subjekt. gesellschaft
ISBN: 3-89771-413-2
Ausstattung: br., 192 Seiten Preis: 14.00 Euro / 24.80 sfr Eine Kritik der herrschenden Verhältnisse kann einer Theorie des Subjektes nicht entbehren. Der vorliegende Band gibt einen kurzen Überblick über die Geschichte und gegenwärtige Situation dieser Projekte. Exemplarische Analysen u.a. zur Psychoanalyse deutscher Generationengeschichte, zur neoliberalen Subjektformierung und zur Kategorie Geschlecht, geben einen Einblick in die unterschiedlichen Perspektiven und Problemaufschlüsse kritischer Psychologien. Inhalt Christoph Engemann Vorwort Thomas Gerlach Die Herstellung des allseits verfügbaren Menschen Zur psychologischen Formierung der Subjekte im neoliberalen Kapitalismus Lars Quadfasel, Carmen Dehnert Wenn der braune Großvater erzählt Zur Psychoanalyse des postfaschistischen Subjekts Christoph Kimmerle »Geschlecht« als eine zentrale Grundbegrifflichkeit der Psychologie(n) zwischen Affirmation und Kritik gesellschaftlicher Differenzierung, Normierung und Hierarchisierung Christine Kirchhoff Anmerkungen zum Verhältnis von Gesellschaftskritik und Psychoanalyse Katrin Reimer und Catharina Schmalstieg Zum Zusammenhang von Psychologie- und Gesellschaftskritik Elène Misbach Kritische Psychologie und studentische Praxisforschung Das Ausbildungsprojekt Subjektwissenschaftliche Berufspraxis als Beispiel für die Einheit von Forschung und Praxis Autorengruppe Bremen Theorie und Praxis der Psychoanalyse Zu den AutorInnen Kirsten Dieckmann geb. 1974, studiert seit 1995 Psychologie an der TU Berlin. Politische Tätigkeit zunächst in der Eine Welt Arbeit, seit 1996 in der Fachbereichsinitiative Psychologie. Mitglied des AStAs der TU Berlin, Politikschwerpunkte: Solidaritätsarbeit für Inhaftierte in der Türkei, Kampf der deutschen Asylpraxis und Überwachung. Mitorganisation von mehren Kongressen: ASPK 1997, »not a love song« Kongress sowie der Linken Hochschultage an der TU Berlin. Christoph Engemann, geb. 1972; z. Z. Student der Psychologie in Bremen. Interessensschwerpunkte: Psychoanalyse, Subjekttheorien, politische Ökonomie des Internet. Mitorganisator des »not a love song« Kongresses. Thomas Gerlach, Diplom-Psychologe. Studium in Bremen, Abschlussarbeit zum psychologischen Gehalt der neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie. Beruflich z.Z. in einer Behinderteneinrichtung tätig. Seit 1999 Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Initiative Bremen. Judith Heckel, geb. 1974, quälte sich lange mit dem Studium der Psychologie in Mainz, ab 2001 Fortsetzung des Studiums in Bremen. Mitorganisatorin des »not a love song« Kongresses. Christoph Kimmerle, Dipl.-Psychologe: Studium an der Universität zu Köln und an der Freien Universität Berlin, Lehraufträge am Soziologischen Institut der FU Berlin, derzeit Mitarbeiter in einem Forschungsprojekt zu Vergeschlechtlichungsprozessen an der Universität Potsdam als auch Berufstätigkeit in der psychosozialen Einzelfallhilfe; Interessensschwerpunkte: das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft unter Berücksichtigung von Handlung und Subjektivität sowie die soziale Konstitution und Funktionalität von Wissenschaft und disziplinären Praxen. Christine Kirchhoff lebt in Bremen und studiert dort Psychologie. Elène Misbach, studiert an der FU Berlin Psychologie, Schwerpunkt Kritische Psychologie. Hochschulpolitische Tätigkeit zum Verhältnis Wissenschaft, Herrschaft, Politik v.a. im Zshg. mit den Auseinandersetzungen um das politische Mandat der Verfassten Studierendenschaft. Lars Quadfasel, ehemaliger Kindergärtner, und Carmen Dehnert, ehemalige