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News - 26.07.05 von Heiner Stuhlfauth

Pseudo-Arbeit für Pseudo-Lohn

Zur Problematik des Arbeitslosenkampfes in Zeiten von Hartz IV und Ein-Euro-Jobs. Ein Beitrag zur weiteren Diskussion aus der Direkten Aktion Nr. 170.

Gedanken zur Blockade einer Kölner Ein-Euro-Klitsche am 20. Mai 2005.

[Am 20. Mai 2005 ab 6.45 Uhr blockierten ca. 30-40 Personen den Kölner Beschäftigungsträger "Ehrenfelder Verein für Arbeit und Qualifizierung". Die Aktion fand im Rahmen eines bundesweiten Aktionstags der Kampagne Agenturschluss statt. (Bericht über die Aktion)]

Es ist der französische Philosoph und Soziologe Bourdieu, dem die pessimistische Prognose nachgesagt wird, dass die Arbeitslosen für den sozialen Kampf nicht zu gebrauchen seien. Ihnen fehle schlichtweg eine gemeinsame Identität, die ansonsten durch die Arbeit hergestellt werde. Also durch den Rhythmus der Fabrik, die Arbeit in einer ähnlichen Branche/Berufsgruppe etc.
Es lohnt sich tatsächlich, eine Weile über diese These nachzudenken. Die Versuche, das riesige Potential der Arbeitslosen (ca. 70.000 Personen allein in Köln) in politische, gewerkschaftliche oder sonstige Organisationsformen einzubinden, sind zahlreich, die Erfolge bescheiden. Tatsächlich ist die Arbeitslosigkeit nicht besonders identitätsstiftend. Die Leute sehen sich als alles mögliche. Dass sie nebenbei auch Geld vom Arbeitsamt beziehen, macht sie noch lange nicht zu Brüdern und Schwestern.
Die Arbeitslosen wollen zunächst einmal nur eins: Ihr Geld pünktlich aufs Konto. Und zweitens: die staatlichen oder kommunalen Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen, optimal ausschöpfen, ohne dafür besonders viel tun zu müssen. Vermutlich ahnen sie instinktiv, dass die ganzen linken Organisierungsversuche für sie am Ende nur eins bedeuten werden: Arbeit. Plakate kleben, Infostände betreiben, nervige Gruppentreffen unter der Führung studierter SchlaubergerInnen erdulden. Wozu das alles? Tatsächlich haben viele Arbeitslose neben diesem instinktiven – und durchaus gesunden – Abwehrverhalten auch noch Eigenschaften im Sinne Bourdieus, die sie für Organisationsversuche nicht gerade prädestinieren: ein geringes Maß an Selbstorganisation und Initiative, ein katastrophales Zeitmanagement. Wenig zu verlieren und keine Perspektive, irgendetwas zu gewinnen. Dazu gesellt sich oftmals eine pessimistische, gar zynische Grundhaltung und die Erkenntnis, dass sie selbst in erster Linie Opfer des Systems sind, was auf Dauer zu einer durchaus ungesunden Opfermentalität, mitunter gar zu Paranoia und Weltuntergangsvisionen führen kann. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wir reden von einer Tendenz.*1

Den Arbeitslosen Beine machen

Der Witz ist: Das System verzweifelt ebenfalls an den oben beschriebenen Merkmalen. Menschen mit diesen Negativqualifikationen sind nicht nur für linke Organisationen verloren, sondern auch für die kapitalistische Mehrwertproduktion. Vor allem wenn der Kapitalismus ihnen nicht mehr anzubieten hat, 40 plus x Stunden Knochenarbeit und einen Lohn, der nur knapp über dem Arbeitslosengeld liegt.
Jetzt, mit dem Konzept „Fordern und fördern“ (Workfare not Welfare), versuchen sie, die Arbeitslosen zu aktivieren und für die Produktion zu reorganisieren. Im Kern bedeutet das: Schikanieren und Aushungern durch unsinnige Maßnahmen und Leistungskürzungen. Die Guten ins Kröpfchen, die schlechten ins Töpfchen. Das schafft auch für den Widerstand neue Bedingungen: Im Kölner JobCenter wurde ab 2001 eine Auswahl von ca. 3.000 Arbeitslosen mit aufstockender Sozialhilfe „intensiv betreut“. Sie wurden mit Sperren eingedeckt, schikaniert. Die Leute mussten durchschnittlich alle drei Wochen antanzen, manche sogar wöchentlich, und ihre "Bemühungen auf dem Arbeitsmarkt nachweisen" (Mitwirkungspflicht).

