Phase 2
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Von der Notwendigkeit eines Ziels der Geschichte für den Kommunismus



Antwort eines Vertreters der Antideutschen Kommunisten (Berlin) auf die Texte „Basisbanalitäten über bürgerliche Gesellschaft und ihren Export“ und „Die Möglichkeit der Revolution“ aus Phase 2.06(1)

Jeder verspürt dann und wann die Lust Amok zu laufen; manche tun es. Der verhältnismäßig begabte Maler Ernst Ludwig Kirchner verbrachte seine Zeit bis 1914 damit, häßliche Menschen aus der Boheme zu malen. Dann meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst, zwecks Katharsis im Stahlgewitter. Dieses war kaum vorbei und die Menschen nicht rundumerneuert, sondern noch mehr am Boden, schon bastelten seltsame Dadaisten in immerhin formeller Opposition Kollagen. Nichts ging mehr, also weg mit Form und Inhalt: tabula rasa mit dem Schönen, Guten und Wahren, so als ob die Idee Schuld daran trüge, dass die Sache nicht folgt. Die Philosophie dieser Zeit beschloss, eine fundamentale Aufklärungs- und Vernunftkritik durchzuführen. Das was heute als Postmoderne sein Unwesen treibt, wurde damals richtig als Irrationalismus oder Subjektivismus bestimmt. Dieser war und ist wesentlich antikommunistisch und lief auf die Basisbanalität hinaus, dass Fortschritt nicht statt zu haben hat, es also nie Vernunft in der Geschichte gab und diese auch nicht auf ein vernünftiges Ziel gerichtet sein darf: Der Irrationalismus beerdigte die Geschichtsphilosophie wie der Dadaismus die Kunst.

Freiburger Basisbanalitäten

Die Freiburger Sekte „Kritik im Handgemenge“ befindet sich brav in der linken Norm und verdächtigt jeden, der die Welt nicht grau in grau malen will, der Geschichtsphilosophie. Diese wird bei ihnen mit dem Attribut „stalinistisch“ belegt, was nicht weiter verunsichern sollte. So wenig die Kommunisten heute Stalinisten sind, so wenig spricht aus der Auflistung dessen, was die Freiburger für „Basisbanalitäten“ halten, irgendwie Kenntnis der sowjetischen Geschichte. Stalin steht einfach für schlimm. Wie die heute übliche routinierte Denunziation des gar nicht mehr rezipierten Traditionsmarxismus\' dient solche Prädikation dazu, die Geschichtsphilosophie und damit den Kommunismus überhaupt zu exorzieren. Keine Veranlassung sehen die Niederschreiber von Banalitäten dazu, die Geschichtsphilosophie der Aufklärung zu reflektieren, wie es die vom Publikum kaum verdaute Zeitschrift Bahamas dies tat.(2)
Ein vernünftiges Ziel der Geschichte taucht als Antizipation auf, sobald die Menschen aus ihrer Unmittelbarkeit gerissen werden. Zunächst als religiöse Versprechung auf ein gelobtes Land oder die Ankunft eines Messias. Dann als real auftauchender Messias, der in der Mythe zwar nicht die Versöhnung selbst, aber dafür die objektive Möglichkeit derselben setzte. Man müsse nur dem leuchtenden Beispiel Jesus folgen. Das transzendente Ziel erschien zunächst in den Gemälden des Mittelalters als goldener Grund, auf dem sich die platten Menschen des irdischen Jammertals bewegen durften, dann - den neuen Produktionsmitteln angepasst - als weltlicher Menschenkult in der Renaissance, die dem Stoff tatsächlich Leben einhauchte, ganz so wie Gott einst Adam. Auf ihr höchstes bürgerliches Niveau gelangte die Erlösungshoffnung in der Philosophie von Hegel, in der Literatur von Goethe und in der Musik von Beethoven, die im zurückgebliebenen Deutschland die in Frankreich und England praktisch durchgeführte Aufklärung reflektierten. Geschichtsphilosphie schien an ihr gutes Ende zu kommen, die Menschen schienen nur noch einen Hauch davon entfernt zu sein, die Welt als Feld der Erfüllung ihrer Bestimmung sich anzueignen: „In die Ecke / Besen! Besen! / Seids gewesen. Denn als Geister / Ruft euch nur zu seinem Zwecke / Erst hervor der alte Meister.“
Die materiellen Mittel für ein Paradies auf Erden waren geschaffen; die Menschen hatten begonnen, die Natur im großen Maßstab umzuformen, indem sie die elementaren Naturkräfte kontrolliert entfesselten und sich dienstbar machten - dagegen nahmen sich selbst die Kathedralen und Pyramiden früherer Epochen kümmerlich aus. Überschwenglich brachte man darob die Luft zum schwingen und ließ in eigens dafür gebauten Palästen Schillers Ode an die Menschheit erklingen, nach der nun endlich alle Menschen Brüder werden sollten. Nur noch ein Schritt wäre notwendig gewesen, und diesen vollzog theoretisch der aus diesen Voraussetzungen hervorgetriebene Kommunismus, der das Rätsel der Geschichte löste und den größten und letzten Diebstahl der Geschichte propagierte: Die Aneignung des Werkzeugs und dadurch die Erlangung der Fähigkeiten, dieses als Menschheit in freier Assoziation und zum Wohl des Einzelnen zu bedienen. Wenn auch bis dahin aller Fortschritt nur einer der Vernunft war und real die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ebenso wie die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen sich zuspitzte, so besteht seither die objektive Möglichkeit und historische Notwendigkeit, das Telos zu erreichen. So würde die die Geschichtsphilosophie tatsächlich in die Annalen der Geschichte eingehen, während man sie durch einfaches Verwerfen nicht losbekommen wird.

