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Revolution,
Konterrevolution und eine neue Variante in Venezuela Vielleicht hatte man in den Kreisen der „angestammten“ Macht zunächst wirklich geglaubt, es handele sich um einen der in Lateinamerika bekannten Militärputsche „klassischen“ Stils, als Soldaten unter dem Kommando des Oberstleutnants Hugo Chávez im Februar 1992 erfolglos versuchten, die Macht im Lande an sich zu reißen. Und vielleicht hatten sich auch geglaubt, die Jahre im Gefängnis hätten Chávez gezähmt, als er 1998 als Kandidat zur Präsidentschaftswahl antrat. Vor allen Dingen hatten sie nicht damit gerechnet, daß er wirklich zum Präsidenten gewählt werden könnte. Doch genau das geschah. Chávez wurde mit einer Mehrheit von mehr als 60 Prozent und mit der Unterstützung praktisch aller linken Kräfte gewählt, obwohl die wichtigsten „Altparteien“, die „christliche“ COPEI und die „sozialdemokratische“ AD, die sich seit Jahrzehnten erbittert befehdeten und sich gegenseitig mit dem Regieren ablösten, noch im letzten Augenblick auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt hatten. Sollten das Establishment und die USA damals gehofft haben, Chávez würde sich letztlich doch als einer der Populisten erweisen, die in anderen Ländern des Kontinents gerade solche Konjunktur hatten, sahen sie sich erneut getäuscht. Als Chávez Anfang 1999 sein Amt antrat, rief er die „Bolivarianische Revolution“ aus. Die Berufung auf Simón Bolivar hatte ihren klaren Sinn. Mit seinem Namen ist nicht nur die Unabhängigkeit des Landes verbunden, sondern auch die Abschaffung der Sklaverei und, schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Mißtrauen und Feindschaft gegen die expansive Macht im Norden, die Vereinigten Staaten. Und so verkündete Chávez eine „souveräne Außenpolitik“ Venezuelas und verbot den USA den Überflug des Landes zur Aufstandsbekämpfung in Kolumbien. Nun wurde klar, daß in Venezuela ein völliger Zusammenbruch des politischen Systems stattgefunden hatte. Chávez kündigte an, durch eine neue Verfassung die Ordnung des Landes grundlegend umzugestalten. Dieses Vorhaben ließ sich die neue Regierung durch eine Volksabstimmung bestätigen. Es war die erste Volksabstimmung in der Geschichte Venezuelas und sie endete mit einem Triumph. Mehr als drei Viertel aller abgegebenen Stimmen sprachen sich für die Bildung einer Verfassunggebenden Versammlung aus. Die Wahl zu dieser Versammlung fand einige Monate später, im Sommer 1999, statt. Mehr als 80 Prozent der Sitze in der „Asamblea Constituyente“ entfielen auf Chávez‘ „Bewegung Fünfte Republik“ (MVR), die linken Parteien „Vaterland für alle“ (PPT) und „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) und die Kommunistische Partei (PCV). Innerhalb weniger Monate entstand eine Verfassung, die in einer erneuten Volksabstimmung mit überwältigender Mehrheit gebilligt wurde. Erstmals wurden die Rechte der indigenen Bevölkerung festgeschrieben, eine Privatisierung der Erdölproduktion wurde verboten, der Kampf gegen die Armut wurde Staatsaufgabe. Und das Land bekam einen neuen Namen: Bolivarianische Republik Venezuela. Auch international machte die Bolivarianische Regierung auf sich aufmerksam. Durch mehrere Abkommen erhalten die karibischen Staaten, darunter auch Kuba, seit einiger Zeit das venezolanische Erdöl zu Preisen unterhalb der Weltmarktwerte geliefert. Kuba braucht darüber hinaus ein Großteil des Öls nicht in Devisen zu bezahlen, sondern unterstützt Venezuela durch die Entsendung von Ärzten und anderen Helfern. Bei internationalen Konferenzen unterstützt Chávez offen die Positionen seines persönlichen Freundes Fidel Castros und greift auch selbst den Neoliberalismus und die Ausbeutung der unterentwickelten Länder an. Die Bolivarianische Verfassung veränderte die parlamentarischen Strukturen des Landes grundlegend. Neuwahlen auf allen Ebenen des Landes wurden notwendig, die „Megaelecciones“ im Sommer und Herbst 2000. Die bürgerliche Opposition stellte sich geschlossen gegen eine Wiederwahl des Präsidenten und präsentierte mit Arias Cardenas einen Kandidaten, der an der Seite von Chávez am Putschversuch von 1992 beteiligt war und nun versuchte, ihn in antiimperialistischer Rhetorik „links“ zu überholen. Doch böse war für sie erneut das Erwachen, als Chávez mit rund zwei Dritteln der Stimmen im Präsidentenamt bestätigt wurde. Auch in der Nationalversammlung und in der Mehrzahl der Provinzen gewannen die Anhänger der „Bolivarianischen Revolution“ die Mehrheit. Mit Recht weisen die Unterstützer des Präsidenten seither darauf hin, daß Chávez vermutlich der weltweit am meisten durch Wahlen und Abstimmungen legitimierte Präsident sein dürfte. Aber natürlich vollzieht sich die „Bolivarianische Revolution“ nicht nur auf politischem, sondern auch auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet. Die zu lösende Aufgabe ist gigantisch. 