Workfare, German-Style
Ein Interview mit Mag Wompel zu Hartz IV,
Ein-Euro-Jobs und der Kampagne Agenturschluss
Konzentriert auf ihre
arbeitsmarktregulatorische Essenz ließe sich die Funktion von Workfare-Politiken
mit dem britischen Theoretiker Jamie Peck dahingehend resümieren, dass es bei
ihnen weniger um die Schaffung von Jobs für Menschen geht, die keine Arbeit
haben, denn vielmehr um die “Schaffung” von ArbeiterInnen für Jobs, die niemand
will. Deshalb kann Workfare auch als eine Art sozialpolitisches
Gegenstück zur Prekarisierung von Arbeit betrachtet werden. Der Begriff selbst
steht dabei für die Doppelstrategie, zum einen durch vielfältige Maßnahmen
(Reduktion von Transferzahlungen, Erhöhung der Zumutbarkeitskriterien usw.) den
Druck auf Erwerbslose zur Aufnahme einer Lohnarbeit zu intensivieren und sie zum
anderen bei drohendem Verlust ihrer Bezüge zur Teilnahme an so genannten
Beschäftigungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen zu verpflichten. Der in
fortschreitendem Maße wieder unabgefedert sich entfaltende stumme Zwang der
ökonomischen Verhältnisse wird im Zusammenhang mit Workfare also
sozusagen mit ganz und gar nicht “stummen”, außerökonomischen Zwangsmechanismen
kombiniert.
Zeitgleich mit der Ausbreitung von unsicheren und
miserabel entlohnten, eben prekären Arbeitsverhältnissen konnte in den letzten
Jahren und Jahrzehnten v.a. in Europa und den USA auch die Etablierung
“beschäftigungszentrierter Sozialpolitiken” dieser Art beobachtet werden. In
Deutschland wurde ein solcher Kurs zuletzt etwa mit dem 4. der so genannten
Hartz-Gesetz vorangetrieben, welches am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist.
Mit der dadurch vollzogenen Zusammenführung von Sozialhilfe und
Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II (Alg II) einher ging auch
die Einführung der “1-Euro-Jobs”. Die damit bezeichneten Maßnahmen haben zwar
eine lange Vorgeschichte in der deutschen Sozialhilfegesetzgebung, ihre mit
Hartz IV durchgeführte Reformierung bringt jedoch einige grundsätzliche
Veränderungen mit sich.
Ein Interview mit
der Journalistin und Industriesoziologin Mag Wompel von LabourNet Germany,
dem virtuellen Treffpunkt für Ungehorsame mit und ohne Job, zu Hartz IV,
1-Euro-Jobs und der Kampagne Agenturschluss.
Wie würde ein
Zwischenresümee nach einem Jahr verschärftem Arbeitszwang im deutschen
Sozialstaat und insbesondere in Bezug auf die so genannten ”1-Euro-Jobs” aus
deiner Perspektive ausfallen?
Ging es nach der alten
rot-grünen Bundesregierung, so sollten mit Hartz IV rund 20% aller
Langzeiterwerbslosen in so genannten 1-Euro-Jobs arbeiten. Ende November 2005
gab es ca. 255.000 davon, aktuell gehen wir von ca. 300.000 aus.
Dabei handelt es sich um
”Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung” (MAE) von eben einem Euro
bis 1,50 Euro pro Stunde zusätzlich zum neuen Alg II. Mehraufwandsentschädigung
bedeutet, dass es sich um keinen Lohn handelt, weil auch kein Arbeitsverhältnis
und damit kein Anspruch auf Übernahme, Urlaubsgeld oder Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall entsteht. Kein Arbeitsverhältnis, keine Arbeitsrechte.
Bei Weigerung einen solchen
Job anzunehmen, droht zunächst die Kürzung der Regelleistung von 345 Euro um 30%
für drei Monate und bei wiederholter Ablehnung um 60%. Jugendlichen unter 25
wird für diese Zeit das Alg II komplett gestrichen. Doch während einige
versuchen gegen diese Zwangsdienste zu klagen, suchen viele aktiv nach solchen
Jobs – einfach weil die Grundsicherung vorne und hinten nicht ausreicht.
