http://www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/sackgasse.html
von Werner Imhof
Seit seiner Gründung vor einem guten Vierteljahrhundert läuft der express einer Fiktion hinterher: der "sozialistischen Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit", der er sich laut Untertitel verschrieben hat und die er bedenkenlos auch schon mal als "sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftspolitik" bezeichnet(1). Fiktion deshalb, weil damit nie (eine wie immer geartete) sozialistische Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften gemeint war, sondern allein "die Arbeit in den Betrieben und Gewerkschaften, die konsequent an der Durchsetzung der Interessen der Lohn- und Gehaltsabhängigen festhält"(2), also schlicht "konsequente" Gewerkschaftsarbeit auf Betriebs- und Branchenebene. Daß der express meinte, sie als "sozialistische" etikettieren zu können, beruhte auf einem ebenso platten wie grundlegenden Mißverständnis: Er sah in ihr schon einen "Kampf gegen kapitalistische Produktions- und Herrschaftsverhältnisse"(3), aus dem heraus so seine Erwartung die "undogmatische Linke" "eine sozialistische Strategie"(4), verstanden als "antikapitalistische Gewerkschaftsstrategie"(5), entwickeln und gemeinsam mit der Gewerkschaftsbasis die "Abkehr von der sozialpartnerschaftlichen Politik der Vorstände"(6) erzwingen, somit "die Gewerkschaften wieder zu einem handlungsfähigen und schlagkräftigen Instrument in den Klassenauseinandersetzungen machen"(7) (können) sollte. Daß und warum sein Konzept an der gesellschaftlichen Wirklichkeit scheitern mußte, hat der express bis heute nicht begriffen.
Solange Lohnabhängige ihre Interessen (nur) als Lohnabhängige artikulieren und verfechten, stehen sie nicht im Kampf gegen die kapitalistischen Produktionsverhältnisse, sondern immer auf dem Boden dieser Verhältnisse, selbst wenn sie mit ihnen hadern und gegen die Zumutungen des Kapitals und seine unverstandenen Verwertungszwänge rebellieren oder nach individuellen Auswegen aus der Lohnabhängigkeit suchen, weil sie einen kollektiven Ausweg nicht erkennen. Ihre Interessen richten sich nicht gegen die Produktionsverhältnisse, sondern setzen sie voraus, sind vielmehr ihrerseits durch diese Verhältnisse geformt und beschränkt, nicht zuletzt durch die Konkurrenz der Lohnabhängigen untereinander. Denn ihr beherrschendes, durch ihre Lage erzwungenes Interesse ist die Lohnarbeit selbst, der Verkauf ihrer Arbeitskraft, und das heißt gewöhnlich: die Unterordnung unter ein fungierendes, also sich erfolgreich verwertendes Kapital(8). Dieses Interesse kollidiert aber immer wieder mit dem gegenläufigen Interesse, ihre Arbeitskraft zu möglichst günstigen Bedingungen zu verkaufen und ihrer Nutzung Grenzen zu setzen. Die äußere Zwangslage der Lohnabhängigen und ihre Konkurrenz untereinander reproduzieren sich im subjektiven Interessenkonflikt eines/r jeden einzelnen von ihnen; ein Konflikt, der um so prekärer wird, je erdrückender ihre Konkurrenz und damit die Macht des Kapitals ist. Das heißt, der oft beschworene Interessengegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital wird ständig relativiert und in Schach gehalten durch die konkurrierenden Interessen der Lohnabhängigen selbst und durch ihre erzwungene Interessengemeinschaft mit dem Kapital. Die "Konsequenz" ihres gewerkschaftlichen Kampfes hat daher ihre Grenzen an den Spielräumen, die Kapitalverwertung und Konkurrenz belassen und die letzten Endes den widersprüchlichen Gesetzen der Kapitalakkumulation unterworfen sind. Diese Spielräume sind zwar dehnbar, und darüber, wie weit sie ausgedehnt und ausgeschöpft werden können, gehen die Meinungen zwangsläufig auseinander, nicht nur zwischen Gewerkschaftsführung und -basis, sondern auch unter den Lohnabhängigen, organisierten wie unorganisierten, selbst. Doch auch die "Konsequentesten" unter ihnen werden sich hüten, Forderungen aufzustellen oder zu unterstützen, wenn (der Kampf für) ihre Durchsetzung sie selbst außer Konkurrenz setzen oder das Kapital in die Flucht oder in den Ruin treiben würde.
