Rentenreform 2004
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Über das Märchen eines biologischen
Problems
Oder: Wenn man durch
Arbeit nicht reich wird, wie der Volksmund sagt, dann ist klar, dass
die Altersrente die lebenslange Armut der Arbeit-nehmer besiegelt.
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I.
Einleitung |
In
Deutschland gibt es seit geraumer Zeit ein soziales Problem mehr,
das gern in Form von Bildern vorstellig gemacht wird: Babies stemmen
Hanteln auf denen ältere Menschen sitzen, Arbeitnehmer kriegen 3
Rentner auf die Schultern gepackt, an denen sie schwer zu tragen
haben, ja kurz vor dem Zusammen-brechen sind, oder es werden – für
das etwas gebildetere Publikum – die beliebten Alters-pyramiden
gezeigt, die vor x Jahrzehnten mal eine breite Basis hatten und nun,
da sich in y Jahrzehnten ihre Form umgekehrt haben wird, eine
fürchterlich wackelige Angelegenheit sein sollen.
In
Kurzform lautet das Problem: Viel zu viele Deutsche werden viel zu
alt, die Rentenempfänger werden immer mehr und älter, die
Arbeitnehmer daran gemessen immer weniger, es droht eine
„Vergreisung der Republik“, die Deutschen „sterben (mal wieder)
aus“, so heisst es.
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II.
Vereinsamung? |
Warum
aus dem Umstand, dass demnächst vielleicht nur noch 60 oder 70 statt
der heute 80 Millionen Menschen sich auf dem Gebiet der BRD
rumtollen, ein Problem resultieren soll, ist zunächst mal gar nicht
einzusehen. Eine geographisch bedingte Vereinsamung wäre ganz
bestimmt nicht die Folge, evtl. gäbe es sogar besser bezahlbaren
Wohnraum, die öffentlichen Verkehrsmittel wären zur Rush-hour etwas
leerer, die Staus auf den Autobahnen kürzer, vielleicht würde sogar
die Zahl der Arbeitslosen ein bisschen sinken... Daran wird offenbar
nicht gedacht, wenn es um das Demographie-Problem geht. Das Problem
scheint also nicht so sehr die absolute Bevölkerungszahl zu sein
(dazu noch eine Anmerkung weiter unten), sondern das Verhältnis von
jung zu alt, aktiv zu passiv, Arbeit-nehmerzahl vs. Rentnerzahl.
Dies wird mit dem Bild des Arbeiters, der demnächst ein bis zwei
Alte mitzuernähren hat veranschaulicht. Dieses Bild hat eine wahre
und eine ideologische Seite. |
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III.
Die ideologische Seite |
Das Bild sieht so aus: Immer mehr
Esser zehren aus einem Topf, der von immer wenigen aktiven
Beschäftigten mit Gütern gefüllt wird, so daß diese Art Alte zu
ernähren, nicht mehr haltbar ist. Die Versorgung, der Jungen wie der
Alten, wird mit diesem Bild als ein Zweck vorgestellt, um den es in
diesem System ginge, der dann aber angesichts der Relation jung zu
alt scheitert, nicht mehr durchzuhalten ist. Knappheit und Mangel
sind notwendigerweise die Folge. Ein so gemaltes Bild ist in
mindestens zweifacher Hinsicht falsch:
-
angesichts von Autohalden,
Milchseen und Fleischbergen kann man nicht ernsthaft behaupten,
daß in dieser Überfluss-, Konsum-, Wegwerfgesellschaft ein Mangel
an sachlichen Gütern herrscht;
-
und selbst wenn das so sein
sollte: könnte man mit dem Einsatz der momentan gar nicht
angewendeten 5 Millionen arbeitslosen Arbeits-kräften nicht
genügend Nachschub an nützlichen dinglichen Mitteln produzieren,
um das Ärgste abzuwenden? Die technischen Mittel hierfür stünden
jedenfalls bereit, wenn man bedenkt, dass pro Monat 3000 Betriebe
wegen Insolvenz geschlossen werden und das Inventar vor sich
hingammelt.
Und ist nicht die Zunahme an
Rentnern, gerade von Frührentnern in großer Zahl, die für die
Herstellung des Reichtums und des Wachstums nicht gebraucht werden,
und die allesamt auch noch immer älter werden – ganz umgekehrt –
nicht ein Indiz für den Reichtum dieser Gesellschaft, für die
Produktivität der werktätigen Massen und für den
wissenschaft-lich-technologischen Fortschritt? Es ist kein Problem,
alte Menschen mit künstlichen Hüftge¬lenken, Prothesen,
Bypass-Operationen und allerlei Gerätemedizin bisweilen 90 Jahre und
älter werden zu lassen. Und haben die Erwerbstätigen, die ihre Hände
benutzen, um den tatsächlich sachlich verfügbaren Reichtum zu
produzieren neben den Rentnern nicht auch noch ganz andere
Personengruppen auf dem Buckel? Man denke beispielsweise an die
Horden von Parlamentariern, Soldaten, Richtern und Anwälten,
Professoren und Lehrern, Unternehmensberatern, Werbefuzzis,
Immobilienmaklern und Finanzjongleuren, Künstlern und Pastoren, die
allesamt nicht einen Handschlag tun aber dennoch gut essen. Nicht
das hier ein falscher Eindruck entsteht: es sei ihnen gegönnt. Aber
es soll ein Hinweis darauf sein, wieviel die stattfindende Arbeit
hergibt, deren Produktivität im übrigen allein in den letzten 10
Jahren um ca. 25 % gestiegen ist.
