Kassen, Arzt und Kosten



Gesundheit ist keine Ware; aber mit Krankheiten lassen sich beste Geschäfte machen; und hunderttausend Ärzte, Apotheker und Pharma-Fabrikanten beweisen, daß Heilkunst und Profit bestens zusammenpassen: Gemeinsam regieren sie ein Gesundheitswesen, das sich um sonst nichts kümmert, nicht einmal um Klassenfragen. Ist jetzt die Gesundheit der letzte Zweck der Veranstaltung oder das Geschäft - oder keins von beiden? - Gesundheit praktisch.

Wenn die Leistungen der Medizin an die leidende Menschheit verabreicht werden, braucht keiner der Beteiligten sich darüber im klaren zu sein, geschweige denn praktisch in Rechnung zu stellen, warum es da immer so viel zu heilen, zu lindern und zu Tode zu pflegen gibt und wozu die ,,Leistungesellschaft und ihr Sozialstaat sich ein Gesundheitswesen leisten. Die Abstraktion von jedem gesellschaftlichen Zweck der Sache, insbesondere vom volkswirtschaftlichen Nutzen - im Unterschied zu den sorgfältig beobachteten volkswirtschaftlichen Kosten -, gibt sich bei Gelegenheit sehr idealistisch, als blinde Güte des Sozialstaats: Jeder kriegt alles Nötige; selbst die Rentner werden nicht vergessen - ein Dementi des faschistischen Euthanasiegedankens, das jedem demokratischen Sozialpolitiker, offenbar nicht von ungefähr, als Selbstlob einfällt. Abstrahiert wird damit freilich auch von der Hauptsache, daß nämlich die Zufuhr von Gesundheit der Fortführung gesellschaftlicher Lebensverhältnisse dient und nützt, deren Notwendigkeiten ohne das nicht auszuhalten und deren Leistungen ohne es nicht zu erbringen sind. Die gesamte Gesundheitsindustrie mit ihren -zigtausend frei praktizierenden Handwerkern und allem drum und dran ist ein Dienstleistungsunternehmen für den Kapitalismus mit seiner ruinösen Lohnarbeit, seinen gewinnstiftenden Giftstoffen usw.; sie dient dessen erfolgreicher Fortführung; ihre medizinischen Fortschritte macht sie als treuer Diener an den Fortschritten kapitalistischer Ruinierung der Leute. Das ist Grund und Zweck der modernen Medizin und ihrer organisierten Verabreichung. Die Abstraktion von dieser Wahrheit ist nicht bloß Medizinerideologie. Sie ist organisatorisch realisiert: Die Gesundheitsversorgung ist eine Welt für sich, die, professionell gleichgültig gegen Gründe und Zwecke, sich nur an ihren eigenen immanenten Gesichtspunkten - des medizinisch Indizierten und des Geschäfts damit - orientiert und außer den Unterteilungen im Krankenhaus; keine Klassen kennt. Die Mitglieder der wirklichen Klassengesellschaft werden so zur medizinischen Wiederaufarbeitung entgegengenommen, wie sie zugerichtet sind; und nur darum wird sich gekümmert. So ist das Gesundheitswesen gerade in seiner gewollten und durchorganisierten Abgetrenntheit und Eigenbrötelei total funktional für seine kapitalistischen Dienste . Wenn also die Leistungen der Medizin verabreicht werden, dann ist die Krankheit als Privatangelegenheit des Patienten definiert, für deren Bewältigung ihm Hilfe zuteil wird. Die zugeteilte Hilfe ihrerseits ist als Geschäftsartikel eigener Art organisiert: nicht eigentlich als Ware, aber doch als Mittel eines zweckmäßig-absurden Dreiecksgeschäfts zwischen Kasse, Gesundheitsproduzenten und Krankengut.

