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PROKLA 32, Nr.126 (2002)

04.04.2002

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Zeitschrift:PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft
Herausgeber:Vereinigung zur Kritik der politischen Ökonomie e.V.
ISSN:0342-8176
Verlag,
Erscheinungsort:
Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster
Preis:Jahresabonnement (vier Hefte) DM 64.-
Weitere Angaben:Die PROKLA erscheint regelmäßig mit vier Nummern im Jahr und einem Gesamtumfang von mindestens 640 Seiten.
Ausgabe:126, Vol. 32 (2002), No. 1 - Wissen und Eigentum im digitalen Zeitalter

PROKLA-Redaktion - Editorial: Wissen und Eigentum im digitalen Zeital-ter
In dem Maße, in dem sich der Kapitalismus in der Neuzeit als herr-schende Produktionsweise durchsetzte, löste er die vielfältigen, in unterschiedliche soziale Kontexte eingebundenen Besitz- und Nutzungs-verhältnisse in eindeutige private oder öffentliche Eigentumsverhält-nisse auf. Dieser Prozess erfasste zunächst materielle Dinge, Boden sowie die individuelle Arbeitskraft. Der heute ganz selbstverständli-che Eigentumsanspruch auf Gedanken, Ideen, Informationen aller Art, das Recht auf "geistiges Eigentum", setzte sich jedoch erst relativ spät durch. Damit war der Kapitalverwertung einerseits ein neues Feld eröffnet, andererseits aber auch Schranken auferlegt, indem "Wissen" keine frei verfügbare Ressource mehr darstellte.
Die Institution des geistigen Eigentums, differenziert in verschiedene Rechtsinstrumente wie das Urheberrecht, das Patentwesen, den Marken-schutz etc., gibt den Wissensproduzenten oder ihren Verwaltern das Mit-tel in die Hand, geistige Schöpfungen handel- und vermarktbar zu ma-chen, wobei die exklusiven Eigentumstitel nur den zahlungsfähigen In-dividuen Zugang zum Wissen eröffnen, während die nicht-zahlungsfähigen in der Regel vom Zugang ausgeschlossen werden. Bereits bei Bildung und Ausbildung erweist sich dieser Ausschluss aber als dysfunktional für die kapitalistische Produktionsweise. Hier obliegt es dem Staat, die radikalen Ausschlussmechanismen des kapitalistischen Privateigentums zu kompensieren. Das staatliche Bildungssystem ist (oder eher: war) Mittel dieses Ansinnens. Der staatlich alimentierte Zugang der Menschen zu Wissen wird in historisch wechselndem Ausmaß für nötig gehalten - mo-ralische Universalwerte ("Bildung ist ein Menschenrecht") spielen da-bei eine allenfalls untergeordnete Rolle.
Die Widersprüchlichkeit der Exklusivität des Wissens - einerseits ist das privateigentümliche Wissen Mittel der Kapitalverwertung, anderer-seits eine seiner Grenzen - ist aber nicht nur für das Ausbildungssys-tem von entscheidender Bedeutung, sondern auch für die Verwertungs-strategien der einzelnen Kapitale, was in früheren Jahrzehnten bereits im Streit um die Dauer von Patentrechten deutlich wurde. Dieses grund-sätzliche Problem hat durch die neuesten technischen Entwicklungen eine dramatische Zuspitzung erfahren. Digitalisierung der Information und Internet ermöglichen heute eine praktisch kostenlose und von jedermann zu bewerkstelligende Vervielfältigung und weltweite Distribution von "Wissen" - worin Texte, Bilder, Musik und Algorithmen jeder Art einge-schlossen sind. Das Privateigentum an Wissensprodukten scheint sich aus technischen Gründen kaum noch aufrecht erhalten zu lassen. Gleichzei-tig nimmt der Anteil an Wissensprodukten gegenüber materiellen Produk-ten im gegenwärtigen Kapitalismus aber beständig zu. Wissen wird zum einen verstärkt zum hoffnungsbeladenen Vehikel der Mehrwertproduktion und seine Sicherung als Privateigentum aus Sicht der entsprechenden Akteure daher notwendigerweise immer umfassender und restriktiver. Zum anderen ist diese Sicherung aber nicht nur zunehmend schwieriger durchsetzbar, sie kann auch als Hemmnis der Kapitalverwertung (etwa aufgrund steigender Transaktionskosten) oder weiterer Produktivkraft-entwicklung in Erscheinung treten.
Der Privateigentumscharakter von Wissen gilt in dieser Situation nicht mehr unbedingt als selbstverständlich, er wird zu einem gesellschaft-lich umkämpften Verhältnis. Die Vertreter einer Verschärfung des tra-ditionellen "Copyright" treffen auf den erbitterten Widerstand der Verfechter des "Copyleft". Dass diese beiden sich scheinbar diametral gegenüber stehenden Positionen mehr gemeinsam haben als sie wissen, wird von Sabine Nuss in ihrem Beitrag gezeigt: Letzten Endes gründen beide Auffassungen - so die These - in derselben bürgerlichen Eigen-tumskonzeption.
Eines der bekanntesten Beispiele für neue Produktions- und Eigentums-formen, die auf den neuen Möglichkeiten des Internet gründen, ist die Freie Software mit dem Betriebssystem Linux als Vorzeigemodell. Bei Freier Software werden die Produkte unter Verzicht auf Privateigentum am zugrundeliegenden Wissen (dem Quellcode des Programms) weltweit, kooperativ, meistenteils unbezahlt und via Internet koordiniert herge-stellt. Inzwischen ist Freie Software über die internen Kreise der Com-puterspezialisten hinaus bekannt geworden und dient zum einen als Pro-jektionsfläche für alternative Gesellschaftsentwürfe. Zum anderen ist inzwischen auch die Industrie aufmerksam geworden und engagiert sich für den Einsatz und die Entwicklung von Freier Software. Warum das so ist, untersucht Werner Winzerling. Unterschiedliche Reaktionsweisen auf die Digitalisierung des Wissens werden von Rainer Kuhlen analysiert. Er stellt der "Napsterisierung" (in Anlehnung an die Musiktauschbörse Napster) die "Venterisierung" (in Anlehnung an Craig Venter, Gründer der Firma Celera Genomics, die maßgeblich an der Entschlüsselung des menschlichen Genoms beteiligt war) gegenüber.
Dass der Kapitalismus nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, wenn Teile der Produktionsmittel oder -ergebnisse frei von exklusiver Verfü-gungsgewalt bleiben, wird nicht nur bei der Integration Freier Software in kapitalistische Verwertungszusammenhänge deutlich. Bezüglich des Pa-tentwesens gibt es auch innerhalb der herrschenden ökonomischen Theo-rien zunehmend dezidierte Kritik an der Monopolisierung von Wissen, wonach Patente entgegen landläufiger Meinung innovationshemmend seien. Über "kapitalistische Eigentumskritik im Patentwesen" schreibt Boris Gröndahl.
Verwertung ist nie auf den nur nationalen Rahmen beschränkt gewesen, dies gilt auch für "Wissensprodukte". Voraussetzung dafür ist aber die Durchsetzung und Standardisierung eigentumssichernder Institutionen, was für geistiges Eigentum insbesondere im Rahmen der WTO mit dem Ab-kommen über TRIPS (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights) angestrebt wird. Dass die Sicherung geistigen Eigentums auf der einen (nördlichen) Seite der Welt zugleich Enteignung auf der an-deren (südlichen) Seite bedeutet, dass damit der Nord-Süd Konflikt nochmals verschärft wird, zeigt der Beitrag von Michael Frein.
Mit der historischen Herausbildung von geistigen Eigentumsrechten be-schäftigt sich Jeanette Hofmann. Sie zeigt auf, dass es nicht nur spe-zifische Verwertungsinteressen waren, sondern auch ein bestimmtes bür-gerlich-individualistisches Menschenbild, das im Geniekult des 18. Jahrhunderts kulminierte, welche die uns heute so vertraute Instituti-on des geistigen Eigentums hervorbrachten.
Außerhalb des Schwerpunkts beschäftigt sich Susanne Hildebrandt mit der Privatisierung des Gemeindelandes in Mexiko, die verstärkt in den 90er Jahren einsetzte und dort noch für erhebliche soziale Konflikte sorgen dürfte.

