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Kritik und Krise der Warengesellschaft |
erschienen im Neuen Deutschland am 30.4.2004 Robert Kurz
BEWIRB DICH ODER STIRB Es gibt viel zu tun, aber die Arbeit geht aus. Dieser Satz ist nur scheinbar paradox. Denn der moderne Begriff der Arbeit ist nichts anderes als die Abstraktion von jedem konkreten Inhalt der Tätigkeit, ein "gespenstisches" Handeln (Marx) einzig zu dem Zweck der Verwertung von Kapital. Es geht um die betriebswirtschaftliche Vernutzung von menschlicher Energie, von "Nerv, Muskel, Hirn" (Marx) und sonst gar nichts. Deshalb bleiben einerseits lebenswichtige Tätigkeiten mangels Rentabilität ungetan, während andererseits Unsinn oder Zerstörung produziert werden und gleichzeitig massenhaft menschliche Energie unfreiwillig brach liegt. In der Krise spitzt sich die Absurdität dieses gesellschaftlichen Verhältnisses zu. Viele sind notgedrungen bereit, buchstäblich "alles" zu machen und mit sich machen zu lassen, ganze Landschaften platt zu walzen, notfalls durch Reifen zu springen oder die berühmten Keynesschen Löcher zu graben und wieder zuzuschütten. Aber wenn die rentable Produktion aus ist, ist sie aus. Deshalb verlagert sich der kapitalistische Betrieb darauf, Produktion zu simulieren. Das Geldkapital flüchtet bekanntlich in die Finanzblasen, die behandelt werden, als wären sie reale Produktion. Und die Arbeitskraft? Sie wird von der leer laufenden Bürokratie zunehmend ebenfalls simulativ verwaltet. Weil die Produktion überall wegbricht, erscheint für Kapital und Arbeit gleichermaßen die Zirkulation, der Markt, als die einzige noch mögliche Sphäre der Betätigung. Zwar gab es schon immer die "Zirkulationsarbeit" in den kommerziellen Sektoren, aber eben als sekundäre, nachgeordnete Sphäre der Produktion. Zirkulieren kann nur, was vorher produziert worden ist. In der neuen simulativen Krisenökonomie jedoch soll die Zirkulation gewissermaßen die Produktion ersetzen. Dieser Illusionismus der Zirkulation als Produktion bestimmt die neue Arbeitsverwaltung ebenso wie den neuen Finanzkapitalismus. Das zeigt sich an den Zwangsprogrammen für Arbeitslose. Vor nicht allzu langer Zeit waren das hauptsächlich die berüchtigten Computer-Schulungen, von den Betroffenen oft abfällig "Idiotenkurse" genannt, weil sie zu keiner sinnvollen Qualifikation führten und eher als Beschäftigungstherapie galten. In gewisser Weise waren natürlich auch das schon Simulationsprogramme. Immerhin wurde dabei aber wenigstens noch die Fiktion aufrecht erhalten, daß es sich um eine inhaltliche Vorbereitung auf potentielle Produktionstätigkeiten handle. Diese Fiktion hat man inzwischen aufgegeben. In den neuen "Idiotenkursen", zu denen die Arbeitslosen heute zwangsverpflichtet werden, sollen sie einzig noch lernen und einüben, wie man sich selbst verkauft, Bewerbungen schreibt, sich inszeniert und sich potentiellen "Arbeitgebern" anpreist wie Sauerbier. Die Fiktion hat sich also verlagert und potenziert. Es wird nicht einmal mehr angenommen, daß die Arbeitslosen sich bloß irgendwie inhaltlich qualifizieren müssten, um einen Job zu bekommen. Jetzt wird unterstellt, sie hätten sich auf dem Arbeitsmarkt, der Zirkulationssphäre der Ware Arbeitskraft, bloß nicht richtig und nicht intensiv genug angeboten, nicht genug Eigenwerbung als "Unternehmer ihrer Arbeitskraft" betrieben. Auch in dieser Hinsicht übernimmt die staatliche Zwangsverwaltung der "Arbeit", die es immer weniger gibt, die