Pfreundschuh contra MG I: »Sie sieht nicht die Kraft der Änderung dieser Welt in dieser Welt, sondern nur in ihren Parolen, in ihren Wahrheiten.«

Wolfram Pfreundschuh (II)

Aus: Wolfram Pfreundschuh, »Der Reichtum der bürgerlichen Gesellschaft« (München 1979), Fußnote 58, im PDF (zu beziehen über www.kulturkritik.net) auf den Seiten 191-193 zu finden, in der Buchfassung auf den Seiten 219-222.

Die sog. Marxistischen Gruppen (ehemals AK-Fraktion) haben die Philosophie gerade in der Weise ad acta gelegt, wie die von Marx kritisierte “Praktische Politische Partei in Deutschland“ (MEW l, S. 384), welche die Negation der Philosophie fordert. Schnell wie ein Windhund stellen sie fest, daß die Frühschriften von Marx ein idealistisches Gefasel seien (in einem Flugblatt: “In seinen Frühschriften wollte Marx noch die Philosophie verwirklichen.“) und rechnen es ihm als Fehler an, daß er aus der Philosophie heraus zur Theorie über das bestehende Leben gekommen ist. Seine Vergangenheit ist sein Fehler, seine Gegenwart wird in der Weise genutzt, wie ihn die AK (MG) im Kapital begreift; und da begreift sie nicht viel. Wir haben bewiesen, daß sie gerade in der Denunzierung der Marxschen Philosophiekritik und in der Denunzierung seines Anliegens, aus der Philosophie heraus die Waffe der Kritik zu schmieden, notwendig die im Kapital dargestellten Kategorien falsch und, wie wir später noch zeigen werden, absurd begreifen: Gesellschaft fängt für sie an, wo Objektivität beginnt, wo also die Subjekte schon tatsächlich verschwunden sind. Gesellschaft ist für die AK nichts Subjektives, kann also auch kein Subjektwerden des Menschen heißen, sondern nur die Vernichtung der objektiven Falschheit dieser Welt bedeuten. Für sie ist „die Wahrheit das Mittel des Kommunisten“, und so handwerkt sie an der bestehenden Gesellschaft nach ihren eigenen Vorstellungen herum. Sie sieht nicht die Kraft der Änderung dieser Welt in dieser Welt, sondern nur in ihren Parolen, in ihren Wahrheiten:

»Wer ausspricht, die Wirklichkeit der kapitalistischen Ausbeutung, nicht die wissenschaftliche Analyse begründet die politische Praxis, setzt die Realität in Gegensatz zu ihrer wissenschaftlichen Erkenntnis, was nur heißen kann, daß sich solche Praxis von den unbegriffenen Resultaten kapitalistischer Praxis leiten läßt. Wenn die wirkliche gesellschaftliche Bewegung die Grundlage von Politik ist, dann als erkannte, nicht in der Weise, wie sie der unmittelbaren Erfahrung erscheint.« (Resultate der Arbeitskonferenz Nr. 1/74, S. 6).

