http://www.jungewelt.de/2005/09-22/003.php junge welt vom 22.09.2005 - Gefoltert in Abu Ghraib
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22.09.2005
 
Thema
Lars Akerhaug
 
Gefoltert in Abu Ghraib
 
Das Bild des gemarterten Haj Ali Al-Qaisi ging im April 2004 um die Welt. Erstmalig schildert er seine Leidensgeschichte
 
»Sie stellten mich auf eine Kiste, mit einem Umhang über den Kopf und den Armen seitlich ausgestreckt. Sie sagten, sie würden mir Stromschläge verpassen. Ich glaubte ihnen nicht. Dann nahmen sie zwei Drähte und stießen sie in meinen Körper. Ich dachte, meine Augäpfel würden aus ihren Höhlen treten. Dann fiel ich zu Boden.«

Das ist die Geschichte von Haj Ali Al-Qaisi, dessen Bild mit der Kapuze um die Welt ging, als die Fotos aus Abu Ghraib die Öffentlichkeit schockierten. Bevor er den US-Amerikanern in die Hände fiel, war Ali ein Muchtar, d. h. ein Dorfvorsteher, in seinem Dorf, in der Gemeinde Abu Ghraib. Er unterrichtete in Moscheen, erntete Datteln und bewachte einen Parkplatz neben der Moschee des Dorfes.

Heute ist Haj Ali keine furchterregende Gestalt. Ein herzlicher Mann, bei dem man sich kaum vorstellen kann, wie ihn das schreckliche Schicksal der Folter in Abu Ghraib ereilte.

»Meine Probleme mit den Amerikanern begannen, als ich ein Stück Land als Spielplatz für die Kinder herrichtete«, erzählt Ali. Genau an diese Stelle brachten die Amerikaner Schutt vom Flughafen, und darunter fand man unter anderem Leichenteile und Pornohefte. Ein Arzt vor Ort stellte fest, daß viele arme Menschen im Ort sich verletzten, wenn sie den Müll nach Wiederverwertbarem durchsuchten. »Früher dachte ich, daß die amerikanische Demokratie wie ein riesiger Spielplatz wäre. Doch statt dessen bekamen wir eine Müllhalde mit Chemikalien, Leichenteilen und Pornos«, sagt Ali und lacht.

Als Verantwortlicher im Dorf beschwerte er sich beim Gemeindeamt. »Das war der Anfang der Probleme.« Am 30. Oktober 2003 um elf Uhr vormittags wurde er von Soldaten mit einem Jeep aus der Straße abgeholt. Sie brachten ihn nach Al-Amriya, einer früheren irakischen Militärbasis, auf der die US-Amerikaner ein Gefängnis eingerichtet hatten. Er wurde Captain Phillips vorgeführt, der sagte: »Ich weiß nicht, welcher Geheimdienst deine Verhaftung angeordnet hat, aber du wirst hier festgehalten.« Viele Verwandte von Ali kamen, um seine Freilassung zu verlangen. Captain Phillips fragte Ali, ob die Leute draußen das Gefängnis angreifen würden. »Ich weiß es nicht«, sagte Ali.


Das erste Verhör

Er wurde hier zwei Tage gefangen gehalten. Am Morgen des dritten Tages wurde er mit einem Sack über den Kopf in das berüchtigte Gefängnis von Abu Ghraib verfrachtet. »Damals wußte ich natürlich nicht, wo ich war«, sagt Ali. »Beim Eingang wurde ich auf erniedrigende Art und Weise untersucht.« Die Untersuchung dauerte etwa eine oder eineinhalb Stunden. Die Amerikaner nahmen ihm Fingerabdrücke, einen Iris-Scan und Proben für eine DNA-Untersuchung ab. Danach wurde er in einen Verhörraum gebracht. »Eigentlich waren es Toiletten, in denen das Abwasser stand«, sagt Ali. »Zwei Beamte und ein Dolmetscher saßen an einem Ende, weiter weg vom Abwasser. Ich mußte am Boden sitzen.« Die erste Frage lautete: »Bist du Sunnit oder Schiit?« Ali war überrascht: »Das war das erste Mal, daß ich diese Frage hörte. Früher war es sogar für das Personenstandsrecht gleichgültig, welcher religiösen Schule man angehörte.«

Danach wurde ihm vorgeworfen, die Besatzungstruppen angegriffen zu haben. Ali zeigt auf seine Hand: Er hatte eine Operation gehabt und konnte deshalb keine Schußwaffe bedienen. »Ich sagte ihnen, sie sollten meinen Arzt anrufen, der die Operation durchgeführt hatte.«