Die große Echtzeit-Simulation

Womit wir bei einem wichtigen Begriff für die weitere Diskussion wären: dem griechischen Wort „Pseudo“ - So tun als ob. Unter Helmut Kohl schon haben wir Pseudo-Beratungsgespräche mit unseren ArbeitsvermittlerInnen geführt. Sie wussten, dass Du eigentlich keinen Bock hattest, und taten so, als wollten sie Dir helfen. Und Du tatest so, als würdest Du alles tun, um eine Arbeit zu finden und seiest sehr interessiert an ihren Ausführungen. Am Ende schüttelte man sich die Hand und wünschte sich alles Gute bis zum nächsten Jahr.
Im JobCenter musst Du eine vorher verhandelte Anzahl von Pseudo-Bewerbungen (mehrere in der Woche) abschicken, um Deine Bemühungen zu dokumentieren. Mit dem einzigen Resultat, dass keine Kölner Firma, die halbwegs bei Trost ist, Stellenanzeigen mehr inseriert, weil sie Angst vor einem wahren Bewerbungs-Bombardement hat.

Die letzte Konsequenz in der Pseudo-Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist die Pseudo-Arbeit. Für Jugendliche ohne Lehrstelle werden schon seit Jahren „Scheinfirmen“ installiert, in denen sie so tun, als würden sie wirklich arbeiten und mit anderen „Scheinfirmen“ Aufträge austauschen und abwickeln.

Jetzt gibt es diese Pseudo-Arbeit auch für Erwachsene. In Köln zum Beispiel beim Ehrenfelder Verein für Arbeit und Qualifizierung (EVA), außerdem bei „Zug um Zug“, die in Köln-Nippes beheimatet sind (der Geschäftsführer ist übrigens ein ehemaliger Trotzkist der „Gruppe Internationaler Marxisten“) und beim Internationalen Bund in Köln-Kalk.

Ladenschluss um 7 Uhr morgens

Die Kölner Kampagne "Agenturschluss" hat sich am bundesweiten Aktionstag am 20. Mai 2005 die EVA vorgeknöpft. Wir sind mit 30-40 Leuten dort aufgelaufen und haben die Klitsche ab 6.45 Uhr morgens (sic! Herr Bourdieu!) dicht gemacht. Wir haben Flugblätter verteilt und das Gespräch, mitunter die Konfrontation gesucht.
Der Laden ist uns beim ersten Ein-Euro-Job-Spaziergang wegen seiner katastrophalen Verhältnisse aufgefallen. Mehrere Leute im näheren Umfeld des Arbeitslosen syndikats köln / FAU wurden bereits dorthin befohlen und versuchten, dieser Form der Resozialisierung so schnell wie möglich zu entkommen.
Bei EVA werden ca. 300 Leute (in Abteilungen wie Schlosser, Maler etc. ) in einer Art Betriebshof versammelt. Es handelt sich um Individuen mit "erhöhtem Betreuungsbedarf". Ein Bekannter, der dort war, meinte, in der Schlosser-Werkstatt seien mindestens 50 Jahre Knast versammelt. Schulabbrecher unter 25, Super-Langzeitarbeitslose über 50, und andere, die aufgrund sozialer Probleme (familiärer Druck, Schulden, Wohnsituation, Sucht) angeblich keinen Job finden.
Die wichtigste Lektion erfolgt am Beginn des Arbeitstages: Du musst vor 7 Uhr stempeln. Sonst gibt es Abzüge. Die Werkstätten sind schlecht bis beschissen ausgestattet - vielleicht weil dort auch viel geklaut wird. Die Anleiter sind fast so unmotiviert wie die Pseudo-ArbeiterInnen. Kurz: Du sitzt den ganzen Tag nur rum, langweilst Dich zu Tode und kommst auf dumme Gedanken. Der Zuverdienst zum ALG II ist idiotischer Weise gestaffelt, was Abgrenzungen unter den Pseudo-Arbeitern führt. Die Erwachsenen unter 25 Jahren bekommen nur 70 Cent die Stunde "Mehraufwandsentschädigung". Mit Ausbildung erhältst Du 1,20 €, wenn Du mit Arbeitskolonnen auf Baustellen geschickt wirst, kannst Du angeblich bis zu 3,-€ dazu verdienen. Der Witz ist aber: Wenn Du fehlst, wird Dir nicht nur die "Mehraufwandsentschädigung" abgezogen, sondern auch das ALG II anteilig gekürzt. Anders als normalerweise, wird das ALG II deshalb am Monatsende gezahlt. Die Betreuer sind auch nicht böse, wenn Du einfach mal fern bleibst (gibt ja eh nichts zu tun). Die Quittung kommt mit der nächsten Überweisung.
Besonders für die Unter-25-Jährigen mit 70 Cent ( gleich 5,60 € am Tag) ist die Pseudo-Arbeit ein Verlustgeschäft, wenn man bedenkt, dass die Fahrt zur Arbeit und ein warmes Mittagessen bereits teurer sind als dieser Pseudo-Lohn.

