Pfreundschuh contra MG III: » Es geht also nicht um die Entwicklung des Klassenkampfs zur Aufhebung der Klassenkämpfe, sondern um einen Willen, gegen die Klassenmisere anzutreten, weil offensichtlich diese Misere selbst keinen Grund zur Änderung der Gesellschaft enthält!«

Wolfram Pfreundschuh IV

Aus: Wolfram Pfreundschuh, »Der Reichtum der bürgerlichen Gesellschaft« (München 1979), Fußnote 41, im PDF (zu beziehen über kulturkritik.net) auf den Seiten 95ff. zu finden, in der Buchfassung auf den Seiten 104 ff.

In der Marx-Rezeption wird – wenn auch nicht ausgesprochen – gerade dies meist übersehen oder übergangen, was das wichtigste der Ökonomie überhaupt darstellt: Der Unterschied von nützlicher Arbeit und ihrem Dasein als gesellschaftliche Arbeit resultiert erst aus dem Warenverhältnis. Dieser Unterschied ist Produkt einer bestimmten gesellschaftlichen Form, in welcher die Menschen verkehren. Wer diese Form nicht erkennt, schaut sie immer vom Standpunkt seiner Wahrnehmung aus an und ordnet die Nützlichkeit der Ware seiner Individualität unbenommen als Gebrauchswert auf der einen Seite zu, in welchem ihm kein Deut fremd erscheint, und er beliebt es, die Gesellschaftlichkeit der Ware als ihm Fremdes, als Tauschwert zu denunzieren. Die Erkenntnis, daß der Gebrauchswert die Form des Tauschwerts hat, also mit ihm wesentlich identisch ist und lediglich die individuelle Seite dieser Gesellschaftsform darstellt, verbirgt ihm den Blick für die objektive Getrenntheit einer Gesellschaft als Verkehrsverhältnis und befriedigt sein bequemes Bedürfnis, sich im Gegensatz zur Gesellschaft zu bewahren. Die meisten Rezeptionen dieses Kapitels beginnen daher mit der Unterstellung eines natürlichen Gebrauchswerts, der als Träger des Tauschwerts verfälscht wird, bzw. zum objektiven Problem oder Zwang einer Vermittlung wird. So, als hätte Marx in seiner Formulierung, daß es immer nützliche Arbeit gibt und immer nützliche Gegenstände, daher auch Gebrauchswerte immer stofflicher Inhalt des Reichtums sind, gesagt, daß der Gebrauchswert in dieser übergeschichtlichen Tatsache getrennt von der Form dieser Gesellschaft existiert. Wie schon in einer Fußnote zuvor erwähnt, hat die AK (heute: Marxistische Gruppen) dadurch, daß sie die Trennung von nützlicher Arbeit und gesellschaftlicher Arbeit bereits als Form dem Buch vorausgesetzt unterstellt, auch die gigantische Einsicht gewonnen, daß erst im Wert die Arbeit gesellschaftlich existiert. Für sie ist der Gebrauchswert eine Naturtatsache, die lediglich an der Ware klebt: »Objektiv, unabhängig von ihrer Beziehung auf das menschliche Bedürfnis, reduziert sich der erste Faktor der Ware (der Gebrauchswert) auf die Bestimmung eines natürlichen Gegenstands. Damit ist auch klargestellt, daß Gebrauchswert zu sein, kein Spezifikum der kapitalistischen Ökonomie darstellt.« (Resultate der Arbeitskonferenz Nr. 1/74, S. 54). Dieser Trennung folgt sie in der ganzen Rezeption des Kapitals, so daß sie erstens drauf kommt, daß die Natur wie auch die Naturwissenschaft unbenommen für sich existiert, in der bürgerlichen Gesellschaft also selbst keinen bürgerlichen Gehalt hat und zweitens allein die Fortpflanzung des Werts als Form ohne jeglichen wirklichen Gehalt zum Kapital bringt. Objektiv ist also für die AK ein natürlicher Gegenstand, d.h. keine Verobjektivierung des Menschen, keine menschliche Objektivität. Objektiv ist das allseitige Gleichbleiben, das übergeschichtliche Wesen einer dargestellten Geschichte außerhalb von Menschen. Wem dies objektiv ist, der hat keine menschliche Objektivität und kann deshalb auch kein Subjekt darin erkennen. Er kann nur Objektivität selbst sagen als von ihm Getrenntes und muß das Subjekt letztlich in seiner Irrtümlichkeit als Mensch kritisieren.

So entlarvt sich eine solche Objektivität im Aufklärungsinteresse der AK über die Welt, zu der sie keinen Menschen weiß, sondern umgekehrt die Menschen zu einem Willen agitieren will, der sich gegen diese Welt stellt wie ein Philosoph gegen die Wirklichkeit.

