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Wolfram Pfreundschuh (11.4.09) Von der Volksherrschaft des Kapitals zur demokratischen Erwirtschaftung des gesellschaftlichen Reichtums Teil 1: Die Volksherrschaft des Kapitals oder die Selbstzerfleischung der repräsentativen Demokratie Wir haben in der Einführung gesehen, dass die Krise der Wirtschaft auch eine Krise des Parlamentarismus entwickelt, dass also parlamentarische Politik und Ökonomie durchaus miteinander zu tun haben, dass sie sprichwörtlich ineinandergreifen. Dennoch glauben die Parlamentarier, dass sie völlig frei und unabhängig hiervon des Volkes Wille zu vertreten haben. Sie glauben an das Volk, von dem sie sich beauftragt fühlen, den sogenannten Wähler. Sie glauben, dass die menschliche Geschichte als Geschichte dieser Volksgemeinschaft zu verstehen ist, die sich je nach ihrem Willen so gestaltet, wie sie ihn zum Ausdruck bringt. Von daher nimmt man auch ökonomische Krisen nur als Ungeschick wahr, als Fehlverhalten von Persönlichkeiten der Politik oder Wirtschaft. Hieraus folgt, dass man dieses abwählen kann und dass das durch andere Persönlichkeiten auch wieder besser gestalten kann, dass sich durch bessere Wahlentscheidung und von daher durch bessere Politik die wirtschaftliche Probleme des Kapitalismus auch beheben lassen. Doch immer wieder hat sich gezeigt, dass die parlamentarische Demokratie dabei zu einem Fiasko werden kann, dass sie fast stringend logisch mit der ökonomischen Krise in eine eigene Krise schlittert. Wie versteht sich das mit dem demokratischen Selbstverständnis der Gesellschaftsentwicklung durch den politischen Willen eines Volkes? Sind es doch nur Fehlentwicklungen dieses Willens, wenn er nichts zu ändern vermag, reicht der "beste Wille" nicht hin? Iist er gegen das ökonomische System einfach nur zu schwach entwickelt, dass er es nicht beherrschen kann? Und wie lässt sich ohne Gewalt aus den verschiedensten, oft total konträren Willen überhaupt eine Handlung entscheiden, die für alle gut ist? Allein aus der Mehrheit von Meinungen? Bürgerliche Demokratie als Glaube an einen allgemeinen politischen Willen Wie das nun genauer zu verstehen ist, soll am Demokratieverständnis selbst untersucht werden. Der bürgerliche Demokratiebegriff selbst enthält ja schon einen Glauben an das Volk und seinem „politischen Willen“, seinem "Auftrag", woraus sich letztlich menschliche Geschichte zum Wohl der Menschen begründen würde. Durch die Wahlen würde sukzessive doch alles zum besten der Menscheit sich regeln, wird dabei betont, weil hierdurch ihre Wille gebildet würde. Es sei der einzig mögliche Weg einer freie Gesellschaftsentwicklung. Und deshalb sei diebürgerliche Gesellscgaft auch das beste Gesellschaftssystem für die Menschen. Sehen wir zunächst auf dieses Glaubensbekenntnis der parlamentarischen Demokratie, das ja immerhin auch den Glauben an eine demokratische Regierung in diesem System impliziert. Parlamentarische Demokratie ist die Verfassung des bürgerlichen Staats und wird meist mit Volksherrschaft übersetzt. Das soll heißen, dass solche Demokratie selbst schon Gesellschaftsform für sich sei und dadurch ausgezeichnet sei, dass sich ein Volk selbst aus seinem rein politischen Verhältnis heraus, aus der Bildung eines politischen Willen, das dieses Verhältmis lenkt, sich selbst frei bestimmen könne. Doch das ist nicht ganz richtig, ist doch ein Volk schon etwas Ganzes, das unterstellt ist, während sich darin politischer Wille bildet. Wie sollen die Menschen demokratisch über sein Werden entscheiden können, wenn sie schon ein ganzes Volk sind und als dieses auch schon herrschen? Und was ist solche Herrschaft überhaupt, die sich ja hierbei erst bilden sollte, wenn nicht einfach nur Selbstbeherrschung? Über wen oder was herrscht ein Volk? Über seine Lebensverhältnisse? Dann wäre es vielleicht nur Ökonomie. Über seine Kultur? Dann ginge es um Moral und Sitte. Über seinen Glauben? Dann