Warum die »Sozialreformen« nicht die Kassen füllen, sondern das Gespenst der Freiheit bannen sollen.
Eine analytische Demaskierung des Herrschaftsbegriffs »Arbeitslosigkeit«.
Warum hat in Krisenzeiten die Frage ›was hält die Gesellschaft zusammen‹ Hochkonjunktur und wieso ertönt am Ende stets der Ruf nach ›Arbeit‹, ›Anerkennung‹ und ›Eigenverantwortung‹?
Klappentext Nachdem Religion und Moral als Mittel sozialer Kontrolle ausgedient haben, trägt allein das Arbeits- und Leistungsprinzip die Bürde, den Kitt in den hoch entwickelten kapitalistischen Gesellschaften herzustellen. Doch auch diese »Religion des Alltagslebens« (Marx), wonach Status und Einkommen Ausdruck individueller Leistung und nicht der Herkunft oder anderen Zufällen geschuldet sein sollen, offenbart zunehmend seine Absurdität.
Die Analyse politik-ökonomischer, soziologischer und philosophischer Diskurse über Arbeit und Arbeitslosigkeit zeigt, dass und wie die neuere ›Reform‹politik auf dieses Dilemma reagiert. Weit davon entfernt, ein ›Ende der Politik‹ anzuzeigen, ist es die ›historische Mission‹ des Neoliberalismus, das Schreckgespenst der Freiheit zu bannen. Analog zur künstlichen Verknappung des Reichtums gesellt sich so die Erzeugung von Angst und Schuld durch jene Simulation der ›Eigenverantwortung‹, im Zuge derer die Symptome einer ›deformierten Gesellschaft‹ – ›Faulheit‹, ›Illoyalität‹ und ›Anspruchsdenken‹ – bekämpft werden sollen.
Kurze Zusammenfassung Warum hat in Krisenzeiten die Frage »was hält die Gesellschaft zusammen?« Hochkonjunktur und wieso ertönt am Ende stets der Ruf nach »Arbeit«, »Anerkennung« und »Eigenverantwortung«?
Ausgehend von einer Analyse politik-ökonomischer, soziologischer und philosophischer Diskurse über Arbeitslosigkeit wird gezeigt, dass die neuere »Reform«politik nicht primär dem »Sachzwang« folgt. Es geht um die Rekonstruktion jenes Leistungsprinzips, wonach Status und Einkommen Ausdruck individueller Leistung und nicht der Herkunft oder anderen Zufällen geschuldet sein sollen. Notwendig geworden ist die Reartikulation des Prinzips »Jeder kriegt, was er verdient« als Behauptung, Forderung und durch »Reform« hergestelltes (Arte)Fakt, weil die Paradoxien der kapitalistischen Produktionsweise es als Ideologie zu entlarven drohen. Zum einen, weil der Zusammenhang von individueller (Arbeits-)Leistung und Ergebnis vollends zufällig wird, zum anderen, weil die tendenzielle Entkoppelung von Reichtum und Arbeit, die sich gerade auch in der Arbeitslosigkeit ausdrückt, auf die mögliche Aufhebung des Zusammenhangs von Arbeit, Mangel, Angst und Herrschaft verweist.
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Zunächst wird ein theoretisches Verständnis von Arbeit entwickelt, auf das der eigentliche Argumentationsgang als empirische Bearbeitung meiner Ausgangsthese im- und explizit aufbaut. Kapitel II stützt sich auf das Marxsche Konzept der ›abstrakten Arbeit‹, wonach die durch den Begriff der abstrakten Arbeit ausgewiesen Besonderheiten der gesellschaftlichen Organisation von Arbeit im Kapitalismus eine spezifische Form ›abstrakter Herrschaft‹ begründen. In einem zweiten Schritt werden dann vorherrschende Konzepte von Arbeit diesem vielfach als ›überfrachtet‹ bezeichneten Marxschen Arbeitsbegriff gegenübergestellt, um zu sehen, ob und wie die überwiegende Sprach- und Kritiklosigkeit seitens der heutigen Gesellschaftstheorie gegenüber dem sich verhärtenden Angst-Schuld-Verhältnis zwischen Arbeit und Nichtarbeit durch begriffliche Verdünnungen begünstigt werden.