Von Mangel und Knappheit, weder an
sachlichen Gütern noch hinsichtlich der Fähigkeit solche
herzustellen, kann in dieser Gesellschaft nicht die Rede sein,
obwohl in diesem Bild von einem gemeinsamen Gütertopf so getan wird
als ob. Andererseits: Der Reichtum der Gesellschaft, auf den hier
verwiesen wird, ist nicht derselbe wie der Reichtum – oder besser
gesagt die Armut - der arbeitenden Bevölkerung, die die Konsumgüter
herzustellen hat. Da kommt es schon mal vor, daß das ZDF eine
Reportage über Rentner sendet, in der dargestellt wird, wie sie
versuchen mit einer kärglichsten Rente zu existieren. Altersarmut
nennt man das. Welches Ausmaß diese, insbesondere unter den
Rentnerinnen, erreicht hat, ist der folgenden Grafik zu entnehmen
(zum Vergrössern auf die Grafik klicken).
Am 1. Juli 2002 betrug für Männer in der gesetzlichen
Rentenversicherung die Höhe des durchschnittlichen Rentenzahlbetrags
für Versichertenrenten 990 Euro/mtl für Frauen 518 Euro.
Die erreichte Armut
unter den Rentnern ist ein Indiz dafür, dass der in der Gesellschaft
reichlich vorhandene Reichtum für die Verköstigung dieser Leute und
zu ihrer Wohlfahrt nicht
eingesetzt wird. Es mag also in dieser Gesellschaft ein
schwerwiegendes Problem mit der Altersrente geben, aber dieses
Problem liegt garantiert nicht darin, dass es zu wenig Güter gibt,
mit denen die Jungen, die sie herstellen die Alten miternähren
könnten, oder dass es an der Fähigkeit gebricht, die sachlichen
Güter für die Verköstigung von Jung und Alt zu vermehren.
Aus der Propaganda-Abteilung des BMGS
Übrigens, wenn es
tatsächlich ganz schlimm käme, wenn das verlogene biologische Bild –
wenn ein Volk ausstirbt, dann sind zu wenig Kranken-schwestern da,
die die Greise versorgen können – auch annäherungs-weise wahr wäre,
dann könnten – dank des medizinischen Fortschritts – die Alten
selbst sogar ein bisschen mithelfen, ein durchschnittliches
Rentner¬dasein dauert momentan 12 (Männer) bzw. 20 (Frauen) Jahre;
so 2-3 Stunden könnten gewiss einige Rentner mit anpacken; viele von
ihnen wären sogar dankbar darüber (das ist allerdings ein anderes
Thema). Wenn aber bereits heute ein Drittel aller Betriebe keine
Mitarbeiter mehr beschäftigt, die älter als 55 Jahre alt sind, dann
merkt man: Der Kapitalismus funktioniert eben anders, er ist nicht
für die Sozialrentner eingerichtet! |
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IV.
Die wahre Seite |
Die wahre Seite des Bildes fehlt noch und besteht
in folgendem: Dass die jungen Aktiven, die arbeiten bzw. arbeiten
können, die Alten miternähren – das ist keine Besonderheit des
Kapitalismus. Das ist in allen Gesellschaften so. Das ist bei den
alten Pharaonen so gewesen, das war im Feudalismus so, und das ist
auch im Kapitalismus so. Dieser Sachverhalt ist so banal, dass man
ihn kaum aussprechen mag. Brot backen, Häuser bauen, Kleidung
herstellen, Alte pflegen – das kann nur jemand tun, der seine
Hände noch bewegen kann und sie dafür auch bewegt. Das ist das
Produkt der aktiv Arbeitenden. Und wenn ein Alter das eben nicht
mehr kann und sich trotzdem ernähren will ja dann ernährt er sich
eben von dem Arbeitsprodukt derer, die noch arbeiten können.
Insofern ist das immer so, dass die Jungen mit ihrem
Arbeitsprodukt, die Alten, die nicht mehr Schaffen, miternähren.
Die Brisanz und Niedertracht des Kapitalismus liegt darin, wie er
das organisiert. Das soll nun in den folgenden Punkten dargestellt
werden.
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V.
Biometrisches Risiko |
Der ökonomische Ausgangspunkt eines
gewöhnlich Sterblichen, sofern nicht im Besitz von
Produktionsmitteln, ist ein massives
Erpressungs-verhältnis und besteht in dem Grundsatz: wer
nicht arbeitet soll auch nicht essen. Klar, dass einem gebratene
Tauben in den Mund fliegen, ohne auch nur einen Handschlag dafür
getan zu haben, das gibt es nur im Schlaraffenland. Das ist nicht der
Witz. Der Witz ist, dass man überhaupt nicht Subjekt der Entscheidung
darüber ist, ob man überhaupt eine Anstellung findet. Das hängt davon
ab, ob es einen Unternehmer gibt, der meint, dass die Anstellung in
sein Renditekalkül passt, ergo ihn bzw. den Betrieb reicher macht;
ein Skandal, über den sich schon lange niemand mehr aufregt. Ob man
hierzulande überhaupt einen Lohn beziehen kann, ist eine höchst
unsichere Sache. (Dass die ca. 5 Millionen Arbeitslosen alle selbst
gekündigt haben sollen, ist allenfalls ein absurdes Gerücht.) Die
Härte des Erpressungsverhältnisses, schlägt bei den Rentnern auf
besondere Weise zu. Die Alten, die körperlich nicht mehr in der Lage
sind den Anforderungen eines aufreibenden Arbeitslebens nachzukommen,
werden ausgemustert. Die meisten längst bevor sie das staatlich
definierte Rentenalter von 65 (Männer) bzw. 60 (Frauen) erreicht
haben. Für diese Leute gibt es in dieser Gesellschaft ein
„biometrisches Risiko“
(Rürup-Kommission), gegen das die Rentenversicherung versichern will.