»Sie fragten auch, ob ich Osama Bin Laden kenne. Ich sagte, daß ich ihn aus dem Fernsehen kenne.« Sie stellen viele solche Fragen, auch nach Saddam Hussein. »Ich hatte das Gefühl, sie suchten nach etwas, was sie mir anhängen könnten. Dann sagten sie, ich sei ein Antisemit, worauf ich ihnen erklärte, daß die Semiten zu den Vorvätern der ganzen Menschheit gehörten. ›Du weißt, was wir meinen‹, sagten sie.«

Sie sagten, sie wüßten, daß er ein einflußreicher Mann sei, daß er der Muchtar des Dorfes sei. Sie sagten: »Warum arbeitest du nicht mit uns zusammen? Wir könnten dir auch helfen, vielleicht mit einer Operation für deine Hand.« Sie waren arrogant: »Wir haben euer Land besetzt, ihr müßt euch unterwerfen und kooperieren.«

Bald wurde klar, daß die Verhaftung von Haj Ali und vielen seiner Leidensgenossen nicht dazu diente, den Aufstand zu beenden, sondern um geheimdienstliche Informationen und Informanten unter wichtigen Persönlichkeiten in den Dörfern und Stämmen zusammenzustellen. Ali weigerte sich, er sagte: »Ihr sagt selbst, daß ihr unser Land besetzt habt, dann ist der Widerstand gegen die Besatzungstruppen ja durch islamisches und internationales Recht legitimiert.«

Sie verlangten weiterhin, daß er mit ihnen zusammenarbeite, und schließlich drohten sie ihm, ihn an einen Ort zu bringen, »an dem nicht einmal Hunde leben, oder nach Guantánamo«.

Nach diesem ersten Verhör wurde Haj Ali zusammen mit anderen Gefangenen auf einen Lastwagen verfrachtet. Alle bekamen Säcke über den Kopf gezogen, bis auf einen Blinden. Auch ihm wurde vorgeworfen, die Besatzungstruppen angegriffen zu haben. Man brachte sie an einen Ort im Lager, der »Fiji« genannt wurde. Es war ein Zeltlager. Fünf Zelte waren von Stacheldraht und von einer 15 Meter hohen Mauer umgeben. »Die Gefangenen hier wurden von den Amerikanern ›große Fische‹ genannt«, sagt Ali, und beschreibt die Zustände im Lager: »In jedem Zelt waren vierzig Männer auf engstem Raum zusammengepfercht, so daß man nur auf der Seite liegend schlafen konnte. Insgesamt waren in den fünf Zelten etwa 200 Menschen.« Es wurden Mobilklos aufgestellt, vor denen sie sich zwei bis drei Stunden anstellen mußten. Die Toiletten liefen bald über. Andere sanitäre Einrichtungen waren praktisch nicht vorhanden. Jedem Zelt wurden siebzig Liter Wasser pro Tag in Kanistern zugeteilt. Um daraus Wasser zum Trinken zu schöpfen, mußten sie Plastikflaschen aus dem Müll holen. Auch das Essen war schlecht, es gab keine regelmäßigen Mahlzeiten und für individuelle Vergehen gab es Kollektivstrafen. Wenn beispielsweise jemand mit einem Gefangenen aus einer anderen Zone sprach, bekam seine ganze Lagerzone nichts zu essen oder alle mußten stundenlang in der Sonne stehen.

»Dann geschah etwas Eigenartiges. Bei uns war ein junger Anhänger von Muqtada Al-Sadr, er hieß Scheich Jaber Al-Qadi. Alle anderen in dieser Zone kamen aus sunnitischen Städten wie Falludscha, Ramadi und Mosul, und er fühlte sich isoliert, also baten wir ihn, unser Vorbeter zu werden und zum Gebet zu rufen. Daraufhin schnappten ihn die Amerikaner und fragten: ›Warum betest du mit den Sunniten?‹, und verprügelten ihn.«

Im Lager traf Haj Ali Gefangene, die in verschiedenen Lagern gewesen waren, etwa in Mosul oder dem Gefängnis am Flughafen von Bagdad. Er hörte von der Folter und sah ihre Verletzungen; man erzählte auch, daß Gefangene unter Drogen gesetzt wurden. Ali kam auf den Gedanken, eine Vertretung der Gefangenen zu bilden.