Simulationskonzepte der längst abgesoffenen New Economy. Als der Börsen-Hype sich Ende der 90er Jahre seinem Höhepunkt näherte, wurde es üblich, daß sich Bewerber für Stellen in den Klitschen der damaligen Pseudo-Produktion besonders "originell" präsentieren mußten. So bat etwa eine Werbeagentur um "pfiffige Bewerbungen", woraufhin einer sein Selbstangebot mit einer Trillerpfeife verschickte. Andere wollten um Aufmerksamkeit buhlen durch die Zugabe eines T-Shirts mit dem Aufdruck: "Für einen Job bei ihnen gebe ich mein letztes Hemd". Derart alberne und würdelose Selbstinszenierungen, die nach dem Muster medialer Aufmerksamkeitswerte konstruiert sind, gehen heute nur noch ins Leere. Das gemeinsame Markenzeichen all dieser kindischen Bemühungen ist die völlige Inhaltslosigkeit. Während man bei der kapitalistischen Produktion noch vom nicht zu umgehenden Inhalt abstrahieren mußte, haben wir es hier mit "abstrakter Arbeit" pur zu tun. Der Selbstzweck der Kapitalverwertung wird gewissermaßen nachgeäfft durch den Selbstzweck eines Auffallens um jeden Preis; vergleichbar den armseligen Darbietungen von Amateurclowns, Straßenmusikanten oder Schnürsenkelverkäufern in den Fußgängerzonen der Großstädte. Es hat Symbolcharakter: Die smarten Selbstdarsteller der Postmoderne sind bei der ordinären Bettelei angelangt; die einst gefeierte Tugend der flexiblen Anpassungsfähigkeit erweist sich als blanke Selbstverhöhnung. Ökonomisch aber ist und bleibt dieser ganze Firlefanz in der Sphäre der Zirkulation angesiedelt. Wie das Betteln überhaupt zur Zirkulation gehört, so auch das Betteln um "Arbeitsplätze". Die Zirkulation kann jedoch für sich allein keine kapitalistische Reproduktion darstellen. Schafft schon die noch so gut gemeinte Qualifizierung keine reelle Arbeit als "Substanz des Kapitals" (Marx), wenn nicht rentable Produktion im großen Maßstab nachfolgt, so die Kasperei auf den Arbeitsmärkten erst recht nicht. Die Illusion, die hier zu Grunde liegt, ist ganz ähnlich konstruiert wie das Märchen, daß die Ökonomie "zu 90 Prozent Psychologie" sei. Während die Leute in Wirklichkeit schlicht kein Geld mehr haben, unterstellen die studierten Ökonomen, daß sie aus Gründen der bloßen Stimmung "Kaufzurückhaltung" üben. Genauso unsinnig ist die Vorstellung, daß man die Zirkulationstätigkeiten beliebig ausweiten könnte. Die bürgerliche Volkswirtschaftslehre hat überhaupt keinen Begriff dafür, Produktion und Zirkulation zu unterscheiden; für sie ist Geld zählen hinter dem Bankschalter oder Würtschen verkaufen genauso "Produktion" wie das Herstellen von Autokarrosserien. Daß hier ein grundsätzlicher logischer Fehler vorliegt, der in der heute vorherrschenden mikroökonomischen Betrachtungsweise besonders krass ausfällt, beweist sich praktisch an der besonderen Zirkulationssphäre des Arbeitsmarktes. Es hat etwas Schauerliches, wenn sich Millionen von nicht mehr kapitalistisch verwendungsfähigen "Arbeitskräften" gegenseitig unter grotesken Verrenkungen um Jobs anbetteln. Die Verkehrung ist offensichtlich: Bewarb man sich früher für einen Job, so muß heute so getan werden, als wäre das Bewerben selber eine Art Job. Die zur "Agentur für Arbeit" umgetaufte Bundesanstalt für kapitalistischen Irrsinn ist als "Agentur für Simulation" in Wahrheit das einzige Großunternehmen im Geist der unrühmlich verblichenen New Economy, gerade weil sie nichts verkauft als die ökonomische Illusion, daß die Zirkulation zur Produktion ernannt werden könnte. |