Inhaltsverzeichnis

PROKLA-Redaktion: Editorial

PROKLA-Redaktion und Verlag: Die PROKLA-Umfrage

Elmar Altvater: Klaus-Dieter Tangermann - Ein Nachruf

Sabine Nuss: Download ist Diebstahl? Eigentum in einer digitalen Welt

Werner Winzerling: Linux und Freie Software. Eine Entmystifizierung

Rainer Kuhlen: Napsterisierung und Venterisierung. Bausteine zu einer politischen Ökonomie des Wissens

Boris Gröndahl: Die Tragedy of the anticommons. Kapitalistische Eigen-tumskritik im Patentwesen

Michael Frein: Die Globalisierung von Rechten an geistigem Eigentum und der Nord-Süd Konflikt

Jeanette Hofmann: 'Weisheit, Wahrheit und Witz' - Über die Personali-sierung eines Allgemeinguts

Susanne Hildebrand: Die Privatisierung des mexikanischen Ejido

SUMMARIES PROKLA 126, Vol. 32 (2002), No. 1

Sabine Nuss: Is Download Robbery? From the beginning the commerciali-zation of world wide web has been accompanied by discussions about In-tellectual Property Rights. Here two positions can be identified: Claiming strong property protection for digital goods through special measures of technology and legislation and emphasizing on "information wants to be free", proclaiming that strong property protection more likely will be a hindrance for research and development. Though the two positions seem to be quite contrary, the article tries to show, that both originate from the same philosophical and political approach based on John Locke and his modern advocate Douglass North. Karl Marx fundamentally critizised this approach presenting an alternative view of role and function of property in capitalistic economies. Following this method of analysis it is indicated that changes in property re-gimes on the basis of digital technology seem to be a vanguard of mod-ernised capitalism.

