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Bertelsmann Stiftung

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Die Bertelsmann Stiftung wurde 1977 von Reinhard Mohn gegründet und ist heute die größte Stiftung in Europa. Im Kuratorium sitzen Führungskräfte von Nestlé, Schering, RTL und der Ludwig-Erhard-Stiftung, ein Staatssekretär und ehemaliger Weltbankmanager sowie Rita Süssmuth, die seit 2000 Vizepräsidentin der OSZE ist.

Die Bertelsmann Stiftung finanziert sich v.a. aus Anlagevermögen. Ihr gehört die Mehrheit der Bertelsmann AG, die laut [LINK: ORF] der fünftgrößte Medienkonzern der Welt ist.

Die Bertelsmann Stiftung ist eine operative Stiftung. Sie investiert ihr Budget ausschließlich in Projekte, die sie selbst konzipiert, initiiert und auch in der Umsetzung begleitet . (Bertelsmann Stiftung Mitte 04)

Die Stiftung führt Projekte in den Bereichen Bildungs- und Hochschulpolitik, Sozialpolitik, Gesundheits- und Familienpolitik, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik durch und ist mit ihren Experten in allen maßgeblichen Gremien auf deutscher und europäischer Ebene präsent. Ohne Bertelsmann oder gar gegen Bertelsmann geht hier nichts mehr. Man kann dennoch nicht sagen, dass Deutschland von Bertelsmann regiert wird. Schon deswegen nicht, weil es ja die Politiker sind, die zu Bertelsmann kommen. (Frank Böckelmann 9.11.04)

Inhaltsverzeichnis

Transatlantische Strategiegruppen

Die Stiftung ist eine politische Organisation, die 2002 zur Beeinflussung der Gesellschaft rund 63 Mio. € ausgab. So organisiert die Stiftung Transatlantische Strategiegruppen, an deren Beratungen hochrangige Leute teilnehmen, u.a.: der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, der Hohe Repräsentant für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Javier Solana, und der Vorstand der Allianz AG, Dr. Paul Achleitner. Im Ergebnis empfehlen diese „Strategiegruppen“ die Aufrüstung der EU, damit die EU mit den USA als Weltpolizei gleichziehen kann. (Empfehlungen 12.3.04)

Deutscher Präventionspreis

Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziales hat die Bertelsmann Stiftung den Deutschen Präventionspreis ins Leben gerufen.

Centrum für Krankenhausmanagement

Die Stiftung gründete außerdem das Centrum für Krankenhausmanagement an der Universität Münster, das Krankenhäuser, Industrie und Politik beraten und Führungskräfte ausbilden soll.

Über monetäre und nichtmonetäre Anreize und die Verknüpfung von politikwissenschaftlichem und gesundheitsökonomischem Ansatz strebt die Bertelsmann Stiftung eine Umgestaltung der Gesundheitsversorgung an, wobei sie die Gesundheitsreform der Bundesregierung kritisiert. (Projekte der Bertelsmann Stiftung 2001/02, Kritik der Bertelsmann Stiftung 9/03)


Siehe auch

Deutsches Forum Prävention und Gesundheitsförderung

Die Bertelsmann Stiftung ist neben der Bundesärztekammer, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dem DGB- und IG Metall-Vorstand, der ver.di Bundesverwaltung, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie u.v.a. Mitglied im 2002 vom Bundesgesundheitsministerium initiierten „Deutschen Forum Prävention und Gesundheitsförderung“. (Mitgliederverzeichnis des Forums)

Dieses Forum hat zum Ziel, eine präventive Ausrichtung der Aktivitäten im deutschen Gesundheitswesen und allen Politik- und Lebensbereichen zu verankern und zu stärken.