Verkäuferin, studieren zur Zeit in Hamburg Germanistik und sind aktiv in der Gruppe Ratio Rausch Revolution (GRRR). Katrin Reimer, 1973; Studentin der Psychologie an der FU Berlin; Arbeitsschwerpunkte: Theorie-Praxis-Verhältnis der Psychologie, gesellschaftstheoretische Dimensionen Kritischer Psychologie. Claudia-Catharina Schmalstieg, 1974; Studentin der Psychologie an der FU Berlin; Arbeitsschwerpunkte: Feministische Wissenschaft(-skritik) und Kritische Psychologie; Mitarbeit in der Frauenredaktion der Zeitschrift »Das Argument«. Anna Tuschling studiert Psychologie in Bremen, Mitorganisatorin des »not a love song« – Kongresses. Interessensschwerpunkte: Psychoanalyse des Geschlechterverhältnisses, politische Ökonomie des Internet. Autorengruppe Bremen: Wer mehr über uns wissen will, den fragen wir, ob das mit der Analyse zu tun haben soll? Interessiert bei ihr der Autor nicht nur, wenn man sie für inhaltlich subjektiv hält, bloß weil sie die Form von Gedanken eines Subjekts hat? Wie hat man dann im übrigen aber die Differenz zum Objekt erkannt? – Oder soll der Autor wie so oft für die Autorität der Analyse einstehen, welche folglich ohne Argumente auskommt? – Warum dann überhaupt die Erklärung? – Wem es ernst mit ihr ist, sei daher auf sie zurückverwiesen. Vorwort Die Linke und die Psychologie hatten schon immer ein schwieriges Verhältnis zueinander. Von Seiten linker GesellschaftskritikerInnen stand die Psychologie unter dem Generalverdacht, eine bürgerliche Wissenschaft zu sein. Sie erzeuge aus individuellen Phänomenen Erklärungsmuster für gesellschaftliche Begebenheiten, die den Blick auf die historisch-gesellschaftliche Formbestimmtheit der Individuen verstelle. Die Psychologie, so diese Analyse, ist Produkt und gleichzeitig Generator von Ideologie und maßgeblich an der Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Verblendungszusammenhangs beteiligt. Darauf bezog sich auch der Vorwurf des »Befriedungsverbrechers« des italienischen Antipsychiaters Basaglia an die PsychotherapeutInnen und ArbeitspsychologInnen. Konsequent lautete die Forderung dieser Position denn auch »Zerschlagt die Psychologie!«. Auf Seiten der PsychologInnen mit kritischem Selbstverständnis wurde dagegen einerseits auf das komplexe und klärungsbedürftige Wechselverhältnis zwischen Individuen und Gesellschaft verwiesen, dessen Verständnis für Fragen nach Konformismusphänomenen oder nach Emanzipationspotentialen entscheidend ist. Der überwiegenden Tätigkeit von PsychologInnen entsprechend waren andererseits die konkreten (Be-)Handlungsperspektiven psychisch leidender Menschen Gegenstand kritisch psychologischer Diskussionen. Wie könnte eine kritisch psychologische Praxis aussehen, die gesellschaftliches Leid nicht bloß individualisierend behandelt, in der PsychologInnen nicht mehr nur das humanistische Schmieröl im Verwertungsprozess darstellen? Die vorliegende Textsammlung soll einen Überblick über bestehende kritische Psychologien bieten. Die Beiträge sind schriftliche Ausarbeitungen der Vorträge des Kongresses »this is not a love song – radikale linke und psychologie heute«, der im Juli 2000 in Berlin stattfand. Ziel dieses studentischen Kongresses war es einerseits, politische Themenfelder aufzuzeigen, zu denen sich kritische Psychologien verhalten müssen. Andererseits sollte eine Zustands- und Perspektivbestimmung der verschiedenen Strömungen kritisch psychologischen Denkens vorgenommen werden, die sich in den letzten dreißig Jahren entwickelt und teilweise institutionalisiert hatten. &Ü2&Zur Geschichte kritischer Psychologien Kritische Psychologie