http://www.trend.infopartisan.net/trd1105/t101105.html BVG-Kontrolleure erhalten “Fangprämien“

BVG-Kontrolleure erhalten “Fangprämien“
 
von Thomas Brunst, SAFERCITY.DE (28.10.05)
11/05

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„Wer Druck ausübt, automatisiert Übergriffe“  (Ver.di-Fachbereichsleiter Uwe Borck über BVG-Fahrscheinkontrollen in taz Berlin, 19.10.05) 

„Eigentlich sind wir Kopfgeldjäger“ (GSE-Mitarbeiter über BVG-Fahrscheinkontrollen in taz Berlin, 17.10.05)

Nun ist es raus. Was jahrelang vermutet wurde ist im Bereich der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Realität: Die privaten BVG-Kontrolleure der Gesellschaft für Sicherheit und Eigentumsschutz (GSE Protect Berlin mbH) bekommen “Fangprämien“ für erwischte “Schwarzfahrer“. Spätestens jetzt ist klar, weshalb es immer wider zu rüden Fahrscheinkontrollen und Übergriffen durch private Kontrolleure kommt.

Der Kaufmännische Leiter von GSE, Norbert Haase, bestätigte in der B.Z. eine “kleine Motivationshilfe“ und sagte: „Es wäre ja schlecht für uns, wenn unsere Mitarbeiter gelangweilt nach dem Fahrausweis fragen und sich nicht darum kümmern, ob er wirklich vorhanden ist.“ (taz Berlin, 19.10.05)  

Perfides Entlohnungssystem 

Laut Arbeitsverträgen bekommen GSE-Kontrolleure einen Stundenlohn von 5,52 bis 6,05 Euro. Bei diesen relativ niedrigen Löhnen wird die “Zulage“ - so wird die Fangprämie offiziell genannt - von den Kontrolleuren fest in die Lohntüte einkalkuliert.

Nach Aussagen mehrerer Mitarbeiter gilt für diese Zulage intern eine brisante, mündlich getroffene Vereinbarung: Nur wer am Monatsende einen Durchschnitt von mindestens 12,5 erwischten Schwarzfahrern je Arbeitstag vorweisen kann, kassiert die volle Summe. Wer einen Schnitt von 10 schafft, bekommt die Hälfte, also 51 Cent pro Stunde. Erfolglosen Kontrolleuren, die unter einem Schnitt von 10 bleiben, streicht die GSE die Zulage komplett (taz Berlin, 17.10.05).

Ver.di-Fachbereichsleiter Uwe Borck beklagt den Stress der privaten Kontrolleure. Diese könnten nur mit Tricks die Quote erfüllen. Borck meint: „…wenn man Druck ausübt und eine derartig hohe Schwarzfahrerquote vorgibt, wie es die GSE tut, automatisiert man Verfehlungen und Übergriffe. Und das haben wir bei Privatkontrolleuren ja oft genug erlebt. Leute, die sowieso wenig verdienen, werden systematisch und massiv unter Stress gesetzt. (…) Ich bin sicher, dass die BVG sogar die Mehrkosten für die Prämien übernimmt“, behauptet der Ver.di-Gewerkschafter. „Die Verrechnungssätze, die öffentliche Unternehmen wie die BVG privaten Sicherheitsfirmen zubilligen, sind äußerst knapp. Bei der Ausschreibung bekommt schließlich der Billigste den Zuschlag. Ein Lohnaufschlag von 20 Prozent sitzt da gar nicht drin. Und nichts anderes ist ja eine Zulage von 1,02 Euro die Stunde“, so Borck in der taz Berlin vom 19.10.05. 

Keine “System-Verantwortlichen“ 

Auf der Suche nach den “System-Verantwortlichen“ wäscht die BVG ihre Hände in Unschuld. Für die Interna der Sicherheitsfirmen sei sie nicht verantwortlich. Und bei GSE kann darauf verwiesen werden, dass es klare Regeln dafür gibt, wann ein erhöhtes Beförderungsentgelt zu kassieren ist und wann nicht. Der Letzte in der Kette ist der Kontrolleur. Für ihn stellt sich täglich die Frage: Lasse ich einen Fahrgast der lediglich vergessen hat seinen Fahrschein zu stempeln dies nachholen (auch das ist laut BVG-Bestimmungen möglich) oder bessere ich meinen Minilohn auf? Von Fahrgästen wird beklagt, dass sich die privaten Kontrolleure nicht ausreichend mit Fahrscheinen und Beförderungstarifen der BVG auskennen, was häufig zu Fehlentscheidungen führt (Berliner Morgenpost, 22.08.03). Dem zahlenden BVG-Kunden der an einen aggressiven oder übereifrigen Kontrolleur gerät ist nicht vermittelbar, dass er für den Verkehrsbetrieb ein “König“ sein soll.

Erst im Sommer 2004 – kein ganzes Jahr nach dem Skandal um die Kontrollpraxis der privaten BVG-Kontrolleure - mahnte der Verkehrsbetrieb die Kontrollfirmen GSE und Wachschutzgesellschaft (zus. Arbeitsgemeinschaft “Arge“ BVG) erneut ab: „Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben der Arbeitsgemeinschaft BVG, deren Beschäftigte die meisten Fahrkarten-Kontrollen vornehmen, eine schriftliche Abmahnung geschickt. ’Wir verstehen dieses Schreiben als eine erste Warnung’, hieß es bei der BVG. Ändere sich der Negativtrend in absehbarer Zeit nicht, könnte das ’böse Konsequenzen’ für die Arbeitgeber der Kontrolleure haben.“ (taz Berlin, dpa, 02.06.04)

Die Existenz der “BVG-Fangprämie“ dürfte Wasser auf die Mühlen der Berliner Initiative “Pinker Punkt: Ich fahr Pink!“/ “Berlin Umsonst“ (siehe hierzu: http://www.berlin-umsonst.tk/  ) sein. Die Initiative ruft zum “Schwarzfahren“ auf. 