Nicht daß Lohnabhängige sich den Interessen des Kapitals beugen, von
dem sie existenziell abhängig sind, ist erstaunlich. Erstaunlich ist, daß der
express (und nicht nur er) das nicht begreifen und wahrhaben mochte.
Daß er ernsthaft meinte, die Lohnabhängigen könnten und würden ungeachtet ihrer
Abhängigkeit und ihrer Konkurrenz untereinander den "konsequenten"
Kampf für ihre Interessen ohne Rücksicht auf die des Kapitals aufnehmen, wenn
die Gewerkschaftsführungen sie nur nicht ständig daran hinderten. Deren "Unterwerfung
unter die kapitalistische Profitlogik" sah der express in ihrer
"Konzeptions- und Alternativlosigkeit gegenüber dem kapitalistischen System"(9)
begründet. Von der nicht weniger "konzeptions- und alternativlosen"
Gewerkschaftsbasis erwartete er paradoxerweise das Gegenteil, die Bereitschaft,
ja Neigung, das Kräftemessen mit dem Kapital zu einem rücksichtslosen
Kampf gegen das Kapital zu "steigern". Doch die spontan "klassenkämpferische"
Basis, gegen die die "sozialpartnerschaftliche Politik der Vorstände"
nur mit Hilfe einer undemokratischen "Stellvertreterpolitik"(10) durchzusetzen
sei, war ein Wunschbild, eine Krücke für die eigene "Konzeptions-
und Alternativlosigkeit gegenüber dem kapitalistischen System". Unfähig,
das Kapital selbst als gesellschaftliches Produktionsverhältnis und die "Profitlogik"
als bewußtlose und längst anachronistische Selbstzweckbewegung der gesellschaftlichen
Ar beit zu entmystifizieren, klammerte sich der express an den "Nebenwiderspruch"
zwischen Gewerkschaftsführung und
-basis, in der naiven Erwartung, die Basis würde sich zur praktischen Negation
des Kapitals treiben lassen, die die "undogmatische Linke" selbst
theoretisch nicht zustande brachte.
Die Rechnung konnte nicht aufgehen, und sie ist bekanntlich nicht aufgegangen. Eingetreten ist vielmehr das Gegenteil des Erwarteten. Die Linke hat nicht die Gewerkschaften rebellisch gemacht und auf "antikapitalistischen" Kurs gebracht, sondern die Gewerkschaften haben umgekehrt die Linke vergewerkschaftet und "verbetrieblicht" und ihr den eh nur deklamatorischen "Antikapitalismus" ausgetrieben. Nicht die lohnabhängigen Massen waren es, die sich im "konsequenten Festhalten" für die Durchsetzung ihrer Interessen radikalisiert haben, sondern die Funktionäre und Profiteure der Kapitalverwertung. Die Lohnabhängigen dagegen sind keineswegs scharenweise zu den "antisozialpartnerschaftlichen" Positionen der "undogmatischen" und sonstigen Linken übergelaufen, um den zunehmenden Druck des Kapitals mit entsprechendem Gegendruck zu beantworten; sie haben die Linken vielmehr "links liegen" bzw. stehen lassen. Denn bei aller chronischen Unzufriedenheit mit den konkreten Formen und Ergebnissen der "Sozialpartnerschaft" hat die Masse der Lohnabhängigen immer noch ihre grundlegende Prämisse geteilt, die Rentabilität und Konkurrenzfähigkeit des (hiesigen) Kapitals zu erhalten. Nicht bloß die Gewerkschaftsbürokratie, sondern auch die Basis sah und sieht sich daher gezwungen, dem Druck des Kapitals und der herrschenden Meinung nachzugeben, von der unorganisierten Mehrheit der Lohnabhängigen (die die Gewerkschaftslinke gern zu vergessen geneigt ist) gar nicht zu reden. Widerstrebend zwar, vereinzelt auch unter wütenden oder verzweifelten Protesten, aber insgesamt im lähmenden Bewußtsein, daß auch ein gewerkschaftlicher Konfrontationskurs die scheinbar naturgegebenen "Sachzwänge" der Kapitalverwertung und der Konkurrenz nicht außer Kraft setzen kann, ein Bewußtsein, das durch die regelmäßigen Niederlagen selbst spektakulärer Verteidigungskämpfe noch bestärkt wurde. Entlastung vom wachsenden Druck des Kapitals erhoffen sie sich nicht vom Kampf gegen das Kapital, sondern von "Vater Staat", von "der Politik", und zwar von den bürgerlichen Parteien, denen sie sowohl "Wirtschaftskompetenz" als auch die Fähigkeit zum "Interessenausgleich" zutrauen, wenn sie nicht gar ihr Heil im Bündnis mit dem jeweiligen Einzelkapital suchen oder sich nach schwächeren Ersatzgegnern und Sündenböcken als Exekutionsopfer reaktionärer Scheinlösungen umsehen.