Die Gesundheitsförderung wird in der Rahmenvereinbarung und generell immer im Zusammenhang mit möglichen Einspareffekten in der Gesundheitsversorgung gedacht und eine Verhaltensmodifikation der Bevölkerung im Rahmen herrschender Sozial-, Umwelt- und Lebensbedingungen angestrebt. (Bundesgesundheitsministerium)

Allianz für die Familie

Im Sommer 2003 gründete Liz Mohn von der Bertelsmann Stiftung zusammen mit der Bundesfamilienministerin, Renate Schmidt, die „Allianz für die Familie“, der es um eine Erhöhung der Geburtenrate (in Deutschland) und um eine bessere Nutzung des Humankapitals geht (Leitbild der Stiftung). Zu den Unterstützern dieser „Allianz“ gehören der DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun, der DGB-Vorsitzende Michael Sommer, BDA-Präsident Dieter Hundt, VW-Vorstandsmitglied Peter Hartz und DaimlerChrysler. In einem gemeinsamen Buch propagieren Mohn und Schmidt: Familie bringt Gewinn . (Bertelsmann Stiftung: Familienfreundlichkeit zahlt sich für Unternehmen aus, Bundesfamilienministerium zur Allianz für die Familie)

Agenda 2010

Nach einem Buch von Frank Böckelmann und Hersch Fischler, "Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums" (Eichborn Verlag, 2004, ISBN 3821855517), beeinflusst die Bertelsmann-Stiftung fast alle innenpolitischen „Reformen“ der Bundesregierung, insbesondere die Agenda 2010.


Bertelsmann AG

Der Bertelsmann-Verlag wurde 1835 gegründet und verlegte zunächst christliche Literatur. In der Zeit des Nationalsozialismus hatte Bertelsmann wirtschaftliche Erfolge durch die Verlegung von Kriegsliteratur, u.a. "Flieger am Feind" von Werner von Langsdorff, das zum „Weihnachtsbuch der Hitlerjugend“ erklärt wurde.

Anfang 1946 gelang es dem Konzern, durch Schönung der eigenen Vergangenheit von den Alliierten eine Verlagslizenz zu erhalten. („Wem gehört die Republik? 2005“, S. 62)

Der Aufstieg in die Weltspitze der Medienkonzerne gelang dem Konzern laut [LINK: Deutschlandfunk] (8.11.04) durch eine besondere Beteiligung der Belegschaft: die MitarbeiterInnen erhalten den Konzerngewinn und verleihen das Geld gegen niedrige Zinsen an den Konzern zurück. Erst, wenn sie in Rente gehen, dürfen sie ihr Kapital abziehen. Auf diese Weise spart der Konzern enorme Gewinnsteuern und erzeugt eine spezielle Unternehmenskultur. Unangenehme Betriebsräte werden abgefunden oder müssen gehen.

Die Bertelsmann AG gehört zu 57,6% der Bertelsmann Stiftung, zu 17,3% der Familie Mohn und zu 25,1% der Group Bruxelles Lambert (davon 0,1% stimmrechtslos). („Wem gehört die Republik? 2005“, S. 62)

Frank Böckelmann und Hersch Fischler schreiben in einem Telepolis Artikel (9.11.04) zu ihrem Buch "Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums":

Über die Stiftung wirkt der Konzern in Deutschland und Europa auf undurchsichtige Weise an fast allen bedeutsamen sozial- und bildungspolitischen Reformen und sicherheitspolitischen Entscheidungen mit. ...
Bis zur Fertigstellung des Buches im Jahr 2004 befragten wir etwa 70 Experten .... Unter ihnen befanden sich (ehemalige) Mitarbeiter der Gütersloher Konzern- und Stiftungszentralen sowie einzelner Firmen des Konzerns in leitender und nachgeordneter Stellung, ferner Journalisten, Reporter und Autoren aus den Bereichen der Tages- und Wochenzeitungen, der Wirtschaftsfachpresse und des Fernsehens in Deutschland und den Vereinigten Staaten sowie Arbeitnehmervertreter, Verleger und Literaturagenten.
Die meisten dieser Experten machten ihre Gesprächsbereitschaft von der Zusicherung uneingeschränkter Vertraulichkeit abhängig. Offensichtlich befürchteten sie für den Fall, dass ihre Kontakte zu uns bekannt werden würden, gewisse Nachteile bei der Fortführung ihrer gegenwärtigen Tätigkeit beziehungsweise auf ihrem künftigen Lebensweg. Es ist offenbar riskant, als (ehemaliger) Konzernmitarbeiter oder Journalist im Verdacht zu stehen, unabgesprochen über Vorgänge bei Bertelsmann informiert oder diese bewertet zu haben .... Manche Gespräche wurden auf geradezu konspirative Weise angebahnt. Wir sicherten den meisten Gesprächspartnern auf deren Wunsch hin zu, weder ihre Namen zu nennen noch auf ihre Identität anzuspielen. Auf die Darstellung bestimmter Sachverhalte mussten wir daher verzichten, weil daraus möglicherweise auf den betreffenden Informanten hätte geschlossen werden können.