ist ein Schlagwort, das einer sozialen Bewegung den Namen gab, das aber auch als Sammelbezeichnung für diverse Theorieansätze fungiert. Ebenso wie in anderen Bereichen ist der Begriff der Kritik in der Psychologie zunehmend der Beliebigkeit anheim gefallen und fasste bald alles, was sich nicht im offiziellen akademischen Kanon wiederfand. In Opposition zum naturwissenschaftlich orientierten Weltbild der »Mainstream«-Psychologie gesellten sich orthodoxe MarxistInnen, soweit sie an der Notwendigkeit psychologischer Forschung festhielten, und antiaufklärerische Esoterikprojekte unter der Bezeichnung kritische Psychologie zueinander. Zur besseren Orientierung haben wir uns entschlossen, im Vorwort einen kurzen – keineswegs vollständigen – Abriss der Geschichte und Situation kritischer Psychologien zu geben. Im Anschluss werden kurz die einzelnen Beiträge vorgestellt. Ausgehend von 1968 entwickelten sich im Wesentlichen zwei Strömungen kritischer Psychologie. Äußerlich unterschieden werden sie an der Schreibweise des k: »kritische Psychologie« und »Kritische Psychologie«. Letztere bezieht sich auf die vornehmlich in Berlin beheimatete Schule, die von Klaus Holzkamp begründet wurde, erstere dagegen auf ein Spektrum von PsychologInnen, die im Umfeld der Kritischen Theorie Horkheimers und Adornos und der Psychoanalyse zu verorten sind. Hochburgen dieser Richtung waren Frankfurt, Bremen und Hannover. Zwischen beiden Positionen gab es heftige Auseinandersetzungen um Gestalt und Praxis einer sich kritisch verstehenden Psychologie. An dieser Stelle muss eine Darstellung der Debatten aus Platzgründen unterbleiben. Eine Geschichte der Auseinandersetzungen wäre ein lohnenswertes Projekt, dessen Realisation noch aussteht. Wesentliche Unterschiede zwischen den kritischen Psychologien liegen in der Auffassung der Subjektkonstitution – hier vor allem in der Frage nach der Rolle des Unbewussten und danach, ob eine positive Bestimmung einer kritischen Psychologie und deren Praxis überhaupt möglich ist. Damit ist die Frage gemeint, ob angesichts der Wirkmächtigkeit der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse und der Rolle der Psychologie darin überhaupt eine bessere Psychologie möglich sei. Die Kritische Psychologie hat diese Frage bejaht und ein eigenes Theoriegebäude errichtet. Die »klein k Psychologie« hat sich dagegen zu allen Positionen skeptisch verhalten, die sich bemühten, ein konsistentes emanzipatorisches Programm vorzuweisen. Sie hat vielmehr in Form der Psychoanalyse mit einer Praxis sympathisiert, die radikal für das einzelne Subjekt einsteht, und sie hat mit der Kritischen Theorie gleichzeitig die Ansicht vertreten, dass es keine richtige Praxis im falschen Ganzen geben kann. Eine kritische Psychologie, so diese Position, muss diesen Widersprüchen eingedenken und kann, wenn überhaupt, Leiden sicht- und erlebbar machen, damit die individuelle Bedingungen kapitalistischer Vergesellschaftung aufhellen und punktuelle Leidensminderung erreichen.Es ist vielleicht dieser der gesellschaftlichen Verfasstheit geschuldeten fundamentalen Skepsis zuzurechnen, die angesichts der akademischen Anfeindungen und des Erfolgs der Integrationskraft der kapitalistischen Gesellschaft schwer aus- und durchhaltbar war, dass die kritische Psychologie letztlich dem Konformismus anheim gefallen ist. Die Diagnose, die Hans Zygowski 1996 den kritischen PsychologInnen ausstellte, lautete dann auch auf: Modernisierer geworden oder der postmodernen Beliebigkeit anheim gefallen. Erstere dienten ihre Konzepte als bessere Alternativen zum Mainstream an. Letztere