Ein biometrisches Risiko – worin besteht das? Das besteht darin, dass
diese alten Ausgemusterten eine Lebenszeit haben, die grösser ist als
ihre Lebens-arbeitszeit. Da fallen Biologie
und Ökonomie auseinander. Es ist
in dieser Gesellschaft ein Risiko, länger zu
leben, als man in der Lage ist zu arbeiten, weil mit dem
Ausgemustertsein die Einkommensquelle entfällt. Eine schöne traurige
Wahrheit, die die Rürup-Kommission da ausspricht. Selbst wenn ein
Arbeitsleben 30 oder 40 Jahre gedauert hat, also eine Anstellung
gefunden wurde, ist es in der Mehrzahl aller Fälle so, dass während
dieser Zeit kein Vermögen angehäuft werden konnte, von dem man im
Alter dann zehren und sich ein nettes Leben machen könnte.
Oben wurde darauf gedeutet, welchen
Reichtum Lohnarbeit schafft – aber eben nicht für diejenigen, die ihn
produzieren. Und im Alter wird das offenbar. Der Sozialstaat
anerkennt diesen Umstand. Er anerkennt, dass Leute nach 30, 40 Jahren
ihres Arbeitslebens ausgespuckt werden aus einer Wirtschaft, die für
ihre Verköstigung nicht weiter zuständig ist, und die nicht in der
Lage sind, sich ihr eigenes Leben im Alter zu gestalten. Er anerkennt
dies – und hilft. |
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VI.
Umlagefinanzierung |
Der Sozialstaat bewerkstelligt dies auf eine
eigentümliche Weise: Oben wurde festgehalten, dass der Lohn für den
Einzelnen nicht fürs Alter reicht. Nun soll er aber auf das gesamte
Kollektiv der Lohnempfänger und ehemals Beschäftigten betrachtet doch
reichen, also konfisziert er von den momentan Aktiven einen
19,5%-igen Anteil vom Lohn als Zwangsbeitrag für die Rentenkasse und
bestreitet damit die Geld-summen, die er als Rente an die Senioren
auszahlt. Mit dieser sog. umlagefinanzierten Rentenversicherung wird
das geltende Prinzip „wer sich nicht für den Profit einer Firma
verdingen kann, soll auch nicht essen“ nicht etwa widerrufen, es wird
vollstreckt, indem der Lohn so gestreckt wird, dass er auch noch dazu
ausreicht, die Alten mitzuernähren. Um noch einmal zu verdeutlichen,
was das charak-teristische der sozialstaatlich-kapitalistischen (im
Gegensatz zu anderen Gesellschaftsformen) Art und Weise der
Alten-Alimentierung Marke BRD ist: Wenn man sich mal den ungeheuren
Reichtum, der hierzulande produziert wird, am Jahresende als Torte
vorstellt, dann wird eben nicht von dieser Torte ein Stück zur
Verköstigung der Alten herausge-schnitten, sondern von dem viel
kleineren Tortenstück namens Lohn wird ein noch viel kleinerer Teil,
die 19,5 % Rentenversicherungsbeitrag, genommen, von dem dann die
Rentner leben müssen. So naiv wie rhetorisch gefragt: Warum werden
eigentlich nicht mal 19,5 % vom Konto der Deutschen Bank oder von
DaimlerChrysler? Na klar, dieser Reichtum steht für die Rentner nicht
zur Verfügung und ist dafür auch nicht vorgesehen. Rente ist nichts
anderes als die Umverteilung des Mangels
innerhalb der Klasse der abhängig Beschäftigten. Das
kleine Stück, das die Unternehmer je nach Konjunkturlage gerade für
rentabel befinden als Lohn zu zahlen, definiert, wovon die Junioren
und Senioren zu einem gegebenen
Zeitpunkt leben müssen.
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VII.
Konsequenzen der Umlagefinanzierung |
Das eben benannte Prinzip hat für
die Betroffenen zwei unangenehme Konsequenzen.
a) Die erste lässt sich so
zusammenfassen, dass Älterwerden in diesem System automatisch
Ärmerwerden bedeutet. Wenn mehr Rentner anfallen, oder die Rentner
zählebiger sind als zuvor, oder beides zusammentrifft, dann
verabschiedet sich der Staat keineswegs von dem Standpunkt, dass nur
der 19,5%ige Lohnanteil für die Versorgung der Rentner verwendet
werden darf. Ohne dass der gesamt-gesellschaftliche Reichtum gesunken
sein muss (in Wahrheit steigt er ja sogar im Regelfall von Jahr zu
Jahr, die Produktivität steigt in jedem Fall), geschweige denn, dass
irgendwelche Naturkatastrophen oder Missernten zu kon-kreten
Mangelerscheinungen geführt hätten, sondern schlicht die Tatsache,
dass Menschen älter werden, führt dazu, dass i) die Rente sinkt und
ii) um das Absinken in Grenzen zu halten, die Beitragssätze steigen,
so dass also Alte wie Junge ärmer werden. Dies war jedenfalls bis vor
kurzem die gängige Praxis des Sozialstaats.