Die vom Patienten getrennte Zahlungsfähigl keit als sichere Basis für das sozialpolitisch gewollte und kontrollierte Geschäft mit der Krankheit

Jedes Stück Kampf gegen die Krankheit muß gekauft werden; unser Sozialstaat hat entschieden, daß auch über das Gesundheitswesen grundsätzlich das Geld regiert und nicht irgendein mildtätiger oder brutaler Gesichtspunkt. Als Käufer tritt allerdings nicht der versorgte Kunde auf, sondern dessen Krankenkasse. Das ist für 95% der bundesdeutschen Bevölkerung gesetzlich so verordnet, damit per Zwangskollektivierung die nötige Zahlungsfähigkeit zustandekommt. Sozialpolitiker nennen das ,,Solidarität". Was die Kasse kauft vom Geld ihrer Beitragszahler, die Definition des Artikels ,,Kampf der Krankheit", bleibt grundsätzlich den Geschäftsleuten überlassen, die solche Leistungen anbieten. Der freiheitliche Sozialstaat macht sich nicht zum Anwalt, geschweige denn Garanten einer bestmöglichen oder auch nur wirksamen und noch nicht einmal einer preiswerten Krankenversorgung. Was die Preise betrifft, so läßt der Sozialstaat bei den Gütern des Krankheits- und Gesundheitsbedarf den Warenanbietern freie Hand u nd sorgt bloß dafür, daß bei Arzneimitteln die festgelegten Preise auch respektiert und nicht durch konkurrenztüchtige Apotheken unterboten werden. Was die ärztlichen Leistungen betrifft, so handeln die Kassen mit dem Rechtsvertreter aller zugelassenen Ärzte, der Kassenärztlichen Vereinigung, Punktwerte für alle ärztlichen Handlungen und Geldbeträge für die Punkte aus - bis hin zu solch schönen Unterscheidungen. daß die Versorgung einer ..kleinen Wunde", definiert als unter 3 cm, 4 cm und 1 cm', l0 Mark bringt, die einer größeren 16 Mark. Mit den Krankenhäusern vereinbaren die Kassen jährlich einen Pflegesatz pro Bett und Belegungstag, bei dessen Ermittlung alle möglichen Gesichtspunkte Berücksichtigung finden: das Angebot an diagnostischer und therapeutischer Technologie, die Personalkosten, der durchschnittliche Auslastungsgrad der Klinikbetten - und das Verhandlungsgeschick des Budgetdirektors der Klinik. Insoweit funktioniert das Beitragsaufkommen der Kassen als staatlich garantierter Selbstbedienungsladen für die Geldbedürfnisse aller, die in Sachen Krankheit unterwegs sind, vom Kassenarzt bis zum katholischen Pflegeschwesternorden. Weil das so ist, erläßt der Sozialstaat das einschränkend gemeinte Gebot der Wirt chaftlichkeit und Sparsamkeit für Ärzte und Krankenhäuser und stattet die Krankenkassen mit einem Kontrollinstrument aus, das, blind und äußerlich, weniger auf eine Senkung als auf eine Nivellierung der einschlägigen Verdienste hinwirkt: Für jede Fachrichtung unter den Kassenärzten wird ein besonderer Durchschnitt der verschiedenen Arten von kostentreibenden Leistungen, von Arzneimittelverordnungen usw., sowie der Leistungen pro Krankenschein überhaupt errechnet; mit diesen Durchschnitten werden die entsprechenden Daten jedes

einzelnen Kassenarztes dieser Richtung verglichen; Abweichungen nach oben, die über eine gewisse Toleranzgrenze hinausgehen, werden abgemahnt und u.U. mit Regressen ,geahndet". Ob die Sachen, die da mit den Kassen abgerechnet werden, im allgemeinen und im besonderen medizinisch vernünftig sind, ist Sache der Diagnose- und Therapiefreiheit der Ärzte und geht die Kassen nichts an. Worum es geht, das ist der - vom obersten Verwaltungsgericht bestätigte - Grundsatz einer höchst relativen Sparsamkeit: daß

,die überwiegende Mehrheit der in Betracht kommenden Kassenärzte wirtschaftlich handelt und somit eine erhebliche Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit in sich bergen muß.'