Während die Erwerbslosen
max. 1,50 Euro je Stunde bekommen, erhalten ihre ”Arbeitgeber” ca. 350 Euro je
Monat für Verwaltungskosten und den laut Gesetz mit diesen Jobs verbundenen
Qualifizierungsanteil. Dieser ”Aufpreis” führte zur massenhaften Nachfrage bei
den Beschäftigungsträgern und oft auch zur ”Weiterverleihung” dieser
Billigkräfte an Wohlfahrtsverbände, Schulen, Kirchengemeinden und weitere
Einrichtungen des sozialen Hilfesystems, meist an Arbeitsplätze, die zuvor aus
Sparmaßnahmen gekündigt wurden. Doch von Qualifizierung kann in den seltensten
Fällen die Rede sein, zumal die meisten JobberInnen bereits Fachkräfte sind.
Dies entspricht der
Intention der neuen ”Beschäftigungspolitik”, nicht Qualifikationen zu erhalten
und auszubauen, sondern diese zu testen und zu vernutzen; nicht in den ersten
Arbeitsmarkt zu vermitteln, sondern die Arbeitslosenstatistik wie auch die
Leistungen zu minimieren.
Laut Gesetz müssen die
unter dem Titel ”1-Euro-Jobs” geschaffenen ”Arbeitsgelegenheiten” einerseits ”im
öffentlichen Interesse” und andererseits ”zusätzlich” sein. Wie steht es deinen
Erfahrungen zufolge um die vorgeschriebene ”Gemeinnützigkeit” und
”Zusätzlichkeit” dieser ”Jobs”? Ist der vielfach befürchtete Effekt der
Substitution regulärer Arbeitsverhältnisse eingetreten?
Bei den Arbeiten,
die den Erwerbslosen im Rahmen von 1-Euro-Jobs nach § 16, Abs. 3 des neuen
Zweiten Sozialgesetzbuches SGB II zugewiesen werden, muss es sich um
”zusätzliche” handeln, also um Arbeiten, die sonst nicht, nicht in diesem Umfang
oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet würden. Für den Einsatz von
1-Euro-Arbeitskräften in den Kommunen bedeutet das: Es reicht laut Gesetz
eigentlich nicht, wenn eine Kommune mit Hinweis auf bestehende finanzielle
Engpässe pauschal erklärt, die von den 1-Euro-Kräften ausgeführten Arbeiten
würden sonst nicht oder nicht in diesem Umfang durchgeführt. Entsprechendes gilt
für die Zuweisung einer 1-Euro-Kraft an einen freien Träger. Mit Blick auf die
Arbeit in Pflegeheimen oder Krankenhäusern gilt ebenfalls, dass insbesondere
alle Arbeiten, die notwendig werden, um die Anforderungen der Leistungs- und
Qualitätsvereinbarungen oder auch Hygienevorschriften zu erfüllen, notwendige
und damit nicht zusätzliche Arbeiten sind. Auch können nach § 16 Abs. 3 Satz 2
SGB II nur solche Arbeiten im Rahmen von 1-Euro-Jobs zugewiesen werden, die ”im
öffentlichen Interesse liegen”.
Genau diese Vorgaben werden
aber in den meisten Fällen verletzt. Die Zusätzlichkeit wird tagtäglich durch
kommunale Sparmaßnahmen und (selbst geschaffene) Sparzwänge aufs Neue produziert
mit jeder Entlassung und jeder geschlossenen Einrichtung. An Schulen arbeiten
z.B. viele erwerbslose Lehrer als 1-Euro-Betreuung und Hausaufgabenhilfen. Viele
entlassene PflegerInnen landen nach einem Jahr im gleichen Job – nur rechtlos
und unbezahlt. Gleiches gilt für das Gebot der Gemeinnützigkeit, die immer
weiter gefasst wird, z.B. bis hin zu Aufgaben der Sicherheit im
(privatisierten!) Öffentlichen Personennahverkehr.
1-Euro-Arbeitsgelegenheiten
sind damit offensichtlich ein arbeitsmarktpolitischer Unsinn. Sie deregulieren
Arbeitsverhältnisse, sie ruinieren die Standards des sozialen Hilfesystems und
sie ersetzen bereits reguläre Arbeitsverhältnisse bis in den Fachkräftebereich.