b) Nun könnte man denken, dass das
vielbeschworene Wirtschafts-wachstum da Abhilfe schaffen könnte. Das
Gegenteil ist jedoch der Fall. Das erfolgreiche Konkurrieren am
(Welt-)Markt, um Marktanteile zu sichern oder anderen Anbietern
abzujagen, geschieht in der fabelhaften Marktwirtschaft über die
Senkung der Lohnstückkosten, damit vergleich-bare Waren billiger
angeboten werden können, oder qualitativ höher-wertige Produkte zu
kaum gestiegenen Preisen. Das Mittel dazu ist die „Rationalisierung“
– weniger Arbeiter bedienen produktivere Maschinen, Arbeitsabläufe
werden verdichtet und effektiviert, bisweilen unentgelt-lich zeitlich
ausgedehnt (s. z.B. neuester Tarifabschluss der IG Metall) etc. pp. -
und die hat den bekannten Nebeneffekt, dass die einge-sparten
Lohnsummen sich in persona bei der
Agentur für Arbeit (die früher mal Arbeitsamt hiess) wiederfinden.
Diese werden zusätzlich noch als Druckmittel verwendet, um den Lohn
der noch Beschäftigten zu senken. D.h. sowohl die Anzahl der
insgesamt gezahlten Löhne als auch die durchschnittliche Lohnhöhe
sinkt. Dies führt zwangsweise zu einem Einnahmeeinbruch bei der
Rentenkasse.
Also – so paradox es klingen mag:
Weil die Arbeit produktiver gemacht worden ist, weil alles flotter
und leichter herzustellen geht in dieser Welt, deswegen werden die
Arbeiter und Rentner ärmer. Ein Wahnsinns-System...
Die Problemlage ist unzweifelhaft,
die vom Staat eingesammelten mickrigen Lohnbestandteile die in die
Rentenkasse fliessen, reichen tatsächlich nicht mehr aus, um die
Rentner auf bisherigen Niveau zu „versorgen“. Das ist aber etwas ganz
anderes als das oben erwähnte biologistische Bild behaupten will.
Umso stärker wird mit solchen Ideo-logien, nach denen schon
übermorgen die Hälfte der Nation mit durch-gefüttert werden muß,
Propaganda betrieben.
Ulla Schmidt informiert uns online wie folgt:
War die Rentenreform wirklich notwendig?
Ja. Dringend und schnell. Selbst wenn die
demografische Entwicklung die Überwindung der Arbeitslosigkeit
erleichtern wird, können die zunehmenden Kosten der
Rentenversicherung nicht aufgefangen werden. Kein Rentensystem kann
es auf Dauer verkraften, dass immer weniger Beitragszahlende für
immer mehr Rentner-innen und Rentner einen immer längeren Rentenbezug
bei gleicher Leistung finanzieren. |
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VIII.
Rentenbiographie, Generationenvertrag und Zwangssolidarität |
Die Rentenversicherung
unterscheidet sich in einem wichtigen Kriterium von den anderen
Sozialversicherungen, insbesondere von der Kranken-kasse. Im Prinzip
gilt bei der Krankenkasse, dass unabhängig vom Einkommen des
Versicherten die Kosten einer Behandlung übernommen werden, und wenn
10 Jahre Dialyse zu bezahlen sind, dann spielt es keine Rolle, ob der
Patient 1.000 oder 10.000 Euro im Monat verdient und entsprechend
weniger oder mehr Krankenkassenbeitrag gezahlt hat
(Solidaritätsprinzip). Insofern ist bei der Krankenversicherung a)
ein echtes Versicherungsprinzip erfüllt (sogar Sozialhilfeempfänger
werden behandelt) und b) gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz. Das ist
bei der Rentenversicherung komplett anders. Erstens ist sie gar keine
Ver-sicherung – weder in dem Sinn einer Risikoversicherung noch im
Sinne eines Finanzinstituts, das treuhänderisch durch geschicktes
Anlegen der Beträge eine Vermögensbildung betreiben würde – und
zweitens er-rechnet sich die individuelle Rentenhöhe nach der
persönlich erbrachten „Leistung“ (dazu gleich mehr). Es wird zwar
immer gerne vom „Generationenvertrag“ gesprochen, das ist jedoch
nicht gerechtfertigt, ein besserer Terminus wäre
Klassensolidarität durch Zwang.
Einzig der Modus des Umlageverfahrens
lässt es so aussehen, als hätten die Generationen etwas miteinander
zu schaffen, also die Tatsache, dass die aktuell zu zahlenden Renten
aus den gerade hineinfliessenden Beiträgen der Aktiven bestritten
werden; aber einen Vertrag diesbezüglich habe ich nicht mit meiner
Oma laufen, und meine Rente wird sich später danach berechnen,
wieviel ich persönlich in die Renten-kasse eingezahlt habe.
Nun könnte man denken: na, das ist
doch eine sehr gerechte Sache, wenn hier mal das Leistungsprinzip
gilt, wenn die individuelle Renten-biographie
die Basis der Höhe der späteren Auszahlungsbeträge ist, wenn quasi
objektiv und unbestechlich mit Hilfe der Rentenformel mathematisch
exakt eine Rente ausgerechnet wird, die dann sowas wie eine
akkumulierte Lebensleistung eines jeden Einzelnen darstellt. Das ist
jedoch ein Trugschluß. Und um zu verdeutlichen, worin er besteht,
soll die Rentenformel kurz vorgestellt werden. |
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IX.
