Der bürgerliche Staat

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§ 7

Finanzpolitik – Haushalt – Staatsverschuldung

Weil der Einzug von Steuern, mit denen der Staat seinen Bürgern dient, ihr ökonomisches Fortkommen unmittelbar beeinträchtigt, haben seine Mittel und damit seine Dienste ihre Grenzen am wirtschaftlichen Erfolg der Leute, dessen Notwendigkeiten er nicht durch rücksichtslose Besteuerung in Frage stellen darf. Er muß seine Aufgaben erfüllen, aber mit begrenzten Mitteln. Im Haushaltsplan regelt der Staat die Bewältigung seiner Aufgaben (= Ausgaben), für die ihm nur begrenzte Einnahmen zur Verfügung stehen. Er entscheidet über die Verteilung seiner Mittel auf die verschiedenen Funktionen so, daß deren reduzierte Wahrnehmung zur Erhaltung der gegensätzlichen Produktionsweise genügt. Der Unumgänglichkeit seiner Tätigkeit trägt er dadurch Rechnung, daß er auf die tatsächlich vorhandenen Mittel keine Rücksicht nimmt. Er erhält seine Funktionstüchtigkeit durch Verschuldung.


a)

In den gesetzlichen Vorschriften, die der Staat gegen sich selbst erläßt, gesteht er die  ö k o n o m i s c h e n  Grenzen seiner Leistungen ein. Sie zielen auf die Erhaltung seiner Funktionsfähigkeit ab, die aufgrund der begrenzten Mittel, die ihm die Gesellschaft zur Verfügung stellt, beständig gefährdet ist. Diesem Zweck entsprechend hat der Staat den Grundsatz der Einheit der Kassenführung aufgestellt, der seine Ausgaben von bestimmten Rechtsansprüchen irgendwelcher Bürger löst: alle Einnahmen sind Mittel für prinzipiell alle Ausgaben, bei welchen wiederum ein Gebot der Zweckbindung besteht, sobald sie beschlossen sind. Mit dem Grundsatz der Non-Affektation verbunden ist das Verbot von Dispositionsfonds, die staatliche Gelder nicht auf gewisse Bereiche festlegen und unabhängig vom aktuellen Bedarf der Verfügbarkeit entziehen: Affektation und Grundsatz der Spezialität: Festlegung der Höhe einer Ausgabe für einen bestimmten Zweck in einer vorbestimmten Zeit. All diese schönen Grundsätze sollen die Regierung daran hindern, in der Haushaltsplanung sowohl Funktionen zu vernachlässigen, für die Mittel vorhanden wären (und diese Mittel für unnötiges Zeug zu verpulvern), als auch durch Manipulationen in der Rechnungsführung Defizite in einen geordneten Haushalt zu verwandeln.

Da der Staat bei der Aufstellung seines Finanzplans "Umfang und Zusammensetzung der voraussichtlichen Ausgaben und die Deckungsmöglichkeiten in ihren Wechselbeziehungen zu der mutmaßlichen Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Leistungsvermögens" (Bericht zur Lage der Nation, l972) berücksichtigen muß und ihm diese prognostische Tätigkeit aufgrund der Freiheit, die er den Wirtschaftssubjekten sichert, schwerfällt, verzeiht er sich Fehleinschätzungen von vornherein: Mit Hilfe der Deckungsklausel (Ausgleich zwischen Überschuß und Mangel bei verschiedenen Titeln) und der Übertragungsklausel (Zahlung innerhalb des folgenden Etatjahres) umgeht er all die schönen Prinzipien, die er aufgestellt hat. Das Notwendige will auch getan sein, wenn sich die Regierenden über ihre künftigen Ausgaben bei der Aufstellung des Haushalts getäuscht haben, weswegen sie auch mit "überplanmäßigen" und "außerplanmäßigen" Posten operieren dürfen. Und weil das nötige Geld nicht da ist, wenn das vorhandene Geld bereits verplant ist, steht gleich im GG Art. 115, welche Bedingungen erfüllt werden müssen, will man Schulden machen. Diese gehören deswegen zum Alltag der bürgerlichen Finanzpolitik, weil die staatlichen Funktionen auch und gerade dann wahrgenommen werden müssen, wenn die konkurrierenden Bürger aufgrund ihres Scheiterns der öffentlichen Hand weniger oder gar keine Mittel zur Verfügung stellen können und ihre Kollisionen zunehmend Schaden anrichten und Opfer fordern.

c)