Neben dem
postulierten Ziel der (Re-)Integration von Erwerbslosen in den ersten
Arbeitsmarkt scheinen die Workfare-Maßnahmen in Deutschland von ihren
”ErfinderInnen” ja in erster Linie als fiskalpolitisches Instrument entwickelt
worden zu sein. Mittels des Prinzips des ”(Über-)Forderns und (Hinausbe-)Förderns”
(D. Fetzer) sollen zwecks Entlastung der öffentlichen Haushalte möglichst viele
Alg II-BezieherInnen aus dem Bezug gedrängt werden. Kann man schon sagen, wie
”erfolgreich” Hartz IV in diesem Zusammenhang ist?
Das Einsparungspotential
der Hartz-Gesetze liegt auf mehreren Ebenen:
a) Grundsätzliche
Abschreckung vor Antragstellung (Entwürdigung und Erniedrigung; umfangreicher
Antragsbogen; fehlerhafte Bescheide) bis hin zu Sperren bereits bei der
verspäteten Antragsstellung,
b) Zahlungsverzögerungen,
offensive Nutzung von Sperren und kreative Herausforderung von Sperr-Gründen der
Leistung (kurzfristige Vorladungen, Alkoholtests, Hausbesuche und telefonische
Kontrollen etc.),
c) mittelfristige Absenkung
von Alg I und v.a. Alg II durch Angebot des Zuverdienstes im 1-Euro-Job- und
Niedriglohnbereich,
d) langfristige Lohnsenkung
in allen Wirtschaftsbereichen durch Lohndumping der Maßnahmen, die wiederum eine
Absenkung der Grundsicherung rechtfertigt (Lohnabstandsgebot)
Allein die Einsparungen
durch Sperrzeiten des Leistungsbezugs lagen bereits 2004 und 2005 in
Millionenhöhe.
Immer wieder
wurden im letzten Jahr auch Fälle von ”1-Euro-Jobs” publik, bei denen
Erwerbslose zum völligen Selbstzweck – also losgelöst vom kapitalistischen
Verwertungsprozess – mit unsinnigen Tätigkeiten schikaniert wurden [1].
Inwiefern dienen die mit den Hartz-Gesetzen eingeführten Workfare-Maßnahmen
– wie in den genannten Fällen – ausschließlich dem Zweck der
”Erziehung”/Disziplinierung?
Schon immer
dienten Trainingsmaßnahmen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), Praktika etc.
auch zum Testen der Arbeitswilligkeit oder zur Disziplinierung ”aufmüpfiger”
Erwerbsloser. Mit den 1-Euro-Jobs besteht nun die Möglichkeit, diese Ziele mit
handfesten wirtschaftlichen Vorteilen zu Verknüpfen. Doch angesichts der durch
die Arbeitsagenturen ungeprüften Durchführung dieser Maßnahmen bleibt es den
Beschäftigungsträgern überlassen, ob sie für die beantragten und bewilligten
1-Euro-Jobs Einsatzmöglichkeiten und damit Zusatzprofite suchen oder sich mit
der Aufwandsentschädigung begnügen und die JobberInnen sich selbst überlassen
(und damit nebenbei der Verdrängung regulärer Jobs entgegen wirken).
Es hängt von den
Einsatzstellen und der Persönlichkeit der JobberInnen ab, welche der Lösungen
ihnen lieber ist, den Job selbst können sie so oder so nur bei Strafe einer
Sperre ablehnen.
Workfare-ApologetInnen
preisen die von ihnen entwickelten Maßnahmen häufig ziemlich unverblümt als
Instrumente einer ”zeitgemäßen Niedriglohnpolitik”. Lassen sich die
Hartz-Gesetze auch in Hinblick auf diese Zielsetzung entschlüsseln und wenn ja,
welche Auswirkungen hat das auf den Arbeitsmarkt als solchen?
1-Euro-Jobs haben – wie
auch der staatliche Verleih über PersonalServiceAgenturen (PSA) [2] – die
eindeutige Funktion des Lohndumpings. Sie wirkt sich aber vorrangig im Bereich
des Öffentlichen Dienstes aus, in der privaten Wirtschaft ”nur” als Abschreckung
vor den Folgen der Erwerbslosigkeit und damit als Anreiz zu weiterem Verzichts
auf tarifliche und übertarifliche Standards zur ”Sicherung” des Arbeitsplatzes.