Mit den Krankenhäusern rechten die Kassen nicht um einen Durchschnitt; da erkennen sie die je besondere Ausstattung als Argument für eine ,,individuelle" Pflegesatzregelung an. Der Gesichtspunkt der Sparsamkeit macht sich da, neben den nötigen Verhandlungen ums Klinikbudget, in der Weisung an die Kassenärzte geltend, nur im wirklichen Bedarfsfall eine Einweisung vorzunehmen, und dem Verbot für die Kliniken selbst, andere als Notfallpatienten ohne solche Einweisung aufzunehmen. Außerdem wird bislang noch unterschieden zwischen heilbaren Kranken, die der Kasse zur Last fallen, und unheilbaren Pflegefällen, für die die Sozialhilfe aufzukommen hat; eine Unterscheidung, die freilich dem behandelnden Arzt überlassen bleibt.

Den Gesundheitsproduzenten gegenüber sind die Kassen also auf die Aufgabe festgelegt, regelrechte Pfründen zu schaffen. Als Unternehmen mit eigenen Budgetgesichtspunkten dürfen sie sich dafür an ihren Klienten schadlos halten; erstens als Beitragssammler mit der (schon erklärten) Befugnis, von der Quelle weg soviel Geld einzuziehen, wie sie brauchen. Zweitens haben sie sich in sozialstaatlichem Auftrag den Patienten gegenüber wie eine Art Aufsichtsbehörde aufzuspielen, die jeder denkbaren Berechnung, im Maße der eigenen Beitragsleistung auch etwas zu bekommen, entgegenwirkt, ganz gleich, ob es solche Kalkulationen praktisch überhaupt gibt oder nicht. Das Mittel dieser dezenten Kontrolle ist bislang ,,bloß" das Geld: Für alles, was der Doktor verschreibt, hat der Patient die eine oder andere Mark zuzuzahlen; die geplante Reform soll dieses Instrument noch schärfen. Der Patient wird so ein Stück weit für Kosten haftbar gemacht, über die er gar nicht zu bestimmen hat - es sei denn, er geht erst gar nicht zum Arzt; womöglich kommt über einen solchen Effekt ja tatsächlich ein bißchen ,Kostendämpfung" zustande. Noch schöner ist die andere Reformidee einer elektronischen Buchführung über sämtliche Gesundheitsleistungen, die ein Kassenmitglied sich im Laufe seines Lebens ergattert, mit Kontroll- und Abmahnungsinstanzen für kostspielige Fälle: Offenbar schwebt den Gesundheitsfunktionären hier das Ideal vor, nicht bloß die Ärzte, sondern noch viel wirksamer die Patienten auf einen Kostendurchschnitt zu nivellieren. Was auch immer sonst dabei herauskommt: Ein Kampf gegen das Anspruchsdenken ist das schon - passenderweise bei denen, wo es höchstens ideell vorhanden ist, weil von einem Geschäft mit der Krankheit am allerwenigsten die Rede sein kann.

Das medizinische Geschäftsleben - eine harmonische Einheit von Helfen und Kasse machen