Während der Staat in seinem Verhältnis zur Konkurrenz der Kapitalisten ("ideeller Gesamtkapitalist" §5b) darüber wacht, daß die Interessen des Bankkapitals die Funktion des Kreditwesens für die industrielle Akkumulation nicht gefährden und der Akkumulation des Geldkapitals durch Aufblähung der Kreditgeschäfte Grenzen gezogen werden, trägt er durch seine Verschuldung zur Vermehrung des Kredits bei. Wo es ihm um sich zu tun ist, stört es ihn nicht im geringsten, daß Schulden zirkulieren und zur fiktiven Realisierung von Kapital eingesetzt werden. Daß Staatsschulden durch ihre Zirkulation als Kreditgeld, das durch den Staat "gedeckt" ist, das Verhältnis von Nachfrage und Angebot beeinflussen, und zwar so, daß das Ergebnis Inflation heißt, wird in Kauf genommen. Auch die Folge der Inflation, die Verschärfung der Konflikte zwischen den in ihrer Kaufkraft geschwächten Klassen, läßt ihn nicht Abstand nehmen vom Defizit in der eigenen Kasse.

d)

Wenn Staatsschulden das Mittel des Staates sind, seine Funktionen für die Erhaltung der Klassengesellschaft wahrzunehmen, so gesteht der Staat ein, daß seine Rechte gegenüber den Bürgern mit seiner ökonomischen Abhängigkeit von diesen einhergehen. Seine Finanzhoheit beruht auf seinem  V e r z i c h t   a u f   u n m i t t e l b a r   ö k o n o m i s c h e   P o t e n z e n  und seiner Verwandlung in eine Gewalt, die den ökonomischen Zielen seiner Untertanen nützt. Der frühbürgerliche Staat war selbst ein Wirtschaftssubjekt, als solches aber in Abhängigkeit von Handel und Industrie geraten und zu einer Konzession nach der anderen gezwungen; Abtreten des Reichtutns und seine Verwendung durch Kapitalisten als Weg zum modernen Staat, der  s e i n e r  Gesellschaft dient, wenn er sie beherrscht. Rolle des Kredits in der ursprünglichen Akkumulation.

e)

Die flöten gegangene Preisstabilität interessiert jedoch die Bürger nur insoweit, als sie es an ihrem Konto bzw. Geldbeutel bemerken, daß alles, was  s i e  kaufen müssen, teurer wird. Prinzipiell sind sie scharf darauf, daß bei der Entscheidung über die Verwendung ihrer Steuern die Posten nicht zu kurz kommen, von denen de sich etwas erwarten. Ihre Diskussionsbeiträge zum Budget erschöpfen sich gewöhnlich in Bemerkungen bezüglich der Überflüssigkeit der Ausgaben für Notwendigkeiten, die nicht die ihren zu sein scheinen. Die Fortführung ihrer Privatgeschäfte ist ihnen wichtig, so daß mancher für den Sozialstaat und gegen die innere und äußere Sicherheit Stellung bezieht, bisweilen auch die hohen Gehälter von Beamten beklagt. Das Gegenargument mit Hinweis auf Schweden bemüht die hohen Kosten sozialstaatlicher Aktivitäten und entdeckt auch, daß die Bürger dieselben bezahlen müssen: gegen die Verwaltung des Individuums und seines Glücks durch den Versorgungsstaat! Den Gipfel der hierher gehörigen "Kritik" liefern wieder einmal die Revis: Forderungen wie "Bildung statt Rüstung" haben jedoch weniger Erfolg als die ihrer Gegner, die eine Senkung der Sozialausgaben zugunsten von direkten und indirekten Hilfen für ihre Gewinne verlangen. Die reine Form staatsbürgerlicher Lauterkeit läßt sich im Wunsch nach "geordneten Finanzen" überhaupt zur Darstellung bringen. Diesen Wunsch teilt jeder Faschist, der die "Schlamperei" demokratischer Amtsführung immer bemängelt. An die Macht gekommen, pflegen die Faschisten freilich einen großzügigeren Umgang mit den Geldern als jede demokratische Bürokratie. Die Politik eines von den ökonomischen Bedingungen der Gesellschaft "unabhängigen", "freien" Volksstaats führt zum hoheitlichen Gebrauch, zur Schaffung von Mitteln ohne ökonomische Grundlage. Die politische Macht bewährt sich in der kontinuierlichen Saldierung von Schulden auf der Haben-Seite.


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© GegenStandpunkt 1999