ginge es um einen Gottesstaat. Nein, das wäre alles Unsinn und alles andere als Freiheit. Ein Volk kann nicht als Volk herrschen. Ein Volk als Volk gibt es nicht. Es ist eine bloße Bevölkerung. Die Bevölkerung einer Landschaft, einer Wirtschaftsweise oder einer Kultur oder kurz: einer bestimmten Gesellschaft in einer bestimmten Region. Die Voraussetzung einer Verfassung kann daher auch nicht ihr Ziel sein. Die Verfassungsform benötigt einen Inhalt, ein Sein, dem sie unterstellt ist. Es kann keine Verfassung geben, die sich nicht aus diesem Inhalt begründet. Doch genau das behauptet die bürgerliche Demokratie von sich. Im Begriff ihres Demokratieverstandes steckt daher schon ein Widerspruch zwischen einem allgemein sein Sollen und dem einzelnen Wollen, der in alle politischen Beziehungen eingeht und den Immanuel Kant in seinem kategorischen Imperativ auch philosophisch expliziert hat: "Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne." (Immanuel Kant, § 7 Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft in der Kritik der praktischen Vernunft S. 36) Es ist dies ein Entwicklungsverständnis, das der bürgerlichen Demokratie zugrunde liegt und als ihre fundamentale Vernunft gilt. Ein jeder soll damit in seinem Willen frei gelassen werden aber zugleich in seiner Freiheit durch eine Maxime beschränkt sein, die sich aus der Verallgemeinerung seines Willens ergibt. An dieser Formulierung ist leicht erkennbar, dass es sich bei dem Allgemeinen nur um eine Vorstellung handeln kann, nämlich der Vorstellung von einer Maxime des eigenen Willens: Was kann ich wollen, das alle wollen können sollen? Nun stellt das Grundgesetz und das Menschenrecht. viele solche Vorstellungen bereit, die zu einer vernünftigen Lebensgestaltung durchaus sinnvoll sind. Wenn alle Menschen sich nur tot schlagen und entwürdigen, kann es kein Zusammenleben geben. Doch Vernunft ist nicht unbedingt so allgemein und kann von daher auch nicht allgemein verbindlich sein. Jeder Kapitalist handelt für sich vernünftig, wenn er möglichst viel unbezahlte Arbeit aus der Anwendung seines Kapitals zieht, um möglichst weitgehend damit auch das Risiko abzudecken, dass er mit diesem eingegangen ist. Allgemein entstehen hieraus aber auch die Krisen der kapitalistischen Gesellschaft und die Kluft zwischen Armut und Reichtum. Setzt sich Vernunft zu einem allgemeinen Prinzip, so wird sie in aller Regel unvernünftig, weil sie in Wirklichkeit dann eben nur als Vorstellung oder Ideologie funktionieren kann. Das Verfassungsproblem der Willensform ist entsprechend: Ein allgemeiner Wille, wie ihn Demokratie bilden soll, kann nicht aus einem Willensverhältnis selbst entstehen. Es ist ein elemantares Problem, dass Demokratie sich nicht selbst verfassen kann, weil sie ein bestimmtes kulturelles und ökonomisches Sein reflektiert, das auch nur in dieser Bestimmtheit bestimmt werden kann. Demokratie als Allgemeinform des politischen Willens ist ein Unding und eine allgemeine Auseinandersetzung über dieses bestimmte Sein kann nicht durch eine politische Form bestimmt sein. Bestimmt werden kann nur dort, wo die Verhältnisse auch wirklich bestimmte Verhältnisse sind z.B. am Wohnort, im Betrieb, in den Kommunen und Regionen usw. Im bürgerlichen Staat soll das unbestimmte politische Verhalten aber funktionieren. Dort werden daher alle Verhältnisse administriert, zu übergeordneten Größen abstrahiert und ihre Notwendigkeiten lediglich verallgemeinert. Und sie werden als allgemeine Politik zurück beordert, als eine Politik, die alles Einzelne nur befördert, wo es einem allgemeinen Interesse dient. Von daher entspricht dieser Staat auch der bloß quantifizierten Allgemeinheit dieser Verhältnisse, einem Mengenverhältnis von politischen und ökonomischen Substanzen, dem Meinungsproporz und dem Geld. Er löst das Problem, das in einem unendlichen Disput über die Bestimmung der Geldeinnahme und Geldvergabe zergehen würde, mit einer