Zur Bertelsmann AG gehören (nach „Wem gehört die Republik? 2005“):

  • RTL Group
    darunter VOX, n-tv, UFA Film und Fernsehen
  • Random House
    größte Buchverlagsgruppe der Welt, u.a.: Siedler Verlag, Goldmann Taschenbuchverlag, Wilhelm Heyne Verlag und englische Verlage
  • Gruner + Jahr
    größter Zeitschriftenverlag Deutschlands und Europas mit wachsender Präsenz in den USA, u.a. Stern, Brigitte, Capital, Eltern, Geo; Beteiligungen an Zeitungen, u.a. Financial Times Deutschland, Chemnitzer Morgenpost, Dresdner Morgenpost
  • BMG Bertelsmann Music Group
    zu den Labels zählen: RCA, Arista Records und Ariola; Sony BMG, das Gemeinschaftsunternehmen mit Sony hat einen Weltmarktanteil von 25%
  • Arvato
    internationaler Mediendienstleister; Druckereien, DVDs und Audio-CDs; die US-Tochterfirma Offset Paperback Manufacturers stellt 40% aller Taschenbücher in den USA her
  • Direct Group
    Buch- und Musikclubs in 21 Ländern mit 32 Millionen Mitgliedern


Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen

Eines der Ressorts des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) – das Ressort „Patienteninformation“ – gibt die Bertelsmann-Stiftung im Zusammenhang mit dem Gesundheitsmonitor 2005 als Kooperationspartner an. (IQWiG-Info März 2005 - Link ungültig geworden)

AZ Direct

Info bei OTC Top Consulting ohne Datum (vrmtl. 2006):

Oliver Jörns von AZ Direct – einer Bertelsmann-Tochter – präsentierte das für den OTC-/Pharma-Markt konzipierte Direct-Marketing-Tool „ApoLoop“. Apotheker erstellen auf einer speziellen Internet-Seite in wenigen einfachen Schritten einen individualisierten Brief (mit Response-Elementen) an selektierte Kunden zu einem aktuellen Gesundheitsthema, dessen „Patenschaft“ von einer OTC-Firma übernommen wird – ein Modell, das in anderen Branchen bereits sehr erfolgreich praktiziert wird. Fortsetzung folgt.


Lifeline, Burda und Springer

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Fall Nr. IV/M.973 - Bertelsmann / Burda - HOS Lifeline, 15.09.1997:

Am 11.08.1997 erhielt die Kommission gemäß Artikel 4 der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates eine Anmeldung eines Zusammenschlußvorhabens, aufgrund dessen die Unternehmen Bertelsmann Aktiengesellschaft (“Bertelsmann”) und Burda Holding GmbH & Co. Kommanditgesellschaft (“Burda”) im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b der Ratsverordnung die gemeinsame Kontrolle bei dem Unternehmen HOS Lifeline GmbH & Co. KG (“Lifeline”) erwerben. Nach dem Zusammenschluß werden Bertelsmann und Burda mit jeweils 50 % beteiligt sein. ...