Welch ein Widersinn! Die AK produziert einen Gegensatz von Wirklichkeit und wissenschaftlicher Analyse, und wirft diesen Gegensatz ihren Gegnern vor, welche, wenn sie von der Realität ausgehen, folgerichtig unbegriffen handeln müssen (weil wohl die Realität keinen Begriff hat!?). So kokettieren sie in diesem Vorwurf gegenüber Menschen, welche in der kapitalistischen Ausbeutung ihren Widerstand begründen, zum Gegensatz ihres (der MG) Ausgangspunktes: “Kommunistische Politik ist Resultat wissenschaftlicher Einsicht in das Kapitalverhältnis.“ (ebd.).Weil sich die AK als Politik der Welt entgegensetzt, greift sie den an, der seine politische Praxis auf der „Wirklichkeit der kapitalistischen Ausbeutung“ gründet, weil sie diese Praxis selbst von sich ausgestoßen hat. Demnach geht es der AK um „die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft“, nicht aus praktischen Gründen, nicht aus der wirklichen Negation des Menschen (das war ja Philosophie), sondern als eine Zielsetzung, welche angeblich “Marx aus der wissenschaftlichen Erkenntnis des Kapitalismus, mithin aus dem Charakter (!) dieser Gesellschaft selbst begründet.“ (ebd.). So macht die AK gerade nur Politik, weil sie die Politik zur Realität erhebt und wirft andern, welche in der Realität ihr Leben begreifen müssen, “die Konstruktion des Gegensatzes von Wissenschaft und Wirklichkeit“ vor. Diese wird zum Verräter an Marx, denn sie “verrät…die Marxsche Einsicht in die Differenz von Erscheinung und Wesen, durch die die Wirklichkeit charakterisiert ist, und propagiert darüber hinaus noch eine Handlungsweise, welche nach Marx einem Zustand angehört, in der die Menschen ihre Geschichte ohne Bewußtsein machen.“ (ebd.). Ei der daus! Wer keine Politik macht, wer also nicht von seinem wirklichen Leben absieht, in welchem die Anlagen jeglicher Veränderung stecken, der ist ein Bürger. Das Bürgerliche der MG steckt aber gerade darin, daß sie nicht die wirklichen Gehalte diskutieren, welche die bestehende Geschichte ausmachen, sondern sich mit ihrer Wissenschaft darüber erheben zu einer Forderung des Bewußtseins, zur Aufklärung der Menschen über ihre Dummheit und zum moralischen Aufschwung zu einem überparteilichen Standpunkt (“Parteilichkeit, die nicht aus wissenschaftlicher Einsicht resultiert, ist nur dumm und moralisch, nicht aber revolutionär.“ – ebd., S. 7).

Man muß der AK dasselbe wie der politischen Partei vorhalten: »Sie glaubt, jene Negation (der Philosophie) dadurch zu vollbringen, daß sie der Philosophie den Rücken kehrt und abgewandten Hauptes – einige ärgerliche und banale Phrasen über sie hermurmelt. Die Beschränktheit ihres Gesichtskreises zählt die Philosophie nicht ebenfalls in den Bering (Umkreis – Verf.) der deutschen Wirklichkeit oder wähnt sie gar unter der deutschen Praxis und den ihr dienenden Theorien.« (MEW l, S. 384). Wir werden die philosophische Entwicklung der MG weiter verfolgen, denn sie hat keine andere Zukunft als das, was sie leugnet: Absolute Philosophie.
Da sie keine wirkliche Kritik an der bestehenden Gesellschaft hat, kann sie sich nur moralisch fordernd gegen die Menschen dieser Welt und gegen die Welt verhalten; sie wird gezwungen sein, Gegentheorien zu entwickeln, wie dies seit einigen hundert Jahren die Philosophen immer getan haben. Sie wird aber keinen wirklichen Kampf in dieser Welt aufzugreifen verstehen, weil sie ihn gar nicht begreifen kann. Ihr werden dafür umso mehr theoretische Kämpfe blühen und sie wird sich in der Unendlichkeit dieser Kämpfe wohl noch ein langes Leben versprechen können. Da sie nicht an ihrem Untergang als politische Gruppe dieser Welt interessiert sein kann, wird sie dem Kapitalismus dankbar sein für die vielen Kämpfe, welche ihr immer wieder ihre Selbstbestätigung als wissenschaftliches Haupt möglich machen. Sie werden sicherlich noch ein langes Leben als Pfaffen des Marxismus zu führen verstehen.

[Anmerkung Ofenschlot: Zur Einführung in den Komplex siehe hier.
Es folgen noch zwei Exkurse, die systematisch der Fußnote 58 vorangehen. Weil diese aber einen allgemeinen, resümierenden Charakter hat, passt sie auch sehr gut als Auftakt von Pfreundschuhs MG-Kritik.
Die zitierten Resultate der Arbeitskonferenz finden sich im Download-Bereich von Neoprene.]