80 Prozent der Bevölkerung lebten vor Chávez‘ Amtsübernahme unterhalb der Armutsgrenze. Der größte Teil der Bodenschätze und der wichtigsten Industriezweige befand sich in ausländischem Besitz. Der Boden war größtenteils Eigentum der Großgrundbesitzer, die ihn weitgehend brachliegen ließen. Hunderttausende Kinder konnten aus sozialen Gründen keine Schule besuchen. Die bolivarianische Regierung nahm den Kampf gegen diese Zustände auf. Die handwerklich arbeitenden Fischer an der Küste wurden durch das „Gesetz über den Fischfang“ vor den internationalen Fischereikonzernen geschützt, die mit ihrer Massenabfischung die Existenz der kleinen Fischer und das ökologische Gleichgewicht des Meeres bedrohten. Mit dem „Gesetz über den Boden“ nahm die Regierung den Kampf gegen den Großgrundbesitz auf. Landlose Bauern erhielten Land aus Staatsbesitz übereignet, das in den Jahrzehnten zuvor Günstlingen der früheren Regierungen zugeschoben worden war. Die Bodenschätze, vor allem das Erdöl, wurden zu Nationaleigentum erklärt. In einem groß angelegten Bildungsprogramm wurden Schulen für über eine Million Kinder geschaffen. Durch den Bau von Gesundheitszentren gelang es, die Kindersterblichkeit von 21 auf 17 Promille zu senken. Und die Regierung machte sich daran, den seit Jahrzehnten wie ein „Staat im Staate“ geführten staatlichen Erdölkonzern PdVSA auszumisten, einschließlich der Entlassung und Frühpensionierung hoher Manager. Es kann nicht überraschen, daß dieser revolutionäre Kurs auf den Widerstand der ökonomisch noch immer herrschenden Klasse trifft. Da die alten Parteien fast völlig zersetzt sind, kann mit ihnen als Machtfaktoren kaum noch gerechnet werden. Deshalb bieten sich andere Protagonisten der Konterrevolution an. Das sind in erster Linie die fast ausschließlich in privater Hand befindlichen Massenmedien. Insbesondere die Tageszeitungen „El Universal“ und „El Nacional“ sowie die privaten Fernsehsender – d.h. alle, mit Ausnahme des staatlichen VTV – überbieten sich in ihrer oftmals als „goebbelsch“ bezeichneten Hetze gegen die Regierung. An ihrer Seite marschieren in trauter Eintracht der Unternehmerverband Fedecámaras und die Spitze der alten, korrupten Gewerkschaftszentrale CTV. Auch die hohen Schichten des katholischen Klerus sind für diesen „demokratischen“ Widerstand zu haben, weshalb der durchaus gläubige Chávez den Klerus auch schon als das „Krebsgeschwür unserer Gesellschaft“ bezeichnet hat. Ihre Hoffnung hat diese rechte Opposition zunehmend offener auf die Streitkräfte gesetzt. In venezolanischen und US-amerikanischen Zeitungen wurde offen diskutiert, ob Chávez der „neue Allende“ sei. Die USA standen ebenfalls mal wieder in Kontakt mit Gruppen im Militär, die dann tatsächlich am 11. April versuchten, die Macht gewaltsam an sich zu reißen. Dieser dramatischen Zuspitzung vorausgegangen war ein zunächst auf 24 Stunden angesetzter und von der CTV und Fedecámaras dann auf unbestimmte Zeit verlängerter Generalstreik. Gemessen an seiner Beteiligung erwies sich der Generalstreik als ein Flop. Mehr als 80 Prozent der VenezolanerInnen sprachen sich gegen den Streik aus. Sogar die rechte Tageszeitung „El Nacional“ mußte in ihren Berichten einräumen, daß der Streik nur „teilweise“ befolgt worden sei. Deutlicher wurde die Tageszeitung „Ultimas Noticias“ in ihrer Ausgabe vom 11. April: „Schon früh am Morgen konnte man trotz des Regens zahlreiche Menschen auf der Straße sehen, die auf dem Weg zu ihren Arbeits- und Studienplätzen waren. Der öffentliche Nahverkehr funktionierte normal, ebenso die Metro von Caracas. (...) Auf der Avenida Nueva Granada und der Autobahn Valle Coche wurden in den frühen Morgenstunden Staus registriert. In Catia öffnete die Mehrzahl der Geschäfte und die Händler machten sich wie gewöhnlich schon früh an die Arbeit. Im Zentrum von Caracas zeigte sich das gleiche Bild.