Getrieben vom Wunsch nach
weiterer Senkung der Lohnnebenkosten schreien die Arbeitgeber aber weniger nach
der Ausweitung von 1-Euro-Jobs auf alle Wirtschaftsbereiche als nach staatlichen
Zuschüssen zu Niedriglöhnen in Form von Kombilohn. Die aktuelle Debatte um
weitere Senkung der Lohnersatzleistungen für Erwerbslose soll, verbunden mit
Erweiterung der Zuverdienstmöglichkeiten, diesem Wunsch den Boden bereiten.
Langfristig ist damit zu rechnen, dass staatliche Subventionen zu einem
insgesamt abgesunkenen Lohnniveau den Einsatz von 1-Euro-Jobs ablösen werden,
denn erstens wäre dies eine breiter angelegte, nicht nur Langzeitarbeitslose
betreffende ”Lösung” und zweitens ist der dauerhafte Einsatz von 1-Euro-Jobs zu
teuer aus der Sicht eben dieser Lohnnebenkosten.
Wie der Einsatz
von ”1-Euro-Jobbern” als StreikbrecherInnen gegen den von der
Dienstleistungsgewerkschaft ver.di organisierten Arbeitskampf der
Beschäftigten im öffentlichen Dienst Anfang des Jahres einmal mehr gezeigt hat,
wird mit Hartz IV der Druck nicht ”bloß” auf Erwerbslose sondern auf die Löhne
und Arbeitsbedingungen aller abhängig Beschäftigten erhöht. Wie erklärst du dir
die ambivalente Position der Gewerkschaften angesichts dieses Umstands?
Die Ambivalenz der
offiziellen Gewerkschaften ist so alt wie die Politik dieser real existierenden
Organisationen der Lohnabhängigen. Sozialabbau gibt es seit den 60er Jahren und
so lange haben sich die Gewerkschaften nicht darum bemüht, die Lebensbedingungen
der Erwerbslosen zu verbessern, und sei es auch nur, um die Erpressbarkeit ihrer
”Klientel” der Stammbelegschaften zu mildern.
Diese Ambivalenz zeigte
sich auch im Vorfeld der Hartz-Gesetze, als die Gewerkschaftsvertreter in der
Hartz-Kommission einerseits für sich die Vertretung auch der Erwerbslosen
beanspruchten, zugleich aber im Konsens den entwürdigenden und schikanösen
Gesetzesentwürfen zustimmten.
Diese Ambivalenz ist
einerseits in der anhaltenden Fetischisierung der Lohnarbeit als alleiniges
Mittel zur Existenzsicherung zu sehen und damit im unbedingten Glauben an die
Wiederherstellung der Vollbeschäftigung als bevorzugtes Gesellschaftsmodell.
Andererseits glaubt man sich – Hand in Hand mit Politik und Kapital – der
Wettbewerbsfähigkeit des eigenen (nationalen) Standortes verpflichtet. Diese
Wettbewerbsfähigkeit sei aber durch zu hohe Löhne und zu hohe Lohnnebenkosten
gefährdet…
Innerhalb der
deutschen Linken scheint es bei der Einschätzung der Hartz-Gesetze zwei
unterschiedliche Positionen zu geben: Sehen die einen darin eine Art
”Paradigmenwechsel”, betonen andere v.a. die Kontinuität des Einsatzes von
Zwangsmaßnahmen in der deutschen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, welche zurück
reicht bis in die Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. Wie
sieht deine Einschätzung zu dieser Frage aus und hat dies Konsequenzen für die
politische Praxis im Widerstand gegen Hartz IV?
Wer in den Hartz-Gesetzen
einen Paradigmenwechsel sieht, hat Recht, was die offizielle Philosophie des
Sozialstaatsmodells angeht: so hart wurde seit dem 19. Jahrhundert kaum
ausgesprochen, dass nur essen kann, wer arbeitet. Doch führt diese dramatische
Formulierung dazu, dass oft geglaubt wird, mit Nachbesserungen in einen
paradiesischen Zustand zurück zu können, den es aus der Sicht der Erwerbslosen
und der SozialhilfeempfängerInnen nie gegeben hat.