Einige Zeit darauf wurde er wieder verhört und wieder drohte man ihm an, ihn nach Guantánamo oder an einen ähnlichen Ort zu schicken. Bei dem Verhör waren weibliche Soldaten dabei, die ihn erniedrigten.


Operation »Eisernes Pferd«

Während des Ramadan wurden die Gefangenen auf eine neue Art und Weise gequält. Muslime dürfen während des Monats Ramadan von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nichts essen. Nun wurde ihnen die zweite Mahlzeit des Tages schon nach dem Morgengebet gebracht, so daß die Gefangenen das Essen bis elf Uhr abends stehen lassen mußten. »Sie wollten unser Rückgrat brechen«, ist Alis Erklärung für diese Maßnahme. Außerdem gab es sechs Generatoren, die Tag und Nacht laut ratterten. An jedem Generator hingen nur drei Lampen, das heißt wir hatten kaum Licht, nur Lärm, und in den Zelten gab es sowieso keinen Strom.

Eines Tages wurde seine Nummer, 11716, aufgerufen, er wurde an Händen und Füßen gefesselt und mit einem Sack über dem Kopf in einen Jeep gesteckt. »Als sie den Sack abnahmen, war ich in einem langen Gang, in dem man die Schreie von Gefolterten hörte. Sie befahlen mir, mich auszuziehen, meine Jallabiyya (muslimisches Obergewand), mein Unterhemd und schließlich meine Unterhose. Als ich mich weigerte, hielten sie mich zu fünft fest und zogen mich aus.«

»Ich mußte geradeaus gehen bis zu einer Stiege. Sie wollten, daß ich hinaufgehe, doch meine Beine gaben nach. Ich fiel hin und sie prügelten auf mich ein, bis ich die Stiegen hinaufkroch – es dauerte eine Stunde.«

Danach wurde Haj Ali stehend an einer Wand festgebunden. »Sie schlugen mich natürlich wieder, übergossen mich mit Urin und Abwasser, schrieben mir etwas auf den Körper, richteten ihre Waffen auf mich, schrien mich durch ein Megaphon an und stanzten mir mit den Handschellen ein Loch ins Ohr. Das dauerte bis zum Ruf zum Morgengebet. Da kam jemand, nahm mir den Sack vom Kopf und fragte mich auf Arabisch mit libanesischem Akzent: ›Kennst du mich? Man kennt mich überall, ich verhöre Leute in Gaza, im Westjordanland und im Südlibanon. Ich habe einen guten Ruf: Ich bekomme, was ich will, oder ich bringe dich um.‹«

Er fesselte Ali in der Stellung eines Gekreuzigten an das Zellengitter. Das Verhör ging weiter, man schlug ihn, übergoß ihn mit schmutzigem Wasser und erniedrigte ihn sexuell.

So ging es drei Tage lang. Er wurde in verschiedenen Positionen gefesselt und gezwungen, auf den Zehen zu stehen. »Später hörte ich, daß alles Teil einer Operation mit dem Namen ›Eisernes Pferd‹ war, in der einflußreiche Leute verhaftet wurden, und gezwungen werden sollten, für die Besatzer zu arbeiten.«

Nach drei Tagen wurde Ali einem Ausländer vorgeführt. Er bot ihm an, ihn freizulassen, wenn er für die Besatzer arbeiten würde. »Ich sagte, ich hätte nichts dazu zu sagen. Die ganze Zeit hörte ich Schreie, von Männern, Frauen und Kindern. Jeder Soldat, der an mir vorbei kam, schlug mich ins Gesicht.«

Nach dem Mittagsgebet wurden Haj Ali die Handgelenke mit Plastikstreifen zusammengebunden, und man brachte ihn in eine Zelle, in der er auf dem Rücken liegend an einen Pfosten gefesselt wurde. Sie brachten einen Lautsprecher und spielten »By the Rivers of Babylon«, immer wieder, auf höchster Lautstärke. »In dem Moment wünschte ich mir, daß sie mir wieder den Sack über den Kopf stülpen würden«, sagt Ali.

Nach einiger Zeit kam jemand und entfernte den Lautsprecher, doch Haj Ali konnte nichts hören. »Ich hörte noch immer das Lied, obwohl sie den Lärm abgedreht hatten.«

Sie ließen ihn aufstehen und fesselten ihn mit den Händen an das Zellengitter. »Das war der fünfte Tag ohne Essen«, sagt Ali. Später kam der Verhörbeamte und sagte, das sei das »Empfangskomitee« gewesen. »Später hörte ich, daß sie das mit allen so machten«, sagt Ali.