Zur Zeit sind Bertelsmann und die Springer Verlag GmbH & Co. KG paritätische Gesellschafter des Gemeinschaftsunternehmens Bertelsmann Springer Gesundheitsgesellschaft mbH & Co. KG (“bsmedic”), das sowohl medizinische Onlinedienste für professionelle Nutzer (Umsatzerlöse 1996: [...]1 ) als auch für jedermann zugängliche gesundheitsorientierte Onlinedienste (“Lifeline”) anbietet. Aus der bsmedic wird der Teilbetrieb “Lifeline” ausgegliedert. Die “Lifeline”-Aktivitäten, mit denen 1996 Umsatzerlöse in Höhe von [...]2 erzielt wurden, werden zukünftig Gegenstand des Gemeinschaftsunternehmens Lifeline sein. ...

Das Gemeinschaftsunternehmen wird gemeinsam von Bertelsmann und Burda kontrolliert. Lifeline hat einen [...]3 Beirat, dessen Mitglieder zu gleichen Teilen von Bertelsmann, Burda und entsandt werden. ...


Siehe auch

Bertelsmann und Europa

In Polen, Tschechien und Ungarn haben westeuropäische Medienkonzerne rund 80 Prozent der Presse aufgekauft. Mit der EU-Osterweiterung richtet sich der Blick nun auf zwei große neue Nachbarn: die Ukraine und Weißrussland. Die Bertelsmann-Stiftung legte kürzlich ein Strategiepapier vor, das unter dem Titel „In Richtung einer kohärenten EU-Strategie für Weißrussland“ einen Regimewechsel in Lukaschenkos Weißrussland anstrebt. ... In den deutschen Medien wurde das ehrgeizige Papier bislang weitgehend ignoriert, sein Einfluss auf die deutsche und europäische Außenpolitik lässt sich nur schwer abschätzen. Gleichwohl schaffte es die Stiftung, das Papier auf die Tagesordnung des EU-Ministerrats zu bringen. (ver.di, ungefähr Mai 2005)

Ein Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung, Werner Weidenfeld, ist Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung (CAP) an der Universität München. Das CAP wurde von der EU-Kommission beauftragt, über die Beitrittsfähigkeit der ost- und mitteleuropäischen Staaten zu befinden. (Süddeutsche Zeitung 09.4.1996)

Zu Weidenfelds Europaverständnis ein Zitat: Wenn man so den Blick auf die Bühne des europäischen Dramas richtet, wird klar, warum mit so unerbittlicher Härte um die Verfassung gefochten wird. Schlagartig wird der ganze Nebel des europapolitischen Pathos gelüftet. Nackt und brutal konzentriert sich alles auf die Macht. Europa ist endgültig politisch geworden. (Weidenfeld in der Welt am Sonntag 28.9.03)

Ein Vertreter des CAP, Janis Emmanouilidis, berät das Auswärtige Amt in Europafragen. (ZDF 11.5.05)

Das CAP begleitet gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung im Rahmen des Projektes Systemwandel in Europa die Arbeit des EU-Verfassungskonvents durch kritische Analysen und strategische Reformvorschläge. Die Anregungen werden dem Konvent und der Öffentlichkeit in einem eigens entwickelten Medium - dem Konvent-Spotlight - regelmäßig zur Verfügung gestellt. (CAP Selbstdarstellung 18.6.03)


Siehe auch

Bertelsmann und China

2002 legte das Institut für Auslandsbeziehungen eine Studie zum deutsch-chinesischen Kulturaustausch vor, die von der Bertelsmann Stiftung mitfinanziert wurde. In der Studie heißt es, die deutsch-chinesischen Kulturbeziehungen hielten mit den Entwicklungen der Wirtschaftsbeziehungen nicht Schritt. Gerade angesichts der übermächtigen Attraktivität der USA sei es dringend nötig, an der Aktualisierung des Deutschland-Bildes zu arbeiten, zitiert eine Pressemitteilung der Bertelsmann-Stiftung aus der Studie].

