Der bürgerliche Staat


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Die vorliegende Analyse unterscheidet sich erheblich von den Schriften, die seit einem Jahrzehnt als Beitrag zur "Staatsableitungsdebatte" erscheinen. Sie  i s t  nämlich die Staatsableitung, beendet also jene unselige Debatte für all diejenigen, die ein Interesse an der Erklärung des Staates haben, weil sie objektives Wissen brauchen über Grund, Zweck und Verlaufsformen der politischen Herrschaft im Kapitalismus. Der Unterschied zur Literatur  ü b e r  die Staatsableitung, insbesondere zur Literatur über die einschlägigen Projekte, ist nicht schwer festzustellen, weswegen eine kurze Zusammenfassung genügt, um den Lesern Enttäuschungen zu ersparen.

Vorenthalten werden ihnen zunächst einmal Erörterungen über die Schwierigkeiten, die einer Ableitung des Staates im Wege stehen. Die methodologischen Veranstaltungen, mit denen linke Intellektuelle der Durchführung einer Staatstheorie ausweichen, fehlen gänzlich. Es wird also nicht im Jargon bürgerlicher Wissenschaftstheorie die Frage zum dreitausendsten Male gestellt, ob und wie eine Staatstheorie möglich sei; es werden auch keine Probleme problematisiert" welche von irgendwelchen Kategorien, Dimensionen, Ebenen der Theorie herstammen sollen und ihr Verhältnis zur "Empirie" und Geschichte zu hinterfragen gebieten. All diese "Ansätze" und "Fragestellungen" erfinden ja mit allerlei komplizierten Bedingungen, die den Staatstheoretikern angeblich das Leben so schwer machen, nur die Unmöglichkeit, zu einem objektiven Urteil über den im Titel erwähnten Gegenstand zu gelangen. Inzwischen ist man auch unter Linken dahin übereingekommen, das eigene Desinteresse an objektiver Wissenschaft zu einer "Schwierigkeit" umzulügen, die man dann auch noch der Sache, die man bespricht und doch nicht erklären will, als Eigenschaft andichtet – bis hin zu der genialen Leistung, den Staat als "komplex" und als "Struktur" vorzuführen.

Des weiteren hat uns im Unterschied zu denen, die uns der Arroganz bezichtigen, auch die Tatsache wenig belastet, daß  d e r  Staat gar nicht existiert,  s o n d e r n  nur "historisch gewordene" und höchst unterschiedliche Staatswesen. Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei all den Staaten eben um Staaten, und deren gemeinsame Prinzipien erklärt eine Staatstheorie. Daß sich an Besonderheiten Allgemeines nicht finden lasse, halten wir für ein Gerücht, welches die albernste Form der öffentlichen Abdankung eines Theoretikers darstellt. Diejenigen, die den Unterschied zwischen englischem und deutschem Recht, zwischen italienischer und deutscher Sozialgesetzgebung bemühen, um sich den Begriff von Recht und Sozialstaat zu ersparen, werden mit diesem Begriff auch keine Besonderheiten richtig analysieren, weil sie ihn, wie er aus den westdeutschen Verhältnissen erschlossen wird, leugnen. Eine andere Abteilung linker Staatstheoretiker wird das Fehlen ihrer Fragestellungen ebenfalls registrieren, weil wir in theoretischen Angelegenheiten sehr dogmatisch sind und so praktische Erwägungen wie die Suche nach "Möglichkeiten und Grenzen staatlichen Handelns" für den Auftakt handfester Ideologien erachten. Wir sorgen uns auch nicht um "Struktur- und Funktionsprobleme", die diese Leute am Klassenstaat entdecken, um sich dann mit ihren Alternativen der vermeintlichen Nöte des herrlichen Gemeinwesens anzunehmen. Wenn sie schließlich auch noch von der "Dialektik von Reform und Revolution" anfangen, behaupten wir glatt, daß eine Veränderung des Staates mit Blick auf seine Funktionstüchtigkeit nichts Revolutionäres und auch nichts Dialektisches ist, deshalb keinem Proleten etwas bringt, genauso wie die Theorie, die diesem Interesse an dialektischen Reformen dient. Die These, daß der Staat  s c h e i t e r t ,  wird man im folgenden auch nicht in einer anderen Version hören können. Wir wissen nichts von den guten Werken, die ihm aufgegeben sind und die er – sei es wegen seiner Abhängigkeit von ein paar Monopolisten, sei es wegen einem Defizit an Steuergeldern nicht ausführen kann. Deswegen ist unsere Analyse aber nicht unvollständig.