Die Rentenformel |
Mithilfe der Rentenformel wird die
monatliche Standard- oder auch Eck-Bruttorente eines
Rentenberechtigten errechnet. Sie ist mathematisch betrachtet eine
simple Konstruktion und besteht aus 4 Faktoren; werfen wir einen
Blick drauf:
Rente = EP
× RW
× ZF × RF ;
EP ist die Summe der Entgeltpunkte:
Jeder Beschäftigte
(Arbeiter/Angestellter) erhält pro Jahr eine bestimmte Punktzahl. Sie
hängt davon ab, ob er mehr oder weniger als das
Durchschnittseinkommen verdient (und entsprechend in die Rentenkasse
eingezahlt) hat. Der Durchschnittsverdiener erhält 1,0 Entgeltpunkte.
Dieser Wert erhöht oder reduziert sich: Wer zum Beispiel zehn Prozent
mehr als der Durchschnitt verdient, erhält 1,1 Entgeltpunkte, wer
fünf Prozent weniger verdient, nur 0,95 Entgeltpunkte. Die
Entgeltpunktezahl läßt sich allerdings nicht beliebig erhöhen: Das
Gehalt wird nur bis zur sog. Beitragsbemessungsgrenze (etwa 1,8
Entgeltpunkte) berück-sichtigt. Die Entgeltpunkte werden für jedes
Jahr der Berufstätigkeit ermittelt, addiert und ergeben so in der
Formel den Wert EP.
RW ist der aktuelle Rentenwert in
Euro
Er wird vom Gesetzgeber festgelegt,
jährlich neu angepasst (bisher gekoppelt an die Lohnentwicklung, ab
2004 nicht mehr; hinzukommt im Jahre 2004 bereits die dritte
Null-Runde während der Amtszeit Schröders) und beträgt momentan 26,13
Euro (BRD-West) bzw. 22,97 (BRD-Ost). Über die Anpassung gleich mehr.
ZF bezeichnet den Zugangsfaktor und
beträgt normalerweise 1.
Dieser Wert ändert sich nur dann,
wenn die Rente früher oder später als üblich ausgezahlt werden soll:
So verringert sich ZF um jeden Monat, um den der Renteneintritt
vorgezogen wird, um 0,003 Punkte.
RF ist der Rentenart-Faktor und
beträgt bei der Altersrente 1.
Dieser Wert ändert sich nur für
andere Rentenarten: Bei der Witwen-rente beträgt er zum Beispiel 0,6
und bei der Berufsunfähigkeitsrente 0,6667.
Die Standard- bzw.- Eckrente ergibt
sich nun für einen hypothetischen Menschen, der 45 Jahre lang
jeweils durchschnittlich verdient hat. Er würde damit folgende Rente
beziehen:
Rente = 45
× 26,13 €
× 1
× 1 = 1176 €.
Der Durchschnittsverdienst im Jahre
2002 betrug übrigens 28.626 €. Für individuelle aktuelle und zu
erwartende Rentenansprüche wende man sich bitte an die BfA bzw. LVA.
Zwischenruf: Die Durchschnittsrente beträgt
heute in etwa 49 % des letzten Bruttolohns. Wieso eigentlich? Das ist
doch eine Frechheit, ein Skandal!! Wieso brauchen Rentner denn
weniger zum Leben?? |
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X.
Erlittene Verarmung begründet künftige Verarmung |
In der Rentenformel kommt ein
Prinzip zum Ausdruck, nachdem jede aktuell erlittene Verarmung eine
zukünftige Verarmung begründet (womit wir bei der alternativen
Überschrift des Papiers angelangt wären). Warum? Gucken wir uns die
Faktoren nochmal an.
Da sind zum einen die Entgeltpunkte
(EP), die auf dem Durchschnittsverdienst aller Versicherten beruht.
Wenn also z.B. VW die 4-Tage-Woche einführt und die Angestellten 20%
weniger verdienen (aktuelle Verarmung), dann bekommen sie
entsprechend weniger EP und damit später weniger Rente (künftige
Verarmung). Dasselbe passiert einem als Bezieher von
Arbeitslosengeld (hier wird zur Ermittlung der EP-Zahl ein
Einkommen von 80% des letzten real erzielten Einkommens
zugrundegelegt und dies wiederum mit dem Durchschnittsverdienst
verglichen) oder Arbeitslosenhilfe (hier ist die Bezugsgrösse
die gezahlte Summe selbst, also etwa 53 % des letzten
Nettoeinkommens, was die EP ggü. dem Fall beim ALG noch einmal in
etwa halbiert). Ganz schlimm wird es, wenn man sich als arbeitsloser
Kranker durchschlagen muss und die Krankheit einem nicht den
Gefallen tut, nach 6 Wochen vorbei zu sein. Dann ist man nämlich auch
kein Arbeitsloser mehr (kein Witz!) und auch nicht mehr
pflichtversichert. Dann muss man sich schnellstmöglich mit den
Rentenversicherungsträgern in Verbindung setzen, um eine
Invalidenrente auszuhandeln. Entschliesst man sich aus lauter Frust
vom Nichtstun, oder zwingt einen das Arbeitsamt dazu, einen Mini-Job
(bis 400 €) anzunehmen, dann ist nicht nur Verdienst deutlich
unterdurchschnittlich, sondern es werden nur 12 statt der regulären
19,5 % Rentenbeitrag entrichtet, was die EP nochmal zusätzlich
mindert.
In dem Faktor der Entgeltpunkte
steckt auch die Zahl der Beitragsjahre. Zwei Beispiele dazu: Länger
als drei Jahre studiert? Tja, Pech gehabt, wieder vermindert
sich die zukünftige Rente. Da bleibt nur zu hoffen, dass einem die
genossene Ausbildung den Weg zu einem höherbezahlten Job eröffnet,
mit dem man dann ein bisschen die Summe der EP aufpolieren kann. Wenn
einem das nicht allzu seltene Schicksal des arbeitslosen Akademikers
widerfährt, hat man wiederum Pech gehabt. Länger als 1 Jahr (Regelung
bis 2000) bzw. 3 Jahre (Regelung ab 2000) ein Kind erzogen?