haben, bis auf feministische Ausnahmen, keine eigenständigen theoretischen Positionen hervor gebracht, die den radikalisierten Zweifel postmoderner Positionen fruchtbar auf die Psychologie wendeten. Hier wurde Postmoderne ausschließlich als willkommene Sanktionierung der eigenen Orientierungslosigkeit und Entpolitisierung genutzt. Eine integrierende Debatte, die postmoderne Fragestellungen aufnimmt und z.B. mit der Frankfurter Schule zu vermitteln suchte, wie es in der Philosophie etwa Andrea Maihofer (»Geschlecht als Existenzweise«) oder Peter Bürger (»Ursprung des postmodernen Denkens«, »Das Verschwinden des Subjekts«) versucht haben, blieb weitgehend aus. Es muss an dieser Stelle außerdem vermerkt werden, dass führende Köpfe der kritischen Psychologie wie Peter Brückner, Klaus Horn und Alfred Lorenzer schon früh in den achtziger Jahren verstorben oder schwer erkrankt sind. Die Situation der Kritischen Psychologie stellt sich dagegen anders dar. Hier ist eine bemerkenswerte Resistenz gegenüber dem Mainstream festzustellen. Diese Richtung ist die derzeit einzige, die ein konsistentes Theorieprojekt vorweisen kann. Ihr ist es gelungen, trotz der gegebenen schwierigen Umstände und der allgemeinen (Selbst-)Formierung der Psychologie sowohl aktuelle Debatten aufzugreifen als auch grundsätzliche Fragen zu bearbeiten. Gleichwohl führt die Kritische Psychologie nach dem Tod ihres Gründers Klaus Holzkamp im Jahr 1995 immer mehr ein Schattendasein. Eine Neubesetzung der Professur Holzkamps ist entgegen anders lautender Zusagen unterblieben. Gegenwärtig werden die verbliebenen Reste dieser Schule durch bildungspolitische Entscheidungen und universitäre Intrigen konsequent zerstört. So stellt sich die Situation der kritischen Psychologien im Jahr 2001 als ein einziges Trümmerfeld dar. Dieser Zustand wird sich in den nächsten Jahren durch die anstehende Emeritierung der linken, aber auch der vormals linken ProfessorInnen, die kritische Positionen häufig immerhin geduldet haben, verschärfen. Gegenwärtig deutet also alles darauf hin, dass kritische Psychologien nicht viel mehr bleiben werden als eine wissenschaftsgeschichtliche Episode des zwanzigsten Jahrhunderts. Hier stellt sich die Frage, ob das akademische Fach Psychologie überhaupt den geeigneten Rahmen für eine Betrachtung des Subjekts vor einem gesellschaftskritischen Hintergrund darstellen kann, und inwiefern sich PsychologInnen durch ihre Fachidentität beim Erkenntnisprozess selbst im Weg stehen. Angesichts der beschriebenen Situation verfällt mensch allzu leicht in eine Romantisierung der kritischen Psychologien. Es steht aber noch aus zu diskutieren, inwieweit die genannten Richtungen selbst Elemente der gesellschaftlichen Form- und Funktionsbestimmtheit von Psychologie in sich tragen. Eine wesentliche Frage in diesem Zusammenhang ist die nach der gesellschaftlichen Funktionalität des Subjektideals der kritischen Psychologien. Das freie, sich selbst entwerfende Arbeitssubjekt der Gegenwart, das seinen Job (scheinbar) seinen individuellen Wünschen und Vorlieben gemäß organisiert, sieht dem vom Idealbild des Künstlers abgeleiteten Subjekt kritischer Psychologien zum Verwechseln ähnlich. &Ü2&Wie studieren? Der Kongress »this is not a love song« ist vor diesem Hintergrund sowie dem des gesamtpolitischen Panoramas der 1990er Jahre zu verstehen: die in den 1980ern begonnenen und nach dem Fall der Mauer beschleunigten restaurativen Prozesse, das heißt der Niedergang der Linken auf der politischen Ebene, die Selbst-de-intellektualisierung der verbliebenen Restlinken im Wissenschaftsbetrieb, der