Der Doktor und sein Krankenschein

Die Hauptfigur im medizinischen Geschäftsleben ist der Kassenarzt. Mit dieser Figur hat das bundesdeutsche Gesundheitswesen einen perfekten Zwitter gezüchtet. Denn ein Kassenarzt handelt immer doppelt, nach zwei gleichrangigen, ganz heterogenen Gesichtspunkten, von denen jeder so seinen Widerspruch enthält. Zum einen behandelt er seine Patienten nach allen Regeln der medizinischen Kunst, was selbst keine glatte Sache ist. Er bringt zur Anwendung, was er gelernt und behalten hat und was es in Form von Diagnosegeräten und Therapiemitteln als vergegenständlichtes medizinisches Wissen auf dem Markt gibt. Wie gut beides ist und zusammenpaßt, geht sonst niemanden etwas an und entscheidet auch nicht darüber, wieviel Kundschaft sich regelmäßig bei ihm einstellt. Denn erstens ist sein Wissensvorsprung allemal groß genug, um ihn für gebildete Zeitgenossen zur Autorität zu machen, der man aus ganz anderen Gründen als solchen der Einsicht traut oder nicht; zweitens ist kein so durchgreifender Erfolg der ärztlichen Bemühungen zu befürchten, daß den Kassenärzten der Nachschub ausginge. Die Praktiker machen dauernd die - nur für Idealisten deprimierende Erfahrung, daß sie mit ihren Therapien in der Regel der Verschlimmerung des Leidens hinterherlaufen. Im Normalfall macht dieser Befund die Ärzte illusionslos gegenüber ihrem Metier und kritisch - gegen ihre Patienten, in deren Lebensführung sie die unmittelbare Schranke für ihre therapeutischen Bemühungen finden. Denn soviel haben sie aus ihrem Medizinstudium über die .Risikofaktoren" allemal behalten, daß man da vor allem zwischen den vermeidbaren und den unvermeidlichen unterscheiden muß. Zur ersten Gattung gehört auf jeden Fall alles, was die kleine Freiheit des modernen Menschen ausmacht; also greift der Arzt hier auch in seiner Eigenschaft als Autorität ein und macht den Patienten mit den Pflichten bekannt, die er gegen seine Gesundheit hätte. Es gehört zum professionellen Konformismus des Berufsstandes - und nicht zur Abteilung Geschäftstüchtigkeit -, daß die Abschaffung der Lohnarbeit nicht in diesen medizinischen Pflichtenkatalog gehört. Das ist mit dem Rat, ,,sich zu schonen", nie gemeint. Vielmehr geht es in dieser wohlwollenden Empfehlung um den Imperativ, die Freizeit auf den Dienst an der Gesundheit und auf kompensatorische Anstrengungen zu ven?renden. Medizinisches Wissen geht da ganz zwanglos in den bürgerlichsten Moralismus über. Wenn so ein fertiger Arzt zu allem Überfluß auch noch politisch räsonniert, dann fände er mehr staatlichen Zwang zur ,,Vernunft" in Gesundheitsdingen eigentlich nötig und eine finanzielle Bestrafung des Krankwerdens durchaus wohltuend. Gleichzeitig weiß ein praktizierender Mediziner sich allerdings unzuständig für solchen medizinischen Rigorismus; sein moralisches Verhältnis zu den Kranken wird, ebenso wie sein im engeren Sinn fachlich-medizinisches, durch seine zweite Natur als Geschäftsmann gemildert. In dieser Eigenschaft behandelt der Kassenarzt den Patienten als Abrechnungsfall. Zu jeder diagnostischen und therapeutischen Maßnahme weiß er auswendig den punktwert, den er geltend machen kann, wie auch den, den er nicht überschreiten darf; und sein medizinisches Expertentum versorgt ihn inwendig mit lauter guten Gründen dafür, seine Patienten genau so zu behandeln, wie sie in seine Geschäftsbeziehungen mit der Kassenärztlichen Vereinigung hineinpassen, samt Überweisung an einen Spezialisten, dessen Dienste das eigene Punktekonto an einer empfindlichen Stelle entlasten können. Ganz von selbst ergibt es sich, daß die vom Arzt aufgestellte Diagnose sich - ohne medizinisch verkehrt zu werden - darin bewährt, die Leistungen zu begründen, die er auf den Krankenschein schreiben und abrechnen will. Der Obergang zum Betrug ist da naturgemäß fließend. Natürlich werden Leistungen, für die bezahlt wird, erbracht, damit bezahlt wird. Dieser Gesichtspunkt hat u.a. den technischen Fortschritt in den Arztpraxen enorm beflügelt, bis den Kassen solche technologischen Leistungen, die hoch bewertet waren, als sie noch seltener und die Apparate dafür teurer waren, zu zahlreich geworden sind und eine Umwertung aller Punktwerte zugunsten einer mehr mitmenschlich-gesprächsweisen Diagnose und Therapie ausgehandelt wurde. Alle diese Verdienstmöglichkeiten muß der Arzt als Geschäftsmensch natürlich in ein kritisches Verhältnis zum Investitions- und Behandlungsaufwand setzen; und das ist wieder ein kleiner Widerspruch mit Folgen. So versteht sich z.B. die neueste Technologie auch wieder nicht von selbst - frühere Patienten haben die alten Apparate schließlich auch ausgehalten. Insgesamt teilt sich der Patient recht antagonistisch auf in den Krankenschein-Lieferanten, als welch er er immer gut ist, auch wenn nicht viel darauf abzurechnen ist - senkt den Durchschnitt, erlaubt höhere Abrechnungen bei anderen Patienten, die es nötig haben, und in die leidende Kreatur mit Anspruchshaltung, als welche er letztlich bloß stört, Behandlungszeit okkupiert, Personal kosten nötig macht und überhaupt den Aufwand in die Höhe treibt. Immerhin hilft dem Arzt da die Figur der schlechtbezahlten Arzthelferin recht gut weiter, die den praktischen Beweis führen darf, wieviele ärztliche Tätigkeiten keineswegs eine akademische Vorbildung brauchen. Vor allem aber sorgt eine gut geführte Praxis dafür, daß der Gegensatz zwischen Aufwand und Ertrag am Patienten bewältigt wird, der sich vom Arzt die Ansprüche sagen lassen soll, die er sinnvollerweise zu stellen hat. Neben folgsamem Krankengut trifft der Arzt hier immer wieder auf Experten der eigenen Symptomatik, die sich nicht einmal etwas wirklich Vernünftiges einreden lassen ...