Frank Böckelmann, Autor des Buches „Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums“, berichtet in einem Interview weiter:

Kurz darauf findet im Berliner Auswärtigen Amt ein Workshop statt. Der Direktor des ifa verschickt anschließend eine Pressemitteilung mit der Aufforderung an die deutschen Konzerne, ihre Infrastruktur in den chinesischen Provinzhauptstädten für kulturelle Zwecke besser zu nutzen. Bertelsmann wird als einziges Unternehmen lobend erwähnt. Im Dezember 2003 übernimmt die Bertelsmann Direct Group, also der Buch- und Musikclub, 40 Prozent an der größten chinesischen Buchhandelskette, und zwar während eines offiziellen Besuchs von Bundeskanzler Schröder in China. Im Mai 2004 findet ein groß angelegtes internationales Kulturforum in Peking statt, veranstaltet vom chinesischen Kulturministerium und von der Bertelsmann Stiftung. Es sprechen Repräsentanten der Stiftung, die zugleich dem Konzernvorstand angehören. Und wenig später unterzeichnet die RTL Group [, die zu Bertelsmann gehört,] mit dem chinesischen Staatsfernsehen einen Programmlieferungsvertrag.
(Telepolis 9.11.04)

Informationskontrolle im Internet

Die Bertelsmann Stiftung gehört neben AOL, IBM, Microsoft, T-Online und weiteren Unternehmen der Internet Content Rating Association (ICRA) an. (ICRA 13.12.00)

Laut Spiegel vom 29.8.00 ist die ICRA eine Gründung der Bertelsmann-Stiftung . Auf einer Internetseite von Bertelsmann heißt es, Bertelsmann unterstützt das System. Aus c't 8/2000 geht hervor, Bertelsmann habe die ICRA initiiert .

Die ICRA stellt ein Filtersystem bereit, mit dessen Hilfe man einstellen kann, welche Internetseiten beim Surfen nicht zu sehen sein sollen. Zielgruppe sind v.a. Eltern, die ihre Kinder vor jugendgefährdenden Inhalten schützen wollen.

Zur Realisierung des Filtersystems klassifizieren InternetanbieterInnen ihre Seiten bei der ICRA, indem sie einen Fragebogen ausfüllen (z.B. enthält „nackte Brüste“, stellt „potentiell schädliche Aktivitäten“ dar wie z.B. Rauchen von Zigaretten, Sprache ist „gotteslästerlich“ oder enthält „milde Kraftausdrücke“, enthält „Inhalte, die Gefühle der Furcht erzeugen“, enthält „nicht davon“).

Die Registrierung unter dem ICRA-Label ist freiwillig und beruht auf Selbsteinschätzung. Registriert sich eine Internetpräsenz jedoch nicht, so kann dies mit zunehmender Verbreitung des Filtersystems praktisch dazu führen, dass die Internetpräsenz für immer mehr InternetnutzerInnen nicht mehr erreichbar ist. Nicht ICRA-klassifizierte Seiten werden, wenn die NutzerInnen nichts dagegen unternehmen, herausgefiltert. – Wenn sie jedoch etwas dagegen unternehmen, wird ihr eigentliches Anliegen, Kinder zu schützen, nicht realisiert.

Mit der Durchsetzung von Filtersystemen wird ein wichtiges Prinzip der Informationsfreiheit auf den Kopf gestellt. Um Inhalte zu zensieren, ist nicht mehr der Nachweis erforderlich, dass Inhalte gegen Gesetze verstoßen oder Kinder schädigen. Stattdessen müssen diejenigen, die Inhalte veröffentlichen wollen, darlegen, dass ihre Inhalte „unschädlich“ sind.

Sich bei der ICRA zu registrieren, bedeutet nicht nur, einer von Privatunternehmen abhängigen Organisation kostenlos Datenmaterial an die Hand zu geben, das die Kontrolle des Internets erleichtert. Es bedeutet auch, einer von Privatunternehmen abhängigen Organisation das Recht zu überlassen, Internet-Inhalte zu bewerten. Die Bewertung, das Rating, geschieht dabei anhand weltanschaulicher – trotz ihrer vermeintlichen Selbstverständlichkeit fragwürdiger – Vorgaben wie zum Beispiel der Einteilung von Inhalten in künstlerische, pädagogische, nachrichtliche, medizinische und sportliche.