Durchmarsch des neoliberalen Kapitalismus und die nationalistische Formierung Deutschlands. Die meisten akademischen PsychologInnen haben in ihrem Anerkennungsbedürfnis, das vom vermeintlichen Legitimationsproblem der Psychologie herrührt, keine richtige Naturwissenschaft zu sein, munter am beschriebenen Wandel mitgearbeitet, um wenigstens so ihre Nützlichkeit bestätigt zu bekommen. Sich vormals als links bezeichnende PsychologInnen bildeten dabei keine Ausnahme, im Gegenteil, viele von ihnen dienten ihre Konzepte gerade in den 1990ern erfolgreich als Modernisierungsalternativen an – natürlich nicht, ohne sie um die gesellschafts- oder gar kapitalismuskritischen Aspekte zu bereinigen. Nichtsdestotrotz hat die naturwissenschaftliche Ausrichtung der Psychologie, in Deutschland wie überall sonst in der Welt hegemonial, während der 1990er Jahre alles daran gesetzt, auch die letzten Standorte der geisteswissenschaftlich oder gar kritisch orientierten Psychologie zu schleifen. An der überwiegenden Mehrzahl der Universitäten werden solche Positionen schlicht totgeschwiegen, beziehungsweise. es wird ihnen, wo das nicht geht, die wissenschaftliche Legitimität abgesprochen. An den wenigen Universitäten in Deutschland dagegen, an denen VertreterInnen dieser Theorien Lehrstühle inne haben, zu nennen sind hier v.a. Berlin, Bremen, Frankfurt und München, kam das ganze Repertoire akademischer Obstruktionspolitik zum Einsatz: Nichtanerkennung von Prüfungsleistungen, Verweigern von Lehr- und Prüfungserlaubnissen, Nichtbesetzung von Stellen, Verknappung von Ressourcen und nicht zuletzt permanentes Abwerten bei den Studierenden (»Lassen Sie sich nicht mit denen ein, da sind Sie nachher arbeitslos!«). Diese Tatsachen und die zunehmend gesellschaftskonforme Orientierung vieler »linker« PsychologInnen führten dazu, dass StudentInnen sich kritische Inhalte bei den »Übriggebliebenen«, zumeist marginalisierten »Unverbesserlichen« aneigneten und in die benachbarte Soziologie und Philosophie auswichen. In diesen beiden Fächern boten gerade die feministischen Theorien zahlreiche Anknüpfungspunkte an die Psychologie, die von jener allerdings bis heute größtenteils ignoriert werden. Zusätzlich wurde in selbstorganisierten Veranstaltungen und Tutorien Theoriearbeit geleistet. Dazu kamen einige überregionale Veranstaltungen, auf denen sich ausgetauscht und gestritten wurde. Zu nennen ist hier vor allem der ASPK, der Autonome Studentische Psychologie Kongress. Der ASPK war aus dem Uni-Streik 1988/89 hervorgegangen und war ein semesterweise stattfindender selbstorganisierter Kongress. Die beschriebenen Entwicklungen machten auch vor diesem Forum nicht halt. Ab Mitte der 1990er sanken die Teilnehmerzahlen stetig, verschiedene Abspaltungen wie z.B. die Initiative Psychologie und Umweltschutz (IPU) entwickelten sich. Diese hatten mit einer kritischen Psychologie nur noch insofern zu tun, als dass sie ein Eintreten für Ökologie mit Gesellschaftskritik verwechselten. Viele StudentInnen, gerade von den Mainstreamuniversitäten, die sich trotz des “Autonom” im KongressTitel auf die Wochenenden trauten, sahen ihre Unzufriedenheit über die positivistische Psychologie häufig am besten in entpolitisierenden humanistischen Positionen oder gleich der Esoterik aufgehoben – und erwarteten auf dem ASPK auch entsprechende Selbsterfahrungsveranstaltungen. Die Auseinandersetzungen um den anti-emanzipatorischen Charakter des Humanismus und der Esoterik, um die Notwendigkeit einer theoretischen Reflexion auch von Selbsterfahrung, stellten denn auch die zentralen Streitpunkte auf den ASPKs dar. Die