Das Krankenhaus und seine Finanzreform: Mit Überschüssen zu mehr Sparsamkeit

Die Krankenhäuser sind durch das Gesetz zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung von 1985 auch ganz offiziell als Gewerbebetriebe zur Gewinnerzielung anerkannt worden. Bis dahin hat das Prinzip der Kostenerstattung, also der nachträglichen Abrechnung des geleisteten bzw. nachweisbaren Aufwands mit den Kassen gegolten. Das Anliegen der diversen Träger freie und gemeinnützige Gesellschaften, Kirchen mit ihren Orden, Berufsgenossenschaften und ,,Öffentliche Hände" -, ein bißchen Profit herauszuholen, mußte sich in entsprechende Kostenbelege einkleiden. Nach der neuen Regelung müssen die Klinikträger jährlich im Voraus ihre Kosten kalkulieren und als Pflegesatz pro Patient und Tag mit den Kassen vereinbaren ; ,Überschüsse, die bei wirtschaftlicher Betriebsführung entstehen, sollen dem Krankenhaus verbleiben; vom Krankenhaus zu vertretende Verluste sind von ihm zu tragen" (SS 17(1)).

Der Sozialstaat will so ,,verstärkte Anreize für eine sparsame und wirtschaftliche Betriebsführung schaffen" (Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Grundzuge des Gesetzes zur Neuordnung der Krankenhausfi- j nanderung, S. 14), was mit einer Verbilligung des nationalen Klinikwesens zwar durchaus verwechselt werden soll, aber weder im Ergebnis - die Krankenhauskosten sind unter den Ausgabeposten der Krankenkassen weiterhin überproportional gewachsen - noch im Prinzip damit zusammenfällt. Denn das wäre ja das Allerneueste im Kapitalismus, daß die ,,Zulassung von Gewinnchancen und Verlustrisiken" (ebd.) automatisch die Kosten senken würde, die das Unternehmen seinen Kunden in Rechnung stellt. So ist auch das Verfahren der Pflegesatzvereinbarung weder gemeint noch wird es so praktiziert, daß Krankenhausleistungen verbilligt oder gar gestrichen würden. Alles, was das Haus zu bieten hat, steigert den Pflegesatz. Und selbstverständlich übertreibt jeder Klinikdirektor den Umfang der gebotenen Leistungen und das Maß der anfallenden Kosten, um keine Verluste zu riskieren. Deswegen finden sich auch andauernd im Gesetzestext weitere Ermahnungen zu einem sparsamen Geschäftsgebaren und die zitierte Einschränkung, nur ,,Überschüsse, die bei wirtschaftlicher Betriebsführung entstehen", dürften dem Krankenhaus verbleiben. Diese Bestimmungen reflektieren darauf, schließen aber keineswegs aus - und können das auch gar nicht -, daß jeder Krankenhausträger die neuen ,,Anreize" zum Gewinnemachen und Verlustevermeiden natürlich zuallererst als Nötigung begreift, sich ein möglichst hohes Budget zu erstreiten.

Sparsamkeit findet dort statt, wo sie kapitalistisch hingehört, nämlich ein Mittel zur Erzielung und Vergrößerung von Überschüssen ist; also erstens in der Zahl und bei der Bezahlung des Personals. Die Tarife für Pflegekräfte sind bekanntermaßen kärglich, und es werden notorisch zu wenige eingestellt; je frömmer der Krankenhausträger, um so zynischer nutzt er die Moral sei. ner Dienstkräfte aus, die nun einmal nicht eher Schluß machen, als bis jeder Patient versorgt ist, und sich dafür mit einer gesunden Abneigung gegen ihre Kranken schadlos halten. Auch der Ärztenachwuchs ist mittlerweile so zahlreich, daß die Konkurrenz um Stellen für die vorgeschriebenen Ausbildungsschritte, insbesondere zum Facharzt, den Klinikträgern einige Frechheiten erlaubt: Halbe Stellen werden geboten, Vollzeitarbeit und Überstunden werden verlangt. Die Motivation bleibt hier dadurch erhalten, die die nachwachsenden Mediziner an ihren Chefärzten die Einkünfte aus priva- ter Liquidation, die nur zu einem Bruchteil zur Finanzierung des Krankenhauses herangezogen werden , bewundern und meist auch ein wenig daran teilhaben dürfen. Daß ein paar Jahre lang an ihnen gespart wird, rüstet die Ärzte mit dem guten Gewissen aus, mit dem sie dann später an gar nichts sparen, was ihr Einkommen mehrt . Die andere Gelegenheit zur Sparsamkeit sind die Patienten. Das betrifft in der Regel nicht ihre medizinische Verarbeitung; die bringt ja Geld von den Kassen. Die gesamte übrige Versorgung betrifft es aber durchaus: perfekte medizinische Technologie geht mit miserablem Es sen einher, das jeder Mahnung zu ,,gesundem Leben" Hohn spricht. Ansonsten sind die Kranken Gegenstand einer hauseigenen Bettenbelegungspolitik, deren Winkelzüge sie mal in Form endloser Wartezeiten bis zur Aufnahme, mal in Form langer Aufenthaltszeiten bis zur Entlassung zu spüren kriegen.

Der Sozialstaatsbürger zwischen Beitragspflicht und systemkonformen Anspruchsdenken

Im Mittelpunkt des gesamten demokratischen Gesundheitswesens steht natürlich, finanzschwach und kränklich, der Mensch.

Daß er und seinesgleichen den gesamten Zirkus bezahlen, braucht ihn insoweit nicht weiter zu stören, als er das Geld, das ihm fehlt, vorher ja gar nicht erst gekriegt hat. Und wenn er im Krankheitsfall noch extra zur Kasse gebeten wird, bekommt er als Gegenleistung den Trost, so würde der übermäßigen Inanspruchnahme von Kassengeldern durch solche Typen wie ihn entgegengewirkt.

Für sein unfreiwilliges Interesse an Gesundheit hat er das freie Geschäftsinteresse der Ärzte und Krankenhäuser auf seiner Seite; sonst freilich nichts. Als abhängige Variable des kassenärztlichen Punktesystems, der Pflegesatzordnung und der Bettenbelegungspolitik der Krankenhäuser kommt er zu seinem Recht. Für dessen Wahrnehmung darf er sich sogar den Doktor aussuchen, der ihm am besten gefällt. Auf ihn, den Menschen, kommt schließlich auch die öffentlich wie privat gestellte Frage nach den Krankheitsursachen zielstrebig zurück. Denn eins ist sicher: Kein Exemplar dieser Gattung lebt so, daß es nicht noch gesünder leben könnte. Das soll jeder als Vorwurf verstehen, seine Vergnügungssucht bremsen und sich um seine Fitness kümmern, daß sich die Bänder dehnen. So bleibt er mit seinem Verschleiß der konstruktiv an sich arbeitende nützliche Idiot seiner Klassengesellschaft. Und damit erfüllt er den Begriff der Volksgesundheit, wie der moderne Sozialstaat sie will und die er sich ein paar Gesetze, sein Volk die nötigen Milliarden kosten laßt: willig, verschlissen und leistungsfähig.