Kommunismus und Geschichte

Wenn heute der linke Zeitgeist die Geschichtsphilosophie verwirft, so kann er sich auf den Verlauf der Geschichte selbst berufen. Statt die Arbeiter für den Kommunismus zu erziehen, erzogen die konformistischen Arbeiterparteien sie zu Soldaten für den Krieg. Brachte der erste Weltkrieg als eine Konsequenz aber immerhin an den Rändern eine Revolution hervor und sogar in Deutschland den kümmerlichen Spartakusaufstand, so ließ die Welt den deutschen Massenmord ohne Widerspruch geschehen. Das transzendente, praktisch einzulösende Ziel der Aufklärung ist den Menschen so gründlich ausgetrieben, dass nicht einmal Dadaisten es noch einmal verwarfen und nur einige Existenzialisten die no-future- generation vorbereiteten. Am Kommunismus als objektivem Ziel und menschlicher Bestimmung festzuhalten ist seither Wahnsinn; wenn der geschichtslos stolpernde Weltlauf ein Ziel hat, dann Krematorien. Die Philosophen dieser Welt heißen daher auch nicht Hegel und Marx, sondern Heidegger und Derrida; die Literaten nicht Goethe und Balzac, sondern Grass und Botho-Strauß; die Tonsetzer nicht Mozart sondern Stockhausen. Die Wut richtet sich gegen jene, die trotzdem mehr in der Aufklärung sehen wollen als ein Programm zur Schindung und Zurichtung des Menschengeschlechts, auch wenn eine solche Interpretation nicht mehr der Welt, sondern vielmehr den überlieferten und verstaubten Zeugnissen zu entnehmen ist. Wenn kaum ein Zipfel der geschwärzten Welt über sie hinausweist, kein Ziel mehr gedacht wird, das eine vernünftige Praxis motivieren könnte, so ist die klassische Geschichtsphilosophie tatsächlich so am Ende, wie die Leute von „Kritik im Handgemenge“ es übereifrig verdoppeln. Der Kommunismus hat aber die Aufgabe, diese Transzendenz wieder herzustellen, statt in romantischen Fatalismus zu verfallen. Nur so kann die Welt wieder eine dramatische und die Menschheit vor die Alternative „Kommunismus oder Barbarei“ gestellt werden.