Werner Winzerling: Free and Open Source Software in the horizontal computer industry. Since the great success of the operating system Linux, the development of Free and Open Source Software is broad dis-cussed. This is also seen as the beginning of a new economic develop-ment. This paper examines, what makes Linux actually so significant for the computer industry. First Linux is critical evaluated and placed opposite the Microsoft operating systems. Than some substantial new influences on the development and production in the computer in-dustry are worked out. On the one hand this are modifications in the production chain of computers and on the other hand network effects (externalization), which proceed from these products. On the basis of this new economic situation the Linux phenomenon is explained and it is shown from which the great importance of Microsoft in the computer industry results at present.

Rainer Kuhlen: Napsterization and Venterization. We use the alterna-tive concepts of napsterization (information sharing) and venteriza-tion (commerzialization and control) to characterize the main trends within information markets for organisation, production and usage of knowledge. In particular, "napsterization" will be described with re-spect to Napster itself, to the DVD conflict, to Digital Rights Man-agement for digital products such as E-books, and to problems and po-tentials of information sharing in scientific environments. Assuming that knowledge cannot and should not be fully controlled in electronic spaces we suggest that the principles of information sharing, distrib-uted information work, pricing for information, and value-added ser-vices should be adopted by the information economy rather than con-tinuing a costly and unwinnable information war" between napsterizers and venterizers.

Boris Gröndahl: The Tragedy of the anticommons. The patent system is one part of the triad of intellectual property, besieged by techno-logical progress, globalisation and political criticism. In addition to the well-known argument that patents have unwanted moral or eco-logical consequences because they function, an immanent argument gains ground in the economic debate that they actually do not work as in-tended. In complex technologies such as biology, computers and soft-ware, the argument goes, patents tend to create a "tragedy of the an-ticommons", stifling capitalist development.

Michael Frein: The Globalisation of Intellectual Property Rights and the North-South-Conflict. The article discusses the Agreement on Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPs) of the World Trade Organisation (WTO) as an instrument for the globalisation of in-tellectual property rights. It focuses on the provisions of TRIPs Art 27.3 (b), which contains global rules for the patenting of life, and the question of access to medicines for the poor in developing coun-tries. By analysing the underlying economic and political interests of the industrial countries and multinational corporations, which have formed the provisions of the TRIPs-Agreement, it is argued that higher standards in intellectual property rights, especially patents, advan-tage the rich and disadvantage the poor. Therefore there is an urgent need to change the TRIPs-Agreement in line with the interests and in favour of developing countries. The article shows that there are sev-eral suggestions for the current negotiations made not only by NGOs, but also by governments of developing countries.

Jeanette Hofmann: 'Wisdom, Truth, and Wit'. This paper looks at the history of the individualization of knowledge. Intellectual property is based on the assumption that individuals are originators of in-sights and ideas. The notion of the author as creator is a recent in-vention. Until late 18th century, literati were regarded as craftsmen or mediators, who merely write down the divine wisdom by following the rules of rhetoric. The author as defined in modern copyright law thus gets a lot of credit for intellectual achievements that once were be-lieved to be public domain.

Susanne Hildebrandt: Privatisation of the Mexican Ejido. The article starts with an introduction into the structural changes on the world markets of agrarian goods occurred since the 1970s and its effects for the Mexican agrarian sector. As a consequence of the political shift towards an export oriented model in the countryside the Ejido and the peasants became dysfunctional. In 1992, the reform of article 27 of the Mexican Constitution brings the agrarian reform to an end. The case study of Ejido Sayula/Jalisco highlights the social and political implications of this historical reform.

URL:http://www.prokla.de/
Typ:Zeitschriften mit Abstracts
Land:Germany
Sprache:German
English
Klassifikation:Regionaler Schwerpunkt: Ohne regionalen Schwerpunkt
Epochale Zuordnung: Zeitgeschichte (1945-), Epochal übergreifend
Thematischer Schwerpunkt: Politikgeschichte, Sozialgeschichte
Zitation:http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/zeitschriften/ausgabe=468

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