Machen wir uns nichts vor: Aufgrund der "Krise des Sozialstaates" wird überall gekürzt und die Sozialarbeit hat die Aufgabe, dem Staat - und damit der Bourgeoisie bei der Deregulierung und Privatisierung staatlicher Institutionen behilflich zu sein. Das, was uns als "Reform" verkauft wird, ist im Grunde nur eine Kürzung der sekundären Löhne, in denen "Gesundheit", Bildung, Kultur, soziale Absicherung bei Invalidität etc. enthalten ist.
Im Sinne Waigels werden die Opfer der kapitalistischen Verwertung zu Tätern hochstilisiert und damit zum Abschuß freigegeben. Die Weichenstellung für die Neoeuthanasie läuft auf Hochtouren. Sie wird verpackt in Ideologien, wie "humane Sterbehilfe" oder den Singer' schen Präferenzutilarismus. Was ist die Ursache für das Motto: "Der Staat muß sparen"?
Die Ursache liegt in der Verwertungskrise der kapitalistischen Produktionsweise begründet. Sie zeigt sich in:
Die nochmals darunterliegende tiefere Ursache der "Krise"", in der sich jedoch tendenziell der Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft andeutet, ist die Verschiebung der organischen Zusammensetzung des Kapitals hin zum konstanten (Maschinerie), wodurch die Mehrwertproduktion (die sich auf dem Markt in Profit verwandelt) rückläufig ist. Denn nur die lebendige produktive Arbeitskraft schafft Mehrwert. Mit der zunehmenden Verdrängung der lebendigen Arbeitskraft aus dem Produktionsprozeß ("3. technologische Revolution") wird aber auch das Wertgesetz, die Ware-Geld-Beziehung zunehmend obsolet.
Die Krise der bürgerlichen Gesellschaft begann bereits in den 70er Jahren und wurde durch die keynesianische Politik der Staatsintervention in die Ökonomie verschoben. Aber schon vor 20 Jahren verschwand immer mehr an Kapital aus dem produktiven Bereich der Ökonomie (dem fungierenden und produzierenden Kapital) in den zinstragenden, couponschneidenden und spekulativen Bereich. Mit der keynesianistischen Politik ist nun endgültig Schluß und auch der Staat verabschiedet sich von allen unproduktiven Sektoren seiner Wirtschaft bzw. "schrumpft sie gesund". Als gesund gilt nur, wer durch Leistung Profite bringt - und das sind die Klientel der sogenannten "Fürsorge" nicht. Wir sollen der herrschenden Klasse (den Eigentümern des Mehrwerts, der sich über ihre Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel ableitet) und ihrem Staat dazu verhelfen, wieder Rendite zu erwirtschaften und den Druck auf die "sozial Schwachen", der Reservearmee der Produktion (den Erwerbslosen; speziell den Sozialhilfeempfängern) verstärken, damit sie sich um die Arbeitsplätze balgen und die Löhne dadurch sinken.
Man vergleiche mal die Diskussionen in der "Weimarer Demokratie" um 1928 innerhalb des DV (Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge) unter Wilhelm Polligkeit (1) mit den heutigen! Auch wir als (angehende) SozialarbeiterInnen im direkten oder indirekten Dienst des Staates sind von dieser Politik des "lean managements" und Sozialdarwinismus betroffen: im Konkurrenzkampf des jeder gegen jeden. Und die meisten ducken und machen mit bzw. treten von oben nach unten.
Die "Kunst" des "Mobbing", am perfektesten ausgebildet in den Vernichtungslagern der SS (2), feiert - heute verfeinert in der "corporative identity" - fröhliche Urstände und damit die immer brutalter werdende Ausgrenzung all derer, die die bürgerlich-kapitalistische Leistungsnorm nicht verinnerlicht haben und dementsprechend handeln. In der soziologischen Ideologie von Luhmann/Becker (Hilfe zur Nichthilfe im kommunikativen binären Code der Sozialen Hilfe) und psychologistischen Anthropologie von Schmidbauer ("Weniger ist manchmal mehr") wird der Paradigmenwechsel des Unwohlfahrtsstaates breit propagiert (3).
auf zu einer anderen Perspektive!