Kapitel III fundiert die zuvor herausgearbeitete Bedeutung der Arbeit für die Integration der bürgerlichen Gesellschaft historisch-empirisch. Auf diese Weise ergibt sich das Bild eines Spannungsverhältnis zwischen Arbeit als ökonomischem Mittel und Arbeit als gesellschaftsstabilisierendem Zweck. Gezeigt wird zum Einen, wie und auf wessen Kosten die Kluft zwischen dem Ideal (bürgerlichem Leistungsprinzip) und der Wirklichkeit (Arbeitsleid, individuelle Einflusslosigkeit auf das Ergebnis sowie Arbeitslosigkeit) gerade in Krisenzeiten zu kitten versucht wird. Zum anderen kommt historisch und logisch der Empörung subalterner Klassen und Schichten angesichts der Existenz von Machtprivilegien, die nicht auf Leistung basieren, eine zentrale Rolle bei der Reproduktion des Leistungsprinzips als allgemeingültiger Norm zu.
Die herausragende Rolle, die ich der (individualistischen) Leistungsideologie zukommen lasse, beruht auf der Annahme, dass sie allein den Zusammenhalt einer antagonistisch strukturierten Konkurrenzgesellschaft darstellen kann, weil sie – anders als ‚traditionelle‹ Werte und Normen – als ›wertfrei‹ erscheinen und dadurch, gewissermaßen unsichtbar als geteilter Wert wirken kann. Damit rückt auch die – in der soziologischen Analyse meines Erachtens oftmals vernachlässigte – Funktion von Integration als Zwangsintegration im Sinne sozialer Kontrolle in den Blick. In Kapitel IV wird anhand wirtschaftswissenschaftlicher Befunde auf die realökonomischen Krisentendenzen eingegangen, die als Zuspitzungen grundlegender Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise verstanden werden müssen. In einem zweiten Schritt wird geklärt, inwieweit diese Tendenzen tatsächlich eine neue Dimension der Auszehrung eines ohnehin brüchigen Integrationsprinzips anzeigen.
Im Zentrum der Kapitel V und VI steht die Frage, wie der Demoralisierung des Leistungsprinzips mit Hilfe eines weitestgehend eindimensional geführten Mediendiskurses begegnet wird. Zunächst interessiert dabei, wie die ökonomische Krise, und speziell die Arbeitslosigkeit, sowohl hinsichtlich ihrer Ursachen wie auch bezüglich möglicher Lösungen interpretiert wird. Anhand des Aufzeigens von immanenten Widersprüchen wird gezeigt, wie mit den Vorschlägen und schließlich auch den Maßnahmen der ›aktivierenden Arbeitsmarktpolitik‹ implizit die Vorstellung eines auf individuelle Anstrengung zurückführbaren Ergebnisses, die Illusion, ›Jeder kriegt, was er verdient‹, ›wahr‹ gemacht wird. Diese ›Rekonstruktion‹ erfolgt gewissermaßen zweigleisig. Zum einen wird durch eine Hysterisierung ein Krisenbewusstsein erzeugt, das offenbar die Erzeugung von Angst und Verunsicherung in Kauf nimmt; zum anderen aber werden positiv besetzte Begriffe wie Freiheit, Gerechtigkeit, Anerkennung und Selbstverwirklichung massiv in einen weit über Arbeit hinausgehenden Reformdiskurs eingebracht. Anhand einer diskursanalytischen Auswertung politikökonomischer, soziologischer und philosophischer Diskurse wird deutlich, wie diese Begriffe mit einer spezifischen Konnotation versehen und so der Rekonstruktion des Leistungsprinzips zugänglich gemacht werden.
In Anlehnung an frühere, lange Zeit für überholt geglaubte Konzepte der ›Legitimations- und Steuerungskrise‹ wird im Anschluss daran ideologiekritisch begründet, warum die neoliberale und konservative Reformpolitik in Deutschland im Kontext ›sozialer Kontrolle‹ zu begreifen ist. Es geht nicht primär um Sachzwänge bzw. Profitinteressen, sondern um die Aufrechterhaltung der Fiktion individueller Erträge und damit der Grundvoraussetzung der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt. Die Entlarvung der Illusion des Leistungsprinzips bezweckt deshalb nicht dessen Rehabilitation, sondern kritisiert es als Moment des Zwangszusammenhangs von Arbeit, Mangel, Angst und Herrschaft.