Wieder Pech gehabt. Hat frau sich vor dem Jahr 2000 dazu
entschlossen, 3 Kinder zu zeugen und ihnen je über 3 Jahre lang
hinweg eine ganztägige Betreuung zu gönnen – mithin jeden
erdenklichen Beitrag zu leisten, um das Aussterben des deutschen
Volks zu verhindern – schlägt sich das mit 6 fehlenden Beitragsjahren
auf die künftige Rente nieder, na prima...
Zum dritten Faktor, dem aktuellen
Rentenwert: Wie oben erwähnt, wird er jährlich neu angepasst. Der
wesentliche Bestimmungsfaktor in der Anpassungsformel ist die
Lohnentwicklung im Land. Wenn die Löhne heute die Tendenz haben zu
sinken, und sie haben es, dann wird der aktuelle Rentenwert nach
unten geschleust und damit die ausgezahlte Rente kleiner – und zwar
ohne dass sich die „persönliche Lebensleistung“ (akkumulierte
Beiträge zur Rentenversicherung eines Individuums) geändert haben
muss! Soviel zu der Neben¬ideologie „jeder ist seines Glückes
Schmied“...
Auch wenn diese Aufzählung etwas
langweilig wirken mag, so macht sie deutlich:
Jede Situation in der man bereits
wenig Geld zum Leben zur Verfügung hatte, in denen man
Einschränkungen hinzunehmen hatte – erlittene Verarmung, allesamt
Situationen, in denen man nur sehr bedingt Subjekt der
Leistungserbringung war (wer wird freiwillig arbeitslos, krank...?) –
wird durch die Rentenformel in die Zukunft projiziert! Die
Rentenformel ist nichts anderes als ein Rechenmechanismus, der
festlegt, wie aus dem aktuell verfügbaren Geldquantum, das der Staat
über die Beitrags-prozente vom heute gezahlten Lohn in die Kassen
bekommt, die Rentenauszahlung geleistet werden kann.
Ungerecht ist das Verfahren
deswegen nicht, weil es dem darin innewohnenden staatlichen Zweck
sehr gerecht wird. Zu dem passt es, die arbeitende Bevölkerung
dauerhaft darauf festzulegen, dass für Junge wie für Alte außer dem
aktuell verfügbaren Lohn, den das Kapital rentabel findet, nichts als
Lebensmittel alternativ in Frage kommt. |
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XI.
Das Ziel der Rentenreform |
Die Rentenreform (offiziell heisst
sie: „Gesetz zur Sicherung der nach-haltigen Finan¬zierungsgrundlagen
der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz); es
wurde jüngst - am 15.3.04 – vom Bundestag verabschiedet) ist
en detail betrachtet eine recht
kompli-zierte Angelegenheit und umfasst in gedruckter Form mehr als
10 Seiten Gesetzestextänderungen (s. Drucksache 15/2149 des Deutschen
Bundestages). Sieht man jedoch einmal vom propagandistischen
Begleitgeschwätz ab („heute die Rente verlässlich für morgen machen“,
„Herstellung von Generationen¬gerechtigkeit“ etc.) dann bleibt
faktisch und konkret nur ein Ziel übrig, das mit ihr verfolgt wird:
Der Beitragssatz zur Rentenversicherung soll mittelfristig bei 19.5 %
stabilisiert und der Anstieg langfristig – bis zum Jahr 2030 – auf
höchstens 22 % begrenzt werden. Wenn es so weitergegangen wäre wie
bisher – so die Szenarien – dann würde der Beitragssatz irgendwo bei
ca. 24 % landen.
So soll es aber nicht weitergehen
und damit bricht diese Rentenreform mit der bisherigen Tradition,
nach der beim Sinken von Einnahmen (z.B. durch den Anstieg der
Arbeitslosigkeit) und Steigen der Ausgaben die Beitragsprozente
angehoben und ggf. die Renten nur moderat abgesenkt oder weniger
stark angehoben werden als die Lohnentwicklung eigentlich vorgab. So
wurden die Lasten auf beide Seiten – Einzahler und Rentner –
verteilt. |
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XII.
Die Konsequenzen der Rentenreform |
Damit ist jetzt Schluss. Die
Beitragssätze sollen stabil bleiben, und damit sie stabil bleiben,
muss die Rente drastisch gesenkt werden, und das wird sie denn auch:
In dem Rentenreformgesetz wurde festgehalten, dass das
Brutto-Rentenniveau des Eck-Rentners bis zum Jahr 2030 nicht unter 40
% sinken soll. (nochmal zum Vergleich: heute sind es beim Eck-Rentner
49 %, der Durchschnittswert aller Rentner liegt bei 42% bzw, 990 €
(Männer) bzw. 22 % bzw. 518 € (Frauen)). Der Eck-Rentner, also dieser
Mensch, der es schafft 45 Beitragsjahre ununterbrochen beschäf-tigt
zu sein, und zwar immer mit einem ungekürzten Durchschnittslohn, der
würde im Jahr 2030 1429 Euro Rente beziehen können. Dieser Eckrentner
dürfte eine proletarische Ausnahmeerscheinung bleiben. 45 Jahre ohne
Unterbrechung, immer mindestens Durchschnittslohn – wie soll das in
die Welt passen, in der gepredigt wird, dass man sich auf
Patchwork-Biographien einzustellen hat, ein Beruf für’s ganze Leben
eine Illusion sei, in der sogar gefordert wird, man solle sich mit
Mini-Jobs oder einer Ich-AG-Zwischenrunde über Wasser halten? Dass
das schon jetzt pure Illusion ist, zeigen ja bereits die aktuellen
Durchschnittswerte der tatsächlich erfolgenden Rentenzahlungen.