schlichten Reduktion dahin auf, dass es der allgemeinen Verfassung der Verhältnisse nützlich sein muss, dass seine Entscheidungen nur eine hiervon abgehobene Allgemeinheit zu bedienen habe. Die bürgerliche Staatsverfassung repräsentiert im Grunde ein Rechtsverhältnis von abstrakten Allgemeinheiten. Die repräsentative Demokratie verkürzt das Verfassungsproblem einer Demokratie auf die schlichte Form, wie sie dem Privateigentum auch entspricht, dass nämlich alles eigene das bloß Seinige ist und von daher auch nur als das Meinige existiert und nur als Meinung politisch wirksam sein kann. Die bürgerliche Demokratie reduziert alle politischen Verhältnisse auf die Repräsentation eines Verhältnisses von bloßen Meinungen, also auf ein Gemenge von Dafürhaltungen. Für was da in Wirklichkeit etwas für wahr gehalten wird oder nicht, ist damit verschwunden. Der repräsentative Demokrat ist lediglich seinem sogenannten Gewissen verantwortlich, ohne dass ihm damit etwas gewiss sein kann. Niemand kann ihn zur Rechenschaft ziehen, wenn sich sein Tun von seinem Wahlversprechen unterscheidet, zu dessen Einhaltung er ja eigentlich beauftragt worden war. Aber was kann er schon tun, wenn es dann um eine Wirklichkeit geht, die sich vor allem nach dem Marktgeschehen so anarchisch wie dieses entwickelt? Der Repräsentant der bürgerlichen Demokratie ist in Wahrheit also beliebig in seinem Dafürhalten und Meinen. Er muss lediglich seine Meinung zu bestimmten Problemen vergegenwärtigen, um als Repräsentant vor Ort zu fungieren. In der Auseinandersetzung bei den anstehenden Problemlösungen entscheiden dann ihm gänzlich fremde Sachlagen, Wissenschaftler und Bürokraten. Doch was macht dann repäsentative Politik überhaupt aus? Wonach richtet sie sich und was kann sie überhaupt allgemein wollen?
Die Wählermeinung und der Parlamentarismus Eine Meinung verharrt im Fürsichsein, im einzelnen Bezug auf einzelne Ereignisse, die schon in dieser ausschließlichen Diesbezüglichkeit aus jedem Zusammenhang isoliert sind. Hat jeder seinen Standort, so hat er einen Standpunkt. Aber was soll er damit allgemein wollen außer nur seinen einzelnen Vorteil aus seiner einzelnen Situation heraus. Um daraus eine demokratische Repräsentation zu machen, müssen solche Standpunkte zu Meinungen werden, die sich auch auf anderes, vor allem auch auf andere Meinungen beziehen lassen. Und so werden sie in ihren Vorzügen gebündelt und schließlich in Parteien von entsprechenden Repräsentanten vertreten. Das ist relativ umständlich. Schon die Entwicklung von einem Standpunkt zu einer Meinung verlangt einiges an Reflexion, die davon abhängig ist, wie sich jemand über seine Beziehungen auf anderes informiert und differenziert. Die Kulturen und Medien spielen dabei eine große Rolle, denn sie überbrücken die voneinander isolierten Standorte. Die Meinungsbildung verläuft über möglichst gewohnte Wege meist innerhalb einer Kultur, über Zugehörigkeiten, worin auch allgemeinere Zusammenhänge sich bewährt haben, z.B. über Brauchtum, Gewohnheit, Glaube, Lifestyle, Vereine usw. Zur Wählermeinung werden Meinungen aber erst, wo sie sich zu einer Art von politischem Interesse ausbilden lassen. Das geschieht nicht zufällig. Es muss eine politische Intension entstehen, die sich auf ein Gemeininteresse bezieht, auf ein verallgemeinertes Interesse, das ein öffentliches Interesse ist. Von einer Meinung wird ein Bezug auf dieses Interesse verlangt. Und der kann sich nicht aus dem rein privaten Meinen und Hoffen ergeben. Er wird sozusagen von einem allgemeinen Dafürhalten spendiert, das sich aus allgemeinen Notwendigkeiten ergibt, das eben Reflexionen auf gesellschaftliche Probleme in allgemeiner Form enthält. Wenn dies nicht vom Lehrer oder Pfarrer her kommt, so zumindest von den bürgerlichen Parteien, in denen Meinungen zu Entwicklungsvorstellungen zusammengestellt sind. Im Grunde handelt es sich dann aber schon nicht mehr um Meinungen, sondern um