Die "undogmatische Linke" hat diese Entwicklung nicht nur nicht aufhalten können, sie hat sie unwillentlich und unwissentlich noch begünstigt. Denn das Credo vom "konsequenten Festhalten an der Durchsetzung der Interessen der Lohn- und Gehaltsabhängigen"(11) lief auf des Gegenteil dessen hinaus, als was es der express ausgab auf die Negation jeder sozialistischen Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften, auf die Affirmation der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und damit auch der Lohnabhängigkeit als scheinbar unaufhebbarem Schicksal. Was ihr subjektiv als Versuch erschienen sein mag, die Entfremdung der ArbeiterInnenbewegung vom "Sozialismus" (was immer sie darunter verstanden haben mochte) aufzuhalten, trug objektiv dazu bei, sie zu besiegeln. Diese Rolle teilte sie sich allerdings mit den alt- und neustalinistischen "Dogmatikern", von deren "verstaubter Klassenpolitik"(12) sich der express einst meinte abgrenzen zu können.
Allen gemeinsam war der hartnäckige Irrglaube, der "Interessengegensatz" zwischen Lohnarbeit und Kapital müsse nur laut genug beschworen und kräftig genug geschürt werden, um die Lohnabhängigen in Opposition zum Kapitalismus überhaupt zu treiben und schließlich "für den Sozialismus zu gewinnen". Doch die Geschichte lehrt etwas anderes. Der "Interessen-gegensatz" allein war noch nie geeignet, ein "antikapitalistisches", also sozialistisches Bewußtsein zu begründen, das die Arbeiterbewegung auch in ihren gewerkschaftlichen und politischen Tageskämpfen motivieren und orientieren konnte. Ein solches Bewußtsein kann logischerweise nur entstehen, wenn der "Interessengegensatz" selbst in Frage gestellt wird durch das Interesse, ihn zu überwinden, und wenn das "Bewußtsein vom Interessengegensatz"(13) erweitert wird zum Bewußtsein oder wenigstens zur Ahnung davon, daß und wie er zu überwinden wäre. In der bisherigen Geschichte der Arbeiterbewegung aber ist ein solches Interesse bzw. Bewußtsein massenhaft noch nie allein oder linear aus dem gewerkschaftlichen Kampf entstanden, sondern (wenn überhaupt, dann) vielmehr gerade aus der Erfahrung seiner Beschränktheit und Ohnmacht gegenüber dem Grundübel der Kapitalherrschaft selbst und mit Hilfe von Leuten, die in der Lage waren, aus der Kri-tik der herrschenden Produktionsverhältnisse ein Programm ihrer Umwälzung zu abzuleiten. Warum aber sollten nun aus-gerechnet die westdeutschen Lohnabhängigen ein Interesse daran entwickeln? Die einzige vorstellbare Form dieser Um-wälzung war die Errichtung eines bürokratisch-zentralistischen Regimes über die gesellschaftliche Arbeit, nach Art des "real existierenden Sozialismus", der sich einmauern mußte, um die angeblich herrschenden Arbeiter und Bauern an der Flucht in den kapitalistischen Westen zu hindern, der seinerseits den Lohnabhängigen mit Hilfe auch der "sozialpartner-schaftlichen" Gewerkschaften ein historisch beispielloses Wachstum an materiellem Wohlstand beschert hatte und das hie-sige Lohnabhängigendasein geradezu attraktiv erscheinen ließ. Unter diesen Umständen hätte ein revolutionäres Interesse an der Aufhebung von Kapital und Lohnarbeit überhaupt nur entstehen können, wenn sie in grundsätzlich anderer, emanzi-patorischer Form hätte gedacht werden können. Doch der Gedanke daran war der "undogmatischen Linken" ebenso ver schlossen wie ihren "dogmatischen" Gegenspielern. Und ihre Praxis trug dazu bei, ihn