Er wurde in Zelle 49 gesteckt. »Sie machten ein Foto von mir, bevor sie den Sack abnahmen, und dann noch eines. In einer der Zellen gegenüber saß ein Imam, den ich kannte. Alle waren nackt.«

»Reg’ dich nicht auf«, sagten sie, »Wir sind schon seit Monaten nackt.« Haj Ali versuchte, sich mit Müll zu bedecken, doch die Amerikaner ließen das nicht zu.

»Die Amerikaner gaben jedem von uns einen Spitznamen«, sagt Haj Ali. »Einen nannten sie ›Big Chicken‹, einen anderen ›Dracula‹, andere ›Wolf Man‹, ›Joker‹, ›Gilligan‹; mich nannten sie ›Colin Powell‹.«


Folter auf Befehl

Tags darauf kam Charles Graner, der Folterbeamte, der nach Auffliegen des Skandals von Abu Ghraib verurteilt werden sollte. Haj Ali hatte einen Verband an der Hand. Graner riß ihn herunter, so daß die Wunde wieder aufriß, und Haj Ali wurde bewußtlos. »Am nächsten Tag«, erinnert sich Ali, »bat ich eine Soldatin um ein Schmerzmittel. Sie sagte, ich solle meine Hand unter dem Gitter durchschieben. Ich dachte, sie wollte sich meine Hand ansehen, doch sie trat mir auf die Hand und sagte: ›Das ist ein amerikanisches Schmerzmittel.‹«

Nach 15 Tagen bekam Haj Ali eine Decke. »Ich mußte nun nicht mehr nackt sein, und meine Freunde gratulierten mir.« Dieser Teil des Gefängnisses wurde »Der Steinbruch« genannt, und Haj Ali erzählt, daß sie nackte Männer das Essen für die weiblichen Gefangenen ausgeben ließen. Die gefangenen Frauen wurden als Geiseln für ihre Brüder, Väter oder Söhne festgehalten. »Wir hörten ihre Schreie, sie riefen ›Allahu akbar‹, ›Gott ist groß‹.«

Nach 15 Tagen wurden die Verhöre intensiviert, die Amerikaner wollten sie loswerden, um Platz für neue Leute zu machen, die zwischen dem »Steinbruch« und den Zelten im Freien hin und her geschafft wurden. Einer der Gefangenen fragte eine Soldatin: »Warum erniedrigt ihr uns so?« Sie antwortete: »Das sind unsere Befehle.«

Sie brachten ihn wieder zum Verhör. Zehn Personen waren in dem Verhörraum, einige in Zivil und einige in Uniform. Sie hatten Handys mit Kameras. »Damals glaubte ich nicht, daß es so etwas gäbe, ich dachte, die Telefone nähmen nur Ton auf.«

In diesem Raum ereignete sich die Szene, die später auf der ganzen Welt als Beispiel für Mißhandlung und Folter durch das US-amerikanische Regime bekannt wurde. » Sie stellten mich auf eine Kiste, mit einem Umhang über den Kopf und den Armen seitlich ausgestreckt. Sie sagten, sie würden mir Stromschläge verpassen. Ich glaubte ihnen nicht. Dann nahmen sie zwei Drähte und stießen sie in meinen Körper. Ich dachte, meine Augäpfel würden aus ihren Höhlen treten. Dann fiel ich zu Boden.«

Haj Ali biß sich dabei in die Zunge. Ein Arzt kam und schob die Kapuze mit seinem Schuh beiseite. »Er sah keine Verletzung an meiner Zunge, also sagte er, sie könnten weiter machen.« Sie brachten Haj Ali dreimal in diesen Raum, und er bekam fünfmal Elektroschocks.