Um das Ausmaß der Rentensenkung
nochmal zu verdeutlichen, um zu veranschaulichen welche Dimen¬sionen
sie erreicht: Ein Eck-Rentner mit 34 oder weniger Beitragsjahren wird
2030 eine Rente beziehen, die unter dem Niveau der Sozialhilfe liegt! |
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XIII.
Das verlogene und zynische Argument "Beitragszahler" |
Mit dem genannten Ziel der
Begrenzung der Beitragsprozente und der Tatsache, dass die Zahl der
Rentner definitiv steigen wird, muss man den Rückschluss ziehen: Der
Staat befindet die eingesammelte Summe, die für die Verköstigung
Alter vorgesehen ist, als zu hoch! Zu hoch wofür, woran gemessen??
Gute Frage! Für die Rentner bestimmt nicht, die könnten im Gegenteil
ganz sicher mehr vertragen.
Ulla Schmidt meint: „Richtschnur
für diese Reformmaßnahmen ist dabei der Grundsatz der
Generationengerechtigkeit. Die Jüngeren dürfen nicht durch zu hohe
Beiträge überfordert werden.“ (BMGS, Pressemitteilung 11.3.04).
Hier wird also damit argumentiert,
dass eine Begrenzung der Beitrags-prozente dem Arbeitnehmer netto
mehr im Portemonnaie lässt. Das ist verlogen und zynisch. Zynisch,
weil es damit verknüpft ist, dass die Arbeitnehmer ihre eigene
zukünftige Altersarmut unterschreiben, ver-logen, weil gleichzeitig
darauf hingewiesen wird, dass man von der Rente künftig nicht mehr
leben kann und eine Zusatzrente à la Riester
unerlässlich ist, so dass die lächerlichen 2 Beitragsprozente, die
einge-spart werden, sofort wieder verschwinden in die
„eigenverantwortliche“ Zusatzaltersvorsorge. Frau Schmidt überlegt
tatsächlich bereits, ob sie die Riester-Rente nicht zur Pflicht
machen soll (Phoenix-Online, 15.3.04) |
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XIV.
Der wahre Kern der Reform |
Wenn die eingesammelten
Rentenbeiträge nicht zu hoch sind gemessen am Rentner, nicht zu hoch
sind gemessen am Lohnempfänger, dann bleibt nur eins: Die Rente ist
zu hoch gemessen am Lohnbezahler. Die Zielrichtung bleibt ja auch gar
kein Geheimnis, wird offen ausgeplaudert: die Lohnnebenkosten
sind in einem für die „Wirtschaft“ unerträglichem Maß
gestiegen, sie dürfen nicht weiter steigen, um die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und Technik nicht zu
gefährden. Was für den einen eine – wenn auch zwangsweise abgeknöpfte
– Altersvorsorge ist, ist für den anderen quasi sowas wie ein
zweckentfremdeter Abzug von Geldern, deren Ausgabe für nichts anderes
vorgesehen als für lohnende Arbeit und eben nicht für die
Versorgung von ausgemusterten Senioren. Durch die Technik des
Verfahrens, dass die Arbeitgeber nur einen Teil des Lohns direkt an
die Arbeitnehmer und den anderen Teil, ohne dass die Arbeiter diese
Summe je zu Gesicht bekämen, an die staatlichen Sozialkassen
überweisen, kommt es ihnen tatsächlich so vor, als seien die
Lohnnebenkosten keine Lohnkosten, sondern etwas was sie zusätzlich
zahlen. Zumindest verstärkt diese technische Regelung diese
Sichtweise. Für die Unternehmen resultiert insbesondere bei der
Renten-versicherung, die ihre Gelder ja bloss für die Alten ausgibt,
die mit den Betrieben überhaupt keinen gültigen Vertrag mehr haben,
der folge-richtige Standpunkt, dass sie für die Verköstigung der
Invaliden und Ausgemusterten nicht zuständig sind. Das passt einfach
nicht in ihr ökonomisches Kalkül. Das ist ihnen nicht mal übel zu
nehmen.
Das interessante ist nun, dass sich
der Sozialstaat zum Agenten dieses unternehmerischen Standpunkts
macht und ihn Zug um Zug ins Recht setzt, und zwar ausdrücklich mit
dem Hinweis darauf, dass ein weiterer Anstieg der Lohnnebenkosten auf
keine Unternehmerhaut geht, die Lohn-nebenkosten ein einziges
Beschäftigungshindernis darstellen. Damit wird übrigens eine alte
Ideologie über den Sozialstaat endgültig aus dem Verkehr gezogen: Im
Sozialkundeunterricht hat man mal gelernt, dass es den Sozialstaat
wegen der Armen gibt, die die Marktwirtschaft immer wieder mal
hervorbringt, damit er die allerhärtesten Härten abfedert, damit er
den Kapitalismus zähmt und auch alte, kranke und arbeitslose Menschen
zumindest existieren können. Mit der Bezeichnung von Lohn-nebenkosten
als Beschäftigungshindernis wird nun gerade das Gegenteil behauptet!
Heutzutage soll der Sozialstaat der Grund für die Armut sein! Denn
wenn die Beitragsprozente steigen und sich so die Lohnkosten der
Betriebe erhöhen, dann finden immer mehr Leute keine Beschäftigung,
also ist die sozialstaatliche Verwaltung der Grund für die Armut, so
die Logik dieser neuen Sichtweise. |
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XV.