Diskussion eines gemeinsamen Kritikbegriffes, das Beziehen kapitalismuskritischer Positionen verunmöglichte sich in diesem Forum immer mehr. Einige linke PsychologInnen wie die VertreterInnen der Kritischen Psychologie nach Holzkamp zogen daraus 1995 die Konsequenz, den Kongress zu boykottieren. Andere sahen hier immer noch fruchtbare Möglichkeiten des Austausches und Kennenlernens Gleichgesinnter. Die Treffen liefen bis 1999 weiter, stellten aber kaum noch ein theoretisches als vielmehr ein soziales Ereignis dar. Der »not a love song« Kongress Der Kongress »this is not a love song« war von studentischer Seite der Versuch, in dieser Situation eine Bestandsaufnahme noch verbliebener, dezidiert gesellschaftskritischer Bestrebungen im Umfeld der Psychologie zu leisten. Das Ergebnis war ernüchternd und erfreulich zugleich. Ernüchternd war die oben geschilderte Lage der institutionalisierten kritischen Psychologien und die daraus resultierenden Zukunftsaussichten. Ernüchternd war außerdem, dass kritisches Wissen sich meistens im Alleingang angeeignet werden muss und dass der Kenntnis- und Diskussionsstand oft weit hinter den der Nachbardisziplinen zurückfällt. Es existiert einfach kein Reservoir, in dem sich elaborierte Debatten entwickeln können – aus denen dann wiederum fundierte Kritik hervorgehen könnte. Hier schließt sich allerdings auch der erfreuliche Teil des Kongresses an. Angeregt durch die Kongressbeiträge, sowie durch die Begegnung mit Gleichgesinnten, verspürten viele der ca. 60 TeilnehmerInnen einen regelrechten »Theoriehunger«: das Bedürfnis, die Standpunkte der kritischen Psychologien kennen zu lernen, aber auch thematisch verwandte Debatten aus der Philosophie, Soziologie sowie den feministischen Theorien zu reflektieren. Dass eine kritische Psychologie notwendig Kapitalismuskritik beinhaltet, für die entsprechendes theoretisches Werkzeug angeeignet werden muss, stellte einen weitgehenden Konsens dar. Eine erneute Marxrezeption, die auch die Grundlage zum Verständnis der vorhandenen kritischen Psychologien bildet, wurde als ein vordringliches Ziel angesehen. Aus der zunächst entmutigenden Analyse der Bedingungen, unter denen eine solche Theorieaneignung geschehen muss, entstand die Idee, eine Seminarkultur zu etablieren. In überregionalen Seminaren, die von interessierten StudentInnen aus verschiedenen Fachbereichen vorbereitet werden, soll ein wissenschaftlicher Diskurs geführt werden, der an den Universitäten zunehmend verunmöglicht wird. Die ersten dieser Seminare haben bereits mit Erfolg stattgefunden und die Reihe wird fortgesetzt. Weitere Informationen gibt es unterwww.notalovesong.org. Die in diesem Band versammelten Beiträge sind somit als Ausgangspunkt für eine erneute Debatte kritisch psychologischen Denkens zu verstehen. Mit ihnen soll eine Auswahl von zentralen Themenfeldern vorgestellt werden, gleichzeitig sind hier die wichtigsten Zugänge zur kritischen Psychologie repräsentiert. Thomas Gerlachs Text »Die Herstellung des allseits verfügbaren Menschen« analysiert mit Hilfe der Kritischen Psychologie diskursive Legitimationsstrategien des neoliberalen Kapitalismus. Lars Quadfasel und Carmen Dehnert zeigen in ihrem Text »Wenn der braune Großvater erzählt… Zur Psychoanalyse der Generationengeschichte des Nationalsozialismus und des postfaschistischen Charakters« Aktualität und Reichweite des Erkenntnisgehalts psychoanalytisch orientierter Gesellschaftsanalysen. Christoph Kimmerle zeigt mit einem genuin anderen Zugang, dem Poststrukturalismus, in seinem Text »Geschlecht als eine zentrale Grundbegrifflichkeit der