Fight for your rights?

Man sollte meinen, das wären ideale Bedingungen für eine Revolte. Die Realität sieht aber schwieriger aus. Die Aktion kam für die Beschäftigten überraschend, auch wenn wir bereits den ein oder anderen Kontakt in die EVA aufgebaut hatten. Die Leute sind aber in Gruppen und Grüppchen unterteilt, die eine geringe Kommunikation untereinander pflegen. So kam unsere Warnstreik-Blockade für die meisten unvermittelt. Das Flugblatt - welches immerhin einen verständlichen und sachbezogenen Stil pflegte - erwies sich nicht als das ideale Kommunikationsmedium: Bei EVA gibt es viele Leute, die absolut ungern lesen. Dann hatten einige Angst, nicht stempeln zu können (Was auch das Ziel unserer Aktion war), und deshalb Abzüge zu bekommen (Was purer Quatsch ist). Zwei total Verpeilte drohten uns gar mit Prügel. Einer kletterte waghalsig über den Zaun, um ja nicht zu spät zu kommen.
Vielleicht wäre es klüger gewesen, die Aktion langfristiger vorzubereiten, vielleicht durch mehrmaliges Flugblatt-Verteilen und Kontaktaufnahme im Vorfeld. Sehr warhscheinlich ist es in Zukunft sinnvoller, in den Betrieb reinzugehen, ihn temporär zu besetzen und die Pseudo-Arbeit dort lahm zu legen, als ihn von außen abzusperren und so eine symbolische Trennung zwischen Pseudo-ArbeiterInnen und militanten Arbeitslosen zu schaffen.

So bleibt der Erfolg der Aktion zwiespältig: Einerseits haben wir ein deutliches Signal an die Adresse der Kölner Armutsverwaltung gesetzt: Hier gibt es einen militanten Kern, der als Drohung vor der Tür steht und durchaus empfindlich eingreifen kann. Dieser Kern ist in der Lage, die Schwachstellen zu erkennen und strategisch zu nutzen. Wenn unsere Propaganda irgendwann einmal auf fruchtbaren Boden fallen sollte, was so unwahrscheinlich gar nicht ist, dann haben die Herrschaften ein echtes Problem.

Andererseits zeigt sich, dass Pseudo-Arbei für Pseudo-Lohn vermutlich auch nur einen Pseudo-Streik hervor bringen kann. Die langfristig sinnvollere Art des Widerstands ist im Falle von EVA und ähnlichen Einrichtungen vermutlich ein Dreikampf aus Krankfeiern, juristischen Spitzfindigkeiten (die Verträge sind ein Witz) und Sabotage. Dafür wäre es aber nötig, dass die Pseudo-ArbeiterInnen ihren Arsch regelmäßig ins Syndikat bewegen würden. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären.

Die nächste Härte steht bevor

Doch es gibt keinen Grund zu verzagen. Ab dem Sommer kommt bereits eine neue Stufe des sozialen Angriffs auf uns zu: Die "Integrationsjobs". Sie zwingen die Arbeitslosen für den bekannten Pseudo-Lohn zu echter Arbeit in echten Betrieben, vor allem im Pflege-Bereich, und werden von Caritas, Diakonie, AWO und der ganzen Bande organisiert. Hier treffen die Ein-Euro-JobberInnen auf echte PatientInnen, echte PflegerInnen, echten Zeitdruck, echte Vorgesetzte. Es wäre ratsam, wenn sie dann auch auf echte GewerkschafterInnen stoßen würden. Wie wäre es mit uns? Tatsächlich ist die FAU bereits jetzt die einzige Gewerkschaft, die nicht in der ein oder anderen Weise in die Co-Organisation dieser Jobs verstrickt ist. (Was in der deutschen Gewerkschaftslandschaft keine besondere Kunst ist.) Außerdem hätten wir den entscheidenden Vorteil auf unserer Seite, dass wir Arbeit nicht als Heilmittel für die Menschheit sehen, sondern als Ausbeutung, die es zu bekämpfen gilt.

Heiner Stuhlfauth, FAU Köln

(*1 Natürlich gibt es Arbeitslose, die sich bewusst für den Müßiggang entschieden haben, die einen sportlichen Ehrgeiz den Ämtern gegenüber an den Tag legen, die das System zum Opfer ihrer Subversion machen wollen, und die in Selbstorganisation einen Weg zu mehr Lebensqualität sehen.)

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