GSE – ein ganz normales Unternehmen? 

Der Verkehrsfachmann der Berliner SPD-Fraktion, Cristian Gaebler, findet es merkwürdig, dass sich die Firma nicht zu ihrem Anreizsystem äußere: „Die BVG muss die GSE dazu zwingen, ihre Praktiken offen zu legen - und sich notfalls von ihr trennen“, sagt Gaebler (taz Berlin, 18.10.05).

GSE gilt in der Branche als so genanntes Gütesiegel und wurde dafür wiederholt mit dem Quip-Award (Quality Innovation Partnership-Award) der Firma M + W Zander Holding AG ausgezeichnet – für „Fehlerresistentes Arbeiten“, wie GSE-Geschäftsführer Bock-Petzold selbstbewusst meint (siehe hierzu: http://www.gse-sicherheit.de/news/presse/2003/QUIP_Award_2003.htm   ). Außerdem ist GSE in Berlin und Brandenburg offizieller Partner der Polizei.

Da will es gar nicht so recht ins saubere Unternehmensimage passen, was (ehemalige) Mitarbeiter berichten. Von schnellen Kündigungen, fehlerhaften Lohnabrechnungen und “Mobbing“ bei GSE ist die Rede.

Jürgen Glaser hat drei Jahre bei GSE gearbeitet bevor er 2004 fristlos entlassen wurde. „Was da abläuft, ist reinster Sklavenhandel“, erzählt er. Er habe 240 Arbeitsstunden im Monat (im Dreischichtsystem) Streifendienst (U-Bahn) geschoben, um auf 1.000 Euro Gehalt zukommen. Teilweise 21 Tage lang arbeiten ohne Pause und Wochenende. Beim Wachdienst müsse man um jeden Cent, jeden Zuschlag kämpfen, erzählt er. „Die bescheißen dich, wo es nur geht, und nur wer sich wehrt bekommt auch, was ihm zusteht. „Der letzte Lohnzettel war auch wieder falsch“, sagt Glaser. „Bisher hat nur eine Lohnabrechnung wirklich gestimmt, die erste.“ Das Pochen auf seine Rechte hat ihn bei seinem Arbeitgeber nicht gerade beliebt gemacht. Das hieß dann weniger Einsätze - und damit auch weniger Geld. Das Minimum liegt laut Arbeitsvertrag bei 173 Stunden. Glaser meint: „Das ist reines Mobbing.“ (taz Berlin, 27.12.05)

Damit nichts negatives über das Unternehmen an die Öffentlichkeit dringt beinhalten GSE-Arbeitsverträge eine “Verschwiegenheitsklausel“, die selbst nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen noch Gültigkeit besitzt. An diesen lebenslangen “Maulkorb“ halten sich offensichtlich einige (ehemalige) GSE-Mitarbeiter nicht, denn sonst wären in den vergangenen zwei Jahren nicht so viele negative Details über Lohn- und Arbeitsbedingungen bei GSE bekannt geworden – taz sei Dank. Und dies lässt nur den Schluss zu, dass es an der GSE-Basis gewaltig rumort.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es ist weniger der einzelne Arge-Kontrolleur der hier – wie so oft behauptet – aufgrund “charakterlicher Nichteignung“ für Übergriffe und Fehlentscheidungen verantwortlich ist, als vielmehr das System in dem er gefangen ist. Die schlechten Grundlöhne des Basispersonals der Sicherheitswirtschaft, die branchenübliche “hire and fire-Mentalität“ und der starke Leistungsdruck der – nicht nur - im Bereich der privaten Kontrolleure vorherrscht sind Faktoren die Arbeitnehmer- und Grundrechte der Menschen gleichermaßen beeinträchtigen - das sollte auch die BVG langsam erkennen. Außerdem hat dieses System dem “Gütesiegelunternehmen“ GSE, welches gerne auf Unternehmenszertifikate und Qualitätsmanagementsysteme hinweist einen schweren Imageschaden bescheert.    

Im Internet existiert das “Wachmann/-frau-Forum“ (siehe: http://www.forumromanum.de ), in dem die Sicherheitsfachkräfte – anonym - Unternehmensmissstände bekannt machen können. Ein Blick in dieses gut frequentierte Forum gibt Aufschluss darüber, wie unzufrieden das Basispersonal der Sicherheitsbranche tatsächlich ist.  

Weitere Informationen zum Thema im Internet unter: 

Berlin: BVG-Kontrolleure beschimpfen und bedrohen blinden krebskranken Jungen
http://shortnews.stern.de/shownews.cfm?id=593419&u_id=330694  

“2. Der BVG-Skandal“

http://www.workfare.ipn.de/buch/index.php?option=content&task=view&id=24&Itemid=2

 

Editorische Anmerkungen

Der Autor übergab uns seinen Artikel am 28.10.2005 zur Veröffentlichung.