“ Weder die Universität noch die Beschäftigten der staatlichen Unternehmen schlossen sich dem Streik an und auch in den anderen Städten Venezuelas ging das Leben weitgehend seinen gewohnten Gang. Die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) erklärte: „Der Putschversuch der faschistischen Rechten hat eine umfassende Niederlage durch die überwältigende Mehrheit unseres Volkes erlitten, das sein Recht verteidigt, frei und souverän zu sein!“ In dieser Situation verlegte sich die Opposition auf den Kurs einer gewaltsamen Eskalation. Nachdem es bereits in den Tagen zuvor zu gewaltsamen Übergriffen gegen Linke und Menschen, die sich nicht am Streik beteiligten, gekommen war, sollte der 11. April der Tag der Konterrevolution werden. Eine Demonstration von mehreren Zehntausend Streikenden wurde auf den Präsidentenpalast Miraflores gelenkt, vor dem sich bereits ebenfalls mehrere Zehntausend Menschen und ein großes Sicherheitsaufgebot versammelt hatten. Als sich die beiden Menschenmengen gegenüberstanden, fielen plötzlich Schüsse. 13 Menschen wurden getötet, über 100 verletzt. Heute wissen wir, daß die Schüsse von bewaffneten Zivilisten im rechten Aufmarsch und von in Hochhäusern postierten Heckenschützen der linksextremen, mit den Rechten verbündeten Gruppe „Bandera Roja“ abgegeben worden sind. Mehr als 90 Prozent der Opfer waren Anhänger von Chávez. Doch die Konterrevolution hatte ihren Vorwand. Die rechten Medien schrien, die Regierung habe auf das „unbewaffnete, wehrlose Volk“ geschossen. Mehrere Offiziere besetzten das staatliche Fernsehen VTV und sendeten ein zuvor in den Studios von CNN aufgenommenes Band, in dem sie der Regierung die Gefolgschaft verweigern. Andere Offiziere besetzten den Präsidentenpalast und fordern Chávez zum Rücktritt auf. Als dieser sich weigerte, wurde er – wie auch zahlreiche andere Minister, Gouverneure und Anhänger der Regierung – verhaftet und in den Militärstützpunkt Fuerte Tiuna verschleppt. Doch womit die Putschisten, die den Chef des Unternehmerverbandes Fedecámaras, Pedro Carmona, zum „Übergangspräsidenten“ erklären, nicht gerechnet hatten, trat ein. Die Angehörigen der armen Bevölkerungsschichten bewiesen, daß sie nicht bereit sind, sich die Errungenschaften der Bolivarianischen Revolution widerstandslos nehmen zu lassen. Sie begannen, die Hauptverkehrsstraßen zu besetzen, versammelten sich vor Fuerte Tiuna und marschieren auf den Präsidentenpalast zu. An ihrer Seite befanden sich bald mehr als 20.000 Soldaten verschiedener Bataillone, die sich dem Putsch widersetzen. Nach nur 48 Stunden gaben die Putschisten auf. 40 Tote hatte der Widerstand der Putschisten gegen den Aufstand des Volkes gefordert, aber „die Venezolaner haben eine neue Etappe in der Geschichte Lateinamerikas begonnen“, wie es die kubanische Tageszeitung Granma schreibt, „eine Etappe, in der das Volk sein Eigentum verteidigt und die Staatsstreiche niederschlägt. Diese Lektion kann auch anderen dienen. Es ist eine neue Demokratie, die das Volk durchsetzt und verteidigt.“ Die weitere Entwicklung Venezuelas ist schwer vorhersehbar. In einem ersten Kommentar auf der Homepage der DKP Hamburg hieß es bereits am 12. April, noch vor dem Sieg des Volkes: „Die Reaktion hat erneut bewiesen, daß sie auf das demokratische Mäntelchen des kapitalistischen Systems scheißt, wenn es eine Regierung oder eine Bewegung wagen, die schönen Lehrsätze der bürgerlichen „Demokratie“ auszunutzen, um eine Politik im Interesse der breiten Bevölkerungsmehrheit durchzusetzen. Die selben Herrschaften, die der kolumbianischen Guerilla vorwerfen, Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele zu gebrauchen, haben gewaltsam die mehrfach demokratisch gewählte Regierung Venezuelas gestürzt. Sie, die KommunistInnen „extremistisch“ und „undemokratisch“ nennen, haben auf Linke und andere VerteidigerInnen der demokratischen Regierung geschossen, haben die kubanische Botschaft überfallen, Menschen angegriffen. Die Reaktion hat uns erneut, nach Chile 1973 und vielen anderen Beispielen, wieder gezeigt: es gibt keinen Kompromiss zwischen Reaktion und Revolution, zwischen Sozialismus oder Barbarei.“ Die Konterrevolution wird in ihrem Bemühen nicht nachlassen, die revolutionäre Regierung zu stürzen. Diese jedoch ist gestärkt aus den Ereignissen hervorgegangen. Jetzt kommt es darauf an, ob Comandante Chávez und die bolivarianische Regierung bereit sind, den Prozess in Venezuela zu einer wirklichen sozialen Revolution voranzutreiben. |