auch gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Denn die ausschließliche Verpflichtung auf die "Durchsetzung der Interessen der Lohn- und Gehaltsabhängigen" war in der Tat ja nichts anderes als ein Programm, das den ungebrochenen Fortbestand, die Aufrechterhaltung der Lohnarbeit voraussetzte, das gar nicht darauf angelegt war, die Lohnabhängigkeit selbst auch nur in Frage zu stellen und Interessen zu wecken, die mit der Lohnabhängigkeit unvereinbar sind, nämlich die Aufhebung der Lohnabhängigkeit selbst, die Befreiung der Lohnabhängigen vom bornierten privaten Kommando über ihre gesellschaftliche Arbeit durch die kollektive Aneignung der Produktionsmittel und die selbstbewußte, gemeinschaftliche Organisation ihrer Arbeit, ohne ruinöse Konkurrenz und blinden Akkumulationszwang, zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz für alle, auch die nicht arbeitsfähigen, Mitglieder der Gesellschaft und zu ihrer individuellen Entwicklung durch vielseitige, gesellschaftlich sinnvolle und anerkannte Tätigkeit, lebenslange Bildung usw. usf. Interessen, die in latenter, verkrüppelter, unterdrückter Form ja durchaus vorhanden sind und zum Teil außerhalb der Lohnarbeitszeit nach Ersatzbefriedigung suchen.
Fixiert auf die unbedingte Durchsetzung der Lohnabhängigeninteressen, mußte die "undogmatische Linke" vielmehr entweder alle denkbaren Interessen für prinzipiell durchsetzbar, also mit dem Kapitalismus vereinbar, erklären, was auf eine lächerliche reformistische Kraftmeierei (à la MLPD: "Arbeitsplätze für Millionen!") hinausgelaufen wäre. Oder sie konnte überhaupt nur solche Interessen wahrnehmen oder gelten lassen, die tatsächlich (zumindest theoretisch, wenn auch nicht immer praktisch) mit dem Kapitalismus vereinbar sind. So oder so: Wenn die Interessen der Lohnabhängigen allesamt durchsetzbar oder andere als im Kapitalismus durchsetzbare Interessen nicht zu existieren scheinen, dann muß jeder Gedanke an die Aufhebung der Lohnarbeit, an eine Umwälzung der Produktionsverhältnisse müßig und gegenstandslos werden, muß die Lohnabhängigkeit selbst als Naturgegebenheit erscheinen, als ebenso alternativloses wie unvermeidliches Massenschicksal, dem mensch nur individuell entrinnen kann. Dann ist aber auch der "Sozialismus" nur noch denkbar als ein den (weiterhin) Lohnabhängigen äußerliches, fremdes, aufoktroyiertes Regime, ähnlich dem, wie es der real existierende und gerade in der BRD rettungslos diskreditierte Staatssozialismus vorführte. Der express hat denn auch meines Wissens gar nicht erst versucht, das abstrakt beschworene "sozialistische" Ziel der "konsequenten" Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit zu konkretisieren. Das ist nicht einmal als Vorwurf gemeint. Bestätigt es doch nur, daß die "undogmatische Linke" keine weiteren politischen Ambitionen hatte als die, die Lohnabhängigen mit ihrem Dasein zu versöhnen oder, um es positiv auszudrücken, dem Lohnabhängigendasein noch einige weitere Annehmlichkeiten und einen Rest von Selbst-bewußtsein abzugewinnen. In der BRD der frühen 70er Jahre hatte ein solches Vorhaben allemal mehr historische Plausi-bilität als die "sozialistischen" Anbiederungs- und Missionierungsversuche der Alt- und Neustalinisten. Das Dilemma der "undogmatischen Linken" war nur, daß auch diese bescheidene Perspektive auf die Dauer eine Illusion war, die ihre Hilf-losigkeit zudem noch selbst verstärkte.