Entwicklungsideen, um Ideologien erst mal um die großen bürgerlichen Ideologien von der Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit der Menschen. Man wählt als Bürger gerne das, was einem unter bestimmten Konflikten hierzu als besserer Lösungsweg erscheint: Soll eher eine Verbindlichkeit, ein solidarischer Weg gefunden werden, oder eher ein sicherer, worin alle sich gleichermaßen geschützt fühlen können, oder soll die Unabhängigkeit der Einzelnen weiterführen, mehr individuelle Freiheit gewagt werden? In den großen Volksparteien spielen diese Grundideologien des Bürgertums ineinander und ergänzen sich in den Phasen des Wohlstands, weil sie allgemein den Geboten des Warentauschs, also der Gesellschaftsform des Privateigentums entsprechen. Um austauschbar zu sein, müssen die Waren verglichen werden, also irgendwie gleich sein. Ihr Auftreten auf dem Markt muss so frei sein, wie ihr Besitzer, der sich auch zum Einkauf anderer Waren frei entscheiden kann. Und dennoch muss der Markt als Ganzes die Menschen zusammenführen und verbinden, verlangt er doch ihre gleichberechtigte und freie und wechselseitige Beziehung. Auf dieser Basis bildet sich der Markt, das Geld und das Kapital politisch aus wenn auch in der Form von wesentlichen Lebensunterschieden, von Klassengegensätzen und Verfügungsgewalten, also von Eigentumsformen. Die Ausbeutung der Arbeit findet zwar auf dem Markt ebenso statt, wie auch die Aufhäufung von Kapital. Es sind aber von hier aus alle dahinter stehenden Lebensverhältnisse und Unterschiede, die allein dies möglich machen, als private Lebenswelt ausgeblendet. Nur durch diese wäre Ausbeutung auch öffentlich erkennbar, abstrakte Macht spürbar, Armut und Reichtum, Willkür und Bedingtheit zu fassen. Was aber auf dem Markt alleine wirklich frei und gleich und allgemein wechselseitig ist, das ist nur das Geld und seine sich selbst bewahrende und bestimmende Form als Kapital, die eigentliche Produktform der bürgerlichen Gesellschaft. Aber zur Wahl von demokratischen Repräsentanten dieser Gesellschaft steht nicht der Markt als solcher, sondern die politische Beherrschung der Konflikte, die zwischen der gesellschaftlichen Form des Marktes und der privaten Lebensform der Menschen entstehen. Die Wahl entscheidet lediglich über die Ideologie, mit der sie politisch angegangen und aufgelöst werden müssen. Substanziell lassen sich die Konflikte nicht wirklich auflösen, solange die ökonomischen Beziehungen von den politischen durch Welten getrennt sind. Von daher spitzen sich mit dieser Trennung auch die Konflikte zu. Der zentrale Konflikt der bürgerlichen Gesellschaft bewegt sich zwischen Lohnarbeit und Kapital. Wenn die Löhne nicht mehr zum Leben reichen, dann reicht auch die Marktwirtschaft nicht mehr zum Leben. Und wenn das Kapital nichts mehr daraus gewinnen kann, dann verliert seine Produktion auch jeden Sinn und Zweck. Repräsentative Demokratie ist die Meinungsherrschaft des Allgemeinen, des Verwertungsprinzips schlechthin, und das verlangt eben auch die politische und ökonomische Auflösbarkeit der Konflikte, wie sie im einzelnen auftreten. Wo aber dies nicht mehr richtig funktioniert, weiten sich die gesellschaftlichen Konflikte offen aus und werden zum Skandal. Die großen Volksparteien funktionieren daher auch immer schlechter, je weniger sich mit den bürgerlichen Ideologien die vorherrschenden Konflikte zielführend auflösen lassen. Wo die Märkte sich nicht mehr ausgleichen lassen, wo also die Marktwirtschaft in Krisen gerät, fallen die Meinungen auch immer mehr auseinander und werden immer schwerer repräsentierbar. Immer beschränktere Standpunkte verlangen immer größere Anteilnahme. Immer größere Illusionen werden politisch immer mächtiger. Mit dem Auseinanderfallen der Meinungen gerät daher auch die repräsentative Demokratie in eine Krise, in welcher zunehmend das Geschick von Meinungsmachern, von Populisten bestimmend wird. Sie nehmen Medien in