(Inzwischen formuliert die MG selbst, daß sie es als die “einzige Aufgabe marxistischer Theorie“ hält, bei den Lohnarbeitern „Agitation für den Willen zu betreiben, die Gründe ihrer Klassenmisere zu beseitigen.“ [Flugblatt zur Galerie großer Geister]. Es geht also nicht um die Entwicklung des Klassenkampfs zur Aufhebung der Klassenkämpfe, sondern um einen Willen, gegen die Klassenmisere anzutreten, weil offensichtlich diese Misere selbst keinen Grund zur Änderung der Gesellschaft enthält!).

So wie für diese Leute die Gegenstände als natürliche Dinge da sind und erst der Wert eine Gesellschaftlichkeit erzeugt ( die Gleichheit der Waren “als Werte kennzeichnet sie als Produkte“ – ebenda S. 58) haben sie in diesem fundamentalen Mißverständnis der Marxschen Theorie den Kapitalismus auch nur als überkommenes Bewußtsein zu beseitigen. Für diese Leute ist die Form dieser Gesellschaft ein falscher Gedanke, der durch den Willen aufgehoben wird, die Welt zu ändern. Dem hatte bereits Marx 1844 entgegengehalten:
»Um den Gedanken des Privateigentums aufzuheben, dazu reicht der gedachte Kommunismus vollständig aus.« (MEW EB I, S. 553).

Aber gerade von daher, daß die MG den Kapitalismus als ein Problem des Geistes ansieht, hat sie auf die „frühen Werke“ von Marx verzichten müssen, denn dort wird die bürgerliche Gesellschaft ausdrücklich als Sinnesform und Zustand von Menschen gesehen. Da das Kapital aber die objektive Ausführung dieses Selbstverständnisses ist, hätte die MG aber Probleme mit ihrem Verhältnis zu Marx bekommen müssen. Um also nicht ihren Verstand ändern zu müssen, haben sie eine Trennung des jungen und des alten Marx dadurch erzeugt, daß sie dem „Jungen“ philosophistischen Unverstand unterschoben:

»Dieser hatte, als er noch der junge Marx war, die Verwirklichung der Philosophie als sein Anliegen formuliert und später, als er sich des philosophischen Weitblicks entledigt hatte und von einem unhaltbaren ökonomischen Standpunkt aus die Welt in Grund und Boden verdammte, (das soll ein Witz sein!) die These vom Ende der Philosophie aufgestellt.« (Aus einem Flugblatt der MSZ an der Uni München).

Wir werden gerade an dieser Stelle zeigen, wie elementar das Naturverständnis von Marx in die Kritik der politischen Ökonomie eingeht, wie er das in den „Frühschriften“ dargestellte Naturverständnis im Kapital verwirklicht, indem er den Doppelcharakter der Arbeit wirklich und tatsächlich als Doppelcharakter der Ware selbst beweist und diesen “Springpunkt … im Verständnis der politischen Ökonomie“ als Triebkraft der Entwicklung des Kapitalismus und damit als Dasein wirklich gegenwärtiger Naturgeschichte des Menschen, also wirkliches Dasein der Natur in den Verhältnissen, welche Menschen ökonomisch eingehen, beweist. Gerade deshalb kommt er in diesem Punkt auf das Dasein nützlicher Arbeit als Gehalt der gesellschaftlichen Arbeit, wenn sie auch am Individuum selbst verbleibt. Ihm ging es niemals um die Konfrontation des Individuums als Individuum zur Gesellschaft, sondern um die Darstellung der Gesellschaft, wie sie im Individuum und im Verkehr zugleich erscheint: Der geschichtliche Stand des Menschen als Individuum und Gesellschaft in einem.

»Es ist vor allem zu vermeiden, die Gesellschaft wieder als Abstraktion dem Individuum gegenüber zu fixieren. Das Individuum ist das gesellschaftliche Wesen. Seine Lebensäußerung – erscheine sie auch nicht in der unmittelbaren Form einer gemeinschaftlichen, mit andern zugleich vollbrachten Lebensäußerung – ist daher eine Äußerung und Bestätigung des gesellschaftlichen Lebens. Das individuelle und das Gattungsleben des Menschen sind nicht verschieden, so sehr auch – und dies notwendig – die Daseinsweise des individuellen Lebens eine mehr besondere oder mehr allgemeine Weise des Gattungslebens ist, oder je mehr das Gattungsleben ein mehr besonderes oder allgemeines individuelles Leben ist«“ (MEW EB I, S. 538f ).