Die Floskel vom "konsequenten Festhalten" an der Durchsetzung der Lohnabhängigeninteressen war immer schon eine be-queme, populistische Manier, sich über die realen Bedingungen ihrer Durchsetzbarkeit hinwegzusetzen. Sie läßt sich ver-stehen als Produkt einer historischen Situation, in der die Kapitalakkumulation noch zu florieren schien, hohe Wachstums-raten und relative Vollbeschäftigung herrschten und die Arbeiterbewegung einen Aufschwung im internationalen Maßstab erlebte. Doch in dem Maße, wie sich die objektiven Durchsetzungsbedingungen verschlechterten und mit wachsender Existenzunsicherheit auch die Durchsetzungsbereitschaft erlahmte, mußte sie zunehmend hohl und unglaubwürdig werden. Die Erwartung, die Lohnabhängigen könnten sich der "Unterwerfung unter die kapitalistische Profitlogik"(14) verweigern, mußte um so sektiererischer und demoralisierender wirken, je handfester sich die materielle Gewalt dieser "Logik" in Krisen, Fir-menpleiten und massenhafter Arbeitslosigkeit äußerte. Und das beteuerte "konsequente Festhalten" an der Durchsetzung der Lohnabhängigeninteressen mußte zur voluntaristischen Phrase werden, die sich nur noch blamieren konnte oder ver-stummen mußte. Was von ihr übrig blieb, ist das Lamentieren über die Erpreßbarkeit von Belegschaften und Standorten, weil "vergessen" ist, daß die Lohnabhängigkeit selbst die fundamentale "Erpressung" ist, die alle weiteren Pressionen nach sich zieht.
Für die "undogmatische Linke" reduzierte sich die gesellschaftliche Lage oder Stellung der Lohnabhängigen im wesentlichen auf eben ihre Lohnabhängigkeit(15), auf ihre Rolle als WarenbesitzerInnen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben (müssen) und sich mit dem Kapital um deren Preis und Nutzungsbedingungen streiten. Was sie ausblendete, war die Tatsache, daß diese Lage eine anachronistische Zwangslage ist, weil sie längst die materiellen Bedingungen enthält, sich aus ihr zu befreien; die Tatsache nämlich, daß die Lohnabhängigen eben auch TrägerInnen der gesellschaftlichen Arbeit sind, die in der entwickelten gesellschaftlichen Arbeitsteilung, in den enormen Produktivkräften ihrer Arbeit, in ihrer technischen Intelligenz und in den modernen Kommunikationsmitteln die grundlegenden Voraussetzungen hätten, um auf der Basis der gemeinsam angeeigneten Produktionsmittel die materielle Reproduktion der Gesellschaft in gemeinsamer Eigenregie zu organisieren. Das heißt, die "undogmatische Linke" ignorierte gerade das, was überhaupt erst den Gedanken an eine andere, emanzipierte Produktionsweise begründen und das Interesse an ihr wecken kann; sie reproduzierte und bestärkte statt dessen die Entfremdung der Lohnabhängigen von ihrer gesellschaftlichen Arbeit, die sich im Geld verdoppelt und ihnen im Kapital als verselbständigte, verdinglichte Macht gegenübertritt. Damit reproduzierte und bestärkte sie aber zu gleich das fatale Bewußtsein der unaufhebbaren gesellschaftlichen Subalternität, das seit Generationen das Denken und Verhalten der lohnabhängigen Massen prägt.