Doch die Hartz-Gesetze
bestehen nicht nur aus Hartz IV und selbst die Abschaffung aller Hartz-Gesetze
ändert nichts an der erniedrigenden Behandlung von Menschen, die vom Kapital als
nicht mehr verwertbar angesehen werden.
Nach dem
tendenziellen Abflauen der ”Montagsdemonstrationen” im Herbst 2004 wurde
vielfach der Eindruck vermittelt, die Zumutungen der Hartz-Gesetze würden
seitens der Betroffenen quasi unwidersprochen hingenommen. Wie stand und steht
es um den Widerstand der Erwerbslosen selbst sowie anderer sozialer Gruppen vor
allem im Kampf gegen Hartz IV?
Der Kampf gegen die
Hartz-Gesetze findet tagtäglich statt, wenn auch v.a. individuell. Findigkeit
und Widerstandspotential sind bei diesen Lebensbedingungen überlebensnotwendig:
Sparvermögen werden aufgelöst, Bedarfsgemeinschaften ziehen auseinander,
Bewerbungen werden fingiert… [3] Auch die Vielzahl von Klagen gegen die
Bescheide oder Zuweisungen von 1-Euro-Jobs beweisen den aktiven Widerstand.
Zugegeben, relativ wenige wehren sich politisch, und sei es mit der Beteiligung
an unseren Befragungsaktionen. Not täte alltäglicher und politischer Widerstand,
denn angesichts ständiger Verschärfungen bedarf es mehr, als kurz aufflammender
Proteste. Doch Erwerbslosigkeit und Armut sind heutzutage stressiger als mancher
Job…
Mit der Kampagne
”Agenturschluss” wurde versucht, den Widerstand gegen Hartz IV bundesweit zu
vernetzen und auch nach dem Abflauen der ersten Protestwelle fortzuführen. Wie
würde eine Zwischenbilanz zur Kampagne aus deiner Perspektive ausfallen?
Agenturschluss ist eine
bundesweite Initiative aus Erwerbsloseninitiativen, autonomen Gruppen und Teilen
der Gewerkschaftslinken. Erstes Ziel war die ”Agenturschluss” am 3.1.2005, also
in möglichst vielen Städten den Betrieb der Arbeitsagenturen an diesem ersten
Tag der ”Gültigkeit” von Hartz IV lahm zu legen. Mit der Schließung sollten sich
Betroffene und (noch) Nicht-Betroffene gegen die Verarmungs- und
Disziplinierungsoffensive der Bundesregierung und gegen die Umsetzung dieses
sozialen Angriffs durch die Arbeitsagenturen und Jobcenter wenden. Während der
Belagerung der Behörde sollten die AktivistInnen ”vor Ort” über Widerstand und
Perspektiven jenseits des Zwangs zur Arbeit beraten. Dies hat mehr oder weniger
intensiv in ca. 70 Städten stattgefunden.
Gleichzeitig sollten die
Beschäftigten der Arbeitsagentur explizit mit einbezogen werden. In einem
Schreiben an die MitarbeiterInnen erinnerten wir an deren persönliche
Verantwortung und ermutigten die MitarbeiterInnen, die sich intern ebenfalls
gegen die entwürdigende Verfolgungsbetreuung zur Wehr setzen. Auch wenn wir
deshalb aus den Gewerkschaftsvorständen scharf angegriffen wurden, gab es
innerhalb der Agenturen und auch innerhalb von ver.di eine durchaus kontroverse
Debatte über die Rolle der Fallmanager und Sachbearbeiter.
Mit der Einführung der
1-Euro-Jobs eröffnete sich ein neues Handlungsfeld. Wir bemühten uns und tun es
immer noch:
a) Über diese Jobs und
Abwehrmöglichkeiten aufzuklären
b) Informationen über die
Umsetzung zu sammeln (Fragebogenaktion, Liste der Anbieter)
c) Anprangerung der
Nutznießer in der Erwerbslosenindustrie (”Schwarze Schafe”)
d) Ein
Euro-Job-Spaziergänge als Kombination aus Protest, Einbindung und Aufklärung
Bereits die
Koalitionsvereinbarung der neuen Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD lässt eine
weitere Verschärfung des sozialen Angriffs befürchten. Aber auch der Widerstand
dagegen scheint noch keinesfalls am Ende. Welche Zukunftsszenarien scheinen dir
realistisch?
