,Und vor allem Gesundheit" wird gewünscht anläßlich von Geburtstagen, Jubiläen und ähnlichen Gelegenheiten. Besonders bei kleineren und größeren Unglücken aller Art soll man froh sein und sich damit trösten, daß man ,immerhin gesund geblieben" sei. Gesundheit gilt ' allenthalben als die Hauptsache und das größte Glück schlechthin. Das ist schon seltsam: Die eigentlich eher schlichte Tatsache; über funktionierende Knochen und Organe zu verfügen, soll schon Zufriedenheit auslösen, ganz gleich, was .man sich im Leben mit Hilfe seiner Körper- und Geisteskräfte an Erfreulichem erlauben kann - oder auch nicht. Sicher, einem Kranken ist alles verwehrt. Mit einer kaputten Wirbelsäule kann man keine Bäume mehr ausreißen, und ein Zuckerkranker muß auf Torten verzichten. Dennoch ist ein intakter Körper nichts weiter als die bloße Voraussetzung, sich alle möglichen Zwecke zu setzen und zu realisieren. Gesund sein.ist einfach Bedingung für so unterschiedliche Dinge wie: Fußballspielen und zur Schicht antreten, mehr aber nicht. Wieso kommt es hierzulande immerzu derart auf diese Bedingung Gesundheit an, daß sie sogar wichtiger sein soll als das, was den Leuten sonst an "Glück" oder .Unglück" zuteil wird? Das Aufhebens, das bei uns um die Gesundheit gemacht wird, tut so, als wäre z.B. ein funktionierender Magen erfreulicher als der Genuß des Schnitzels, das der Magen verarbeiten soll. Das hat natürlich seinen Grund; bloß keinen guten.
Noch jeder weiß, daß seine Wirbelsäulenbeschwerden und Sehnenscheidenentzündungen mit seiner Arbeit zu tun haben und daß ihm Streß im Betrieb auf den Magen und die Nerven schlägt. Mit Krankheiten wird sogar laufend fest gerechnet. Es gilt im Grunde als ziemlich ,normal", nach kürzerer oder längerer Berufsarbeit die verschiedensten Verschleißerscheinungen aufzuweisen. Bloß: Wieso soll das eigentlich normal und selbstverständlich sein? An Arbeit überhaupt, einmal schlicht als zweckmäßiger Einsatz von Muskeln und Gehirn für die Herstellung nützlicher Sachen betrachtet, kann der Gesundheitsverschleiß gar nicht liegen. In einer Gesellschaft, in der die Leute den Zweck haben, lauter nützliche Dinge für ihre Bedürfnisse herzustellen, wäre es absurd, die dazu nötige Arbeit so anstrengend einzurichten, daß die Gesundheit der Mitglieder dabei draufgeht. In einer solchen Gesellschaft wäre es schwachsinnig, die menschlichen Körperkräfte so zu verausgaben, daß man die Früchte der eigenen Bemühungen gar nicht mehr recht genießen kann. Über Gesundheit bräuchte man da also gar nicht groß reden. Daß demgegenüber hierzulande Gesundheit als das ,,höchste Gut" gilt, ist kein Zufall, denn:
Im Kapitalismus sieht die Sache so aus, daß bei der Arbeit die Ruinierung der Leute notwendig ,;,eingeschlossen ist. Marktwirtschaftliche Unternehmen lassen alle möglichen nützlichen Dinge allein deshalb produzieren, um daraus ein Geschäft zu machen. Ihnen geht es also nicht um die Vermehrung ihres Reichtums in der Form von Geld. Dazu stellen Kapitalisten, also die Eigentümer von Produktionsmitteln und Geld, Arbeitskräfte für Lohn ein, auf daß die sich für das beabsichtigte Geschäft lohnen. In ordentlichen Gewinnen soll sich die Verausgabung menschlicher Körperkräfte niederschlagen. Dementsprechend sehen die Anforderungen und die Bedingungen an den kapitalistischen Arbeitsplätzen aus. Je mehr Leistung den Arbeitern abverlangt wird, je mehr sie sich verausgaben, desto mehr rentieren sich die Lohnkosten für den Unternehmer, desto größer ist der Gewinn in seinen Händen. Und weil in den Augen der Kapitalisten die Ausschaltung von Lärm, Dreck und Gift Kosten mit sich bringt, die sich nicht bezahlt machen, muß der Arbeiter damit obendrein fertig werden. Im Kapitalismus ist somit die Vernutzung der Gesundheit bei der Anwendung von Arbeitskraft garantiert. Daß die Leute erkranken, ist zwar Folge