche und kaut darauf herum.

Eigentlich könnte man Deleuze Methode als eine Politisierung der Ästhetik bezeichnen.Emanzipiertes Denken scheint hier wieder möglich: ohne Vorbilder, Ziele oder Methoden.Sich Verselbständigungen widersetzen außerhalb sturem Gegensatzdenkens, eigenwillig sein, ohne Identität zu beanspruchen, eine Freiheit, die nicht nur Selbstverwirklichung meint, hat nun auch eine theoretische Basis, obwohl sie eine solche im Grunde gar nicht nötig hat.

Gilles Deleuze ist ein Lügner und ein versierter obendrein.Das macht die Qualität seiner Philosophie aus, darin ähnelt er dem guten Künstler.Der versierte Lügner widerspricht nicht der Wahrheit, sondern erfindet eigene Variationen.Er überzeugt nicht durch Argumentation, sondern durch die Kunst seines Vortrages.
Deleuze bietet keine Gewissheiten, er verschlingt sie.Er definiert keine Begriffe, sondern nimmt sie als Geiseln.Was aber kann einen  Lügner mehr beleidigen als Leichtgläubigkeit.
Und darin besteht dann auch die  frappierende Schwäche von „Fluchtlinien der Kunst“.Der ordentlich gegliederte Text des Buches, die Fragestellung, thematische Ausarbeitung und die Definition der Begriffe können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um einen ordentlich gegliederten Text, eine Fragestellung, eine thematische Ausarbeitung und die Definitionen von Begriffen handelt. Mit Deleuze Philosophie hat das nichts zu tun, außer das diese erklärt wird.Sollte dies die ausschließ-
liche Absicht dieser Arbeit gewesen sein, gibt es gemessen am Ziel auch nichts an diesem Buch zu bemängeln, doch manche Themen verlangen eben - auch innerhalb einer "bloß" erläuternden  Ein-
führung- doch mehr als nur ihre zusammenfassende, erklärende Wiedergabe.
 

Durch das fast völlige Fehlen einer Kritik und die Beschränkung auf Erläuterungen macht Ruf die „Fluchtlinien“ zu Einbahnstraßen und das steht in auffälligem  Gegensatz zu der sonst sehr gründlichen Art des Autors.
Ich vermute deshalb, dass es sich um eine unfertige Arbeit handelt und die (im Vorwort erwähnte)  Tatsache, dass der Text aus dem Nachlaß des Verfassers publiziert wurde schließt diese meine Ver-
mutung  nicht  aus.

Die Lektüre dieses Buches eignet sich  als erste Einführung in das Denken des Gilles Deleuze ganz gewiss, aber leider führt es aus dieser Einführung nicht mehr heraus.
 
 

Stefan Ruf, “Fluchtlinien der Kunst“ ,Ästhetik, Macht und Leben bei Gilles Deleuze“,Königshausen und Neumann GmbH,Würzburg 2003
 
 
 

 

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