Punktuellen Widerstand und
tagtägliche Widerständigkeit wird es immer geben – allein um zu Überleben. Doch
solange immer nur die letzte Verschärfung für Empörung sorgt und damit die
vorletzte indirekt zum Status Quo wird, werden Kapital und Politik so weit
gehen, wie sie können und wir sie lassen.
Ein wirklich wirkungsvoller
Widerstand nicht nur gegen einzelne Vorhaben, sondern das gesamte dahinter
stehende System setzt m.E. mehreres voraus:
1) Tagtäglicher Widerstand
gegen die Zumutungen von Behörden und Arbeitgeber sowie solidarische
gegenseitige Unterstützung dieser Widerständigkeit.
2) Kollektive Verweigerung
der Durchführenden dieser unmenschlichen Gesetze solidarisch mit den
Erwerbslosen.
3) Abkehr vom Fetisch der
Lohnarbeit und der Arbeitsgesellschaft.
4) Forderung nach
komfortablen bedingungslosen Grundeinkommen, gesetzlichen Mindestlohn und einer
radikalen Arbeitszeitverkürzung (mit Personal- und Lohnausgleich) durch (noch)
Erwerbstätige und Erwerbslose.
5) Suche nach langfristigen
Alternativen für die kapitalistischen Formen der Existenzsicherung,
individueller Anerkennung und Vergesellschaftung.
Anmerkungen
[1]
Bekanntestes Beispiel ist wohl die
Beschäftigungsgesellschaft "Hamburger Arbeit", wo 1-Euro-JobberInnen dazu
verpflichtet wurden, Wände aufzubauen, um sie nach Fertigstellung wieder
abreißen zu lassen, Böden zu schrubben, um sie nach getaner Arbeit erneut zu
verdrecken, Teppiche in kleine Teile zu zerschneiden, um sie alsdann in den Müll
zu werfen usw.
[2]
Bei den bereits Mitte des Jahres 2003 im Rahmen
der Hartz-Gesetze eingeführten PersonalServiceAgenturen (PSA) handelt es
sich um in die Arbeitsämter integrierte, also staatliche Leiharbeitsagenturen.
Mittels der PSAs sollte es gelingen, innerhalb eines Zeitrahmens von drei Jahren
bis zu 500.000 Erwerbslose für befristete Arbeitseinsätze an Dritte (zwangs-) zu
vermitteln. Im Laufe des Jahres 2004 waren 57.800 Personen bei solchen
Leihagenturen.
[3]
Beim Alg II handelt es sich um eine
steuerfinanzierte, bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung für als ”erwerbsfähig”
geltende Erwerbslose, die länger als maximal 12 Monate (bei Erwerbslosen über 55
Jahren: 18 Monate) als arbeitslos registriert sind. Dabei wurden nicht bloß die
”Anspruchsvoraussetzungen” (jede Arbeit gilt nunmehr als ”zumutbar”), sondern
auch die ”Bedürftigkeitskriterien” verschärft. So werden etwa Sparvermögen der
AntragstellerInnen ebenso in die Bedürftigkeitsprüfung miteinbezogen, wie das
Einkommen von PartnerInnen oder anderen Mitgliedern der ”Bedarfsgemeinschaft”.
Als ”Bedarfsgemeinschaft” gelten dabei eheliche und so genannte ”eheähnliche
Gemeinschaften”, wobei von den Ämtern häufig bereits der Umstand des
Zusammenwohnens von einem Mann und einer Frau als Indiz für das Bestehen einer
solchen herangezogen wird.
Buchtipps:
- AGENTURSCHLUSS
(Hrsg.): Schwarzbuch Hartz IV. Sozialer Angriff und Widerstand – eine
Zwischenbilanz. Berlin/Hamburg: Assoziation A 2006
- FALZ / Frankfurter
Arbeitslosenzentrum (Hrsg.): Arbeitsdienst – wieder salonfähig! Autoritärer
Staat, Arbeitszwang und Widerstand. Frankfurt/M.: Fachhochschulverlag 2005
Link:
www.labournet.de/agenturschluss
Interview: Markus Griesser
|