der Beanspruchung durch das Kapital, geht die Unternehmer selber aber nichts an. Ebenso wie es das private Problem der Arbeiter ist, den Anforderungen des Kapitals auch nachzukommen - wer sich vor den betrieblichen Leistungserwartungen blamiert, fliegt von der Lohnliste -, so ist es auch ihre Privatangelegenheit, ausreichend Gesundheit für ihre Beanspruchung in Fabrik und Büro zur Verfügung zu stellen. Wer da zu krank ist und deshalb die verlangte Leistung nicht bringt, fliegt ebenfalls, ist also mit dem Lohn auch seinen Lebensunterhalt los. Gemäß dem in der Marktwirtschaft gültigen Zweck der Reichtumsvermehrung in der Form von Kapital verbraucht das Kapital mit der Benutzung der Arbeitskraft die Gesundheit der Arbeiter. Und die Arbeiter brauchen sie, um sie dem Kapital zur Verfügung stellen zu können. Es fällt in ihre persönliche Zuständigkeit, beständig für ihre Gesundheit zu sorgen. Eine unlösbare Aufgabe, per privater Bemühung die Folgen des gesellschaftlich erzwungenen Gesundheitsverschleißes ungeschehen zu machen! Allerdings lassen sich die Leute diesen Schuh anziehen. Es gilt als ,,Glück", vor allem aber ausgerechnet als persönliche Leistung, all den Beanspruchungen bei der kapitalistischen Vernutzung der Arbeitskraft nicht zum Opfer gefallen zu sein. Jedem Rentner, der mit 65 Jahren noch umherradeln kann, wird allen Ernstes eine außergewöhnliche Lebenstüchtigkeit zugesprochen, für die ihm anerkennend auf die Schulter geklopft wird. Umgekehrt muß sich jeder Erkrankte, bei allem Mitleid für das ,Pech", das ihm das ,Schicksal" aufgehalst hat, fragen lassen, ob er nicht auch selber schuld daran sei, all den verschleißenden Anforderungen nicht standgehalten zu haben: Womöglich hat er sich zu wenig um seine Gesunderhaltung gekümmert.
Die ganze demokratische Öffentlichkeit strickt eifrig mit an der Bekräftigung der Lüge, jeder habe es selber in der Hand, bei guter Gesundheit zu bleiben. Beim Bemühen um Gesunderhaltung wird den Leuten Unterstützung von allen Seiten geboten. Kein Tag ohne entsprechende Tips in Zeitung und Fernsehen. Dieses und jenes Mittel, der eine oder andere Sport, besondere Diäten etc. werden angepriesen. All das soll ,Wunder" wirken. Mal abgesehen davon, daß die Leute diese gutgemeinten Ratschläge sich zwar zu Herzen nehmen, mangels Zeit, Geld und Lust aber kaum in die Tat umsetzen können die ganzen Tips taugen nichts. Wie sollte denn auch eine Oberbeanspruchung z.B. der Wirbelsäule mit den entsprechenden Folgen in Form von Verschleißerscheinungen anders beseitigt werden als durch die Beseitigung der Überbeanspruchung? Mit Gymnastik, Vitamin E etc. kriegt man doch die Knochen nicht wieder hin! Den ganzen Gesundheitsexperten ist der Verbrauch der Gesundheit durch die Beanspruchung von Muskeln, Organen, Nerven und Gelenken durch die Lohnarbeit selbstverständlich. Diese Spezialisten halten es geradezu für natürlich, daß die Leute mit den Körperkräften gehörig Gesundheit abzuliefern haben. Ihre ganzen Tips leben dann von der Lüge, als läge es ganz an der eigenen Anstrengung um das höchste Gut" Gesundheit, die per Lohnarbeit systematisch herbeigeführte Ruinierung der Physis ungeschehen bzw. unwirksam zu machen.
Warum ist also hierzulande Gesundheit das höchste Gut, vor allem der kleinen Leute? Garantiert nicht, weil sie die für lauter vergnügliche Sachen brauchen könnten: Dann wäre das Lobpreisen der Gesundheit ja auch blöd - welcher Fußballer läßt schon seine Gesundheit hochleben anstelle seiner geschossenen Tore? Was die Leute aber mit ihrem eigenen Körper für ihre eigenen Zwecke anzustellen hätten, zählt hierzulande überhaupt nicht. Gesundheit - und das heißt eine intakte, strapazierfähige Arbeitskraft - ist ihr einziges ,Kapital", das sie für ihren Lebensunterhalt dem wirklichen Kapital zum Verbrauch überlassen müssen. Das ist wirklich sehr ungesund.