1) siehe dazu: Sachße/Tennstedt, Der Wohlfahrtsstaat im Nationalsozialismus, Stuttgart 1992, S. 46ff
2) siehe dazu Bettelheim, Bruno, Erziehung zum Überleben; Individuelles und Massenverhalten in Extremsituationen, München 1982, S.58 ff
3) siehe: Baecker, Soziale Hilfe als Funktionssystem der Gesellschaft, in: Zeitschrift für Soziologie, Heft 2, April 1994, S. 93-110. Auf S. 95 heißt es da: "Immer weitere Teile der Bevölkerung fallen innerhalb wie außerhalb der reichen Industrieländer aus dem Netzwerk von Hilfsangeboten heraus und bilden eine Sekundärgesellschaft, die weder an der Wirtschaft noch an der Politik, weder an der Erziehung noch an der Religion, weder an der Kunst noch an der Wissenschaft der Primärgesellschaft teilhat. Hier geht es nur noch um das Überleben. Die Nichthilfe, die sich hier durchsetzt, ist jedoch keine offen gelegte Option, sondern eine 'tragic choice', eine weder dem Markt noch der Politik zurechenbare Allokationsentscheidung (...) deren Effekte nur noch den Massenmedien auffallen und von diesen in Szene gesetzt werden. Im Bereich der monetären Sozialhilfe gelingt Nichthilfe am besten, denn hier brauchen nur die Kriterien für Hilfe den verfügbaren Budgets angepaßt zu werden (...) Die Nichthilfe ist die Schattenseite des Einsatzes von Sozialhilfe und Sozialarbeit, deren Ausleuchtung alle schon genannten Zweifel an einer helfenden Gesellschaft unterstreichen." Hier kommt genau der Singer'sche Präferenzutilarismus auf soziologisch daher: wenn es eh schon eine passive Euthanisie (die tragic choice der Medizin) gibt (indem z.B. Kinder mit starker Behinderung "sterben gelassen" werden, dann ist es doch besser zur aktiven Euthanasie überzugehen! Dafür natürlich muß es einen Konsensus im Apparat geben. Baecker als selbstgenügsamer Praktikant einer unbegriffenen Gesellschaft ("Die soziale Hilfe ist eine gesellschaftliche Praxis, die in dem Maße, in dem jede Praxis sich selbst genügt, auf einen Begriff der Gesellschaft, in der sie praktiziert, verzichten kann") droht an anderer Stelle mit einem Kollaps des "binären Codes": "Diese Situation begünstigt Parasiten sowohl auf der Seite der helfenden Organisationen wie auf der Seite der betroffenen Personen, die um so unbehelligteres Spiel haben, je unbezweifelbarer die Dilemmastruktur behauptet werden kann." Frage: Wer bestimmt denn, wer ein "Parasit" ist?
Sein Lehrer Niklas Luhmann tobte seinen Sozialdarwinismus ja bekanntlich in seinem Buch "Soziale Systeme (1984) aus und greift auf S. 505 zu Kollegenschelte: "Sie (die Soziologie) fordert zum Beispiel die Bemühung, zu erkennen, weshalb die Verbrecher ihre Verbrechen begehen (auch wenn dies zur Prüfung der juristischen Tatbestandsmerkmale nicht erforderlich ist), weshalb die Versager versagen, weshalb die Protestierenden protestieren. Sie durchsetzt damit das Immunsystem der Gesellschaft mit Kognitionsanforderungen - mit der merkwürdigen Inkonsequenz, daß sie dann ihrerseits die Gesellschaft als Widerspruch zu solchen Anforderungen erfährt und daraufhin die Gesellschaft ohne zureichende Kognition - allein auf Grund dieses Widerspruchs - abfertigt. Die soziologische Utopie lebt auf Grund eines eigenen Immunsystems, das mit dem der Gesellschaft inkompatibel ist. So wird die Soziologie zur Krankheit der Gesellschaft und die Gesellschaft zur Krankheit der Soziologie - wenn diese Inkompatibilität nicht theoretisch unter Kontrolle gebracht wird"