Aus dem Inhalt Vorwort I Einleitung I.1 Vom »Ende der Arbeit« zur Standortexpertise
I.2 Leistungsprinzip und Herrschaftsrationalität
Exkurs: Leistungsprinzip und Geschlechterverhältnis
I.3 Arbeitsschritte und Methode
II Arbeit, Leistung, Herrschaft Exkurs: Zum Begriff des Leistungsprinzips
II.1 "Abstrakte Arbeit"
II.1.1 Der Geldnexus der Arbeit
II.2 Idealisierung und Affirmation: Von der Arbeits- zur
Tätigkeitsgesellschaft
II.2.1 Die Kritik an der »Arbeitsmetaphysik« und ihre Grenzen
II.2.2 Soziologische Weitwürfe
II.3 Zusammenfassung
III Aufstieg des Arbeits- und Leistungsprinzips III.1 Arbeit zwischen Gott und Geld
III.1.1 Vom »Kirchenjoch zum Joch der Arbeit"
III.1.2 "à chaqun selon sa capacité, à chaque capacité selon ses oeuvres"
III.2 Modernisierung durch Gewalt, Klassenkampf und »zweite Natur"
III.2.1 Das Ringen um Anerkennung und ihr Preis
III.3 Die Wiederkehr der verdrängten Nichtarbeit im Antisemitismus
III.4 Zusammenfassung
IV Die Krise des Leistungsprinzips IV.1 Arbeitslose Arbeit
IV.1.1 Funktionalität der Arbeitslosigkeit
IV.1.2 "Endlose Gelüste« statt Ende der Arbeit?
IV.2 Die Verwissenschaftlichung der Produktion und das Reichtumsparadox
IV.3 Krise, Reichtum und Mangel: Nichts Genaues weiß man nicht
Exkurs: Globalisierung, fiktives Kapital und die Grenzen von Keynes
IV.3.1 Die Ideologie der Knappheit
IV.4 Zusammenfassung
V Die Rekonstruktion des Leistungsprinzips: Arbeit als Dienst V.1 Die Debatte um die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft
V.1.1 Der Mythos der Qualifizierung
V.2 Von der Verdrängung zur Aktivierung
V.2.1 Rekommodifizierung im Postfordismus
Exkurs: Zur Kritik der Niedriglohnpolitik
V.2.2 Workfare relaunched
V.2.3 Hartzschrittmacher
V.3 Arbeit und »menschliche Würde": Der Paternalismus der »Anerkennung"
V.3.1 "Anerkennung«, »Egalitarismuskritik« und das »Recht auf Arbeit« bei Negt, Honneth und Krebs
V.4 Auf die Plätze! Chancengleichheit als Gerechtigkeit »a priori"
Exkurs: Das Beschweigen der Arbeit und ihre Simulation als Dienst
V.5 Zusammenfassung
VI Markt und Herrschaft VI.1 Elend und Triumph des Neoliberalismus
VI.2 Individuelle Freiheit und das Lob des Marktes
VI.2.1 Lob der Differenzierung oder ‚Die Welt ist keine Ware’
VI.2.2 Freiheit durch Wettbewerb oder der Kampf ums Dasein
VI.2.2.1 "Die Not der Notlosigkeit"
VI.2.2.2 "Die Welt aushalten lernen": Baha(ber)mas-Kommunismus
VI.3 Die Reg(ul)ierung der Freiheit
VI.3.1 Leistungsprinzip und Sozialstaat
VI.3.1.1 Politische Ökonomie der Steuerung des Sozialen
VI.3.1.2 Sozialstaat zwischen Affirmation und konservativer Kulturkritik
VI.4 Zusammenfassung
VII Schlussfolgerungen Literatur weitere Texte des Autors Verschlossene Türen taz Nr. 7485 vom 12.10.2004, Seite 15, 299 Zeilen (Kommentar), HOLGER SCHATZ