Anspruch, welche über Kulturtechnologien verfügen, mit denen Meinungen gemacht werden können, durch welche die Menschen mehr meinen, also sie aus ihrem Standort heraus nötig haben. Die repräsentative Demokratie löst sich darin auf, dass sie zum Parkett von Populisten wird, die immer in der Lage sind, aus jedem kleinen Begehren eine große Vorstellung zu machen. Natürlich müssen sie dabei aufgreifen, was in Wirklichkeit, besonders in der unmittelbaren Alltagswirklichkeit eines jeden auch nötig erscheint. Gesunde Ernährung, Allgemeinbildung, Umweltschutz unsw. geraten von daher immer wieder in die Politik und gehen darin soweit auf, wie sie mit den gegebenen Mitteln befördert werden können. Mit Politik hat das dann eigentlich nichts mehr zu tun. Populisten publizieren politische Selbstverständichkeiten als persönliche Wohltaten, die man ihnen zu verdanken hätte. Und sie geben mit ihren Wohltaten an, schweben ihre Vorstellungen den Menschen vor, raunen über Genugtuung und verheißen Erlösung, um an die Macht zu kommen, um sich selbst als Idol zu erleben, um sich als Mensch durch Politik zu veredeln und sich auch an Einkommen und Sicherheiten zu bereichern. Politik wird so tatsächlich zu einer mächtigen Privatsache, in der die wirklichen Verhältnisse, auf die sie angeblich Bezug nimmt, immer gleichgültiger werden. Weil ihre Probleme immer unauflösbarer sind, weil ihre Sachgewalten immer wirklicher geworden sind, wird die Politik selbst zu einer Privatmacht der Politiker, zu einer Machtfülle an politischem Popanz und Willkür. Und die noch immer auf politische Lösungen insistierenden Politiker werden auf diesem Boden nur noch immer kleinere Räder der Politik bewegen können. Die ökonomischen Krisen der bürgerlichen Gesellschaft sind also immer auch Krisen der parlamentarischen Demokratie. Das liegt schon in der bürgerlichen Beziehung von Ökonomie und Politik begründet. Es liegt am Problem der bürgerlichen Gesellschaftsverfassung überhaupt. Und dieses war das Problem, das Marx zum Ausgang seiner Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft genommen hatte: Die Kritik am Verfassungsstaat des politischen Willens. Der VerfassungsstaatMarx hat die demokratische Verfassung des bürgerlichen Staats schon in seinen frühen Schriften mit Hegel auseinandergesetzt, der den Verfasssungsstaat als Vorlauf für das Werden eines höheren Geistes adelte, der sich im Bewusstsein des freien Willens aus dem Menschen heraussetzt und ihn zum politischen Subjekt, zum Staatsbürger macht. Marx widerspricht der Theorie vom politischen Willen als Grundlage des verfassten Staats fundamental. Dass Demokratie die Verfassung dieses Willens sei, behauptet allerdings bis heute noch jeder aufrechte Demokrat. Marx schreibt hiergegen: „Das materielle Leben der Individuen, welches keineswegs von ihrem bloßen Willen abhängt, ihre Produktionsweise und die Verkehrsform, die sich wechselseitig bedingen, ist die reelle Basis des Staats und bleibt es auf allen Stufen, auf denen die Teilung der Arbeit und das Privateigentum noch nötig sind, ganz unabhängig vom Willen der Individuen. Diese wirklichen Verhältnisse sind keineswegs von der Staatsmacht geschaffen, sie sind vielmehr die sie schaffende Macht.“ (Marx-Engels-Werke Bd.3, S. 311) Marx hielt Hegels vergeistigtem Staatsbegriff entgegen, dass der Staat als Verfassungsform einer Demokratie selbst schon ein bestimmtes gesellschaftliches Verhältnis voraussetzen muss, das ihn überhaupt erst Staat sein lässt und das ihm seine eigenständige Existenz zuweist, weil es politisch als bloße Privatsphäre besteht: Marx schreibt: „Es versteht sich, daß da erst die politische Verfassung als solche ausgebildet ist, wo die Privatsphären eine selbständige Existenz erlangt haben.... Die Abstraktion des Staats als solcher gehört erst der modernen Zeit, weil die Abstraktion des Privatlebens erst der modernen Zeit gehört. Die Abstraktion des politischen Staats ist ein modernes Produkt.