Naturgemäß sind die Klassengrenzen nicht klar definierbar. Was gilt z.B. als „gotteslästerlich“? Wann ist etwas „Kunst“? Wie könnte für eine medizinische Seite angegeben werden, sie erzeuge keine „Gefühle der Furcht“? Wie wissen Eltern, ob sie medizinische Seiten sperren, wenn sie dieses Filterkriterium anwenden?

In strittigen Fällen hat immer die Rating-Organisation das letzte Wort. Es gibt keine Kontrolle. In ihren Benutzungsbedingungen weist die ICRA ausdrücklich darauf hin, dass ihr gegenüber keine Ansprüche oder Rechte geltend gemacht werden können. Zugleich wird mit Maßnahmen gedroht, sollten BetreiberInnen, deren Selbsteinschätzung von der Meinung der ICRA abweicht, nicht innerhalb von zwei Wochen auf „notifications“ der ICRA reagieren. Die ICRA behalte sich dann das Recht vor, to take appropriate action including, but not limited to, making the misrepresentation known through lists, web-postings and notifications to the press (angemessene Maßnahmen zu ergreifen, einschließlich, aber nicht beschränkt auf die Bekanntmachung der Fehlrepräsentation ... in der Presse“).

Inzwischen existieren (illegal) entschlüsselte Versionen der Sperrlisten aller Hersteller von Programmen mit statischer, in Dateien gelieferter Sperrliste. Die Auswertung der Sperrungen hat bei allen Herstellern eine klare politische Agenda und persönliche Feinschaften dokumentiert. Beispielsweise wurden vielfach Angebote von womens organizations, Informationsangebote über Abtreibung und Angebote schwuler und lesbischer Gruppen zensiert. Es ist weiterhin üblich, Webseiten in die Sperrlisten aufzunehmen, die den Hersteller des Sperrprogramms kritisieren, die Sperrliste offenlegen oder allgemein gegen Rating argumentieren. Beim Hersteller des Programms Cybersitter geht dies so weit, daß bei installiertem Cybersitter alle Seiten nicht mehr abrufbar sind, in denen die Namen von Kritikern seines Programms erwähnt werden. (Sperrungen im Internet – Eine systematische Aufbereitung der Zensur-Diskussion von Kristian Köhntopp, Marit Köhntopp und Martin Seeger 14.5.97 – aus einer Materialsammlung von DAVID, Deutsche Arbeitsgemeinschaft zur Verteidigung der Informationsfreiheit in Datennetzen)

Der Einsatz von Filtersystemen wie ICRA fördert die Akzeptanz von Zensur durch demokratisch nicht kontrollierte Organisationen. Die Möglichkeit zur Beeinflussung der Filter durch die InternetnutzerInnen spiegelt dabei eine Entscheidungsfreiheit vor, die gerade nicht besteht: nämlich Seiten nicht sehen zu müssen, die man nicht sehen will bzw. von denen man nicht will, dass Kinder sie sehen. Darüber entscheidet letztlich die ICRA.

Dr. Marcel Machill (Journalistik-Professor – ehemals Bertelsmann Stiftung) und Jens Waltermann (Vorsitzender der ICRA – ehemals Bertelsmann Stiftung) schreiben in ihrem Buch „Verantwortung im Internet“:

Die Internet-Entwicklung gibt ihm [dem Internet-Nutzer] unweigerlich die Kontrolle darüber, welche Informationen und Inhalte ihn wann und wie erreichen. Das neue Medium ist nicht mehr auf Vermittler wie Verlage, Sender, Zeitungen oder die Musikindustrie angewiesen. Im Internet wird eine 'Massenkommunikation' von Individuum zu Individuum möglich. Auf diese Entwicklung hin zur Nutzerkontrolle sind wir bisher nicht vorbereitet.
Wir müssen neue Regulierungsmechanismen entwickeln.