Psychologie(n) – zwischen Affirmation und Kritik gesellschaftlicher Differenzierung, Normierung und Hierarchisierung« die Dimensionen und Gefahren ontologisierender Geschlechterzuschreibungen, denen sich kritische Psychologien stellen müssen. »Einige Anmerkungen zum Verhältnis von Gesellschaftskritik und Psychoanalyse« von Christine Kirchhoff ist der Versuch der Verortung der Psychoanalyse vor dem Hintergrund eines werttheoretisch aktualisierten Marxismus. Einen weiteren Beitrag zur Kritischen Psychologie haben Katrin Reimer und Catharina Schmalstieg von der Fachschaftsinitiative Psychologie der FU Berlin beigesteuert. »Zum Zusammenhang von Psychologie- und Gesellschaftskritik« ist als eine Einführung gedacht, die die Kritische Psychologie anhand ihrer zentralen Begriffe überblicksartig darstellt. Anschließend zeigt Eléne Misbach, wie »Kritische Psychologie und studentische Praxisforschung« am Beispiel eines Ausbildungsprojektes der FU Berlin konkret durchgeführt werden. Der Vortrag und Text der Autorengruppe Bremen »Theorie und Praxis der Psychoanalyse«, der eine radikale Psychoanalysekritik vom Standpunkt der Marxistischen Gruppe (MG) formuliert, löste heftige Kontroversen sowohl während des Kongresses als auch anschließend aus. Obwohl wir HerausgeberInnen die Analysen dieses Textes als verkürzt und falsch erachten, halten wir die Dokumentation diesen Text für weitere Debatten für notwendig. Uns ist bewusst, dass die in den hier versammelten Texten vertretenen Positionen sich zum Teil fundamental widersprechen. Das Buch kann und will dem Anspruch, eine konsistente Position zu formulieren, die dem Gegenstand – der kapitalistischen Vergesellschaftung des Subjekts, seinem Begehren und seinem Leiden – gerecht wird, nicht genügen. Es gibt vielmehr die disparate Lage gegenwärtigen psychologischen Denkens über Subjekte und Subjektivität wieder und ist als eine Bestandsaufnahme gedacht, die der anstehenden Diskussion als eine Grundlage dienen soll. Am Zustandekommen des Kongresses wie des vorliegenden Buches waren eine Vielzahl von Personen und Institutionen beteiligt. Wir danken den AutorInnen für ihre Mühe und Geduld. Weiterhin danken wir der Rosa Luxemburg Stiftung, hier insbesondere Rainer Rilling, Lutz Kirchner sowie Marion und Jörn Schütrumpf für ihre großzügige und unbürokratische Unterstützung. Wir danken außerdem den ASten der Universitäten in Bremen, Mainz und Berlin, ohne die das Projekt gar nicht erst entstanden wäre. Thomas Gerlach und Norbert Schepers, sowie Klaus Weber und Morus Markard haben uns mit Rat und Tat weitergeholfen, auch ihnen gilt unser Dank. Die OrganisatorInnen: Anna Tuschling Christoph Engemann Judith Heckel Kirsten Dieckmann Literatur Maihofer, Andrea (1995). Geschlecht als Existenzweise. Frankfurt am Main: Ulrike Helmer Verlag. Bürger, Peter (2000). Ursprung des postmodernen Denkens. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft. Bürger, Peter (1998). Das Verschwinden des Subjekts. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Zygowski, Hans (1996). Nachlese. in: Psychologische Rundschau, 2/96. Bessau Verlag empfehlenswerte Literatur: Fried, Barbara u. Christina Kaindl (1997). Erkenntnis und Parteilichkeit: Kritische Psychologie als marxistische Subjektwissenschaft. Hamburg: Argument. Rexilius, Günther (HG) (1988). Psychologie als Gesellschaftswissenschaft: Geschichte, Theorie und Praxis kritischer Psychologie. Opladen: Westdeutscher Verlag. Psychologie und Gesellschaftskritik. Heft 86/87 (1998): kritische psychologie. Frankfurt am Main: Mabuse Verlag. Aus der Rubrik: Politik - Politik u. Gesellschaft |