Pfreundschuh contra MG II: »Solche Vorzimmerphilosophen, die das Verhältnis der Menschen allein als Willensverhältnis sehen, also nicht als sinnlich wirkliches Verhältnis, sondern als einzig gewolltes Verhältnis, sind immer die größten Moralisten ihrer Zeit gewesen.«

Wolfram Pfreundschuh (III)

Aus: Wolfram Pfreundschuh, »Der Reichtum der bürgerlichen Gesellschaft« (München 1979), Fußnote 36, im PDF (zu beziehen über kulturkritik.net) auf den Seiten 76-79 zu finden, in der Buchfassung auf den Seiten 82 ff.

Die Ableitung des Werts im Kapital ist überhaupt nur in dem Zusammenhang begriffen, wo das Warenverhältnis als Form des Reichtums mitgedacht wird und daher auch die Herkunft der Ware in ihrer menschlichen Substanz als bestimmte Form menschlichen Reichtums mitgedacht wird. Wer allein den Austausch selbst anstiert, wer also keinen Grund hat, das Austauschverhältnis als Ganzes zu denken, der wird sich immer schwer tun, den Wert als geschichtlichen und wirklichen Gehalt des bestehenden Reichtums zu begreifen. Meist ist dieser Kategorie das widerfahren, was die jeweiligen Löser zu ihrem eigenen Interesse verstanden haben.

Da gibt es z.B. eine Gruppe, die ihre Arbeit bisher als Konferenz aufgefaßt hatte, die AK-Fraktion München, und inzwischen irrtümlicherweise Marxistische Gruppe heißt. Die meint inzwischen, daß der Kapitalismus sich deshalb erhält, weil er auf einem falschen Bewußtsein gründet und man deshalb als Marxist die vornehme Aufgabe hätte, das Bewußtsein der Menschen zu ändern. Denen erscheint das Kapital auch als eine pure Gedankenabstraktion, die sich über einen an und für sich wahren Organismus der Arbeit stülpt. Für diese Leute ist der Gebrauchswert zunächst vollständig unabhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen der Menschen und reduziert sich “auf die Bestimmung eines natürlichen Gegenstandes.“ (Resultate der Arbeitskonferenz 1/74, S. 54). So stellt für die AK der Gebrauchswert nicht menschlichen Reichtum, sondern “ein Verhältnis der Gesellschaft zur Natur vor, dessen Eigenarten sich nicht aus der qualitativen und quantitativen Bestimmtheit der Natur als Gegenstand menschlicher Bedürfnisse ableiten. Diese Gesellschaft unterstellt die Natur als Objekt des Nutzens, läßt sich aber von deren Beschaffenheit nicht ihre ökonomischen Gesetze vorschreiben.“ (ebenda, S. 55)

Für die MG (Marxistische Gruppe) ist der Schein des Kapitalismus von vorneherein da: Es ist die Nichtentsprechung einer Gesellschaft gegenüber den Naturgesetzen. Demnach gibt es für diese Naturhandwerker auch keine in der Gesellschaft selbst stattfindende und daher in der Gesellschaft aufzuhebende Verkehrung des menschlichen Lebens, sondern allein ein falsches Bewußtsein der Menschen, das sie davon fernhält, dem Naturgesetz zu folgen. In dieser Naturkunde haben sie den Gehalt des menschlichen Reichtums und auch die menschliche Natur selbst abgetrennt von dem Dasein der Dinge, und haben erst nach dieser Abtrennung eine objektive und jetzt erst gesellschaftliche und gegenständliche Eigenschaft an den Waren gefunden: den Wert. Dieser bedeutet ihnen, daß jetzt, nachdem die Waren als natürliche Gegenstände vom Himmel gefallen waren, sie im Wert gesellschaftsfähig geworden sind: “Die als Maß füreinander fungierenden Gebrauchswerte müssen (!) neben ihren natürlichen Qualitäten, die als Grundlage für die Gleichsetzung ausscheiden (!), noch eine nichtnatürliche Eigenschaft besitzen, eine Eigenschaft, die sie zu Waren macht. Als ihre objektive Eigenschaft kommt sie den Warenkörpern als natürlich bestimmten Gegenständen zugleich nicht zu. Im Wertsein ist somit die unmittelbare Objektivität des Warenkörpers negiert; was in der Form einer gegenständlichen Eigenschaft an ihm existiert, ist seinem Inhalt nach etwas Nichtgegenständliches. Durch ihre zweite, aus dem Austauschverhältnis erschlossene Bestimmung, durch ihre Wertgegenständlichkeit charakterisiert sich die Ware als dingliches Resultat eines Prozesses (!); sie ist Resultat einer Vermittlung, in welcher natürliche und gesellschaftliche Tätigkeit in Einheit sind.“ (ebenda, S. 57)