Leipziger Revolutionen

Das Bündnis gegen Rechts aus Leipzig bemüht sich darum. Erklärterweise will man den im Namen enthaltenen Partikularismus überwinden und sich zur kommunistischen Gruppe fortentwickeln. In ihrem programmatischen Text „Die Möglichkeit der Revolution“ erzählen sie ein paar Märchen aus dem Alten Testament. Sowohl die Mosesgeschichte wie auch die Mär vom einmal ankommenden Messias sehen sie als frühe Emanzipationshoffnung. Gemeint ist, dass seit dem Sündenfall - eine idealistische Metapher für den Beginn der Klassengesellschaft und damit der Vorgeschichte - die Welt widersprüchlich ist, d.h. die Menschheit einen Ausweg aus dem irdischen Jammer ahnt. Die Kommunisten werden als Erben dieser Tradition bestimmt, wobei man heute keinen Schritt weiter sei als zur Zeit der Niederschreibung des ältesten Buchs. Aller Fortschritt, den die Weltliteratur seither gemacht hat (erwähnt sei nur das Manifest der kommunistischen Partei), sei nur Schein. Alles, was Kommunisten aktuell übrig bliebe, sei das trotzige Postulat, es könne auch anders werden. Die Erlösung sei nur vermittlungslos zu behaupten, ganz so wie der schon erwähnte Goldgrund in den frühchristlichen Kirchen den kümmerlichen Gestalten nur schroff entgegengesetzt wurde, als jenseitige Hoffnung. Nach dieser Bestandsaufnahme will man aber doch nicht einfach alles völlig nivellieren. An die Ideale der bürgerlichen Revolution bliebe die Linke gebunden; andere Vorstellung von Freiheit habe man nicht. Völlig uneinsichtig bleibt, warum an den bürgerlichen Idealen auch Gutes gefunden wird - wobei die Konkretion, was nun dies Gute sei, leider beinahe völlig fehlt und im einfachen Gegensatz von Einerseits/Andererseits verblieben wird -, während die weitere Entwicklung der Vernunft von den Frühsozialisten über Marx bis zur revolutionären Arbeiterbewegung recht lapidar als ein „Abgrund, d.h. nicht fundiert“ abgekanzelt wird. Es sollten diejenigen ein größeres Interesse finden, die gedanklich über die bürgerlichen Ideen hinausgingen und sogar praktisch das versuchten, was das BgR schüchtern und Hegelsch „so etwas wie“ - so etwas wie - „eine Aufhebungsbewegung“ nennt. Würde man die historischen Kommunisten besser rezipieren, man bräuchte nicht mehr so eine Angst davor zu haben, sich völlig zu verlieren, wenn man der Bourgeoisie Erfolge in Sachen Emanzipation zugesteht. Dies ist gerade in Zeiten nicht überflüssig, in denen kein Subjekt sichtbar ist und Kommunisten nur hoffen, dass die herrschende Klasse nicht völlig durchdreht, sondern im günstigsten Fall das Schlimmste - wenn schon nicht verhindert - so doch hinausschiebt oder mildert, damit man sich nach über 70 Jahren Pause wieder etwas sammeln kann. Etwas Klarheit über das Verhältnis zur Tradition wäre wünschenswert.
Genauer. Das BgR schreibt, „die Linke kommt über die bürgerlichen Ideale nicht hinweg“. Nun, die Kommunisten schon, warum also die Linke nicht? Nur damit man es glaubt, hier ein beliebiges Beispiel. Die Genossin Zetkin, die ja nicht wie wir irgendwer, sondern eine Arbeiteranführerin war, schrieb: „Aristoteles hat den bekannten Ausspruch getan, daß die Sklaverei als Grundlage höheren Lebens der Freien überflüssig sei, wenn die Weberschiffchen, die Mühlsteine sich von selbst bewegten. Diese Vorbedingung ist heute erfüllt. Das Maschinenzeitalter hat Sklaven aus Eisen erstehen lassen, die menschlichen Winken gehorchen. Führen wir diese Sklaven, die heute dem Reichtum und der Kultur einer Minderheit dienen, aus dem Privatbesitz in das Eigentum der Gesellschaft über!“ Die Dame war weiter als die Aufklärung und schätzte selbige trotzdem. (Die Linken heute sind hinter der bürgerlichen Aufklärung zurück und schätzen sie auch nicht.) Der Satz des BgR heißt im Gesamten: „Die Linke kommt über die bürgerlichen Ideale nicht hinweg und doch sollte sie darüber nicht das Bewusstsein verlieren, dass diese Ideale im Hier und Jetzt nicht zu verwirklichen sind.“ Wer aber dieses Bewusstsein hat, ist bereits über die Ideale hinaus. Bürger formulieren deshalb Ideale, weil sie diese nicht realisieren können. Entweder sie lassen die Antinomien stehen, lösen sie autoritär und nur scheinbar nach einer Seite auf oder sie nähern sich bereits dem Materialismus. Die Expropriation der Expropriateure findet man bei keinem Bürger. Warum auch? Selbstverständlich gehen Kommunisten über die bürgerliche Gesellschaft samt ihres Überbaus hinaus; die Ideale, die sie einlösen, sind schon keine bürgerlich-partikularen Ideale mehr, sondern bereits die der Menschheit. Nur wenn man die bürgerliche Aufklärung vom Kommunismus her denkt, ist sie überhaupt begreifbar. Sonderbar genug verhält es sich heute so, dass die Nachkommen der Bürger nichts mehr mit ihren zu Kulturgütern erstarrten Erzeugnissen anfangen können und selbige nur noch aus schlechtem Gewissen mitschleifen. Einzig Kommunisten können sich das aneignen, was die Freie Deutsche Jugend zu unserem Erbe verdinglichte.