(Verantwortung im Internet, Selbstregulierung und Jugendschutz, Seite 9f.; Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2000, zit. n. ODEM)

Während die Macher niemand kontrolliert, wird eine Kontrolle der Öffentlichkeit angestrebt, was aber technologisch z.Z. nur mit aktiver Unterstützung der Kontrollierten bewerkstelligt werden kann. Entsprechend widersprüchlich sind zum Beispiel die Empfehlungen der Bertelsmann-Stiftung im Zusammenhang mit dem Einsatz des ICRA-Systems in Schulen:

Die Verbindlichkeit der Zugangsregelungen wird verstärkt, wenn Schüler als Partner bei der Erstellung der Benutzerordnungen betrachtet werden. ... Verhaltensrichtlinien und Benutzungsordnung sollten auch Sanktionen gegen den Missbrauch des Internets, beispielsweise Zugangssperren, aufführen. Eltern, Lehrer und Schüler müssen sich bewusst sein, dass der Verlust der Internetzugangsberechtigung einen großen Nachteil für die schulische Ausbildung eines Schülers mit sich bringt. Statistiken über Richtlinienverstöße erlauben Schulen, Trends zu identifizieren. ... Das Anlegen von Logfiles erlaubt es Netzwerkbetreuern, unerlaubt aufgerufene websites zu dokumentieren und Schüler zur Verantwortung zu ziehen. Meist reicht die Bekanntheit der technischen Möglichkeit des "Tracking" aus, um Schüler vor Verstößen gegen die Richtlinien abzuschrecken. Solche Verfahren sollten allerdings ausschließlich mit dem Wissen der Schüler und Eltern angewandt werden. Bei Missbrauch des Internets können Schülern Strafen angedroht werden.

Siehe auch

Bertelsmann und Ver.di

Ver.di Bundesfachbereichskonferenz Gemeinden distanziert sich von Bertelsmann

Anlässlich der Zusammenarbeit von Ver.di und der Hans-Böckler Stiftung mit der Bertelsmann Stiftung beim 5. Forum für Führungs- und Leitungskräfte in Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen (Potsdamer Forum) hat die Ver.di Bundesfachbereichskonferenz Gemeinden im April 2007 einen Beschluss ohne Gegenstimme gefasst, in dem die Ver.di Bundesfachbereichskonferenz aufgefordert wird, sich von Bertelsmann zu distanzieren.

In dem Beschluss (veröffentlicht auf den NachDenkSeiten und bei LabourNet) heißt es:

Die Ideologie und die Ziele der Bertelsmann Stiftung stehen im offenen Widerspruch zu gewerkschaftlichen Zielsetzungen und Forderungen. ... Die Bertelsmann Stiftung und der Bertelsmann Konzern haben inzwischen große Teile von Politik und Gesellschaft „unterwandert“. Es kann nicht in gewerkschaftlichem Interesse lie­gen, hierfür auch noch ein öffentliches Forum zu schaffen.


Arvato Direct Services

Arvato Direct Services ist eine 100%-ige Tochter des Bertelsmann-Konzerns.

Spiegel online 12.5.07:

Würzburg ist eine Partnerschaft mit dem Unternehmen Arvato eingegangen (…). Ziel der Vereinbarung: der radikale Umbau der Verwaltung nach den Gesetzen der Privatwirtschaft. Die Arbeitsabläufe werden gestrafft, statt Akten gibt es moderne Computer - und der Bürger wird zum Kunden. "Das Projekt ist einzigartig in Deutschland", schwärmt Oberbürgermeisterin Pia Beckmann. Erfahrung mit öffentlicher Verwaltung bringt Arvato reichlich mit. Im Bezirk East Riding im englischen Yorkshire hat das Unternehmen fast sämtliche kommunale Aufgaben übernommen. Arvato betreibt dort die Bürgerbüros, kassiert die Steuern und zahlt das Wohngeld an Bedürftige. (…) In East Riding ist Arvato für 325.000 Einwohner zuständig. Doch von Anfang an war klar, dass das Projekt nur Pilotcharakter haben sollte. Denn dem Mutterkonzern Bertelsmann schwebt Größeres vor. Im Visier habe man "Zentraleuropa und vor allem Deutschland"…

Siehe auch

Siehe auch

Persönliche Werkzeuge