Das Problem mit der Natur liegt hier auf der Hand: die natürliche Eigenschaft und die nichtnatürliche Eigenschaft der Waren wurden flugs zu “einer Vermittlung, in welcher natürliche und gesellschaftliche Tätigkeit in Einheit sind“. Zugleich aber entstand diese Gesellschaftlichkeit allein aus dem Wertsein der Waren, und so müßte sich die AK ihres Dilemmas bewußt werden, wie sie sich gesellschaftlich überhaupt verstehen kann, wo sie sich doch dann allein in einer Abstraktion überhaupt befände. So ist die Natur als „unmittelbare Objektivität des Warenkörpers“ in einen Gegensatz zur gesellschaftlichen Objektivität geraten, daß man mit der Bekämpfung des Werts zugleich die Gesellschaftlichkeit der Menschen im gegebenen Zusammenhang als solche bekämpfen muß. Im Hintergrund steht allein die natürliche Gesellschaft oder die Gesellschaft der Natur, die Gesellschaft von Naturdeterminanten. Diese natürliche Gegenständlichkeit der Dinge auf der einen Seite und ihr Dasein als Arbeitsprodukt auf der anderen Seite, durch welches die Dinge Wertdinge überhaupt nur sein können, bringt diese Leute dazu, die Arbeit überhaupt als Mangel aufzufassen, als natürliche Not, deren Überwindung im gleichen Maß angestrebt wird wie die Überwindung des Kapitalismus. Sie können überhaupt nur den Wert als Abstraktion ansehen, die man im Bewußtsein in dieser Gesellschaft macht, nicht als das Lebensverhältnis, wovon im Wert wirklich abstrahiert ist. So gründet sich ihr Verhalten auch nur in der Entgegensetzung zum Wert und damit in der Ausschließung wirklichen Lebens, das im Wert ebenso wirklich aufgehoben wird. Ihnen ist letztlich der Kapitalismus eine unwahre, weil abstrakte Tatsache, dessen einfachster widersprüchlicher Gehalt als Lebensprozeß der Menschen ihnen noch nicht gewahr geworden ist. Als Kritiker des Bewußtseins können sie auch keine gegenwärtigen Kämpfe als wirkliche geschichtsbildende Prozesse ansehen – weder Klassenkämpfe, wo sie auftreten, als Ausdruck einer wirklichen menschlichen Bewegung begreifen, noch, wo sie nicht auftreten, dies als Zustand einer unmenschlichen Bewegung ansehen; – es geht diesen Leuten darum, den Menschen “durch die Erklärung ihrer Lage jede Illusion auszutreiben, praktische Kritik ihres falschen Bewußtseins zu üben, … also Agitation für den Willen zu betreiben, die Gründe ihrer Klassenmisere zu beseitigen.“ (Aus einem Flugblatt zur Galerie großer Geister). Man sieht: Wo die Natur spricht, da weiß man auch, wo das falsche Bewußtsein steht. So gehen die Leute in Betriebe mit der Absicht die Arbeiter zu kritisieren, denn diese sind deshalb Arbeiter, weil sie sich den bürgerlichen Produktionsprozeß „zu ihrem Willen gemacht haben“. Solche Vorzimmerphilosophen, die das Verhältnis der Menschen allein als Willensverhältnis sehen, also nicht als sinnlich wirkliches Verhältnis, sondern als einzig gewolltes Verhältnis, sind immer die größten Moralisten ihrer Zeit gewesen. Unfähig, die Welt als gegenwärtigen Prozeß von Menschen zu fassen, werden die Menschen als unfähig zum philosophischen Willen gefaßt. Unfähig, die Illusionen der Menschen als Zustände zu fassen, worin sie den Menschen nötig werden, werfen sie den Menschen deren Illusionen als Willenlosigkeit zu der im Bewußtsein behaupteten Notwendigkeit der Änderung dieser Gesellschaft vor. “Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzuheben, ist die Forderung, einen Zustand aufzuheben, der Illusionen bedarf.“ (MEW l, S. 379) Indem die MG diese Forderung aber als Forderung des Bewußtseins anträgt, verlangt sie, das Bestehende als willentlich überwindbar, also als in Wirklichkeit nicht Bestehendes anzusehen:„Die Forderung, das Bewußtsein zu verändern, läuft auf die Forderung hinaus, das Bestehende anders zu interpretieren, d.h., es vermittelst einer anderen Interpretation anzuerkennen“ (MEW 3, S. 20). Was Marx gerade überwunden hatte, indem er die Philosophie kritisierte, ist in der AK von hinten her wieder entstanden. Man würde sich wundern müssen, wenn solche Leute nicht wieder auf Hegel zurückkommen, denn der hat ja wohl am besten diese Theorie ausgeführt. (…)