“ (Marx-Engels-Werke Bd.1, S. 233) Und diese Abstraktion kann auch nur abstrakte Verhältnisse fortbestimmen, weil Staat und Ökonomie noch die Entzweiung einer Gesellschaft vollziehen und betreiben. Aus dem Feudalismus hatte sich zwar schon menschliches Eigentum als Privateigentum heraus gebildet. Dieses aber kann nicht wirklich und unmittelbar ökonomisch bestimmt sein, weil und solange der Staat als ein politisches Gemeinwesen noch rein formell neben den wirklichen Eigentumsverhältnissen der Menschen besteht. Marx schreibt dazu: „Durch die Emanzipation des Privateigentums vom Gemeinwesen ist der Staat zu einer besonderen Existenz neben und außer der bürgerlichen Gesellschaft geworden; er ist aber weiter nichts als die Form der Organisation, welche sich die Bourgeoisie sowohl nach außen als nach innen zur gegenseitigen Garantie ihres Eigentums und ihrer Interessen notwendig geben. ... Da der Staat die Form ist, in welcher die Individuen einer herrschenden Klasse ihre gemeinsamen Interessen geltend machen und die ganze bürgerliche Gesellschaft einer Epoche sich zusammenfasst, so folgt, dass alle gemeinsamen Institutionen durch den Staat vermittelt werden, eine politische Form erhalten. Daher die Illusion, als ob das Gesetz auf dem Willen, und zwar auf dem von seiner realen Basis losgerissenen, dem freien Willen beruhe.“ (MEW 1 S. 62) Es ist die große Illusion, welche die bürgerliche Demokratie vermittelt, dass sie sich aus dem Willen der Menschen ergebe, um zu suggerieren, dass die Menschen darin auch nur als Wille und willentlich existieren. In ihrem Willen können sie sich selbst übernatürlich erscheinen, als Subjekte jenseits aller natürlichen Herkunft. Als diese Übermenschen sind sie befreit von allen Widersprüchen, in denen sie sich tagein und tagaus verhalten, frei von ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die bürgerliche Ökonomie und ihr Staatswesen ist eine Mischform gegensinniger und doch gleich gerichteter Verhältnisse, eine noch unwirkliche Gesellschaft, die Form einer politischen Ökonomie, die zugleich Rechtsform eines Anachronismus ist. Sie ist eine Gesellschaft, welche den gesellschaftlichen Fortschritt der Menschen ökonomisch beherrscht und zugleich auf seine abstrakte Wirklichkeitsform als Kapital beschränkt. Und sie ist die Rechtsform einer Politik, welche die gesellschaftlichen Träger ihrer Geschichte auf ihre vereinzelte Individualität, auf ihr Dasein als Privatperson zurückwirft und isoliert. Die konstitutionelle Form der bürgerlichen Gesellschaft sah Marx daher in der Zwitterposition eines Verfassungsstaats, dessen Rechtsinhalte außerhalb der Staatsform, also rein ökonomisch begründet sind, wohl aber im Staat als deren politische Form verfasst werden, um sie in der Selbstillusionierung einer absoluten Willensfreiheit zu verfestigen. Die bürgerliche Gesellschaft ist weder wirklich wirtschaftlich, weil sie die menschliche Arbeit nicht stringend nach dem minimalen Aufwand für optimalen Nutzen gestaltet, noch hat sie eine politische Wirklichkeit, weil sie sich nur aus den anarchisch arrangierten Einzelinteressen des Privatbesitzes bildet. Ihre politische und ökonomische Form bewahrheitet sich immer erst im Nachhinein ihrer Entstehung als menschliches Lebensverhältmis, im Austausch von Lebensmittel, die nur abstrakt durch Geld vermittelt sind, im Verhältnis einer Lebenstäuschung. Politik und Ökonomie sind in der bürgerlichen Gesellschaft durchtrieben und als politische Ökonomie ineinander vertauscht, so dass auch ihre Staatsform eine Täuschung über ihren wahren gesellschaftlichen Zusammenhang ist, die bloße Mischform eines in sich widersprüchlichen Gemeinwesens, eine „übernatürliche Fehlgeburt der Gesellschaft“ (MEW17, S. 541f). Sie sucht lediglich, sich demokratisch zu gebärden, kann aber schon von ihren Grundlagen her keine wirklich menschliche Demokratie sein. Um dieses gesellschaftliche Unding zu überwinden, sich hiervon zu