Dieses Bewußtsein der ökonomischen Unselbständigkeit und Abhängigkeit als "ArbeitnehmerInnen" hat sein Pendant in dem Glauben an die fürsorgliche Rolle des "Sozialstaats"(16) ebenso wie in der Unterordnung unter den Parlamentarismus, der dem "Volk" alle vier Jahre gestattet, für einen Tag formell die Macht zu ergreifen, nur um sie gleich wieder aus der Hand zu geben(17), ebenso wie auch in der Versicherungsmentalität der Gewerkschaftsbasis, der passiven Erwartungshaltung gegenüber gewerkschaftlichen und betrieblichen Interessenverwaltern(18), die deren "Stellvertreterpolitik" überhaupt erst möglich macht. Natürlich ist diese vielfache Untertänigkeit, die ständige Ohnmacht gegenüber "denen da oben" keine Lage, in der die Lohnabhängigen sich wohlfühlen könnten. Deswegen ist die Geschichte auch der westdeutschen ArbeiterInnenbewegung voller "nichtoffizieller", spontaner Proteste und Kämpfe; und jede selbständige Aktion, selbst (fast) jeder gewerkschaftsoffizielle Streik vermittelt eine Ahnung von der potentiellen Macht der Solidarität. Doch in keinem Fall ist daraus die Perspektive entstanden, diese Macht im Interesse ihrer Befreiung von der Lohnabhängigkeit zu entwickeln. Alle Linken waren sich darin einig, die Lohnabhängigen auf ihre Lohnabhängigenrolle festzunageln und sie entweder wie die "undogmatische Linke" auf rein gewerkschaftliche Interessen zu beschränken oder diesen "sozialistische" Losungen überzustülpen, die alles Mögliche verhießen, nur nicht die Selbstorganisation der gesellschaftlichen Arbeit durch die "assoziierten" Produzenten. Wenn aber die gesellschaftliche Subalternität der Lohnabhängigen ihre Naturbestimmung zu sein scheint, wie alle Welt, auch die Linken, ihnen bestätigt, und wenn selbst Tarif"autonomie", "Mitbestimmung" und Betriebsratswahlen sie nur zementieren, dann muß auf die Dauer das Aufbäumen gegen diese oder jene Bedingungen der Lohnarbeit ins Gegenteil umschlagen, in Resignation, Demoralisation und Entsolidarisierung. Diese sich selbst verstärkende Entwicklung ist seit Jahrzehnten in allen Industrieländern zu beobachten. Sie ist der Boden für das Wiedererstarken der Sozial-demokratie ebenso wie für die Ausbreitung chauvinistischer Ressentiments und rassistischer Gewalt. Und sie wird erst zu durchbrechen sein, wenn die Lohnabhängigen ihre Abhängigkeit und Untertänigkeit zu verfluchen beginnen und den Ge-danken zu denken wagen: "Ich bin nichts, ich müßte alles sein." (Marx, MEW 1: 389)
Die "undogmatische Linke" hat diesen Gedanken selbst nie denken können. Ihr abstrakter, vager "Sozialismus" hatte nur eine einzige Grundlage in der gesellschaftlichen Realität: die Existenz oppositioneller Bewegungen und Kräfte in den Län-dern des vergangenen Staatssozialismus, die die Hoffnung auf seine Reformierbarkeit auch bei seinen linken und demokra-tischen Kritikern im Westen am Leben erhielten. Eine eigene, aus der aktuellen kapitalistischen Vergesellschaftung der Ar-beit entwickelte Vorstellung einer sozialistischen Produktionsweise besaß sie nicht. Das heißt, ihr "sozialistisches" Bewußt-sein war ein geliehenes Bewußtsein, das mit der Implosion des "Realsozialismus" ebenfalls in sich zusammenfiel. What's left? Eine Linke, die die Benennung des Kapitals als Kapital und des Profits als Profit schon für den Gipfel ihrer Kritik hält, weil sie die Bedingungen und Produkte der gesellschaftlichen Arbeit selbst nur noch in Kapitalform denken kann. Eine Linke, die (von Ausnahmen abgesehen) die "Suche" nach oder "Diskussion über grundlegende Alternativen [Plural!] zur kapitalistischen Marktwirtschaft"(19) nur noch beschwört, um ihr "linkes" Gewissen zu beruhigen. Denn wenn sie die Beschwörung ernst meinte, würde sie die Suche selbst aufnehmen, ihre eigene Geschichte reflektieren und mit dem brechen, was bisher ihre einzige Beschäftigung war dem vergeblichen Versuch, mit der illusionär gewordenen Perspektive eines Kapitalismus der vergoldeten Ketten die Lohnabhängigen zum Kampf gegen das Kapital zu mobilisieren. So aber wird sie bleiben, was sie ist: "linke" Randerscheinung einer Arbeiterbewegung, die "sich zur Arbeitsbewegung verharmlost hat" und der "mit ihrem Credo auch der Schwung abhanden gekommen ist"(20).
Anmerkungen: