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I.

In der Marktwirtschaft wird gearbeitet, nicht um die Menschheit mit der benötigten Vielfalt von Gebrauchsgütern, mit materiellem Reichtum zu versorgen, sondern um Geld zu verdienen. In dieser ökonomischen Zielsetzung, Eigentum in Geldform zu erwerben, sind sich die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft über alle Standesgrenzen und Klassenschranken hinweg einig. Denn für alle gilt unterschiedslos, daß die Befriedigung von Bedürfnissen nicht allein vom Vorhandensein nützlicher Dinge, sondern von einem ausschließenden Verfügungsrecht darüber abhängt - vom Eigentum. Als Eigentum nämlich: als dem materiellen Bedürfnis nach ihnen erst einmal entzogene Objekte einer privaten Verfügungsmacht, kommen die benötigten Arbeitsprodukte in die Welt.
Deswegen entscheidet sich für die Mitglieder dieser egalitären Gesellschaft des Geldverdienens ökonomisch alles daran, ob sie schon Geld haben oder erst welches verdienen müssen. Wer nämlich arbeiten muß, um ein Stück Eigentum zu erwerben, weil der materielle Reichtum der Gesellschaft schon anderen gehört, der braucht jemanden, der Geld hat und ihn für seine Arbeit bezahlt. Und der ist folgerichtig damit konfrontiert, daß seine Arbeit nur sehr bedingt sein Mittel ist, um an wohlverdientes eigenes Geld heranzukommen, das ihm ein bißchen Zugriff auf die Warenwelt gestattet. Um ihm diesen Dienst zu tun, muß sich seine Arbeit unbedingt als Mittel seines Geldgebers bewähren - für dessen gleichlautenden Zweck. Wer für Geld arbeitet, dient dem Eigentum also gleich doppelt: dem eigenen und einem fremden. Umgekehrt umgekehrt: Wer in der Marktwirtschaft genügend Geld hat, der ist in der Lage, ein Geldeinkommen in fremden Händen zu stiften und durch die gekauften Dienste sein Eigentum zu vergrößern.
Beide Seiten zählt die Marktwirtschaft in ihrer unverwüstlichen Gleichmacherei zu ihren "Erwerbstätigen". Dennoch ist sich jeder im Klaren über die unterschiedlichen Leistungen der Arbeit, die die einen "geben" und die andern "nehmen". Sie schafft Eigentum, das dasjenige vermehrt, das es schon gibt; dem Arbeiter verschafft sie ein Geld, das ihn nie zum Eigentümer in dem Sinn werden läßt. Wo für Geld gearbeitet wird, da dient eben nicht das Geld der Arbeit als nützliches Hilfsmittel, sondern die Arbeit dem Geld als dessen Quelle. Was in der Marktwirtschaft aus der Arbeit wird, ist daher ausschließlich durch den Gebrauch bestimmt, den das als Kapital agierende Eigentum von ihr macht.

1.

Ginge es im Wirtschaftsleben der Nationen darum, daß die Menschen sich mit minimalem Aufwand optimal versorgen, dann würde die Bedarfslage ermittelt und eine für die Bereitstellung der notwendigen und wünschbaren Güter zweckmäßige Arbeitsteilung organisiert. Alle ökonomischen Probleme wären solche der Arbeitsorganisation, der passenden Technik und des reibungslosen Güterverkehrs; intelligente Menschen, die in der herrschenden Marktwirtschaft die absurdesten und kompliziertesten "Produktions-" und "Absatzstrategien" planen und durchführen müssen, hätten nur noch die vergleichsweise geringfügige Frage zu beantworten, wie ein gesellschaftlicher Reichtum menschenschonend herzustellen und all gemein verfügbar zu machen ist. Kein Mensch würde problematisieren, ob "das überhaupt geht", weit der gesellschaftlich gesetzte Zweck die Antwort ist.1)
In der Marktwirtschaft geht es anders zu - und übrigens fragt niemand, "ob das geht", geschweige denn, daß ein Zweifel an der geltenden gesellschaftlichen Zwecksetzung laut würde, bloß weil das, worum es allen geht, für ganz viele Leute überhaupt nicht in Erfüllung geht. Da geht es darum, Geld zu verdienen, und zwar möglichst viel. In diesem Ziel verstehen sich alle Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft bestens; "Einkommensschwache" und "Besserverdienende", Mittelständler und Gewerkschafter, Kapitalisten und Beamte sind sich einig und finden es das Natürlichste von der Welt, daß gearbeitet und gewirtschaftet, produziert und gedienstleistet wird, um an einen Lohn, einen Erlös, ein Honorar, ein Gehalt kurzum: an Geld zu kommen.2) An was sie dann mit ihrem Geld kommen, das ist allein ihre Sache. Denn im Geld verfügen sie über ein Stück reale Freiheit: über die -freilich begrenzte - Möglichkeit aller Genüsse, über Mittel des Zugriffs auf eine unerschöpfliche Warenwelt. Das ist die gute Seite, die jeder am Gelderwerb schätzt.
Mit der Kehrseite machen die Erwerbstätigen, jedenfalls in ihrer übergroßen Mehrheit, freilich auch sehr rasch Bekanntschaft: Wenn die Geldsumme aufgebraucht ist, ist es auch mit dem freien Zugriff vorbei. Vorhanden sind die begehrten und benötigten Güter nach wie vor; nur verfügbar sind sie nicht. Die im Geld gewährte Möglichkeit der Befriedigung aller Bedürfnisse ist noch lange nicht die wirkliche auch nur eines einzigen.
Dieser Unterschied hat seinen quantitativen Aspekt und ein Prinzip. Geltend macht er sich in den Grenzen der verdienten Geldsumme, so daß alle Probleme sich praktisch in das eine auflösen: mehr zu verdienen. Was sich in dieser Haupt- und Generalnotwendigkeit des Daseins in der Marktwirtschaft geltend macht, ist die peinliche Eigenart dieser Wirtschaftsweise, daß alles, was der Mensch so braucht an hergestellten Gütern, zwar hergestellt, aber nicht verfügbar ist: Das Eigentum scheidet die Produkte von denen, die sie benötigen. Dafür werden die Produkte überhaupt bloß hergestellt: um Kaufleuten zu gehören, die sie nicht selber brauchen und verbrauchen wollen, und um denjenigen, die darauf angewiesen sind, vorenthalten zu sein. Denn nur so kommt es flächendeckend zu der ökonomischen Operation, nach der die Marktwirtschaft ihren Namen hat: Geld muß den Eigentümer wechseln, damit die Ware dahin kommt, wo einer sie braucht. Das hat sich keiner so ausgedacht, als trickreiche Methode der Warenverteilung womöglich. Es ist umgekehrt: Was produziert wird, ist Eigentum, also der nützliche Gegenstand bloß als Objekt einer ausschließenden Verfügungsmacht, einer Verfügungsmacht, die an ihrem Objekt gar nicht hängenbleiben will, sondern zur davon getrennten, abstrakten Zugriffsmacht werden soll: zur puren Privatmacht, die im Geld ihre quantitativ bemessene Realität hat. Deswegen kann das hergestellte Objekt gar nicht anders an die, die es brauchen, "verteilt" werden als auf dem Wege des Verkaufs, der den Zweck der Produktion erst definitiv verwirklicht, obwohl das Produkt in seiner materiellen Gestalt längst fertig ist. Auf diese materielle Gestalt kommt es eben nicht an, oder nur als Mittel zum Zweck; was in dieser Gestalt eigentlich produziert wird, ist das damit zu erlösende Geld: was die Sache für ihren Besitzer wert ist. Deswegen ist mit der Güterproduktion die Sache nicht fertig, die Gesellschaft um einige Mittel des Produzierens und Konsumierens reicher geworden und zufrieden; sondern es ist die allgemeine Notwendigkeit etabliert, Geld zu verdienen, wie und womit auch immer, um sich die produzierten Dinge aneignen zu können: ohne Kauf keine Benutzung. Die produktive Arbeit selbst ist ganz getrennt und unabhängig von dem, was sie schafft, als eine Variante von Arbeit, als Erwerbstätigkeit eben definiert, die auch erst übers verdiente Geld Zugriff auf die produzierten Güter verschafft. Grundsätzlich und radikal trennt das Eigentum zwischen der Produktion von Reichtum und der Verfügung über Gebrauchsgüter, scheidet zwischen Arbeit und Nutzen wie auch zwischen Nutzen und Bedürfnis und setzt sich als die bestimmende Größe in alle diese Gleichungen ein, die es zu Ungleichungen macht: Jede Arbeit ist auf Eigentum aus, weil jeglicher Nutzen im Eigentum liegt. - Das gilt heute als die erste Selbstverständlichkeit der ökonomischen Vernunft.
Mit der Zwangsgleichung von Nutzen und Eigentum legt sich eine eigentümliche Logik über die ökonomischen Aktivitäten der darunter subsumierten Gesellschaft. Sie betrifft zum einen die Hierarchie der Bedürfnisse, die sich daraus ergibt, daß der private Geldbesitz über ihre Befriedigung entscheidet: Formell kommt nichts als die private Vorliebe zum Zuge, zwar innerhalb der Grenzen des erworbenen Eigentums; doch wie sich einer das Seine einteilt, ist Privatsache.3) Materiell wird jeder Bedarf zur abhängigen Variablen der privaten Kaufkraft, und es gibt, solange diese Wirtschaftsweise Bestand hat, stets von neuem in unterschiedlichen Größenordnungen das "unvermittelte Nebeneinander von Armut und Reichtum" zu bestaunen. Entsprechendes gilt für das, was man "gesellschaftliche Arbeitsteilung" nennt: Ganz ohne Zweifel wird in der Marktwirtschaft "gesellschaftlich" produziert; die hergestellten Waren sind nicht zur Selbstversorgung, sondern zum Verkauf und insofern für den allgemeinen Bedarf bestimmt. Der notwendige Zusammenhang der verschiedenen Produktionszweige folgt aber nicht dem sachlichen Verhältnis, in dem sie als gesellschaftliche Teilarbeiten zueinander stehen, sondern resultiert aus dem negativen Verhältnis von Privateigentümern zueinander, die einander jede planmäßige Kooperation verweigern, sich als zahlende Kunden hingegen brauchen. Für den nötigen Kontext sorgt also die Privatmacht des Geldes; wenn die gründlich genug gewirkt hat, dann sieht das Ergebnis glatt wie ein sinnreiches Zusammenspiel der produktiven Marktteilnehmer aus.4) Aus der Zweckbestimmung jeder marktwirtschaftlichen Tätigkeit, dem Gelderwerb zu dienen, folgt schließlich drittens ein einigermaßen abartiges Verhältnis zur Arbeit: Die rangiert in der marktwirtschaftlichen Ökonomie gar nicht als die Mühe, die sie ist und bleibt, als Aufwand, den man sich nach Kräften erleichtert, sondern wird selber zum Zweck; denn sie schafft ja Eigentum in dem Maße, in dem sie stattfindet; ihr Nutzen bemißt sich nicht an dem Produkt, das sie zustandebringt, sondern am verdienten Geld und insofern auf allen Einkommensstufen an ihrer Menge. Mit der Schaffung wirklichen, jedermann verfügbaren Reichtums wäre eine arbeitsteilig durchorganisierte Gesellschaft irgendwann, beim längst erreichten Stand der Produktivkräfte sogar sehr rasch fertig; die Erwerbsarbeit hingegen hört im Prinzip nie auf: Das Interesse, daß sie stattfindet, ist unersättlich.5) Der "Gesichtspunkt", um den die Leute, die das Produzieren zu erledigen haben, praktisch gar nicht herumkommen, daß sie damit nämlich sich verschleißen und ihre Lebenszeit opfern, spielt in der Logik des Gelderwerbs keine Rolle - ein erster Hinweis, daß diese Leute jedenfalls nicht die Nutznießer der Marktwirtschaft sind und das Eigentum nicht ihnen zu Gefallen als Zweck der Arbeit eingerichtet worden ist.
Die allgemeinverbindliche Gleichung von Nutzen und Eigentum geht folglich allgemein und verbindlich nur in dem negativen Sinn auf, daß jeder Nutzen vom erworbenen Eigentum abhängt. Damit sie positiv aufgeht, das erworbene Eigentum wirklichen Nutzen garantiert, muß die Quantität des verfügbaren Privatvermögens schon eine ganz bestimmte Qualität erreichen.

2.

Wo gearbeitet wird, um Geld zu verdienen; wo die produktiven Tätigkeiten, die den Reichtum der Gesellschaft schaffen, mit ihren Produkten gar nichts weiter zu tun haben, weil es überall nur um das eine Produkt, nämlich den Gelderwerb geht; wo diese Zwecksetzung so zur Selbstverständlichkeit verfestigt ist, daß umgekehrt jede Tätigkeit, die Geld bringt, "Arbeit" heißt - bekanntlich gehen Minister. Künstler und Börsenmakler ebenso "zur Arbeit" wie diejenigen, die den Beruf des "Arbeiters" ergriffen haben - und niemand da prinzipielle Unterschiede kennen will; da kommt es auf einen einzigen Unterschied an und auf den um so mehr: ob einer bereits Geld hat oder nicht.

Die Leute, die die Arbeit leisten, haben gleichfalls, was sie wollten und brauchen, nämlich ein eigenes Geld in der Hand. Nur handelt es sich bei ihrem Eigentum mangels Größe um eine wenig haltbare Angelegenheit. Kaum verdient, muß es schon wieder ausgegeben werden, um die notwendigen Lebensmittel zu beschaffen - fließt also im wesentlichen an kapitalistische Unternehmer zurück, die damit den Wert ihrer Ware in Geld realisieren. Denn nichts von dem, was sie selber hergestellt haben, steht den Arbeitern zu Gebote; sogar ihre eigenen Produkte müssen sie sich erst gegen Geld aneignen, also von ihrem Lohn kaufen, wenn sie sie benutzen wollen. So bleibt das Eigentum für sie Ausschluß von dem Reichtum, den sie selbst produzieren; negative Bedingung ihres Nutzens, der sie sich beugen müssen, um leben zu können, eine fremde Verfügungsgewalt über ihre Arbeit, die sie mit ihrer Arbeit beständig reproduzieren und vergrößern.
Es ist - nicht unwichtig zu bemerken - ein und dieselbe marktwirtschaftliche Gleichsetzung von Geld und Bedürfnisbefriedigung, Nutzen und Eigentum, die für zwei verschiedene Seiten in so entgegengesetztem Sinn aufgeht. Wenn für Geld oder gar nicht! -gearbeitet wird, dann geht es eben nicht um die Versorgung aller mit wirklichem, sondern um den abstrakten Reichtum. Dann disponieren nicht die Arbeiter über die Erträge ihrer Arbeit, sondern die im Geld existierende private Macht des Eigentums kommandiert Arbeit und Arbeiter. Dann verfügen nicht die Leute ohne Geldvermögen über einen bequemen Verteilungsmechanismus, wenn sie als Ertrag ihrer Arbeit einen Lohn nach Hause tragen bzw. ein Entgelt überwiesen kriegen, sondern es wird schon gar nichts anderes produziert als Eigentum: ein Reichtum unter der verbindlichen Vorgabe, daß er denen, die ihn schaffen, erst gar nicht gehört. Worin sonst könnten denn auch die ökonomischen Leistungen von Geld und Eigentum bestehen? Daß die Produktionsmittel ausschließender privater Verfügung unterliegen, trägt zu deren Produktivkraft nichts weiter bei, als zwischen dem materiellen produktiven Gebrauch dieser Mittel, der Arbeit und denen, die sie leisten, auf der einen Seite und der Verfügungsmacht über den Produktionsprozeß mitsamt seinen Erzeugnissen auf der anderen Seite zu scheiden, also zu verhindern, daß Produktionsmittel wie Produkte denen, die die einen benutzen und die anderen benötigen, auch verfügbar sind. Daß verdientes Geld den Zugriff auf ein Stückchen Warenwelt gestattet, ist ein schätzenswerter Vorteil nur unter der Voraussetzung, daß von all den produzierten Gütern erst einmal gar nichts zu gebrauchen ist, eben weil es als fremdes Eigentum in die Welt gekommen ist. Daß sich mit Arbeit Geld verdienen läßt - das zudem immer gleich wieder weg ist: Wozu könnte ein solches Geschäft überhaupt gut sein, wenn nicht dazu, daß die Arbeiter grundsätzlich nicht kriegen, was sie herstellen; statt dessen die andern, die das Geld zahlen? Absurde Vorkehrungen wären das alles und groteske Umständlichkeiten - ginge es darum, Gebrauchswerte zu produzieren und geschickt an die Leute zu verteilen. Dann wird das aber auch nicht der tiefere Hintersinn von Geld, Eigentum und Erwerbsarbeit sein. Deren "Sinn" wird schon in dem liegen, was sie wirklich leisten: Nutzen und Eigentum gleichzusetzen, so daß notwendigerweise die zwei gegensätzlichen komplementären Lösungen herauskommen.6)
Weltfremd sind daher alle Vorstellungen von der Art, die Subsumtion der Arbeit unter das Eigentum könne man dahingestellt sein lassen, weil daran ohnehin nichts zu ändern oder jede Änderung sogar kontraproduktiv sei, die so arg gegensätzlichen Folgen der Herrschaft des Geldes aber wären getrennt davon zu therapieren; am besten durch den Staat, der doch dem gleichmäßigen Wohl aller verpflichtet sei und mit seiner Gewalt übermäßige gesellschaftliche Gegensätze auszubügeln hätte. Weltfremd ist das nicht in dem Sinn, daß der bürgerlichen Welt solche Auffassungen fremd wären - das Gegenteil ist der Fall: Genau so möchte die Marktwirtschaft verstanden sein, als Volkswirtschaft mit einer raffinierten und außerdem freiheitlichen Verteilungsstrategie, von der deren schäbige Wirkungen leicht wegzudenken wären, und als Instanz, die diese Wirkungen tatsächlich ungeschehen macht, empfiehlt sich der soziale Staat. Es ist bloß nicht wahr, und wenn das Vertrauen auf die Zweieinigkeit von Marktwirtschaft & Demokratie darauf insistiert, "es sollte doch" zumindest so sein, dann ist es eingestandenermaßen nicht so.
In der wirklichen Welt setzt die bürgerliche Staatsgewalt noch allemal, bevor sie sich irgendwelchen Folgeproblemen widmet, die systematische Unterwerfung der Arbeit unter den Gelderwerb und die Macht des Eigentums in Kraft, indem sie das Eigentum gesetzlich schützt und mit dem Recht ausstattet, für sich arbeiten zu lassen. Und das Kapital tut, was es kann: Es bemächtigt sich der Arbeit, nämlich ihrer Produktivkraft, als seiner Quelle (II.), benutzt sie zur Steigerung seines Überschusses im Verhältnis zu den Mitteln, die es eben dafür aufwendet, also für seine Profitrate (III.), macht sie haftbar für die Bedienung und Aufrechterhaltung eines Kreditsystems, das von seinen Voraussetzungen in der Profitproduktion, die es einerseits fördert, andererseits überhaupt nichts wissen will (IV.), verwendet sie als Waffe in der internationalen Konkurrenz, was die Staatsmacht als interessiertes Subjekt mit eigenen Erfolgsansprüchen an die Arbeit auf den Plan ruft (V.), und macht sie, auch dies mit staatlicher Unterstützung, aktuell zum Lückenbüßer seiner selbsterzeugten Krisenlage (VI.).

Fußnoten

1 Der Zweifel, den die Frage nach der "Machbarkeit" von planmäßiger Wirtschaft ausdrückt, bezieht sich nämlich nie im Ernst auf die dafür notwendigen Mittel, sondern negiert das Vorhaben unter dem Vorwand, man könnte sich seine Durchführung nicht vorstellen - wie auch, wenn es den gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem ein gescheiter Plan aufzustellen und durchzuführen ist, eine organisierte freie Beratung ohne "ökonomische Sachzwänge", gar nicht gibt, und wenn stillschweigend die Marktwirtschaft mit ihren verdinglichten Zwecken und etablierten Verfahrensweisen, einschließlich der dazugehörigen menschlichen Charaktermasken, als die Szenerie unterstellt wird, in die die Planwirtschaft eingeführt werden sollte. Man muß das Vorhaben einer freien, vernünftigen Organisation der Bedürfnisse und ihrer Befriedigung ja nicht teilen; man sollte aber wenigstens nicht so tun, als wäre man schwer dafür, wenn die Kommunisten bloß nicht immer die praktikablen "Rezepte" und "Modelle" dafür schuldig blieben - die sind wirklich der leichteste Teil, wenn eine aufgeweckte Arbeiterklasse erst einmal weiß, was sie will.
Eine bittere Ironie der Geschichte sei an dieser Stelle noch erwähnt. Der große weltgeschichtliche Anlauf zu einer sozialistischen Planwirtschaft, den seine Veranstalter selbst als Fehlversuch aus dem Verkehr gezogen haben, hat eben den Fehler in die Tat umgesetzt, die kapitalistische Einrichtung der Wirtschaft vom Stundenlohn bis zum Kredit als "die ökonomische Realität' zu unterstellen und, statt den kapitalistischen Zweck darin aufzuspüren, ein Modell zu entwickeln, wie damit arbeiterfreundlicher zu wirtschaften wäre. Mit staatlicher Gewalt geht da natürlich vieles; damit geht ja sogar der richtige Kapitalismus... Als wären sie selber den Zweifel nie losgeworden, ob eine grundsätzlich andersartige Ökonomie "überhaupt geht", haben die regierenden Ostblock-Sozialisten ihrem Machwerk stolz den verräterischen Ehrentitel "real" ausgestellt und einen Sozialismus praktiziert, in dem alle Sachzwänge des Kapitalismus als "ökonomische Hebel" zur trickreichen Bedienung des volkswirtschaftlichen "Apparats" gehandhabt wurden - im Vergleich mit dem kapitalistischen Original mit mäßigen Erfolg, jedenfalls was den der Staatsmacht verfügbaren Reichtum betrifft.

2 Eine fundamentale Kritik an der "Kommerzialisierung aller Lebensbereiche" kennt die bürgerliche Gesellschaft freilich auch. Die zielt entweder auf die Gesinnung der Leute, die sich in diesem System des Geldverdienens zu bewähren haben und weithin scheitern, reklamiert nämlich Bekenntnisse zu höheren Lebensmaximen als den wirklich verbindlichen - und als "Ordnungsprinzipien" auch durchaus anerkannten - Forderungen des geldbezogenen Materialismus. Die Ablehnung des "Mammon" will den Kommerz um einen moralischen Gestus ergänzen, mit dem der einzelne sich bescheinigt, ihm nicht "verfallen" zu sein - die Wechselfälle einer marktwirtschaftlichen Existenz geben ihm reichlich Gelegenheit, die Stichhaltigkeit dieser ehrbaren Haltung zu beweisen. Typischerweise richtet sich diese "Kritik am Kapitalismus" denn auch weniger an die Reichen, die sich Demonstrationen einer auf Edleres gerichteten Gesinnung leicht leisten können, als Stichwort "Sozialneid" - an Leute, die ihre Nöte zur Tugend des Verzichts verklären sollen. In ihrer anderen Variante will die Rüge für die "Alleinherrschaft des Geldes" Sphären benennen, die dem "bloßen Kommerz" entzogen werden sollten; um ihrer höheren Ansprüche und Angebote willen. Jedes derartige Plädoyer enthält also das Eingeständnis, daß die Marktwirtschaft auch alle höheren Güter wie Gott oder Liebe, Musik oder Gerechtigkeit, Dichtkunst oder Naturschönheit längst zur käuflichen Ware gemacht bzw. den Anforderungen des Geldverdienens unterworfen hat. Wie auch nicht? Diese Güterangebote aus den Bereichen der moralischen Notwendigkeit und des luxuriösen Tiefsinns sind mit den Grundsätzen der Erwerbsarbeit, von denen im folgenden die Rede ist, nicht besser und nicht schlechter vereinbar, haben im dafür gezahlten Geld kein weniger angemessenes Maß als jede andere Produktion oder Dienstleistung, an deren "kommerziellem" Zweck niemand Anstoß nimmt. Und die Handelsvertreter des Höheren, die das beklagen, wissen das nicht nur: Ihr Antrag geht eindeutig dahin, wer in Sachen Sinn unterwegs ist, sollte wenigstens selber sorgenfrei leben können.

3 In ihrem unverwüstlichen Zynismus hat die Wirtschaftswissenschaft unter Verweis auf diese Sorte Freiheit das Dogma aufgestellt, daß grundsätzlich ein jedes ökonomisch handelnde Subjekt mit nichts anderem als der Optimierung seines Nutzens befaßt ist, und daraus mathematische Modelle des Marktgeschehens abgeleitet, die allesamt beweisen, wie gut ein jeder auf seine Kosten kommt, weil schließlich noch die kleinste Geldsumme eine Nutzenpräferenz transportiert. Schlimmer als diese zirkulären Gedankenkonstrukte ist allerdings die Gewohnheit der "Marktteilnehmer" selber, die Kunst, sich einzuteilen, als verwirklichte Freiheit anzusehen und sogar einen perversen Stolz zu entwickeln, wenn es mal wieder gelungen ist, mit Sparsamkeit und Schnäppchen trotz wenig Geld über die Runden zu kommen. Planwirtschaft können sich solche Helden der privaten Freiheit dann nur als das Gegenteil, nämlich als Gängelei in der Armut vorstellen. Auf dieser Täuschung basieren nicht bloß theoretische Modelle, sondern ganz reale demokratische Machtverhältnisse.

4 Sogar elementar Notwendiges wird nicht von selbst produziert, wenn es an Zahlungsfähigkeit dafür mangelt; sogar zerstört, wenn das dem Gelderwerb dient. Deswegen ergeben sich für die öffentliche Gewalt, die das marktwirtschaftliche System mit ihrer Eigentumsgarantie in Kraft setzt, aus dessen Wirken haufenweise Notwendigkeiten für kompensierendes Eingreifen. Daß der ganze Laden überhaupt läuft, obwohl auch die öffentliche Gewalt ihn keineswegs planend dirigiert, hat den frühen Apologeten dieses "Systems" einige Ver- und Bewunderung abgenötigt und sie auf das sinnreiche Wirken einer "invisible hand" "hinter dem Rücken" der auf Gelderwerb und sonst nichts programmierten Akteure "schließen" lassen. Die weniger fromme Wahrheit ist die, daß alles , was es in der Marktwirtschaft an materiellem gesellschaftlichem Zusammenhang gibt, Je überhaupt nicht geplante Wirkung des allseitigen Bemühens um das Geld der andern ist - und ja auch dementsprechend aussieht: Es kürzt sich einfach alles heraus, was fürs Geldverdienen nichts taugt

5 Die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft stellt in ihren modellhaften Ableitungen des Marktgeschehens die Sache auf den Kopf und postuliert eine prinzipielle Unersättlichkeit der menschlichen Triebe, denen die kapitalistische Produktion durch sinnreiche Beschränkung das optimale, maximale und denkbar ausgewogene Maß an Befriedigung verschaffen würde. Den Menschen wird ein naturgegebener maßloser Materialismus zugeschrieben, zu dem sie bei aller historisch erworbenen Interessenvielfalt gar nicht fähig sind, um die Ökonomie des Eigentums, die den Ausschluß von allen benötigten Gütern zum Ausgangspunkt des Erwerbslebens macht und den so erzeugten Mangel mit der Arbeit, die sie organisiert, nie beseitigt, als einen einzigen Kampf gegen "die Knappheit" zu rechtfertigen.

6 Gewiß, es gibt auch noch andere Auflösungen. Die Marktwirtschaft kennt allerlei "Selbständige", vom Bauern- bis zum Ärztestand, die sich mit dem für ihren Beruf nötigen Eigentum und eigener Erwerbsarbeit durchschlagen; in unterschiedlichen Zusammensetzungen repräsentieren sie den Gegensatz zwischen Arbeit und Eigentum in der eigenen Person, relativieren ihn also nicht übermäßig. Außerdem gibt es den Staat, der mit enteigneten Geldern die Rolle des Arbeitgebers spielt, ohne durch seine Arbeitnehmer Eigentum schaffen zu lassen; in all seiner Hoheit über die Klassen seiner Gesellschaft respektiert also auch er die Alleinherrschaft des Geldes über die Arbeit, die er einrichtet, indem er seine professionellen Dienstkräfte bezahlt; und dabei kalkuliert er das Entgelt um so genauer nach den Kriterien der privatwirtschaftlichen Lohnzahlung, je niederer die entgoltene Tätigkeit. Man sollte überhaupt aus den diversen funktionellen Unterabteilungen der marktwirtschaftlichen Erwerbsgesellschaft kein Rätsel machen - wo doch schon die maßgeblichen staatlichen Instanzen gar kein Problem damit haben, beim Eintreiben von Steuern wie bei der Einrichtung von Sozialkassen mit auf ihre Art eindeutigen ökonomischen Klasseneinteilungen auf ihre Bürger loszugehen. Im übrigen - dies als methodischer Tip - sind die Prinzipien der politischen Ökonomie des Kapitalismus sowieso keine Schubladen, deren Wahrheitsgehalt durch ihre Brauchbarkeit fürs Einsortieren der Menschheit zu beweisen wäre und durch Zweifelsfälle fraglich würde.

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