emanzipieren, müssen die Menschen sich sowohl als Produzenten, wie auch als Rechtssubjekte ihrer Welt auf sich selbst zurückführen und sich aus dieser Rückführung neu begründen. Marx beschreibt dies als menschliche Emanzipation überhaupt. Ich zitiere: „Alle Emanzipation ist Zurückführung der menschlichen Welt, der Verhältnisse, auf den Menschen selbst. Die politische Emanzipation ist die Reduktion des Menschen, einerseits auf das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, auf das egoistische unabhängige Individuum, andrerseits auf den Staatsbürger, auf die moralische Person. Erst wenn der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen, Gattungswesen geworden ist, erst wenn der Mensch seine »eigenen Kräfte« als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche Emanzipation vollbracht.“ (MEW 1, S. 370) Die Emanzipation zum gesellschaftliche MenschenDie Volksherrschaft des Kapitals hat sich in einem doppelten Interesse gezeigt: In einem Verwertungsinteresse, das sich die Menschen zu seinem Zweck unterwerfen will, wie auch einem politischen Interesse, das sie über ihre wirklichen gesellschaftlichen Zusammenhänge hinwegtäuschen will. Der kapitalistische Staat und die kapitalistische Ökonomie verfolgen daher dieselben Interessen, wenn auch in vertauschten Formen. Die kapitalistische Ökonomie und Staatsform, das Verwertungsprinzip und die repräsentative Demokratie gehören daher zusammen. Indem der Staat das private Eigentumsrecht, das bürgerliche Besitzrecht vertritt und sanktioniert, bereitet er immer wieder neu den Boden einer Aneignung von menschlicher Arbeit, dem Eigentum der Besitzlosen durch die Verfügungsmacht der Besitzenden. Er vertritt von daher als Rechtssystem die ökonomische Form der Ausbeutung. Indem das Kapital die Arbeit als Wert gesellschaftlich fixiert, betreibt es die Politik dieser Rechtsform als Geldverwerter, als Besitz habender aller gesellschaftlich existenten Werte. Die Rückführung der politischen Ökonomie des Kapitals auf eine menschliche Wirtschaft kann daher auch nur mit der Rückführung der politischen Demokratie, der repräsentativen Demokratie auf eine demokratische Bewirtschaftung des gesellschaftlichen Reichtums gelingen. Beides ist wesentlich die Einheit in einer menschlichen Gesellschaft, wenn sie die herrschende Trennung von Politik und Ökonomie überwunden hat. Mit der Emanzipation der Menschen zu einer menschlichen Gesellschaft kann also nicht eine rein ökonomische Auseinandersetzung gemeint sein und auch keine Ausübung einer Willensmacht. Es muss der herrschende Wille und die herrschende Ökonomie auf den Boden gestellt werden, aus dem beide sich nähren, damit ihnen ihre abstrakten Interessen gegen die Menschen unter der Hand zergehen. Klassenkämpfe können nicht durch Klassenkampf überwunden werden und auch nicht die Staatsgewalt des politischen Willens durch die Macht des Willens. Es geht in der Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft zu einer menschlichen Gesellschaft um die gesellschaftliche Verwirklichung dessen, was sie schon in sich in ihren vielfältigen Privatgestalten längst enthält. Alle Möglichkeiten für eine menschliche Geschichte sind längst vorhanden. Es sind lediglich die gesellschaftlichen Formationen und Abstraktionen, durch die sie behindert wird. Von daher ist das Wissen um die gesellschaftlichen Formbestimmungen für deren Überwindung von höchster Bedeutung. Denn ich kann Inhalte nur wirksam werden lassen, wenn ich die reaktionäre Bestimmung ihrer Form begriffen haben. Dann ist Klassenkampf kein Klassenkampf mehr. Dann wird die Aufhebung der Klassenkämpfe zur Bedingung und zum Verwirklichungsprozess der Aufhebung unbezahlter und überflüssiger Arbeit und gesellschaftlicher Reichtum zum Zweck und Inhalt aller Arbeit und Freizeit. Das Bewusstsein über die Verhältnisse wird damit selbst zu einer treibenden Kraft ihrer Veränderung und Erneuerung. Noch ein letztes Zitat vom Marx hierzu: | ||