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Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei noch vermerkt, worum es unserer unmaßgeblichen Meinung nach bei einer  A b l e i t u n g  geht, was ja den methodisch interessierten Menschen so viel Kopfzerbrechen macht. Erstens ist eine Ableitung ganz dasselbe wie die Erklärung einer Sache, unterscheidet sich also nicht ihrem Inhalt nach von wissenschaftlicher Argumentation, wie sie sonst stattfindet, sooft einer nach Gründen sucht. Zweitens ist eine Ableitung eine Form der Darstellung, die dem Inhalt gefundener Erklärungen entsprechend die Gedanken ordnet. Nicht in der Reihenfolge ihres historischen Auftretens, auch nicht in der Art und Weise, wie man über die verschiedenen Momente einer Sache stolpert, werden sie behandelt, sondern gemäß ihrem Zusammenhang. Wenn die Untersuchung der Massenmedien z.B. den Grund dafür, daß es sie so gibt, wie sie sind, in der Verpflichtung der Bürger auf das Gewaltmonopol des Staates ermittelt hat, so kommt die Analyse der demokratisch bewerkstelligten Zustimmung zum Staat vor die Öffentlichkeit zu stehen. Die einzelnen Momente des erklärten Gegenstandes erscheinen als Grund füreinander, und jede Bestimmung des Staates nimmt die Stelle vor derjenigen anderen ein, welche sie  n o t w e n d i g  macht. Zum Verdacht idealistischer Konstruktion hat Marx das Nötige gesagt. In der Anwendung des Wissens über die Welt des Kapitals, in der Agitation derer, die diese Welt aus den Angeln heben sollen, sind dieselben Argumente fällig wie in der Ableitung nur nimmt die theoretische Auseinandersetzung mit dem Adressaten ihren Ausgang an dessen aktuellem Interesse: in unserem Fall an den Taten des Staates, mit denen er sich gerade herumschlägt, über die er ein falsches Bewußtsein hat und zu denen er sich praktisch so verhält, daß sein Schaden garantiert ist. Während in der Ableitung die Maßnahmen des Staates aus ihrem  G r u n d  heraus notwendig werden, wird in ihrer politischen Anwendung aus der aktuellen Kollision von Staat und Bürger deren Grund erschlossen. Dies zur Frage, inwiefern eine Ableitung eine theoretische Waffe darstellt und wer sie nicht brauchen kann.

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Die Bestimmungen des Staates sind in Paragraphen gegliedert, die den allgemeinen Zweck der analysierten Maßnahme darstellen. In Zusätzen wird jeweils auf die Verlaufsformen dieser Maßnahme eingegangen, der entsprechende Gegensatz zwischen Staat und Bürger am Material der Bundesrepublik verfolgt; ein Verweis auf die historische Durchsetzung, d.h. auf die bestimmte Art der Kämpfe, die den heutigen Staat hervorgebracht haben, findet schon deswegen statt, weil es in der Linken üblich ist, alles gut zu finden, weil es erkämpft werden mußte: Die zum jeweiligen Stoff gehörigen Ideologien bilden den Abschluß des Paragraphen. Während die faschistischen Konsequenzen der Demokratie mitbehandelt werden, kommen die Besonderheiten von Nationen, die sich dem Wirken kapitalistischer Staaten nach außen verdanken, dort vor, wo sie in einer Ableitung hingehören, in der Fortsetzung staatlicher Gewalt zum Imperialismus.


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