Die konkreten Maßnahmen |
Ganz egal, ob die Rentnerberge
wachsen und auch noch immer älter werden, scheiß egal, ob die
Beitragszahler weniger werden – der Beitragssatz muss auf 22 %
begrenzt werden. Deshalb wird die Rente drastisch gekürzt. Und zwar
im wesentlichen durch zwei Maßnahmen.
a) Erhöhung des
Renteneintrittsalters
Die Rürup-Kommission schlug vor,
das Renteneintrittsalter schrittweise von 65 auf 67 Jahre anzuheben;
dies ist zunächst für die normale Altersrente nicht beschlossen
worden; jedoch behält sich die Regierung vor, diese Maßnahme zu
treffen, sollte sich abzeichnen, dass der Beitragssatz nicht auf 22 %
begrenzt werden kann. Beschlossen wurde die Erhöhung des
Eintrittsalters jedoch sehr wohl für die vorzeitige Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit, und zwar vom 60. auf das
63. Lebensjahr.
Die Wirkung davon ist natürlich
sehr einfach und schlicht: Man schneidet ganz einfach von der
Bezugsdauer der Rente vorne zwei bzw. drei Jahre ab, dann sind die
Gelder schonmal eingespart. Hinten was abschneiden wäre vielleicht
auch noch eine Möglichkeit gewesen, aber zu der konnte man sich noch
nicht durchringen.
Gegen diese Maßnahme wurde – auch
vom DGB und der Regierungs-opposition – Kritik geäussert, die dahin
geht, dass doch heute kaum noch bis 65 gearbeitet wird, da solle man
doch erstmal dafür sorgen, dass das wieder Realität wird. Tja,
vielleicht ist das gar nicht der Zweck der Reform, sondern ihr Witz?
b) Einführung eines
Nachhaltigkeitsfaktors in der Rentenformel
Zu den 4 bestehenden Faktoren in
der Rentenformel gesellt sich von nun an ein 5 Faktor, der
Nachhaltigkeitsfaktor. Der ist wiederum aus 2 Fak-toren
zusammengesetzt. Der erste davon ist ein Bruch, der sog.
Rentnerquotient, im Zähler steht dabei die Menge der Beitragszahler,
im Nenner die Menge der Rentner. Dies ist eine ausgefuchste
Konstruktion, denn wenn nun die Zahl der Beitragszahler steigt, kommt
mehr in die Kassen und dann kann auch mehr Rente gezahlt werden,
umgekehrt, wenn die Rentner sich wie die Karnickel vermehren, dann
steigt der Nenner, damit wird der Bruch kleiner, und damit sinkt die
Rente. Dies nennt die Rürup-Kommissin den „selbststabilisierenden
Effekt“.
Dieser Rentnerquotient hat nur
einen kleinen Schönheitsfehler: er ist grösser als 1 (4 Arbeitnehmer
kommen momentan auf einen Rentner!), und damit würden ja die Renten
künftig kräftig steigen, sie sollen aber doch gesenkt werden... Aber
dieser Prof. Bert Rürup ist ja nicht dumm: „Um den Anstieg der
Lohnzusatzkosten zu begrenzen, wird der Rentner-quotient schließlich
noch mit dem Faktor ein Viertel gewichtet. Damit soll garantiert
werden, dass der Beitragssatz zur Rentenversicherung bis 2030 nicht
über 22 % steigt.“ (Bericht der Rürup-Kommission, Kurz-fassung, S. 9)
Soweit die wichtigsten Maßnahmen.
Eine kleinere Umstellung ist vielleicht auch noch erwähnenswert. Die
Rente der künftigen Rentner wird fortan erst zum Monatsende
ausgezahlt und nicht wie bisher zum Monatsersten. Das ist doch
wirklich mal konsequent zu Ende gedacht: Die Rentner – eigenwillig
wie sie sind – sterben einfach nicht pünktlich zum Monatsende, so daß
es massenhaft passiert, dass Renten dadurch verschleudert werden,
dass die Rentner ihre Rente für einen ganzen Monat im voraus kassiert
haben, aber z.B. schon Mitte des Monats sterben; eine
himmelschreiende Ungerechtigkeit, endet doch bekannter-massen das
Rentenbezugsrecht mit dem Ableben.
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XVI.
Zurück auf Los |
Oben wurde das Ausgangsproblem
beschrieben, dass in der Öffentlich-keit als „demographisches“
Problem kursiert. Da wurde ja von den Ex-perten der
Bevölkerungsentwicklung gesagtr dass ein Junger demnächst oder in 20
Jahren zwei Alte auf dem Buckel hat und das so nicht weiter-gehen
kann; da muss dringend eingegriffen und die Weichen neu gestellt
werden. Und? Wie sind denn jetzt die Weichen in bezug auf dieses
demographische Problem neu gestellt? Durch einen
Nachhaltigkeits-faktor, der es schafft, die Rente unter die
Sozialhilfe zu drücken? An dem Problem, dass ein Junger zwei Alte auf
dem Buckel hat, hat sich doch gar nichts geändert, das ist doch nach
wie vor so. Das einzige, was sich geändert hat, ist, dass Junge wie
Alte mit einer drastisch gekürzten Geldsumme zurechtkommen müssen.
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Soweit zunächst. Zwei weitere Punkte sind noch geplant: XVII.
Weniger Rente für Kinderlose?
XVIII. Der Volkskörpergesichtspunkt |
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