Das Ende der Verwirrung

Wenn es gelingen würde, dem Kommunismus als Idee wieder Leben einzuhauchen, dann wären auch die tagespolitischen Fragen weniger verwirrend. Das BgR ringt sich zu der Einsicht durch, dass es schlimmer werden kann, als es jetzt schon ist. Etwas gefestigter in der kommunistischen Kritik wäre man in der Lage, die Kräfte, die aktuell dem schlimmsten Grauen entgegenstehen, zu benennen, ohne Angst haben zu müssen, man würde dadurch zum Apologet dieser Kräfte, von denen jeder weiß, dass sie höchstens eine Atempause bringen können. Die Apologie, die das BgR anderen unterschieben muss, ist in Wahrheit ihre eigene, die der Unsicherheit ihrer Formulierung entspringt. Sie schreiben: „Die furchtbare Wahrheit, dass es schlimmer sein kann als es jetzt ist, darf zwar nicht dazu führen zum Apologeten der bürgerlichen Gesellschaft zu werden, doch zum Bewusstsein, genau diese in bestimmten Situationen schützen zu müssen.“ Gerade hatte man noch behauptet, die bürgerlichen Ideale ließen sich nur durch „so etwas wie“ Revolution verteidigen und schon will man die bürgerliche Gesellschaft schützen. Es ist eine Sache, mit Vehemenz darauf zu verweisen, dass die amerikanische Hegemonie von allen aktuellen Möglichkeiten die beste ist und also die Globalisierungsgegner und Friedensfreunde mit sicherem Instinkt auf der Seite der Reaktion stehen und daher bekämpft gehören. Eine andere ist es, sich einzubilden, wir könnten die verlotterten Reste der bürgerlichen Gesellschaft verteidigen, wenn sie es selbst nicht mehr kann oder will. Tut sie es, so kann sie es besser. Tut sie es nicht, so gute Nacht. Der Schatten der bürgerlichen Gesellschaft ist gegen seine regressive Aufhebung unbedingt zu verteidigen; die Verteidigung, die uns aber allein bleibt, ist die Vorwärtsverteidigung und nicht das Hochhalten irgendwelcher bürgerlichen Werte, an die keiner mehr glaubt oder gar das aktive Schützen unserer Demokratie. Es besteht kein Widerspruch zwischen einer kommunistischen Position und der Begrüßung einer militärischen Absetzung des irakischen Regimes, das sich nicht nur aktiv um Massenvernichtungsmittel bemüht, sondern dessen Chef ein Palästina vom Mittelmeer bis zum Jordan fordert. Es ist genauso wenig ein Widerspruch, wie die erste internationale Arbeiterassoziation weniger kommunistisch wurde, indem sie die Abschaffung der Sklaverei durch die Truppen des Präsidenten Lincoln begrüßte. Vielmehr sah man damals in der Ablehnung der Sklaverei gerade die Voraussetzung aller weiteren Emanzipation.

Fußnoten:

(1) Vgl. die Texte „Basisbanalitäten über bürgerliche Gesellschaft und ihren Export“ von der Initiative: Kritik im Handgemenge (Freiburg) sowie „Die Möglichkeit der Revolution“ vom Bündnis gegen Rechts (BgR) Leipzig in Phase 2.06.
(2) Vgl. Clemens Nachtmann, Wenn der Weltgeist dreimal klingelt, in: Bahamas Nr. 21 sowie Per Violet, Von der Idee einer vernünftig eingerichteten Welt, in: Bahamas Nr. 38.

== Karl Rauschenbach (Antideutsche Kommunisten Berlin) ==
[Nummer:07/2003 ]
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