Sie fesselten ihn mit den Händen an ein Rohr an der Decke, stopften ihm etwas trockenes Brot in den Mund und fotografierten ihn; auch während der Verhöre machten sie Fotos. »Möchtest du noch etwas mehr gefoltert werden?« fragten sie ihn. Haj Ali antwortete: »Je mehr ihr uns foltert, desto größer wird Gottes Belohnung für uns sein.«

Haj Ali war nicht der einzige, der so mißhandelt wurde. »Der Imam der größten Moschee von Falludscha war 75 Jahre alt«, sagt Haj Ali. »Nicht nur, daß sie ihn nackt auszogen und herumschleiften, sie zogen ihm auch noch Frauenunterwäsche an. Einen anderen Gefangen zwangen sie, auf Fotos von seinem eigenen Vater zu urinieren. Einen anderen Imam vergewaltigten sie.«

»In Wirklichkeit sind diese Gefängnisse Trainingslager für den Widerstand«, sagt Haj Ali, »denn 90 Prozent der Gefangenen sind unschuldig; doch nach diesen Erfahrungen sind sie entschlossen, den bewaffneten Widerstand gegen die Besatzer aufzunehmen. Jeder, der so behandelt wird oder sieht, wie der eigene Bruder oder die eigene Schwester so behandelt wird, wäre bereit dazu.«


»Wiedergeburt«

Nach 49 Tagen im »Steinbruch« hörte er von seinen Peinigern, daß er irrtümlich verhaftet worden war und zurück ins Zelt gebracht würde, und so geschah es tags darauf. »Das ist deine Wiedergeburt«, sagten sie. Haj Ali erzählt: »Im Zeltlager sah ich zwei Tage lang in den Himmel und freute mich über das Licht nach der Zeit in den dunklen Zellen. In der Zelle hatte ich 38 Kilo abgenommen. Ich kann das so genau sagen, weil sie, als ich eingeliefert wurde, mein Gewicht auf ein Plastikarmband schrieben.«

Sie gaben ihm seine Habseligkeiten zurück, zogen ihm einen Sack über den Kopf und brachten ihn mit einem Lastwagen weg – diesmal ohne Handschellen. Nach einiger Zeit wurde er vom Lastwagen gestoßen. »Als ich mir den Sack wieder abnahm, war ich auf der Autobahn, und so wußte ich, daß ich freigelassen wurde.«

So endet Haj Alis Geschichte von Abu Ghraib. Nach seiner Freilassung und nachdem der Skandal von Abu Ghraib Ende April 2004 an die Öffentlichkeit drang, wurde er von der UNO in Sachen Menschenrechte ausgebildet. Er wollte seine Erfahrung weitergeben, einen Verein gründen, und wandte sich an die irakische Regierung. Man sagte ihm: »Es gibt keine Mißhandlungen in den Gefängnissen.«

Zusammen mit anderen organisierte er eine Konferenz mit prominenter Beteiligung und gründete die »Vereinigung der Opfer der Gefängnisse der US-amerikanischen Besatzungstruppen«, um Informationen über die Folter und die Gefängnisse zu verbreiten, freigelassenen Gefangenen und den Familienangehörigen von Gefangenen zu helfen. Der Vereinigung geht es nicht nur um die amerikanischen Gefängnisse. »Viele Gefängnisse werden privat geführt, von Söldnern aus der ganzen Welt. Nicht nur die Amerikaner sind schuldig«, sagt Haj Ali.

»Was im Irak vor sich geht, ist eine ganz normale Reaktion auf all diese Vorgänge. Unter Saddam Hussein gab es 13 Gefängnisse; heute gibt es 36 staatliche Gefängnisse und 200 Gefängnisse, die von den staatlichen Paramilitärs geführt werden. Die irakischen Gefängnisse sind die schlimmsten, dort werden die Gefangenen am schlimmsten gefoltert, und alles mit Zustimmung der US-Regierung. Was im Irak geschieht, ist auch ein Verbrechen gegen das amerikanische Volk und gegen die europäischen Völker, die mit dieser Schande leben müssen. Die Folterer kommen aus vielen Ländern. Ich kann niemanden verurteilen, der irgendeinen Ausländer im Irak entführt. Das ist eine Reaktion auf die Besatzung und die Folter«, sagt Haj Ali. Seine Vereinigung arbeitet im Bereich physischer und psychologischer Rehabilitation ehemaliger Gefangener.

(Übersetzung: Gregor Kneussel)

* Haj Ali ist zu einer Protestveranstaltung in Rom am 2. Oktober eingeladen. Die ursprünglich für 1. und 2. Oktober geplante internationale Konferenz »Lassen wir den Irak in Frieden – unterstützen wir den gerechten Widerstand des irakischen Volkes« unter Beteiligung wesentlicher Strömungen der irakischen Opposition mußte verschoben werden. Grund dafür war die Verweigerung der Visa für sechs irakische Vertreter, die vom italienischen Außenministerium als nationales Sicherheitsrisiko bezeichnet wurden. (Weitere Informationen: www.iraqresistance.info)
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